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15 Jahre PKK-Verbot

Eine Verfolgungsbilanz

Herausgegeben von:
Azadî e.V., Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland
YEK-KOM e.V., Föderation kurdischer Vereine in Deutschland
15 JAHRE PKK-BEtätigungsVERBOt
Eine Verfolgungsbilanz

Herausgegeben von
Azadî e.V., Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland
und
YEK-KOM e.V., Föderation kurdischer Vereine in Deutschland
Graf-Adolf-Str. 70A, 40210 Düsseldorf

Unterstützt wird das Projekt von der Roten Hilfe – Bundesvorstand

Redaktion: Monika Morres


Layout: Holger Deilke
Titelbild: Joachim Römer, (ohne Titel), Aquarell, 1997

Druckerei: TIAMAT druck GmbH

November 2008

2 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


Inhalt

Vorwort 4
1986 7
1987 8
1988 8
1989 8
1992 8
1993 9
1994 10
1995 13
1996 16
1997 18
1998 20
1999 21
2000 22
2001 22
2002 23
2003 23
2004 26
2005 30
2006 36
2007 41
2008 49
Verhaftet und Verurteilt 59
Auslieferungsersuchen der Türkei 61
Kontakte/Abkürzungen 63

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 3


Vorwort
1993 (26. November): Bundesinnenminister Manfred Kanther meisten Mitgliedstaaten des Europarates aufrechterhalten.
(CDU) verhängt ein Betätigungsverbot für die PKK, die 2008 (30. Mai): Unmittelbar vor dem USA-Besuch des türki-
ERNK und andere kurdische Vereine und Organisationen. schen Außenministers Ali Babacan setzt Präsident George
Begründung: die PKK verfolge mit Gewalt ihre Ziele, verletze W. Bush die PKK und den Kongra Gel auf die Liste der
strafgesetzliche Bestimmungen und gefährde die innere wegen Drogenhandels zu verfolgenden Organisationen
Sicherheit, die öffentliche Ordnung sowie „andere erhebli- („Kingpin Act“). Zuvor hat der „Hohe Antiterrorrat“ der Tür-
che Belange der Bundesrepublik Deutschland“. kei beschlossen, dort und in den EU-Ländern eine umfas-
1997: Kanther gerät wegen seiner harten Linie gegen die sende Anti-PKK-Kampagne zu starten. Insbesondere soll
PKK in die Kritik von Verfassungsschützern. Mehrere Lan- die Öffentlichkeit mit der Behauptung in Stellung
desbehörden sprechen sich dafür aus, eine Aufhebung des gebracht werden, die PKK sei in den Drogenhandel verwi-
Parteiverbots zu erwägen, „sollte Abdullah Öcalan am ckelt bzw. profitiere von diesem.
Gewaltverzicht festhalten“. Als Wortführer der Kanther-Kri- Strafverfolgung in Deutschland:
tiker gilt NRW-Verfassungsschutzchef Fritz-Achim Bau- Die größte Zahl der Strafen (v.a. Geldstrafen) wurden in
mann. den letzten Jahren gegen Sympathisanten wegen Versto-
1998: Seit Januar wird die PKK-Führung in Deutschland von ßes gegen §20 Vereinsgesetz in der Folge der im Juni 2001
der Bundesanwaltschaft nicht mehr als „terroristische Ver- begonnenen Identitätskampagne „Auch ich bin PKKler“
einigung“ (§129 a Strafgesetzbuch) eingeschätzt, sondern sowie wegen des Spendens und Spendensammelns ver-
als „kriminelle Vereinigung (§129 Strafgesetzbuch) herab- hängt.
gestuft. Grundlage für die Strafverfolgung von PKK-Kadern nach
1999: Letzte große Welle von Aktionen in Folge der Entfüh- Aufgabe des Terrorismus-Vorwurfs wurde das Konstrukt
rung des damaligen PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan der Mitgliedschaft oder Rädelsführerschaft in einer „krimi-
aus Kenia in die Türkei (15. Februar 1999), die durch eine nellen Vereinigung“ innerhalb der PKK (Straftaten nach
internationale geheimdienstliche Zusammenarbeit §129 StGB), das sich auf „vier Säulen“ von sogenannten
ermöglicht wurde. „Katalogtaten“ stützte:
2000: Ein Parteikongress billigt Anfang des Jahres die Vor- • Innerparteiliche Strafjustiz
schläge von Abdullah Öcalan und beschließt eine Neu- • „Heimatbüro“ (Passfälschung und Schleusung)
strukturierung der PKK, die im Wege einer innerparteili- • Spendengelderpressung
chen Demokratisierung den neuen Kurs auch in der • „aktionistische Aktivitäten“ (Hausbesetzungen, Brand-
Organisation selbst abbilden soll. In der Türkei wie auch in stiftungen, Körperverletzungen, Straßenblockaden)
den europäischen Staaten bemüht sich die PKK seither um
Anerkennung als politische Gesprächspartnerin.“ (aus: Verfas- Da auch diese Vorwürfe immer seltener erhoben werden
sungsschutzbericht 2001) konnten und in den letzten Jahren praktisch ganz wegge-
2001 (vor dem 11. September): In der Folge des Parteikongresses fallen sind, haben Bundesanwaltschaft (BAW) und Ober-
wird in der PKK und ihrem Umfeld eine ideologische Kam- landesgerichte begonnen, den Finanzbereich der Organi-
pagne zur Neubewertung und –orientierung durchge- sation neu in den Straftatenkatalog aufzunehmen und ihn
führt. in den Fokus der künftigen strafrechtlichen Verfolgung zu
2001 (nach dem 11. September): Die PKK wird auf Betreiben der rücken. Dies offenbarte sich erstmals in dem § 129-Verfah-
USA dem Spektrum der terroristischen Organisationen ren gegen Halil D. vor dem Oberlandesgericht (OLG) Celle,
zugerechnet, vor allem um sich der Türkei als Bündnispart- das mit dessen Verurteilung zu einer 3-jährigen Freiheits-
ner im „Kampf gegen den Terror“ zu versichern. Die Auflö- strafe am 11. Oktober 2006 zu Ende ging. Seitdem sind die
sung von PKK und ERNK und die Neugründung von KADEK Behörden eifrig darum bemüht, bereits das bloße Bitten
(April 2002) und KONGRA-GEL (November 2003) mit demo- um Spenden bzw. das Spendensammeln von Vereinsmit-
kratischem Programm und Verzicht auf das Ziel eines eige- gliedern als „Aufforderung zu einer Straftat“ zu werten,
nen Staates ändert nichts daran. Der KONGRA-GEL wird weil mit diesem Geld eine verbotene „kriminelle Vereini-
2004 ebenfalls in die „EU-Terrorliste“ aufgenommen – auf gung“ (§129 StGB) unterstützt werde. Damit kann so ziem-
Betreiben der Türkei und der USA. lich jede Tätigkeit und Unterstützungshandlung unter
2006 (Januar): Die norwegische Regierung betrachtet die dem Damoklesschwert der Strafverfolgung stehen und
PKK als „legitime Organisation“ und die EU-Terrorliste kurdische Aktivitäten weiter in die Illegalität gedrängt wer-
sowie die Eintragung der PKK als nicht bindend. den. Eine solche willkürliche Verschiebung auch des
2008 (3. April): Der Europäische Gerichtshof für Menschen- Rechtsrahmens ist im laufenden Jahr zu beobachten. Der-
rechte erklärt die Eintragung von PKK und KONGRA-GEL in zeit sind einige kurdische Aktivisten hiervon betroffen. Sie
die EU-Terrorliste für ungültig. Trotzdem wird sie von den sind konfrontiert mit dem Vorwurf des Verdachts auf

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Unterstützung nach §129 StGB und stehen – ungewöhn- einer Odyssee von Verwaltungsgerichtsprozessen an die
lich für derartige Verfahren – vor einem Landgericht. Es Türkei ausgeliefert, wo er kein rechtsstaatliches Verfahren
handelt sich bei den Angeklagten nicht etwa um erwarten konnte und wie erwartet zu lebenslänglicher
PKK/KONGRA-GEL-Gebietsverantwortliche, deren Verfah- Haft verurteilt wurde. 2006 saß Kaplan weiterhin im F-Typ-
ren in nahezu allen Fällen vor Staatsschutzsenaten von Gefängnis von Tekirdağ ein. Am 15. Oktober 2008 bestä-
Oberlandesgerichten geführt werden. Sollte sich die Ober- tigte ein türkisches Berufungsgericht die Verurteilung zu
staatsanwaltschaft Koblenz mit ihrem 129-Konstrukt bei lebenslänglicher Haft.
den Richtern durchsetzen, wäre dies ein böses Signal für Ein weiteres Einfallstor ist der gegenwärtig laufende
alle politisch engagierten Kurd(inn)en. Schließlich bedeu- Prozess vor dem OLG Stuttgart gegen angebliche Angehö-
tet eine Verurteilung nach §129 StGB im schlimmsten rige der türkischen Organisation DHKP-C. In ihm wird erst-
Falle eine Verurteilung zu Freiheits- oder zumindest zu mals versucht, Straftaten nach §129b (Mitgliedschaft in /
hohen Geldstrafen. Eine solche Verschärfung zielt auf die Unterstützung einer kriminellen oder terroristischen Orga-
kurdischen Strukturen, insbesondere aber darauf ab, die nisation im Ausland), zu verfolgen. Demnach dienten laut
Menschen einzuschüchtern, sie zu demotivieren und Staatsanwaltschaft Aktivitäten in Deutschland wie das
davon abzuhalten, sich politisch in kurdischen Einrichtun- Sammeln von Spendengeldern, das Organisieren von Ver-
gen zu engagieren. anstaltungen, die Mitgliedschaft in Vereinen oder der
Aufgrund der Schwierigkeit der Geheimdienste, Infor- Besitz und die angebliche Verbreitung einer in der Türkei
manten in die verbotenen Organisationen einzuschleusen, legalen Publikation dem Zweck, den bewaffneten Arm der
aus ihnen zu rekrutieren oder Gefangene zu Kronzeugen DHKP-C in der Türkei zu unterstützen. Um diese Vorwürfe
zu machen, waren und sind die wichtigsten Beweismittel zu erhärten, hat sich die Anklage eines türkisch-deutschen
zur Verfolgung nach §129 stets durch TKÜ (Telekommuni- Doppelagenten bedient, der gegenüber einem gerichtlich
kations-Überwachung) zustande gekommene Gesprächs- bestellten psychiatrischen Gutachter geäußert hat, ihm sei
mitschnitte und -protokolle. Solche Maßnahmen können einer der Angeklagten als böser Geist erschienen. Nicht
im Fall der PKK jedoch nur dann richterlich angeordnet nur diese Windigkeit ist unglaublich: Das Gericht hatte gar
werden, wenn ein begründeter Verdacht auf eine der den Leiter der DHKP-C bei der Istanbuler Antiterroreinheit
„Katalogtaten“ nach § 100a Strafprozessordnung (Strafta- als Zeuge geladen, was von der Verteidigung erst einmal
ten gegen die öffentliche Ordnung nach den §§129 bis verhindert werden konnte, weil gegen diese Person zwei
130) vorliegt. Verstöße gegen §20 Vereinsgesetz gehören Klagen wegen Folterverdachts anhängig sind.
seit der Neufassung des Gesetzes vom 1. Januar 2008 Die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte werden
nicht mehr dazu. Das ist der Grund, warum die Oberstaats- sich nicht scheuen, solche Verfahren nach §129b auch
anwaltschaft Koblenz bei den Betroffenen einen Anfangs- gegen mutmaßliche PKK/KONGRA-GEL-Funktionäre einzu-
verdacht des §129 StGB konstruiert hat. Einer der Verteidi- leiten.
ger bezeichnet dieses Vorgehen als „willkürlich im Zweifellos war nicht nur das vom damaligen Bundesin-
Rechtssinn“. Er beantragt zudem die Vernichtung von nenminister Otto Schily verfügte Verbot der prokurdi-
rechtswidrig angefertigten Gedächtnisprotokollen bei der schen Zeitung „Özgür Politika“ vom September 2005 ein
Überwachung von Gefangenenbesuchen und die massiver Angriff auf die kurdischen Medien (am 18. Okto-
Löschung der ebenfalls zu Unrecht vorgenommenen Tele- ber musste es nach dem Urteil des Bundesverwaltungsge-
fonaufzeichnungen. Es bleibt abzuwarten, welche Ent- richts wieder aufgehoben werden), sondern weit mehr
scheidungen die Richter der 12. großen Strafkammer des noch das am 13. Juni 2008 verfügte Ausstrahlungsverbot
Landgerichts fällen werden. des in Dänemark ansässigen kurdischen TV-Senders ROJ
Ein weiterer Aspekt der Verfolgungspolitik hat in den TV und der Produktionsfirma VIKO in Wuppertal. Die im
letzten Jahren an Brisanz zugenommen. Im Windschatten Jahre 2007 installierte sog. „Anti-PKK-Koordination“ zwi-
des sog. Internationalen Anti-Terror-Kampfes versucht die schen den USA, der Türkei, Frankreich, Großbritannien und
Türkei weiterhin, im Zuge von Auslieferungsverfahren die Deutschland dürfte für diese tiefgreifende Maßnahme ver-
deutschen Strafverfolgungsbehörden in ein gemeinsames antwortlich gewesen sein.
Vorgehen einzubeziehen. Diese Ersuchen stellen eine Die letzten Jahre waren zudem geprägt von zahllosen
durchaus ernste Bedrohung dar. Eine Systematik ist dabei Asylwiderrufsverfahren durch das Bundesamt für Flücht-
nicht zu erkennen, doch handelt es sich in allen Fällen um linge und Migration, das konstant behauptet, die Men-
prominente kurdische Politikerinnen und Politiker, aber schenrechtssituation in der Türkei habe erhebliche Fort-
auch Angehörige linker türkischer Organisationen, die in schritte gemacht und es sei verantwortbar, Kurdinnen und
Deutschland pflichtschuldigst festgenommen werden, bis- Kurden wieder dorthin abzuschieben. Das Amt führt
her jedoch wegen des Fehlens gerichtsverwertbaren zudem in den Widerrufsbescheiden häufig die in Asylver-
Beweismaterials in allen Fällen wieder freigelassen werden fahren genannten Fluchtgründe auf, deretwegen die
mussten – ohne Entschädigung natürlich! Betroffenen anerkannt worden sind. Allen politischen kur-
Das Einfallstor bildete die Auslieferung des wegen dischen Gefangenen, die nach §129 verurteilt wurden, ist
„öffentlichen Aufrufs zu einer Straftat“ im November 2000 der Asylstatus aberkannt worden. Sie stehen damit wieder
vom OLG Düsseldorf zu vier Jahren Haft verurteilten türki- am Null-Punkt einer Zukunft in Deutschland.
schen Islamisten Metin Kaplan. Dem Ersuchen der türki- Wegen politischer Aktivitäten – und sei es nur die Mit-
schen Behörden wurde stattgegeben und Kaplan nach gliedschaft in einem kurdischen Verein, die Teilnahme an

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 5


einer Demonstration oder der Besuch von Veranstaltun- kisch-kurdische Konflikt sowohl eine innen- als auch
gen – ist in den vergangenen Jahren einer Vielzahl von außenpolitische bzw. internationale Dimension hat. Die
Kurdinnen und Kurden eine beantragte Einbürgerung ver- Dokumentation soll die unrühmliche Rolle der Verantwort-
weigert worden. lichen der deutschen Politik vor Augen führen, die mit
Wir haben versucht, aus Anlass des 15. Jahrestages der ihrem Vorgehen gegen die kurdische Freiheitsbewegung
Verbotspolitik eine Chronologie zu erstellen und müssen die Verfolgungsstrategie der Türkei unterstützt und
zugestehen, dass bei weitem nicht alle Festnahmen, Lösungsperspektiven zunichte macht. Die vielfachen Ver-
Durchsuchungen oder Strafbefehle dokumentiert werden suche der kurdischen Bewegung, mit friedenspolitischen
konnten. Vor dem Hintergrund der umfassenden Repres- Vorschlägen den Status quo zu durchbrechen, sind bisher
sion wäre das auch unrealistisch. Dennoch: Uns war wich- allesamt entweder ausgeschlagen oder ignoriert worden.
tig, einen Eindruck zu vermitteln von den Auswirkungen Dennoch: Die Kurdinnen und Kurden werden auch in
einer von allen Bundesregierungen befürworteten Krimi- Zukunft ihren Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit fort-
nalisierung eines Teils der hier lebenden kurdischen Bevöl- führen. Wir wollen sie auf diesem Weg gerne weiter beglei-
kerung. Wir wollten auch deutlich machen, dass der seit ten und für die Aufhebung des PKK-Betätigungsverbots
Jahrzehnten schwelende und bis heute ungelöste tür- streiten.

Monika Morres und Günther Böhm


Azadî e.V., Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland
Oktober 2008

6 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


Verbotschronologie

1986
Die Geschichte der Kriminalisierung von Kurdinnen und tende Kurdenverfolgung“, ausführt, sind allein in der Zeit
Kurden in Deutschland beginnt nicht erst mit dem Erlass von 1980 bis 1989 insgesamt über 3 300 Ermittlungsver-
des PKK-Betätigungsverbots im November 1993. Weil die fahren nach §129a StGB eingeleitet worden, von denen
kurdische Freiheitsbewegung seit ihrer Gründung im Jahre fast 10 000 verdächtige Personen betroffen waren.
1978 und besonders seit Aufnahme des bewaffneten In der Illustrierte „Stern“ erschien in den 1990er Jahren
Kampfes 1984 gegen die brutale Unterdrückung der kurdi- eine Karikatur:
schen Bevölkerung immer mehr Anklang und Unterstüt- In einem Kinderzimmer sitzt ein weinender Junge inmitten
zung findet, verstärkt die türkische Regierung ihre diplo- von lauter zerstörten Möbeln und Spielsachen. Die Mutter
matischen Bemühungen, um eine Isolierung bzw. steht in der Türe und schaut mit entsetztem Blick auf die-
Zerschlagung der PKK zu erreichen. In ihrem Fokus steht ses Chaos. Die Sprechblase über ihrem kleinen Sohn:
hierbei Westeuropa, wohin zahlreiche Kurdinnen und Kur- „Mama, das waren die Kurden.“
den wegen politischer Verfolgung flüchten. Parallel hierzu Diese Darstellung traf sehr gut den Kern der weitreichen-
nehmen operative Aktivitäten des türkischen Geheim- den Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden in
dienstes zu. So inszeniert er Anschläge in Deutschland, um Deutschland.
hierfür die PKK verantwortlich machen zu können, z.B. im
Herbst 1986 gegen den türkischen Generalkonsul in Ham- 28. Februar
burg. Ab diesem Zeitpunkt wird die PKK in systematischen Hinter dem Mord an Olof Palme in Stockholm soll angeb-
Kampagnen durch die Politik, durch Polizei und Medien zu lich die PKK stecken.
den „gefährlichsten Terroristen Europas“ erklärt. Das ist
auch die Geburtsstunde der Kriminalisierung und des August
Plans, mithilfe des berüchtigten §129a Strafgesetzbuch Faruk Bozkurt wird in Hamburg verhaftet und damit der
gegen die Organisation und ihre Anhänger/innen vorzu- PKK ein angeblicher versuchter Sprengstoffanschlag auf
gehen. Ende Oktober bringt die Regierungskoalition einen das türkische Generalkonsulat angelastet.
Gesetzentwurf zur „Bekämpfung des Terrorismus“ in den
Bundestag ein. Danach soll die Bundesanwaltschaft künf- Oktober
tig auch zuständig sein für die Verfolgung von ausländi- Generalbundesanwalt Kurt Rebmann führt Gespräche mit
schen „terroristischen Vereinigungen“, wenn sie in hochrangigen Vertretern der Türkei (darunter dem Bot-
Deutschland Katalogstrafen des § 129 a StGB begehen. schafter Iscen) über die Zusammenarbeit gegen den
Diese Gesetzesänderung tritt zum 1. Januar 1987 in Kraft. „internationalen Terrorismus“.
Es beginnt eine flächendeckende staatliche Verfolgung
von Kurdinnen und Kurden mit den Mitteln des Polizei-, Ende Oktober
des Straf- und Verwaltungsrechts. Wie der Rechtsanwalt Die Regierungskoalition bringt einen Gesetzentwurf zur
und Verteidiger in den großen PKK- Verfahren, Eberhard Bekämpfung des Terrorismus in den Bundestag ein.
Schultz in seiner Broschüre „Zehn Jahre grenzüberschrei- Danach soll die Bundesanwaltschaft künftig auch zustän-

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 7


dig sein für die Verfolgung von „terroristischen Vereinigun- ner nichtdeutschen Vertragsstaaten […] zu beeinträchti-
gen“ aus dem Ausland, sofern sie in Deutschland Katalog- gen“ drohen.
strafen des §129a StGB begehen, die „die Sicherheit … sei-

1987
1. Januar Wohnung in Celle von Beamten des BKA durchsucht. Wäh-
Nach Pilotverfahren gegen die srilankische LTTE („Tamil rend seines Heimaturlaubs wird er am 25. August 1988 mit
Tigers“) wegen Mitgliedschaft in einer „kriminellen Verei- seinem 13-jährigen Neffen festgenommen. Nach acht
nigung“, begann nach entsprechenden Vorarbeiten von Tagen wird sein Leichnam seiner Familie übergeben. Er sei
Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Landeskrimi- „bei einer Auseinandersetzung mit der PKK“ erschossen
nalämtern etc offiziell das Ermittlungsverfahren gegen die worden, erklären die türkischen Sicherheitsbehörden. Die
PKK. Es beginnt eine flächendeckende staatliche Verfol- Leiche war grausam verstümmelt und mit Folterspuren
gung der Kurden mit Hilfe des Straf-, Polizei- und Verwal- übersät. Eine von der Familie veranlasste Obduktion erga-
tungsrechts. ben keinerlei Schussspuren. Der Gouverneur in einem
Interview gegenüber der BBC: „Was wollt Ihr, es war doch
August sowie nur ein PKKler“ – offenbar eine Information an die
Weil man im Rahmen des §129a-Ermittlungsverfahrens Türkei über die Hausdurchsuchung bei Dervis Savgat.
nach der Tochter von Dervis Savgat suchte, wird seine

1988
22. Januar
Bundesanwaltschaft erlässt Haftbefehl gegen mehrere mutmaßliche PKK-Führungskader.

1989
Sommer Vereinigung innerhalb der PKK“ nach §129a. Alle Ange-
Generalbundesanwalt Kay Nehm ruft vor Beginn des ers- klagten werden Sonderbedingungen unterzogen. So müs-
ten großen §129a-Verfahrens gegen PKK-Abhänger die sen sie ihr Verfahren hinter einer bis zur Decke reichenden
Organisation zum „Hauptfeind der inneren Sicherheit“ aus. Plexiglaswand verfolgen – ohne direkten Kontakt mit
ihren Verteidigern. Diese Isolierung wird von der Verteidi-
24. Oktober gung als „Kurdenkäfig“ bezeichnet und gilt fortan als Sym-
Beginn des bislang größten Prozesses wegen Terrorismus- bol für diesen Prozess. Er sei die „hygienisch einwandfreie
Vorwurfs gegen PKK-Anhänger/innen in Deutschland (vor mitteleuropäische Variante der berüchtigten Massen-
dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf). schauprozesse türkischer Militärgerichte.“
Zentraler Anklagepunkt ist die angebliche „terroristische

1992
26. März 23. September
Waffenlieferungsstopp aus der BRD in die Türkei (deutsche Bundesverteidigungsminister Volker Rühe kündigt Liefe-
Newroz-Delegationen belegen Waffeneinsatz gegen die rung neuer Flugzeuge, Geschütze und Panzer an die Tür-
Zivilbevölkerung) kei an.

31. März 23. Oktober


Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg tritt Türkei gibt zu, aus Deutschland gelieferte Panzer für die
zurück wegen illegaler Lieferung von 15 Leopard-I- PKK-Bekämpfung genutzt zu haben (Fotos belegen durch
Panzern Ende 1991. Schützenpanzer zu Tode geschleifte Gefangene)

1. August
1. Internationales Kurdistan-Festival in Bochum

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1993
26. Mai 26. November
Debatte und Abstimmung über den Asylkompromiss, der PKK-BetätigungSverBot in DeutSchlanD (datiert vom 22.11.)
de facto die Abschaffung des Rechts auf Asyl bedeutet. gegen die PKK und 35 Vereine, Organisationen etc.: Bun-
521 Abgeordnete stimmen für diese „Reform“, 132 dage- desinnenminister Manfred Kanther (CDU) verfügt das Ver-
gen. bot jeder Betätigung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)
und der Nationalen Befreiungsorganisation (ERNK), das
29. Mai Verbot und die Auflösung der Berxwedan Verlags GmbH
Erste kurdische Großdemonstration in Bonn mit 100 000 und der kurdischen Nachrichtenagentur Kurd-Ha, der
Teilnehmer/inne/n für die friedliche Lösung der Kurden- „Föderation der patriotischen Arbeiter- und Kulturvereine
frage, mit Anhänger/inne/n fast aller nordkurdischer Orga- aus Kurdistan in der Bundesrepublik e.V. (FEYKA Kurdis-
nisationen. tan)“ sowie von 29 örtlichen kurdischen Vereinen in
Aachen, Berlin, Bielefeld, Bonn, Bremen, Bremerhaven,
1. Juni Celle, Dortmund, Duisburg, Düren, Frankfurt/Main, Frei-
Das neue Asylrecht tritt in Kraft. Fortan kann sich, wer aus burg, Hagen, Hamburg, Hannover, Heilbronn, Ingolstadt,
einem Land anreist, in dem der Schutz vor politischer Ver- Kassel, Koblenz, Köln, Leverkusen, Mannheim, München,
folgung ausreichend gewährleistet ist, nicht mehr auf den Nürnberg, Rendsburg, Saarbrücken, Siegen, Stuttgart und
Grundgesetzartikel 16a berufen. Ulm und des „Kurdistan-Komitees e.V.“ in Köln. Begrün-
dung: „Die Tätigkeit der PKK sowie ihrer Teilorganisationen
24. Juni ERNK, Berxwedan Verlags GmbH und Kurd-Ha verstößt
Protestaktionen in europäischen Städten gegen türkische gegen den Gedanken der Völkerverständigung, gefährdet
Vertretungen und Geschäfte, 14-stündige Besetzung des die innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung und sons-
Konsulats in München; Schüsse aus der türkischen Bot- tige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland.“
schaft in Bern auf Demonstrant/inn/en (1 Toter). Zur Erläuterung wird auf kurdische „Anschlagswellen“ in
der Bundesrepublik im Jahr 1992 sowie im Juni und im
Juli November 1993 verwiesen. Als Verbotsgründe werden
Bundeswehr-Generalinspekteur Naumann bezeichnet
Kampf des türkischen Staates gegen die PKK als „völlig
legitim“.

22. Oktober
Türkische Armeeeinheiten überfallen die kurdische Stadt
Lice. Mindestens 30 Menschen werden getötet und mehr
als 600 Häuser zerstört. In ganz Europa protestieren aufge-
brachte Kurdinnen und Kurden gegen das Massaker und
verüben Anschläge auf türkische Vertretungen und
Geschäfte. In Wiesbaden kommt ein Mensch bei einem
Brandanschlag ums Leben. Außenminister Kinkel reagiert:
„Die PKK muss sofort verboten werden.“

9. November
Landesweite Razzien gegen die PKK in Frankreich

Mitte November
Mehr als 20 000 Kurdinnen und Kurden demonstrieren in
Bonn gegen ein drohendes Verbot. Vergeblich appelliert
die kurdische Seite an die Bundesregierung, einen Beitrag
zu leisten zur Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts.

25. November
Der amtierende NRW-Innenminister Schnoor (SPD) prä-
sentiert nach der Sitzung der Innenministerkonferenz der
Presse die von Bundesinnenminister Kanther erlassene
Verbotsverfügung gegen die Betätigung der PKK.

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 9


weiter genannt „innerparteiliche gewaltsame Auseinan- Der Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen: „Das
dersetzungen“ in PKK-Strukturen in der BRD 1987 und PKK-Verbot muss als Ablenkungsmanöver von der direk-
1988. Im einzelnen heißt es dann u. a.: „Die PKK/ERNK rich- ten deutschen Verantwortung und Beteiligung an der
tet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Kriegsführung der Türkei bewertet werden.“
[…] Die von Anhängern/Sympathisanten der PKK/ERNK
begangenen Straftaten in Deutschland und der Türkei mit 27. November
dem Ziel, einen Teil des türkischen Staatsgebietes in einen Die türkische Tageszeitung „Hürriyet“ titelt „Danke schön,
noch zu gründenden kurdischen Staat zu überführen, Herr Kohl!“ Sie berichtet, dass sich Kohl und die türkische
erfüllen diese Voraussetzungen. Die Straftaten stören das Ministerpräsidentin Tansu Ciller „mittels spezieller Kuriere
friedliche Zusammenleben zwischen Kurden und Türken auf dem Laufenden gehalten“ und aus konspirativen Grün-
sowohl in der Türkei als auch in Deutschland.“ Zudem wür- den „auf Telefongespräche verzichtet“ hätten.
den die kurdischen Aktionen in der BRD „das Verhältnis
zum türkischen Staat“ „erheblich“ „stören“, türkische Stel- 30. November
len (ausdrücklich genannt wird u. a. die Ministerpräsiden- Zwei PKK-nahe Organisationen in Frankreich werden ver-
tin Tansu Ciller) hätten den Vorwurf erhoben, „die Bundes- boten.
regierung dulde PKK-Aktivitäten auf deutschem Boden
und kontrolliere sie nicht oder nur mangelhaft“. „Die politi- 10. Dezember
sche Agitation der PKK und ihr nahe stehender Organisa- In der Türkei lässt die Regierung Ciller die Büros der pro-
tionen hat zwischenzeitlich ein außenpolitisch nicht mehr kurdischen Tageszeitung Özgür Gündem überfallen und
vertretbares Ausmaß erreicht. […] Diese Aktivitäten schä- alle 210 Mitarbeiter/innen festnehmen.
digen bereits heute Deutschlands Ansehen in der Türkei
und die bilateralen Beziehungen erheblich.“ „Eine weitere 21. Dezember
Duldung der PKK-Aktivitäten in Deutschland würde diese 25 Anwältinnen und Anwälte der kurdischen Vereine erklä-
deutsche Außenpolitik unglaubwürdig machen und das ren, dass Kanthers Verbot als „Dokument der juristisch
Vertrauen eines wichtigen Bündnispartners, auf das Wert dürftig verbrämten Beihilfe zum Völkermord am Volk Kur-
gelegt wird, untergraben.“ (Alle Zitate aus der Verbotsverfügung). distans“ einzustufen sei, das „die Stimmen der Kurden aus
Praktisch zeitgleich mit den Verboten eröffnet die Bundes- der Türkei über die dortigen Zustände auch bei uns zum
anwaltschaft in Karlsruhe gegen eine unbekannte Zahl Schweigen bringen soll.“
von kurdischen Politiker/innen Ermittlungsverfahren
wegen Bildung bzw. Unterstützung einer „terroristischen
Vereinigung“.

1994
Januar 7. März
Eine kurdische Delegation in der BRD aus Mitgliedern der An diesem Tag endet der größte Prozess in der Geschichte
„Demokratie-Partei“ (DEP) und des Menschenrechtsver- der deutschen Strafjustiz in erster Instanz. Nach fast vier-
eins IHD, darunter der stellvertr. DEP-Vorsitzende Remzi einhalb Jahren Hauptverhandlung gegen ursprünglich 19
Kartal, der Bürgermeister der kurdischen Stadt Hakkari, angeklagte kurdische Aktivisten, denen Mitgliedschaft in
Necdet Buldan, der IHD-Vorsitzende Ercan Kanar u. a., kriti- einer „terroristischen Vereinigung innerhalb der PKK“
sieren das PKK-Verbot als „Ermunterung“ für den türki- (§129 StGB) vorgeworfen wurde, verkündet der Vorsit-
schen Staat bei seiner „Unterdrückungs- und Gewaltpoli- zende Richter des 5. Staatsschutzsenats des OLG Düssel-
tik“. dorf das Urteil gegen die vier verbliebenen Angeklagten.
Zwei Kurden erhalten aufgrund von Aussagen eines Kron-
Frühjahr zeugen eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes,
In der Türkei verkündet Ministerpräsidentin Ciller, 1994 zwei Freiheitsstrafen von sechs bzw. sieben Jahren mit der
werde man die PKK „auslöschen“. Im Vorfeld der für den Folge, dass die Beiden nach Urteilsverkündung freigelas-
27. März angesetzten Kommunalwahlen eskaliert der Ter- sen wurden.
ror gegen die DEP-Partei. Während einer Parteisitzung in Eigens für diese Verfahren wurde eine ehemalige Polizei-
Ankara explodiert eine Bombe. Eine Person kommt ums kaserne zu einer unterirdisch gelegenen und bombensi-
Leben, 20 weitere Personen werden verletzt. Im März wird cheren „Nebenstelle des OLG“ Düsseldorf umgebaut; Kos-
die Immunität von sechs DEP-Abgeordneten im türki- tenaufwand für den Gerichtssaals: 8,5 Millionen DM.
schen Parlament aufgehoben. Die Abgeordneten (darun- Seit Herbst 1988 waren die Richter des Staatsschutzsenats
ter Leyla Zana,Hatip Dicle, Orhan Dogan u.a.) wegen ausschließlich für den PKK-Prozess zuständig.
„Separatismus“ und Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung
einer „bewaffneten Bande“ (gemeint PKK) verhaftet.

10 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


20. März zen. Ein solcher Vertrag kann dem deutschen Staat nicht
In der BRD eskalieren zum kurdischen Nationalfest einmal als Feigenblatt dienen. Auch die Europäische Men-
„Newroz“ die Konfrontationen der Polizei mit Kurd(inn)en. schenrechtskonvention, die von der Türkei unterzeichnet
In fast allen Städten werden Veranstaltungen verboten, worden ist, hat sie nicht vom Terror gegen Kurden abge-
anreisende Busse auf der Autobahn von der Polizei ange- halten. […]“
halten. Dabei kommt es zu heftigen Auseinandersetzun-
gen bis hin zu Selbstanzündungen von Kurd(inn)en. Mai
Besonders eskalieren die Auseinandersetzungen in Augs- In Saarbrücken werden in einer Großrazzia gegen den kur-
burg, wo CSU-Innenminister Günther Beckstein die Stadt dischen Verein mehr als 50 Personen vorübergehend fest-
abriegeln lässt und jeden Versuch der Kurd(inn)en, ihr Fest genommen und ED-behandelt. Güler Yurtagul wird verhaf-
zu feiern, brutal angreifen lässt. Ca. 500 Personalienfest- tet und beschuldigt, führende Funktionärin in der
stellungen zur Einleitung von Ermittlungsverfahren sind „terroristischen Vereinigung“, der sog. ACM (Europäische
die Folge, mindestens 17 Personen werden festgenom- Frontzentrale; Avrupa Cephe Merkezi) zu sein. Aufgrund
men, viele sollen so rasch wie möglich abgeschoben wer- ihrer schweren Erkrankung wird sie im Frühjahr 1995 aus
den. In Mannheim zünden sich zwei kurdische Frauen, Nil- der Haft entlassen und das Verfahren wenige Monate spä-
gün Yildirim und Bedriye Tas, aus Protest gegen die ter eingestellt.
Verbote und die Verfolgung ihres Volkes an und sterben.
Zur Verhinderung eines nachfolgenden Trauerzugs in 4. Mai
Mannheim zur Ehrung der Verstorbenen werden am 27. Bundesaußenminister Dr. Klaus Kinkel verkündet für die
März bundesweit nach Presseberichte fast 32 000 Polizis- Bundesregierung die Wiederaufnahme der unterbroche-
ten eingesetzt. Der Marsch mit ca. 10 000 Kurd(inn)en fin- nen Waffenlieferungen an die Türkei. Trotz Vorliegens zahl-
det aber dennoch statt. reicher Fotodokumente wird vertragswidriger Einsatz der
Waffen von der Bundesregierung als „unbewiesen“ bestrit-
26. März ten.
Die BAW gibt die ersten Festnahmen im Rahmen ihres
Ermittlungsverfahrens gegen eine angeblich „terroristi- 18. Mai
sche Vereinigung“ innerhalb der PKK (§129a StGB) „Internationale Kurdistan-Konferenz“ in Brüssel: Kani Yil-
bekannt: Zwei kurdische „Gebietsleiter“ im Raum Wiesba- maz erklärt für die ERNK-Europavertretung die Bereitschaft
den werden verhaftet. der PKK, „jeden von uns zu erwartenden Schritt für eine
politische Lösung zu unternehmen“. PKK-Vorsitzender
27. März Öcalan richtet eine Friedensbotschaft an die Konferenz.
Gründung von YEK-KOM (Föderation kurdischer Vereine in Nach einem IHD-Bericht soll die türkische Armee allein in
Deutschland). Die belgische Regierung erklärt, sie werde den letzten zwei Wochen 138 kurdische Dörfer zerstört
trotz Drängens der Türkei kein PKK-Verbot verhängen. haben, 35.000 Menschen seien auf der Flucht vor der
Armee nach Südkurdistan (Irak).
April
Beginn des Prozesses gegen Kurden, die im Juni 1993 das 16. Juni
türkische Konsulat in München besetzt hatten. Über Mün- In der Türkei wird die Demokratie-Partei (DEP) verboten;
chen wird der „Ausnahmezustand“ verhängt; 4000 Polizei- ihre sechs Abgeordneten im türkischen Parlament sind zu
beamte sind im Einsatz. Es herrscht absolutes Demonstra- diesem Zeitpunkt bereits dreieinhalb Monate in Haft, 24
tionsverbot; an allen Zufahrtsstraßen nach München ihrer Funktionäre in der kurzen Zeit ihrer legalen Existenz
werden Kontrollen durchgeführt. von „unbekannten Tätern“ ermordet worden.

8. April 25. Juni


Waffenlieferungen aus Deutschland an die Türkei werden In Frankfurt demonstrieren ca. 100 000 Kurdinnen und
wegen des Vorwurfs eingestellt, dass deutsches Kriegsma- Kurden auf einer Großdemonstration „Für eine politische
terial gegen Kurd(inn)en zum Einsatz komme. und demokratische Lösung in Kurdistan“. Aufgerufen hat-
ten ca. 80 kurdische und deutsche Gruppen, darunter zahl-
12. April reiche Kurdistan-Solidaritätsgruppen, medico, Pax Christi,
Das „Newroz-Koordinationsbüro“ in Frankfurt legt der Mitglieder von PDS, Grünen und Gewerkschaften u.v.a.
Öffentlichkeit erneut Berichte über den Einsatz deutscher
Waffen gegen die kurdische Bevölkerung vor. 1. Juli
In Hannover wird der erst kurz zuvor in die BRD geflohene
26. April kurdische Jugendliche Halim Dener von einer Zivilstreife
Heribert Prantl kommentiert in der Süddeutschen Zeitung (SEK) nachts beim Kleben von Plakaten mit dem Aufdruck
im Zusammenhang mit „Abschiebevereinbarungen“ zwi- der ERNK von hinten erschossen. Die Polizeiversion: „Verse-
schen der Bundesregierung und Ankara u.a.: „[…] Es wäre hentlich“ habe sich ein Schuss gelöst, als der schon verhaf-
mehr als blauäugig zu glauben, ein Vertrag mit der Türkei tete kurdische Jugendliche zu fliehen versucht habe.
könne die abgeschobenen Kurden vor Folterungen schüt-

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 11


einen mehrwöchigen Hungerstreik. Sie fordern eine politi-
sche Lösung und die Freilassung aller kurdischen politi-
schen Gefangenen.

