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Universität Zürich

Historisches Seminar

Seminar „Kreuzzugspropaganda im Hochmittelalter“, Wintersemester 2006/07


Prof. Dr. Claudia Zey

Seminararbeit

„Dem Islam zeigte sich der Sieg, den Ungläubigen der Tod.“

Jihād-Propaganda gegen die Kreuzfahrer zur Zeit Saladins im Vergleich


mit christlicher Kreuzzugspropaganda.

Abgabetermin: 8. März 2007

Nico Luchsinger
Bremgartnerstr. 74
8003 Zürich
luchsinger@access.unizh.ch
Matrikelnummer 02-735-074

HF: Allgemeine Geschichte (8. Semester)


NF 1: Volkswirtschaft (5. Semester)
NF 2: Politikwissenschaft (5. Semester)
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis.................................................................................................................. 2
1. Einleitung .......................................................................................................................... 3
1.1 Verwendete Quellen und Literatur............................................................................ 3
1.2 Zur Transliteration arabischer Wörter....................................................................... 4
2. Vom Gerechten zum Heiligen Krieg?............................................................................... 5
3. Das islamische Konzept des jihād..................................................................................... 7
4. Jihād-Propaganda gegen die Kreuzfahrer ....................................................................... 10
4.1 Jihād-Propaganda vor Saladin................................................................................. 10
4.2 Motive der jihād-Propaganda unter Saladin im Vergleich zum christlichen Konzept
des Heiligen Krieges ..................................................................................................... 11
5. Schlusswort ..................................................................................................................... 18
6. Literaturverzeichnis......................................................................................................... 20
6.1 Quellen .................................................................................................................... 20
6.2 Sekundärliteratur ..................................................................................................... 20
Anhang ................................................................................................................................ 22
A. Eidesstattliche Erklärung.......................................................................................... 22

2
1. Einleitung
Es kann wohl mit einiger Berechtigung behauptet werden, dass die Kreuzzüge den „Inbe-
griff eines Religionskrieges“1 darstellen. Uneingeschränkt kann diese Aussage für die
christliche Seite gelten, deren Kriegsmotivation von Beginn weg stark religiös geprägt war.
Es ist darum auch nicht erstaunlich, dass das Konzept eines Gerechten bzw. Heiligen Krie-
ges2, dessen theoretische Begründung auf Augustinus zurückgeht, für die Entstehung des
Kreuzzugsgedankens eine wichtige Rolle spielte. Folgerichtig ist auch das Motiv eines im
Auftrag Gottes geführten und deshalb heiligen Krieges nicht aus der christlichen
Kreuzzugspropaganda wegzudenken.
Wie aber dachte die „Gegenseite“, das heisst, die muslimischen Einwohner des Heiligen
Landes, über den Konflikt? Der Islam kennt ebenfalls ein Konzept des „Heiligen Kam-
pfes“: den jihād, der eine religiöse Legitimierung für die Bekämpfung von „Ungläubigen“
liefert. Die vorliegende Arbeit möchte der Frage nachgehen, inwiefern das Konzept des
jihād im Kampf gegen die Kreuzfahrer eingesetzt wurde und welche Unterschiede und Ge-
meinsamkeiten zum Konzept des christlichen bellum iustum bzw. bellum sacrum sich
dabei zeigen. Ein systematischer Vergleich anhand von christlichen und arabischen
Quellen hätte den Rahmen dieser Arbeit allerdings gesprengt. Ich beschränke mich deshalb
darauf, Motive des jihād in arabischen Quellen zu identifizieren (zur Quellenauswahl siehe
Abschitt 1.1 unten) und anhand dieser Motive exemplarisch Gemeinsamkeiten und
Unterschiede zum Konzept des christlichen Heiligen Krieges und zur Kreuz-
zugspropaganda aufzuzeigen. Als Grundlage für diese Analyse dienen die beiden ersten
Kapitel dieser Arbeit, in denen Theorie und historische Entwicklung der beiden Konzepte,
so weit sie für die Kreuzfahrerzeit relevant sind, aufgezeigt werden sollen.

1.1 Verwendete Quellen und Literatur


Die Analyse der muslimischen jihād-Propaganda vor und während des dritten Kreuzzuges
in dieser Arbeit stützt sich vor allem auf die Saladin-Biographien von Bahā’ ad-Dīn ibn
Shaddād und ‘Imād ad-dīn al-Isfahānī. Für Ibn Shaddāds Werk „Al-Nawādir al-Sultāniyya
wa’l-Mahāsin al-Yūsufiyya“ verwende ich die kommentierte Übersetzung von D.S.
Richards; bei al-Isfahānī stütze ich mich auf die in Francesco Gabrielis Sammelband über-
setzten Abschnitte. Auch weitere Quellenausschnitte, z. B. vom arabischen Historiker ‘Izz

1
Hillenbrand, Crusades, S. 89.
2
Zur Unterscheidung der beiden Begriffe siehe unten Fussnote 13 (S. 5).

3
ad-Dīn ibn al-Atīr, sind der Sammlung Gabrielis entnommen.3 Auf christlicher Seite
werden hauptsächlich die Kreuzzugsaufrufe von Bernhard von Clairvaux zum Vergleich
herangezogen, weil sich darin viele Elemente der Kreuzzugspropaganda exemplarisch
nachweisen lassen.
Die Sekundärliteratur über den Gerechten und den Heiligen Krieg im Christentum ist kaum
zu überblicken. Für die die Kreuzzüge betreffenden Entwicklungen ist Carl Erdmanns
1935 erschienene Abhandlung „Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens“ immer noch
zentral, weshalb sich das folgende Kapitel weitgehend auf Erdmanns Ausführungen stützt.4
Auch die Literatur über das Konzept des jihād ist, bedingt durch die wichtige Stellung des
Themas innerhalb des Islams und wohl vor allem durch die Aktualität des Schlagwortes,
sehr vielfältig. Für die Zwecke dieser Arbeit genügt eine sehr schmale Auswahl. Zu nen-
nen sind hier neben grundsätzlichen Abhandlungen wie derjenigen von Morabia vor allem
die Werke von Albrecht Noth, der sich auch speziell mit dem jihād zur Zeit der Kreuzzüge
auseinandergesetzt hat. Deutlich dünner gestreut sind Werke zur jihād-Propaganda zur Zeit
der Kreuzzüge. Der schmale Band von Emmanuel Sivan bleibt hier, obwohl bereits 1968
erschienen, das Referenzwerk. Zwar hat sich in jüngerer Zeit auch Carole Hillenbrand in
ihrem Buch zur islamischen Sicht auf die Kreuzzüge mit jihād-Propaganda aus-
einandergesetzt. Sie bietet allerdings nur eine Sammlung von Quellenausschnitten und ana-
lysiert kaum die Motive der Propaganda im Einzelnen.

1.2 Zur Transliteration arabischer Wörter


Das in dieser Arbeit am häufigsten verwendete arabische Wort, ‫ﺟﻬﺎد‬, wird heute auch im
deutschen Sprachraum meistens mit jihād (oder, ohne Längenangabe, jihad) transliteriert,
obwohl die korrekte Transliteration sowohl gemäss der DIN- als auch der ISO-Norm ğihād
lauten würde.5 Ich werde im Folgenden die gebräuchliche Form jihād benützen und des-
halb konsequenterweise auch bei der Transliteration anderer arabischer Wörter und Namen
die Regeln der Library of Congress anwenden6.

