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Islamkritik
Inhaltsverzeichnis
Die falsche Spur - Sexuelle Gewalt unter Aleviten
Freiheit, die ich meine
Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol
Bist du nicht von uns, dann bist du des Teufels
Der Fall Sürücü - Zum Ehrenmord an Hatun Sürücü
Eure Familien, unsere Familien
Die Stereotype des Mr. Buruma
Heimat, ja bitte! - Wie Integration gelingen kann
Scharia, nein! - Die deutschen Türken müssen sich ändern
Sie haben das Leid anderer zugelassen!
Entgegnung - Necla Kelek antwortet 60 Migrationsforschern
Anwälte einer Inszenierung - Islambonus im Ehrenmordprozess?
Islamkonferenz - Sie wollen ein anderes Deutschland
Muslime missbrauchen Rassismusbegriff
Importbräute für verlorene Söhne
Frauen werden zu Unruhestifterinnen stigmatisiert
Glück gibt es nur ohne den Vater
Das ist eine Art Paschatest - Necla Kelek verteidigt Muslim-Fragebogen
Geschwister-Scholl-Preis an Türkei-kritische Schriftstellerin
Es sind verlorene Söhne - Gewalt in muslimischen Familien
Warum türkische Gemüsehändler mit Sarrazin kein Problem haben
Dr. Necla Kelek's Bericht an die Islamkonferenz
Aleviten aus aller Welt empören sich über einen deutschen Krimi. Die Gemeinde
stilisiert sich als Opfer von Diskriminierung, um unter den muslimischen Vereinen in
der Öffentlichkeit ihren Platz zu finden. Dabei entspricht das im Film gezeigte Szenario
durchaus der Realität
VON NECLA KELEK - 21.01.2008
Die Aufregung der alevitischen Gemeinde und anderer Migrantenverbände über den
"Tatort"-Krimi "Wem Ehre gebührt" macht stutzig - stehen doch Anlass und Aufregung
offenbar in keinem Verhältnis. Soll hier durch Empörung über Vorurteile gegenüber
Aleviten vielleicht etwas anderes bewirkt werden? Jeden Tag werden im Kino, im
Fernsehen und in der Literatur fiktive Verbrechen gezeigt, und wenn wir genau
hinsehen, steckt in jeder Biografie eine ganze Welt.
Bei dem Protest geht es um zwei Dinge, die gar nicht Thema des Films waren. Zum
einen versucht die alevitische Gemeinde seit langem Anerkennung, vor allem
Gleichberechtigung gegenüber den anderen muslimischen Richtungen, den Schiiten und
Sunniten, zu erlangen. Und zum anderen wollen die Aleviten - ganz nach dem Motto
"Wehret den Anfängen" - verhindern, dass die Binnenverhältnisse ihrer Gemeinschaft,
das Verhältnis der Aleviten zu ihren Frauen, die Verhältnisse in ihren Familien an die
Öffentlichkeit geraten. Denn die ist nicht anders als bei den Sunniten oder Schiiten.Die
Aleviten sind nicht im Koordinierungsrat der Muslime (KRM) vertreten, weil die
anderen Verbände sie, bis jetzt, nicht als Muslime akzeptieren und die Aleviten sich
bewusst als eigenständige Glaubensrichtung verstehen und sich von ihnen distanzieren.
So ist es ihnen - im Gegensatz zu den anderen Islamvereinen - gelungen, in einigen
Bundesländern als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. Die Aleviten fühlen
sich und werden in der Türkei immer schon "kollektiv marginalisiert", das heißt, sie
werden ignoriert, verfolgt und ausgegrenzt. Sie unterscheiden sich von anderen
Muslimen durch einen anderen Umgang mit Koran und Bibel, verehren den
"präexistenten" Ali, folgen anderen Gebetsriten, ihre Frauen tragen kein Kopftuch.
Vielen gelten sie deshalb als Musterbeispiel des modernen Islams und der Integration.
Den anderen muslimischen Richtungen gelten die Aleviten nicht als "richtige" Muslime,
weil sie nicht die "fünf Säulen" des sunnitischen wie schiitischen Islams akzeptieren
und praktizieren.
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06. Juni 2007 Ralph Giordano hat einen Fehler gemacht. Er hat sich beklagt, dass
Islamorganisationen in Köln eine Großmoschee bauen wollen, obwohl es seiner
Meinung nach ein falsches Zeichen für die Integration ist. Und er hat sich darüber
mokiert, dass in Köln Frauen im Tschador herumlaufen. Prompt wurde er bedroht und
beschimpft, weil er religiöse Gefühle beleidigt habe. Sein Fehler war, dass er es gewagt
hat, die religiösen Motive der Moscheebauer in Zweifel zu ziehen. Dafür glaubt man,
ihn abstrafen zu dürfen.
Aber Ralph Giordano hat recht. Der Islam ist und macht Politik. Die Kopftücher, die die
Gesichter der Frauen einschnüren, und die farblosen Mäntel, die die Körper der Frauen
verbergen sollen, sind das modisch Unvorteilhafteste, was Schneider je
zusammengenäht haben, nur noch übertroffen vom schwarzen Zelt, dem Tschador: Er
macht die Frauen zu einem entpersönlichten Nichts. Als Muslimin verwahre ich mich
dagegen, dass diese Frauen solch eine Verkleidung im Namen des Islam tragen. Es gibt
dafür keine religiösen, sondern nur politische Begründungen.
Ein sozialer, kein sakraler Ort
Wenn man in Ankara die größte Moschee, die Kocatepe Camii besichtigen will, steht
man zunächst vor einem Einkaufszentrum. Man geht durch die Hosen- und
Hemdenabteilung des Kaufhauses, bevor man den Aufgang zur Moschee findet. Die
riesige Moschee ruht in ihrer ganzen Breite auf einem Geschäft. Das hat Tradition im
Islam, war der Prophet doch selbst Kaufmann; auch beruhen viele Praktiken dieses
Glaubens auf einem Handel mit Gott. Moscheen, masjids, sind Orte, an denen man sich
niederwirft, und sie sind in der islamischen Tradition keine heiligen Stätten, sondern
Plätze, an denen sich die Männer der Gemeinde zum Gebet und Geschäft versammeln.