18. August
Eine Fahrradtour von ca. 150 kurdischen Jugendlichen, die
von Bonn zur Tagung der UN-Menschenrechtskommission
in Genf führen soll, wird bereits bei der Abreise u. a. wegen
Tragens von Halim-Dener-T-Shirts von der Polizei mit
Schlagstöcken und Tränengas angegriffen, viele Jugendli-
che kommen verletzt ins Krankenhaus. 85 vorübergehend
festgenommene Personen werden ED-behandelt, darun-
ter auch 22 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 13
und 17 Jahren. Ein Teilnehmer: „Die Methoden der türki-
schen Polizei sind in Deutschland angekommen.“ Die
Aktion wird später trotzdem fortgesetzt und kommt –
trotz weiterer Angriffe – in Genf an, wo die Jugendlichen
ihre Dokumente der UNO übergeben dürfen.

2. September
In Heilbronn werden vier kurdische Jugendliche wegen
„Autobahnblockaden“ im Zusammenhang mit dem kurdi-
schen Newrozfest zu 8 bzw. 6 Monaten Haft auf Bewäh-
rung verurteilt. Allein in Baden-Württemberg sollen wegen
9. Juli dieser Vorwürfe ca. 40 Kurdinnen und Kurden inhaftiert
Etwa 30 000 zumeist kurdische Demonstranten beteiligen sein, bundesweit über ca. 260.
sich an einem „Trauermarsch“ für den erschossenen Halim
Dener. Der Hannoveraner Oberbürgermeister Herbert 12. September
Schmalstieg (SPD) drückt in einer Grußadresse sein tiefes Der Kölner Polizeipräsident teilt dem Vertreter des kurdi-
Bedauern über die Erschießung aus. schen Agri-Verlags mit, dass gegen ihn wegen Verdachts
auf Verstoß gegen §90a StGB (Verunglimpfung der BRD)
6. Juli ermittelt werde. Grund: Der „Kurdistan-Report“, der vom
Das Bayerische Oberste Landesgericht verhängt gegen Verlag vertrieben wird, beschuldige deutsche Stellen der
Besetzer des türkischen Generalkonsulats in München im Beihilfe zum „Völkermord in Kurdistan“.
Juni 1993 Freiheitsstrafen. Neun Angeklagte werden zu je
viereinhalb Jahren Haft, einer zu zweieinhalb Jahren verur- 24. September
teilt. Drei weitere Angeklagte erhalten je drei Jahre Ein in Hannover geplantes kurdisches Kulturfestival wird
Jugendstrafe. Alle Strafen erfolgen wegen „gemeinschaftli- verboten. Es findet daraufhin in der niederländischen
cher Geiselnahme“ in 21 Fällen. Stadt Maastricht statt. Trotz erheblicher Schikanen durch
deutsche Behörden bei der Anreise nehmen über 100 000
19. – 21. Juli Kurdinnen und Kurden teil.
Der türkische Generalstabschef Güres ist zu Besuch in der
BRD. Das DEP-Exilbüro meldet am ersten Tag des Besuchs, 26. September – 3. Oktober
die türkische Armee habe am 18. Juli die kurdische Stadt Kurdische Frauen führen einen langen Marsch „Gegen den
Lice erneut in Brand gesteckt. Seit dem 1.1.1993 habe die schmutzigen Krieg in Kurdistan“ von Mannheim nach
Armee 1274 kurdische Dörfer niedergebrannt, zerstört, Straßburg zum Europaparlament durch. Auch dieser
entvölkert. Marsch wird mehrfach von der deutschen Polizei angegrif-
fen. Mehr als 300 Kurdinnen werden vorübergehend fest-
19. Juli genommen und ED-behandelt. Dennoch gelangen die
Das Bundesverwaltungsgericht setzt die 1993 verhängten Frauen – per Bus – nach Straßburg, wo sie ihre Resolution
Verbote Kanthers gegen 21 örtliche kurdische Vereine wie- dem Europarat übergeben können.
der außer Kraft. Die Argumentation des Bundesinnenmi-
nisters, diese Vereine seien „Teilorganisationen von FEYKA 28. September
Kurdistan“, sei nicht haltbar. Das Europäische Parlament verurteilt das Verbot der DEP
in der Türkei und friert die Beziehungen mit der türkischen
15. August Regierung wegen der zahlreichen Menschenrechtsver-
Etwa 50 in deutschen Gefängnissen inhaftierte Kurden stöße ein.
beginnen aus Protest gegen ihre Inhaftierung und die Kri-
minalisierung von Kurden und Kurdinnen in Deutschland 26. Oktober

12 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


Der ERNK-Europasprecher Kani Yilmaz wird in London auf 8. Dezember
dem Weg zu einem Gespräch mit britischen Abgeordne- Das Staatssicherheitsgericht in Ankara verurteilt die DEP-
ten und Mitgliedern des Oberhauses über eine mögliche Abgeordneten Leyla Zana, Orhan Dogan, Ahmet Türk und
politische Lösung des Kurdistankonflikts von der Polizei Selim Sadak wegen „Bildung und Zugehörigkeit zu einer
verhaftet. bewaffneten Gruppe“ zu 15 Jahre Haft, den Abgeordneten
Serhat Yurttas zu siebeneinhalb Jahren und die Abgeord-
10. November neten Sirri Sakik und Mahmut Alinak zu je dreieinhalb Jah-
Der PKK-Vorsitzende Öcalan schreibt an Staats- und Regie- ren.
rungschefs von EU, OSZE, an UNO und NATO und fordert
diese auf, sich für eine politische Lösung der Kurdistan- 12. Dezember
Frage einzusetzen. Bundesweiter genereller Abschiebestopp von Kurd(inn)en
als Reaktion auf die Verurteilung der DEP-Abgeordneten.
3. Dezember
Ministerpräsidentin Tansu Ciller soll Bombenanschläge auf
die Büros der prokurdischen Tageszeitung „Özgür Ülke“
angeordnet haben; ein Redaktionsmitglied stirbt, fünf wei-
tere Mitarbeiter werden schwer verletzt.

1995
Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine 10. März
Anfrage der PDS-Bundestagsfraktion kam es zwischen Bundesinnenminister Kanther und sein türkischer „Kol-
Februar und April 1995 zu insgesamt 139 Brandanschlä- lege“ Mentese tauschen einen Briefwechsel aus. Darin ver-
gen. Auf die Frage, welche Anschläge der PKK zuzurech- sichert der türkische Innenminister, aus der BRD abge-
nen seien, heißt es ihn der Antwort: „Bei einer Vielzahl von schobene Kurdinnen und Kurden würden in der Türkei
Taten – insbesondere bei Brandanschlägen auf türkische rechtsstaatlich einwandfrei behandelt. Der Bundesregie-
Reisebüros – ist anzunehmen, dass die PKK für die rung dient dieser Briefwechsel seitdem als Vorwand für die
Anschläge verantwortlich ist. Ansonsten finden sich nur bedenkenlose Abschiebung von Kurdinnen und Kurden,
vage Verdächtigungen, die auch andere Rückschlüsse auf trotz aller Foltervorwürfe gegen türkische Polizei von
eine Täterschaft zulassen. Später äußert sich BKA-Sprecher amnesty international, türkischen und kurdischen
Haiber zurückhaltender und erklärt, die Verwicklung der Menschenrechtsvereinen.
PKK in Anschläge seien lediglich Spekulationen.
15. März
16. Februar Abschiebestopp wird nach türkischer Zusicherung der
In Baden-Württemberg finden erneut bei 21 Vorstandsmit- Auskunftserteilung vor Abschiebung über eine zu erwar-
gliedern kurdischer Vereine Razzien der Polizei statt. Vor- tende Strafverfolgung zurückgenommen.
wurf: „Verdacht auf verbotene Propagandatätigkeit“
zugunsten der PKK. 15. März
ERNK eröffnet in Wien eine offizielle Vertretung.
2. März
Bundesinnenminister Kanther verbietet das „Kurdistan- 29. März
Informationsbüro“ in Köln. Vorwurf: das Büro sei Nach- Rüstungshilfe für Türkei ausgesetzt wegen Benutzung
folgeorganisation des 1993 verbotenen „Kurdistan-Komi- deutschen Kriegsgeräts bei türkischer Großoffensive in
tees“ in Köln. In fünf Bundesländern werden in Südkurdistan (Nordirak).
Zusammenhang mit dem Verbot die Wohnungen von 9
Vereinsmitgliedern durchsucht. Am gleichen Tag verbietet 12. April
in Bayern CSU-Innenminister Beckstein erneut 5 kurdische In Den Haag gründet sich das „Kurdische Exilparlament“.
Vereine bzw. deutsch-kurdische Vereine. Das Bundesver- Zum Präsidenten des Parlaments wird Yasar Kaya (ehemals
waltungsgericht hatte den Vollzug der von Bundesinnen- DEP-Vorsitzender) gewählt. Dem Parlament gehören 65
minister Kanther gegen diese Vereine 1993 verhängten Mitglieder an, darunter ein armenischer und ein assyri-
Verbote erst vor wenigen Monaten ausgesetzt, nun verbie- scher Abgeordneter.
tet sie der Landesinnenminister – mit leicht abgewandel-
ter Begründung – erneut.

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 13


25. April 19. Mai
Die ERNK eröffnet in Kopenhagen eine offizielle Vertretung. Die Innenministerkonferenz begrüßt den Briefwechsel
zwischen Kanther und Mentese, der die Abschiebung von
4. Mai Personen mit PKK-Bezug erleichtert. Ferner soll ermöglicht
Der PKK-Vorsitzende Öcalan wendet sich erneut in einem werden, dass bereits vor der Abschiebung eine Kontakt-
Aufruf an die deutsche Öffentlichkeit, fordert die Aufhe- aufnahme zu türkischen Anwälten angeboten und/oder
bung des PKK-Verbots und Verhandlungen über eine poli- die Rückkehr dortigen Organisationen angekündigt wer-
tische Lösung der kurdischen Frage und erklärt: „Wir wol- den kann.
len nicht, dass es (in der BRD, d. Red.) zu Zwischenfällen
kommt“. 25. Mai
Die ERNK eröffnet in Oslo ein offizielles Büro.
8. Mai
Ein Sondereinsatzkommando der Polizei stürmt die Woh- Juni
nung von Esref G. in Berlin-Kreuzberg, riss Schubladen aus Dem Vater einer seit Dezember 1994 in Deutschland
den Schränken und verwüstete die Zimmer. Seine Frau wegen des §129a-Vorwurfs inhaftierten Kurdin gelingt die
wird von einem Beamten in den Nacken geschlagen, so Flucht nach Deutschland. Er wurde wegen seiner Tochter
dass sie anschließend im Krankenhaus behandelt werden von türkischen Sicherheitskräften bedroht und misshan-
muss. Esref G. , seine Söhne Özgür und Orhan werden fest- delt.
genommen.
Zeitgleich werden Familienangehörige von Esref G. in Kur- 1. Juni
distan im Dorf Kasel, Kreis Varto, von türkischen Sicher- Die ERNK eröffnet ein offizielles Büro in Helsinki.
heitskräften verhaftet. Der kurdische Agri-Verlag in Köln wird verboten und
Die Wohnung von Atila G. in Rüsselsheim wird durch- geschlossen; 15 Tonnen kurdische Literatur werden
sucht und er festgenommen wegen angeblicher Tätigkeit beschlagnahmt.
für die PKK. Er hatte am 22. April zusammen mit anderen
eine Kulturveranstaltung in Kassel organisiert, an der etwa 8. Juni
5000 Kurd(inn)en teilnahmen. Im Rahmen eines Asylverfahrens führt das Verwaltungsge-
richt Oldenburg in einem Urteil u. a. aus: „Nach überein-
14. Mai stimmender Erkenntnislage ist davon auszugehen, dass
Beamte von Sondereinsatzkommandos (SEK) und GSG-9 die türkischen Sicherheitskräfte und der türkische
stürmen eine Veranstaltung kurdischer Studierender in Geheimdienst in der Bundesrepublik Deutschland über ein
Mainz und verhaften 111 Personen, von denen 70 bereits Netz von Mitarbeitern sowohl innerhalb als auch außer-
am gleichen Abend, weitere 40 am nächsten Tag wieder halb ihrer diplomatischen Vertretungen verfügen, die
freigelassen werden. Eine Person bleibt in Haft, weil sie oppositionelle Aktivitäten beobachten und überwachen.
angeblich der „Europäischen Führungszentrale“ der PKK Die türkischen Behörden verfolgen Aktivitäten kurdischer
angehöre und für Anschläge verantwortlich sein soll. Organisationen im In- und Ausland aufmerksam und leiten
die gesammelten Informationen weiter. […] Az.: 11 A
999/92

12. Juni
Die letzten Abschiebestopps deutscher Bundesländer für
Der Staat zielt auf die Köpfe,
Kurden laufen aus, am 13.6. wird noch ein 6-monatiger
wir zielen auf Solidarität.
Abschiebestopp in Hessen wegen Menschenrechtsverlet-
zungen verhängt
Die Rote Hilfe ist eine strömungsüber-
greifende linke Solidaritätsorganisation.
Unsere Unterstützung gilt all denjenigen, Mitte Juni
die aufgrund ihres politischen Engage- Unter der Überschrift „Gemeinsam gegen die PKK – Bonn
ments von staatlicher Repression be-
troffen sind. Jeder Mitgliedsbeitrag, jede und Ankara vereinbaren engeres Zusammenarbeiten“
Spende ist Ausdruck von Solidarität, hilft berichten Medien von einem Treffen des Innen-Staatsse-
und ermutigt trotz Repression weiter zu
kämpfen. Solidarität muss auf vielen kretärs Schelter mit Vertretern der türkischen Regierung
Schultern ruhen. Darum: und der Sicherheitsbehörden. Deutschland erklärt sich
Mitglied werden in der Roten Hilfe!
bereit, die Türkei bei der Modernisierung ihrer Polizei mit
Solidarität ist eine Waffe!
Aus- und Fortbildungsmaßnahmen sowie beim Austausch
von Straftäterdaten „ohne Verstöße gegen das Daten-
Rote Hilfe e.V. T: 0551 / 770 80 08
Bundesgeschäftsstelle F: 0551 / 770 80 09 schutzgesetz“ zu unterstützen. Die Türkei sagt den Einsatz
Postfach 3255 bundesvorstand@rote-hilfe.de unabhängiger Anwälte und Mediziner nach Ankunft von
37022 Göttingen www.rote-hilfe.de
Abgeschobenen zu sowie das „Nachschaurecht“ deutscher
Spendenkonto:
Kto-Nr.: 19 11 00 462 | BLZ: 440 100 46 | Postbank Dortmund Behördenvertreter.

14 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


17. Juni Ende Oktober
In Bonn demonstrieren ca. 100 000 Kurdinnen und Kurden Heinrich Lummer trifft in Damaskus Abdullah Öcalan und
„Für eine politische Lösung in Kurdistan“. bietet sich als Vermittler an. Im März 1996 leitet er ein
Schreiben der PKK an die türkische Regierung weiter.
4. Juli
In vielen Städten beginnen Hungerstreiks gegen das PKK- 10. November
Verbot, gegen die deutschen Waffenlieferungen in die Tür- Eine für den 18. November in Köln geplante Demonstra-
kei und für eine politische Lösung der kurdischen Frage. tion für eine politische Lösung in Kurdistan und gegen die
Verbote kurdischer Vereine wird verboten. Begründung:
13. –16. Juli Die Anmelderin, die PDS-Abgeordnete Ulla Jelpke, sowie
Deutsche und türkische Sicherheitsbehörden vereinbaren die Veranstalter (u. a. BUKO, diverse AStEN, Antifa-Grup-
nach einem Besuch des Staatssekretärs im Bundesinnen- pen, PDS NRW, Dritte Welt- und Kurdistan-Solidaritäts-
ministerium, Dr. Kurt Schelter, in Ankara eine engere gruppen) seien „Strohleute“ für die PKK.
Zusammenarbeit. U.a. will die BRD bei der „Modernisie-
rung“ der türkischen Polizei durch „Aus- und Fortbildung“ 15. November
helfen. Der Kurdisch-Deutsche Freundschaftsverein Hevalti in Bre-
men wird von Innensenator Bortscheller (CDU) verboten.
26. Juli Begründung: Der Verein sei eine „ Volkstanzgruppe zur För-
Kani Yilmaz, seit 1994 in Großbritannien inhaftierter PKK- derung der PKK“.
Europasprecher, wird an Deutschland ausgeliefert.
21. November
27. Juli Der bayerische Innenminister Günther Beckstein verbietet
In Frankfurt wird der Hungerstreik an diesem Tag durch den „Kurdischen Elternverein“ in München. Bei der polizei-
einen brutalen Polizeiangriff gewaltsam beendet, die IG lichen Schließung des Vereins kommt es zu heftigen Pro-
Medien in Frankfurt wirft der Polizei darauf „Methoden tür- testen der anwesenden Kurdinnen und Kurden, die sich
kischen Militärs“ vor. Gegen die Teilnehmer/innen des zeitweise in den Vereinsräumen verbarrikadieren. 16
Hungerstreiks in Frankfurt werden in der Folge 300 Ermitt- „Besetzer“ werden daraufhin verhaftet.
lungsverfahren eingeleitet, einer der Teilnehmer wird ein
Jahr später zu 3 Jahren Haft verurteilt, weil er eine „gefähr- 24. November
liche und schwere Körperverletzung“ versucht habe – er Die ERNK eröffnet ein offizielles Büro in Stockholm.
hielt zum Zeitpunkt des Polizeiüberfalls ein Feuerzeug und
den Gaskocher (für Tee!) der Hungerstreikenden in Hän- Anfang Dezember
den. Auch in anderen Städten kommt es zu Polizeiangrif- Rechtsanwalt Feridun Yazar, Verteidiger der DEP-Abgeord-
fen auf die Hungerstreikenden. In Berlin stirbt die Kurdin neten, erklärt anlässlich eines Deutschland-Besuchs:
Gülnaz Baghistani nach einem Polizeieinsatz gegen den „Eigentlich hatte ich das so verstanden, dass die Zollunion
Hungerstreik. An einem Trauermarsch zu ihren Ehren darauf hinwirken soll, dass die Türkei sich europäischen
beteiligen sich am 1. August ca. 10 000 Kurdinnen und Standards annähert. Das Gegenteil ist aber vielmehr der
Kurden in Berlin. Fall: Deutschland nähert sich immer mehr der Türkei an.“

August 13. Dezember


Der niedersächsische Verfassungsschutz verbreitet Mel- Das Europaparlament setzt die Zollunion mit der Türkei in
dungen, wonach alle deutschen Sicherheitsbehörden Kraft. Die grüne Abgeordnete Claudia Roth kritisiert die
gewarnt worden seien, es gebe Hinweise darauf, dass PKK- Entscheidung als „Schwarzen Tag für die Demokratie“.
Mitglieder nun erstmals Schusswaffen gegen deutsche Gleichzeitig mit dem Beschluss über die Zollunion appel-
Polizisten einsetzen wollten. Die PDS-Niedersachsen for- liert das EU-Parlament an die Konfliktparteien in der Türkei
dert daraufhin die Entlassung des VS-Chefs von Nieder- und Kurdistan, eine politische Lösung der Kurdenfrage
sachsen. anzustreben.
Wenig später distanzieren sich verschiedene Polizei- und
Verfassungsschutzsprecher von diesen Behauptungen; es 14. Dezember
gebe solche Anhaltspunkte nicht. Der PKK-Vorsitzende Öcalan verkündet einen neuen ein-
seitigen Waffenstillstand.
September
In Neumünster werden kurdische Aktivisten von einer 24. Dezember
Gruppe „Grauer Wölfe“ angegriffen. Der Kurde Seyfettin Bei den Wahlen zum türkischen Parlament scheitert die
Kalan wird dabei getötet, vier weitere werden Kurden ver- HADEP trotz Stimmenanteilen von bis zu 51% in den kur-
letzt. dischen Gebieten an der landesweiten 10%-Hürde.

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 15


1996
13. Januar sterben“ könnten. Das Kurdistan-Informationszentrum in
Eine Veranstaltung des AStA der Uni Hannover und des Köln nennt diese Propaganda eine „Täuschung der Öffent-
Frauenreferats beim AStA unter Mitwirkung des „Freien lichkeit“.
Frauenverbands Kurdistan“ (YAJK) über „Auswirkungen In Stuttgart kommt es im Zusammenhang mit einer
des Krieges und der Flucht auf das Leben von Frauen. Ver- angeblich geplanten und verbotenen Demonstration des
gewaltigung und Folter als psychologische Kriegsführung. kurdischen Jugendverbands zu einer breitflächigen „Kur-
Frauenorganisierung in Kurdistan, den türkischen Metro- denjagd“ in der Stadt. Alle „kurdisch aussehende“ Perso-
polen und Europa“, auf der u. a. die SPD-Landtagsabgeord- nen werden von Greifkommandos der Polizei (3000
nete Hulle Hartwig, die Grüne Landtagsabgeordnete Heidi Beamte sind im Einsatz) überprüft, 98 Personen festge-
Lippmann-Kasten und die PDS-Bundestagsabgeordnete nommen.
Ulla Jelpke sprechen sollten, wird wegen unerträglicher
Polizeipräsenz in den Veranstaltungsräumen kurz nach 14. Februar
Eröffnung abgebrochen. Anlässlich der Vorlage eines gemeinsamen Berichts von
BfV und BND, erklären auf Pressekonferenzen GBA Kay
19. Januar Nehm in Karlsruhe und der „Geheimdienstkoordinator“ im
Das EU-Parlament verabschiedet eine Entschließung „Zur Bundeskanzleramt, Bernd Schmidbauer, in Bonn, dass die
Lage in der Türkei und zum Waffenstillstandsangebot der PKK „die größte Gefahr“ für die innere Sicherheit Deutsch-
PKK“. Darin protestiert das Parlament gegen Menschen- lands darstelle. Auf Antrag des GBA sei das „20. mutmaßli-
rechtsverletzungen und terroristische Taten in der Türkei, che PKK-Mitglied in U-Haft genommen“ worden. Darüber
begrüßt den einseitigen Waffenstillstand der PKK und for- hinaus würde gegen „54 Beschuldigte Ermittlungsverfah-
dert die türkische Regierung auf, auf dieses Angebot ein- ren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft und Unter-
zugehen, „Mittel und Wege zur Einleitung eines nationalen stützung einer terroristischen Vereinigung“ geführt.
Dialogs zu prüfen“ und die inhaftierten DEP-Abgeordne-
ten sofort freizulassen. 9. März
Bei einer Demonstration von etwa 1500 kurdischen und
20. Januar deutschen Frauen in Bonn aus Anlass des Internationalen
Eine kurdische Demonstration in Dortmund wird aus Frauentages kommt es zu schweren Auseinandersetzun-
Anlass des 50. Jahrestages der Gründung der ersten kurdi- gen mit der Polizei.
schen Republik Mahabad (Stadt in Ostkurdistan/Iran. Am
22.1.1946 wurde die Republik Kurdistan ausgerufen. Sie 12. März
dauerte nur 1 Jahr. Der Präsident Qazi Mohammed wurde Eine für den 16. März angemeldete kurdische Großde-
am 31.3.1947 mit weiteren Gefolgsleuten auf dem Markt- monstration in Dortmund wird verboten, u. a., weil sich die
platz von Mahabad erhängt) von der Polizei verboten. Es Demonstration unter der Losung „Politische und demokra-
seien 60.000 Teilnehmer angekündigt, die Veranstaltung tische Lösung in Kurdistan“ auf den einseitigen Waffenstill-
könne also von der PKK „umfunktioniert“ werden, heißt es stand der PKK positiv beziehe. Darin sei eine Steuerung
in der Begründung. durch die PKK erkennbar. In der Folge kommt es zu einer
polizeilichen Abriegelung des Landes NRW: an allen grö-
Februar ßeren Straßen, Bahnhöfen, Grenzübergängen, Autobah-
Der „Appell von Hannover“ wird veröffentlicht, in dem nen usw. werden einreisende Kurdinnen und Kurden fest-
unter Mitwirkung des Kurdistan-Informationszentrums in genommen, zurückgeschickt und an der Einreise
Köln zahlreiche deutsche Personen des öffentlichen gehindert. Dabei kommt es teilweise zu heftigen Aus-
Lebens für einen Dialog und eine politische Lösung der schreitungen von kurdischer Seite gegen die Polizei. In der
Kurdistan-Frage aufrufen sowie die Aufhebung der in der Folge überschlägt sich die Presse gegen kurdische
BRD verhängten Verbote gegen kurdische Vereine verlan- „Gewalttäter“ in der BRD, es kommt zu einer beispiellosen
gen. In den folgenden Monaten steigt die Zahl der Unter- Hetze. Außenminister Kinkel spricht von kurdischen „Mord-
zeichner/innen auf über 500 Personen an. kommandos“, durch die er sich persönlich bedroht fühle.
Der kurdische Dachverband YEK-KOM appelliert an die
11./12. Februar deutschen Behörden, zu einem „Dialog“ zurückzukehren.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskri- Grüne, Flüchtlingsorganisationen, PDS, Gewerkschaften u.
minalamt (BKA) verbreiten an die Presse Warnungen vor a. kritisieren die Eskalationspolitik in Dortmund und das
angeblich drohenden neuen „Gewalttaten“ der PKK gegen PKK-Verbot. CDU/CSU und FDP dagegen kündigen eine
deutsche und türkische Einrichtungen in der BRD. In den Verschärfung der Strafgesetze und der Abschiebungsrege-
Medien wird bundesweit ein Horrorszenarium entwickelt, lungen gegen kurdische Straftäter und Verdächtige an.
wonach der PKK-Vorsitzende Öcalan angeblich mit neuen
Anschlägen in Europa – insbesondere in Deutschland –
gedroht habe, bei denen „Hunderte von Menschen

16 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


23./24. März 30. April
Der 20. Strafverteidigertag in Essen verurteilt das „PKK-Ver- Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, Kurd(inn)en aus
bot“. Die Bundesrepublik habe damit die „politische Ausei- der Türkei hätten keinen generellen Anspruch auf Asyl.
nandersetzung mit dem kurdischen Unabhängigkeits-
kampf zugunsten einer polizeilichen Unterdrückung Mai
aufgegeben.“ Das Verbot verstoße gegen Völkerrecht und In mehreren deutschen Rundfunk- und Presseinterviews
nehme der kurdischen Bevölkerung in der BRD ihre bestreitet Öcalan Morddrohungen gegen deutsche Politi-
„Grund- und Freiheitsrechte“. ker, räumt Fehler der PKK in der Vergangenheit ein und
versichert künftige Gewaltfreiheit der PKK in Deutschland.
2. April
Die Kölner Boulevardzeitung „Express“ berichtet, die PKK 8. Mai
bereite Attentate auf Bundeskanzler Helmut Kohl und Vor dem Landgericht Hannover beginnt der Prozess gegen
Außenminister Klaus Kinkel vor. Von da an ist diese Mel- den SEK-Beamten Klaus T. wegen der Tötung des kurdi-
dung tagelang in allen Medien. Aus Ermittlungsakten wird schen Jugendlichen Halim Dener vor knapp 2 Jahren in
später bekannt, dass ein V-Mann der Polizei behauptet Hannover. Das Verfahren platzt nach wenigen Verhand-
hatte, die PKK habe für palästinensische Attentäter eine lungstagen wegen schwerer Formfehler der Strafkammer.
halbe Million Mark zur Verfügung gestellt.
Im November meldet der „Spiegel“, dass derartige Mord- 13. Mai
drohungen „heiße Luft“ gewesen seien: „[…] Auch Durch- Der verantwortliche Redakteur der Zeitschrift „Biji - Infor-
suchungen förderten keinerlei Asservate … zutage. Und mationen aus Kurdistan und der BRD“ wird wegen 10 Ver-
die von dem Spitzel geschilderten ‚Verhaltensweisen stößen gegen das „PKK-Verbot“ durch Abdruck von PKK-,
höherer PKK-Führungskader decken sich weitestgehend ERNK- oder ARGK-Dokumenten verurteilt.
nicht mit den Erkenntnissen des Fachreferates ST 34
(BKA).“ 24. Mai
Zeitungen melden: Deutsche und französische Firmen
3. April wollen der Türkei 30 Kampfhelikopter vom Typ „Puma“ ver-
Bundesinnenminister Kanther teilt mit, dass er die Verbote kaufen. Die Verhandlungen stünden kurz vor dem
von 20 örtlichen kurdischen Vereinen nach dem Urteil des Abschluss.
Bundesverwaltungsgerichts „aus formalen Gründen“ auf-
gehoben habe. Er halte die Vereine weiterhin für „verbots- 27. Mai
bedürftig“. Betroffen seien kurdische Vereine in NRW, Ber- Prof. Gottstein (IPPNW), Prof. U. Albrecht (Berlin), Prof. Dr.
lin, Bremen, Hessen, Baden-Württemberg, Hamburg, Norman Paech (Hamburg) und Hans Branscheidt (medico
Schleswig-Holstein, Saarland. Tatsächlich hat zu diesem international) bringen von einem Besuch beim PKK-Vorsit-
Zeitpunkt lediglich Bayern sofort nach der Aussetzung von zenden einen Brief mit, in dem dieser auf den anhaltenden
Kanthers Verboten eigene Vereinsverbote verhängt. Waffenstillstand hinweist, sein Interesse an einer politi-
schen Lösung des Kurdistan-Konflikts unterstreicht und
4. April PKK-Anhänger in der BRD auffordert, „die Rechtsordnung
Der britische Sender BBC strahlt ein Interview mit dem ihrer demokratischen Gastländer zu befolgen“.
PKK-Vorsitzenden Öcalan aus, in dem er nach den in
Deutschland in der Presse kursierenden angeblichen Dro- 15. Juni
hungen der PKK gegen deutsche Politiker befragt wird. In Hamburg demonstrieren unter der Losung „Frieden
Öcalan nennt diese Drohungen frei erfunden. Gewaltak- jetzt“ mehrere zehntausend Kurdinnen und Kurden. Der
tionen in Deutschland seien „sinnlos und naiv“ und wür- Innensenator und der Regierende Bürgermeister senden
den von ihm abgelehnt. Grußbotschaften und bedanken sich für den friedlichen
Ablauf.
10. April
In Stuttgart beginnt ein §129a-Prozess wegen angeblicher 18. September
Mitgliedschaft und/oder Unterstützung einer „terroristi- Polizisten in Baden-Württemberg durchsuchen in Stutt-
schen Vereinigung in der PKK“ – diesmal gegen drei kurdi- gart, Tübingen und Reutlingen Privatwohnungen und
sche und einen türkischen Angeklagten. Büros. Betroffen sind Mitglieder des „Stuttgarter Komitees
zur Unterstützung der politischen Gefangenen“ und des
26. April „Kurdischen Kultur- und Sportvereins Tübingen“. Anlass ist
Baden-Württembergs SPD-Innenminister Birzele verbietet u. a. ein Flugblatt, in dem das Vorgehen der Polizei gegen
den Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein in Stuttgart. Kurdinnen und Kurden als „immer brutaler“ eingestuft
Dieser fördere und ermögliche in den von ihm gemieteten wird. Das weckt nach Auffassung der Strafverfolgungsbe-
Vereinsräumen und auf seinen Veranstaltungen systema- hörden den Verdacht einer Straftat nach §90a („Verun-
tisch die Fortsetzung der Tätigkeit der verbotenen PKK. glimpfung der BRD“) und der Zuwiderhandlung gegen das
PKK-Verbot.

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 17


19. September §129a-Verfahren gegen sie einstellt. Begründung: Die
Das EU-Parlament verurteilt erneut die Menschenrechts- Beweismittel stammten aus illegalen Lauschangriffen der
verletzungen in der Türkei, den Plan der Türkei, eine Polizei gegen kurdische Vereinsräume.
„Sicherheitszone“ in Südkurdistan (Nordirak) zu errichten,
und fordert die Freilassung der inhaftierten kurdischen Anfang November
Abgeordneten der DEP. Die Türkei komme ihren Verpflich- Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz veröffentlicht eine
tungen in Menschenrechtsfragen, die sie auch mit dem Übersicht über § 129a-Verfahren gegen Kurdinnen und
Vertrag über die Zollunion bekräftigt habe, nicht nach. Alle Kurden in der BRD. Danach sind zu der Zeit 3 kurdische
Mittel für die Türkei aus dem MEDA-Programm werden Personen aus früheren Prozessen rechtskräftig wegen Ver-
gesperrt. stoßes gegen § 129a in Haft. Gegen 24 weitere, die schon
inhaftiert sind, werde ermittelt, davon ist gegen 15 Inhaf-
21. September tierte der Prozess eröffnet. Die BAW habe gegen 50 wei-
Im Müngersdorfer Fußball-Stadion in Köln findet wieder tere Gesuchte fertige Haftbefehle.
ein „Friedensfestival Kurdistan“ statt. Bundesinnenminister
Kanther hatte in Briefen an den NRW-Innenminister bis Mitte November
zuletzt vergeblich versucht, diesen zu einem Verbot zu Der Bundestag beschließt eine drastische Verschärfung
bewegen, weil das Festival „von der PKK gesteuert“ sei. der Abschiebungsbestimmungen. So sollen künftig Perso-
Zwischen 60 000 und 70 000 Kurdinnen und Kurden neh- nen beim bloßen Verdacht einer Straftat abgeschoben
men an diesem Festival teil. werden können – eine gerichtliche Überprüfung der poli-
zeilichen Beschuldigung ist danach nicht mehr erforder-
Oktober lich.
Es wird bekannt, dass die BRD zwei Fregatten an die Türkei
liefern wird. Die Bundesregierung finanziert dies mit 13. Dezember
einem Zuschuss in Höhe von 150 Millionen DM. Die Bundesregierung beantwortet zwei Anfragen der PDS-
Abgeordneten Ulla Jelpke (PDS). Sowohl die Fragen nach
22. Oktober rechtskräftigen Urteilen gegen angebliche „PKK-Anhän-
Zwei kurdische Angeklagte in Stuttgart werden entlassen, ger“ wegen Rauschgifthandel (Drucksache 13/6580) wie
gleichzeitig im gesamten Bundesgebiet über 100 Durch- auch wegen angeblicher „Spendengelderpressungen“
suchungen durchgeführt. Vorwürfe sind u.a. Spendengel- (Drucksache 13/6579) kann die Bundesregierung nicht beant-
derpressung, Fortsetzung einer verbotenen Vereinigung worten, da sie darüber angeblich keine Statistik führe. Was
usw. Beweise: ein „Zeuge vom Hörensagen“ (Spitzel). Die den Vorwurf des Drogenhandels betrifft, kann die Bundes-
Freilassung der beiden inhaftierten Kurden am gleichen regierung nur bestätigen, dass türkische Stellen die PKK
Tag war vom Gericht angeordnet worden, das zugleich das beschuldigen.

1997
18. Januar Einreisen des Mafiosi und Killers, Abdullah Catli, in die BRD
Die Polizei stürmt kurdische Vereinsräume in Kassel. 40 trotz internationalen Haftbefehls gefragt wird, beantwor-
Personen werden durchsucht, darunter Frauen, alte Leute tet die Bundesregierung ausweichend. (Drucksache 13/7183).
und Kinder. Ihr persönliches Geld wird unter dem Vor- Seit Anfang des Jahres häufen sich Meldungen, dass in
wand, es handele sich um „Spendengeld für die PKK“, die Türkei abgeschobene Kurdinnen und Kurden dort
beschlagnahmt. Kinderbücher und Musikkassetten wer- spurlos verschwinden. Am 25. März antwortet die Bundes-
den konfisziert und alle Anwesenden festgenommen. regierung auf eine Anfrage der PDS-Abgeordneten Ulla
Jelpke wegen Folterungen und „Verschwinden“ von in die
21. Januar Türkei abgeschobenen Kurdinnen und Kurden. Einzelne
Ein Frankfurter Richter stellt in einem Verfahren gegen Vorwürfe seien ihr bekannt, aber zu weiteren Nachfor-
Drogenhändler in seiner mündlichen Urteilsbegründung schungen oder zu einer Änderung ihrer Politik sehe sie kei-
fest, dass die frühere türkische Ministerpräsidentin Tansu nen Anlass. Die türkischen Beteuerungen einer „rechts-
Ciller tief in den Heroinhandel verstrickt sei. Die beiden staatlich einwandfreien“ Behandlung abgeschobener
angeklagten Drogenhändler verfügten über „exzellente Personen würden von Bonn nicht bezweifelt. (Drucksache
Verbindungen zur türkischen Regierung“. Die türkische 13/7156 und 7157)
Regierung reagiert empört. Eine Anfrage der PDS-Abge-
ordneten Ulla Jelpke nach „möglichen kriminellen Verstri- 9. April
ckungen von türkischen Amtsträgerinnen und Amtsträ- Der Bundesgerichtshof bestätigt ein Urteil gegen der pres-
gern und deren Verbindungen in die Bundesrepublik serechtlich Verantwortlichen der Zeitschrift „Biji-Informa-
Deutschland“, in der auch nach den Kenntnissen der Bun- tionen aus Kurdistan“ und hebt den Freispruch des Redak-
desregierung über den „Susurluk“-Skandal und mögliche teurs des „Kurdistan-Rundbriefs“ aus der 1. Instanz auf.

18 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


Tenor beider Urteile: Die Veröffentlichung von Dokumen- deutschen und türkischen Justizbehörden, Polizei und
ten von PKK und ERNK sei nach dem von Kanther verhäng- Geheimdiensten. Grundlage sind mehrere Abkommen, so
ten PKK-Verbot strafbar, die Pressefreiheit eingeschränkt. das „Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in
Strafsachen“ aus 1959 plus Zusatzprotokolle, das „Europäi-
13. April sche Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus“
Auf dem 21. Strafverteidigertag in Kassel verabschieden von 1997. Danach werden den türkischen Stellen regelmä-
500 Anwältinnen und Anwälte bei wenigen Gegenstim- ßig alle Strafnachrichten übersandt sowie auf Ersuchen
men eine Resolution, mit der die Aufhebung des PKK-Betä- auch Daten zu nicht rechtskräftig abgeschlossenen Ermitt-
tigungsverbots gefordert wird. Das Verbot habe zu „Hun- lungsverfahren.
derten von Verfahren bei den Staatsschutzkammern der
Landgerichte“ geführt sowie zu noch mehr Verfahren 19. August
wegen angeblicher „Nötigung“ (Straßenblockaden) usw. Es Abdullah Öcalan sagt in einem ZDF-Interview bedin-
habe sich „als Mittel der Eskalation mit der zwangsläufigen gungslosen Gewaltverzicht der PKK in Deutschland zu.
Folge immer weiterer polizeilicher Maßnahmen und Straf-
verfolgung“ erwiesen und müsse aufgehoben werden. 20. August
Nötig sei „Deeskalation und eine offene politische Ausei- 400 Polizeibeamte durchsuchen bundesweit 18 Wohnun-
nandersetzung auch unter Anerkennung der Menschen- gen von Kurdinnen und Kurden und sechs Vereine. Sechs
rechte und des Selbstbestimmungsrechtes des kurdischen Personen werden festgenommen. Nach sieben weiteren
Volkes“. wird gefahndet. Vorwurf: Spendengelderpressung. Beweis:
2 verletzte Personen sowie 10 weitere Zeugen, die angeb-
17. – 20. April lich „wie Spitzenpolitiker rund um die Uhr“ geschützt wer-
Eine Delegation aus Vertretern von Pro Asyl, dem früheren den müssten.
NRW-Innenminister Schnoor (SPD), des Landeskirchenrats
Rheinland u. a. reist durch die Türkei. In ihrem veröffent- August
lichten Abschlussbericht stellen sie als Ergebnisse ihres Der „Friedenszug Musa Anter“, der am 26. August in Brüs-
Besuches u.a. fest: „Systematische Folter, vom Staat sel nach Diyarbakir aufbrechen sollte, um für ein Ende des
gedeckt“, „zunehmende Rechtsunsicherheit und Unbere- Krieges und eine politische Lösung der Kurdenfrage zu
chenbarkeit durch die Aushöhlung und Zerstörung demo- werben, kann nach türkischer diplomatischer Intervention
kratischer Institutionen“, „Behinderung und Zerstörung der nicht fahren. Bundesinnenminister Kanther weist kurz vor
kurdischen Kultur und der kurdischen Sprache“ und eine Abfahrt des Zuges den Bundesgrenzschutz an, nicht-deut-
akute „Rückkehrgefährdung abgeschobener Asylbewer- sche Mitreisende des Zuges an der Einfahrt zu hindern, da
ber/innen aus Deutschland.“ der Verdacht bestehe, sie würden auf dem Boden der BRD
gegen Strafgesetze verstoßen wollen. Darauf kündigt die
26. April Bundesbahn den Vertrag über den Zug. Die Teilnehmer
In Düsseldorf beteiligen sich etwa 65.000 Kurdinnen und müssen mit Flugzeugen nach Istanbul fliegen, ihr Versuch,
Kurden an einer Demonstration „Zeit für Frieden in Kurdis- von dort mit dem Bus nach Diyarbakir zu gelangen, schei-
tan“. tert kurz vor der Stadt an einer türkischen Militärsperre,
die definitiv erklärt, bei Weiterfahrt werde geschossen.
29. Mai
Der zweite Anlauf beginnt im Prozess gegen den SEK- 3. September
Beamten Klaus T. wegen Erschießung des kurdischen In PKK-Prozessen in der BRD zeichnen sich Möglichkeiten
Jugendlichen Halim Dener im Sommer 1995 in Hannover für einen Kompromiss ab: Die Bundesanwaltschaft lässt
beim Plakate kleben. Das Verfahren endet am 27.6. mit den Vorwurf der Rädelsführerschaft in einer terroristischen
dem Freispruch des SEKlers. Vereinigung (§129a StGB) fallen. Im Gegenzug gestehen
Angeklagte eine Verantwortung innerhalb der PKK (nach
6. Juli Einschätzung der Zeitung „taz“ handelt es sich um einen
In München werden die Räume des „Vereins für interkultu- indirekten Deal zwischen Öcalan und BAW, um nach vielen
relle Zusammenarbeit - Mesopotamia“ von SEK und Bereit- Deeskalationsschritten den Boden für die Aufhebung des
schaftspolizei durchsucht. Vorwand ist ein geplanter Hun- PKK-Verbots zu bereiten).
gerstreik, in dem alewitische Vereine an das Massaker von
Sivas erinnern wollen, bei dem 35 alewitische Intellektu- 7. September
elle und Künstler 1993 von islamischen Fundamentalisten Erneut beteiligen sich 70 000 Kurdinnen und Kurden im
in der Türkei ermordet wurden. Die Münchner Polizei ver- Müngersdorfer Stadion in Köln an einem kurdischen Kul-
mutet einen „Verstoß gegen das PKK-Verbot“. turfestival.