3
Dass es sich um Übersetzungen handelt, ist für eine Quellenanalyse natürlich nicht gerade ideal – umso
mehr, als dass die Quellenzitate aus Gabrielis Edition zweimal übersetzt wurden: Vom Arabischen ins
Italienische und vom Italienischen ins Deutsche. Um weitere Bedeutungsverschiebungen durch Übersetzung
zu verhindern, werde ich im Folgenden die Zitate von Ibn Shaddād in der englischen Übersetzung von
Richards wiedergeben – auch wenn so die paradoxe Situation entsteht, dass Quellenausschnitte, die im
Original in derselben Sprache verfasst sind, nun in unterschiedlichen wiedergegeben werden.
4
Zur Kritik an Erdmanns These siehe Gilchrist, Erdmann Thesis.
5
Eine Übersicht über die verschiedenen Transliterations-Standards findet sich auf
http://transliteration.eki.ee/pdf/Arabic.pdf [4.1.2007]
6
Die Regeln finden sich auf http://www.loc.gov/catdir/cpso/romanization/arabic.pdf [4.1.2007]

4
2. Vom Gerechten zum Heiligen Krieg?
Im Gegensatz zum Islam7 nahm das Christentum in seiner Entstehungszeit eine ablehnende
Haltung gegenüber dem Krieg ein.8 Erst der Kirchenvater Augustinus lieferte im 4.
Jahrhundert die theoretische Begründung für den bellum iustum, den Gerechten Krieg.
Augustinus’ Konzept betrachtet den Krieg als notwendiges Übel: Das eigentliche Ziel ist
Frieden, und nur zur Friedenssicherung ist es legitim, Krieg zu führen.9 In diesem Sinne ist
die Kriegslegitimation bei Augustinus noch eher moralisch als religiös geprägt. Eine
entscheidende Konsequenz von Augustinus’ Begründung ist die Haltung, dass es wohl
einen Gerechten Krieg gibt – aber nur auf der einen Seite der Kriegführenden. Die andere
Seite muss, damit ein gerechter Krieg geführt werden kann, durch eine Ungerechtigkeit die
Kriegsschuld auf sich geladen haben.10 Der Gerechte Krieg darf somit nur der
Verteidigung oder der Wiedererlangung geraubten Gutes dienen.11 Damit sind weitgehend
die drei Grundvoraussetzungen für den Gerechten Krieg schon definiert, wie sie im 13.
Jahrhundert von Thomas von Aquin formuliert wurden: 1. Der Gerechte Krieg darf nur auf
Befehl des rechtmässigen Fürsten geführt werden (auctoritas principis). 2. Es dürfen nur
diejenigen bekämpft werden, welche eine Schuld auf sich geladen haben (iusta causa). 3.
Der Kriegführende muss die rechte Absicht – nämlich die Förderung des Guten bzw.
Verhinderung des Bösen – haben; eigennützige Motive sind unzulässig (recta intentio).12

Augustinus’ Gerechter Krieg bildete jedoch nur die Grundlage für die Entwicklung des
Konzeptes des Heiligen Krieges.13 Die Transformation erfolgte graduell: Die stärkere
Verbindung von Religion und Staat zur Karolingerzeit und die damit einhergehende
zunehmende Übernahme von staatlichen Aufgabe durch die Kirche hatte wesentlichen
Einfluss auf die kirchliche Kriegsethik. Trotzdem kann laut Erdmann hier noch nicht von
einem eigentlichen Heiligen Krieg gesprochen werden, da die Religion nicht als

7
Vgl. unten S. 8.
8
Erdmann, Entstehung, S. 1f.
9
Augustinus, Ep 189, 6: „Pacem habere debet voluntas, bellum necessitas, ut liberet Deus a necessitate, et
conservet in pace. Non enim pax quaeritur ut bellum excitetur, sed bellum geritur ut pax acquiratur. Esto ergo
etiam bellando pacificus, ut eos quos expugnas, ad pacis utilitatem vincendo perducas.”
10
Erdmann, Entstehung, S. 5f.
11
Maron, Frieden, S. 23.
12
Schwinges, Kreuzzug, S. 98f.
13
Ebd., S. 101ff. Ob zur Zeit der Kreuzzüge schon eine begriffliche Unterscheidung zwischen Gerechtem
und Heiligem Krieg gemacht wurde, ist umstritten; dagegen argumentieren etwa Gilchrist, Erdmann Thesis,
S. 45, und Riley-Smith, Review, S. 290f. Da sich die Einstellung der Kirche zum Krieg seit Augustinus bis
zu den Kreuzzügen wesentlich verändert hat, erscheint mir eine begriffliche Unterscheidung aber sinnvoll,
unabhängig davon, ob sie erst zu späterer Zeit verwendet worden ist oder nicht. Zudem sei hier auf Hiestands
Argument verwiesen, dass bellum sacrum nicht mit „Heiligem Krieg“, sondern eher mit „Heiligendem
Krieg“ übersetzt werden müsse. (Hiestand, „Gott will es“, S. 5)

5
eigenständiges Motiv, sondern nur als Attribut des Staates erschien.14 Im 9. und 10.
Jahrhundert kamen als weiterer Faktor die Heidenkriege dazu: Einfälle der Normannen und
Ungarn sowie Plünderzüge von muslimischen Seeräubern rückten den – eigentlich
selbstverständlichen – Gedanken der Verteidigung der Kirche gegen Heiden stark in der
Vordergrund. Zwar blieb als Motiv die Verteidigung und Friedenssicherung vorrangig; es
handelt sich also immer noch um Verteidigungskriege. Gleichzeitig tauchte aber ein
zweites Motiv auf: Gott solle seinen Gläubigen den Sieg schenken. Damit sollte „der
Schlachtenausgang gleichsam dem Erweis der Glaubenswahrheit dienen“.15

Von entscheidender Bedeutung für die Einstellung der Kirche zum Krieg war die im 10.
Jahrhundert entstehende Gottesfriedensbewegung. Die Kirche versuchte damit, die
„grundsätzliche Instabilität mittelalterlicher Herrschaft“ zu steuern und Kriminalität und
Fehde so weit wie möglich einzudämmen.16 Die Gottesfrieden waren eine Regelung und
modale Begrenzung der Kriegsführung, und um die Regeln durchsetzen zu können, musste
sich die Kirche konsequenterweise bereit erklären, selbst Krieg zu führen. Deshalb, so
Erdmanns zwingende Logik, läuft der Gottesfrieden auf einen durch die Kirche
angeordneten Krieg hinaus. Da dieser Krieg der Friedenssicherung dient, die wiederum
durch den Gottesfrieden zur religiösen Pflicht erhoben worden war, wird auch der Krieg
zum Gottesdienst und damit zu einem Heiligen Krieg.17 Diese Entwicklungen waren für
die Entstehung des Kreuzzugsgedankens zentral, und auf ihnen baute auch Papst Urban II.
auf, als er in Clermont zum Kreuzzug aufrief und damit „nicht mehr und nicht weniger als
einen gerechten und heiligen Krieg“18 predigte.

14
Erdmann, Entstehung, S. 21f.
15
Ebd., S. 23ff.
16
Schwinges, Kreuzzug, S. 103.
17
Erdmann, Entstehung, S. 51ff.
18
Schwinges, Kreuzzug, S. 94.