Die Moschee ist in der islamischen Tradition ein sozialer und kein sakraler Ort.
Mohammed traf sich dort mit seinen Getreuen. Der Koran erwähnt Moscheen nur in
einem Vers: „. . . in Häusern, hinsichtlich derer Gott die Erlaubnis gegeben hat, dass
man sie errichtet und dass sein Name darin erwähnt wird . . .“ (Koran Sure 24, Vers 36).
Moscheen erfüllten, wie der Islamwissenschaftler Peter Heine in seinem Islam-Lexikon
schreibt, administrative Funktionen: „Hier fanden die Sitzungen des Stammesrates statt,
und sie waren Versammlungsorte, wenn sich die Männer zu einem Kriegszug
aufmachten.“ Im Laufe der Geschichte haben sich zwei Arten von Gebetshäusern
herausgebildet. Einmal als Gebetsraum für das tägliche Gebet der Gläubigen, und zum
anderen die „Freitagsmoschee“, in der am Freitag gebetet und die Predigt gehalten wird.
Freitagsmoscheen hatten seit jeher einen politischen Charakter, dort verkündete der
Kalif seine Doktrin. Die Kölner Moschee ist von Größe und Ausstattung her kein
Gebetshaus, sondern eine „Freitagsmoschee“.
Sie verstecken sich in Kulturvereinen
Es ist im Prinzip nichts dagegen zu sagen, dass in Deutschland solche Gebäude errichtet
werden. Es gibt die Religions- und Versammlungsfreiheit. Aber die islamischen
Vereine sind keine anerkannten Religionsgemeinschaften. Sie könnten diesen Antrag
jederzeit in den Bundesländern stellen. So wie es die Aleviten - eine Glaubensrichtung,
die von anderen Islamvereinen nicht als muslimisch anerkannt wird - erfolgreich getan
haben. Dachverbände wie „Milli Görus“ und die von der Türkei gesteuerte „Ditib“
(Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) haben das versäumt. Sie bauen
erst ihre Moscheen und setzen auf eine politische Anerkennung auf Bundesebene, etwa
als Ergebnis der Islamkonferenz. Bis dahin verstecken sie sich in Kulturvereinen und
hinter anderen rechtlichen Hilfskonstruktionen. Das erspart kritische Fragen nach
Mitgliedern, Finanzierung und dem Einfluss fremder Regierungen auf ihre Statuten.
Moscheen sind selbst nach muslimischer Lesart keine Sakralbauten wie Kirchen oder
Synagogen, sondern „Multifunktionshäuser“. Das wird gern verschwiegen. So wie der
Islam eben keine Kirche ist. Der Islam begreift sich nicht nur als spirituelle Weltsicht,
sondern als Weltanschauung, die das alltägliche Leben, die Politik und den Glauben als
eine untrennbare Einheit sieht. Eine verbindliche theologische Lehre gibt es nicht.
Keimzellen einer Gegengesellschaft
In diesem Sinne haben viele Islamvereine in Deutschland die Funktion einer
Glaubenspartei, einer politischen Interessenvertretung. Deshalb ist die Frage des
Moscheebaus auch keine Frage der Glaubensfreiheit, sondern eine politische Frage.
Bau- und Vereinsrecht sind da überfordert. Ein Kriterium für die Erteilung der
Baugenehmigung für ein Gebäude eines politischen Islamvereins müsste deshalb die
positive Beantwortung der Frage sein: Werden dort die Gesetze eingehalten? Wird, zum
Beispiel, dafür gesorgt, dass Frauen nicht diskriminiert werden? Und eine zweite Frage
darf und muss gestellt werden: Dienen sie der Integration? Hier sind Zweifel
angebracht. So wie in vielen Moscheen in Deutschland der Islam praktiziert wird,
erweist er sich als ein Hindernis für die Integration. Diese Moscheen sind Keimzellen
einer Gegengesellschaft.
Vor allem die größeren Moscheen in Deutschland entwickeln sich zu „Medinas“. Dort
praktizieren die Muslime, was sie das Gesetz Gottes nennen. Dort wird eben nicht nur
die Spiritualität gepflegt und sich um das Seelenheil der Gläubigen gesorgt, sondern
dort wird das Weltbild einer anderen Gesellschaft gelehrt und ein Leben im Sinne der
Scharia praktiziert. Dort üben schon Kinder die Abgrenzung von der deutschen
Gesellschaft, dort lernen sie die Gesellschaft in Gläubige und Ungläubige zu
unterscheiden, dass Frauen den Männern zu dienen haben, dass Deutsche unrein sind,
weil sie Schweinefleisch essen und nicht beschnitten sind.
Diese Moscheen entwickeln sich zu Zentren, in denen wie in einer kleinen Stadt alle
Bedürfnisse abgedeckt werden. So finden sich meist in unmittelbarer Nähe, oft in
örtlicher Einheit, die Koranschule, koschere Lebensmittelläden, Reisebüros, der Friseur,
das Beerdigungsinstitut, Restaurants, Teestuben und anderes mehr - eben alles, was ein
Muslim außerhalb seiner Wohnung braucht, wenn er nicht nur beten, sondern auch
nichts mit der deutschen Gesellschaft zu tun haben will.
Das kann kein Integrationsmodell sein
Frauen werden - es soll eine Ausnahme geben - nur in separaten Räumen geduldet. Eine
Demokratie, vor allem unsere Gesellschaft lebt aber davon, dass Männer und Frauen
gemeinsam in der Öffentlichkeit Verantwortung tragen, sie haben gleiche Rechte, und
sie müssen gleich behandelt werden. Die Trennung der muslimischen Gemeinde in die
der Männer, die in der Moschee sitzen, beten und ihre Geschäfte machen, und die der
Frauen, die in ihre Wohnungen verbannt sind, kann kein Integrationsmodell sein. Wenn
über Moscheebau diskutiert wird, muss darum die Frage gestellt werden, welche
Möglichkeiten der gleichberechtigten Teilhabe die Frauen haben. Solange aber
Moscheen archaische und patriarchalische Strukturen befördern, sind solche Häuser für
mich nicht akzeptabel. Und ich verstehe auch die Repräsentanten und Vertreter der
meisten Parteien nicht, die Toleranz für die Muslime einfordern und gleichzeitig
zulassen, dass Frauen auf diese Art diskriminiert werden.