8. August 24. September


Das Bundesjustizministerium bestätigt in einer Rechtsaus- Es wird bekannt, dass die Bundesregierung an die Türkei
kunft in einem Asylverfahren vor dem Verwaltungsgericht „Beobachtungs- und Aufklärungsgeräte zur mobilen
Gießen einen beständigen Datenaustausch zwischen Grenzüberwachung einschließlich Satellitentelefonen“ lie-

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 19


fern will. Wert der Lieferung: 61,5 Mio. DM. Empfänger: der 3.–26.November
Distriktgouverneur von Diyarbakir. Die Bundesregierung Mit einer Rundreise unter der Losung „Dialog statt Verbot“,
hilft mit einer Bürgschaft. Die Grünen im Bundestag bean- durch Infoveranstaltungen und Besuche bei Landtagen
tragen, die Genehmigung für die Lieferung zurückzuneh- versucht der kurdische Dachverband YEK-KOM auf eine
men (Drucksache 13/8564). Aufhebung des PKK-Verbots hinzuwirken. In mehreren
Städten wird die Delegation freundlich empfangen, in Nie-
13. Oktober dersachsen und vor allem in Bayern kommt es dagegen zu
In Frankfurt endet der §129a-Prozess gegen drei kurdische erheblichen Behinderungen bis hin zu direkten Verboten
Angeklagte. Sie werden zu Haftstrafen von zweieinviertel, von Informationsständen und Kundgebungen. Am Ende
sechseinhalb und elf Jahren verurteilt wegen „Mitglied- übergeben die Teilnehmer/innen der Innenministerkonfe-
schaft in einer terroristischen Vereinigung“. Damit werden renz in Schwerin ihre Forderungen. Diese lehnt eine Auf-
sie für zahlreiche Taten in Hessen, bei denen es 1993 in hebung des PKK-Verbots ab. Im Zusammenhang mit der
Wiesbaden einen Toten gab, politisch und strafrechtlich Rundreise veröffentlichen grüne Politiker aus Schleswig-
verantwortlich gemacht, obwohl das Verfahren wegen des Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Berlin
Wiesbadener Anschlags gegen kurdische Beschuldigte eine „Norddeutsche Erklärung gegen das PKK-Verbot“.
schon vor Jahren eingestellt worden war und das zustän-
dige Gericht seinerzeit eine Steuerung des Wiesbadener 9. Dezember
Brandanschlags auf ein türkisches Vereinslokal durch die Das Bundesverwaltungsgericht in Berlin bestätigt das von
PKK für nicht erwiesen hielt. Kanther verhängte Verbot des „Kurdistan-Komitees“ in
Köln, weil sich das Komitee in die Strukturen der PKK ein-
19. Oktober gefügt und innerhalb dieser Strukturen „arbeitsteilig“ mit-
An diesem Tag erhält der kurdische Schriftsteller Yasar gewirkt habe und sich von den „Anschlagswellen“ von
Kemal den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Bei 1993 nicht distanziert habe. Die Verteidigung kündigt
der Preisverleihung in Frankfurt greift der Schriftsteller Revision beim Bundesverfassungsgericht an.
Günter Grass die Kurden- und Flüchtlingspolitik der Bun-
desregierung scharf an.

1998
13. Januar kei und Einreise in den Nordirak (Südkurdistan). Sie miss-
Generalbundesanwalt Kay Nehm: PKK wird nicht mehr als billigt deren Aufenthalt in Diyarbakir wegen angeblicher
„terroristische“ (§129a), sondern als „kriminelle“ (§129) Ver- Sicherheitsbedenken (Reise war auf Einladung der Regio-
einigung eingestuft. nalregierung der autonomen kurdischen Gebiete zu dorti-
gen NRW-geförderten Wiederaufbauprojekten geplant).
15. Januar
Das Europaparlament verabschiedet im Zusammenhang 9. Oktober
mit der kurdischen Fluchtwelle eine Resolution, die die ita- Der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan verlässt Syrien nach
lienische Position in dieser Frage stützt und eine interna- Drohungen und Truppenaufmarsch der Türkei gegen
tionale Konferenz zur Lösung des „Kurdenproblems“ vor- Syrien. Am 12. November erreicht er Italien.
schlägt.
20. November
11. Februar Deutschland verzichtet auf Ersuchen zur Auslieferung von
Das Oberlandesgericht Celle verurteilt Kani Yilmaz zu einer Abdullah Öcalan aus Italien trotz bestehendem Haftbefehl.
siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe. Da der Vollzug der Eine Woche später verkündet italienische und deutsche
Strafe zugleich mit dem Urteil nach der halben Haftzeit Regierung, Öcalan vor Gericht stellen zu lassen und eine
beendet werden soll („Halbstrafenregelung“), wird er europäische Initiative für friedliche politische Lösung der
gleich nach der Urteilsverkündung freigelassen. Kurdenfrage einleiten zu wollen.

April
Reise von NRW-Landtagsabgeordneten unter Leitung von
Innenminister Kniola in die Türkei, um sich über Lage der
Kurden und der Menschenrechte für bessere Beurteilung
einer „inländischen Fluchtalternative“ zu informieren, wird
von türkischer Regierung abgesagt.

27. Juni
Die türkische Regierung verweigert deutscher Delegation
unter NRW-Bauminister Michael Vesper Transit durch Tür-

20 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


1999
15. Februar 7. September
Öcalan wird aus Nairobi/Kenia in die Türkei verschleppt. Es Der Verfassungsschutz NRW verweist auf die „ernsthaften
folgen weltweit massive Proteste gegen die Entführung Bemühungen der PKK-Führung, vermutete Aktionen ein-
und die internationale Zusammenarbeit verschiedener zelner PKK-Anhänger zu unterbinden“.
Geheimdienste.
10. Dezember
17. Februar Die Türkei erhält auf EU-Gipfel in Helsinki den Kandidaten-
Demonstrationen, Protestaktionen, Besetzungen von tür- status für einen EU-Beitritt
kischen, deutschen, griechischen und kenianischen Ein-
richtungen (Konsulate, Parteibüros, Fremdenverkehrsbü-
ros) finden auch in Deutschland statt – so u. a.
Demonstration auf dem Gelände des israelischen General-
konsulats in Berlin. Hierbei werden 4 Kurd(inn)en von
israelischen Sicherheitskräften erschossen und 13 weitere
teils lebensgefährlich verletzt. Die Schützen werden sofort
nach Israel ausgeflogen und genießen diplomatische
Immunität, während die Opfer teilweise auch nach mehr
als drei Jahren noch vor Gericht gebracht werden.
Es kommt infolge der Aktionen zu massenhaften vorüber-
gehenden Festnahmen und Verhaftungen.

25. Februar
Laut Generalbundesanwalt Kay Nehm gegenüber der
Frankfurter Rundschau bestehen „keine ausreichenden
Anhaltspunkte für zentral gesteuerte Straftaten durch
PKK“ hinsichtlich der Protestaktionen wegen der Öcalan-
Entführung.

21. Juli
Bundesaußenminister Joseph Fischer reist in der Türkei.
Zur gleichen Zeit wird Cevat Soysal, seit 1995 anerkannter
politischer Flüchtling in Deutschland, aus Moldawien in
die Türkei verschleppt (am 25.2.2002 wird er dort zu 18
Jahren und 9 Monaten Haft verurteilt). Fischer erwähnt
diesen Vorfall gegenüber seinen türkischen Gesprächs-
partnern nicht.

2. August
Abdullah Öcalan ruft die PKK zur Beendigung des bewaff-
neten Kampfes und zum Rückzug der Guerilla vom türki-
schen Territorium auf. PKK und ARGK beschließen das am
5. und 6. August.

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 21


2000
12. Januar Frühjahr
3 Redaktionsbüros der bei Frankfurt/M. ansässigen prokur- Bundesregierung erklärt, dass eine Aufhebung des PKK-
dischen Zeitung „Özgür-Politika“ und die Wohnungen von Verbots aus innenpolitischen Gründen nicht vor nächster
3 Journalisten werden aufgrund eines Durchsuchungsbe- Bundestagswahl stattfinden werde.
fehls vom 29. September 1999 polizeilich durchsucht. Die
Razzien erfolgen wegen der (angeblich gegen das PKK- 2. September
Verbot verstoßenden) Veröffentlichung von Öcalan- und Die hohe Beteiligung beim 8. Internationalen Kurdischen
PKK-Verlautbarungen. Analog hierzu richtet das türkische Kulturfestival in Köln widerlegt die Erwartungen auf
Justizministerium eine Warnung an die Medien, Erklärun- Schwächung der PKK nach Öcalan-Gefangenschaft und
gen von Öcalan zu verbreiten. bestätigt den Friedenskurs der PKK.

23. Januar Oktober 1999 bis Oktober 2000


Auf dem außerordentlichen 7. PKK-Parteikongress wird der Der Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. für Kurdinnen und Kurden
„demokratisch-politische Kampf als grundlegende Ausei- in Deutschland veröffentlicht eine Bilanz. Danach kam es
nandersetzungsform der neuen Parteistrategie“ beschlos- im genannten Zeitraum zu: 11 Verhaftungen, 71 Festnah-
sen. men, 175 Razzien in Vereinen und Wohnungen, Gesamt-
haftstrafen von 59 Jahren und 9 Monaten, Gesamtbewäh-
rungsstrafen von 10 Jahren und 4 Monaten, 45 kurdischen
politischen Gefangenen in Deutschland.

2001
31. Mai Selbstbezichtigung, dass man das Verbot nicht weiter
Auf einer Pressekonferenz in Berlin wird die Unterschrif- akzeptieren wolle. Massenhaft wurde wegen Verstoßes
tenkampagne „Auch ich bin PKKler/in“ angekündigt, die in nach dem Vereinsgesetz ermittelt, angeklagt und
Europa und der Türkei durchgeführt werden soll als Auf- verurteilt. Bis heute – 2008 – wird die 2001 geleistete
takt zur zweiten Phase der PKK-Friedensoffensive, in Unterschrift vielen Kurd(inn)en zum Verhängnis, z.B. bei
Deutschland auch als zur Aufhebung des PKK-Verbots. Bis Einbürgerungsanträgen, Aufenthaltsverlängerungen, Nie-
Jahresende werden ca. 120.000 Selbstanzeigen in Europa derlassungserlaubnissen etc. (Obligatorische) Nachfragen
gesammelt. Die in Deutschland unterschriebenen Be- bei Verfassungsschutzämtern und entsprechende
kenntnisse werden Bundestags- und Landtagsabgeordne- „Erkenntnisse“ führen dann zu ablehnenden Bescheiden.
ten sowie zuständigen Behörden überreicht mit dem
Appell, die friedenspolitischen Bemühungen der kurdi- 29. Oktober
schen Bewegung zu unterstützen, die Haltung zu ihr zu Festnahme des kurdischen Politikers Şahin Engizek wegen
ändern und in einen Dialog zur Lösung der Konflikte zu mutmaßlicher Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereini-
treten. Doch was in den kommenden Monaten (und noch gung (§129). Seine Kontakte zu staatlichen und gesell-
Jahren) folgt, ist eine neue Kriminalisierungswelle gegen schaftlichen Institutionen und Personen seien nur die
die Unterzeichner/innen. Maßgeblich ist der Passus in der Erfüllung von PKK-Vorgaben für die neue Friedensstrate-
gie, so die zentralen Vorwürfe der Anklagebehörde.

22 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


2002
5. Februar Staatsanwaltschaft Hamburg dem PKK-Betätigungsverbot
Die PKK teilt der Öffentlichkeit mit, dass alle Arbeiten unter zuwider gehandelt und eine vorteilhafte Wirkung für die
diesem Namen eingestellt werden, woraufhin die Bundes- PKK hervorgerufen.
anwaltschaft erklärt, dass dies keine Auswirkungen auf
anhängige Strafverfahren gegen PKK-Funktionäre in 16. Juli
Deutschland haben werde. Die Wohnung eines Mitglieds der Antifaschistischen
Aktion Lüneburg/Uelzen und der Kurdistan Solidarität Uel-
16. April zen wird durchsucht. Als Grund wurde ein Ermittlungsver-
Es wird die Gründung des „Kongresses für Freiheit und fahren wegen angeblichen Verstoßes gegen das Vereins-
Demokratie in Kurdistan“ (KADEK) bekanntgegeben. Das gesetz genannt. Die Polizei war auf der Suche nach einem
bayerische Innenministerium erklärt umgehend, dass Sat- Transparent, auf dem anlässlich einer Veranstaltung über
zung und Führungspersonal von PKK und KADEK überein- die Kriminalisierung der Kurden in Deutschland das Sym-
stimme. Bundesinnenminister Otto Schily behauptet, bol der verbotenen kurdischen Befreiungsbewegung
KADEK sei Ersatzorganisation der PKK und weitet das Ver- abgebildet gewesen sein soll. (Bemerkung: In der Tat war
bot aus. ein solches Transparent im Veranstaltungsraum aufge-
hängt – allerdings mit einem Querbalken versehen, auf
22. April dem vermerkt war, dass das Symbol dem PKK-Betäti-
In Kiel werden 6 Wohnungen von Kurden durchsucht. gungsverbot unterliegt. Und das ist nicht strafbar.)
Ihnen wird angebliche Unterstützung der PKK vorgewor-
fen. Die Polizei beschlagnahmt Bücher, Zeitungen und Bro- 14. Oktober
schüren. Einer der Betroffenen wurde zur ED-Behandlung Der kurdische Politiker Ali K. wird an der deutsch-tsche-
auf eine Polizeistation mitgenommen. Nach seiner Weige- chischen Grenze in Sachsen festgenommen und in Unter-
rung, den Unterstützungsvorwurf zu bestätigen, soll die suchungshaft verbracht. Der Generalbundesanwalt wirft
Polizei ihm Angebote zu Spitzeltätigkeiten unterbreitet ihm Mitgliedschaft in einer „kriminellen“ Vereinigung
haben. (§129) vor. Das zeigt, dass auch diese Bundesregierung die
repressive Politik gegen Kurdinnen und Kurden fortsetzen
2. Mai will – unabhängig von dem im April eingeleiteten funda-
Die PKK wird auf die EU-“Terrorliste“ gesetzt. mentalen politischen und strukturellen Veränderungspro-
zess der PKK.
28. Juni
Eröffnung des ersten Prozesses im Zusammenhang mit 14. November
der 2001 gestarteten Identitätskampagne „Auch ich bin In einer groß angelegten Durchsuchungsaktion hat der
PKKler/in“ vor der Großen Strafkammer 22 des Landge- Münchener Staatsschutz den kurdischen Verein Med-Kul-
richts in Hamburg. Angeklagt ist Hamide S., die gemein- turhaus sowie über 30 Privatwohnungen von Vereinsmit-
sam mit anderen kurdischen Frauen am 20.6.2001 einen gliedern durchsucht. Dabei wurde eine Vielzahl von Com-
Ordner mit mehreren hundert Selbsterklärungen der per- puter, Mobiltelefonen, Faxgeräten und Zeitschriften
sönlichen Referentin der Hamburger Bürgerschaftspräsi- beschlagnahmt. An den Razzien waren nach Schätzung
dentin übergeben hatte. Weil sie dort als Wortführerin auf- der Betroffenen mindestens 150 Beamte beteiligt.
getreten sei, habe sie nach Auffassung der

2003
13. Januar „innerhalb der PKK-Führung bestehende kriminelle Verei-
Der kurdische Politiker Ali S. wird in Mannheim verhaftet nigung” unterstützt. Zusammen „mit der ihm vorgesetzten
und in Untersuchungshaft genommen. Ihm wirft die Bun- Regionsverantwortlichen Dilek K.” habe er „als Reaktion auf
desanwaltschaft vor, von April 2001 bis Februar 2002 den Einmarsch türkischer Militärkräfte in den Nordirak am
Funktionär der innerhalb der PKK bestehenden kriminel- 14. Mai 1997” beschlossen, „mehrere Brandanschläge auf
len Vereinigung (§129 StGB) gewesen zu sein. türkische Einrichtungen zu verüben”.
Januar
Der Generalbundesanwalt (GBA) hat beim Oberlandesge- 9. Januar
richt Koblenz Anklage erhoben gegen den „mutmaßlichen Etwa 30 zivile und uniformierte Polizeibeamte durchsu-
PKK-Funktionär” Bozan A. Der am 18. August 2002 auf dem chen in Berlin ohne Vorlage eines Durchsuchungsbefehls
Flughafen Düsseldorf festgenommene 30-Jährige soll im den Verein „Mala Kurd”. An der Aktion war auch ein tür-
Jahre 1997 der PKK angehört und auf regionaler Ebene die kisch stämmiger Zivilpolizist beteiligt. Hierbei wurden die
Jugendorganisation YCK geleitet haben. Damit habe er die Ausweise der Anwesenden kontrolliert, Ramazan Demir

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 23


und Eyup Bozan festgenommen und in der Nacht wieder Mai
freigelassen. Außerdem wurde der Minibus des Vereins Seit Beginn des PKK/KADEK-Prozesses in Celle am 1.April
beschlagnahmt. Die Aktion dauerte ca. eine halbe Stunde. 2003 war der Angeklagte Hasan A. massiven Schikanen in
Der Vereinsvorsitzende, Ismail Parmaksiz sowie die Anwe- der JVA Celle (Trift) ausgesetzt. Vor und nach jeder Ver-
senden konnten sich den Grund der Durchsuchung nicht handlung musste er seine Kleidung wechseln. Die alltägli-
erklären. „Das Vorgehen der Polizei wird unsere Arbeit in che Knastsituation nutzen zwei Bedienstete der JVA aus,
keinem Fall aufhalten können. Wir verurteilen diese Poli- um Hasan A. besonders erniedrigend zu behandeln. So
zeirazzia und protestieren dagegen. Unseren Protest wer- musste er sich nackt ausziehen und eine Ganzkörper-
den wir an die zuständigen Stellen in offizieller Form wei- durchsuchung wurde schikanös lange ausgedehnt. Am 20.
terleiten,” erklärte Parmaksiz. Mai verweigerte sich der Kurde dieser erneuten Schikane.
Daraufhin stießen ihn die beiden Beamten von einem
28. Januar Stuhl, traten ihn und zogen ihn dann gewaltsam aus.
Der Hamburger Rechtsanwalt Dr. Heinz Jürgen Schneider Danach führten sie ihn nackt über einen Flur. Gegen diese
wird wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz im Rah- Misshandlungen protestierte der Gefangene und bezeich-
men des Betätigungsverbots der und für die PKK vom nete sie als erniedrigend und menschenunwürdig. Am 21.
Landgericht (LG) Hamburg zu einer Geldstrafe verurteilt. Mai betrat Hasan A. den Gerichtssaal nur im Schlafanzug.
Schneider hatte gegen das Urteil Revision beim Bundesge- Er gab zu den Vorgängen eine Erklärung ab und protes-
richtshof (BGH) eingelegt. Hintergrund des Verfahrens war, tierte gegen seine unmenschliche Behandlung. Daraufhin
dass er im Juli 2001 eine Delegation von Kurdinnen und verhängte das Gericht gegen ihn Disziplinarmaßnahmen,
Kurden zur Hamburger Justizbehörde begleitet hatte, die indem ihm für eine Woche die Teilnahme an Gemein-
gesammelte Unterschriften zur Kampagne „Auch ich bin schaftsveranstaltungen untersagt wurde. Seit die Rechts-
PKKler/in“ dort übergeben wollte. Diese Begleitung werte- anwälte gegen die Misshandlung ihres Mandanten inter-
ten die Strafverfolgungsbehörden als einen Verstoß gegen venierten und auch der Vorsitzende Richter sich über die
das Vereinsgesetz. Vorgänge in der JVA informierte, hat sich die Situation ent-
spannt.
1.Februar
Der 50-jährige kurdische Politiker Hasan A. wird aufgrund 30. Juli
des Haftbefehls des Oberlandesgerichts (OLG) Celle auf Engin S., der sich über einen längeren Zeitraum im Zeu-
dem Weg zu einer genehmigten Demonstration in Köln genschutzprogramm des Bundeskriminalamtes (BKA)
verhaftet. Begründet wurde die Verhaftung mit Fluchtge- befunden hat, hatte umfangreiche Aussagen zu den Struk-
fahr. Der Generalbundesanwalt (GBA) wirft ihm vor, von turen der PKK, zur Hilfsorganisation Heyva Sor a Kurdis-
Mai 2000 bis März 2001 die „PKK-Region Süd“ geleitet und tanê (Kurdischer Roter Halbmond; HSK) und zu Personen
anschließend die „PKK-Region Nord“ übernommen zu gemacht. In dem Verfahren gegen HSK sollte er als Kron-
haben. Sowohl gegen Hasan A. als auch gegen den am 14. zeuge der Anklage fungieren und seine Aussage, diese sei
Oktober 2002 verhafteten Politiker Ali K. hat der GBA laut eine Unterorganisation der PKK, untermauern. Nachdem
Pressemitteilung vom 7.2.2003 Anklage wegen Mitglied- er in der Verhandlung am 24. Juli sehr widersprüchliche
schaft in einer „kriminellen“ Vereinigung (§129 StGB) erho- Angaben gemacht hatte, zog er am 30. Juli seine Aussagen
ben. vollständig zurück und erklärte, von den Beamten des BKA
unter Druck (Drohung, ihn in die Türkei abzuschieben)
12. Februar gesetzt worden zu sein. Man habe ihm vorformulierte Aus-
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer sagen vorgelegt, die dann Seite für Seite von ihm unter-
Flüchtlinge hat gegen den in der JVA Celle wegen des Vor- schrieben worden seien.
wurfs nach §129 StGB in U-Haft befindlichen kurdischen
Politiker Ali K. ein Widerrufsverfahren gem. § 73 Asylver- 9. September
fahrensgesetz eingeleitet. Die Behörde teilt mit, dass bei Der kurdische Politiker Ali Z. ist vor dem Hamburgischen
ihm die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländerge- Obersten Landesgericht angeklagt wegen „Mitgliedschaft
setzes zwar vorliegen würden. Der Widerruf erfolge, weil er in einer kriminellen Vereinigung“ (§ 129 StGB). Ihm wird
„aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die vorgeworfen, am 17. Februar 1999 Drahtzieher einer
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstelle (§ 51 Besetzung der SPD-Landeszentrale in Hamburg gewesen
Abs. 3 Ausländergesetz)“. zu sein. Die Bundesanwaltschaft (BAW) fordert drei Jahre
und neun Monate; seine Verteidiger fordern Freispruch für
4. März ihren Mandanten. Am 17. Februar 1999 wurde der PKK-
Während einer Friedensdemonstration von Blumenthaler Vorsitzende Abdullah Öcalan aus Kenia in die Türkei ver-
Schülern ist es laut Polizeiangaben zu einem kurzen Streit schleppt.
zwischen kurdischen und türkischen Schülern gekommen.
Wie die Polizeiinspektion mitteilte, hätten Beamte eine 6. Oktober
PKK-Fahne und ein PKK-Abzeichen sichergestellt, weil bei- Im Rahmen eines Verfahrens gegen den Kurdischen Roten
des zu den verbotenen Emblemen gehöre. Halbmond (Heyva Sor a Kurdistanê) vor dem Landgericht
(LG) Koblenz, stand der einstige Kronzeuge der Anklage,

24 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


Engin S., am 6. Oktober Serok Apo“-Parolen gerufen hatten, Strafbefehle erlassen
erneut vor Gericht. Er worden. Betroffen hiervon war u. a. Hemo Ö., der aufgrund
betonte, bei seinen Aus- dieses Vorwurfs festgenommen wurde. Als Beweise dien-
sagen in der Verhand- ten Polizeivideos.
lung vom 30. Juli bleiben
zu wollen. Das meiste, 5. November
was er seinerzeit gegen- Mit Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) wird die Revi-
über dem Bundeskrimi- sion des Hamburger Rechtsanwalts Dr. Heinz Jürgen
nalamt ausgesagt habe, Schneider als „unbegründet“ verworfen. Die Richter bestä-
sei nicht zutreffend und tigten damit die Argumentation des Landgerichts Ham-
heyva Sor a Kurdistanê nur auf Druck erfolgt. Die burg vom 28. Januar, wonach Schneider die kurdische
Kammer des LG Delegation zur Übergabe von Selbstbezichtigungserklä-
beschloss daraufhin, Engin S. ein umfassendes Aussage- rungen „Auch ich bin PKKler/in“ an die Justizbehörde „auch
verweigerungsrecht zuzugestehen und ihn als Zeugen in als Privatmann“ begleitet habe. Damit habe er „unabhän-
dem Prozess zu entlassen. gig von einer möglichen anwaltlichen Beistandsfunktion,
einen eigenen persönlichen Förderungsbeitrag zu Guns-
9. Oktober ten […] der PKK erbracht.“ Schneider sieht durch die BGH-
Die vor dem türkischen Konsulat in Köln begonnene und Entscheidung seine Grundrechte auf Meinungs- und
vor dem Dom fortgeführte Sitzaktion, wurde ebenso von Berufsfreiheit verletzt.
Verboten begleitet wie der Hungerstreik und die Demons-
trationen in den letzten Tagen. Auf das Rufen der Parole 15. November
‚Biji Serok Apo’ reagierte die Polizei reflexartig. Die Kölner In den Kandil-Bergen im Nordirak wird der Volkskongress
Polizei ließ die Veranstalter wissen, dass das Verbot der Kurdistans (KONGRA-GEL) gegründet und der Kongress für
Parole von der Kölner Staatsanwaltschaft beschlossen wor- Freiheit und Demokratie in Kurdistan, KADEK als aufgelöst
den sei. Auf Nachfrage erklärte Oberstaatsanwalt Wolf, von erklärt. 360 Delegierte wählten Zübeyir Aydar zum Vorsit-
einem solchen Verbot nichts zu wissen. Er warte auf die zenden des Volkskongresses; 41 Personen wurden in den
Unterlagen, die nach Abschluss der Aktionen möglicher- Exekutivrat berufen und Abdullah Öcalan zur Führungs-
weise zu Verfahren führen könnten. […] Auf die Frage, wer persönlichkeit ernannt. „Unser Ziel ist es, den bewaffneten
das Verbot der Parole ‚Biji Serok Apo’ veranlasst habe, Kampf einzustellen. Dafür aber muss die Türkei politische
erklärte Herr Deilmann vom Kölner Staatsschutz, dieses Schritte unternehmen und uns eine legale politische Mög-
Verbot sei erlassen worden, weil das türkische Konsulat lichkeit anbieten“, erklärte Aydar gegenüber der Zeitung
eine solche Forderung erhoben habe und sich die türki- „Le Monde“.
schen Anwohner dadurch gestört fühlten. Außerdem
äußerte er, dass es sich um eine Parole der in Deutschland 27. November
verbotenen PKK handele und deshalb nach § 20 des Ver- Unter dem Motto „Neubeginn 27. November – Fortset-
einsgesetzes geahndet werden müsse. zung mit KONGRA-GEL“ wird in Köln ein Fackelzug durch-
geführt, an dem sich etwa 300 Kurd(inn)en beteiligen. Sie
20. Oktober rufen Parolen wie „Biji Serok Apo“ und tragen Plakate und
Vor dem OLG Celle endet der Prozess gegen die kurdi- Bilder von Abdullah Öcalan. Im Vorfeld werden die
schen Politiker Hasan A. und Ali K., die angeklagt waren, Demonstrant(inn)en von der Polizei kontrolliert und deren
als Funktionäre für die PKK verantwortlich gewesen zu sein Personalien festgestellt. Gegen dieses Vorgehen protestie-
(§129 StGB). Hasan A. wurde zu einer Freiheitsstrafe von 3 ren die Betroffenen und es kommt zu Spannungen. Die
Jahren und 3 Monaten und Ali K. zu 2 Jahren und 9 Mona- Demo-Teilnehmenden reagieren mit einem weiteren
ten verurteilt. Gegen das Urteil haben die beiden Kurden Rufen der Parolen. Weil „Biji Serok Apo“ verboten sei, greift
Revision eingelegt. die Polizei ein, beschlagnahmt Plakate („Freiheit für Öca-
lan, Frieden für Kurdistan“) und Bilder von Abdullah Öca-
29. Oktober lan und filmt den Demo-Verlauf. Einige Teilnehmer, die sich
Vor dem Staatsschutzsenat des OLG Stuttgart beginnt der gegen die Polizei zur Wehr gesetzt haben, werden festge-
Prozess gegen den 37jährigen kurdischen Politiker Ali S. nommen. Hiergegen und gegen die Verbote protestieren
Die BAW wirft ihm vor, Mitglied innerhalb der PKK-Füh- die Demo-Teilnehmer und verlassen bis zur Freilassung der
rung bestehenden kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) Festgenommenen den Versammlungsort nicht. Erst
gewesen zu sein. Er soll von April 2001 bis Februar 2002 danach wird die Aktion für beendet erklärt. (Am 27.
die PKK-Region Berlin mit Leipzig und Dresden geleitet November wurde die PKK gegründet; aus ihr hervor ging
haben. KADEK und KONGRA-GEL)

3. November 26. November


Im Rahmen einer Protestdemonstration in Bielefeld wegen Zum 10. Jahrestag des PKK-Betätigungsverbots erscheint
des internationalen Komplotts gegen Abdullah Öcalan unter dem Titel „10 Jahre PKK-Verbot und kein Ende? – Ein
vom 9.Oktober 1998, sind gegen sechs Personen, die „Biji Anachronismus mit Folgen“ eine Broschüre. Herausgege-

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 25


ben wird sie von der HUMANISTISCHEN UNION, YEK-KOM 11. auf den 12. Dezember
und AZADI mit Unterstützung des Bundesvorstands der Auf das Münchner Beratungs- und Informationszentrum
ROTEN HILFE. Autor/inn/en zu den verschiedenen Aspek- für Arbeitnehmer aus der Türkei und Kurdistan wird in der
ten der Verbotspolitik sind die Rechtsanwälte Rainer Nacht ein Anschlag verübt. Unbekannte Täter zertrüm-
Ahues, Dr. Heinz Jürgen Schneider, Michael Heim und der mern die Fensterscheiben des Zentrums. Anstatt nach den
Publizist Dr. Rolf Gössner. Ferner nimmt Marei Pelzer, Mit- Tätern zu fahnden, nutzt die gerufene Polizei die Gelegen-
arbeiterin von Pro Asyl, Stellung zu den Änderungen im heit für eine Razzia in den Räumen des erst kürzlich eröff-
Asylrecht; Mark Holzberger beschreibt den Umgang des neten Vereins. Dabei werden unter anderem mehrere
Parlaments mit der Thematik und Duran Kalkan, Mitglied Computer beschlagnahmt. Einige Wochen zuvor war
des Präsidiums des „Kongresses für Freiheit und Demokra- schon einmal eine Scheibe des Vereins eingeschlagen wor-
tie in Kurdistan“ (KADEK), beantwortet Fragen von Azadî den. Nach Aussagen des Hausbesitzers hatte ihn die Poli-
zur Haltung der deutschen Politik. Kalkan, Mitbegründer zei mehrmals gedrängt, dem Verein zu kündigen. „Erst
der PKK, wurde 1987 in Deutschland verhaftet, nach § kommen anonyme Schläger und dann die Polizei. Das
129a StGB angeklagt und verurteilt. erinnert uns sehr an Zustände in der Türkei“, erklärte Kemal
Göktepe von der Föderation kurdischer Vereine in
3. Dezember Deutschland, YEK-KOM. „Es gibt hier offensichtlich ein
Der kurdische Politiker Ali Z. wird vom Hanseatischen gegen die kurdische Bewegung gerichtetes Zusammen-
Oberlandesgericht zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren spiel dunkler Kräfte mit dem Staat.“
und 6 Monaten verurteilt. Das Gericht sieht es als erwiesen
an, dass er als Funktionär und Mitglied in einer kriminellen 18. Dezember
Vereinigung (§ 129 StGB) verantwortlich gewesen ist für Wegen Mitgliedschaft in einer „kriminellen Vereinigung“
Besetzungsaktionen im Zusammenhang mit der Ver- verurteilt das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart den kur-
schleppung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan im dischen Politiker Ali S. zu einer Freiheitsstrafe von zwei
Februar 1999. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt. Jahren. Der Senat sieht es als erwiesen an, dass der 37-Jäh-
In einer ausführlichen Schlusserklärung hatte Ali Z. am 25. rige von April 2001 bis Februar 2002 als Teil des PKK-Füh-
November zu den Vorwürfen, der Haltung der politisch rungskaders die PKK-Region Berlin geleitet hat. Ali S. war
Verantwortlichen in Deutschland und den Hintergründen am 13. Januar 2003 von Beamten des Bundeskriminalam-
des kurdisch-türkischen Konflikts Stellung genommen. tes in Mannheim verhaftet und in Untersuchungshaft in
der JVA Stuttgart-Stammheim genommen worden.