6
3. Das islamische Konzept des jihād
Die grundlegendste Aussage, die sich im Rahmen dieser Untersuchung über das islamische
Konzept des jihād treffen lässt, lautet: jihād ist nicht gleichbedeutend mit „Heiligem
Krieg“.19 Obwohl diese Übersetzung sehr oft gebraucht wird – auch von Islam-
wissenschaftern -, ist sie inhaltlich zumindest ungenau und vermittelt den falschen Ein-
druck, jihād sei mit dem christlichen Konzept von bellum iustum und bellum sacrum
gleichzusetzen. Das Konzept des jihād ist aber unabhängig von der Ideologie des christ-
lichen Gerechten bzw. Heiligen Krieges entstanden und weist – nebst vielen Gemeinsam-
keiten – auch einige wichtige Unterschiede auf.20

Grammatikalisch lässt sich jihād auf die arabische Wortwurzel j-h-d zurückführen, die so
viel wie „sich um etwas bemühen“ bedeutet. Jihād ist dann die entsprechende Tätigkeit,
wörtlich also das „Sich um etwas Bemühen“.21 In den Suren des Koran wird der Begriff
meistens in Verbindung mit der Formulierung fī sabil Allāh verwendet und bedeutet dann
wörtlich „sich bemühen auf dem Wege Gottes“. Schon im Koran dient die Wendung
meistens der Beschreibung des (physischen) Kampfes gegen die Ungläubigen. Die
Notwendigkeit dieses Kampfes wird im Koran an verschiedener Stelle thematisiert – eine
umfassende Abhandlung der massgebenden Suren kann hier nicht geleistet werden22. Eine
der wenigen Koranstellen, die auch Aussagen über die Ziele des Kampfes macht, ist
folgende:

„Sprich zu den Ungläubigen: Wenn sie aufhören, wird ihnen das bereits Geschehene verziehen. Tun sie
es aber wieder, so ist die Bestrafung der Früheren ein warnendes Beispiel für sie. Und kämpfe wider sie,
bis es keine Unterdrückung mehr gibt und nur noch Allah verehrt wird. Lassen sie jedoch davon ab,
siehe, so sieht Allah, was sie tun.“23

19
Noth, Dschihad, S. 24; ders., Heiliger Krieg, S. 22.
20
Hillenbrand, Crusades, S. 94.
21
Ebd., S. 90; Noth, Heiliger Krieg, S. 22.
22
Siehe Noth, Heiliger Krieg, S. 13-15, für einen Überblick über Koransuren, die vom Kampf gegen
Ungläubige sprechen.
23
Koran, Sure 8:38-39, S. 181. Die Übersetzung macht auch gleich ein Grundproblem koranischer
Interpretation deutlich: Während das arabische Wort „fitna“ in der von mir verwendeten Übersetzung von
Max Henning, überarbeitet durch Murad Wilfried Hofmann, mit „Unterdrückung“ wiedergegeben wird, steht
in Hennings Originalversion „Bürgerkrieg“ (Der Koran, übers. von Max Henning. Leipzig 1970, S. 179).
Albrecht Noth wiederum erklärt, die Grundbedeutung von fitna sei „Probe“ oder „Versuchung“ (Noth,
Heiliger Krieg, S. 14). Je nach verwendeter Übersetzung lässt sich die Sure also als Legitimation nur für
Defensivkriege oder auch für Offensivkriege auslegen. Ganz allgemein lässt sich festhalten, dass die Haltung
des Korans zur Gewaltanwendung ambivalent ist und einen erheblichen Interpretationsspielraum zulässt
(Donner, Sources, S. 46f.).

7
Die „Ehe von Glaube und Kampf“ ist im Islam sehr früh feststellbar und wird schon in der
formativen Periode eingegangen.24 Dieser Umstand lässt sich durch die spezifischen
historischen Umstände in der Entstehungsphase des Islams erklären: Mit dem Auszug des
Propheten Muhammad von Mekka nach Medina – der sogenannten Hijra – entstand eine
Einheit aus religiöser und politisch-sozialer Führerschaft. Bei den Kämpfen gegen die
Mekkaner, zum Beispiel in der Schlacht von Badr im Jahr 624, ging es ebenso um religiöse
Deutungshoheit wie auch um politische und wirtschaftliche Macht. Muhammad wurde so
mit den Worten Morabias vom „warnenden Propheten“ zum „bewaffneten Propheten“.25
Zudem war ein Zustand des Krieges bzw. die häufige Anwendung von Waffengewalt zu
Schutz- und Expansionszwecken für die in einem tribalen Milieu entstandene
Gemeinschaft der Muslime nur natürlich.26

Noth argumentiert, dass die Koran-Verse, welche die Anwendung von Waffengewalt
thematisieren, der Werbung von Kämpfern gegen feindliche Stämme dienten, also auch
propagandistischen Zweck hatten. Dies erklärt auch, dass der jihād nicht als kollektive
Unternehmung, sondern als individuelle Pflicht eines jedes Muslims definiert wird. Der
jihād überhöht zudem den Kampf für die eigene (tribale) Gemeinschaft, die schon vor der
Zeit des Propheten positiv konnotiert war, spirituell: Der physische Kampf wird zum
Ausdruck und zur Funktion einer geistigen Einstellung.27 Ansatzweise im Koran und sehr
explizit in den hadīth, den Aussprüchen des Propheten, finden sich auch weitere
Bedeutungsebenen des jihād: Gemeint ist nicht nur der bewaffnete Kampf, sondern auch
der spirituelle, den jeder Muslim konstant gegen sich selbst und seine „niederen“, d.h.
weltlichen Instinkte führen muss. Dieser Kampf wird als „grosser jihād“ bezeichnet,
während der bewaffnete Kampf gegen Ungläubige „kleiner jihād“ genannt wird.28 Diese
beiden Dimensionen des jihād sind eng miteinander verknüpft.

24
Noth, Glaubenskriege, S. 109f.
25
Morabia, Ğihad, S. 55ff.
26
Noth, Glaubenskriege, S. 110f.
27
Ebd., S. 111f.; Noth, Dschihad, S. 26. Fred Donner hingegen vertritt die These, dass der Islam während
seiner Anfangszeit eine apokalyptische Bewegung war. Diese Vorstellung vom kurz bevorstehenden Ende
der Welt führte zu einer militanten Frömmigkeit und der Überzeugung, dass es nötig sei, den Unglauben auf
der ganzen Welt auszurotten (Donner, Sources, S. 47f.).
28
Schleifer, Jihad, S. 124f. Ein weiterer Hinweis auf die Breite des jihād-Konzepts liefert die Feststellung
traditioneller islamischer Juristen, der Gläubige könne seine Pflicht zum jihād auf vier Arten erfüllen: Mit
seinem Herz, seiner Zunge, seinen Händen und seinem Schwert (Schleifer, Jihad, S. 128). Auch wenn im
weiteren Verlauf dieser Arbeit vom „kleinen jihād“ die Rede sein wird, ist es wichtig, sich diese
unterschiedlichen Bedeutungen zu vergegenwärtigen.