Muslime beklagen oft, dass sie ihre Gebetsräume in Wohnungen oder stillgelegten
Fabriketagen einrichten mussten. Dabei ist dies durchaus nicht unmuslimisch oder
diskriminierend. Die Ur-Moschee war Mohammeds Wohnhaus in Medina: ein Hof mit
offener Säulenhalle. Erst als der Islam christliche Kirchen eroberte, änderte sich auch
die Architektur der Moscheen. Die Kuppel, wie sie jetzt auch den Kölner Entwurf ziert,
verdankt ihre Idee dem Rundzelt, aber ihre Durchsetzung der Eroberung
Konstantinopels durch die Osmanen. Durch Umwidmung des Kuppelbaus der
byzantinischen Hagia Sophia zur Moschee wurde eine christliche Kirche zum Vorbild
für die türkische Moschee. Minarett und Kuppel wurden Zeichen osmanischer
Herrschaft - auch in Mekka.
Ein politisches Statement des Islam in Beton
Der Entwurf für die Kölner Moschee nimmt diese Tradition des Gestus der Eroberung
auf. Eine offene Kuppel mit stilisierter Weltkugel zeigt noch keine Weltoffenheit. Es ist
entscheidend, was darunter passiert. Man könnte diese Kuppel und das Minarett auch
als Hegemonieanspruch deuten, ganz so wie der Islam sich als „Siegel“, als Vollendung
der Religionen begreift und den Anspruch auf Weltherrschaft reklamiert. Jedenfalls
steht auch dieser Entwurf in osmanischer Tradition und zielt weder von der äußeren
Form, noch von der inneren Funktion her auf Erneuerung oder Integration. Die
Architekten haben geliefert, was ihre konservativen Auftraggeber wollten: ein
politisches Statement des Islam in Beton. Damit steht der Streit um den Bau der Kölner
Moschee in einer Linie mit dem Streit um das Kopftuch. Freitagsmoscheen im Stadtbild
sind wie die Kopftücher auf der Straße ein sichtbares politisches Statement. Es soll
sagen: Wir sind hier, wird sind anders, und wir haben das Recht dazu. Das haben sie
tatsächlich. Nur müssen sie sich dann auch gefallen lassen, dass gefragt wird, was sie
mit diesem Recht anfangen und für diese Gesellschaft tun. Oder geht es nur um
Abgrenzung?
Die islamischen Organisationen drängen auf öffentliche Anerkennung. Sie wollen mit
den christlichen Kirchen gleichgestellt werden. Wie kann man diesen Anspruch besser
deutlich machen als mit Steinen, die sagen: Seht her, wir haben auch solche Gebäude
wie Christen und Juden? Dass sich gegen eine solche Politik Widerstand erhebt, ist
verständlich. Denn die Muslime in Deutschland haben ein großes Problem: das der
Glaubwürdigkeit. Wort und Tat liegen zu oft und zu weit auseinander. Öffentlich gibt
man sich verfassungstreu, doch was in den Gemeinden gedacht und gemacht wird, das
wird verschleiert, dort gibt es keine wirkliche Transparenz.
Anderswo wären muslimische Spenden besser aufgehoben
Mich beschämt, wie sich viele Vertreter der Muslime in Deutschland präsentieren. Es
gibt eine Reihe großer sozialer Probleme: mit der deutschen Sprache, in den Familien,
mit der Erziehung, in Fragen der Gleichberechtigung. Es gibt das Problem der
Jungenkriminalität, der Gewalt in der Familie und mit der Integration. Das sind
drängende Fragen, deren Lösung das Engagement und die millionenteuren Spenden der
Muslime eher bräuchten als die Demonstration von Stärke durch Repräsentativbauten.
Doch immer, wenn diese sozialen Probleme angesprochen werden, wird sofort
behauptet, das habe nichts mit dem Islam zu tun. Doch eine Religion, die den Anspruch
erhebt, alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens eines Gläubigen in
Vorschriften und Gebote zu fassen - und dies über vierundzwanzig Stunden eines jeden
Tages - kann sich nicht bei erstbester Gelegenheit vor den Folgen dieses Anspruches
drücken.
Wo ist die Spendenkampagne islamischer Organisationen, die es allen Muslimen
ermöglicht, Deutsch zu lernen? Wo sind die Initiativen für frühkindliche Bildung, wo
die Aktion für die Gleichberechtigung der Frau? Fehlanzeige. Man hat Geld für
Architekten und Anwälte und Beton, man gründet Koordinierungsräte und fordert
Anerkennung, ohne auch nur einen Gedanken darauf zu verschwenden, was Muslime
für diese Gesellschaft tun könnten und was sie ihr verdanken. Religionsfreiheit zum
Beispiel, die den Christen, Aleviten, Aramäern in der Türkei und anderen islamischen
Ländern verwehrt wird.
Muslime müssen sich Fragen gefallen lassen
Die Zahl der Sekten und konkurrierender Glaubensrichtungen des Islam ist kaum zu
überschauen, doch wird vorgegeben, man trete gemeinsam auf und es wird die taqiyya,
die Kunst der Verstellung und des Verschweigens der wahren Haltung gegenüber
„Ungläubigen“ praktiziert. Die Initiatoren der Kölner Moschee sind Vertreter der
türkischen Religionsbehörde Diyanet. Was die Ditib in Deutschland vorführt, ist Politik
im Auftrag der türkischen Regierung, nicht aber im Interesse der Muslime, die
mehrheitlich zu vertreten sie jedoch vorgibt.
Die Organisationen sollten sich deshalb nicht wundern, wenn die Sorge und das
Misstrauen wachsen, zumal sie auf Kritik immer wieder beleidigt reagieren. Für unsere
westliche Gesellschaft gilt der Satz von Max Frisch: „Demokratie bedeutet, sich in die
eigenen Angelegenheiten einzumischen.“ Der Islam ist eine Realität in Deutschland.