2004
21. Januar Februar
Unter starker Teilnahme vor allem von kurdischen Frauen Seit dem 11. Juli 2003 findet vor der Staatsschutzkammer
haben in Leipzig lebende Kurden in schwarzer Kleidung des Landgerichts Koblenz der Prozess gegen zwei angeb-
und schweigend mit einer Sitzaktion für die „Freiheit für lich Verantwortliche für den Verein Heyva Sor a Kurdistanê
Öcalan“ demonstriert. Die von den Teilnehmer/innen (HSK) statt, den Kurdischen Roten Halbmond, wegen Ver-
gezeigten Bilder von Öcalan werden von der Polizei verbo- stoßes gegen das Vereinsgesetz. Dieser soll laut Anklage
ten, wogegen scharf protestiert wird: „Wir können das Ver- eine Teilorganisation der PKK sein. Die Tatvorwürfe datie-
bot der Bilder nicht akzeptieren. Mit unserer Aktion woll- ren aus den Jahren 1997 bis zur bundesweiten Durchsu-
ten wir auf die Isolationshaft von Abdullah Öcalan chung der in Verbindung zum Verein stehenden Räumlich-
aufmerksam machen. Wir verurteilen das Verhalten der keiten am 19. Januar 1999. Jahrelang wurde das Verfahren
Polizei.“ nicht betrieben. Ein Vorwurf wegen Weiterleitung der

Identitätskampagne

26 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


Spenden für den Kurdischen Roten Halbmond an die PKK kenianischen Reisebüros in Frankfurt im Februar 1999 zu
wurde schon vor Anklageerhebung fallen gelassen. Nun einer Freiheitsstrafe von über 5 Jahren verurteilt worden
bestehen nach fünf Jahren Verfahrensuntätigkeit offen- und hat diese Strafe vom April 2001 bis zu seiner Abschie-
sichtlich Schwierigkeiten, zu einem revisionssicheren bung verbüßt.
Urteil zu kommen. Letzteres muss das Urteil unbedingt
sein, denn noch im Jahre 2002 entschied der Bundesge- 20. April
richtshof (BGH) positiv für einen Kurden, der für Heyva Sor Vor dem OLG Düsseldorf wird der Prozess gegen den kur-
Spenden gesammelt hatte: diese Tätigkeit sei ihm nicht als dischen Politiker Şahin Engizek eröffnet. Die Anklage wirft
Verstoß gegen das Vereinsgesetz anzulasten. ihm vor, in den Jahren 2000/2001 als mutmaßlicher „PKK-
Führungsfunktionär“ Mitglied in einer kriminellen Vereini-
9. Februar gung (§129 StGB) gewesen zu sein. So soll er u. a. im Rah-
Mit der Begründung, sich an der Kampagne „Auch ich bin men aktionistischer Aktivitäten maßgeblich an der
PKK’ler“ beteiligt zu haben, wird in Heilbronn die Woh- Organisierung der Identitätskampagne „Auch ich bin
nung von Emin C. und seines Bruders Basri durchsucht. PKKler/in“ beteiligt gewesen sein, deren Zweck darin gele-
Hierbei wurden Fotos von Guerillas und von Abdullah Öca- gen habe, die „Massen“ in Bewegung zu halten. Zudem
lan sowie handschriftliche Schriftstücke beschlagnahmt. hielt der Generalbundesanwalt (GBA) in seiner Presseerklä-
Die Polizei fragte die Beiden, warum sie die Selbstbezichti- rung vom 1. 11. 2001 dem Angeklagten anlässlich seiner
gung unterschrieben hätten. Schließlich handele es sich Festnahme vor, er habe „Kontakte zu staatlichen und
bei der PKK um eine terroristische Organisation. Der Aus- gesellschaftlichen Institutionen sowie Verbindungen zu
weis von Hasan T., der sich zum Zeitpunkt der Durchsu- interessierten Politikern, Journalisten und anderen Mei-
chung als Gast in der Wohnung befunden hat, wurde vorü- nungsmultiplikatoren“ unterhalten, um diese für „die so
bergehend beschlagnahmt. genannte kurdische Sache zu gewinnen“. Davon, dass
Şahin Engizek in irgend eine Straftat verwickelt gewesen
13. Februar sein soll oder Belege für ein kriminelles Verhalten vorlie-
Gegen 8.30 Uhr wird in Berlin die Wohnung des Ehepaares gen, ist in allen Ausführungen der Zeugen – auch durch
Mehmet und Saniye E. von 9 Polizisten durchsucht. Die Nachfragen der Verteidigung – keine Rede.
Betroffene erklärt, dass an der Durchsuchung auch eine
türkischstämmige Polizistin beteiligt war, die besonders 2. Mai
aggressiv vorgegangen sei und sie misshandelt habe. „Wir Der kurdische Politiker Hasan A. wird auf dem Düsseldorfer
durften nicht einmal unsere Kleider anziehen. Die Polizis- Hauptbahnhof festgenommen und einen Tag später dem
ten zeigten mir die Selbstbezichtigung ‚Auch ich bin Haftrichter des Amtsgerichts Düsseldorf vorgeführt, der
PKKler/in’ und wollten wissen, ob das meine Unterschrift ihm gegenüber den Haftbefehl eröffnet. Dem 33-Jährigen
sei. Das habe ich bestätigt. Fünf Stunden lang haben sie wird vorgeworfen, als mutmaßlicher Führungsfunktionär
die Wohnung durchsucht, sogar den Kühlschrank.“ der PKK Mitglied in einer kriminellen Vereinigung (§129
StGB) gewesen zu sein. Laut Bundesanwaltschaft (BAW)
13. Februar habe er von Juni 2001 bis März 2002 die „Region Mitte“ –
Wegen seiner Teilnahme an der Identitätskampagne wird u.a. Dortmund, Essen, Duisburg – geleitet. Im Juni 2003
in Hannover früh morgens um 6:00 Uhr die Wohnung von soll er dann die Leitung des „Sektors Nord“ – u.a. Hamburg,
Sükrü A. durchsucht. Nach seinen Aussagen seien an der Bremen, Berlin – der (zu dieser Zeit bereits aufgelösten)
Durchsuchung 8 Zivilpolizisten beteiligt gewesen. Man PKK übernommen haben.
habe ihn zur erkennungsdienstlichen Behandlung auf die
Polizeiwache mitgenommen und vorübergehend seinen 28. Mai
Reisepass eingezogen. Bei der Durchsuchung seien Bilder Ein Großaufgebot der Polizei hat auf Anordnung der Berli-
von Abdullah Öcalan beschlagnahmt worden sowie eine ner Staatsanwaltschaft die Räume eines kurdischen Ver-
ERNK- und YCK-Fahne. Sükrü A. will gegen die Durchsu- eins an der Skalitzer Straße in Kreuzberg durchsucht. Die
chung juristisch vorgehen. Aktion richtet sich nach Angaben eines Justizsprechers
gegen drei Männer, die im Verdacht stünden, der Füh-
5. März rungsriege einer Jugendorganisation der verbotenen Par-
Wie wir berichteten, schlug der erste Versuch, Sabahattin tei PKK anzugehören. Zwei der Verdächtigen waren in den
Bekirogullari aus der JVA Butzbach in die Türkei abzuschie- letzten Tagen bereits festgenommen und einem Haftrich-
ben, wegen schlechten Wetters fehl. Am 5. März, um 22.10 ter vorgeführt, nach dem Dritten fahnde die Polizei. Außer
Uhr, wird der Kurde vom Flughafen Frankfurt/M. nach den Vereinsräumen durchsuchte die Polizei auch drei Woh-
Istanbul deportiert, dort festgenommen und ins Polizei- nungen.
präsidium verbracht, wo er zwei Tage lang verhört wurde.
Nur gegen Zahlung eines hohen Bestechungsgeldes 25. Mai
kommt er auf freien Fuß. Wenig später erschien die Polizei In Unna wird der Kurde Vehbi A. aufgrund eines Haftbe-
bei Familienangehörigen und durchsuchte deren Woh- fehls des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof
nung auf der Suche nach dem Kurden. Dieser war in (BGH) von Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) fest-
Deutschland wegen der Teilnahme an der Besetzung des und in U-haft genommen. Er wird der „Mitgliedschaft in

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 27


einer kriminellen Vereinigung“ (§ 129) und der „gefährli- 29. Juni
chen Körperverletzung“ verdächtigt. Der 35-Jährige soll Mit einer Geldstrafe von 2700,– Euro endet der Prozess
seit „Anfang 2004 als Leiter des PKK-Gebiets Bremen dem gegen den Vorsitzenden der Föderation der kurdischen
Funktionärskörper der PKK angehört“ und sich „an der dort Vereine in Deutschland (Yek-Kom), Mehmet Demir. Das
bestehenden kriminellen Vereinigung beteiligt haben“. Vorstandsmitglied Ayten Kaplan wurde zu einer Geldstrafe
Der GBA wirft ihm weiter vor, er habe am 10.2.2004 in Bre- von 1300,– Euro verurteilt. Gegen Beide war der Vorwurf
men als Gebietsleiter eine „gewaltsame Bestrafungsaktion erhoben worden, als Föderationsverantwortliche gegen
zum Nachteil eines ehemaligen, abtrünnigen PKK-Kaders“ das Vereinsgesetz im Rahmen des Betätigungsverbots der
angeordnet. PKK verstoßen zu haben, indem sie angeblich die Verbrei-
tung der Unterschriftenkampagne „Auch ich bin PKKler/in“
28. Mai organisiert hätten.
Gleichzeitig werden die Wohnungen der Journalisten der
Zeitung „Özgür Politika“, Mustafa Timur und Oktay Yilmaz 30. Juni
sowie des ehemaligen Vorsitzenden des Vereins Mala Kurd Der kurdische Politiker Şahin Engizek wird vom 5. Staats-
(Kurdistan-Haus), Ismail Parmaksiz, als auch die Räume des schutzsenat des OLG Düsseldorf wegen „dauerhafter
Vereins von der Polizei durchsucht. Zahlreiche Publikatio- Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ (§129 StGB)
nen, Archive der Zeitung, Bücher und Musikkassetten sind zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten auf
bei der Durchsuchung beschlagnahmt worden. Die Betrof- Bewährung (3 Jahre) verurteilt. Nach Auffassung des
fenen haben den Polizeiüberfall so beschrieben: „Die Gerichts soll er den Arbeitsbereich „Außenbeziehungen“
Polizei hat gegen 10.00 Uhr unsere Wohnungen laut der PKK geleitet haben, der zu einem zentralen Sektor der
Durchsuchungsbefehl des Staatsanwalts Jürgen Heinke PKK gehöre. Eine Beteiligung an Straftaten habe das
durchsucht. Der Grund dieser Maßnahme soll der Verstoß Gericht bei ihm nicht feststellen können. Bei der Strafzu-
gegen das Vereinsgesetz gewesen sein.“ Die beiden Zei- messung berücksichtigt wurde die 3-monatige U-Haft.
tungsmitarbeiter haben das Verhalten der Polizei als Ver-
letzung der Pressefreiheit und als Versuch verurteilt, die Juli
kurdische Stimme zu verbieten. Nach der Durchsuchung Weil sie die Selbsterklärung „Auch ich bin PKKler/in“ unter-
wurde Mustafa Timur festgenommen. Die Polizei werfe schrieben hatte, wird einer Kurdin von der Bezirksregie-
ihm vor, er und Oktay Yilmaz hätten während einer legalen rung Düsseldorf die Einbürgerung verweigert. Gegen die-
Aktion im Dezember 2003 die Meinung eines Jugendli- sen Bescheid legte sie Widerspruch ein. Daraufhin
chen der kurdischen Jugendorganisation (TECAK) veröf- entschied das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf, dass
fentlicht und diese damit unterstützt, was unter das PKK- der angefochtene Verwaltungsakt „rechtswidrig“ gewesen
Betätigungsverbot falle. sei und „die Klägerin in ihren Rechten verletzt“ habe. Sie
habe glaubhaft darlegen können, dass sie sich „mit der
2. Juni PKK oder deren politischen Zielen“ nicht identifiziere. Des-
Die Wohnung des in Wolfsburg lebenden kurdischen halb bestehe in ihrem Fall ein Anspruch auf eine „Einbür-
Arbeitgebers Sehmus Y. wird durchsucht. Zu der Haus- gerungszusicherung“. In seiner Entscheidungsbegründung
durchsuchung und seiner 5-stündigen vorläufigen Fest- führte das VG dennoch aus, dass die Klägerin mit ihrer
nahme erklärte Yasar: „Vorgestern früh um 6.30 Uhr klin- Unterschrift „Bestrebungen unterstützt“ habe, „die gegen
gelte es an meiner Haustür und ich war verwundert, wer die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet“
uns um diese Zeit besuchen wollte. Ich öffnete und vor mir seien. Wer für die PKK eintrete, dokumentiere „eine man-
standen Zivilpolizisten, ein Dolmetscher und eine Dame gelnde Identifizierung mit dem Wertesystem der deut-
von der Stadtverwaltung, die als Zeugin dienen sollte. Sie schen Verfassung“, weil es sich bei der von Abdullah Öca-
erklärten, dass sie eine Durchsuchungsgenehmigung hät- lan im Jahre 1978 gegründeten Partei um eine auf
ten. Auf meine Frage, was gegen mich vorliege, hieß es, ich „marxistisch-leninistischer Ideologie fußende Organisation
sei Funktionär der PKK und für Finanzen zuständig.“ Diese handele“.
Behauptungen würden jedoch jeder Grundlage entbehren
– so Yasar. 8. Juli
Am Morgen werden die Wohnungen von Şahin C. aus Bin-
8. Juni gen und Yakup G. aus Büdelsheim durchsucht. Im Falle der
„Ich bin damals unter Betäubung aus Deutschland in die Wohnungsdurchsuchung von Şahin C., an der Zivil- und
Türkei abgeschoben worden. Jetzt befürchte ich, dass mir uniformierte Polizisten beteiligt waren, sind Briefe und
dasselbe wieder passieren wird. Am 8. Juni soll erneut die Fotos beschlagnahmt worden. An den Händen gefesselt
Abschiebung in die Türkei erfolgen.“ Der Kurde Özel wird Şahin C. festgenommen. Im Falle der Durchsuchung
Özkan, der vor Jahren wegen seiner politischen Aktivitäten bei der Familie von Yakup G. hatte am frühen Morgen des-
in der Türkei Asyl beantragt hatte und nach der Ablehnung sen 7-jährige Tochter den Polizisten, die ihre Waffen in der
in die Türkei abgeschoben wurde, befindet sich wieder in Hand hielten, die Türe geöffnet. Trotz des Hinweises von
Deutschland. Frau G., dass ihr Mann nicht anwesend sei, wird die Durch-
suchung durchgeführt. Auf Nachfrage, wer diese veran-
lasst habe und aus welchem Grund, haben ihr die Polizis-

28 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


ten gesagt, dass ihr Mann von der Staatsanwaltschaft 21. Oktober
Koblenz der Unterstützung der PKK beschuldigt werde. Das Finanzamt Lahr/Baden-Württemberg teilt dem „Meso-
potamischen Anadoglu Kulturverein e.V.“ mit, dass er nicht
14. Juli mehr „steuerbegünstigten gemeinnützigen Zwecken
Vor einiger Zeit hatte Sultan A. aus Vechta bei Oldenburg dient“. Dabei beruft sich die Behörde auf Informationen
wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz (Beteiligung an des Landesamtes für Verfassungsschutz, wonach am 14.
der Kampagne „Auch ich bin PKKler/in“) eine Ladung zur Dezember 2003 in den Vereinsräumen „eine Führungsver-
Polizei erhalten. Dieser Aufforderung war sie nicht gefolgt. anstaltung des KADEK“ stattgefunden haben soll. Mit der
Am 14. Juli wird sie von Polizisten aus ihrer Wohnung Überlassung der Räumlichkeiten an diese Organisation,
abgeholt und zwecks ED-Behandlung zur Polizeibehörde die in Deutschland „wegen ihrer Verfassungsfeindlichkeit“
gebracht. Aussagen hat sie keine gemacht, aber ihre verboten sei, habe der Verein „die verfassungsfeindlichen
Rechtsanwältin eingeschaltet. Sultan A. betont gegenüber militanten Ziele des KADEK“ unterstützt. Weil sich der Ver-
der Zeitung „Özgür Politika“, dass sie es als ihr demokrati- ein somit „nicht mehr im Rahmen der verfassungsmäßigen
sches Recht betrachte, eine solche Erklärung zu unter- Ordnung“ halte, müsse ihm die Gemeinnützigkeit aber-
schreiben. kannt werden.

August 21. Oktober


Ali A., der im Jahre 2002 seine Einbürgerung beantragt Der Vorsitzende der Deutsch-Kurdischen Gesellschaft in
hatte, bietet laut Hamburgische Behörde für Inneres „nicht Friedrichshafen/Baden-Württemberg, Ismet Basbaydar,
die Gewähr, sich glaubhaft zur freiheitlich demokratischen erhält einen Brief des Bürgermeisteramtes. Darin wird ihm
Grundordnung zu bekennen“. Deshalb wurde sein Antrag mitgeteilt, dass der Sozialausschuss der Stadt am Vortag
abgelehnt. Er war 1986 ins Bundesgebiet eingereist; ein mehrheitlich beschlossen habe, dass den Vertretern der
Jahr später wurde er als Asylberechtigter anerkannt und Deutsch-Kurdischen Gesellschaft e.V. für die nächsten zwei
erhielt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Da in Ein- Jahre kein Sitz mehr im Integrationsausschuss zugespro-
bürgerungsverfahren regelmäßig die Landesämter für Ver- chen werden könne. Begründet wird die Entscheidung
fassungsschutz angefragt werden, hatte die Hamburger damit, dass sich „für die Legislaturperiode des Integrati-
Behörde im Falle von Ali A. behauptet, dieser sei bis Ende onsausschusses (2 Jahre), nur Migrationsgemeinschaften,
der 1990er Jahre Anhänger der PKK und zeitweise im Vor- die eine eigene konsularische Vertretung in Deutschland
stand eines kurdischen Vereins gewesen, der „unter dem haben, um einen Sitz im Integrationsausschuss bewerben
Einfluss der PKK“ gestanden habe. Zudem sei er „auffällig“ können.“ Und weil es „keine kurdische konsularische Ver-
geworden, weil man ihn wegen seiner Teilnahme an einer tretung in Deutschland gibt“, könne den Vertretern der
„verbotenen Kurdendemonstration am 20.03.1996 in Poli- Deutsch-Kurdischen Gesellschaft auch „kein Sitz […] zuge-
zeigewahrsam genommen“ habe. sprochen werden.“
Der von Kazim K. im Oktober 2001 gestellte Einbürge-
rungsantrag wurde vom Bayerischen Verwaltungsgericht 12. November
Ansbach abgelehnt. Über die politischen Aktivitäten des Der 27-jähriger mutmaßliche PKK/KONGRA-GEL-Funktio-
Kurden waren Auskünfte aus dem Zentralregister erfragt när Taylan S. wird in Rüsselsheim verhaftet. Laut Pressemit-
worden, die jedoch keine Eintragungen enthalten hätten. teilung des GBA vom 19. November 2004 werde der 27-
Eine Nachfrage bei der Kriminalpolizei einer bayerischen Jährige „dringend verdächtigt, seit November 2003 dem
Stadt habe dann ein Verfahren wegen „politisch motivier- Funktionärskörper der Arbeiterpartei (PKK) angehört und
ter Sachbeschädigung“ ergeben, das jedoch später einge- sich als Mitglied an der dort bestehenden kriminellen Ver-
stellt worden sei. Durch eine Personenüberprüfung beim einigung beteiligt zu haben.“ Taylan S. soll „von Mitte
bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz habe fest- November 2003 bis Juni 2004 verantwortlich für das PKK-
gestellt werden können, dass Kazim K. an zahlreichen Ver- Gebiet Darmstadt“ verantwortlich gewesen sein und
anstaltungen mit „eindeutigem Bezug zur TKP/ML und zur anschließend das „PKK-Gebiet Mainz“ übernommen
PKK“ teilgenommen habe und so „die Ziele und die Ver- haben.
breitung der Ideen der PKK fördere“. Er unterstütze damit
die „Bestrebungen einer extremistischen Organisation“. November
Wegen des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz hat die Wegen Unterstützung von Nachfolgeorganisationen der
Oldenburger Staatsanwaltschaft bei der Staatsschutzkam- PKK ist ein 26-jähriger Kurde vom Landgericht Oldenburg
mer des Landgerichts Anklage gegen einen 32 Jahre alten zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen à 20,– Euro verur-
Kurden aus Cloppenburg erhoben. Ihm wird vorgeworfen, teilt worden. Er habe die Organisationen unterstützt und
als „Führungsverantwortlicher“ für den Bereich Aurich Wer- somit gegen das Vereinsgesetz verstoßen.
bung für die verbotene Organisation KONGRA-GEL
gemacht und Spenden eingetrieben zu haben. Geldein- 14. Dezember
nahmen und Propagandamaterial sollen – laut Anklage- Die Vereinsräume einschließlich Keller, Dachboden sowie
schrift – dazu gedient haben, die illegalen Strukturen des Garage des „Kurdistan Solidaritätszentrums“ in Duisburg
KONGRA-GEL aufrecht zu erhalten. werden durchsucht und drei Kurden, Abdulrahman A.,
Necati L. und Nadir Y. festgenommen. Begründet wird die

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 29


Razzia laut Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts 14. Dezember
Essen u. a. wegen des Verdachts der Spendengelderpres- Es findet eine Durchsuchung des „Mesopotamischen Kul-
sung. Es sei davon auszugehen, dass der Beschuldigte turvereins“ in Stuttgart sowie der Wohnung des Vorsitzen-
Nadir Y. häufig die Räumlichkeiten des Vereins, „der Anlauf- den Ali G. statt. Sie erfolgen auf Antrag der Staatsanwalt-
stelle der PKK-Sympathisanten“, aufsuche. Nach Auffas- schaft vom 17. November 2004. Mithilfe dieser Maßnahme
sung des Gerichts wäre eine weitere Sachaufklärung ohne sollen Gegenstände sichergestellt werden, „die als Beweis-
Durchsuchungsanordnung „zumindest wesentlich mittel im Zusammenhang mit einer Tätigkeit des Beschul-
erschwert“ worden. Necati L. und Nadir Y. befinden sich digten für den KONGRA-GEL bzw. die PKK bzw. den KADEK
seit ihrer Festnahme in Untersuchungshaft; Abdulrahman von Bedeutung sein könnten“.
ist wegen „illegalen“ Aufenthalts in der BRD in die JVA
Büren verbracht worden. Dezember
Das Landeskriminalamt Thüringen und der Verfassungs-
14. Dezember schutz geben ein Flugblatt in türkischer Sprache heraus,
Ohne richterlichen Beschluss haben 20 bis 25 Polizeibe- das an alle ausländischen Vereine des Landes verteilt wird
amte am Nachmittag die Räume des „Mesopotamischen und zur Denunziation aufruft: „KONGRA-GEL, Nachfolger
Jugend- und Kulturhauses“ in Leverkusen durchsucht und von PKK und KADEK, hat eine Spendenkampagne gestar-
die Personalien aller Anwesenden aufgenommen. Ein tet. Wie bekannt, ist KONGRA-GEL in Deutschland verbo-
Beweissicherungsteam der Polizei hat zudem alle Räume ten. Jede Art der Unterstützung wird als Unterstützung
kontrolliert und fotografiert. Gegenüber dem „Leverkuse- einer illegalen Organisation bewertet und das ist laut
ner Stadt-Anzeiger“ erklärt Wilhelm Krabbe, Leiter des Gesetz strafbar.“
Staatsschutz-Kommissariats Köln, ein Durchsuchungsbe-
fehl sei nicht nötig gewesen, weil die Razzia aufgrund §12
Polizeigesetz stattgefunden habe. Danach dürfe die Polizei
die Identität von Personen feststellen, die sich an Orten
aufhalten, die die Annahme rechtfertigen, dass dort „Straf-
taten von erheblicher Bedeutung verabredet, vorbereitet
oder geplant“ würden. Der Kripo sei im November eine
Straftat im Zusammenhang mit einer laufenden Spenden-
aktion gemeldet worden.

2005
3. Januar 22. Januar
Das Regierungspräsidium Gießen gibt öffentlich bekannt, Dr. Remzi Kartal, ehemaliger Abgeordneter der pro-kurdi-
dass dem Kurden Selahaddin T., einem Vater von fünf Kin- schen Demokratie-Partei (DEP), wird auf der Bahnfahrt
dern, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder entzogen nach Nürnberg von der deutschen Polizei festgenommen.
worden sei. Hierbei beruft sich die Behörde auf ein ent- In Nürnberg wollte der kurdische Politiker an einer Kultur-
sprechendes Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom veranstaltung teilnehmen. Die Festnahme erfolgte vor
November 2004. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof dem Hintergrund eines Auslieferungsersuchens der Türkei,
bestätigte in seinem Urteil sowohl die Entscheidung des die behauptet, er sei Mitglied einer „terroristischen Vereini-
Regierungspräsidiums vom Juli 2003 als auch des Verwal- gung“ und habe am Umbau der PKK mitgewirkt. Er wird in
tungsgerichts (VG) Gießen vom 3. Mai. Begründet wird Auslieferungshaft genommen.
dies im Wesentlichen damit, dass Selahaddin T. „eine fal-
sche Loyalitätserklärung abgegeben“ habe. Er sei „Mitglied 8. Februar
im Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein und in des- Nur wenige Wochen nach der Festnahme von Dr. Remzi
sen Vorstand tätig gewesen“. Der Verein wiederum sei „in Kartal, wird Ismet A., langjähriges Mitglied des Kurdischen
der YEK-KOM organisiert“ und „der PKK zuzurechnen“. Der Nationalkongresses (KNK), in Berlin fest- und am folgen-
Verein müsse „als von der PKK beeinflusst und gesteuert“ den Tag in U-Haft genommen. Die BAW wirft ihm vor, von
angesehen und dessen „Aktivitäten als PKK-Aktivitäten Juni bis Dezember 2001 „dem Funktionärskörper der
qualifiziert“ werden. Weil der Kurde an „Volksversammlun- Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) angehört“ und sich als
gen des PKK-Gebiets Gießen sowie weiteren PKK-nahen „Mitglied an der dort bestehenden kriminellen Vereini-
Aktivitäten teilgenommen“ habe, „sei die erfolgte Einbür- gung beteiligt zu haben“ (§ 129 StGB). Er soll für die „PKK-
gerung rechtswidrig“ gewesen und „könne zurückgenom- Region Nord-West“ (Hamburg, Bremen, Kiel und Olden-
men werden“, zumal er durch die Beibehaltung der türki- burg) verantwortlich gewesen sein. Der Haftbefehl des
schen Staatsangehörigkeit nicht staatenlos würde. Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof datiert vom
13. April 2004. Ismet A. wurde 1996 in Griechenland als
politischer Flüchtling anerkannt.

30 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


4. März offensichtlich in dem Revisionsverfahren schärfer und
Mehmet B., im Januar 2005 in Hannover festgenommen, betonte die „latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung
wird an die Niederlande ausgeliefert. Die Behörden werfen des Terrorismus“. Der Fall muss deshalb vom Verwaltungs-
dem Kurden vor, als „international gesuchter Funktionär gerichtshof München neu aufgerollt werden. Es sei nicht
der kurdischen Arbeiterpartei PKK“ in den Niederlanden geklärt worden – so die Leipziger Richter – wer jene
tätig gewesen zu sein. Um ihn dort strafrechtlich verfolgen Demos veranstaltet habe und wie gefährlich die Aufrufer
zu können, hatte die Staatsanwaltschaft Arnheim einen gewesen seien und ob die Kurdin wirklich teilgenommen
Europäischen Haftbefehl beantragt. habe. Diese habe zwar ihre Unschuld beteuert, sich aber
mit keinem Wort von der PKK distanziert. Auch in diesem
8. März Punkt müsse das Münchener Gericht Klarheit schaffen.
Die Wohnungen des Vorstandsvorsitzenden und weiterer
Vorstandsmitglieder sowie die Räume des Kurdisch-Deut- 6. April
schen Solidaritätsvereins in Magdeburg werden durch- Die Räume des erst kürzlich neu gegründeten kurdischen
sucht. Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln gegen die Kulturzentrums in Salzgitter sowie die Wohnung des Vor-
Kurden wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz. Sie sitzenden, Zahir Güleryüz, werden durchsucht. Die Polizei
sollen im Rahmen einer Spendenkampagne Gelder einge- beschlagnahmt Fotos von Newroz-Veranstaltungen sowie
sammelt und diese an die PKK bzw. an die von den Straf- mehrere Aktenordner. Begründet wird die Durchsuchung
verfolgungsbehörden behaupteten Nachfolgeorganisatio- damit, dass im vorherigen Verein Exemplare der in
nen abgegeben und so gegen das PKK-Verbot verstoßen Deutschland verbotenen Zeitschrift „Serxwebûn“ (Unab-
haben. hängigkeit) gefunden worden seien.

16. März 17. April


Die „Leipziger Volkszeitung“ berichtet, dass die bayeri- Am Sonntag wollten sich die Mitglieder des Deutsch-Kur-
schen Behörden die Kurdin Gönül K. für eine „indirekte Ter- dischen Freundschaftsvereins in Dresden zu dessen
ror-Helferin“ halten. Der seit ihren Kindertagen in Deutsch- Jahreskongress treffen. Auf dieser jährlich stattfindenden
land lebenden 34-Jährigen wurde eine dauerhafte Veranstaltung finden Vorstandswahlen statt, werden
Aufenthaltserlaubnis verweigert. Die Behörden wollen Beschlüsse zum künftigen Arbeitsprogramm des Vereins
stattdessen stets neu über ihr Verbleiben in Deutschland gefasst sowie über allgemeine Probleme und Themen dis-
entscheiden. Laut Verfassungsschutz soll sie an einer Reihe kutiert. Noch vor Beginn des Kongresses tauchen plötzlich
von Demonstrationen „im Umfeld der verbotenen Kurden- Polizeikräfte auf und durchsuchen die Räumlichkeiten des
Partei PKK“ teilgenommen haben. Bayerns oberste Verwal- Kulturzentrums und nehmen alle anwesenden 25 Perso-
tungsrichter hatten jedoch zugunsten von Gönül K. ent- nen zwecks ED-Behandlung vorläufig fest. Ein Kurde wird
schieden: Eine bloße Teilnahme an Demonstrationen verhaftetet, der sich seitdem in U-Haft befindet. Bei den
bedeute nicht schon eine Unterstützung der PKK. Der 1. Festnahmen geht die Polizei brutal vor. Alle Betroffenen
Senat des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig urteilt müssen sich auf den Boden legen; ihnen werden mit auf

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 31


den Rücken verschränkten Armen Handfesseln angelegt. 16. Juni
Der Protest des Vereinsvorsitzenden Tacim Bayramoglu, Der 28-jährige Taylan S. wird unmittelbar, nachdem ihn
man möge die anwesenden Kinder nicht dieser Situation das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz wegen „Mitglied-
aussetzen, wird mit Schlägen beantwortet: „Als ich eingrei- schaft in einer kriminellen Vereinigung“ (§129 StGB) zu
fen wollte, haben sie mir ein paar Fausthiebe versetzt. einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung verurteilt
Herzkranke wurden geschubst und drei Personen beson- hat, aus der JVA in Koblenz in die „Gewahrsamseinrichtung
ders brutal geschlagen.“ für Ausreisepflichtige“ nach Ingelheim verbracht. Am 23.
Juni wird er zwecks Ausstellung von Ausreisedokumenten
April zwangsweise dem türkischen Konsulat vorgeführt. Er hat
Im Asylverfahren eines Kurden lehnt das Bundesamt für sich jedoch geweigert, die Papiere zu unterschreiben. Seit
Migration und Flüchtlinge (BA) die Durchführung eines dem 17. Juni 2005 befindet sich Taylan S. im Hungerstreik.
weiteren Asylverfahrens ab und erklärt eine günstigere
Asylentscheidung für ausgeschlossen. Der Betroffene Juli
hatte in seiner Anhörung im Jahre 2001 ausgeführt, als Wegen seiner Vorstandstätigkeit für das Kulturzentrum
Heranwachsender die PKK unterstützt zu haben, indem er Kurdistan in Ludwigsburg und Mannheim in der Zeit von
Nahrungsmittel in die Berge gebracht habe. In seiner 1998 bis 2001, wurde einem irakischen Kurden vom Ober-
ablehnenden Begründung widmet sich das BA u. a. in verwaltungsgericht (OVG) Koblenz eine Einbürgerung ver-
einer längeren Passage dem im Juli 2003 in der Türkei ver- wehrt. Die Ablehnung begründete das Gericht damit, dass
abschiedeten „Gesetz zur Wiedereingliederung in die das Kulturzentrum eine Agitationsplattform für die verbo-
Gesellschaft“, auch Reuegesetz genannt, das „mit Blick auf tene PKK und deren Nachfolgeorganisationen bilde. Der
die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen“ erlassen wor- Kurde habe für den Verein außerdem Mahnwachen,
den sei. Deshalb habe er bei Rückkehr in die Türkei nichts Demonstrationen und Hungerstreiks organisiert und auf
zu befürchten. diese Weise die Organisationen unterstützt. Eine Revision
gegen dieses Urteil hat das OVG nicht zugelassen. Die Aus-
4. Mai länderbehörde hatte den Antrag des Kurden auf Einbürge-
Laut einem Grundsatzurteil des Oberverwaltungsgerichts rung vor fünf Jahren abgelehnt und vom Verwaltungsge-
(OVG) Münster sind Angehörige der kurdischen Minder- richt Neustadt a.d.W. Recht bekommen.
heit in der Türkei keiner an ihre Volkszugehörigkeit
anknüpfenden Gruppenverfolgung ausgesetzt. Damit Dem kurdischen Politiker Halit Y., der am 15. März 2004 aus
bestätigt das Gericht frühere Urteile, nach dem allein die der Haft entlassen und dessen Reststrafe zu einer 4-jähri-
Tatsache, der Volksgruppe der Kurden anzugehören, kei- gen Bewährungszeit ausgesetzt wurde, war der Aufent-
nen Asylanspruch in Deutschland begründe. Nach Auffas- haltsstatus aberkannt worden. Die von ihm daraufhin neu
sung des OVG gebe es zwar weiterhin Folter in der Türkei, beantragte Aufenthaltserlaubnis nach §25 Abs. 3 Auf-
doch habe die Menschenrechtslage „wichtige Verbesse- enthG wurde vom Oberbürgermeister der Stadt H. abge-
rungen erfahren“. lehnt. Halit Y. war im Juli 2001 verhaftet und ein Jahr spä-
ter wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung
9. Mai (§129) in Verbindung mit einem früheren Verfahren nach
Im Neubau der Nebenstelle des Oberlandesgerichts (OLG) §129a zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten
in Düsseldorf beginnt der Prozess gegen die beiden kurdi- verurteilt worden.
schen Politiker Hasan A. und Vehbi A.
Ihnen wird vorgeworfen, in dem Zeitraum 2001, 2003 bzw. Juli
2004 dem „Funktionärskörper“ der PKK angehört zu haben Der vor acht Jahren mit seiner Familie in die Türkei abge-
und als Leiter verschiedener „PKK-Regionen“ tätig gewe- schobene Kurde Ahmet Karakus erhielt nach seiner kürz-
sen zu sein. Vehbi A. wird vom Generalbundesanwalt lich erneuten Flucht in die Bundesrepublik einen Bescheid
(GBA) außerdem beschuldigt, die Bestrafung eines „ehe- des Regierungspräsidiums Karlsruhe: Darin wird er aufge-
maligen, abtrünnigen PKK-Kaders“ angeordnet zu haben. fordert, die damals angefallenen Abschiebekosten von
Hasan A. war am 2. Mai 2004 in Düsseldorf und Vehbi A. 4393,16 Euro – davon 4039,93 Euro für die Begleitung der
am 25. Mai 2004 in Unna festgenommen worden. Abgeschobenen von Stuttgart nach Izmir durch zwei BGS-
Beamte – zu zahlen. Die Abschiebung der 9-köpfigen
7. Juni Familie sorgte seinerzeit in der Öffentlichkeit für Aufsehen:
Nadir Y. wird vom Landgericht Dortmund wegen des Ver- Die Beamten hatten gegen den Willen der Familie in der
stoßes gegen das Vereinsgesetz zu einer Freiheitsstrafe Wohnung der Kurden gefundene politische Dokumente
von 2 Jahren ohne Bewährung verurteilt. Die Staatsanwalt- an die türkische Polizei übergeben. Das führte dazu, dass
schaft hatte 2 Jahre und 6 Monate beantragt. Gegen das der Familienvater vom Staatssicherheitsgericht Izmir
Urteil wurde Revision eingelegt. Der 46-Jährige war am 14. wegen Unterstützung der verbotenen PKK zu 3 Jahren
Dezember 2004 in Duisburg festgenommen worden und und 9 Monaten Haft verurteilt worden war, von denen er
befindet sich seitdem in Haft. mehr als 2 Jahre in der Türkei absitzen musste. Karakus ist
während der Verhöre gefoltert worden und hatte in der
Haftzeit schwere gesundheitliche Schäden erlitten.

32 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


August ließ Bundesinnenminister Otto Schily neben zwei islami-
Der Kurde B.P. ist angeklagt, im Juli 2003 in einem kurdi- schen Vereinen, mehrere kurdische Institutionen verbie-
schen Verein Busfahrkarten zu einer Demonstration mit ten. Darunter die in Neu-Isenburg bei Frankfurt/ M. ansäs-
folgendem Text verkauft zu haben: „Wir als kurdisches Volk sige E. Xani Presse- und Verlags GmbH, in der seit über 10
rufen die internationale und humanistische Öffentlichkeit, Jahren die prokurdische Zeitung „Özgür Politika“ („Freie
die Freunde der Kurden und 10 000 in den kurdischen Ber- Politik“) erscheint. Neben den Verlags- und Firmenräumen,
gen befindliche Guerillas des KADEK, die Teil einer demo- wurden auch die Wohnungen aller angestellten, der freien
kratischen und friedlichen Lösung sind, auf, uns und die und zahlreicher ehemaliger Mitarbeiter/innen durchsucht.
Kampagne für eine Generalamnestie für alle politischen Zeitgleich führten die Polizeibeamten eine Razzia in den
Gefangenen, die zu Tausenden in den türkischen Gefäng- Räumlichkeiten der Nachrichten-Agentur MHA (Mezopo-
nissen sitzen, zu unterstützen. Dieser wichtige Schritt dient tamia Haber Ajansi) in Neu-Isenburg durch, die Schily
dem gesellschaftlichen Frieden und einer friedlichen ebenfalls verbieten ließ. Sämtliche Arbeitsmittel und -
Lösung. An dieser Demonstration sollten alle patrioti- Unterlagen wurden beschlagnahmt sowie das Vermögen
schen, revolutionären und demokratischen Freunde teil- des E. Xani Presseverlags zugunsten des Bundes eingezo-
nehmen.“ Laut Anklage soll es hierbei zu Einschüchterun- gen. Schily rechtfertigte das Verbot der einzigen in Europa
gen gekommen sein, als zwei Personen sich geweigert erscheinenden kurdischen Tageszeitung mit deren angeb-
hätten, Tickets zu kaufen. Außerdem ist dem Kurden vor- licher Eingebundenheit „in die Gesamtorganisation der
geworfen worden, in einem bestimmten Zeitraum im PKK“.
Jahre 2003 eine Reihe Exemplare der Zeitschriften
„Serxwebûn“, „Sterka Ciwan“ sowie „Jina Serbilind“ ver- September
kauft zu haben. Das Amt für Ausländerwesen einer norddeutschen Stadt
teilt einem Kurden, der einen Antrag auf Einbürgerung
17. August gestellt hatte, Ende August mit, dass er „im Moment nicht
Wie der Generalbundesanwalt (GBA) in einer Presseerklä- eingebürgert werden“ könne, weil bei ihm aufgrund vor-
rung mitteilt, hat er Anklage erhoben gegen den 40-jähri- gelegter Unterlagen des Landesamtes für Verfassungs-
gen kurdischen Politiker Ismet A., dem Mitgliedschaft in schutz „Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche oder
einer „kriminellen Vereinigung“ (§129 StGB) vorgeworfen extremistische Betätigung“ vorliege. Danach sei er „Funk-
wird. So soll er seit 2001 bis zum Mai 2004 als Mitglied des tionär der YEK-KOM“, hinter der der „Volkskongress Kurdis-
„Funktionärskörpers der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)“ tans“ (KONGRA-GEL) stehe. Und dieser sei „im April 2004
bzw. des Freiheits- und Demokratiekongresses (KADEK) vom Rat der Europäischen Union als terroristische Organi-
bzw. des „Volkskongresses Kurdistans (KONGRA-GEL)“ ver- sation auf die sogenannte EU-Terrorliste gesetzt“ worden.
schiedene Gebiete in Deutschland verantwortlich geleitet Außerdem sei er vor einigen Jahren zum Vorsitzenden
haben. Konkrete Strafvorwürfe sind der GBA-Mitteilung eines „PKK-nahen“ Kulturzentrums gewählt worden.
ansonsten nicht zu entnehmen. Es kann vermutet werden,
dass es sich in diesem Fall um ein klassisches §129-Verfah- Die Behörde einer süddeutschen Stadt hat einem Kurden
ren handeln dürfte, in dem die Mitgliedschaft in einer als die Einbürgerung wieder entzogen, weil er im Rahmen der
kriminell eingestuften Organisation für eine Anklage nach Identitätskampagne „Auch ich bin PKK/ler“ im Jahre 2001
§129 ausreicht. Der Prozess wird vor dem Staatsschutzse- die Selbstbezichtigungserklärung unterschrieben und weil
nat des Oberlandesgerichts Stuttgart stattfinden. er in der Vergangenheit Plakate für eine in der Türkei ver-
botene linke Organisation geklebt haben soll. Diese politi-
17. August sche Betätigung sei laut Behörde „geeignet, die Beziehun-
Gegen Hasan A. wird vor dem OLG Frankfurt/M. verhan- gen der Bundesrepublik Deutschland zur Türkei nachhaltig
delt. Laut Mitteilung der Bundesanwaltschaft erhebt diese zu beeinträchtigen“ und gefährde deren „auswärtigen
Anklage gegen einen weiteren Kurden. Hasan A. wird Mit- Belange“. Es liege „nicht im Interesse der Bundesrepublik
gliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§129 StGB) Deutschland“, die deutsche Staatsangehörigkeit „an Perso-
vorgeworfen. Die BAW beschuldigt ihn, als Führungsfunk- nen zu verleihen, die die innere oder die äußere Sicher-
tionär der PKK von 1999 bis 2001 der „Nationalen Befrei- heit“ der BRD „oder eines deutschen Landes gefährden.“
ungsfront Kurdistans“ (ERNK) und der im Mai 2000 umbe- Ein Einbürgerungshindernis liege vor, „wenn sich der Ein-
nannten „Kurdischen Demokratischen Volksunion“ (YDK) bürgerungsbewerber in politisch-extremistischen Organi-
angehört zu haben. Sein Verfahren wird vor dem Staats- sationen betätigt“. Gegen den Bescheid der Behörde hat
schutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt/M. der Verteidiger des Mandanten einstweiligen Rechtsschutz
stattfinden. Der 48-Jährige wurde am 4. Februar 2005 auf beantragt.
dem Flughafen in Frankfurt/M. festgenommen und befin-
det sich seither in Untersuchungshaft.