8
Diese Aspekte führen Noth dazu, als Übersetzung für jihād „Heiliger Kampf“
vorzuschlagen, um den individuellen Aspekt hervorzuheben.29 Auch Morabia verwirft die
Übersetzungen „guerre sainte“, „guerre juste“ und „guerre légale“. Der Kriegsbegriff sei
für das jihād-Konzept zu restriktiv. „Faute de mieux“ entscheidet sich Morabia für
„combat sacré“30. Der entstehende begriffliche Unterschied zu Noths Vorschlag durch die
Verwendung von „sacré“ anstatt „saint“ (die präzise Übersetzung ins Deutsche müsste
dann entsprechend „Geheiligter Kampf“ lauten) weist dabei auf Morabias Argument hin,
das Konzept des jihād sei bei seiner Entstehung rückwirkend zur Legitimation
kriegerischer Aktionen verwendet worden.31

Noths These impliziert, dass die ursprünglichen koranischen Aufrufe zum Kampf gegen
Ungläubige einer zeitlichen und geographischen Beschränkung unterlagen; erst die
nachprophetische Zeit formulierte die Universalität des jihād.32 Gleichzeitig mit der
raschen islamischen Expansion fand dann auch die Unterscheidung zwischen dār al-harb
(wörtlich „Haus des Krieges“) und dār al-islām („Haus des Islam“) statt. Der Kampf gegen
Ungläubige war demnach nur im dār al-harb eine Pflicht, also in den Gebieten der Welt,
die (noch) nicht unter muslimischer Herrschaft standen.33

Die Konsolidierung des muslimischen Herrschaftsgebiet im späten 8. Jahrhundert brachte


eine weitere Veränderung. Es war nun wichtiger, die bestehenden Grenzen zu sichern, als
die territoriale Expansion fortzusetzen. Der Aufstieg des schi‘itischen Fatimidenkalifats in
Ägypten im 10. Jahrhundert als Konkurrenz zum sunnitischen ‘Abbasidenkalifat in Bagdad
führte zu einem internen Machtkampf – der jihād gegen die Aussenwelt der Ungläubigen
verlor konsequenterweise an Bedeutung.34 Im islamischen Recht wurde das jihād-Konzept
mit der Einschränkung des kifāya (wörtlich „das Genugsein“) abgeändert: jihād war
nunmehr nur noch dann eine individuelle Pflicht eines jeden Muslims, so lange nicht
genügend Kämpfer vorhanden sind. Damit wurde der jihād gemäss Noth de facto
freiwillig; der Pflichtaspekt wurde vom zweiten Motiv für den jihād, des religiösen
Verdienstes, verdrängt.35

29
Noth, Heiliger Krieg, S. 25; ders., Heiliger Kampf, S. 242.
30
Morabia, Ğihad, S. 23f.
31
Ebd.
32
Noth, Heiliger Krieg, S. 13ff.
33
Hillenbrand, Crusades, S. 96f.; Donner, Sources, S. 50.
34
Hillenbrand, Crusades, S. 93f.
35
Noth, Heiliger Krieg, S. 33ff; ders., Heiliger Kampf, S.243ff, S. 250ff.

9
4. Jihād-Propaganda gegen die Kreuzfahrer

4.1 Jihād-Propaganda vor Saladin


Während die Eroberung Jerusalems durch den Ersten Kreuzzug im Jahr 1099 für die
christliche Welt eine wichtige Zäsur darstellte, schien die muslimische Seite die Bedeutung
des Ereignisses vorerst zu verkennen. Emmanuel Sivan hält fest, dass der – durchaus
vorhandene – Hass auf die Eindringlinge in der Zeit nach der Eroberung Jerusalems kaum
je eine religiöse Komponente angenommen habe. Den Hauptgrund für diese
„pragmatische“ Reaktion sieht Sivan im kaum mehr vorhandenen Bewusstsein für den
jihād36 und der Tatsache, dass die Muslime die Kreuzfahrer zuerst für Byzantiner hielten.37
Allerdings scheint die Sachlage schon nur deshalb nicht so klar, weil – wie Sivan selber
festhält – nur wenige arabische Quellen aus der entsprechenden Zeit überliefert sind.38
Eine Abhandlung eines damaszenischen Gelehrten von 1105, die ebenfalls von Sivan
untersucht wurde, ruft zudem nicht nur schon zum jihād gegen die ifranj, die Franken, auf,
sondern bezeichnet deren Einfall auch als „jihād gegen die Muslime“, was darauf hinweist,
dass dem Autor die religiöse Motivation der Kreuzfahrer wohlbekannt war.39 Andere
Forscher sind der Ansicht, dass Aufrufe zum jihād in religiösen Kreisen seit dem Fall von
Jerusalem zwar öfter vorkamen, aber in den ersten Jahrzehnten der Kreuzfahrerzeit bei den
Machthabern in der politisch zersplitterten muslimischen Welt ungehört verhallten.40
Dieser Umstand ist auch durch den Chronisten Ibn al-Qalānisī belegt: Er schildert, wie
Muslime aus Aleppo beim Sultan in Bagdad um Hilfe gegen die Franken bitten. Der Sultan
versucht zuerst, die Hilfesuchenden zu beruhigen und verspricht erst dann – wie es scheint,
eher widerwillig – Truppen, um die Kreuzfahrer zu bekämpfen.41

Eine wesentliche Änderung an diesem Zustand ergibt sich erst mit ‘Imād ad-dīn Zengī,
dem ab 1128 herrschenden Emir von Mossul und Aleppo. Ob Zengīs Herrschaft den
eigentlichen „turning point“ in der jihād-Propaganda darstellt, wie Sivan argumentiert42,
oder ob eine graduelle Erstarkung des jihād-Gedankens erfolgte, wie Hillenbrand

36
Vgl. oben S. 9.
37
Sivan, Islam, S. 24ff.
38
Ebd., S. 23; Sivan, Genèse, S. 197.
39
Sivan, Genèse, S. 200ff. Ob der Autor, ‘Alī bin Tāhir as-Sulamī, mit seinem Aufruf zum jihād gegen die
Franken ein Einzelfall war, lässt sich wegen der bereits erwähnten schlechten Quellenlage nicht
abschliessend beurteilen.
40
Hillenbrand, Crusades, S. 103f.; Noth, Heiliger Kampf, S. 247; Richter-Bernburg, Eroberung, S. 81.
41
Ibn al-Qalānisī 173, in: Gabrieli, Kreuzzüge, S. 70.
42
Sivan, Islam, S. 45.

10
schreibt43, ist für die vorliegende Arbeit von untergeordneter Bedeutung. Wichtig ist der
Umstand, dass mit Zengī erstmals ein politischer Machthaber die jihād-Propaganda gegen
die Kreuzfahrer gezielt für sich nutzt. In den Chroniken tauchen bei Zengī auch die ersten
jihād-Motive auf, die weiter unten für die Zeit Saladins systematisch untersucht werden
sollen: Ibn al-Atīr schreibt, durch Gottes Wille habe Zengī die Macht ergriffen und die
Franken von weiteren Eroberungen abgehalten44, und auch die Eroberung Edessas 1144
bezeichnet Ibn al-Qalānisī als Wille Gottes.45 Als entscheidendste Phase in der Evolution
des jihād-Bewusstseins identifiziert Sivan aber die 28 Jahre der Herrschaft von Nūr ad-
Dīn, Zengīs Sohn.46 Nūr ad-Dīn intensivierte nicht nur gegenüber seinem Vater die
Bemühungen, den jihād propagandistisch zu nutzen, er schuf vor allem eine Verbindung
zwischen dem jihād-Gedanken und dem in dieser Zeit an Wichtigkeit gewinnenden Kampf
gegen die Heterodoxie, insbesondere gegen die Schi‘iten.47