Und er ist deshalb eine Angelegenheit der ganzen deutschen Gesellschaft. Muslime
müssen es sich gefallen lassen, wenn andere sie fragen, wie sie leben wollen und wie sie
es mit den Grundwerten dieser Gesellschaft halten. So wie es Ralph Giordano in Köln
getan hat.
Quelle: Freiheit, die ich meine
25. April 2007 In dieser Woche treffen sich die Vertreter der Islamkonferenz zum
zweiten Mal in ihren Arbeitsgruppen. Es geht um die Integration der Muslime und
somit um das Verhältnis der Religion, des Islam zur Gesellschaft, um Menschenrechte,
die unteilbar sind, auch für muslimische Frauen und Männer. Es wird über europäische
Werte wie die Religionsfreiheit gestritten und den säkularen Staat. Die Publizistin und
Soziologin Necla Kelek („Die fremde Braut“) setzt sich in ihrer Streitschrift mit den
Prämissen auseinander, unter denen diese Gespäche geführt werden. Ohne kritische
Auseinandersetzung mit dem historischen Kontext, dem Koran, islamischen Traditionen
und Sitten, der Freiheitsfeindlichkeit und dem kollektivistischen Gesellschaftsmodell,
das der Islam verfolgt, werde es keine Integration der Muslime in Europa geben.
Islamwissenschaftlern wie Tariq Ramadan wirft sie Frauenfeindlichkeit und eine
Gegenaufklärung vor, die das Ziel hat, die europäische Moderne zu islamisieren und
den Westen zu diffamieren.
In den aktuellen Grenzen der Europäischen Union leben zurzeit mehr als zwanzig
Millionen Menschen, zwölf Millionen davon sind Migranten in Westeuropa, die zu den
Muslimen gerechnet werden und deren Zahl sich in den kommenden Jahren verdoppeln
wird. Erfüllen sich die Wünsche der Türkei, wird der Islam in absehbarer Zukunft ein
bedeutender Faktor nicht nur der Außen-, sondern auch der europäischen Innenpolitik
sein. Die Auseinandersetzung mit dem, was Islam ist und wie er gelebt wird, berührt
also den Kern der europäischen Zukunft.
Der Islam selbst hat in den 1400 Jahren seiner Geschichte in Europa so gut wie keine
Wurzeln schlagen können. Der Islam ist eine arabische Religion, auch wenn sie sich
universalistisch gibt. Er kennt keine Individualität, sein Menschenbild ist nicht gerüstet
für die Moderne, die den selbstverantwortlichen Einzelnen braucht; der Islam verfolgt
ein anderes, ein kollektivistisches Gesellschaftsmodell. Der Islam hat nicht nur den
Anspruch, ein Glaube zu sein, sondern er steht als Religion für die Einheit von Leben,
Glauben, Gesetzen und Politik. Dies widerspricht der Säkularisierung. Der Islam
versucht, seine Rechte als Kollektiv von Gläubigen einzufordern, wobei die aufgeklärte
Gesellschaft zuallererst das Recht des Einzelnen schützt.
Die militärischen Eroberungszüge scheiterten
Wenn jemand bei uns die Haltung der katholischen Kirche zur Verhütung oder zur
Homosexualität kritisiert, würde niemand auf die Idee kommen, dass damit zugleich der
katholische Glaube an sich oder die Religiosität Einzelner in Frage gestellt wird.
Kritisiert man aber die Haltung der Muslime zu Frauen und nennt man diese
unmenschlich, kommt der Einwand, man könne doch den Glauben nicht in Frage
stellen. Das ist das Dilemma des Islam: dass er im Persönlichen ein Weg zur
Spiritualität sein kann, dass niemand das Erleben des Einzelnen in Frage stellen will,
sich aber der einzelne Muslim als ein der Gemeinschaft verpflichtetes Sozialwesen
verhält, das die eigene Anschauung für das Ganze hält.
Die ersten beiden großen Versuche des Islam, in Europa Fuß zu fassen, waren
militärische Eroberungszüge und scheiterten - im siebten Jahrhundert in den Schlachten
von Tours und Poitiers und 1683 vor Wien. Nach seiner intellektuellen Blütezeit im
neunten Jahrhundert, als sich Mohammeds Lehre mit der Ratio des Aristoteles zu
vereinen schien und die Neugier die Wissenschaften entfachte, gewann der Islam
beispielsweise durch den islamischen Gelehrten Ibn Rushd, genannt Averroes (1126 bis
1198), Einfluss auf das christlich-europäische Denken und eröffnete Europa einen
Zugang auf das umfassende Erbe der griechischen Philosophie. Aber spätestens mit
Averroes' Niederlage verschwand der Zweifel und damit auch die Innovationskraft aus
dem islamischen Denken und führte zu dem beklagenswerten Zustand, in dem sich die
islamische Theologie und die Wissenschaften der muslimischen Welt nach
Untersuchungen des Arab Human Development Report der Vereinten Nationen auch
heute noch befinden. Weder von den militärischen noch von den intellektuellen
Niederlagen hat sich der Islam seither erholt. Sie haben vielmehr ein nachhaltiges
Minderwertigkeitsgefühl erzeugt, das seine Kompensation im Fundamentalismus sucht.
Der Versuch, die europäische Moderne zu islamisieren
Diese Haltung hat in Europa in Tariq Ramadan, einem Professor für Islamstudien an der
Universität Oxford, ihren eloquentesten Fürsprecher. Er versucht die offensichtlichen
Niederlagen des Islam in Siege umzudeuten. Ramadan ist ein Vertreter der
Antiaufklärung und der Restauration des Islam. Wenn er in seinem Buch „Der Islam
und der Westen“ zu dem Schluss kommt: „Die islamische Welt ist eine Welt der
Erinnerung“, meint er damit die Haltung, das Streben danach, den Zustand des
„Jahrhunderts des Propheten“ Mohammed wiederherzustellen. Er hält es demzufolge für
sinnlos, gar beleidigend, eine Modernisierung des Islam einzufordern, weil die Umma
im Medina des siebten Jahrhunderts das Ideal der islamischen Gesellschaft darstellt.
Dafür muss er einen großen Teil der islamischen Theologie und Philosophie aus der
Geschichte streichen. So kommen in seiner Darstellung der Geschichte des Islam das
achte bis elfte Jahrhundert gar nicht vor, weil es ihm offensichtlich nicht passt, was die
Mu'taziliiten über die Freiheit des Menschen, die Vernunft und den Glauben mit den
Methoden der Rationalität gemeinsam mit Christen erdachten.