5. September 18. Oktober


Der Feier von Mitarbeiter/innen und Gästen am 28. August Halil D. wird aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungs-
zum Start in den 11. Jahrgang der Zeitung „Özgür Politika“ richters beim Bundesgerichtshof (BGH) vom 20. Septem-
folgte ein böses Erwachen. Denn nur wenige Tage später ber durch BKA-Beamte am Hauptbahnhof in Darmstadt

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 33


festgenommen. Laut Bundesanwaltschaft (BAW) wird ihm 15. November
zur Last gelegt, „seit Januar 2000 unter dem Decknamen Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart beginnt der
‚Sefkan’ als Verantwortlicher des ‚Wirtschafts- und Finanz- Prozess gegen den kurdischen Politiker Ismet A. Ihm wirft
büros’ der ‚Nationalen Befreiungsfront Kurdistans’, ERNK, die Anklage vor, Mitglied in einer kriminellen Vereinigung
ab Mai 2000 der ‚Kurdischen Demokratischen Volksunion’, (§129 StGB) gewesen zu sein und als „mutmaßlicher Füh-
YDK, ab Juni 2004 der ‚Demokratischen Vereinigung der rungsfunktionär der PKK-KONGRA-GEL“ von Juli 2001 mit
Kurden’, CDK, tätig gewesen zu sein.“ Er sei dringend ver- Unterbrechungen bis Mai 2004 diverse Regionen der BRD
dächtig, sich als „Rädelsführer“ der PKK, in der BRD einge- geleitet zu haben. Der Beschuldigte befindet sich seit dem
stuft als kriminelle Vereinigung, beteiligt zu haben. Die in 8. Februar 2005 in Untersuchungshaft. An diesem Tag war
dem vorgenannten Finanzbüro eingesetzten „Führungska- er aufgrund des Haftbefehls des Bundesgerichtshofes
der“ würden – so die BAW – „sämtliche Finanzabläufe“ kon- (BGH) vom 13. April 2004 in Berlin verhaftet worden.
trollieren und über die Verwendung der „zur Verfügung
stehenden Gelder“ entscheiden. Somit sei die Tätigkeit des November
„führenden Funktionärskörpers“ in diesem Bereich „von Emin B. erhält eine Mitteilung des Bundesamtes für Migra-
existentieller Bedeutung“. tion und Flüchtlinge, in der es u. a. heißt: „Die Situation in
Ihrem Herkunftsland hat sich zwischenzeitlich geändert.
Oktober Vor dem Hintergrund der in der Türkei durchgeführten
Einem Kurden, dem wegen angeblich „erschlichener“ Ein- Reformen und der im Jahre 2005 veränderten Lage findet
bürgerung (er hatte seine Beteiligung an der sog. Identitätskampagne nicht eine politische Verfolgung zum heutigen Zeitpunkt nicht
angegeben, weil er dieser keine Bedeutung für das Einbürgerungsverfahren beige- mehr statt.“ Daher werde beabsichtigt, „Ihre Anerkennung
messen hatte, Azadi) die deutsche Staatsangehörigkeit wieder als Asylberechtigter zu widerrufen und festzustellen, dass
entzogen wurde, soll nunmehr nach Auffassung der auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 Aufent-
zuständigen Ausländerbehörde auch sein früherer Status haltsgesetz (AufenthG) vorliegt.“
als anerkannter Flüchtling aberkannt werden. Sie weigert
sich derzeit, ihm den entsprechenden Flüchtlingsausweis November
zurückzugeben und verlangt, er solle sich in der Türkei Auch der Antrag des Kurden I. auf Einbürgerung war von
wieder einbürgern lassen (!) und sodann einen türkischen den Behörden und dem zuständigen Verwaltungsgericht
Pass vorlegen. Seinen Arbeitsplatz hat der Betroffene wegen politischer Betätigung abgelehnt worden. Eine
durch die Ausbürgerung verloren. Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde durch das
Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW zurückgewiesen. Die
Gerichte vertreten die Auffassung, dass Gründe zur Ableh-

34 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


nung einer Einbürgerung auch „Unterstützungshandlun- tigt, „für das Anbringen von Fahnen der o.g. Organisatio-
gen“ seien, welche „im asylrechtlichen Sinne unterhalb der nen sowie von Bildnissen Öcalans und von kurdischen
Schwelle des Terrorismusvorbehalts und auch unterhalb Freiheitskämpfern in den Räumlichkeiten des Kurdisch-
derjenigen einer exponierten exilpolitischen Betätigung Deutschen Freundschaftsvereins Erfurt e.V.” verantwortlich
liegen.“ Hierzu zählt in diesem Fall zum einen die Beteili- zu sein. Auch soll der Vereinsvorsitzende in diesen Räum-
gung des Kurden an einer 10 Jahre zurückliegenden, vom lichkeiten „Propagandamaterial der PKK/KONGRA-GEL“
örtlichen kurdischen Verein organisierten Demonstration ausgelegt haben.
„als Unterstützungshandlung für die PKK“, weil dieser „von
einer teilweisen eindeutig der PKK zuzuordnenden Vor- 13. Dezember
standschaft geführt“ worden sei. Außerdem habe der Klä- Auf Anordnung des Amtsgerichts Bamberg werden die
ger ein Transparent getragen, „auf dem die Türkei als Mör- Räumlichkeiten des „Internationalen Kulturzentrums“ e.V.
derstaat bezeichnet war“. Als Träger dieses Transparentes in Aschaffenburg als auch die Privatwohnung des Vereins-
sei er in der Heilbronner Zeitung „identifizierbar abgebil- vorsitzenden, Salih A., durchsucht und zahlreiche Gegen-
det“ gewesen und auf dieser Grundlage vom Verwaltungs- stände beschlagnahmt. Nach Auffassung des Gerichts
gericht Stuttgart als Asylberechtigter anerkannt worden. habe der Verdacht bestanden, „dass der Beschuldigte in
seiner Eigenschaft als 1. Vorsitzender des Vereines Propa-
Auch die kurdischen Eheleute B. und C.A. werden durch gandamaterial, insbesondere die Zeitschriften Serxwebûn
das OVG NRW negativ beschieden. Danach dürfe „ein der verbotenen PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen
öffentliches Interesse an der Einbürgerung schon dann KADEK und KONGRA GEL zur Verbreitung im Inland bereit
ermessensgerecht verneint werden“, wenn sich ein Ein- hält, um dadurch den organisatorischen Zusammenhalt
bürgerungsbewerber auch „in weniger herausgehobener der vorgenannten verbotenen Vereinigungen zu unter-
Weise für die Ziele einer verfassungsfeindlichen Organisa- stützen.“ Zudem soll er „Spenden für die genannten Orga-
tion einsetzt oder sie auch nur durch Finanzierung oder nisationen“ gesammelt haben.
Teilnahme an Veranstaltungen unterstützt.“ Eine „Unter-
stützungshandlung“ durch Unterzeichnung der Identitäts- Polizeikräfte haben auf Anordnung des Amtsgerichts
kampagne alleine erfülle „grundsätzlich den Ausschluss- Frankfurt/M. die Räumlichkeiten des Vereins „Kurdistan
tatbestand“ und lasse einen Einbürgerungsanspruch Beratungs- und Informationszentrum Darmstadt e.V.“
entfallen. Es sei denn, „der Ausländer macht im Einzelfall durchsucht und hierbei erheblichen Sachschaden ange-
glaubhaft, dass er sich von der Unterstützung derartiger richtet. Außerdem fanden Razzien in den Privatwohnun-
Bestrebungen abgewandt hat.“ Das OVG teilte die Auffas- gen zweier Vereinsverantwortlicher statt, denen vorge-
sung des zuständigen Verwaltungsgerichts, wonach zur worfen wird, „Spendengelder für die verbotene PKK bzw.
„Feststellung der Verfassungsfeindlichkeit der Bestrebun- deren Nachfolgeorganisationen KONGRA-GEL zu akquirie-
gen der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen keine ren und Propagandamaterial zu verbreiten.“ Es wurden
neuerlichen terroristischen Aktivitäten dieser Organisatio- Bücher, Plakate, Computer, Zeitschriften und Vereinsunter-
nen“ hätten ermittelt werden müssen. lagen sichergestellt.

20. Dezember Dezember


Der kurdische Politiker Ismet A. wird vom Oberlandesge- Vom Amt für Ausländer- und Einbürgerungswesen einer
richt (OLG) Stuttgart zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und nordrhein-westfälischen Kleinstadt erhielt die kurdische
6 Monaten auf Bewährung verurteilt und der Haftbefehl Jugendliche Deniz K. die Ablehnung ihrer im Oktober
aufgehoben. Ihm war vorgeworfen worden, als Mitglied in 2001 beantragten Einbürgerung. In ihrer Begründung
einer „kriminellen“ Vereinigung (§129 StGB) im Zeitraum legte die Behörde dar, dass die Antragstellerin zwar eine
von Juni bis Dezember 2001 die PKK-Region „Nordwest“ Loyalitätserklärung unterschrieben habe, während der
geleitet zu haben, was vom Angeklagten im Laufe des Pro- Bearbeitung des Antrags aber bekannt geworden sei, dass
zesses eingeräumt wurde. Ismet A. ist in Griechenland als sie „sich im Jahre 2003 als (ausschließlich für Jugendarbeit
asylberechtigt anerkannt. Der Politiker war am 8. Februar zuständiges) Vorstandsmitglied des kurdisch-türkisch-
2005 von Beamten des Landeskriminalamtes in Berlin fest- deutschen Freundschaftsvereins e.V. in S.“ betätigt habe,
genommen worden. der „nach hiesigen Erkenntnissen der YEK-KOM“ angehöre.
Hierbei handele es sich – nach Auffassung der Behörde –
7. Dezember „um einen Dachverband von kurdischen Vereinen und ist
Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen den Vorsit- nach seinem Selbstverständnis der legale politische Arm
zenden des Kurdisch-Deutschen Freundschaftsvereins in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), der Freiheits- und
Erfurt, Mehmet S.Ü., werden auf Anordnung des Amts- Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) sowie des Volks-
gerichts Erfurt/Thüringen dessen Privatwohnung und die kongress Kurdistan (KONGRAGEL).“
Vereinsräume durchsucht. Begründet wurde die
polizeiliche Maßnahme mit dem „Verdacht, dass sich der
Beschuldigte am Sammeln von Spenden für die mit einem
Betätigungsverbot belegte PKK bzw. deren Nachfolgeor-
ganisationen beteiligt” habe. Außerdem werde er verdäch-

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 35


2006
Anfang Januar 17. Januar
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble erklärt im Streit „Die EU hat diese Organisation auf ihre Terrorliste aufge-
um die Nutzung möglicher Foltergeständnisse in Strafver- nommen. Aber für uns ist das nicht akzeptabel,“ äußerte
fahren Anfang Januar gegenüber Bild am Sonntag u.a.: die Sprecherin des norwegischen Außenministeriums,
„Wir werden auch in Zukunft jeden Hinweis nutzen, den Anne Lene Dale Sandsten, gegenüber der kurdischen
wir bekommen können. […] Wenn wir für Informationen Nachrichtenagentur ANF. Das Außenamt verfolge die Ent-
anderer Nachrichtendienste eine Garantie übernehmen wicklungen in der kurdischen Frage sehr genau und stehe
müssen, dass sie unter Wahrung rechtsstaatlicher Prinzi- in Kontakt mit verschiedenen kurdischen Gruppen. Die
pien zu Stande gekommen sind, können wir den Betrieb norwegische Regierung bewerte die PKK oder den KON-
einstellen.“ Der FDP-Innenexperte Max Stadler hingegen GRA-GEL keineswegs als terroristisch. „Um sich eine Mei-
forderte ein „uneingeschränktes“ Folterverbot. Petra Pau, nung über diese Organisationen bilden zu können,
Fraktionsvize der Linksfraktion warf Schäuble eine „immer müssen wir zu einem direkten Meinungsaustausch zusam-
größer werdende Distanz zum Grundgesetz“ vor und der menfinden. Erst dann können wir ein Urteil fällen.“ In einer
grüne Abgeordnete Volker Beck erklärte, dass menschen- von 20 norwegischen Persönlichkeiten initiierten Petition
rechtswidrige Behandlung und Folter eindeutig abgelehnt wird die EU aufgefordert, die PKK von der „Terrorliste“ zu
werden müssen, was auch „in der Kooperation mit ande- nehmen. Zudem hatte sich das Komitee der Freunde des
ren Ländern immer deutlich“ zu sein habe. kurdischen Volkes wegen finanzieller Unterstützung des
KONGRA-GEL selbst angezeigt.
Januar
Im Hinblick auf die Menschenrechts-Bilanz 2005 gibt der 19. Januar
Europäische Gerichtshof keine positive Einschätzung zur Am 23. September 2005 war ein Brand in einem Hambur-
Menschenrechtssituation in der Türkei. Erika Steinbach, ger Geschäft ausgebrochen. Der Besitzer hatte umgehend
Sprecherin für Menschenrechte in der CDU/CSU-Bundes- die PKK als Verursacherin beschuldigt. Nach umfangrei-
tagsfraktion erklärte hierzu am 24. Januar u.a.: „Besorgnis chen Ermittlungen durch das Landeskriminalamt, infor-
erregend ist die Verteilung der Gerichtsurteile nach Län- miert die Pressestelle der Polizei die Öffentlichkeit darüber,
dern: die Türkei führt die Liste der Urteile gegen Länder dass die Behauptung des Ladeneigentümers widerlegt
wegen Menschenrechtsverletzungen an. So wurden worden sei. Nicht die PKK habe sein Geschäft angezündet,
gegen die Türkei insbesondere Urteile wegen eines unfai- sondern vielmehr er selbst gemeinsam mit Komplizen, die
ren Verfahrens gegen den inhaftierten Kurdenführer wegen des Verdachts der schweren Brandstiftung und Ver-
Abdullah Öcalan sowie wegen Verstößen gegen das Fol- sicherungsbetrug in Haft genommen wurden.
terverbot, das Recht auf Leben sowie das Recht auf Mei-
nungsfreiheit gefällt. Momentan sind noch 9600 Verfahren 21. Januar
gegen die Türkei anhängig. […] Wegen des Verdachts angeblicher Verstöße gegen das Ver-
einsgesetz (Spendensammeln für PKK/KONGRA-GEL), wer-
13. Januar den durch ein polizeiliches Großaufgebot kurdische
Zum ersten Mal wegen Mitgliedschaft in einer ausländi- Vereine, private Wohnungen von Vorstands- oder Vereins-
schen als terroristisch eingestuften Organisation (§ 129b mitgliedern und Geschäftsräume in Osnabrück und Biele-
StGB) wurde ein Iraker zu einer Freiheitsstrafe von sieben feld durchsucht. Es kommt zu einigen Festnahmen sowie
Jahren verurteilt. Das Oberlandesgericht (OLG) München umfangreichen Beschlagnahmungen von Vereinsunterla-
sieht es als erwiesen an, dass er als Mitglied der Organisa- gen, Zeitschriften oder sonstigen – auch privaten – Doku-
tion Ansar al-Islam sog. Gotteskrieger angeworben, Land- menten und Materialien. Tahir K. berichtet, dass er und
leute nach Europa geschleust und Geld beschafft habe. weitere Personen, die sich an diesem Tag auf einer Fahrt
Laut Angaben der Frankfurter Rundschau vom 13. Januar nach Bielefeld befanden, an einer Ampel durch Polizeifahr-
werden bisher 63 Ermittlungsverfahren nach dem seit zeuge der Weg versperrt worden sei, sie aus seinem Auto
August 2002 geltenden §129b bei der Bundesanwalt- gezerrt und zu Boden geworfen wurden. Man habe ihnen
schaft (BAW) geführt. einen Sack über den Kopf gezogen, sie in Handschellen
gelegt und ins Polizeipräsidium verbracht, wo sie ED-
16. Januar behandelt und nach mehreren Stunden wieder freigelas-
Die prokurdische Zeitung „Özgür Politika“, die der dama- sen worden seien.
lige Bundesinnenminister Otto Schily am 5. 9. 2005 verbie-
ten ließ, erscheint unter dem (neuen) Namen Yeni (Neue) 3. Februar
Özgür Politika. Das Bundesverwaltungsgericht hatte mit Nach einer Verfahrensdauer von 9 Monaten endet der Pro-
Entscheidung vom 18.10.2005 die erlassene Verbotsverfü- zess gegen die kurdischen Politiker Hasan A. und Vehbi A.
gung aufgehoben. Das beschlagnahmte Vermögen sowie Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf verurteilte sie
alle beschlagnahmten Arbeitsmaterialien von Verlag und wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung
Redaktion mussten wieder zurückgegeben werden. (§129) zu Freiheitsstrafen von 2 Jahren und 9 Monaten

36 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


bzw. 2 Jahren und 4 Monaten. Der Haftbefehl von Vehbi A. schen Sicherheitskräften in verschiedenen Städten sind
wurde nach Urteilsverkündung aufgehoben. In persönli- annähernd 500 Menschen verletzt worden. Allein in Diyar-
chen Erklärungen hatten die Angeklagten eingeräumt, als bakir wurden von 566 festgenommenen Personen 354
Funktionäre des KONGRA-GEL politisch verantwortlich verhaftet, davon 82 Kinder.
tätig gewesen zu sein, weil sich dieser „die Demokratisie-
rung von Staat und Gesellschaft zum Ziel“ gesetzt habe 2. April
„gegen Nationalismus und religiösen Fanatismus“. Hiergegen demonstrieren Kurdinnen und Kurden weltweit
– so auch in München. Bei einer Kundgebung kommt es zu
28. Februar . Wie das Münchener Bündnis gegen Krieg und Rassismus
Auf Anordnung des Amtsgerichts Halle-Saalekreis werden mitteilt, hätten ohne Vorwarnung „schwarz uniformierte
die Wohnung von Abdulmenav G., dessen Geschäftsräume USK-Sonderkommandos“ die Veranstaltung gestürmt und
und Pkw sowie die Räume des Mesopotamien Kulturhau- hierbei „mehrere Teilnehmer zu Boden geworfen“ und
ses e.V. in Halle durchsucht. Laut Durchsuchungsbeschluss hierbei „Frauen an den Haaren“ gerissen. Zuvor hatte der
werde der Kurde verdächtigt, „regelmäßig Zeitschriften der Staatsschutz die Entfernung der „Bilder von 14 durch einen
verbotenen PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen am Giftgaseinsatz der Armee ermordeten Freiheitskämpfern“
Erscheinungsort abzuholen und weiter zu verteilen sowie gefordert. Einige Betroffene erstatteten Anzeige gegen die
in die Sammlung von Spendengeldern für die PKK einge- Polizei.
bunden zu sein.“ Abdulmenav G. wurde vorübergehend
festgenommen und ED-behandelt. 3. April
Die „mutmaßliche PKK-Funktionärin“ Gülay A. wird von
Anfang März BKA-Beamten in Berlin festgenommen. Sie soll laut BAW
In seinem Anfang März veröffentlichten vorläufigen als „professioneller Kader der PKK im Juli 1995 die Leitung
Bericht bezeichnet das Anti-Folter-Komitee des Europara- der Region Westfalen übernommen und eine führende
tes (CPT) die Bedingungen in deutschen Abschiebege- Rolle innerhalb der jeweils bis Mitte 1996 bestehenden
fängnissen als „völlig inakzeptabel“. Vor allem verstoßen terroristischen Vereinigung“ gehabt haben.
die Verhältnisse in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg
(Holstenglacis) gegen internationale Standards. Die dorti- 7. April
gen Zellen seien „schmutzig und heruntergekommen“, die Hasan A., der gemeinsam mit Vehbi A. am 3. 2. 2006 nach
Gefangenen seien 23 Stunden eingeschlossen und hätten §129 StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war,
fast nichts, „mit dem sie sich beschäftigen“ können. wird nach Strafverbüßung aus der Haft entlassen.

3. März Mai
Die Bundesanwaltschaft (BAW) erhebt Anklage gegen den Einen Monat nach einer genehmigten Kundgebung vor
kurdischen Politiker Halil D. Sie legt ihm zur Last, als hoher dem türkischen Generalkonsulat in Hürth bei Köln, erhält
Funktionär der PKK von 2000 bis zu seiner Festnahme am der Anmelder eine Vorladung zur Polizei, weil er angeblich
18.10.2005 für den Bereich „Wirtschafts- und Finanzbüro“ nicht eingeschritten sei bei Verstößen gegen das Vereins-
verantwortlich gewesen zu sein. Dieser Sektor sei „für den gesetz. Dazu habe das Mitführen von Kennzeichen verbo-
Bestand und die Tätigkeit des führenden Funktionärskör- tener Organisationen, die Benutzung von „PKK-Symbolen,
pers von existenzieller Bedeutung“. Der Prozess wird vor Parolen und Schriftzügen“ und insbesondere „das Ausru-
dem OLG Celle stattfinden. fen der Parole Biji Serok Apo“ gehört.

1. April 24. Mai


Um auf die eskalierende Situation in Kurdistan aufmerk- Amnesty International wirft in seinem Jahresbericht 2005
sam zu machen, demonstrieren etwa 400 Kurden in Bre- zahlreichen Regierungen vor, im „Krieg gegen den Terror“
men und veranstalteten in der Innenstadt ein kurzes fried- juristische Grundprinzipien fallen zu lassen: „Gewalt züch-
liches Sit-in. Gegen den Veranstalter und drei Demo- tet Gegengewalt und trägt nur dazu bei, die Spirale des
Teilnehmer erstattete die Polizei dennoch Anzeige wegen Terrorismus weiter zu schrauben“, sagte Generalsekretärin
des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz, weil sie „verbotene Barbara Lochbihler bei der Vorstellung des Berichts. Die
Parolen skandiert“ und „Öcalan-Bildnisse mitgeführt“ hät- Bundesregierung dürfe nicht zum „Profiteur von Folter“
ten. Außerdem sei es bei Personalienüberprüfung zu werden und deutsche Sicherheitsdienste müssten sich im
„Widerstandshandlungen“ gekommen, bei denen „ein Ausland von Gefangenenfolter distanzieren.
Beamter eine Bissverletzung“ erlitten habe.
2. Juni
Seit Ende März Vor dem OLG Celle wird das Hauptverfahren gegen den
Nach der Tötung von 14 Guerillakämpfern durch die türki- kurdischen Journalisten Halil D. eröffnet. Die BAW wirft
sche Armee, die bei ihrer Operation Giftgas eingesetzt ihm „Rädelsführerschaft in der PKK/KONGRA-GEL“ vor. Als
hatte, kam es bei Trauerfeiern in Diyarbakir zu Angriffen „hauptamtlicher Kader“ sei er vor allem für den Wirt-
von Polizei- und Sicherheitskräften. Bei Auseinanderset- schafts- und Finanzbereich der Organisation verantwort-
zungen zwischen der kurdischen Bevölkerung und türki- lich gewesen.

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 37


12. Juni Einschätzungen gestützt sind“, weise er „entschieden
Der 51jährige Kurde Hasan A. wird von Österreich an die zurück“. (ausführlich Azadî-infodienst Nr. 44/45)
deutschen Behörden überstellt und dem Ermittlungsrich-
ter beim Bundesgerichtshof vorgeführt. Er wird von der 26. Juli
Bundesanwaltschaft verdächtigt, von Mai 1993 bis April Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die
1994 für die PKK-Region Nordwest dem „Funktionärskör- Türkei wegen Verstoßes gegen die Pressefreiheit verurteilt.
per der PKK“ angehört zu haben und sich „als Mitglied an Der Chefredakteur der Zeitung Özgür Bakis war im Jahre
der damals bestehenden terroristischen Vereinigung 2000 wegen der Veröffentlichung eines Artikels und des
(§129a) beteiligt zu haben.“ Briefes eines PKK-Mitglieds im Zusammenhang mit dem
Prozess gegen Abdullah Öcalan zu 13 Monaten Haft verur-
Juli teilt worden, der Herausgeber zu mehreren Geldbußen.
Azadî werden etliche Ausweisungsandrohungen bekannt, Die Türkei wird angewiesen, 12 000 Euro Schmerzensgeld
weil Kurdinnen und Kurden entweder in YEK-KOM ange- zu zahlen.
schlossenen kurdischen Vereinen als Mitglieder oder im
Vorstand aktiv waren, eine im Jahre 2001 durchgeführte 8. August
Selbsterklärung „Auch ich bin PKKler“ unterschrieben oder Beamte des BKA nehmen den kurdischen Politiker Muzaf-
weil sie an „zahlreichen Veranstaltungen, Demonstratio- fer A. in Mannheim fest. Die BAW wirft ihm vor, seit Juli
nen und Kundgebungen mit PKK-Bezug“ teilgenommen 2005 als hauptamtlicher Kader der PKK bzw. des KONGRA-
haben. Die Ausländerbehörden behaupten durchgängig, GEL das südliche Bundesgebiet verantwortlich geleitet zu
dass YEK-KOM „eng mit der PKK verbunden“ sei, die Ver- haben. Er sei als mutmaßlicher „Rädelsführer“ im „Funktio-
eine das „Rekrutierungsumfeld“ darstellten und „zu einer närskörper“ der in der BRD als „kriminell“ eingestuften Ver-
Stärkung dessen latenten Gefährdungspotentials“ beitrü- einigung PKK beteiligt gewesen (§129). Muzaffer A., der
gen. Somit müssten Aktive als „Gefährder der inneren sich seit Jahrzehnten politisch, aber auch journalistisch in
Sicherheit“ eingestuft und ausgewiesen werden. zahlreichen Beiträgen, Analysen und Kommentaren für
einen Dialog und eine friedliche Lösung des kurdisch-tür-
6. Juli kischen Konflikts einsetzt, war wegen seines Engagements
Die BAW erhebt Anklage gegen den mutmaßlichen Funk- über 20 Jahre in türkischen Gefängnissen inhaftiert.
tionär der PKK, Hasan K., der am 12. Juni von Österreich
nach Deutschland überstellt worden war. Das Verfahren 9. August
wird vor dem Staatsschutzsenat des OLG Frankfurt/M. Der kurdische Journalist Riza Erdogan wird in Duisburg
geführt werden. Die BAW wirft ihm Mitgliedschaft in einer festgenommen. Wegen seines publizistischen Einsatzes für
„terroristischen“ Vereinigung (§129a) vor, für die er die kurdische Frage musste er 1994 aus der Türkei flüch-
1993/94 verantwortlich tätig gewesen sein soll. ten. In Deutschland beantragte er Asyl und erhielt eine
Anerkennung als politischer Flüchtling. Die BAW beschul-
13. Juli digt ihn der „Rädelsführerschaft“ in einer „kriminellen Ver-
Halil D., dessen Hauptverfahren am 2. Juni vor dem OLG einigung“ (§ 129). Er sei „von mindestens August 2004 bis
Celle eröffnet wurde, gibt in der Verhandlung vom 13. Juli März 2006“ als Verantwortlicher des „PKK-Sektors Mitte“
eine Prozesserklärung ab. Er kritisiert u. a. das Verhalten tätig gewesen.
des deutschen Staates gegenüber „etwa 150 000 Men-
schen“, die sich der „kurdischen Bewegung 17. August
verbunden fühlen“ und deren Einstu- Wie der türkische Nachrichten-
fung als kriminelle Vereinigung sender NTV verbreitet, will die
„eine erniedrigende Situation für Türkei ihre Zusammenarbeit
die gesamte kurdische Gesell- mit den USA und Irak gegen
schaft“ darstelle. Es sei diffa- die kurdische PKK-Guerilla ver-
mierend und beleidigend, mit bessern. Zu diesem Zweck
Definitionen wie „Terrorismus“ werde ein Regierungskoordi-
charakterisiert zu werden, was nator für deren Bekämpfung
aber „zweifellos auch im ernannt werden, der eng mit
Zusammenhang mit den Washington und Bagdad
internationalen Interessens- zusammenarbeiten solle. Vor-
verflechtungen – wie seiner- aussichtlich werde ein Militär-
zeit in Südafrika und heute in angehöriger diesen Posten
Palästina, in der Baskenfrage besetzen.
und im Nordirland-Konflikt“
stehe. Die gegen ihn gerichte-
ten Beschuldigungen, „die auf
der Grundlage von Verallge-
meinerungen und subjektiven

38 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


18. August nen, sondern „ihr Kongress lediglich die Einstellung der
Auf einer Pressekonferenz der Föderation kurdischer Ver- unter ihrem Namen ausgeübten Tätigkeiten beschlossen
eine in Deutschland, YEK-KOM, nimmt deren Vorsitzender habe, die Organisation selbst aber möglicherweise unter
Stellung zu der sich ausweitenden Kriminalisierung kurdi- dem Namen KADEK fortbestehe“. Die PKK müsse somit
scher Vereine und deren Mitglieder. Er führt u.a. aus: „Kur- „berechtigt sein, gegen den entsprechenden Eintrag auf
den, die in ihrer Heimat verhaftet und gefoltert und deren der Liste vorzugehen.“
Kultur, Sprache und Existenz verboten und verleugnet
werden, sind leider auch in Deutschland, wo sie eine September
sichere Zuflucht zu finden glaubten, einer antidemokrati- Der für „Ausländerextremismus“ zuständige Abteilungslei-
scher Behandlung ausgesetzt.“ Er forderte die unverzügli- ter des baden-württembergischen Verfassungsschutzes
che Freilassung der beiden Festgenommenen Muzaffer orakelt, es seien „Signale zu sehen, dass es auch zu gewalt-
Ayata und Riza Erdogan sowie die Einstellung aller Verfah- tätigen Aktionen kommen könnte“ im Zusammenhang
ren gegen Mitglieder der der YEK-KOM zugehörigen Ver- mit der Verhaftung von zwei mutmaßlichen PKK-Funktio-
eine. Er kündigt für den 21. August die Schließung von nären Anfang August.
über 60 Vereinen auf unbestimmte Zeit an. An der Presse- Tatsächlich aber fanden bundesweit zahlreiche Kundge-
konferenz teilgenommen haben Rechtsanwalt Bernhard bungen und Protestaktionen mit absolut friedlichem Ver-
Prack von Pro Asyl Essen, Rechtsanwalt Klemens Roß, der lauf statt.
DIDF-Vorsitzende Hüseyin Avgan sowie die EU-Parlamen-
tarierin Feleknas Uca von der PDS/Linkspartei. 28. September
Unter dem Titel „50 Jahre KPD-Verbot /13 Jahre PKK-Ver-
25. August bot“ findet im kurdischen Verein Navenda Kurd e.V. in Ber-
Am Ende einer Demonstration in Berlin aus Protest gegen lin eine Veranstaltung von YEK-KOM und der Ortsgruppe
die Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden, an der der Roten Hilfe statt. Über die Hintergründe und Folgen
etwa 300 Personen teilnehmen, werden einige Demons- der Verbote diskutieren u. a. der „Zeitzeuge für die Umset-
trierende von der Polizei angegriffen. Hierbei wird eine zung des KPD-Verbots, Jupp Mallmann, und Mehmet
Kurdin durch Schläge auf Kopf und Schultern so stark ver- Demir, der Vorsitzende von YEK-KOM. Thematisiert werden
letzt, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden muss. auch Chancen der Aufhebung beider Verbote.
Weil sie in der Türkei schwer gefoltert wurde, war die Kur-
din nach Deutschland geflüchtet. 1. Oktober
Der militärische Führer der PKK, Murat Karayilan, hat auf
13. September einer Pressekonferenz im Nordirak einen einseitigen Waf-
Die Absicht der Türkei, gemeinsam mit den USA und dem fenstillstand verkündet. Allerdings würden sich die Kämp-
Irak gegen die PKK vorzugehen, ist hinsichtlich des Perso- ferinnen und Kämpfer weiterhin verteidigen, sollten sie
nals abgeschlossen. Für die Türkei wird als Koordinator Dr. von der türkischen Armee und den Sicherheitskräften
Halit Edip Baser, Ex-General und heutiger Vorsitzender des angegriffen werden. Einen dauerhaften Frieden werde es
„Europäisch-asiatischen Zentrums für strategische For- nur geben, wenn die Türkei eine demokratische Lösung
schung“ (ASAM), dem wichtigsten Think-Tank des türki- der Kurdenfrage anbiete.
schen Militärs, benannt. Die irakische Regierung beruft
General Amir Amet Hassun und die USA nominiert den 5. Oktober
ehemaligen NATO-Oberkommandierenden, Ex-General Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/M. beginnt der Pro-
Joseph Ralston. Anlässlich seines Besuches in Ankara am zess gegen Hasan K., dem vorgeworfen wird, 1993/94 als
13. September, wird ihm eine Liste mit den Namen von mutmaßliches Mitglied einer „terroristischen Vereinigung“
150 Personen, deren Auslieferung die Türkei wünscht, (§ 129a Strafgesetzbuch) eine PKK-Region verantwortlich
überreicht. Damit will die Türkei einer Meldung des TV- geleitet zu haben. (1996 hat der damalige Vorsitzende der
Senders CNN Türk zufolge die Ernsthaftigkeit der USA tes- PKK, Abdullah Öcalan, erklärt, in Deutschland künftig auf
ten, mit dem neu eingerichteten Koordinationsmechanis- die Anwendung von Gewalt zu verzichten. Daraufhin hat
mus tatsächlich gegen die PKK vorzugehen. der Generalbundesanwalt zwar die Organisation auf eine
„kriminelle“ Vereinigung – (§129 StGB) – „zurückgestuft“,
27. September doch werden Kurden, die vor diesem Zeitpunkt tatsächlich
In einer Pressemitteilung des EU-Gerichtshofes in Luxem- oder vermeintlich Funktionäre der PKK gewesen sind, auch
burg wird auf ein Rechtsgutachten der Generalanwältin heute nach §129a angeklagt.)
Juliane Kokott hingewiesen, die zu dem Schluss kommt,
dass eine eingereichte Klage gegen die am 2. Mai 2002 11. Oktober
erfolgte Aufnahme der PKK in die EU-Liste terroristischer Nach 17 Verhandlungstagen endet der Prozess gegen den
Vereinigungen vom „Gericht erster Instanz“ nicht hätte kurdischen Journalisten Halil D. vor dem Oberlandesge-
abgewiesen werden dürfen. Das Gericht habe bei der Prü- richt Celle. Er wird zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren ver-
fung der Zulässigkeit der Klage einen Rechtsfehler began- urteilt. Die Anklage hatte ihm „Rädelsführerschaft in einer
gen. Es hätte berücksichtigen müssen, dass die „PKK ihrer kriminellen Vereinigung“ (§ 129 StB) vorgeworfen. In die-
Natur nach über kein formales Statut“ hätte verfügen kön- ser soll er für den Bereich „Finanzen“ verantwortlich gewe-

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 39


sen sein. Halil D. hatte während des Prozesses mehrfach November
die rückwärtsgewandte Bewertungspraxis der Behörden Der vorgelegte rund 700 Seiten umfassende zweite „Peri-
und Gerichte kritisiert und umfassend die Veränderungen odische Sicherheitsbericht der Bundesregierung“ kommt
der Politik und Organisationsformen der kurdischen Bewe- im Kapitel „Extremismus und politische Kriminalität aus-
gung dargelegt. An die staatlichen Stellen der Bundesre- ländischer Gruppen in Deutschland“ zu dem Schluss, dass
publik appellierte er, den kurdischen Institutionen mit die PKK nach wie vor „über die Fähigkeit“ verfüge, „aus
einem auf Dialog ausgerichteten Verständnis zu begeg- dem Stand heraus Aktionen von erheblicher Militanz zu
nen. organisieren“, was sich an den Protesten 1999 gezeigt
habe. Deshalb bleibe die PKK „auch in Zukunft ein poten-
15./17. Oktober zieller Faktor im Bereich der politisch motivierten Gewalt.“
Seit der Ausrufung des Waffenstillstands durch die Guerilla
zum 1. Oktober sind laut Angaben der Volksverteidigungs- 22. bzw. 26. November
kräfte (HPG) 34 Militäroperationen der türkischen Armee In einer ausführlichen gemeinsamen Erklärung von Azadî
durchgeführt worden. Außerdem sei es zu 19 Gefechten und YEK-KOM wird auf den Anachronismus des seit 13
gekommen, bei denen 9 türkische Soldaten und 6 Gue- Jahren bestehenden PKK-Betätigungsverbots hingewiesen
rilla-Angehörige ums Leben gekommen sind. und ein Ende der Kriminalisierung, die Einstellung aller
anhängigen Strafverfahren wegen politischer Betätigung
17. Oktober sowie die Freilassung aller politischen Gefangenen gefor-
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, den Pro- dert.
zess gegen den Ex-Bundesinnenminister Manfred Kanther
neu aufzurollen. Die BAW hatte eine Teilaufhebung des 11. Dezember
Urteils des Landgerichts Wiesbaden vom April 2005 Bei einem Treffen von US-Koordinator Joseph Ralston und
wegen gravierender Mängel beantragt. Dieses hatte Kant- seines türkischen „Kollegen“ Edip Baser im US-amerikani-
her wegen Untreue zu anderthalb Jahren Haft auf Bewäh- schen Militärstützpunkt Vaihingen bei Stuttgart wird ein
rung und 25 000 Euro Geldstrafe verurteilt. Dem Urteil Zeitplan für den „Anti-PKK-Kampf“ erstellt. Hierbei soll es
zufolge war er für den Transfer von rund 20,8 Millionen zu einer Vereinbarung über den Ablauf des gemeinsamen
Mark Schwarzgeld in die Schweiz und später nach Liech- Vorgehens (z.B. eines Aufrufs an PKK-Mitglieder zur Kapitu-
tenstein verantwortlich. Er habe „nach eigenem Gutdün- lation, der Unterbindung von Tätigkeiten im Irak und
ken“ über die Gelder verfügt. So seien von ihm 1995 rund anderen Ländern, des Austrocknens der Finanzierungs-
1,75 Millionen Euro an die CDU Frankfurt ausgezahlt wor- quellen der Organisation sowie der Ergreifung von hoch-
den. Wir erinnern uns: Dieser Minister war für den Erlass rangigen Führungsmitgliedern der PKK und ihrer Ausliefe-
des Betätigungsverbots der PKK von November 1993 ver- rung an die Türkei) gekommen sein.
antwortlich.

23. Oktober
Länderübergreifend finden Durchsuchungen wegen
Ermittlungen „gegen 24 Aktivisten der PKK“ statt. Allein im
Großraum Mainz/Koblenz werden 20 Objekte durchsucht,
in Hessen 7 und Sachsen-Anhalt eines. Es sei laut Polizei-
präsidium Mainz darum gegangen, Organisationsstruktu-
ren und Aufgabenverteilungen auszuleuchten. Zudem
habe der Verdacht „des Sammelns von Spenden sowie des
Verkaufs und der Lagerung von Propagandamaterial“
bestanden.

10. November
Für Hasan A. öffnen sich die Gefängnistore. Er war vom
OLG Celle am 20. Oktober 2003 wegen Mitgliedschaft in
einer „kriminellen“ Vereinigung (§129 StGB) zu einer Haft-
strafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt worden. Das
Urteil war in einem Revisionsverfahren später auf eine Frei-
heitsstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten reduziert worden.
Die Freilassung des Politikers ist mit der Auflage verbun-
den, sich 3 Jahre weder politisch zu betätigen, noch einen
kurdischen Verein aufzusuchen oder ehemalige Partei-
freunde zu kontaktieren.