4.2 Motive der jihād-Propaganda unter Saladin im Vergleich zum christlichen Konzept
des Heiligen Krieges
Mit der Herrschaft Saladins erreicht die jihād-Propaganda laut Sivan ihren Höhepunkt, den
sie auch unter den Mamluken nie wieder erreichen sollte. Dabei sind nicht neue Formen
der jihād-Propaganda entscheidend – Saladin beschränkte sich hier darauf, die Methoden
seines Vorgängers fortzusetzen – , sondern die nochmalige Steigerung in der Quantität und
Intensität der Propaganda.48 Im Folgenden sollen anhand der eingangs erwähnten Quellen
die Motive dieser jihād-Propaganda untersucht und Vergleiche zum christlichen Konzept
des Heiligen Krieges angestellt werden. Bei den verwendeten Quellen handelt es sich im
Fall von Ibn al-Atīr (1160-1233)49 um eine grossangelegte historische Chronik, bei Ibn
Shaddād (1145-1234) und al-Isfahānī (1125-1201) um Biographien Saladins, verfasst von
engen Mitarbeitern des Sultans. Alle ausgewerteten Quellen haben gemeinsam, dass sie
rückblickend verfasst wurden. Die darin enthaltenen propagandistischen Aspekte des jihād
sind also nicht direkte Aufrufe zum Kampf gegen die Ungläubigen, sondern dienen wohl in
erster Linie der Legitimation der vollbrachten Handlungen (und rufen damit natürlich
indirekt zur Fortsetzung des Kampfes auf.)

43
Hillenbrand, Crusades, S. 107ff.
44
Ibn al-Atīr X 458, in: Gabrieli S. 82f.
45
Ibn al-Qalānisī 279/80, in: Gabrieli S. 90.
46
Sivan, Islam, S. 59.
47
Ebd., S. 70.
48
Ebd., S. 93.
49
Die Angaben zu den Lebensdaten der Autoren sind Gabrieli, S. 24ff. entnommen.

11
Wille und Vorhersehung Gottes
Das der jihād nicht nur auf dem Weg Gottes (fī sabil Allāh), sondern auch durch den
Willen Gottes geschieht, ist das zentrale Thema in den untersuchten Werken. Das Motiv
findet seinen Ausdruck in den unzähligen formelhaften Wendungen. So fügt etwa Ibn
Shaddād bei jeder Erwähnung von Akkon den Wunsch „May God facilitate its conquest“
hinzu. Der Wille Gottes als das zentrale definierende Element eines „Heiligen Krieges“ ist
aber auch auf der christlichen Seite allgegenwärtig, am direktesten im ebenfalls
formelhaften Ausruf der Massen nach dem Kreuzzugsaufruf Urbans. II in Clermont: „Deus
vult!“50
Das der Lauf der Welt durch Gott vorgezeichnet ist, war nach Ibn al-Atīr auch die
Meinung Saladins. Vor der Schlacht von Hattīn widersprach er seinen Emiren, die einem
Kampf ausweichen wollten, mit der Begründung, dass „die Dinge nicht nach dem Willen
der Menschen“ gehen.51 In den Beschreibungen der Schlachten bei Ibn Shaddād nimmt
Gott eine bemerkenswert aktive Rolle ein, indem er etwa den Feinden Angst einjagt und
ihre Seelen direkt ins Höllenfeuer befördert.52 Dass Gott den Sieg aber nicht in jedem Fall
den Muslimen geben würde, war für den Chronisten klar.53 Auf den ersten Blick mutet Ibn
Shaddāds Reaktion auf eine Niederlage – die Eroberung Akkons durch die Franken – aber
etwas verhalten an. Der Resignation der Muslime wird einzig mit dem Koran-Zitat „Siehe,
wir gehören Allah, und zu Ihm kehren wir heim“54 Ausdruck verliehen. Erst ein Blick auf
den vollständigen Abschnitt im Koran55 zeigt, dass das Motiv der Probe, auf die Gott die
Gläubigen stellt, hier implizit vertreten ist. Das Motiv kommt an anderer Stelle im Koran
explizit im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Ungläubige vor56. In praktisch analoger
Weise taucht das Argument auch auf der Gegenseite auf, nämlich in den Kreuz-
zugsaufrufen Bernhards von Clairvaux.57 Diese auch in der Formulierung bemerkenswerte

50
Robert von Reims, Historia Hierosolimitana, c. II.
51
Ibn al-Atīr XI 351-355, in: Gabrieli S. 165.
52
Ibn Shaddād 134, S. 123: „God put terror in the hearts of the enemy [...]. A large number fell to the sword,
God hastening their souls to hell-fire.”
53
Ebd. 185, S. 177: “[…] God would give the victory to whomsoever he willed.”
54
Koran, Sure 2:156.
55
Koran, Sure 2:155-157: “Und wahrlich, Wir werden euch mit Furcht prüfen sowie mit Hunger und Verlust
an Besitz und Menschenleben und Früchten; doch verkünde den Standhaften Heil. Ihnen, die da sprechen,
wenn sie ein Unheil trifft: ‚Siehe, wir gehören zu Allah, und zu Ihm kehren wir heim.’ Segnungen über sie
von ihrem Herrn und Barmherzigkeit! Sie sind die Rechtgeleiteten.“
56
Koran, Sure 47:4-6: „Hätte Allah es gewollt, hätte Er sie [die Ungläubigen] gewiss Selbst bestrafen
können. Er aber wollte die einen von euch durch die anderen prüfen lassen. Diejenigen aber, die auf Allahs
Weg getötet worden sind, ihr Wirken wird nicht umsonst gewesen sein. Er wird ihnen vorangehen und alles
für sie ordnen. Und Er wird sie in das Paradies einführen, so wie Er es sie hatte wissen lassen.“
57
Ep 363, 3: „Numquid abbreviata manus Domini, aut impotens facta est ad salvandum, quod ad tuendam et
restituendam sibi hereditatem suam exiguos vermiculos vocat? Numquid non mittere potest angelorum

12
Analogie hat Albrecht Noth dazu geführt zu spekulieren, ob Bernhard den Koran gekannt
haben könnte.58 Diese Möglichkeit ist zwar nicht auszuschliessen, doch ist darauf
hinzuweisen, dass Bernhard in diesem Abschnitt seinerseits mehrere Male die Bibel zitiert,
auch mit der Schlussformulierung „tentat vos Dominus Deus vester“59, welche die
auffälligste Analogie zur zitierten Koransure darstellt. Dass das Motiv der Prüfung durch
Gott in beiden Heiligen Schriften vorkommt, macht einen Bezug Bernhards auf den Koran
eher unwahrscheinlich.
Bei Bernhard von Clairvaux ist im Weiteren eines der konstituierenden Elemente des
bellum iustum anzutreffen: Seine Argumentation, man gehe nur mit Gewalt gegen die
Heiden vor, weil diese mit der Gewalt begonnen hätten60, entspricht der augustinischen
Prämisse, dass der Gerechte Krieg ein begangenes Unrecht sühnen soll. Eine
entsprechende Unrechtsargumentation ist in den arabischen Quellen nicht anzutreffen: Als
Legitimation für den Heiligen Kampf, als iusta causa, genügt hier das fest im islamischen
Glauben verankerte Prinzip des jihād vollauf.