Wenn Tariq Ramadan achthundert Jahre später immer noch die Vernunft und den
Zweifel aus dem Glauben zu verbannen sucht - „Erforschen, erkunden, verstehen
bedeutete niemals, mit Gott in Widerstreit zu treten oder die Spannung des Zweifels
über das höchste Wesen und seine Präsenz zu erfahren“ -, dann bewegt er sich auf einer
Linie mit dem Ajatollah Chomeini, der sagte: „Wir wollen keine Kopfmenschen.“ Und
wie für Chomeini sind auch für Ramadan westliche Werte nichts anderes als Geißeln
des Imperialismus: „Die westliche Lebensweise stützt sich auf und erhält sich durch die
Verführung zur Aufstachelung der natürlichsten und primitivsten Instinkte des
Menschen: sozialer Erfolg, Wille zur Macht, Drang zur Freiheit, Liebe zu Besitz,
sexuelles Bedürfnis usw.“ Obwohl er darüber redet: Zur Integration der Muslime in
Europa trägt Ramadan nichts bei, er sagt, es gehe nicht um eine „Integration der
Muslime in ihre westliche Umwelt, sondern eine Integration der Umwelt in das ewige
Universum der Muslime“. Es ist der Versuch, die europäische Moderne zu islamisieren.
Der „Islam an sich“ soll sauber bleiben
Das Bekenntnis zu westlichen Verfassungen und Gesetzen erscheint in diesem Kontext
als Lippenbekenntniss. Wer wie Ramadan sagt: „Der Koran verbietet es, dass eine
muslimische Frau einen Nichtmuslim heiratet. Wenn das geschieht, dann können wir
sagen, dass die Frau die Gemeinschaft verlässt“. Wer sich dann konsequenterweise
nicht zur Ächtung der Steinigung von Frauen bekennen kann, der schließt sich selbst
aus dem Diskurs über die Reform des Islam und der europäischen Werte aus.
Das scheint ganz im Sinne einer anderen Reformbewegung des Islam, der von der
türkischen Religionsbehörde Diyanet geförderten „Ankaraner Schule“. Den Ankaraner
Gelehrten zufolge ist der Koran kein Buch, sondern eine Rede Gottes an eine bestimmte
Gruppe von Menschen zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Region. Nur wer
die Umstände der Offenbarung kennt - die Geschehnisse um den Propheten Mohammed
vor 1400 Jahren -, kann verstehen, was Gott den Menschen mitteilt. Nur zehn Prozent
dessen, was der Koran sagen will, stehen im Text, der Rest sei interpretationsbedürftige
Geschichte.
Neu an dieser Auffassung und zu begrüßen ist, dass der Koran im historischen Kontext
gelesen werden soll. Das war überfällig, für die Rechtsschulen aber stellt diese
Auffassung ein Sakrileg dar. Doch ein heiliger Kernbestand bleibt auch in dieser
Auffassung. Sie unterstellt, es gäbe eine „wahre“ göttliche Botschaft, einen mythischen
Kern, der sich nur verberge und den es zu suchen gelte. Um eine historisch-kritische
Annäherung geht es auch den Ankaranern nicht. Eher um eine listige Aussperrung aller
Grausamkeiten der islamischen Geschichte und gegenwärtigen Praxis. Der „Islam an
sich“ bleibt sauber.
Der Prophet als Freund der Frauen
Mir kommt diese Methode vor, als schäle jemand eine Zwiebel, um ihren eigentlichen
Kern freizulegen. Ich fürchte nur, die Häute, der Geruch, der Geschmack, die Tränen
waren schon das Eigentliche. Den Islam von den Sitten, den Riten, den Traditionen, der
Sunna, den Hadithen, dem historischen Kontext zu befreien und zu hoffen, so auf die
eigentliche Offenbarung zu stoßen, scheint mir aussichtslos.
Ähnliche Schwierigkeiten weisen die Argumentationsketten der feministischen
Koranauslegung auf, wie sie in den verdienstvollen Büchern von Fatima Mernissi und
derzeit auch von Nahed Selim mit ihrem Buch „Nehmt den Männern den Koran!“
entwickelt werden. Beide verstehen sich als Teil einer Frauenbewegung im Islam. Beide
wollen den muslimischen Frauen zu ihrem Recht verhelfen und berichten von
aufschlussreichen historischen Begebenheiten um den Propheten, seine Frauen und die
Deutung von Koran und Hadithen. Fatima Mernissi ist bemüht, den Propheten als
Freund der Frauen zu rehabilitieren, und schiebt die Schuld an ihrer Unterdrückung
seinen Nachfolgern zu.
Freiheit erlangt, wer sich Allahs Gesetzen unterwirft
Nahed Selim macht deutlich, welche patriarchalischen Interessen hinter einzelnen
Geschichten um Mohammed und Aisha verborgen sind, und empfiehlt schlicht, die
diskriminierenden Verse des Korans einfach zu ignorieren. Sie schreibt: „Muslimische
Frauen von heute brauchen persönliche, intime Interpretationen der Texte, die so
weitgehend ihr Leben bestimmen . . . Persönliche Interpretationen, in denen die Frau
nicht wie selbstverständlich der geborene Sündenbock der Familienehre ist und dem
Fortbestand des Stammes geopfert wird.“ Ihre Empfehlung lautet: jeder Frau ihren
Koran. Die Frauen sollten doch einfach bestimmte Verse „vergessen“. Solange sich
Frauen in einer ausweglosen sozialen Situation befinden, solange sie „unter“ dem Islam
und „unter“ ihren Männern leben, muss alles, was gepredigt und verlangt wird, darauf
überprüft werden, ob es überhaupt mit den Lehren übereinstimmt. Diese feministische
Interpretation des Korans ist legitim. Aber sie ist nicht die Lösung. Zumindest in Europa
haben wir diese Lösung schon - die Gleichberechtigung der Frau und die Trennung von
Staat und Religion.