40 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


2007
10. Januar heits- und Geheimdienste aus der Türkei, den USA, Hol-
Mit einem massiven Polizeiaufgebot werden in den frühen land, Frankreich und Großbritannien teilnahmen. Die USA
Morgenstunden in Bayern, Rheinland-Pfalz, Baden-Würt- und das türkische Justizministerium haben interaktive
temberg und im Saarland 25 Wohnungen bzw. Geschäfts- Arbeitsgruppen und die Durchführung von Veranstaltun-
räume und kurdische Vereine durchsucht und hierbei gen beschlossen. Zentrale Themen sollen in den kommen-
Computer, Telefone, Bustickets, Bargeld, Vereinsunterlagen den Monaten die verschiedenen Dimensionen des Kamp-
und Zeitungen beschlagnahmt. Laut Durchsuchungsbe- fes gegen Geldwäsche, Finanzierung des Terrorismus, die
schluss würde gegen einige Kurden wegen des Verstoßes PKK sowie die internationale Zusammenarbeit in der straf-
gegen das Vereinsrecht ermittelt. Sie hätten durch ihre rechtlichen Verfolgung sein.
Aktivitäten dazu beigetragen, die Strukturen der PKK auf-
recht zu erhalten. Im Zuge dieser Polizeiaktion wurde 29. Januar
Ahmet C. in einer Stuttgarter Privatwohnung festgenom- Am frühen Morgen werden in Bremen die Wohnungen
men und später verhaftet wegen des Verdachts, sich für von Bisar H. und Osman A. wegen angeblicher Verstöße
PKK/KONGRA-GEL politisch betätigt zu haben. gegen das Vereinsgesetz durchsucht. Die Polizei beschlag-
nahmte Bücher, Kalender, Musikkassetten sowie eine
16. Januar Kopie des Films „Berîtan“. Osman A. musste zur ED-
Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. verurteilt Hasan K. zu Behandlung auf die Polizeiwache.
einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten. Nach Am gleichen Tag erfolgte eine Durchsuchung der Woh-
Auffassung des Gerichts sei er 1993/94 für die seinerzeit nung von Dervis D. in Hannover. Auch hier nimmt die Poli-
noch als „terroristisch“ eingestufte PKK als Funktionär tätig zei Bücher, Handys und den Computer mit; eine ED-
gewesen, was Hasan K. von Beginn des Prozesses an Behandlung erfolgt ebenfalls.
bestritten hatte. Seine Verteidigerin kritisierte, dass auch
dieses Urteil im Zusammenhang stehe mit den vielen 5./6. Februar
anderen zuvor. Es seien keine neuen Beweise aufgenom- Bei Razzien in Frankreich wird gegen 14 von 15 Personen
men, „sondern durch gebetsmühlenhaftes Verlesen alter Haftbefehl wegen der angeblichen „Finanzierung von Ter-
Urteile Fakten geschaffen“ worden, die „zum großen Teil rorismus, organisiertem Verbrechen und Geldwäsche“
auf Aussagen fragwürdiger Kronzeugen basieren“. Sie kriti- erlassen. Die am 5. Februar auf Antrag Frankreichs in Bel-
sierte, dass das Gericht „keinerlei Zweifel an derartigen gien festgenommene kurdische Politikerin Canan Kurtyil-
Aussagen“ gehegt habe. maz wurde am 16. Februar ausgeliefert, nach einem Haft-
prüfungstermin jedoch wieder freigelassen. Nach einem
17. Januar weiteren Haftprüfungstermin wurden acht der Anfang
Einer der Betroffenen der Wohnungsdurchsuchungen, Februar in Paris festgenommenen 14 Kurden wieder auf
Abdullah M., schildert gegenüber der Zeitung „Özgür Poli- freien Fuß gesetzt, darunter die Politiker Riza Altun und
tika“ die mehrmaligen Versuche des Verfassungsschutzes, Nedim Seven.
ihn als Spitzel und somit für eine Zusammenarbeit zu
gewinnen. Diese Ansinnen habe er entschieden zurückge- 24. Februar
wiesen. Deshalb – so vermute er – sei die Durchsuchung Aus Protest gegen die Kriminalisierung veranstaltet die
ein Racheakt. „Die Repression gegen Kurden geht weiter. Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland, YEK-
Man kann uns aber zu dieser schmutzigen Politik nicht KOM, in Düsseldorf eine Demonstration unter dem Motto
zwingen,“ sagte Abdullah M. „Kurden fordern Gerechtigkeit“, an der sich über 1000
Menschen beteiligen.
19. Januar
Vor dem Hintergrund der Durchsuchungen appelliert das 7. März
Pax-Christi-Mitglied Pater Jungheim in einem Brief an Bun- In Berlin wird der 57-jährige Muharrem A. festgenommen.
desinnenminister Wolfgang Schäuble, „dass auch unsere Die BAW verdächtigt ihn, 1994/95 als Verantwortlicher der
Regierung die einseitigen Schritte der PKK und aller Sym- „PKK-Region Süd“ tätig gewesen zu sein und sich als Mit-
pathisanten wahrnimmt als ein ernst zu nehmendes Zeug- glied der seinerzeit bestehenden „terroristischen“ Vereini-
nis ihres Wandels und ihrer Veränderung“. Der PKK müsse gung (§129a StGB) beteiligt zu haben.
auch hier eine „demokratische Plattform“ gegeben wer-
den. 19. März
Am Abend wird in Hamburg die kurdische Politikerin
25./26. Januar Sakine Cansiz festgenommen. Grundlage ist ein internatio-
In Istanbul findet unter Vorsitz der Sprecherin der US-Bot- naler Haftbefehl, ausgestellt vom Staatssicherheitsgericht
schaft, Kathy Schalow, ein „Runder Tisch“ statt zum Kampf in Malatya, mit dem die Auslieferung der Kurdin an die Tür-
gegen die PKK und den internationalen Terrorismus, an kei wegen des Verdachts der „Zugehörigkeit zu einer terro-
dem Juristen, Staatsanwälte sowie Angehörige der Sicher- ristischen Organisation“ beantragt wird.

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 41


21. März 16. April
Ausgerechnet an diesem für Kurdinnen und Kurden so Die Kurdin Aysel A. reicht Beschwerde beim Europäischen
bedeutsamen Tag, dem Neujahrsfest Newroz, wird der Pro- Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein. Sie hatte
zess gegen den kurdischen Politiker und Journalisten Riza sich im Jahre 2001 an der Selbstbezichtigungskampagne
Erdogan wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer „Auch ich bin PKKler/in“ beteiligt und mit anderen Perso-
„kriminellen“ Vereinigung (§129 StGB) vor dem Oberlan- nen gesammelte Unterschriften der Staatsanwaltschaft
desgericht in Düsseldorf eröffnet. Die Anklage wirft ihm übergeben. Deshalb wurde sie später wegen Verstoßes
vor, dass seine Aktivitäten als „Rädelsführer“ der Aufrecht- gegen das Vereinsgesetz zu einer Geldstrafe von 1 200 €
erhaltung und dem Ausbau der Parteistrukturen sowie der verurteilt. Gegen dieses Urteil legte sie Revision beim Bun-
Durchsetzung ihrer Ziele gedient hätten. Zum Auftakt gibt desgerichtshof ein, der diese als unbegründet verwarf.
Riza Erdogan eine Prozesserklärung ab, in der er u.a. sagte, Auch eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht
dass „sowohl die kurdische Gesellschaft als auch die kurdi- wurde zurückgewiesen. Da somit alle gerichtlichen Instan-
sche Bewegung in den letzten fünf bis sechs Jahren ernst- zen in der BRD durchlaufen waren, konnte sich Aysel A. an
hafte Erschütterungen und Veränderungen“ erlebt habe. den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wenden. In
Es sei „der Übergang zu einem Aufbau vollzogen“ worden, der Beschwerde wird insbesondere gerügt, dass die ange-
„der die demokratischen Rechte und individuellen Freihei- griffenen Entscheidungen der nationalen Gerichte gegen
ten respektiert und unterstützt.“ Doch sähen sich die Kur- Artikel 10 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechts-
den in Deutschland aufgrund der Verbote „schwerwiegen- konvention in Verbindung mit Art. 7n Abs. 1 Satz 1 (freie
den Erschwernissen ausgesetzt“, weshalb sie „ernste Meinungsäußerung) verstoßen.
Probleme“ hätten, „sich zu artikulieren“.
17. April
April Nur einen Tag, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel
In einer Anfrage an die Bundesregierung „zur politischen gemeinsam mit dem türkischen Ministerpräsidenten
Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts“ will die Links- Tayyip Erdogan die Industriemesse in Hannover eröffnet
fraktion u. a. wissen, ob vor dem Hintergrund des einseitig und die positiven deutsch-türkischen Wirtschaftsbezie-
erklärten Waffenstillstands der PKK eine Aufhebung der hungen gelobt hat, werden in Köln die Räume des kurdi-
PKK als „terroristische“ Vereinigung“ (in der EU-Terrorliste) schen Vereins „Mala Kurda“ sowie 40 Wohnungen von Ver-
erwogen werde, um die Friedensbemühungen zu unter- einsmitgliedern durchsucht und zahlreiche Gegenstände
stützen. Antwort: „Die Klassifizierung der PKK beruht auf beschlagnahmt. Die Polizeiaktion soll laut Durchsuchungs-
einer einstimmigen Entscheidung der zuständigen EU- beschluss des Amtsgerichts im Zusammenhang mit
Gremien. […] In der Sache besteht zu einer solchen Aufhe- Ermittlungen wegen des Verstoßes gegen das Vereinsge-
bung keine Veranlassung: die PKK verfügt, unbeschadet setz stehen, was konkret bedeutet: „Gelder für die in der
ihrer wiederholten Waffenstillstandserklärungen, über die Bundesrepublik Deutschland mit einem Betätigungsver-
Fähigkeit zu terroristischen Aktionen und die Entschlos- bot belegten Organisationen PKK und KONGRA-GEL zu
senheit, sich dieser Mittel zu bedienen.“ sammeln bzw. gesammelt zu haben.“ Die Durchsuchun-
gen sollen dazu dienen, „Unterlagen über Spender, Spen-
April denbeträge, Verwendung der Spenden, Quittungen und
Die Mitgliedschaft im Vorstand eines Deutsch-Kurdischen sonstiger Finanzunterlagen“ als auch Belege „über die Ver-
Freundschaftsvereins wurde dem Kurden M.V. zum Ver- bindung des Vereins zu PKK und KONGRA-GEL“ aufzufin-
hängnis. Die Landeshauptstadt Stuttgart hat ihm die den. Außerdem ist in dem Beschluss der Hinweis und die
beantragte Einbürgerung verweigert, weil er aufgrund Behauptung zu lesen, dass „die derzeit noch nicht mit
dieser Aktivitäten „die Sicherheit der Bundesrepublik einem Betätigungsverbot belegte Organisation YEK-KOM“
Deutschland“ gefährde. Außerdem habe er an Veranstal- direkt in den Kongra-Gel „eingebunden“ sei.
tungen teilgenommen, auf Kundgebungen gesprochen
oder sich an Demonstrationen beteiligt. All dies mache ihn 18. April
„zum Kreis der Anhänger, die es der PKK ermöglicht In den frühen Morgenstunden folgt die nächste Durchsu-
haben, entgegen dem vereinsrechtlichen Verbot aus dem chungsaktion. Über 160 Polizisten durchsuchen in Nürn-
Untergrund heraus zu operieren und ihre illegalen, die berg, Ingolstadt und Regensburg 35 kurdische Wohnun-
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchti- gen, Büros und Vereinsräume und beschlagnahmten
genden und ihre auswärtigen Belange gefährdenden Mobiltelefone, 12 Computer sowie über 100 Publikatio-
Tätigkeiten fortzusetzen“. Deshalb könne beim Bewerber nen. Nach Angaben des Polizeipräsidiums Mittelfranken
nicht von einer „Loyalität gegenüber dem deutschen habe sich diese Aktion gegen 32 Beschuldigte gerichtet,
Staat“ ausgegangen werden. Des weiteren verweist die denen Verstöße gegen das Vereinsgesetz und somit Unter-
Stadt darauf, das die PKK auf der EU-Terrorliste stehe. Sie stützung der PKK und ihrer Nachfolgeorganisation KON-
endet mit der Drohung, es solle „die Einbürgerung von GRA-GEL vorgeworfen werde.
PKK-Aktivisten selbst dann verhindert werden“, wenn „ent-
sprechende Bestrebungen nicht sicher nachgewiesen wer- 20. April
den“ könnten. Das Amtsgericht München verurteilt den Journalisten Dr.
Nikolaus Brauns zu einer Geldstrafe von 2100 €. Die

42 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


Anklage hatte ihm versuchte Strafvereitelung in Tateinheit kriminellen Vereinigung“ (§ 129 StGB) vorgeworfen, weil er
mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie 2005/2006 für den „Sektor Süd“ der PKK bzw. des KON-
gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Brauns hatte GRA-GEL verantwortlich tätig gewesen sein soll. Er habe
gemeinsam mit deutschen, kurdischen und türkischen laut Bundesanwaltschaft (BAW) Anweisungen an nachge-
Freundinnen und Freunden am 1. April 2006 in München ordnete Funktionäre erteilt sowie „organisatorische, finan-
eine Kundgebung unter dem Motto „Diyarbakir und Mün- zielle und propagandistische Angelegenheiten“ koordi-
chen – Schulter an Schulter“ organisiert. Mit dieser Aktion niert. Muzaffer Ayata war aufgrund seiner politischen
sollte auf die Massaker der türkischen Armee sowie die Aktivitäten bereits über 20 Jahre in verschiedenen Gefäng-
deutsche Unterstützung der antikurdischen Politik auf- nissen der Türkei inhaftiert.
merksam gemacht werden. Im Zuge der Kundgebung kam
es zu Provokationen der Polizei. Grund waren Plakate mit 13. Juni
den Bildern von mit Giftgas ermordeten kurdischen Frei- Laut Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) soll das BKA in
heitskämpfern. Weil sich hinter den abgebildeten Leichen einem internen Lagebericht zu dem Schluss gekommen
rote Sterne befanden, war der Staatsschutz der Auffas- sein, dass der als beendet erklärte Waffenstillstand der PKK
sung, hierbei handele es sich um verbotene Symbole, wes- vom Oktober 2006 auch Konsequenzen für Deutschland
halb die Plakate zu entfernen seien. Dann überrannten habe. Danach sei die Stimmung der PKK-Anhänger gereizt
rund 20 USK-Beamte ohne Vorwarnung die Kundgebung. und Anschläge könnten nicht ausgeschlossen werden. Für
Brauns wurde vorgeworfen, er hätte mit dem Megaphon den Fall einer militärischen Intervention der türkischen
absichtlich einen Polizeihauptkommissar in die Ohren Armee im Nordirak müsse in der Türkei mit einer Eskala-
gebrüllt, was dieser als Körperverletzung strafverfolgt wis- tion durch terroristische Aktivitäten gerechnet werden,
sen wollte. Von diesem Vorwurf ist der Journalist aber frei- was auch Rückwirkungen auf das Verhalten der PKK in
gesprochen worden. Deutschland haben würde.

25. April Juni


Die Richter des 1. Strafsenats des Hanseatischen Oberlan- Nach Angaben der kurdischen Nachrichtenagentur ANF
desgerichts heben den Haftbefehl gegen die kurdische hat der Generalstab der türkischen Armee für die kurdi-
Politikerin Sakine Cansiz , die am 19. März festgenommen sche Region den Ausnahmezustand (OHAL) ausgerufen.
worden war, wieder auf. Eine Auslieferung an die Türkei Die so genannten „Sicherheitsgebiete“ umfassen Sirnak,
wird abgelehnt, u. a., weil die von den türkischen Justizbe- Hakkari und Siirt. Zwischen dem 9. Juni und 9. September
hörden vorgelegten Unterlagen nicht einmal den „Min- werden für dieses Gebiet erhöhte Sicherheitsmaßnahmen
destanforderungen“ entsprochen haben. und Betretungsverbote gelten. Der türkische General-
stabschef Yasar Büyükanit fordert eine groß angelegte
Mai Militäroffensive gegen PKK-Basen im Nordirak.
Weil er angeblich die „Sicherheit der Bundesrepublik
gefährdet“ habe, sollte einem Kurden, der bereits seit 27 28. Juni
Jahren in der BRD lebt, die beantragte Einbürgerung ver- Die EU-Terrorliste wird aktualisiert und PKK wie KONGRA-
weigert werden. Was war geschehen? M.V. war eine Zeit GEL erneut als „terroristisch“ bzw. „kriminell“ eingestufte
lang im Vorstand eines Deutsch-Kurdischen Freund- Organisationen aufgenommen.
schaftsvereins, von dem die Einbürgerungsbehörde
behauptet, diese habe „die PKK/ERNK unterstützt“ und die 30. Juni
„innere Sicherheit“ gefährdet. Außerdem habe der Antrag- Auf einer Wahlveranstaltung in Erzurum wirft der Chef der
steller an Demonstrationen teilgenommen, was ihn „zum ultrarechten Partei der Nationalistischen Bewegung
Kreis der Anhänger, die es der PKK ermöglicht haben, ent- (MHP), Devlet Bahceli, dem türkischen Ministerpräsiden-
gegen dem vereinsrechtlichen Verbot aus dem Unter- ten Erdogan vor, auf Druck der EU die Todesstrafe abge-
grund heraus zu operieren und ihre illegalen, die Sicher- schafft zu haben. Während seiner Rede zog er ein Seil
heit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigenden unter dem Pult hervor, warf es in die Menschenmenge und
und ihre auswärtigen Belange gefährdenden Tätigkeiten rief: „Hier ist der Strick, Herr Ministerpräsident! Hängt Öca-
fortzusetzen“. Deshalb könne nicht von seiner „Loyalität lan doch auf, wenn ihr es könnt.“ An die EU gerichtet: „Die
gegenüber dem deutschen Staat“ ausgegangen werden. EU kann sich ihre Kopenhagener Kriterien an den Hut ste-
Schließlich weist die Behörde noch darauf hin, dass „Ein- cken und nach Hause gehen.“
bürgerungen von PKK-Aktivisten selbst dann verhindert
werden“ müssten, wenn „entsprechende Bestrebungen 2. Juli
nicht sicher nachgewiesen werden“ könnten. (Mai) Das OLG Düsseldorf verurteilt Riza Erdogan zu einer Frei-
heitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten wegen „Rädelsfüh-
24. Mai rerschaft in einer „kriminellen“ Vereinigung. Er sei in die
Der Prozess gegen den kurdischen Politiker Muzaffer Strukturen der PKK eingebunden gewesen und dadurch
Ayata, der am 8. August 2006 in Mannheim verhaftet wor- mitverantwortlich zu machen. Außerdem rechtfertige
den war, wird vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/M. allein die Mitgliedschaft in PKK/KONGRA-GEL eine Anklage
eröffnet. Ihm wird angebliche „Rädelsführerschaft in einer nach §129 StGB.

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 43


5. Juli Außenmaß bewahren“ erklärte Rechtsanwalt Hartmut
Etwa 190 Polizeibeamte durchsuchen Privatwohnungen Wächtler und ergänzte, dass man auf diese Weise „einer
und Geschäftsräume „mutmaßlicher Anhänger der verbo- Lösung keinen Schritt“ näher komme. Im August dann
tenen Organisation KONGRA-GEL“ in Bayern, Baden-Würt- wurden sämtliche Auflagen zurückgenommen.
temberg und Nordrhein-Westfalen und beschlagnahmen
Handys, Bücher, Kassetten, PCs und andere Unterlagen. 18. Juli
Allein im Großraum München sind 23 Objekte betroffen. Laut Frankfurter Rundschau sind die ausländischen Direkt-
Begründet werden die Übergriffe mit der Behauptung, es investitionen der türkischen Wirtschaft von knapp über
werde am Aufbau einer PKK-nahen Jugendorganisation eine Milliarde Dollar im Jahre 2002 in diesem Jahr auf fast
gearbeitet. Unter den mindestens 22 Festgenommenen 30 Milliarden geklettert. Fast 3000 deutsche Unternehmen
befindet sich auch der aus Dersim stammende 69jährige sind dort tätig, davon kamen im vergangenen Jahr allein
kurdische Schriftsteller Haydar Isik, gegen den das Amts- 500 nach Anatolien. Das bilaterale Handelsvolumen zwi-
gericht München Haftbefehl wegen angeblicher Unter- schen der Türkei und Deutschland erreichte 2006 mit 23,5
stützung der PKK erlassen hatte. Milliarden Euro einen neuen Rekord.

8. Juli 26. Juli


Gegen die jüngste Repressionswelle protestieren in Mün- Am Morgen stürmen und durchsuchen Sondereinsatz-
chen auf einer Kundgebung der Kurdisch-Deutsche kommandos des hessischen Landeskriminalamtes (LKA) in
Freundschaftsverein, DIDF, die GEW, Marxistische Initiative, den Kreisen Gießen und Marburg die Privatwohnungen
Libertad, die DKP und die LINKSPARTEI. In einem gemein- von vier Mitgliedern des Mezopotamischen Kulturvereins,
samen Flugblatt wird Deutschland aufgefordert, nicht wei- darunter die des Vereinsvorsitzenden Ali Aktas. Sie werden
ter Teilhaber im schmutzigen Krieg des türkischen Staates festgenommen und am selben Tag wieder freigelassen.
gegen die Kurden zu sein. Brigitte Wolf (Linkspartei) for- Angeordnet hat diese Polizeiaktion das Amtsgericht Frank-
dert in einem Redebeitrag die Aufhebung des PKK-Verbots furt/M. mit der Begründung, gegen die Beschuldigten
sowie die sofortige Freilassung von Haydar Isik. bestehe der Verdacht, „dass sie die Tötung des Polizeibe-
amten Klaus B. planen und diesen hierfür an einen nicht
10. Juli näher bekannten Ort locken wollen“. Es handele sich um
Hasan K. wird aus der JVA Darmstadt entlassen und kann „eine Art Abstrafungsaktion aufgrund eines dienstlichen
nach Frankreich ausreisen, wo er als politischer Flüchtling Handelns des Polizeibeamten in den 90er Jahren“.
anerkannt ist. Der Politiker war am 12. Juni 2006 von (Hintergrund des „dienstlichen Handelns“: Am 29. Juni
Österreich an die BRD überstellt worden und am 16. 1994 wurde der kurdische Jugendliche Halim Dener von
Januar vom OLG Frankfurt/M. zu einer Haftstrafe von 2 zwei Zivilpolizisten beim Kleben von Plakaten der verbote-
Jahren und 3 Monaten verurteilt worden. Ihm war vorge- nen ERNK überrascht und durch einen Schuss in den
worfen worden, Mitglied in einer terroristischen Vereini- Rücken getötet. Der Polizist, der geschossen hatte, war im
gung (§129a) gewesen zu sein. Als PKK-Führungsfunktio- Juni 1997 vom Landgericht Hannover vom Verdacht der
när sei er von Mai 1993 bis April 1994 für die Region „fahrlässigen Tötung“ freigesprochen worden.) Ali Aktas
Nordwest verantwortlich gewesen. wies die Vorwürfe scharf zurück und warf den Strafverfol-
gungsbehörden „Staatsterrorismus“ vor. Eine solche
10. Juli Behandlung könne nicht akzeptiert werden. Der Gießener
Auch Ahmet C. wird aus der Haft entlassen. Das Landge- Anwalt Bernhard Gerth sprach von einem „relativ mysteriö-
richt Stuttgart hatte ihn wegen Verstoßes gegen das Ver- sen und undurchsichtigen Vorgang“. Er vermute, dass den
einsgesetz (Betätigung für PKK/KONGRA-GEL; Spenden- Behörden lediglich der anonyme Hinweis einer „denunzia-
sammeln) zu einer Haftstrafe von 8 Monaten auf 3 Jahre torischen Quelle“ vorliege. Die Gießener Linkspartei
Bewährung zuzügl. einer Geldstrafe von 1.500 € verurteilt. erklärte, die Umstände des Polizeiübergriffs ließen „eher
Ahmet C. war im Zuge einer länderübergreifenden Polizei- auf eine politische Aktion als auf kriminalistische Arbeit“
razzia am 10. Januar 2007 verhaftet worden. schließen.

17. Juli August


Haydar Isik wird nach einer Beschwerde seines Verteidigers Das Finanzamt III der Stadt Frankfurt/M. hat Anfang
wieder aus der Haft entlassen, verbunden mit Meldeaufla- August entschieden, dem Mesopotamischen Kulturzen-
gen. Die wichtigste ist, dass Herr Isik mit einer Reihe von trum e.V. die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Begründet
angeblich konspirativen Personen keinen Kontakt aufneh- wird die Maßnahme u. a. damit, dass dem Amt bekanntge-
men darf. Unter anderem wird auch er selbst auf der worden sei, dass es „personelle und ideelle Verflechtun-
Namensliste genannt ! Es handelt sich mehrheitlich um gen“ zwischen dem Verein und der „Organisation YEK-
Personen, die seinen Verein „Dersim-Gesellschaft für Wie- KOM“ gebe, „welche durch ihre Verbindungen zum
deraufbau“ auch finanziell unterstützen. „Ich kann die Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL), ehemals PKK“ als
Aktion der Strafverfolger gegen Herrn Isik nicht ganz ernst verfassungsfeindlich einzustufen“ sei. Sie verweist weiter
nehmen – zu abwegig sind manche Vorwürfe. Die deut- darauf hin, dass sich das PKK-Betätigungsverbot auch auf
sche Politik und die deutschen Strafverfolger sollten den KONGRA-GEL erstrecke. Deshalb halte sich der Verein

44 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


„durch die inhaltlichen und personellen Verflechtungen 1. September
mit der YEK-KOM im Rahmen seiner tatsächlichen Am Antikriegstag, findet in Gelsenkirchen das 15. Interna-
Geschäftsführung nicht an die verfassungsmäßige Ord- tionale Kurdische Kultur-Festival statt, das wieder von
nung der BRD“. Das wiederum schließe eine steuerliche zehntausenden von Menschen aus allen Teilen Europas
Begünstigung aus. Gegen diese Entscheidung wurde und der Türkei besucht wurde. Wie Mehmet Demir, Vorsit-
Widerspruch eingelegt, der jedoch zurückgewiesen wurde zender der Föderation kurdischer Vereine in Deutschland
mit der Begründung, YEK-KOM habe dazu aufgerufen, die (YEK-KOM), in seiner Begrüßungsrede u. a. ausführte, seien
Stimme zu erheben „für eine politische Lösung der kurdi- etwa 40 Busse mit Festivalteilnehmenden von der deut-
schen Frage, die Freiheit von Abdullah Öcalan und aller schen Polizei an den Grenzen von Holland, Dänemark,
politischen Gefangenen“. Daher seien politische Mei- Frankreich und Luxemburg an der Weiterreise gehindert
nungsäußerungen „beabsichtigt“. Sie träten „nicht nur worden. Er rief die europäischen Staaten und insbeson-
zufällig“ auf. dere die Bundesrepublik auf, ihre Repressionspolitik gegen
die Kurden einzustellen. Redner waren der Schriftsteller
1. August und Lektor Hywel Williams aus Wales, Francie Brolly, Mit-
Die Bundesregierung antwortet auf eine Kleine Anfrage glied von Sinn Féin aus Nordirland, der Rechtsanwalt Joey
der LINKSPARTEI zu den Folgen der „Terrorismusbekämp- Moses aus Südafrika, Jordi perales Gimenez vom Büro der
fung auf das Asyl- und Aufenthaltsrecht“ u. a., dass in den Republikanischen Linken Kataloniens, Vidar Birkeland von
Jahren 2005 und 2006 ‚„insgesamt 48 Personen kein Asyl der Arbeiterpartei Norwegens sowie die stellvertretende
oder keinen Flüchtlingsschutz erhalten“ haben, weil sie Vorsitzende der LINKSPARTEI, Katina Schubert.
verdächtigt wurden, „Mitglieder oder Unterstützer terroris-
tischer Gruppierungen im Ausland“ zu sein. Im gleichen September
Zeitraum seien in „41 Verfahren der Asyl- bzw. Flüchtlings- Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge widerruft
status widerrufen“ worden. Aus den Antworten geht fer- zwei Kurden die Asylanerkennung. Im Falle von Vasfi T.
ner hervor, dass das Bundesamt für Migration und Flücht- wird dargelegt, dass „seit 2004 die bewaffneten Auseinan-
linge eng in die „Terrorismusbekämpfung“ eingebunden dersetzungen zwischen PKK/KADEK, jetzt KHK/KONGRA-
und an zehn Arbeitsgruppen auf Länder- und Bundes- GEL und den Sicherheitskräften in einigen der mehrheit-
ebene beteiligt“ sei. Die Bundesregierung führt weiter aus, lich von Kurden bewohnten Provinzen“ wieder zugenom-
dass zwischen dem 1. Januar 2004 und dem 31. Juni 2007 men hätten, doch bliebe die Zivilbevölkerung „hiervon
in 2 379 Fällen Informationen aus Asylverfahren an das weitgehend unberührt“. „Seit Jahren“ würden auch „keine
Bundesamt für Verfassungsschutz weitergegeben wurden. Dorfschützer mehr rekrutiert“ und „keine Dörfer mehr
Bei ca. 19 000 Personen seien Daten von Ausländern an geräumt“. Außerdem seien „zahlreiche Reformen“ erfolgt.
den Bundesnachrichtendienst zur Prüfung von Versagens- So könne „mit hinreichender Sicherheit“ ausgeschlossen
gründen für Visa und Aufenthaltstitel weitergeleitet wor- werden, dass dem Kurden im Rückkehrfall „asylrelevante
den. (BT-Drucksache Nr. 16/6087) Verfolgungsmaßnahmen drohten“, zumal, weil in der Tür-
kei die „Null-Toleranzgrenze gegenüber der Anwendung
von Folter“ gelte. Im Falle von Osman M. droht das Bun-

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 45


desamt: „Für Personen, die die militante staatsfeindliche Möglichkeit nicht genutzt und statt dessen die Armee ihre
Organisation wie die damalige PKK unterstützt haben oder operativen Angriffe verstärkt. Die anhaltenden Gefechte
haben sollen, besteht bei Rückkehr aufgrund der zwi- seien das Resultat einer Verleugnungsmentalität und –
schenzeitlich in der Türkei eingetretenen substanziellen politik.
Verbesserungen in Bezug auf die Menschenrechte i.d.R.
keine beachtliche Wahrscheinlichkeit menschenrechtswid- 17. Oktober
riger Behandlung oder Folter.“ Mit einer Mehrheit von 507 Stimmen haben die Abgeord-
neten des türkischen Parlaments der Regierung für die
4. September Dauer eines Jahres eine Blankovollmacht erteilt, jederzeit
Die unabhängige Zeitung „Bir Gün“ meldet unter Berufung ohne weitere Konsultationen des Parlaments der Armee
auf eine Zählung der Menschenrechtsabteilung der türki- den Marschbefehl für Operationen gegen die PKK-Guerilla
schen Regierung, dass es im ersten Halbjahr 96 Beschwer- im Nordirak zu geben. 19 Abgeordnete der DTP stimmten
den wegen Folter oder Misshandlungen gegeben habe. Im sichtbar dagegen. Der irakische Ministerpräsident Al Maliki
Jahre 2006 habe man insgesamt 137 Fälle registriert. Nach erklärte, man sei entschlossen, der Existenz der PKK im Irak
Angaben von Menschenrechtlern in der Türkei würden ein Ende zu bereiten. Entsprechende Anweisungen seien
trotz verkündeter „Null-Toleranz“-Politik weiterhin Folter der kurdischen Regionalregierung gegeben worden.
und Misshandlungen toleriert.
30. Oktober
11. September Vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden türkisch-kur-
Die Bundesanwaltschaft (BAW) kündigt an, gegen Muhar- dischen Konflikts, sprach der Deutschlandfunk mit dem
rem A. Anklage nach § 129a StGB vor dem Staatsschutzse- grünen Europaabgeordnete Cem Özdemir. Befragt nach
nat des Kammergerichts Berlin zu erheben. Sie wirft dem den Vorwürfen des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip
58-Jährigen, der am 7. März in Berlin verhaftet wurde, vor, Erdogan, Europa gehe nicht hart genug gegen die PKK vor,
im Zeitraum 1994/95 als hauptamtlicher Kader der seiner- meinte Özdemir, es gebe zwar offiziell ein PKK-Verbot, de
zeit noch als „terroristisch“ eingestuften PKK für die facto sei dieses aber „löchrig wie ein Schweizer Käse“. Sei-
„Region Bayern“ verantwortlich gewesen zu sein. ner Meinung nach dürften die Nachfolgeorganisationen
„tun und lassen, was sie wollen“ und würden als „Kultur-
19. September zentren verharmlost“. Auf die Frage, ob PKK-Führungsmit-
Auf einer Podiumsdiskussion erklärt der Soziologe Tobias glieder an die Türkei ausgeliefert werden sollten, meinte
Schwarz von der Hans-Böckler-Stiftung, dass sich nach er, dass man sie „ja nicht ausliefern“ müsse, weil die Türkei
Schäubles „Antiterrorpaket“ der Druck auf Menschen ohne „noch eine Menge tun“ müsse, „um den Zustand ihrer
deutschen Pass erheblich erhöht habe. Andrea Würdiger, Gefängnisse zu verbessern“. Doch könnte man „die Leute
Vorstandsmitglied des Republikanischen Anwältinnen- ja hier festnehmen“. Es gebe – so der Grüne – „die PKK“ auf
und Anwältevereins, führte aus, dass der Ausweisungs- der einen und die „Grauen Wölfe“ auf der einen Seite, „die
grund „Billigen und Bewerben terroristischer Handlungen“ der PKK in nichts nachstehen“. Beide sollten nicht denken,
in der Praxis schwer zu bestimmten sei. Nach ihren Beob- dass „Deutschland ein Ruheraum“ für sie sein könne.
achtungen seien seit 2005 Ausweisungen „ganz verstärkt“
mit der Terrorbekämpfung begründet worden. Es werde 31. Oktober
einem „politischen Populismus“ gehuldigt. Alle Veranstal- Der Prozess gegen Muharrem A. wird vor dem Staats-
tungsteilnehmer/innen forderten, dass Migranten, die schutzsenat des Berliner Kammergerichts eröffnet, dem
mindestens fünf Jahre in Deutschland lebten, absoluten die Bundesanwaltschaft vorwirft, von Februar 1994 bis
Ausweisungsschutz erhalten müssten. April 1995 als Funktionär der zu diesem Zeit noch als „ter-
roristisch“ eingestuften PKK für die Region Bayern verant-
5. Oktober wortlich gewesen zu sein.
Der Befehlshaber der Landstreitkräfte, Ilker Basbug, ver-
kündet auf einer Pressekonferenz in Diyarbakir, dass man Oktober
mit ganzjährigen Operationen die PKK in Bedrängnis Azadî befragt in einem Interview den Vorsitzenden des
gebracht habe. Dieser Druck werde auch im Herbst und KONGRA-GEL, Zübeyir Adar, zu den Vorwürfen der deut-
Winter fortgesetzt – solange die PKK über bewaffnete schen Strafverfolgungsbehörden gegen kurdische Politi-
Kräfte verfüge. ker, die wegen Mitgliedschaft in einer „kriminellen“ Verei-
Zu den Versuchen, die kurdische Bewegung zu eliminieren nigung (§ 129 StGB) vor deutschen Gerichten angeklagt
und die kurdische Bevölkerung in der Türkei durch eine sind und verurteilt werden. Unverändert seit vielen Jahren
staatlich tolerierte nationalistische und rassistische Hetze wird die kurdische Bewegung der Spendengelderpres-
in die Enge zu treiben, erklärte das Präsidium des Exekutiv- sung und Schleusung von Personen (Funktionären oder im
rats der Vereinigten Gemeinschaften Kurdistans (KCK) am Krieg Verwundeten) nach Deutschland sowie der Existenz
22. Oktober u. a., man habe zum 1. Oktober 2006 einen eines internen Strafsystems beschuldigt. Zubeyir Aydar
Waffenstillstand ausgerufen und gehofft, damit die bestreitet diese Vorwürfe und verweist auf die weitrei-
Voraussetzung für eine demokratische Lösung der Kon- chenden Veränderungen in Struktur und Politik der Bewe-
flikte geschaffen zu haben. Doch habe die Regierung diese gung: „Wenn behauptet wird, unsere Struktur sei heute

46 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


dieselbe wie 2000, so steht dahinter entweder eine 7. Dezember
bestimmte Absicht oder aber zumindest ein Ignorieren der Die türkischsprachige Tageszeitung Milliyet berichtet, dass
Realitäten.“ (Das Interview ist nachzulesen im Azadî-infodienst Nr. 59). das türkische Justizministerium die Auslieferung des seit
August 2006 in deutscher Haft befindlichen kurdischen
November Politikers Muzaffer Ayata beantragt hat. Das Ministerium
Der Verfassungsschutz (VS) des Landes Nordrhein-Westfa- beruft sich hierbei auf eine von der Oberstaatsanwalt-
len hat mehrfach versucht, die Mitarbeiterin von zwei in schaft Diyarbakir erstellte Akte und begründet ihr Ersu-
Düsseldorf ansässigen kurdischen Hilfsprojekten über ihre chen damit, dass der Kurde – der bereits wegen seiner
Funktion und Arbeit auszufragen und sie für eine Mitarbeit politischen Aktivitäten 20 Jahre in türkischen Gefängnis-
mit dem VS zu gewinnen. Aysan C. hat dieses Ansinnen sen verbringen musste – angeblich für die Finanzen der
abgewiesen und es stattdessen öffentlich gemacht, u. a. in PKK in Europa zuständig sei und angeblich 500 kurdische
einem Interview in der November-Ausgabe des Azadî- Firmen koordiniert hätte.
infos.
8. Dezember
November Unter dem Titel „Quo vadis, Türkei – Die kurdische Frage
Zum 14. Jahrestag des PKK-Betätigungsverbots haben die zwischen Krieg und politischer Lösung“ findet in Hamburg
Föderation kurdischer Vereine in Deutschland, YEK-KOM, eine vom Verband der Studierenden aus Kurdistan veran-
und der Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in staltete Podiumsdiskussion statt. Der Abgeordnete der
Deutschland, AZADÎ, eine Eingabe an den Petitionsaus- Linksfraktion, Prof. Dr. Norman Paech nimmt u. a. zu den
schuss des Bundestages gerichtet. Mit der Petition wird Auswirkungen des PKK-Betätigungsverbots in Deutsch-
das Parlament aufgerufen, für die Aufhebung des PKK- land Stellung und fordert ein Ende der Kriminalisierung. Er
Betätigungsverbots initiativ zu werden und den Bundes- empfiehlt den politisch Verantwortlichen, sich am Beispiel
minister des Innern zu entsprechenden Schritten aufzufor- der Schweiz zu orientieren, wo die kurdischen Organisatio-
dern. nen, ihre Repräsentanten und Anhänger offen für ihre poli-
tischen Vorstellungen werben und arbeiten können. Fer-
5. November ner kritisiert er die Aufnahme der PKK und die aus ihr
US-Präsident George W. Bush sagt anlässlich eines Besu- hervorgegangenen Organisationen in die EU-Terrorliste. Er
ches von Ministerpräsident Tayyip Erdogan in Washington fordert eine Streichung.
diesem zu, Geheimdienstinformationen über die kurdi-
schen PKK-Guerilla-Stellungen in den Kandil-Bergen des 9. Dezember
Nordirak zu liefern. Bereits Wochen zuvor überflogen US- Eine in Berlin geplante Demonstration von Kurdinnen und
Spionageflugzeuge die Region. Kurden gegen die Militäroperationen der türkischen
Armee und die antikurdische Hetze in der Türkei wird nicht
17. November genehmigt. Lediglich eine Kundgebung ohne Fackelzug
Gegen die angekündigte Invasion der türkischen Armee und Fahnen mit dem Bild von Abdullah Öcalan lässt die
gegen mutmaßliche Stellungen der PKK-Guerilla in den Polizei zu. Das Demo-Verbot war mit der Gefahr von Über-
Bergen Irakisch-Kurdistans demonstrieren Kurdinnen und griffen der MHP-nahen Grauen Wölfe begründet worden.
Kurden in vielen Städten, u. a. in Nürnberg unter dem Das Sicherheitsargument sei lediglich vorgeschoben,
Motto „Es gibt keinen Weg zum Frieden, der Frieden ist der erklärte daraufhin das Kurdistan-Solidaritätskomitee und
Weg – Frieden gemeinsam schmieden“. Hierbei werden sie verzichtete unter diesen Bedingungen auf eine Aktion.
unterstützt von kurdischen, türkischen und deutschen
Gruppen und Initiativen, von der Linkspartei, Antifas und 10. Dezember
Schülerinnen und Schülern. Die Demonstrierenden woll- Auf Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung, wie
ten auch den Versuchen von türkischen Rechten (Graue viele Auslieferungsanträge der Türkei ihr vorliege, antwor-
Wölfe), verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinan- tet diese, dass in diesem Jahr „26 Auslieferungsersuchen
der aufzuhetzen, eine Absage erteilen. der türkischen Regierung eingegangen“ seien. Es sei
jedoch „statistisch nicht erfasst“, über welchen Aufent-
16. November haltsstatus die Personen verfügten, deren Auslieferung die
Der türkische Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcin- Türkei beantragt habe.
kaya hat beim Verfassungsgericht in Ankara das Verbot der
prokurdischen Partei der demokratischen Gesellschaft 13. Dezember
(DTP) wegen Unterstützung einer „terroristischen Vereini- Meldungen der prokurdischen Tageszeitung Yeni Özgür
gung“ beantragt. Ministerpräsident Tayyip Erdogan hatte Politika zufolge, wurden am frühen Morgen in Leipzig die
die Partei mehrmals dazu aufgefordert, sich eindeutig von Wohnungen von vier Kurden durchsucht. Unter ihnen
der PKK zu distanzieren, was diese ablehnte. befand sich auch Aziz Celik, der Vorsitzende des dortigen
kurdischen Kulturhauses. Neben den Bustickets für die
Demonstration am 15. 12. in Düsseldorf, beschlagnahmte
die Polizei sein Handy, SIM-Karten, Computer, Quittungs-
unterlagen, Notizbücher, Ausgaben der Zeitschrift Serxwe-

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 47


bûn sowie Kalender. Laut Aussagen von Celik sind auch 19. Dezember
Bilder und Bücher von Abdullah Öcalan von den Polizisten „Die baskische Jugend wird dem nicht gleichgültig zuse-
fotografiert worden. Der Kurde musste sich einer ED- hen, sondern reicht den Brüdern und Schwestern in Kur-
Behandlung unterziehen. distan solidarisch die Hand“, erklärten baskische Jugendli-
che, die sich im Baskenland an einer spontanen
15. Dezember Kundgebung gegen die türkische Invasion in Südkurdis-
Zehntausende Kurdinnen und Kurden haben in Düsseldorf tan/Nordirak beteiligten. Das Netz „Kamaradak“ (Genos-
an einer Demonstration und Kundgebung unter dem sen) wies darauf hin, dass der „türkische Staat zum wieder-
Motto „Êdî bes e – es reicht: Schluss mit Krieg und Vernich- holten Male die UNO-Resolutionen des Völkerrechts
tung“ teilgenommen und ein Ende der Militäroperationen verletzt“ habe und „zu einer neuen imperialistischen
der türkischen Armee sowie Freiheit für Abdullah Öcalan Aggression mit Hilfe der Vereinigten Staaten übergegan-
gefordert. Die Veranstalterin, YEK-KOM, forderte in einer gen“ sei.
Erklärung die Türkei auf, auf die Kurden zuzugehen und
„gemeinsam einen Friedensplan zu entwickeln.“ Es gebe
ein Leben „jenseits von Krieg und Vernichtung“. Mit dieser
Demonstration wolle man dafür „werben“ und „kämpfen“.
Wegen verbotener Fahnen kam es im Verlauf der Demons-
tration zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und
kurdischen Jugendlichen, wobei Pfefferspray und berit-
tene Kräfte eingesetzt wurden. Mehrere Jugendliche wur-
den vorübergehend festgenommen.
Auf der Schlusskundgebung sprach auch der DTP-Vorsit-
zende Nurettin Demirtas. Nach seiner Rückkehr von
Deutschland nach Ankara, wurde er am 18. Dezember von
türkischen Sicherheitskräften verhaftet.