Märtyrertum
Der Kampf für Gott und durch den Willen Gottes sichert dem Gläubigen auch den Lohn
und die Dankbarkeit Gottes. Ein solcher Muslim ist ein shahid, wörtlich: ein Bezeugender,
weil der durch seine Aufopferung im jihād seinen Glauben bezeugt hat.61 Ibn al-Atīr
erzählt, einem Mann sei im Traum Zengī erschienen, und habe erklärt, Gotte habe ihm
verziehen, weil er Edessa erobert habe.62 Auch Ibn Shaddād streut in seine Chronik
Geschichten von Märtyrern ein: Etwa diejenige vom Juristen Isa, dessen Bruder in der
Schlacht gefallen war und der, als die Leute ihm ihr Beileid bekunden wollten, lachte und
sagte: „This is a day for congratulation, not a day for condolence.“63 Auch Saladin selbst
wäre bereit, den Weg des Märtyrers zu gehen: „I am content to perish if God’s enemies
perish“, sagt er während einer Schlacht64, und als Ibn Shaddād ihn davon überzeugen will,
dass es zu gefährlich sei, über das Meer zu fahren, um die Ungläubigen in ihrer Heimat zu
bekämpfen, antwortet der Sultan, das Schlimmste, was passieren könne, sei, dass er den

plusquam duodecim legiones, aut certe tantum dicere verbo, et liberabitur terra? Omnino subest ei, cum
voluerit, posse; sed, dico vobis, tentat vos Dominus Deus vester.“
58
Noth, Heiliger Krieg, S. 143ff.
59
Deut 13,3.
60
Ep 363,7: „Nunc autem cum in nos esse coeperint violenti, oportet vim vi repellere eos, qui non sine causa
gladium portant.“
61
Schleifer, Jihad, S. 123f.
62
Ibn al-Atīr XI 64-66, in: Gabrieli, S. 94.
63
Ibn Shaddād 112, S. 104.
64
Ebd. 150, S. 138.

13
nobelsten aller Tode – eben den Märtyrertod – sterbe.65 Mit dem Gedanken des
Märtyrertums ist auch die Darstellung des jihād als „gutes Geschäft“ mit Gott verknüpft,
die bei Ibn Shaddād an verschiedener Stelle vorkommt: Die Gläubigen sind bereit, ihr
Leben für den Eintritt ins Paradies zu „verkaufen“.66 Das Geschäfts-Motiv taucht in sehr
ähnlicher Form auch bei Bernhard von Clairvaux auf: Mit der Kreuznahme erlangt der
„kluge Kaufmann“ Vergebung für alle Sünden67 – und damit ebenfalls Zutritt zum
Paradies.

Jihād als individuelle Pflicht


Der jihād ist grundsätzlich die permanente individuelle Pflicht jedes gläubigen Muslims.68
Dieser Umstand macht sich in Ibn Shaddāds Chronik schon nur dadurch bemerkbar, dass
der Autor Saladins Eifer für den jihād im ersten Kapitel, wo er die Tugenden des Sultans
wie etwa Grosszügigkeit und Tapferkeit auflistet, einen Abschnitt widmet. 69 Saladin, so
schreibt sein Biograph, habe den jihād vor alles andere gestellt.70 In diesem Abschnitt
erzählt Ibn Shaddād auch, wie Saladin den Wunsch äussert, alleine übers Meer zu fahren,
um die Ungläubigen zu bekämpfen.71 Die Beschreibung legt ebenfalls grossen Wert
darauf, die Frömmigkeit und weltliche Genügsamkeit des Sultans hervorzuheben.72 Diese
Frömmigkeit, die untrennbar zum Konzept des jihād gehört73, zeigt sich auch bei al-
Isfahānī, der schreibt, Saladin habe die Nacht vor der Schlacht von Hattīn „auf dem Wege
Gottes“ verbracht.74 Ibn al-Atīr wiederum berichtet, man habe in Saladins Lager die ganze
Nacht hindurch die Rufe „Gott ist gross“ und „Es gibt keinen Gott ausser Allah“
vernommen.75 Verknüpft mit diesen Frömmigkeitsdarstellungen ist die schon von Nūr ad-
Dīn eingeführte Verbindung zwischen jihād und Orthodoxie. Saladin kann hierbei auch

65
Ebd. 23, S. 29.
66
Ebd. 107, S. 99; 109, S. 101.
67
Ep 363,5: „Habes nunc, fortis miles, habes, vir bellicose, ubi dimices absque periculo, ubi et vincere gloria,
et mori lucrum. Si prudens mercator es, si conquisitor huius saeculi, magnas quasdam tibi nundinas indico,
vide ne te praetereant. Suscipe Crucis signum, et omnium pariter, e quipus corde contrito confessionem
feceris, indulgentiam obtinebis delictorum.”
68
Vgl. oben S. 8.
69
Ibn Shaddād 21-23, S. 28f.; vgl. auch Noth, Heiliger Kampf, S. 250ff.
70
Ibn Shaddād 21, S. 28: “The Jihad, his love and passion for it, had taken a mighty hold on his heart and all
his being, so much so that he talked of nothing else, thought of nothing but the means to pursue it, was
concerned only with its manpower and had a fondness only for those who spoke of it and encouraged it.
71
Ebd., 23, S. 29.
72
Ebd., 21, S. 28: „In his love for the Jihad on the path of God he shunned his womenfolk, his children, his
homeland, his home and all his pleasures, and for this world he was content to dwell in the shade of his tent
with the winds blowing through it left and right.”
73
Vgl. die Unterscheidung zwischen grossem und kleinem jihād, oben S. 8.
74
al-Isfahānī 18-29, in: Gabrieli S. 174.
75
Ibn al-Atīr XI 351-355, in: Gabrieli S. 167.

14
noch auf seinen erfolgreichen Kampf gegen die schi‘itischen Fatimiden in Ägypten
hinweisen.76
Die Auffassung des jihād als individuelle Pflicht impliziert grundsätzlich, dass der
„Heilige Kampf“ keines Führers oder zumindest keiner obrigkeitlichen Legitimation
bedarf – im scharfen Gegensatz zur auctoritas principis des christlichen Konzeptes. Dieses
Prinzip ist etwa im Umstand zu erkennen, dass der Papst als princeps den Sündenablass
erteilt und damit gleichsam dem Krieg das heilige Attribut verleiht.77
Im Unterschied dazu schreibt etwa Ibn al-Atīr über die Schlacht um Jerusalem, dass beide
Seiten den Kampf als „unumstössliche heilige Pflicht“ ansahen, „zu der sie keines
Anstosses der Obrigkeit bedurften“78. Allerdings scheint sich dieses Prinzip zur Zeit
Saladins schon beträchtlich aufgeweicht zu haben. Das liegt einerseits am Umstand, dass
der jihād durch das Argument des kifāya79 einen grossen Teil des Pflichtaspekts eingebüsst
hatte. Andererseits ist festzustellen, dass Saladin zu verschiedenen Gelegenheiten die
Muslime im Allgemeinen oder andere muslimische Herrscher zum jihād aufrief.80 Diese
Aufrufe stellen aber keine zwingende Legitimationsvoraussetzung für den jihād dar,
sondern sind als Elemente von Saladins politischer Propaganda aufzufassen: Von seinen
muslimischen Rivalen der Usurpation angeklagt, versuchte Saladin seine Herrschaft durch
einen Rückgriff auf ein fundamentales Konzept des Islam zu legitimieren.81 Der
erfolgreiche Kampf gegen die „Ungläubigen“, so das Argument, das auch schon Nūr ad-
Dīn verwendet hat, bedingt die Vereinigung der muslimischen Gebiete unter dem Banner
des jihād (und damit unter Saladin).82 In diesem Zusammenhang ist auch auf die
Darstellung der muslimischen Seite als monolithische Einheit zu sehen: Es sind die
„armies of Islam“83 oder die „troops of Islam“84, welche gegen die „Ungläubigen“