Der Koran, Sure 3, Vers 20 sagt über den Kern des Glaubens: „Ich ergebe mich.“
Stellen wir die Frage: Wann ist der Mensch frei? Das arabische Wort für Freiheit ist
„hurriyya“, es meint, erläutert der Historiker Dan Diner, in seiner ursprünglichen
Bedeutung einfach das Gegenteil von Sklaverei und nicht die Befreiung des Einzelnen
von jedweder, auch jeder religiösen Bevormundung sowie das Recht, sich in die
politischen Angelegenheiten einzumischen. Für gläubige Muslime besteht in diesem
Sinne Freiheit in der bewussten Entscheidung, „den Vorschriften des Islam zu
gehorchen“. Freiheit erlangt, wer sich Allahs Gesetzen unterwirft. Und da Gott auf
Erden „vertreten“ wird durch die Väter, die Brüder, die Onkel und so weiter, ist der
Gehorsam gegenüber allen Autoritäten des Patriarchats gottgegeben.
Gleiche Würde, nicht gleiche Rechte
Die europäischen westlichen Gesellschaften halten den Menschen für vernunftbegabt
und fähig, seine Triebe zu beherrschen. Selbst der Mann, der in der eigenen Wohnung
seiner Frau Gewalt antut, muss mit Strafverfolgung rechnen. Wenn die Muslime
meinen, die Triebhaftigkeit des Mannes nur dadurch beherrschen zu können, dass man
die Frau aus der Öffentlichkeit verbannt oder die Frauen und Töchter unter den Schleier
zwingt oder verheiratet, dann widerspricht das den Werten unserer Gesellschaft von der
Selbstbestimmung des Menschen.
Der Koran, Sure 4, Vers 34 sagt: „Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie
von Natur vor diesen ausgezeichnet hat und wegen der Ausgaben, die sie von ihrem
Vermögen gemacht haben. Und die rechtschaffenden Frauen sind (Gott) demütig
ergeben und geben acht auf das, was den (Außenstehenden) verborgen ist, weil Gott
darum besorgt ist, weil Gott darauf acht gibt. Und wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich
auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!“
Diese und andere Verse, die die Frauen mal freundlicher, mal feindlicher behandeln,
beschreiben Frauen nicht als Wesen mit gleichen Rechten, sondern bestenfalls mit
gleicher Würde. Die Gesellschaft bleibt vertikal getrennt, in die Gesellschaft der
Männer, denen die Öffentlichkeit gehört und die Gesellschaft der Frauen, die ins Haus
und unter die Herrschaft der Männer gehören. Die Gleichberechtigung von Mann und
Frau, von manchen Muslimvertretern als selbstverständlich dargestellt, gibt es im Islam
nicht. Die ganzen Regelungen des Korans in Bezug auf Scheidung, Kinder, Sexualität
stellen die Männer über die Frauen. Gleichberechtigung unter Muslimen gibt es nur in
säkularen Gesellschaften und auch nur dort, wo die Muslime selbst sich säkularisiert
und keine Parallelgesellschaften gebildet haben.
Zwangsheirat und Jungfernkult
Es gibt Säkularisierung und Gleichberechtigung in keinem islamischen Land, weder in
Iran noch in Marokko, noch für große Gruppen von Frauen in der Türkei, offiziell ein
laizistischer Staat, in dessen Verfassung die Gleichberechtigung verbrieft ist. Der Islam,
seine Traditionen und Riten zwingen die Frauen überall dort, wo der Islam dominiert, in
die Apartheid. Deutlich wird das auch in dem von den muslimischen Gemeinschaften in
Europa praktizierten „Zwang zur Heirat“ und in dem auf den Propheten Mohammed
zurückgehenden Jungfernkult. Der Koran sagt: „Und verheiratet die Ledigen unter euch
und die Rechtschaffenden von euren Sklaven und Sklavinnen.“ Das bedeutet in der
Tradition des islamischen Lebens, dass die Familie oder ein Vormund (ein männlicher
Verwandter), „Wali“, für die Heirat der Kinder verantwortlich sind.
Noch heute gilt in fast 52 Ländern mit muslimischen Ehestandsrecht, dass eine Frau,
ganz gleich welchen Alters, ohne Zustimmung ihres Wali nicht heiraten darf. Die Praxis
der Zwangsheirat und der arrangierten Ehe widerspricht den europäischen Werten und
Gesetzen, wonach niemand zur Ehe genötigt werden darf. Mohammed sagt nach einem
Hadith zu einem Mann, der nicht heiraten will: „Dann bist du nicht von unserer
Gemeinde, dann bist du ein Bruder des Teufels.“ In Europa muss gewährleistet bleiben,
dass jede Frau und jeder Mann frei entscheiden kann, wen, wann und ob er heiraten
will. Das aber ist in der muslimischen Gemeinschaft nicht möglich, denn sie sieht in
dem Menschen kein Individuum, sondern ein Sozialwesen, das der Gemeinschaft der
Muslime, der Umma, verpflichtet ist.
Es geht grundsätzlich um das Selbstverständnis Europas
Am 5. August 1990 unterzeichneten 45 Außenminister der Organisation der Islamischen
Konferenz, des höchsten weltlichen Gremiums der Muslime, die „Kairoer Erklärung der
Menschenrechte“. Darin legten Muslime aus aller Welt gemeinsam ihre Haltung zu den
Menschenrechten dar. Das Dokument hat keinen völkerrechtlich verbindlichen
Charakter, erhellt aber die Haltung des Islam zu den Grundrechten. Die wichtigsten
Feststellungen dieser Erklärung stehen in den letzten beiden Artikeln. Artikel 24: „Alle
Rechte und Freiheiten, die in dieser Erklärung genannt werden, unterstehen der
islamischen Scharia.“ Artikel 25: „Die islamische Scharia ist die einzig zuständige
Quelle für die Auslegung oder Erklärung jedes einzelnen Artikels dieser Erklärung.“
Und in der Präambel heißt es: „Die Mitglieder der Organisation der Islamischen
Konferenz betonen die kulturelle Rolle der islamischen Umma, die von Gott als beste
Nation geschaffen wurde und die der Menschheit eine universale und wohlausgewogene
Zivilisation gebracht hat.“
Anders als in demokratischen Verfassungen ist hier nicht vom Individuum die Rede,
sondern von der Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen, vom Kollektiv. In
konsequenter Fortsetzung dessen erkennt die Erklärung der Muslime nur jene Rechte
an, die im Koran festgelegt sind, und wertet - gemäß der Scharia - nur solche Taten als
Verbrechen, über die auch Koran und Sunna gleichermaßen urteilen: „Es gibt kein
Verbrechen und Strafen außer den in der Scharia festgelegten“ (Artikel 19).