15. Dezember
Bei einem Treffen zwischen der DTP-Abgeordneten Seba-
hat Tuncel mit dem Sinn Féin-Vorsitzenden Garry Adams in
Belfast, hat dieser seine Bereitschaft zum Ausdruck
gebracht, an der friedlichen Lösung der kurdischen Frage
mitzuwirken. Hierzu werde man die Beziehungen zwi-
schen DTP und der nordirischen Partei vertiefen.

16. Dezember
Wie die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung
(GKKE) unter Berufung auf regierungsamtliche Statistiken
berichtet, haben deutsche Firmen ihr internationales Waf-
fengeschäft deutlich ausgebaut. Die Rüstungsexporte stie-
gen 2006 um 24 Prozent auf 7,7 Milliarden Euro. Diese
Steigerung sei mit der Zunahme von Sammelausfuhren zu
erklären, bei denen deutsche Produzenten mit EU- oder
NATO-Partner kooperieren. Dies berge die Gefahr, dass
deutsche Waffen weiter exportiert würden – auch in Kri-
senregionen und arme Länder. An erster Stelle bei den
Rüstungsexporten aus Deutschland an Länder mit
schlechter Menschenrechtssituation steht der Statistik
zufolge die Türkei. Ihr Wert betrug 311,7 Millionen Euro.

18. Dezember
Der UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon ruft den 18.
Dezember zum „Tag der Migranten“ aus. Mehr als je zuvor
leben Menschen außerhalb ihres Geburtslandes. Etwa 200
Millionen Migranten hielten sich 2007 als Flüchtlinge, Ver-
triebene, Verschleppte oder als Arbeitskräfte im Ausland
auf. Ban Ki Moon forderte zu mehr Verständnis für und
zum Schutz vor Diskriminierung von Zuwanderern auf.

48 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


2008
16. Januar 9. Februar
Ahmed B. wird aufgrund eines Haftbefehls von Interpol Polizeikräfte durchsuchen den kurdischen Verein Mala Gel
Ankara an der deutsch-schweizerischen Grenze fest- und in Hannover und nehmen 14 Personen fest, darunter den
in Auslieferungshaft genommen. Nur zwei Tage später, am Vereinsvorsitzenden Cafer Alp. Außerdem wurden ein
18. Januar, konnte er das Gefängnis wieder verlassen. Das Computer, mehrere Fotos und Dokumente beschlag-
Oberlandesgericht (OLG) ordnete die sofortige Freilassung nahmt. Nach Angaben der Polizei sei der Razzia eine län-
des Betroffenen insbesondere deshalb an, weil das Fest- gere Observation der Festgenommenen im Zusammen-
nahmeersuchen der Türkei vom 6. März 2007 „nicht den hang mit Ermittlungen wegen PKK-Betätigung
formellen Voraussetzungen“ des Europäischen Ausliefe- vorausgegangen.
rungsabkommens und des Europäischen Übereinkom-
mens zur Bekämpfung des Terrorismus. In dem Haftbefehl 10. Februar
sei lediglich die „Funktion des Verfolgten beschrieben“ und Über 400 Kurden demonstrieren in Hannover gegen die
von den türkischen Behörden die „Vermutung“ einer Mit- Vereinsrazzia. Wie die Zeitung „Özgür Politika“ meldet, wur-
wirkung an „von der PKK begangenen terroristischen den seit Januar des vergangenen Jahres razzien gegen insgesamt 135
Handlungen“ geäußert worden. Dies reiche für den Erlass kurdische einrichtungen und Privatwohnungen in Deutschland durch-
einer Haftanordnung nicht aus. Die Generalstaatsanwalt- geführt, wobei Dutzende Personen festgenommen worden waren.
schaft Karlsruhe war da wohl anderer Meinung: Sie hatte
den Auslieferungshaftbefehl beantragt. 11. Februar
Bis auf Ibrahim G. sind 13 der Festgenommenen wieder
21. Januar auf freiem Fuß. Nach Berichten der HAZ und Angaben der
Die baden-württembergische Firma KabelBW hat den Staatsanwaltschaft Lüneburg soll der Festnahme des Kur-
Empfang des kurdischen Senders ROJ TV gestoppt. Ein Fir- den ein konkreter Hinweis auf eine Versammlung des
mensprecher erklärte, dass dieser Maßnahme keine juristi- KONGRA-GEL zugrunde gelegen haben. Laut Oberstaats-
sche Entscheidung zugrunde liege; vielmehr habe man anwalt Manfred Warnecke bestehe der Verdacht, dass die
von „bestimmten Stellen“ eine entsprechende „Direktive“ Versammlung der „Abrechnung der Jahressteuerkampa-
erhalten. gne der Region Hannover“ gedient haben sollte. Weil der
Beschuldigte, der für dieses Gebiet verantwortlich sei, kei-
23. Januar nen festen Wohnsitz in Deutschland habe, sei er wegen
Der kurdische Politiker Muharrem A. wird von den Richtern Fluchtgefahr in Untersuchungshaft genommen worden.
des Staatsschutzsenats des Kammergerichts Berlin nach § Bei ihm seien neben einem höheren Geldbetrag auch
129a StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Spendenbescheinigungen gefunden worden. Die Staats-
Monaten verurteilt und anschließend aus der Haft entlas- anwaltschaft glaube, dass es sich bei dem Festgenomme-
sen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Muharrem A. nen um ein führendes Mitglied von KONGRA-GEL handele.
als Regionsleiter der PKK 1994/95 tätig gewesen ist. Der Deshalb würde gegen ihn wegen Mitgliedschaft in einer
Betroffene war am 7. März 2007 in Berlin festgenommen kriminellen Vereinigung ermittelt. Gegen die anderen wie-
worden. der auf freien Fuß gesetzten Kurden seien Verfahren
wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz anhängig. Nach
31. Januar Ansicht des Anwalts eines Kurden werde durch derartige
Vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg findet Razzien das Problem der Ausgrenzung verstärkt.
eine Anhörung über die Frage statt, ob es rechtmäßig ist,
dass die kurdischen Organisationen PKK und KONGRA-GEL 12. Februar
in der EU-Terrorliste geführt werden. Der Vorsitzende von „Das Ermittlungsverfahren wegen Verabredung zum Mord
KONGRA-GEL, Zübeyir Aydar, hatte gegen die Listung wird eingestellt“ – so lautet die Mitteilung der Staatsan-
Beschwerde eingereicht. waltschaft beim Landgericht Frankfurt/M., die die Kurden
Abdurrahman D., Ekrem E., Mehmet C. und Ali Aktas erhal-
8. Februar ten. Zur Erinnerung: Am frühen Morgen des 26. Juli 2007
Anlässlich des Besuchs des türkischen Ministerpräsidenten stürmten und durchsuchten Sondereinsatzkommandos
Tayyip Erdogan in Deutschland, erklärt er, er habe mit Bun- des hessischen Landeskriminalamtes (LKA) die Privatwoh-
deskanzlerin Merkel u. a. auch über das Vorgehen gegen nungen von vier Mitgliedern des Mezopotamischen Kul-
die PKK gesprochen. Eine Woche zuvor hatte sich Bundes- turvereins in Gießen, darunter die des Vereinsvorsitzenden
innenminister Wolfgang Schäuble zu Gesprächen in der Ali Aktas. Alle wurden festgenommen und am gleichen
Türkei aufgehalten, wo er eine Unterstützung der Türkei im Tag wieder freigelassen. Die vom Amtsgericht Frankfurt/M.
„Antiterrorkampf“ zugesagt habe – u.a. auch hinsichtlich angeordnete Polizeiaktion wurde damit begründet, dass
der Auslieferung von in Deutschland lebenden PKK-Mit- gegen die Beschuldigten der Verdacht bestünde, „dass sie
gliedern und –Sympathisanten. die Tötung des Polizeibeamten Klaus B. planen und diesen
hierfür an einen nicht näher bekannten Ort locken wollen“.

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 49


Hierbei handele es sich „um eine Art Abstrafungsaktion 27. Februar
aufgrund eines dienstlichen Handelns des Polizeibeamten Obwohl sich der Vereinsvorsitzende bereiterklärt hat, die
in den 90er Jahren“. Es sei zu vermuten, dass bei der Vereinstüre zu öffnen, dringen etwa 100 Polizeikräfte
Durchsuchung „Notizen über den Aufenthaltsort des gewaltsam in das Zentrum für kurdische Kultur und Spra-
Opfers, Lichtbilder, Skizzen bzgl. seines Wohnsitzes und che e.V. in Kassel ein und durchsuchen alle Räumlichkei-
sonstige Unterlagen“ aufgefunden werden könnten. Die- ten. Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Frank-
sen Beschuldigungen zugrunde liegt ein Vorgang, der sich furt/M., der die Anordnung mit Ermittlungen wegen
am 29. Juni 1994 in Hannover ereignete. Der kurdische angeblicher Aktivitäten der „PKK-Nachfolgeorganisation
Jugendliche Halim Dener wurde an diesem Abend von KONGRA-GEL“ und deren Unterstützung begründet,
zwei Zivilpolizisten beim Kleben von Plakaten der verbote- datiert vom 4. Februar 2008. Sieben Personen werden fest-
nen ERNK überrascht und durch einen Schuss in den genommen, sechs am späten Abend nach ED-Behandlung
Rücken getötet. Der Polizist, der den Jugendlichen wieder freigelassen; ein Kurde, Hemo Ö., befindet sich wei-
erschossen hatte, war im Juni 1997 vom Landgericht Han- terhin in Haft. Er wird beschuldigt, im Raum Kassel „Spen-
nover vom Verdacht der „fahrlässigen Tötung“ freigespro- densammlungen und sonstige Aktivitäten zu koordinie-
chen worden. Die Sprecherin der Frankfurter Staatsanwalt- ren“ und zu diesem Zweck „Treffen im Zentrum für
schaft, Doris Müller-Scheu, verstieg sich zu der Äußerung, kurdische Kultur und Sprache abzuhalten“. Im Zuge der
dass die Durchsuchungen „die Sache aufgedeckt“ worden Durchsuchung wurden zahlreiche Bücher, Zeitschriften,
sei und die Verdächtigen „gewarnt“ seien, Pläne gegen den PC, Handys, Ordner und Vereinsunterlagen beschlag-
angeblich bedrohten Polizisten weiter zu verfolgen. Der nahmt.
Gießener Anwalt Bernhard Gerth sprach von einem „relativ
mysteriösen und undurchsichtigen Vorgang“ und vermu- 28. Februar
tete, dass die Behörden anonymen Hinweisen einer Rund 1500 Menschen – Mitglieder kurdischer, türkischer
„denunziatorischen Quelle“ nachgegangen seien. deutscher und antifaschistischer Vereinigungen –
Laut Gießener Anzeiger vom 26. Juni hat sich der Polizei- demonstrieren in Berlin gegen den Einmarsch der türki-
einsatz vom Juli 2007 als „Schlag ins Wasser“ entpuppt. schen Armee in den Nordirak. Die europäischen Länder
Nicht nur, dass die Ermittlungen eingestellt worden seien; werden aufgefordert, sich mit politischen und wirtschaftli-
vielmehr habe das Amtsgericht Gießen auch verfügt, dass chen Druckmitteln für die Beendigung des völkerrechts-
das Land Hessen für die entstandenen Sachschäden aufzu- widrigen Überfalls einzusetzen. Vor dem angemeldeten
kommen habe. Ort der Abschlusskundgebung – die türkische Botschaft –
sperren Polizisten die Straße ab, weil die Demonstrieren-
22. Februar den in Sprechchören „Erdogan – Mörder“ rufen. Der Spre-
Ridwan C., der am 12. Juli 2007 in Berlin verhaftet wurde, cher des Kurdistan-Solidaritätskomitees, Nick Brauns,
ist zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten rechtfertigt über Lautsprecher diese Parole wegen der
verurteilt worden. Gegen das Urteil hat die Verteidigung politischen Mitverantwortlichkeit Erdogans für das Mor-
Revision eingelegt. den der türkischen Armee in Kurdistan. Die Polizei nimmt
ihn deshalb wegen „Beleidigung“ des türkischen Minister-
27. Februar präsidenten fest. Das Komitee zeigt sich zuversichtlich,
Das Ehepaar A. hatte im Jahre 2000 einen Antrag auf Ein- dass eine Anklage wegen Beleidigung ebenso scheitern
bürgerung gestellt und 2004 zurückgezogen, nachdem wird wie ähnliche Verfahren wegen der Parole „Rumsfeld –
ihnen in einer Anhörung erklärt worden war, dass sie Massenmörder“ während der Invasion der USA auf den
wegen ihrer Aktivitäten für die PKK die Voraussetzungen Irak.
nicht erfüllen würden. Doch auch der nächste Versuch –
2006 – scheiterte. Das Ordnungsamt einer nordrhein- März
westfälischen Stadt teilte dem kurdischen Ehepaar mit, In seinem Urteil bewertet das Verwaltungsgericht (VG)
dass „allein die Tatsache, dass diese Aktivitäten (für die Hannover den Asylwiderruf des Bundesamtes für Migra-
PKK) länger zurückliegen“ nicht genüge, „um eine Abwen- tion und Flüchtlinge gegen einen Kurden als rechtswidrig
dung von den verfassungsfeindlichen Bestrebungen und hebt diesen wieder auf. Das Gericht bezieht sich auf
glaubhaft zu machen.“ Vielmehr müssten die Beiden den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 25. Oktober
„schriftlich darlegen, dass und warum sie ihre innere Ein- 2007, wonach sich zwar die Menschenrechtslage in der
stellung gewandelt“ hätten. „Detailliert“ sei zu erläutern, Türkei verbessert habe, gleichwohl aber nicht davon aus-
„welche Umstände Ihre Abwendung von der extremisti- gegangen werden könne, dass der Reformprozess „bereits
schen Organisation bzw. deren Aktivitäten bewirkt“ weit genug fortgeschritten“ sei, „um eine menschenrechts-
haben. Die Begründung müsse „anhand der konkreten widrige Behandlung des Klägers durch türkische Sicher-
Anhaltspunkte nachvollziehbar sein“, so dass „zukünftig heitsorgane mit hinreichender Sicherheit ausschließen zu
Unterstützungshandlungen im o.g. Sinne mit hinreichen- können.“ Der Mentalitätswandel sei noch nicht von allen
der Gewissheit ausgeschlossen werden“ könnten. Teilen der „Polizei, Verwaltung und Justiz vollständig
erfasst.“ Trotz „aller“ Maßnahmen der Regierung gegen Fol-
ter und Misshandlungen im Rahmen ihrer Null-Toleranz-
Politik und eines weiteren Rückgangs von bekannt gewor-

50 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


denen Fällen“, müsste die Strafverfolgung von Folterern 13. März
immer noch als „unbefriedigend“ bezeichnet werden. Die Büroräume der
Außerdem würden „derzeit“ die türkischen Gerichte „in Informationsstelle
politischen Strafverfahren auf der Grundlage von erfolter- Kurdistan (ISKU) in
ten Geständnissen verurteilen.“ Es gebe auch „keine zuver- Hamburg sowie eine
lässigen Erkenntnisse“, „in welchem Umfang es zu inoffi- Privatwohnung in
ziellen Festnahmen durch Sicherheitskräfte in Zivil mit Berlin werden durchsucht. Laut Beschluss des Amts-
anschließender Misshandlung und Folter komme.“ gerichts vom 7. Dezember 2007 werde auf der Internet-
Deshalb gehe das Gericht „derzeit“ davon aus, „dass von seite der ISKU „positiv“ über die „kurdische Freiheitsbewe-
einer verfestigten und nachhaltigen Veränderung der gung“ berichtet und das Programm und Statut von
Menschenrechtssituation in der Türkei […] nicht gespro- KONGRA-GEL ungekürzt veröffentlicht mit dem Ziel, „die
chen“ werden könne. (Aktenzeichen: 1 A 2918/07). Außer- Zahl seiner Anhänger zu vergrößern“. Außerdem könne
dem verwiesen die Richter auf ein ähnliches Urteil des VG sich „der Leser“ in eine Unterschriftenliste unter den Aufruf
Oldenburg vom 4. Oktober 2007. Dies verwies insbeson- „Kurden fordern Gerechtigkeit – PKK von der Terrorliste
dere darauf, „dass die Auseinandersetzungen zwischen der streichen“ eintragen. Dies rechtfertigt nach Auffassung des
PKK und den türkischen Sicherheitskräften seit Juni 2004 Amtsrichters Dr. Szebrowski ein Ermittlungsverfahren
wieder aufgeflammt“ seien und ein „Anstieg von Übergrif- gegen „unbekannte Verantwortliche“ wegen des „Ver-
fen der Sicherheitskräfte erneut zu verzeichnen“ sei. Auch dachts des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz“. Auch in
wegen der „Verschärfung des Antiterrorgesetzes vom 29. diesem Gerichtsbeschluss findet sich die unhaltbare
Juni 2006 als Reaktion auf die Zunahme der Spannungen Behauptung, PKK/KADEK und KONGRA-GEL seien „iden-
im Südosten der Türkei“ könne nicht davon ausgegangen tisch“ und „lediglich umbenannt“ worden, weshalb auch
werden, „dass der durch eigene (exil-)politische Aktivitäten KONGRA-GEL unter das PKK-Betätigungsverbot falle. Auch
aufgefallene Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei Verfol- die Wohnung des Vorstandsmitglieds Hasret A. vom kurdi-
gungsmaßnahmen nicht mehr ausgesetzt“ sein würde. schen Verein Mala Gel in Hannover wurde wegen des Ver-
(Aktenzeichen: 5 A 4386/06). dachts der PKK-Betätigung durchsucht.

10. März 13. März


Nachdem Hemo Ö. im Zuge einer Razzia am 27. Februar im Auf der Fahrt von Koblenz nach Linz/Rh., stoppen mas-
Kasseler Zentrum für kurdische Kultur und Sprache in kierte Polizeikräfte das Fahrzeug, in dem Cenep Y., Aziz K.
Untersuchungshaft genommen wurde und nach einem und Turabi K. sitzen. Die Fensterscheiben werden zerschla-
Haftprüfungstermin zwei Tage später das Gefängnis wie- gen, die Kurden aus dem Wagen gezerrt und auf den
der verlassen konnte, ist er in Bielefeld erneut festgenom- Boden geworfen. Hierbei erleidet Cenep Y. eine Platz-
men worden. Wie zuvor liegt der neuerlichen Festnahme wunde unterhalb des Auges, so dass er einige Tage im
eine Anordnung des Amtsgerichts Frankfurt/M. zugrunde, Haftkrankenhaus behandelt werden muss. Nach seiner
nach der Hemo Ö. beschuldigt wird, für die „PKK-Nach- „Entlassung“ wird er in eine Einzelzelle der JVA verlegt, wo
folgeorganisation Kongra-Gel“ tätig zu sein und diese er Hochsicherheitsbedingungen unterliegt. So hat er täg-
durch „Spendensammlungen und sonstige Aktivitäten zu lich nur eine halbe Stunde Hofgang alleine und in
koordinieren“ und zu unterstützen. Der Kurde wurde am 7. bestimmten Fällen werden ihm Hand- und Fußfesseln
Juli 2008 zu einer mehrmonatigen Freiheitsstrafe verur- angelegt. Laut Durchsuchungsantrag der Staatsanwalt-
teilt, der Vorwurf des §129 StGB fallen gelassen und der schaft Koblenz und Beschluss des Amtsgerichtes Koblenz
Haftbefehl aufgehoben. vom 12. März wird der Kurde verdächtigt, hauptamtlicher
Kader der PKK in einer kriminellen Vereinigung (§ 129
25. März StGB) zu sein. Er soll sich „als Mitglied an der in Deutsch-
Auch das Verwaltungsgericht Stuttgart hat in einem Urteil land bestehenden kriminellen Vereinigung im führenden
den Asyl-Widerrufsbescheid des Bundesamtes gegen eine Funktionskörper der Organisation PKK“ seit 2007 „als
Kurdin aufgehoben. Danach habe im Jahre 2007 „im Ver- Gebietsverantwortlicher für das Gebiet Bonn“ betätigt
gleich zum Vorjahr erneut ein Anstieg um 40 Prozent der haben. Der Zweck und die Tätigkeit der kriminellen Verei-
gemeldeten Fälle von Folter und Misshandlung festge- nigung sei – laut Amtsgericht – „auf die Begehung von
stellt“ werden müssen. Aufgrund der „intensivierten militä- Straftaten gerichtet“ und diene „der Aufrechterhaltung
rischen Auseinandersetzungen zwischen den türkischen und dem Ausbau der Parteistrukturen sowie der Durchset-
Streitkräften und Guerillaverbänden der PKK“ sei der zung ihrer Ziele“. Zur „mitgliedschaftlichen Betätigung“
„Druck der Straße auf die türkische Regierung, massiv von Funktionären der Organisation gehöre ferner, trotz
gegen die PKK vorzugehen, immer größer geworden.“ Es des 1993 ausgesprochenen Betätigungsverbots, „Dritte zu
bestehe eine „besonders starke nationalistische Stim- veranlassen oder darin zu fördern, ihrerseits gegen das
mung“, die „zahlreiche Übergriffe gegen Kurden und meh- Verbot zu verstoßen.“ Dies betreffe insbesondere den
rere Büros der prokurdischen Partei DTP“ zur Folge habe. Arbeitsbereich „Finanzen“. So sei Cenep Y. in diesem
Außerdem drohe durch den „Einmarsch der türkischen Rahmen nicht nur für die alljährlichen Spendenkampagne
Armee in den Nordirak im Februar 2008 eine Destabilisie- verantwortlich, sondern „mit der Regelung sämtlicher
rung der gesamten Region.“ (Aktenzeichen: A 11 K 17/08) organisatorischer, finanzieller und propagandistischer

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 51


Angelegenheit“ betreut gewesen. Er habe sich bei der Nürnberg, Mainz, Darmstadt und Berlin geleitet haben. Er
Umsetzung dieser Aufgaben der beiden „Raumverantwort- wird der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung
lichen“ Aziz K. und Turabi K. „bedient“. Beide sind deshalb beschuldigt (§ 129 StGB) und befindet sich seit seiner Fest-
mit dem Vorwurf der „Unterstützung der kriminellen Verei- nahme in Untersuchungshaft.
nigung“ konfrontiert und befinden sich ebenfalls in Unter-
suchungshaft in rheinland-pfälzischen Gefängnissen. 10. April
Muzaffer Ayata wird vom OLG Frankfurt/M. zu einer Frei-
13. März heitsstrafe von 3 Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Die Wohnung, der Keller und Pkw von Hasan K. in Koblenz Gegen das Urteil wird Revision eingelegt. In einem über
werden durchsucht und eine Reihe von Gegenständen 70-seitigen Schlusswort geht der Politiker insbesondere
beschlagnahmt. Laut Beschluss des Amtsgerichts Koblenz auf die Haltung der deutschen Politik gegenüber den Pro-
vom 12. März wird gegen ihn wegen des „Anfangsver- blemen der Kurden ein. (s. Azadî-infodienst Nr. 65, April 2008)
dachts eines Vergehens nach dem Vereinsgesetz“ ermit- Muzaffer A.’s Verteidiger hatten für ihren Mandanten Frei-
telt. Seit Oktober 2007 soll er umfangreiche „Tätigkeiten für spruch und Aufhebung des Haftbefehls gefordert.
die PKK“ entfaltet haben, insbesondere hinsichtlich der Einen Monat zuvor, am 18. März war dem Politiker Muzaf-
Spendenaktionen. Als Stadtteilverantwortlicher habe er fer A. der Gerichtsbeschluss des OLG vom 13.3. zur Auslie-
„aufgrund seiner kulturellen und verwandtschaftlichen ferungshaft verlesen worden. Wie AZADÎ im Dezember
Verwurzelung innerhalb der örtlichen kurdischen Bevölke- berichtet hatte, fordert die Türkei die Auslieferung des Poli-
rung über vertiefte Einblicke in die finanziellen Verhält- tikers. Das türkische Auslieferungsersuchen datiert vom
nisse von Privatpersonen und Geschäfte“ verfügt. Hasan K. 10. Dezember 2007. Bereits drei Tage zuvor meldete die
befindet sich auf freiem Fuß. Tageszeitung Milliyet, das türkische Justizministerium
berufe sich auf eine von der Oberstaatsanwaltschaft Diyar-
19. März bakir erstellte Akte und begründe das Auslieferungsersu-
Unter dem Titel „Auslieferung trotz Flüchtlings- oder Asyla- chen mit der Behauptung, dass Muzaffer A. für die Finan-
nerkennung?“ untersuchte der Strafrechtsprofessor Otto zen der PKK in Europa sowie für den bewaffneten Kampf
Lagodny im Auftrag von Amnesty International die bun- der „Separatisten“ gegen die Armee, die Polizei und die
desdeutsche Rechtslage. Der Jurist hält die Tatsache, dass Bevölkerung verantwortlich gewesen sein soll. Die Behör-
deutsche Gerichte selbst abgeschlossene Asylverfahren den behaupten außerdem, dass er bis zum Jahre 2000 als
überprüfen, für einen Verstoß gegen europäisches Recht. „Gefängnisbeauftragter“ der PKK tätig gewesen sei. Gegen
Strafgerichte und Bundesjustizministerium sind bei ihrer den Kurden, der im August 2006 in Mannheim festgenom-
Entscheidung, ob einem türkischen Auslieferungsantrag men worden war, wurde seit dem 24. Mai 2007 wegen des
stattgegeben wird, nicht an Beschlüsse der Verwaltungs- Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereini-
gerichte oder –behörden gebunden. Türkische Behörden gung (§ 129 StGB) verhandelt. [Muzaffer A., der im März
nutzen die Rechtslücke, wonach es auf europäischer 1980 – wenige Monate später erfolgte der Militärputsch -
Ebene keine einheitliche Regelung gibt, nach der ein aner- in der Türkei „im Rahmen der Organisationstätigkeiten
kannter Flüchtling trotzdem weiterhin vom Verfolgerstaat festgenommen“ worden ist, wurde zur Todesstrafe verur-
per Interpol-Haftbefehl gesucht werden kann. Julia Duch- teilt, die später in eine lebenslange Haft umgewandelt
row von Amnesty International hält die Amtshilfe hinsicht- wurde. Im September 2000 wurde er aus dem Gefängnis
lich der türkischen Auslieferungsersuchen für fragwürdig in Bursa entlassen und ist im Mai 2001 aus der Türkei ins
und rechtswidrig. Ausland ausgereist. In Deutschland war er u. a. von 2003
bis 2004 als Ansprechpartner für die in der Türkei inzwi-
26. März schen verbotene prokurdische Parteien HADEP/DEHAP –
Auf Anordnung des Amtsgerichts Koblenz wird der kurdi- Nachfolgerin der auch vom Verbot bedrohten DTP – und
sche Politiker Mehmet C. verhaftet. Er wird der „Mitglied- setzte sich vor allem auch publizistisch für die friedliche
schaft in einer kriminellen Vereinigung“ (§ 129 StGB) ver- Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts ein].
dächtigt und beschuldigt , „ununterbrochen fortlaufend
seit Mai 2005“ für mehrere „Gebiete der PKK“ als „haupt- 10. April
amtlicher Kader“ verantwortlich gewesen zu sein. Um In den frühen Morgenstunden werden die Räumlichkeiten
„Aufschluss über Art und Umfang der Betätigung des des kurdischen Vereins BIRATI e.V. in Bremen sowie die
Beschuldigten für die PKK“ zu erhalten, findet auf Antrag Wohnungen von neun Mitgliedern durchsucht, darunter
der Staatsanwaltschaft Koblenz auch eine Durchsuchung die des ehemaligen und derzeitigen Vereinsvorsitzenden.
seiner Wohnung statt. Die Betroffenen müssen sich einer ED-Behandlung unter-
ziehen. Im Zuge der Durchsuchungen sind Vereinsunterla-
27. März gen, Zeitschriften, Bücher, Notizblöcke, Computer und
Als mutmaßlichen „PKK-Führungsfunktionär“ hat die Bun- Handys beschlagnahmt worden. Die Staatsanwaltschaft
desanwaltschaft in Berlin den 34-jährigen Kurden Vakuf M. Bremen wirft den kurdischen Vereinsaktivisten die Bildung
durch Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) festneh- einer kriminellen Vereinigung (§129 Strafgesetzbuch) vor
men lassen. Er soll unter dem Decknamen „Dersim“ von – ein Novum in der strafrechtlichen Verfolgung von Kur-
„Juli 2004 bis Juni 2007“ verschiedene „PKK-Gebiete“ den und ihren Einrichtungen. Bislang wurden Spenden,

52 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


das Spendensammeln und andere Aktivitäten als Verstöße seien seine Angaben „unvollständig“ gewesen. Außerdem
gegen das Vereinsgesetz strafrechtlich geahndet. Begrün- gebe es „Anhaltspunkte dafür“, dass es sich bei dem Betrof-
det wird dies in der Regel mit der Behauptung, dass alle fenen „nach wie vor um einen patriotischen Kurden“ han-
Vereine, die der Föderation kurdischer Vereine (YEK-KOM) dele, „der zumindest mit den Zielen der PKK/KONGRA-GEL
angehören, den „legalen Arm“ von PKK/KONGRA-GEL bil- sympathisiert.“ Hierfür sollen nun alle Familienmitglieder
den und mit deren Ziele sympathisieren würden. Während haften, was laut Behörde dem Grundsatz entspreche, „dass
zahlreiche derartiger Verfahren mit Geldstrafe oder einer minderjährige Kinder das aufenthaltsrechtliche Schicksal
Einstellung enden, müsste bei einer Anklage nach § 129 der Eltern teilen“ müssen. Aufgrund der „häuslichen
StGB mit empfindlicheren Strafen gerechnet werden. Gemeinschaft und der engen Bindungen in einer Familie“
sei ein „negativer Einfluss von Straftätern auf Ehefrau und
12. April Kinder nicht auszuschließen“.
Unter dem Motto „Stoppt die Kriminalisierung der Kurden
und kurdischer Vereine“ war für den in Bremen eine Kund- 4. Mai
gebung angemeldet worden. Das Amt für Veranstaltun- Zwei wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kri-
gen, öffentliche Ordnung und Gesundheitsschutz ver- minellen Vereinigung (§ 129 StGB) in U-Haft befindlichen
fügte, dass keine Symbole und Fahnen von kurdischen Gefangenen in Rheinland-Pfalz, wird die Aus-
PKK/ERNK/ARGK (angemerkt sei, dass zumindest ERNK händigung der prokurdischen Tageszeitung Yeni Özgür
und ARGK überhaupt nicht mehr existieren, Azadî) gezeigt Politika verweigert, weil diese angeblich verboten sei.
noch PKK-Parolen gerufen werden dürfen. Außerdem Nach der Beschwerde eines Verteidigers, wonach es sich
werde nicht gestattet, dass „das Bild Abdullah Öcalans bei bei der Zeitung mitnichten um eine verbotene Publikation
dieser Versammlung“ gezeigt wird. Der verantwortliche handelt, musste das Amtsgericht Koblenz mit Beschluss
Versammlungsleiter wurde dazu verpflichtet, „Personen, vom 4. Mai die Anordnung der Staatsanwaltschaft Koblenz
die Kennzeichen, Fahnen und Symbole der verbotenen aufheben. Den Beschuldigten seien „die bei der Habe
PKK, von KADEK und KONGRA-GEL zeigen und Parolen der befindlichen Ausgaben sowie die laufenden Ausgaben der
PKK skandieren oder das Bild Abdullah Öcalans verwen- Tageszeitung Yeni Özgür Politika auszuhändigen.“ Diese
den“, von der Kundgebung „auszuschließen“. Gerichtsentscheidung ist für alle Inhaftierten nun verbind-
lich. Das Amtsgericht hatte sich in seinem ersten Beschluss
April zum Verbot der Aushändigung auf die längst rechtskräftig
Die Stadt Kassel teilte Methi M., seiner Frau und ihren fünf aufgehobene Verbotsverfügung gegen die „E. Xani-Presse-
Kindern mit, dass die Absicht bestehe, der Familie den Auf- agentur“ gestützt.
enthaltstitel nach der Bleiberechtsregelung zu versagen. Zur Erinnerung: Einen ersten Versuch, die Zeitung zu ver-
Diese Entscheidung wird damit begründet, dass das Lan- bieten, erfolgte im Januar 2000, als Beamte des hessischen
desamt für Verfassungsschutz Hessen der Ausländerbe- LKA mehrere Büros der Zeitung in Berlin, Düsseldorf und
hörde im Zuge des Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens Neu-Isenburg nach „PKK-nahen“ Dokumenten durchsuch-
„geeignete Erkenntnisse im Bezug auf Herrn M. mitgeteilt“ ten. Die Durchsuchungen erstreckten sich auch auf Woh-
habe. Es müssten „Personen von der Bleiberechtsregelung nungen von mehreren Mitarbeiter/innen. Zufall? Zum Zeit-
ausgeschlossen“ werden, „die Bezüge zu Extremismus punkt der Polizeiaktionen kam in Ankara die türkische
oder Terrorismus“ hätten. In einer Sicherheitsbefragung Regierungskoalition zu einer Sondersitzung über das wei-
habe Methi M. zwar seine zeitweise Vorstandstätigkeit in tere Schicksal des zum Tode verurteilten PKK-Vorsitzenden
einem „von der PKK/KONGRA-GEL gesteuerten“ kurdi- Abdullah Öcalan zusammen.
schen Verein eingeräumt, doch hinsichtlich der Dauer Den zweiten Versuch startete der damalige Bundesinnen-

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 53


minister Otto Schily. Es war Wahlkampfzeit und Bundes- Spendengelder für die „ehemalige PKK und ihre Nach-
kanzler Schröder bemühte sich intensiv um türkischstäm- folgeorganisationen und die Verteilung von Publikationen
mige Wähler/innen. Anfang September 2005 wurden die eingetrieben“ zu haben. Hierbei sei er von den „jeweilig
Verlags- und Firmenräume von Özgür Politika bzw. der E. gesondert verfolgten Raumverantwortlichen“ unterstützt
Xani Presse- und Verlags GmbH durchsucht, sämtliche worden. Als „Mitglied einer kriminellen Vereinigung inner-
Arbeitsmaterialien sowie das Firmen- bzw. Vereinsvermö- halb der PKK“ habe sich Ahmet E. durch seine Handlungen
gen beschlagnahmt. Schily ließ die Redaktion schließen strafbar nach § 129 StGB gemacht.
und die Herausgabe der Zeitung verbieten. Diesem Vor- Von den Durchsuchungen habe man sich laut Gerichtsbe-
gehen vorausgegangen waren monatelange antikurdische schluss erhofft, insbesondere „Abrechnungsunterlagen,
Hetzkampagnen in türkischen Zeitungen, in denen Spendenquittungen, Propagandamaterial, Telefonabrech-
Deutschland vorgeworfen wurde, nicht konsequent nungen, elektronische Speichermedien (CD, DVD, USB-
genug gegen „terroristische Organisationen“ vorzugehen. sticks etc.) und sonstige Unterlagen, die Aufschluss geben
Nach Schilys Repressionsmaßnahmen folgte prompt gro- über die Tätigkeit des Beschuldigten für die PKK und ihre
ßes Lob vonseiten des damaligen türkischen Außenminis- Nachfolgeorganisationen sowie Telefone und Computer“
ters Abdullah Gül. Als genüge das nicht, besuchte Kanzler zu finden. […]
Schröder kaum zwei Wochen nach dem Zeitungsverbot
den in Frankfurt ansässigen Konzern des finanzschweren 25. Mai
Verlegers Aydin Dogan, in dessen Verlag auch das nationa- Die Kurdische Nachrichtenagentur FIRAT News meldet,
listische Massenblatt Hürriyet erscheint, das seitenlang dass auf einer Sitzung des „Hohen Antiterrorrates“ der Tür-
über diesen Besuch berichtete. Zeitgleich bemühte sich kei beschlossen worden sei, in der Türkei und in den EU-
der türkische Staat intensiv darum, Druck auf die dänische Ländern – insbesondere in Deutschland – eine umfas-
Regierung auszuüben, um die Schließung des kurdischen sende Kampagne gegen die PKK starten zu wollen. So sei
Fernsehsenders ROJ TV zu erreichen. Dem Verbotsansin- einerseits geplant, in der Türkei die Familien von PKK-
nen von Schily machte das Bundesverwaltungsgericht in Kämpfer/innen aufzusuchen, damit diese auf ihre Töchter
Leipzig mit seiner Entscheidung vom 18. Oktober 2005 und Söhne einwirken, die Guerilla zu verlassen. Bedienen
einen Strich durch die Rechnung. Es hob das erlassene Ver- wolle man sich bei der Kampagne auch der PKK-Abtrünni-
bot auf. Sämtliche beschlagnahmte Gegenstände mussten gen und -Kronzeugen. Die Lobby- und Öffentlichkeits-
ebenso wie das eingezogene Vermögen zurückgegeben offensive in den EU-Staaten soll über Nichtregierungs-
werden. organisationen, Botschaften und anderweitige Außen-
vertretungen erfolgen. Auf Plakaten, Konferenzen, in Arti-
7. Mai keln, über Radio und Fernsehen soll die Öffentlichkeit in
In den frühen Morgenstunden werden die Studioräume Anti-PKK-Stellung gebracht werden – vor allem mit der
der in Wuppertal ansässigen Firma VIKO, die für das kurdi- Behauptung, die Organisation sei in den Drogenhandel
sche ROJ TV Fernsehsendungen produziert, durchsucht. verwickelt bzw. profitiere von diesem.
Von diesen Polizeimaßnahmen betroffen sind auch die
Privatwohnungen der Mitarbeiter/innen und teilweise 30. Mai
ehemaligen Angestellten von VIKO. Zweck der Durch- US-Präsident George W. Bush verfügt, die PKK bzw. den
suchungen, die auf ein vom Bundesinnenministerium ein- KONGRA-GEL auf Grundlage des „Foreign Narcotics King-
geleiteten Ermittlungsverfahren zurückzuführen sind, solle pin Designation Act“ auf die US-Liste der Organisationen,
die Beschlagnahme von „verbotsrelevantem Beweismate- die Drogenhandel betreiben, setzen zu lassen – gemein-
rial“ sein. VIKO wird vorgeworfen, mithilfe ihrer Produkti- sam mit der kalabrischen N’drangheta, der sizilianischen
ons- und Sendetechnik „von Deutschland aus die PKK, die Cosa Nostra und mexikanischen Drogenbaronen !
seit 1993 verboten ist, zu unterstützen.“ ROJ TV sendet seit
dem 1. März 2004 auf der Frequenz von Mesopotamia 5. Juni
Broadcast, der seit 1993 eine dänische Sendelizenz für den Auf einer Pressekonferenz anlässlich eines informellen
Kulturkanal Mesopotamia TV (METV) hat. Arbeitsbesuchs in Washington, erklärt der türkische
Außenminister Ali Babacan u. a., dass man gemeinsam
14. Mai gegen die PKK kämpfen und militärische Operationen in
Auf der Suche nach Beweismitteln in einem Ermittlungs- enger Kooperation mit den im Irak stationierten US-Streit-
verfahren gegen Ahmet E., haben Beamte des Landeskri- kräften durchführe und fortsetzen wolle. US-Außenminis-
minalamtes (LKA) Sachsen-Anhalt die Räumlichkeiten des terin Condolezza Rice sagte, dass die PKK eine Feindin des
Mesopotamien-Kulturhauses in Halle sowie die Wohnung Irak, der USA und der gesamten Region sei. Deshalb müsse
von Filiz T. in Berlin durchsucht. Zu Festnahmen ist es bei die Zusammenarbeit mit der Türkei konzentriert werden.
dieser polizeilichen Aktion nicht gekommen. Laut
Beschluss des Amtsgerichts Halle vom 21. April 2008, das 5. Juni
die Durchsuchung des kurdischen Vereins angeordnet hat, Aufgrund eines Beschlusses des Oberlandesgerichts wird
wird der Beschuldigte verdächtigt, „mindestens seit Juni Ayfer K. aus der Auslieferungshaft in München entlassen.
2007 als Gebietsverantwortlicher für die nachgeordneten Wie in zahlreichen anderen Fällen mit der Begründung, die
Räume Magdeburg, Halle, Leipzig, Zwickau und Dresden“ von den türkischen Behörden vorgelegten Unterlagen im