76
Sivan, Islam, S. 98ff.
77
So schreibt etwa Bernhard von Clairvaux: „Suscipite signum crucis, et omnium, de quibus corde contrito
confessionem feceritis, plenam indulgentiam delictorum hanc vobis summus Pontifex offert.“ (Ep 458,4)
78
Ibn al-Atīr X 361-66, in: Gabrieli S. 188.
79
Vgl. oben S. 9.
80
Während der Belagerung Akkons schreibt Saladin allen Herrschern der Region, „ordering the armies of
Islam to come to his camp“ (Ibn Shaddād 104, S. 97). Als der Sultan hört, dass Kaiser Barbarossa in
Richtung Heiliges Land aufgebrochen ist, „he decided to rouse the population for the jihad“ (Ibn Shaddād
115, S. 106).
81
Lyons, Saladin, S. 95. In diesem Zusammenhang ist auch Saladins Bemühen zu sehen, seine militärischen
Aktionen – meistens im Nachhinein – durch den Kalifen in Bagdad legitimieren zu lassen (Sivan, Islam, S.
100f.)
82
Sivan, Islam, S. 97.
83
Ibn Shaddād 104, S. 97.
84
Ibn Shaddād 107, S. 100.

15
kämpfen. ‘Imād ad-dīn al-Isfahānī fasst den Ausgang einer Schlacht kurz und bündig so
zusammen: „Dem Islam zeigte sich der Sieg, den Ungläubigen der Tod.“85

„Heiliger Krieg“ auf der Gegenseite


Dass die Kreuzzüge religiös motivierte Kriege waren, hat, wie weiter oben erwähnt, schon
1105 der Damaszener as-Sulamī gewusst, als er von einem „jihād gegen die Muslime“
sprach. Die Tatsache, dass auch die Gegenseite glaubte, im Namen ihres Gottes zu
kämpfen, findet ihre Erwähnung auch in den untersuchten Quellen. Ibn al-Atīr erklärt in
der bereits oben zitierten Stelle, beide Seiten hätten den Kampf als unumstössliche heilige
Pflicht betrachtet.86 Auch Ibn Shaddād erkennt den Gedanken des Märtyertums nicht nur
bei seinen Glaubensgenossen, sondern auch bei den Christen.87 Der propagandistische
Hintergrund solcher Feststellungen wird in einer vom Damaszener Professor Abu Shama
(1203-1267) wiedergegebenen Rede Saladins klar, in welcher der Sultan nicht nur den
religiösen Kampfeseifer der Christen beschreibt, sondern den Muslimen gleichzeitig
vorwirft, sie seien faul und träge.88 Mit dem Hinweis auf die religiöse Motivation der
Gegenseite sollte der Eifer der Muslime für den jihād zusätzlich angestachelt werden.89
Wenn schon die „Vorkämpfer des Irrtums“ und „Verehrer des falschen Gottes“90 eine
solche Begeisterung für den Kampf im Auftrag Gottes an den Tag legten, ging das
Argument, um wieviel mehr mussten denn dies die Anhänger des Islam tun?
Ein auf dieser Linie liegendes Argument – wenn der Feind Eifer für den Kampf im Auftrag
Gottes zeigt, müssen wir es erst recht tun – scheint auf der christlichen Gegenseite keine
entscheidende Rolle gespielt zu haben. Weder in der Rede Urbans II., wie sie von Robert
von Reims wiedergegeben wird, noch in den Kreuzzugsaufrufen Bernhards von Clairvaux
sind entsprechende Stellen zu finden. Allerdings notiert Schwinges, dass in der
Kreuzzugschronik von Wilhelm von Tyrus der Begriff des bellum iustum nicht nur für
Kriege der Christen gegen die Muslime, sondern auch für den umgekehrten Fall verwendet
wird. Wilhelm von Tyrus verwendet dabei die augustinische Definition, wonach ein Krieg
dann gerecht ist, wenn er ein begangenes Unrecht sühnt. Schwinges argumentiert aber,
dass in Wilhelms Argumentation die christlichen Gerechten Kriege das an Gott und den

85
al-Isfahānī 47-69, in: Gabrieli S. 204.
86
Siehe oben, Fussnote 78 (S. 13).
87
Ibn Shaddād 122, S. 112: „The flames of battle flared and blazed, as those on either side gave their lives to
purchase the next world’s peace and valued this world’s existence as nothing beside eternal life.“
88
Abu Shama II 148, in: Gabrieli S. 268f.: „Wenig haben sie [die Christen] dabei gefunden, Leben und Seele
hinzugeben, um ihre Religion zu verteidigen [...] Alles, was sie getan und geopfert haben, taten sie aus
reinem Eifer für den, den sie anbeten, aus dem Eifer, ihren Glauben zu verteidigen. [...] Dagegen sind die
Muslime lau und schwächlich geworden, nachlässig und faul.“
89
Sivan, Islam, S. 112ff.
90
al-Isfahānī 18-29, in: Gabrieli S. 175.

16
Menschen begangene Unrecht sühnen, während die bella iusta der Muslime sich nur auf an
Menschen begangenenes Unrecht beziehen.91 Dass die Vorstellung, dass auch die
Gegenseite religiöse Motive für den Kampf besitzt, auf christlicher Seite kaum präsent
war, kann damit zusammenhängen, dass in der Kreuzzugspropaganda dieses zusätzliche
Argument für den Kampf (denn darum ging es ja auf der muslimischen Seite) ganz einfach
nicht mehr nötig war. Es liesse sich aber auch vermuten, dass es für die Muslime, deren
jihād-Konzept auf die immerwährende und individuelle Pflicht des Gläubigen aufbaute,
einfacher vorstellbar war, dass auch Andersgläubige einen solchen Eifer entwickelten –
auch wenn es natürlich für den falschen Gott war.92

Blutrünstigkeit und Grausamkeit


Das Motiv der Blutrünstigkeit hat zwar nur indirekt mit den Konzepten von jihād und
Heiligem Krieg zu tun, ist aber für diese Betrachtung trotzdem interessant. In den
arabischen Quellen finden sich zahlreiche Beschreibungen von Blutrünstigkeit der
Muslime gegenüber den Christen.93 Nur an einer Stelle, bei der Hinrichtung der Templer
nach der Schlacht von Hattīn, kann ein propagandistisches Motiv erkannt werden: al-
Isfahānī überhöht diese wohl bei Saladin realpolitisch motivierten Exekutionen religiös,
indem er sie mit dem jihād in Verbindung bringt.94 Es kann wohl aber davon ausgegangen
werden, dass al-Isfahānī auch eine gewisse Vorliebe für solche Darstellungen hatte.95
Auf der christlichen Seite stehen hingegen stehen nicht die Greueltaten der eigenen
Kämpfer, sondern diejenigen der Gegner im Vordergrund.96 Ein möglicher
Erklärungsansatz für diesen Unterschied ist wiederum die Notwendigkeit einer iusta causa
auf christlicher Seite, die mit der Beschreibung der Greueltaten gegeben werden soll.