Gleichberechtigung ist in dieser Erklärung nicht vorgesehen, dafür soziale Kontrolle
und Denunziation legitimiert, wie Artikel 22 deutlich macht: „Jeder Mensch hat das
Recht, in Einklang mit den Normen der Scharia für das Recht einzutreten, das Gute zu
verfechten und vor dem Unrecht und dem Bösen zu warnen.“ Das ist eine mittelbare
Rechtfertigung von Selbstjustiz.
Wenn wir also über den Islam in Europa reden, müssen wir ganz grundsätzlich über das
Selbstverständnis Europas reden. Bei der geforderten Anerkennung der „Kultur des
Islam“ geht es um Freiheit, Säkularisierung und um Menschenrechte. Können wir, wie
Tariq Ramadan fordert, es den Muslimen überlassen, „selbst zu entscheiden“, was
Integration für sie heißt?
Quelle: Bist du nicht von uns, dann bist du des Teufels
Sie zahlt den Preis für unsere Freiheit - Von Necla Kelek
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24. April 2006 Es ist von einem Fall geglückter Integration zu berichten. Der Mord an
Hatun Sürücü konnte nur aufgeklärt werden, weil ein achtzehnjähriges türkisches
Mädchen und dessen Mutter den Mut aufbrachten, nicht zu schweigen. Die Rede ist von
Melek, der Zeugin der Anklage. Sie braucht seitdem Polizeischutz, muß unter fremdem
Namen leben und konnte den Gerichtssaal nur mit schußsicherer Weste betreten. Melek
hat mit ihrer Aussage die Ermittlung gegen die drei Brüder Sürücü ermöglicht und dem
Mörder das Geständnis abgetrotzt. Melek hat persönliche und gesellschaftliche
Verantwortung übernommen; ohne sie wäre der Mord unaufgeklärt geblieben.
Wer bei Meleks mehr als zehnstündiger Befragung durch die Verteidiger dabei war und
erlebt hat, wie diese mit sich wiederholenden Fragen versuchten, die Zeugin in
Widersprüche zu verwickeln und unglaubwürdig zu machen, der konnte meinen, dabei
sei es nicht um die Aufklärung einer Mordtat, sondern um die Verschleierung von
Motiven gegangen. Die Verteidiger verfolgten eine Strategie, der das Gericht und die
Staatsanwaltschaft nichts entgegenzusetzen hatten. Es wurde der unreife und reuige
Einzeltäter präsentiert, die Tatbeteiligung der Brüder bestritten. Das einzige Risiko
dieser Prozeßstrategie waren die Angeklagten selbst. Jede Antwort, jede Nachfrage
hätte diese Strategie des Schweigens gefährdet. Deshalb wurde selbst das Geständnis
Ayhan Sürücüs von seinem Verteidiger verlesen.
Das Vorgehen war auf das genaueste abgestimmt
Jeder Angeklagte hat das Recht auf einen Verteidiger. Aber ob es der von Anwälten
hochgehaltenen „Standesehre“ entspricht, wenn sich Ayhans Verteidiger in der
Verhandlung von seinem Mandanten umarmen läßt und schließlich das Urteil mit der
Familie wie einen Sieg feierte, mögen die Juristen unter sich ausmachen. Wenn man die
Anwälte im Gerichtssaal agieren sah, konnte man den Eindruck haben, sie verteidigten
nicht Mordverdächtige, sondern sich selbst gegen eine absurde Unterstellung. Sie
versuchten das Bild einer intakten Familie zu zeichnen, mit dem geständigen Mörder als
schwarzem Schaf.
Und es zeigte sich, daß das Vorgehen aller Familienangehörigen im Prozeß auf das
genaueste abgestimmt war. Bis hin zur Nebenklage, die von der Schwester Arzu mit
ihren Anwälten und einem „Berater“ vertreten wurde. Alle Familienangehörigen
schwiegen im Prozeß - das ist ihr gutes Recht -, bis auf die, die Entlastendes vorbringen
wollten, wie die Frau des Angeklagten Alpaslan, die ihrem Mann ein Alibi gab. Doch
niemand aus der Familie rührte auch nur einen Finger für Hatun. So wie man jetzt, da
der Prozeß zu Ende ist, zuweilen den Eindruck bekommen kann, nicht nur die Familie,
sondern auch Teile der Öffentlichkeit atmeten auf, daß vermeintlich alles wieder seine
Ordnung hat. Für die tote Hatun scheint es mancherorts weniger Mitgefühl zu geben als
für ihre befreiten Brüder. Hatun, eine von fünfundvierzig in Deutschland hingerichteten
Frauen und Männern, die in den letzten zehn Jahren im Namen der Ehre sterben
mußten. Ihre Schwester Arzu bemerkte vor der Presse: „Meine Schwester ist im
Paradies. Ihr geht es gut.“
Muslimisch-archaische Parallelwelt ohne eigenständiges „Ich“
Die Anwälte sagten, die Weltanschauung der Angeklagten stehe nicht vor Gericht, und
versuchten mit diesem Argument zu verhindern, daß die Ursachen der Tat ans Licht
kamen. Sie haben damit alles dafür getan, die Tat und den Tod einer jungen Frau zu
verharmlosen. Sie machten ihren Job und sich gleichzeitig zu Anwälten der Scharia,
ganz im Sinne des Imams von Izmir, der spöttisch über die rechtschaffenen Deutschen
sagte: „Mit euren Gesetzen werden wir euch besiegen.“
Diese Strategie der Verteidigung entsprach dem Ansatz des Gerichts, das keinen
Präzedenzfall schaffen wollte, sondern voraussetzte, daß selbstverantwortliches
Handeln des einzelnen grundsätzlich außer Frage stehe. Aber damit war in diesem Fall
der Sache nur unzureichend beizukommen. Es gibt auch in unserer Gesellschaft, mitten
in Deutschland, Menschen, die nach anderen Regeln leben, als es das
Individualstrafrecht vorsieht. Sie leben in einer muslimisch-archaischen Parallelwelt, in
der es ein vom Familienverband losgelöstes „Ich“ gar nicht gibt.