54 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


Hinblick auf die angestrebte Auslieferung entsprächen in richte sich gegen die Völkerverständigung. Auf Kanther
keiner Weise den europäischen Rechtsstandards. Die ehe- folgte Otto Schily (SPD), der im September 2005 mit
malige Dolmetscherin von Abdullah Öcalan während sei- nahezu der gleichen Begründung die in Deutschland
nes Aufenthaltes in Italien und Griechenland 1998/99, war erscheinende Tageszeitung Özgür Politika und die Nach-
am 2. März an der deutsch-österreichischen Grenze festge- richtenagentur MHA verbieten ließ. Allerdings hob das
nommen worden. Bundesverwaltungsgericht diese Verbote wieder auf. Nun
ist Wolfgang Schäuble (CDU) an der Reihe und auch er
13. Juni muss sich als antikurdischer Hardliner beweisen. Den kur-
Laut Verfügung, gerichtet an die Verantwortlichen der in dischen Institutionen vorzuwerfen, ihre Arbeit richte sich
Dänemark ansässigen Firmen Mesopotamia Broadcast A/S gegen den Gedanken der Völkerverständigung, kann nur
METV und ROJ TV sowie VIKO in Wuppertal, lässt der als dreist bezeichnet werden.
Innenminister letztere als „Teilorganisation von ROJ TV“ am Wie das Friedensforschungsinstituts SIPRI in seinem
19. Juni schließen. Mesopotamia Broadcast A/S darf sich Anfang Juni veröffentlichten Jahrbuch feststellte, nimmt
„im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes nicht mehr Deutschland den sechsten Platz der weltweiten Militäraus-
durch den Fernsehsender ROJ TV A/S betätigen“. Es wird gaben (23,7 Milliarden Euro) ein und die Türkei gehört
behauptet, die Tätigkeit des Fernsehsenders laufe Strafge- neben Griechenland und Südafrika zu den wichtigsten
setzen zuwider und richte sich „gegen den Gedanken der Abnehmern deutscher Waffen. Mit hoher Wahrscheinlich-
Völkerverständigung“. Zudem wird behauptet, der TV-Sen- keit kommt ein Teil von ihnen in den Militäroperation der
der betätige sich für die in Deutschland seit 1993 verbo- türkischen Armee gegen die kurdische Freiheitsbewegung
tene PKK „(heute KONGRA-GEL)“ und sei somit deren und Zivilbevölkerung zum Einsatz. Auch macht das
„Sprachrohr, um ihre Anhängerschaft in Europa mit Nach- beängstigend wachsende militärische Engagement
richten zu versorgen.“ Des weiteren trage ROJ TV zur „Auf- Deutschlands im Ausland deutlich, dass die Bundeswehr
rechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts der als „Armee im Einsatz“ überall in die Lage versetzt werden
Organisation“ bei. soll, auch mit gewaltsamen Mitteln Druck zur Durchset-
zung imperialer Interessen auszuüben. Dieser „neue deut-
Die erheblichen Interessen der BRD sche Militarismus“, die steigenden Rüstungsausgaben und
Das Verbot wird mit der Behauptung gerechtfertigt, der -exporte vor allem in Krisengebiete erhöhen das Kriegsri-
kurdische Sender beeinträchtige und gefährde „das friedli- siko weltweit, verschlingen Ressourcen und verhindern
che Zusammenleben von Deutschen und Ausländern und politische Lösungen. Eine solche gegen die Menschen und
verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet, die das Leben gerichtete Politik zerstört eine friedliche Ver-
öffentliche Sicherheit und Ordnung und sonstige erhebli- ständigung der Völker und nicht die Sendungen des kurdi-
che Interessen der Bundesrepublik Deutschland.“ Weiter schen Fernsehsenders ROJ TV !
wird polemisiert, dass durch die Sendungen „Gewaltan- Anwälte und Gerichte werden jetzt klären müssen, ob die
wendung als Mittel zur Durchsetzung politischer Belange“ jüngsten Verbotsmaßnahmen rechtmäßig waren.
hervorgerufen werde und Vereinigungen „innerhalb und
außerhalb des Bundesgebietes“ unterstützt würden, die „Direktive“ gegen ROJ TV bereits im Januar
„Anschläge gegen Personen und Sachen veranlassen, Es sei daran erinnert, dass schon im Januar dieses Jahres
befürworten und androhen.“ die Firma KabelBW mit Sitz in Baden-Württemberg den
Ferner ist laut Verfügung die Bildung von Ersatzorganisa- Empfang von ROJ TV gestoppt hat. Ein Firmensprecher
tionen der TV-Produktionsfirma VIKO verboten; vorhande- hatte seinerzeit erklärt, dass diesem Schritt keine juristi-
nes Vermögen wird zugunsten des Bundes beschlagnahmt sche Entscheidung zugrunde gelegen hätten. Vielmehr
und eingezogen. Untersagt wird die Verwendung von habe man von „bestimmten Stellen“ eine entsprechende
Kennzeichen der „Mesopotamia Broadcast A/S“, von „Roj „Direktive“ erhalten.
TV A/S“ und der „VIKO Fernsehproduktion GmbH“.
Linksfraktion: Vermitteln statt verbieten
Wer verstößt hier gegen die Völkerverständigung? „Mit diesem Verbot gießt die Bundesregierung Öl ins Feuer
Mit diesem Verbot erweist sich Bundesinnenminister Wolf- des türkisch-kurdischen Konflikts”, erklärt die innenpoliti-
gang Schäuble als der verlängerte Arm und willfährige sche Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, in ihrer
Vollstrecker der türkischen Regierung, der schon seit Jah- Pressemitteilung vom 24. Juni. Die Bundesregierung solle
ren die kurdischen Medien ein Dorn im Auge sind. Hat sich statt dessen versuchen, in diesem Konflikt „vermittelnd
bislang die dänische Regierung geweigert, dem türki- einzugreifen”. „Einen kurdischen Sender zu verbieten, wäh-
schen Druck auf Entzug der Lizenz von ROJ TV nachzuge- rend türkische Medien ganz selbstverständlich ihre Nach-
ben, demonstriert Deutschland wieder einmal, dass es im richten verbreiten dürfen, ist damit nicht vereinbar”, so
kurdisch-türkischen Konflikt auf der Seite der Unterdrücker Jelpke.
steht. So erinnern einige Passagen der Verfügung an das
vom damaligen Innenminister Manfred Kanther (CDU) KCK zum Verbot von ROJ TV: Feindliche Haltung gegen Kurden beenden
erlassene Betätigungsverbot der PKK von 1993. Auch Protest und Solidarität nötig
damals war u. a. die Rede davon, die kurdische Befreiungs- Mit einer scharfen Erklärung hat der KCK-Exekutivrat auf
bewegung gefährde die Interessen Deutschlands und das Verbot des kurdischen Senders reagiert. „Das kurdische

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 55


Volk wird das System von Assimilation und Versklavung, nahmt werden Bilder Abdullah Öcalans, persönliche Fotos,
das ihm aufgedrängt werden soll, niemals akzeptieren und der Computer, das Telefon sowie Dokumente der Firma
sich nicht dem Staatsterror und der Politik der Gewalt beu- MD-Lotus GmbH, dessen Besitzer Murat Ö. ist. Wie er
gen.” Die deutsche Regierung wird dazu aufgerufen, von gegenüber der Zeitung Yeni Özgür Politika erklärte, gebe
ihrer „feindlichen Politik gegen das kurdische Volk und es seit dem 25. Mai 2007 gegen ihn eine behördliche
seine Befreiungsbewegung” abzusehen. „Alle Kurden soll- Überwachungsanordnung.
ten wissen, dass der deutsche Staat sich mit der Vernich-
tungs- und Verleugnungspolitik des türkischen Staates In ihrer Ausgabe vom 8. August hat sich die „Berliner Mor-
identifiziert und die feindliche Linie gegen das kurdische genpost“ auf das Kurdistan-Solidaritätskomitee Berlin und
Volk zu einer grundsätzlichen politischen Haltung gewor- seine Aktivist(inn)en „eingeschossen“, gegen die LINKE-
den ist. Die westlichen Kräfte – allen voran Deutschland – Abgeordnete Ulla Jelpke und ihren Mitarbeiter, Nick
behindern eine friedliche demokratische Lösung der kur- Brauns. Zuspieler ist hierbei der CSU-Abgeordnete von
dischen Frage. […] Wir rufen den deutschen Staat und die Guttenberg, der seine Aufmerksamkeit auf die LINKSPAR-
Regierung Merkel dazu auf, von der feindlichen Politik TEI gerichtet hat. Morgenpost-Autor Thorsten Jungholdt
abzusehen.” befragt Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg und
Demokratische Kräfte und alle Kurden in Deutschland wer- stimmt einleitend darauf ein, was der Abgeordnete in vie-
den dazu aufgefordert, gegen das Verbot zu protestieren len „prall gefüllten Ordnern“ gesammelt habe: „Anträge
und sich zu solidarisieren. der Linken-Fraktionen aus dem Bundestag und dem Euro-
paparlament, Artikel aus der Partei nahe stehenden Zei-
9. Juli tungen und ausländischen Publikationen.“ Warum? Er
Offenbar auf Eigeninitiative eines Gebietskommandeurs wolle „die Kontakte der Linken zu ausländischen Terror-
der kurdischen Guerilla werden am Berg Ararat drei deut- gruppen wie der PKK oder der FARC publik machen“. Der
sche Bergsteiger entführt. Von der deutschen Regierung Journalist glaubt zu wissen, dass das Kurdistan-Solidari-
wird ein Ende der Kriminalisierung von Kurdinnen und tätskomitee „als Unterstützerorganisation der von der
Kurden und die Aufhebung des Verbots des kurdischen Europäischen Union als Terrorgruppe eingeordneten PKK
TV-Senders ROJ gefordert. Auf Einwirken der Menschen- in zahlreichen Verfassungsschutzberichten erwähnt“
rechtsorganisationen IHD und Mazlum Der, des Friedens- werde.
rats der Türkei sowie der DTP, werden die Deutschen am Auf die Frage von Jungholdt, warum sich der Adlige so
21. Juli wieder freigelassen. „intensiv um die Beobachtung der Linken“ bemühe, ant-
wortete er, es offenbare sich „das völlig ungeklärte Verhält-
21. Juli nis von Teilen dieser Partei zu politisch motivierter Gewalt
Hüseyin A. wird von Beamten des BKA in Detmold festge- und Terrorismus“. Die Führungsriege würde ausländische
nommen. Von der BAW wird er verdächtigt, als „professio- Terrorgruppen verharmlosen, was letztlich mit der „histori-
neller Kader der PKK“ tätig gewesen zu sein. Er soll von schen Bande, die bis in die SED-Strukturen zurückreichen“
März bis Juni 2007 den „PKK-Sektor“ Süd geleitet und zu erklären sei. Außerdem fühle man sich „mit dem Ziel
anschließend bis Juni 2008 als „Deutschlandvertreter“ fun- Systemwechsel verbunden“, was für ihn „eine klare Kampf-
giert haben. Deshalb sei ihm „Rädelsführerschaft“ in einer ansage an unsere freiheitlich-demokratische Grundord-
„kriminellen Vereinigung“ (§ 129) vorzuwerfen. nung“ bedeute. Die Linke mache sich teilweise „Anliegen
von Terroristen zu eigen“, weshalb man die Partei „ wieder
3. August flächendeckend“ beobachten müsse. Für ihn stelle die
Der kurdische Politiker Abdurrahman A. wird aus dem LINKE „keine verfassungsrechtlich unbedenkliche Partei“
Abschiebegefängnis Rotenburg entlassen. Er war am 6. dar.
Mai festgenommen worden, nachdem die deutschen
Behörden sein Asylgesuch als unglaubwürdig abgewiesen In einem Brief an die Morgenpost-Redaktion wehrt sich Nick
hatten, obwohl er Beweise vorlegte, dass er in der Türkei Brauns gegen Behauptungen des Autors und fordert, „diese
gesucht wird. Nach einem 29 Tage währenden Hunger- Fehlinformationen umgehend zu berichtigen“:
streik und der erneuten Vorlage von Dokumenten als In „keinem einzigen“ Verfassungsschutzbericht werde das
Beleg für seine politische Verfolgung, wurde entschieden, Solidaritätskomitee erwähnt. Vielmehr sei dieses „im
ihn bis zum Abschluss seines Asylverfahrens nicht abzu- Herbst 2007 von einer Vielzahl demokratischer und linker
schieben. Daraufhin wurde er am 3. August aus der Haft Organisationen und Einzelpersonen gegründet“ worden.
entlassen. Auch sei das Komitee „keine Unterstützerorganisation der
PKK“. Laut Gründungsplattform setze sich die Gruppe „für
8. August das Selbstbestimmungsrecht der Kurdinnen und Kurden
Am frühen Morgen wird in München die Wohnung von ein“, wozu auch das „völkerrechtlich verbürgte Recht der
Murat Ö. durchsucht und er vorübergehend festgenom- Völker“ gehöre, „sich ihre eigenen Repräsentanten zu
men. Der Durchsuchungsbefehl datiert vom 23. Juli und suchen“. Aus diesem Grunde fordere das Komitee die „Auf-
wird damit begründet, dass es sich bei dem Betroffenen hebung des PKK-Verbots in Deutschland“ sowie die „Frei-
um den Münchener Verantwortlichen der kurdischen lassung von Abdullah Öcalan als anerkanntem politischen
Jugendorganisation Komalen Ciwan handele. Beschlag- Repräsentanten eines Großteils der Kurdinnen und Kur-

56 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


den.“ Man sei „nicht bereit, eine solche Diffamierung unse- verwendet werden dürfen. Die Informationsveranstaltung
rer demokratischen Informations- und Menschenrechtsak- wurde trotz der Beschlagnahmungen fortgesetzt.
tivitäten hinzunehmen und behalten uns entsprechende
rechtliche Schritte vor.“ Vor dem 6. September
Kurz vor dem 16. Internationalen Kurdischen Kulturfesti-
25. August val, das unter dem Motto „Freiheit für Abdullah Öcalan –
Vor dem Landgericht Koblenz beginnt die Hauptverhand- Frieden in Kurdistan“ in Gelsenkirchen stattfinden soll,
lung gegen den kurdischen Aktivisten Mehmet C., der am erhält die Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland
26. März festgenommen wurde und sich seitdem in Unter- (YEK-KOM) als Veranstalterin täglich zahlreiche beleidi-
suchungshaft befindet. Er wird der „Mitgliedschaft in einer gende Anrufe. Die Anrufer drohen insbesondere damit,
kriminellen Vereinigung“ (§129) beschuldigt und sei „unun- Anschläge auf das Festival zu planen und gegen die Besu-
terbrochen fortlaufend seit Mai 2005“ als „hauptamtlicher cher/innen vorzugehen. Seit einigen Monaten überschla-
Kader“ tätig gewesen. Ungewöhnlich an diesem Verfahren gen sich türkische Zeitungen darin, gegen YEK-KOM als
ist, dass es vor einem Landgericht stattfindet. In den meis- Organisation zu hetzen und deren Verantwortliche per-
ten uns bekannten Fällen werden §129-Prozesse vor sönlich zu diffamieren. Es wird nicht davor zurückge-
Staatsschutzsenaten von Oberlandesgerichten geführt und schreckt, deren Namen immer wieder in die öffentliche
als Anklägerin fungiert die Bundesanwaltschaft. In diesem Aufmerksamkeit zu rücken und sie als Terroristen und Mör-
Fall – wie in einigen ähnlich gelagerten – tritt die Staatsan- der zu beschimpfen, die es zu bekämpfen gelte.
waltschaft Koblenz als Strafverfolgungsbehörde auf. In seinem Jahresbericht 2007 hatte der Verfassungs-
schutz erstmals den seinerzeitigen YEK-KOM-Vorsitzenden
26. August mit vollem Namen erwähnt, Redepassagen veröffentlicht
In dem Verfahren gegen Ridwan C., der im Februar zu einer und in einen Kontext gesetzt, der seine Nähe zur PKK/zum
Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt wor- KONGRA-GEL beweisen soll. Selbstverständlich wird die
den war, hat der Bundesgerichtshof die von der Verteidi- deutsche Repressionspolitik gegen die kurdische Bewe-
gung eingelegte Revision gegen das Urteil abgewiesen. gung und einen Teil der kurdischen Bevölkerung vom tür-
Der Kurde, der im Juli 2007 in Berlin verhaftet wurde, kischen Geheimdienst begrüßt und für seine Interessen
befindet sich nunmehr in Strafhaft. instrumentalisiert, z. B. mit Hilfe der Medien.

26. August 6. September


Im Rahmen der „Êdî bes e” (Es reicht!)-Kampagne findet Nach Polizeiangaben nahmen 35 000 Kurdinnen und Kur-
eine Fahrraddemonstration durch die Innenstadt von den aus allen Teilen Europas am Kulturfestival in Gelsenkir-
Stuttgart statt. Der Korso wurde organisiert vom örtlichen chen teil. Redner/innen waren u. a. Emine Ayna, Fraktions-
kurdischen Kulturverein Mesopotamien sowie von kur- vorsitzende der Partei für eine demokratische Gesellschaft
disch-deutschen Freundschaftsverein Esslingen. Nach dem (DTP), der Vorsitzende der LINKSPARTEI, Lothar Bisky. Aus
Ende der Fahrradaktion verfolgt die Polizei drei Teilnehmer den Kandil-Bergen im Nordirak telefonisch zugeschaltet
und nimmt sie fest. Gegen sie soll ein Ermittlungsverfah- war Murat Karayilan, der die Festivalteilnehmer/innen
ren wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz eingeleitet grüßte. Die Veranstalterin YEK-KOM, ging von bis zu 80 000
worden sein. Die Sprecherin der Demonstration, Sylvia Besucher/innen aus, die störungsfrei und laut Polizei „ohne
Tolu, verurteilt das Vorgehen und wirft der Polizei vor, nennenswerte Gesetzesverstöße“ das diesjährige Kultur-
gegen türkische Rassisten nichts zu unternehmen, wenn ereignis feiern konnten.
diese durch die Stadt marschieren, gegen Kurden aber
aggressiv zu handeln. 10. September
Polizeikräfte durchsuchen die Wohnung einschließlich des
26. August Kellers von Kenan K. in Rotenburg. Laut Durchsuchungs-
Der kurdische Verein Birati e.V. und die Karawane für die Rechte der befehl des Amtsgerichts Lüneburg wird der Kurde ver-
Flüchtlinge veranstalten gemeinsam in Bremen einen Info- dächtigt, durch seine Aktivitäten die PKK bzw. den KON-
stand zum Verbot des kurdischen Fernsehsenders ROJ TV GRA-GEL unterstützt zu haben. Außer einigen Exemplaren
und gegen die deutsche Abschiebepolitik. Mit zahlreichen der – verbotenen – Zeitschrift Serxwebûn wurde nichts
Plakaten sollte auf das von Bundesinnenminister Wolfgang beschlagnahmt, weil offenbar auch nichts zu beschlagnah-
Schäuble am 13. Juni erlassene Betätigungsverbot hinge- men da war. Kenan K. wird weder festgenommen noch
wiesen werden. Im Zuge dieser Aktion, mit der die Öffent- einer ED-Behandlung unterzogen.
lichkeit auf diese erneute Repressionsmaßnahme gegen
kurdische Medien aufmerksam gemacht werden sollte, 22. September
wurden dann die Plakate von der Polizei beschlagnahmt. Vor dem Landgericht (LG) Koblenz werden die Verfahren
In der ministeriellen Verfügung ist unter den 11 Verbots- gegen die kurdischen Aktivisten Aziz K., Turabi K. und
gründen in Punkt 6 bestimmt, dass Kennzeichen von ROJ Cenep Y. eröffnet. Letzterer wird der Mitgliedschaft in einer
TV und der Fernsehproduktionsfirma VIKO öffentlich „in kriminellen Vereinigung (§129) beschuldigt. Bei den bei-
einer Versammlung oder in Schriften, Ton- und Bildträgern, den anderen beharrt die Anklagebehörde und die Kam-
Abbildungen oder Darstellungen“ nicht verbreitet bzw. mer des LG darauf, sie dem Verdacht der Unterstützung

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 57


nach §129 auszusetzen. Die Verteidiger sind hingegen der werde somit nach §129a StGB beschuldigt. Mit weiteren
Auffassung, dass ihnen – wenn überhaupt – höchstens ein Ermittlungen werde das BKA beauftragt.
Verstoß gegen das Vereinsgesetz vorgeworfen werden
könne. Sie fordern, den §129-Vorwurf fallen zu lassen. 15. Oktober bis 8. November
Um auf die Haftbedingungen und jüngsten Misshandlun-
1. Oktober gen des früheren PKK-Vorsitzenden bis hin zu Todesdro-
Laut Pressemitteilung des Generalbundesanwalts, wird der hungen sowie die eskalierende politische Entwicklung in
„mutmaßliche PKK-Führungsfunktionär“ Aslan Y. von der Türkei aufmerksam zu machen, findet auf dem Neu-
Beamten der Bundespolizeiinspektion Flensburg festge- markt in Köln eine Dauermahnwache unter dem Motto
nommen und am nächsten Tag dem Haftrichter des Amts- „Freiheit für Abdullah Öcalan – Frieden in Kurdistan“ statt.
gerichts Rendsburg zwecks Anordnung zur U-Haft „vorge- Die Chance auf eine friedliche Lösung des türkisch-kurdi-
führt“. Der Kurde soll von „Januar 1993 bis Mitte 1994“ für schen Konflikts scheint im Augenblick ferner denn je, weil
die PKK-Region Süd verantwortlich gewesen sein und die Verantwortlichen in der Türkei auf Gewalt setzt und die
Befehl gegeben haben „zur Durchführung von Anschlags- türkische Armee seit Monaten grenzüberschreitende Mili-
wellen“ gegen türkische Einrichtungen, „bei denen auch täroperationen gegen die kurdische Guerilla in Nordirak
ein Mensch zu Tode kam“. Der Festgenommene sei Mit- durchführt.
glied im „PKK-Führungskörper“ der in Deutschland damals
als terroristisch eingestuften Vereinigung“ gewesen und

58 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


verhaftet und verurteilt

hüseyin acar 21. Juli 2008 in Detmold (§129) Mehmet BoZan 19. Januar 2005 in Hannover (§129; ausge-
hasan aDir 1. Febr. 2003 in Köln (§129); liefert an die Niederlande; hiergegen Ver-
entlassen: 10.11.2006 fassungsbeschwerde; aus U-Haft in Holland
ali aKtaŞ 7. August 1984 (§129a; entlassen: 1999) entlassen, Sept./Okt. 2005)
gürsel aKDenİZ März 1998 (vermutl. 2000 entlassen) hasan BoZKaYa 5. Oktober 1999 in Berlin (§129; entlassen:
İsmet aKurt 8. Februar 2005 in Berlin (§ 129; entlassen: 12.1.2001)
27.12.2005) Sebahattin Bulut 22. August 2000 in Dresden (Verstoß
Muharrem aral 7. März 2007 in Berlin (§129a; entlassen: VereinsG; haftverschont)
23.1.2008) Kemal caBaDaK 1. Juli 1999 in Wuppertal (entlassen:
vursal arİS vermutlich 1998 22.9.2005)
hasan aY 2. Mai 2004 in Düsseldorf (§129; entlassen: abdullah ÇelİK 4. Oktober 2001 in Hannover (keine weite-
7.4.2006) ren Details)
Muzaffer aYata 8. August 2006 in Mannheim (§ 129) ; mit ahmet ÇelİK 10. Januar 2007 in Stuttgart (Vereinsgesetz;
Auslieferungsersuchen der Türkei entlassen: 10.7.2007)
Sait aYtaŞ April 2000; entlassen: September 2000 Mehmet ÇelİK 30. August 2001 in Berlin (§129; entlassen:
vehbi aZaK 25. Mai 2004 in Unna (§129; entlassen: 8.11.2001)
3.2.2006) Mehmet ÇelİK 25. Juni 2001 in Seligenstadt (§129, entlas-
Sadik BaYDaŞ im Jahre 2000 in Hamburg (Verstoß sen: 23.4.2002)
Vereinsgesetz; ) ridvan ÇelİK 12. Juli 2007 in Berlin (Verstoß Vereinsge-
Sebahattin BeKiroĞullari Februar 1999 in Frankfurt/M. setz); gegen Urteil Revision eingelegt
(Besetzung/Geiselnahme; verurteilt zu 5 Perihan Çinar 10. Februar 2000 in Berlin (§129; entlassen:
Jahren u. 6 Monaten; aus der Haft abge- 2001/2002?)
schoben in die Türkei am 5.3.2004) Mehmet ÇoBan 26. März 2008 (§129)
hilmi BeYaZ 1999; im Jahre 2000 verurteilt wg. Verstoß Fahri ÇolaK 17. April 2005 in Dresden (Vereinsgesetz;
Vereinsgesetz; entlassen: 2000 entlassen: Ende 2005)
nuray BeYaZittuncel März 2007 in Hamburg (entlassen: Yusuf DaĞlaYan 1995; (Autobahnblockade 1994); 1995/97
5.9.2007) wg. verschiedener anderer Straf-
aygül BiDav 19. September 1995 in Frankfurt/M. tatenvorwürfe (entlassen: 13.10.2000)
(§129a; entlassen. Mai 1999: Rückkehr in halil DalKiliÇ 18. Oktober 2005 in Darmstadt (§129; ent-
die Türkei im Rahmen der „Friedens- lassen: 14. Oktober 2008)
gruppe“; Festnahme und Verurteilung in ali ekrem DeMir 15.4.1999 in Berlin (Besetzg.Konsulat Leip-
der Türkei) zig; entlassen: 16.10.2000)
naile Bİlan März 2007 in Hamburg (entlassen:
5.9.2007)

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 59


Kadir DİlSİZ 5. September 2005 anlässl. Razzia bei Salman Kurtulan 1999; keine Details bekannt
Özgür Politika (abgeschoben in die Türkei necati laÇİn 14. Dezember 2004 in Essen (u.a. §249; ent-
am 5.12.2005) lassen: 2005)
Seydi DoĞan 8. Dezember 1998 (§ 129a) vakuf MinKara 27. März 2008 in Berlin (§129)
Fedrettin DoĞanaY März 2007 in Hamburg (entlassen: aydin ÖZgÜr 11. April 2008 in Leipzig (§129; entlassen:
5.9.2007) Ende Mai 2008)
nihat DurMuŞ verurteilt nach §129 StGB im Juli 2000; Ent- hemo ÖnDer 27. Februar 2008 in Kassel (Vereinsgesetz;
lassungstermin unbekannt. §129 später fallengelassen; entlassen: 7.
Şahin engİZeK 29. Oktober 2001 in Köln (§129; Haftbefehl Juli 2008)
aufgehoben am 25.1.2002) abdullah Öcalan 6. Oktober 1999 in Paris; Auslieferungshaft
riza erDoĞan 9. August 2006 in Duisburg; (§ 129; entlas- nach Deutschland wg. Aktion am israel.
sen: 20.12.2007) Generalkonsulat in Berlin; am 23. Januar
tahir ergÜl 28. April 1997 (§129a; entlassen am 2001 entlassen.
13.11.2001) cemal oKÇuoĞlu 1998; entlassen: August 2000
Kazim ergÜn 30. Mai 2001 in Untermaßfeld/Thüringen abdullah oMran 1998 (Vereinsgesetz; Urteil: 23.9.1999; ent-
(§129; entlassen und in die Niederlande lassen: Anfang April 2002)
abgeschoben: 22.4.2002) Sinan Önen 1999; (entlassen: August 2000)
Mehmet gÖBel unbekannt; entlassen im August 2000 ali ÖZel 17. April 2002 in Köln (Vereinsgesetz; Ver-
ibrahim gÖnDaŞ 9. Februar 2008 in Hannover (§129; Haftbe- stoß Bewährung; entlassen: 26. Juli 2002)
fehl aufgehoben: Nach Urteil am hasan ÖZDoĞan 2001/2
10.3.2008) Bünyamin Şahin März 2007 (Brandstiftung; entlassen:
vahdettin gÜl 25. Mai 2000 (Konsulatsbesetzung Düssel- 5. September 2007)
dorf Februar 1999 ali Yüksel Şahin 1998 (§129a; Entlassungstermin nicht
hasan hayri gÜler unbekannt (§129a; entlassen: 14. 2. 2003) bekannt)
abuzer gÜneŞ 26. Oktober 1998 (Verstoß Vereinsgesetz; Mustafa Şahin 1998 (§129a; Urteil: 3 Jahre, 6 Monate; Ent-
entlassen: Januar 2000) lassungstermin nicht bekannt)
Senol gÜngÖr unbekannt; (§129a; entlassen: Juni 1999) Saban Şahin keine Details bekannt
Zeynep haSar 2. Dezember 1999 in Duisburg (§129/a; Murat Sait 1998
entlassen. Januar 2001) Mahfuz Savuran 1998
Sait haSSo 30. März 2000 dt.-niederländ. Grenze taylan SarigÜl 12. November 2004 in Rüsselsheim (§129;
(§129; entlassen: 15.2.2002; in Beugehaft entlassen: 8. Juli 2005)
genommen wg. Aussageverweigerung am ali Seven 13. Januar 2003 in Mannheim (§129; ent-
28.5.2002; entlassen: 25.6.2002) lassen: Anfang Juni 2004)
Salih heKiMoĞlu 14. Mai 2002 in Berlin (§129 Entlassungs- Menderes Sever 1999 (Besetzung Konsulat Düsseldorf; ent-
termin unbekannt) lassen am 21. März 2002)
haydar iŞiK 5. Juli 2007 in München (Verstoß Vereins- Mehmet tanBoĞa 29. August 2000 in Köln (§129; 4. Juni:
gesetz; entlassen: 17. 7. 2007) Beugehaft wg. Aussageverweigerung im
Fethiye KahraMan 15. Februar 2001 in Essen (§129a; entlas- Verfahren gegen H. Yildirim; entlassen: 25.
sen: 15.4.2003) September 2002; 23. September 2004 in
Semsettin Kara 2. August 2000; (§129; entlassen: Athen in Auslieferungshaft an Deutschland;
25.6.2001) 24. Januar 2005 an BRD ausgeliefert; März
ali KarataŞ keine näheren Informationen 2005 Anhörung; entlassen am 12. Oktober
Yakup Kartal keine näheren Informationen 2005; Ausreise nach Griechenland)
hasan Kartal 12. Juni 2006 ausgeliefert von Österreich ebubekir tarhan 1997/1998
an Deutschland; (§129a: 1993/94; entlas- ahmet teKİn Januar 1999 (Konsulatsbesetzung Leipzig;
sen: 10.7.2007 nach Frankreich) entlassen: 20. April 2000)
ibrahim KaYa 26. März 2002 in Saarlouis (§129; entlassen: Mustafa teMİrcİ April 2000 (Autobahnblockade 1996)
18.8.2003) vezir tÜrKMen 4. Februar 1999 (§129; entlassen: März
turabi KeDİK 12. März 2008 bei Linz/Rhein (§129) 2001)
halat KeSBİr 23. März 2000 in Mannheim; (§129a halit YilDiriM zweite Verhaftung: 9. Juli 2001 in Bochum
v.1995; entlassen: 20.12.2002) (§ 129; entlassen: 15. März 2004)
Mahsum KiliÇ 1998 (Vereinsgesetz; entlassen: 20.2.2001) abdülhadin YilDiZ 1998/99 Vereinsgesetz
Mehmet Kinaci 8. März 1999 (§129a; entlassen: 2001) nadir YilDiZ 14. Dezember 2004 (Vereinsgesetz; entlas-
ali Kiran 14. Oktober 2002 an dt.-tschech. Grenze sen: 19. April 2006)
(§129; entlassen: 1.9.2004) hamza YİĞİt (Vereinsgesetz; entlassen: 5. Juni 2004)
aziz KÜreK 12. März 2008 bei Linz/Rhein (§129) nebi Yol 4. Februar 1999 (§129; Haftbefehl aufgeho-
ahmet Kurt 21.oder 22. August 2000 (Vereinsgesetz; ben am 23. Mai 2000)
Entlassungstermin unbekannt) Mustafa Yorganci 10. August 1998 (Vereinsgesetz; entlas-
Mustafa Kurt Sommer 1999 (entlassen im Herbst 2000) sen etwa Mai 2000)

60 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz


cenep Yeter 12. März 2008 bei Linz/Rheinl. (§129)
raif ucal Anfang März 1999 (§129; Entlassungster-
min nicht bekannt)
Müslüm uÇar 1998 (entlassen: 12. Oktober 2002)
alper uZun 6. April 2004; entlassen am 3. August 2005
ali ZoroĞlu 6. Dezember 2002 (§129; entlassen: 6. Juni
2005)

auslieferungsersuchen der türkei


Name verhaftet aus der Haft entlassen
Ayfer KAYA 2. März 2008 5. Juni 2008
Remzi KARTAL 24. Januar 2005 1. März 2005
Ahmet BAYIK 14. Januar 2008 18. Januar 2008
Sakine CANSIZ 19. März 2007 25. April 2007
Mehmet TASKALI 30. August 2006 12. Januar 2007
Sirac ÖZGÜÇ 14. September 2006 13. Dezember 2006
Şükrü KILINC 9. September 2006 18. Oktober 2006
Derviş ORHAN September 2006 September 2006
Muzaffer AYATA Auslieferungsersuchen der TR vom 10. Dezember 2007 (M.A. befindet sich derzeit wg.
§129-Verfahren in Haft, Auslieferungsverfahren noch nicht abgeschlossen (Stand: August 2008)

15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz 61


62 15 Jahre PKK-Verbot – eine Verfolgungsbilanz
Kontakte /abkürzungen
Kontakte: Abkürzungen:

Azadî e.V PKK


Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland (Partîya Karkêren Kurdîstan, Arbeiterpartei Kurdistans)
Graf-Adolf-Str. 70a – 40210 Düsseldorf Gegründet 1978.
Tel. 0211-830 29 08 15. August 1984 beginnt der bewaffnete Freiheitskampf
E-Mail: Azadi@t-online.de durch die HRK, die im Oktober 1986 in ARGK (Artesa Rizga-
http://www.nadir.org/azadi/ riya Gele Kurdistan, Volksbefreiungsarmee Kurdistans)
umbenannt wird. Am 2. August 1999 wird der Rückzug der
Yek-Kom e.V. Guerilla von türkischem Territorium erklärt. Seitdem befin-
Föderation kurdischer Vereine in Deutschland det sie sich in den Bergen des Nordirak.
Graf-Adolf-Str. 70a – 40210 Düsseldorf Auf ihrem 8. Parteikongress im April 2002 erklärt die PKK
Tel. 0211-17 11 451 – Fax: 0211-17 11 453 ihre und die Auflösung der ARGK.
E-Mail: yekkom@gmx.net Zur Selbstverteidigung entsteht die HPG (Volksverteidi-
http://www.yekkom.com; yek-kom.com gungskräfte) und mit neuer Struktur und ausschließlich
politischer Zielsetzung wird der
ISKU e.V., Informationsstelle Kurdistan
Schanzenstr. 117-20357 Hamburg KADEK
Tel./Fax: 040-4210 28 45 (Kongress für Freiheit und Demokratie in Kurdistan)
E-Mail: isku@nadir.org gegründet.
http://www.isku/org
KONGRA-GEL
Internationale Initiative Volkskongress Kurdistans, Hervorgegangen aus KADEK
„Freiheit für Abdullah Öcalan – Frieden in Kurdistan“ und gegründet im November 2003 in Verbindung mit der
Postfach 10 05 11 – 50445 Köln KKK (Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan), umbe-
Tel. 0221-130 15 59 – Fax: 0221 – 790 76 10 30 nannt im Mai 2007 in
E-Mail: info@freedom-for-ocalan.com KCK (Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans)
http://www.freedom-for-ocalan.com
ERNK
Dialog-Kreis „Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im Konflikt Nationale Befreiungsfront Kurdistans, gegründet März
zwischen Türken und Kurden“ 1985; ausschließlich politische Arbeit auf europäischer
Postfach 900 265 – 51112 Köln Ebene.
Tel. 02203 – 126 76 – Fax: 06086-243 Nach deren Auflösung wurde
E-Mail: dialogkreis@t-online.de YDK (Demokratische Kurdische Union) gegründet und im
http://www.dialogkreis.de Juni 2004 in
CDK (Demokratische Vereinigung der Kurden) umbenannt.
Rote Hilfe – Bundesvorstand
Postfach 3255-37022 Göttingen FEYKA
Tel. 0551-770 80 08 Föderation der patriotischen Arbeiter- und Kultur-
E-Mail: bundesvorstand@rote-hilfe.de vereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik
Deutschland (verboten im November 1993)
Internationale Liga für Menschenrechte e.V.
Haus der Demokratie und Menschenrechte IHD
Greifswalder Str. 4 – 10405 Berlin Türkischer Menschenrechtsverein
Tel. 030-396 21 22 – Fax: 030-396 21 47
E-Mail: vorstand@ilmr.org BAW / GBA /BKA
http://www.ilmr.de Bundesanwaltschaft / Generalbundesanwalt / Bundeskri-
minalamt
Kurdistan-Solidaritätskomitee
E-Mail: kurdistansolikom@gmx.de LG /OLG /BGH
Landgericht / Oberlandesgericht / Bundesgerichtshof

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