91
Schwinges, Kreuzzugsideologie, S. 223f. Selbst damit bleibt aber, wie Schwinges weiter ausführt, ein
gewisser Widerspruch bestehen, denn die augustinische Theorie des Gerechten Krieges besagt klar, dass nur
die jeweils eine Seite im Namen der Gerechtigkeit kämpfen kann. Vgl. auch oben S. 5.
92
Hier ist noch darauf hinzuweisen, dass die arabischen Quellen die Christen nicht nur als „Ungläubige“,
sondern oft auch als „Falschgläubige“ oder Polytheisten bezeichnet. Exemplarisch dazu Ibn Shaddād 81, S.
77: “[…] the signs were clear that our true religion would overcome the false” und al-Isfahānī 18-29, in:
Gabrieli S. 178: “[…] der Eingottglaube im Kampf gegen den Dreifaltigkeitsglauben, […] der Glaube
bekriegte die Vielgötterei.”
93
Vor allem bei al-Isfahānī. „Höhepunkt“ dieser Darstellung bildet die Beschreibung des Schlachtfeldes von
Hattīn, wo die Greuel über mehrere Seiten hinweg beschrieben werden und die mit dem Ausruf endet: „Das
Schlachtfeld wurde ein blutiges Meer, der Staub färbte sich rot, es flossen Ströme vergossenen Blutes, das
Antlitz des reinen Glaubens enthüllte sich frei von jenem dunklen Schmutz.“ (al-Isfahānī 18-29, in: Gabrieli
S. 182f.)
94
al-Isfahānī 18-29, in: Gabrieli S. 186: „[...] wie viele Ungläubige töteten sie, um dem Islam Leben zu
geben, wieviel Vielgötterei rissen sie nieder, um den Eingottglauben zu bauen [...]“.
95
Ibn Shaddād verwendet solche Beschreibungen viel seltener, legt dafür grosses Gewicht auf die
Darstellung von Saladins Gerechtigkeit und Grossherzigkeit (etwa Ibn Shaddād 32-33, S. 37).
96
Insbesondere in Urbans Rede bei Robert von Reims, Historia Hierosolimitana, c. I, in geringerem Masse
auch in Bernhard von Clairvauxs Kreuzzugsaufruf (Ep 363,1).

17
5. Schlusswort
Nicht nur die Christen betrachteten ihre Kriegszüge ins Heilige Land als Taten im Auftrag
Gottes und demnach als Heilige Kriege. Auch die muslimischen Gegner beriefen sich in
ihrem Kampf gegen die „Ungläubigen“ auf die religiöse Pflicht des jihād und werteten
darum wenig überraschend ihren Widerstand zu einem Glaubenskrieg auf. Dabei ist
zuallererst einmal festzustellen, dass die beiden Konzepte – der Gerechte bzw. Heilige
Krieg auf der christlichen und der jihād auf der muslimischen – eine Reihe von
Gemeinsamkeiten aufweisen. Die Analogien sind teilweise frappierend, so dass sich
Forscher die Frage gestellt haben, ob zwischen den beiden Konzepten ein kausaler
Zusammenhang bestehen könnte.97 Die Gemeinsamkeiten spiegeln sich auch in den im
Rahmen dieser Arbeit untersuchten Quellen wieder: Beide Seiten berufen sich auf den
Willen Gottes, ebenso wie beide Seiten den Einwand, Gott könne die „Ungläubigen“ selber
bekämpfen, mit dem Argument der Probe, auf welche Gott die Gläubigen stellt, entkräften.
Beide Seiten kennen auch das Märtyertum, das demjenigen, welcher sich im jihād bzw. im
Heiligen Krieg verdient macht, den Gang ins Paradies verspricht. Dabei kommt auch
jeweils das Motiv eines „Geschäfts mit Gott“ zum Zuge, bei dem der Gläubige in jedem
Fall nur gewinnen kann.
Etwas weniger deutlich sind in dieser Untersuchung die Unterschiede in den Konzepten zu
Tage getreten. Zwar finden sich in den arabischen Quellen zahlreiche Hinweise auf die
Tatsache, dass der jihād als individuelle und immerwährende Pflicht eines Muslims
aufgefasst werden soll. Dieser in der jihād-Theorie fest verankerte Umstand wird aber
einerseits durch die historische Entwicklung der islamischen Gebiete, im Zuge derer der
Pflichtaspekt zurückgedrängt wurde, und andererseits durch die politische Komponente der
Propaganda, die eine Vereinigung der muslimischen Gebiete unter einem Herrscher zu
erreichen suchte, überlagert. Dieser Punkt ist auch entscheidend für die Klärung der Frage,
warum die propagandistische Verwendung des jihād gegen die Kreuzfahrer erst mit einer
gewissen zeitlichen Verzögerung an Bedeutung gewonnen hat. Zur Zeit des Ersten
Kreuzzuges und danach fehlt es auf muslimischer Seite nicht an den religiös-theoretischen,
sondern an den politischen Voraussetzungen für einen Glaubenskrieg. Erst mit der
fortschreitenden Konsolidierung der Macht unter Zengī, Nūr ad-Dīn und Saladin wird der
jihād gegen die „Franken“ zum zentralen Element. Die beiden Bewegungen – die
politische auf der einen, die religiöse auf der anderen Seite – schienen sich dabei
kontinuierlich gegenseitig zu verstärken.
97
Erdmann, Entstehung, S. 27f. Noth kann in seiner auf die Frage Erdmanns aufbauenden Studie aber keine
kausalen Zusammenhänge nachweisen. (Noth, Heiliger Krieg, S. 147)

18
Interessant ist der Unterschied, der sich in der Beschreibung der Kampesmotivation der
jeweiligen Gegenseite zeigt: Während auf muslimischer Seite – mit klar
propagandistischem Hintergrund – auf die religiösen Motive der Christen verwiesen wird,
sind solche Beschreibungen in der Kreuzzugspropaganda nicht dominant. Diese Differenz
lässt sich durch die Eigenschaft des jihād als individuelle Pflicht erklären. Schliesslich
zeigen sich auch Unterschiede in der Legitimation des Kampfes zwischen den beiden
Seiten: Während in der Kreuzzugspropaganda jeweils ein Unrecht der Gegenseite
festgestellt wird, das den Kreuzfahrern dann die nötige iusta causa für den Krieg liefert,
scheint die Kampfeslegitimation auf der muslimischen Seite dem jihād-Gedanken bereits
immanent zu sein und bedarf deshalb keiner weiteren Begründung.

Einschränkend ist zu sagen, dass diese Schlussfolgerungen auf der Analyse von nur
wenigen Quellen basieren. Die Arbeit legt zudem ein klares Schwergewicht auf die
Verwendung des jihād als Propagandaelement und betrachtet die Kreuzzugspropaganda
und das Konzept des Heiligen Krieges nur ergänzend. Eine umfassendere Betrachtung
müsste sich dabei zuallererst auf einen strukturierten theoretischen Vergleich von jihād
und Gerechtem bzw. Heiligem Krieg stützen, der meines Wissens bis jetzt noch nicht
existiert. Erst eine solche komparative Untersuchung der Grundlagen und
Entwicklungsgeschichte der beiden Modelle würde die nötigen Voraussetzungen liefern,
um mit einer breiteren und systematischeren Quellenanalyse auf beiden Seiten die
propagandistische Verwendung der beiden Elemente sowie ihre Gemeinsamkeiten und
Unterschiede betrachten zu können.

19
6. Literaturverzeichnis

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20
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Sivan, Emmanuel: L'Islam et la Croisade. Idéologie et Propagande dans les Réactions
Musulmanes aux Croisades. Paris 1968.

21
Anhang

A. Eidesstattliche Erklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne unerlaubte
Hilfsmittel verfasst habe.

Zürich, den 6. März 2007

Nico Luchsinger

22

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