Der Sohn ist dem Vater, dem älteren Bruder, dem Onkel sowie Gott gegenüber zu
„Respekt“, sprich Gehorsam, verpflichtet. Die Männer sind für „namus“, für die Ehre
der Töchter und Schwestern verantwortlich, sie kontrollieren die Frauen im Namen der
Familie. Diesem Islam fehlt das Konzept der entscheidungsfähigen, moralisch
verantwortlichen Person vollkommen. Und nach dieser Lesart des Korans ist die Tat
nicht verwerflich, denn so wie Hatun lebte, verstieß sie gegen den Koran und die
Tradition. Die Sure 24 „Das Licht“, Vers 2, lautet: „Wenn eine Frau und ein Mann
Unzucht begehen, dann verabreicht jedem von ihnen hundert (Peitschen-)Hiebe! Und
laßt euch im Hinblick darauf, daß es (bei der Scharia) um die Religion Gottes geht,
nicht von Mitleid mit ihnen erfassen, wenn ihr an Gott und den jüngsten Tag glaubt!“
Zeigt sich hier vielleicht die Legitimation der Tat?
Und so hätte das Gericht, wenn es sich genauer mit der Tat und den Motiven beschäftigt
hätte, durchaus mit den Mitteln der Strafprozeßordnung zu weiteren Erkenntnissen
kommen können, als nur den reinen Tathergang zu rekonstruieren. Vielleicht hätte es
mit Hilfe von Sachverständigen die Strukturen, das Welt- und Menschenbild solcher
Communities aufzeigen sollen und der Sozialisation der Angeklagten nachgehen
müssen, um die Tat verstehen zu können. Ayhan gestand, daß er hoffte, den Sohn
Hatuns vor dem schlechten Einfluß seiner Mutter bewahren zu können. Er wollte den
Sohn in die Familie zurückholen, damit er muslimisch erzogen werden könne. Dieser
Bemerkung wurde im allgemeinen Entsetzen über den Hergang der Tat keine besondere
Bedeutung beigemessen. Woher stammt dieses Weltbild von „rein“ und „unrein“ bei
einem Jungen, der in Berlin aufgewachsen ist?
Jetzt meint die ältere Schwester Arzu, das „sahib cikmak“, Besitzansprüche auf das
Kind geltend machen zu können. Zeigt sich in dieser Bemerkung neben der
vermeintlichen „Ehre der Familie“ vielleicht ein Motiv oder die Legitimation der Tat?
Kinder aus einer geschiedenen Ehe gehören in dieser religiös-archaischen Welt immer
dem Mann beziehungsweise seiner Familie. Spätestens mit dem siebten Lebensjahr -
nämlich dann, wenn die religiöse Erziehung beginnt - soll der Sohn in der Familie des
Vaters sein. Da es sich bei dem Vater von Hatuns Sohn um einen Cousin handelt, in
diesem Fall also der Familie Sürücü.
Sollte Hatuns Sohn vor dem Unglauben bewahrt werden?
„Wenn der Sohn mit fünfzehn immer noch kein Muslim ist, trägt der Vater die Schuld“,
sagte mir ein Hodscha, als ich ihn zu den Erziehungsaufgaben eines Vaters befragte.
Hatun hatte, weil kein muslimischer Mann sie beaufsichtigte, in dieser Welt kein Recht
auf das Kind. Und aus diesem Umstand wird vielleicht auch der Zeitpunkt der Tat
erklärbar. Hatun lebte bereits einige Jahre allein mit ihrem Sohn. Ihre Familie hatte sie
verstoßen, und für Alpaslan war sie bereits „gestorben“. Da war der kleine Sohn namens
Can, was „die Seele“ oder „Leben“ bedeutet, aber noch kein religiöses Subjekt. Erst mit
zunehmendem Alter wurde die Frage, ob er muslimisch erzogen wird, für die Gläubigen
in der Familie drängender. Mußte Hatun vielleicht nicht nur sterben, weil sie „wie eine
Deutsche“ lebte, sondern auch, weil sie einen Sohn hatte, der davor bewahrt werden
sollte, ein Ungläubiger zu werden?
Ritualmorde folgen einem bestimmten Prinzip. Je jünger ein Mitglied der Familie ist,
desto weniger „saygi“, „Achtung“ steht ihm zu und desto unangenehmer sind die
Aufgaben, die er verrichten muß. Besonders dort, wo die Gefahr besteht, daß der Staat
archaisches Verhalten sanktioniert, wird immer der jüngste Sohn „geopfert“ und ein
älterer, „wertvollerer“ verschont.
So gibt der Täter der Familie ihr Gesicht zurück
Nachdem Ayhan seine Schwester aufgefordert hatte, um Vergebung für ihre Sünden zu
bitten, schoß er ihr „alnindan vurmak“, von Angesicht zu Angesicht in die Stirn. Dieses
Vorgehen kommt bei fast allen sogenannten „Ehrenmorden“ zur Anwendung, denn
damit gibt der Täter der „yüzsüz aile“, „der gesichtslosen Familie“, „das Gesicht“
zurück. Aber solche Zusammenhänge wurden vom Gericht nicht hinterfragt.
Unser Strafrecht kennt weder Rache noch Vergeltung, es kennt zum Glück auch keine
Sippenhaft. Ayhan wurde wegen Mordes zu neun Jahren und drei Monaten Jugendstrafe
verurteilt, seine Brüder Alpaslan und Mutlu mangels Beweisen freigesprochen. Für
seine Kumpels auf Neuköllns Straßen und im Gefängnis ist Ayhan wohl ein „yigit“, ein
Held. Im Prozeß trug er die goldene Uhr, die ihm sein Vater kurz nach der Tat
vermachte. Melek wird sich ein Leben lang verstecken müssen. Sie zahlt den Preis für
unsere Freiheit.
Die Soziologin Necla Kelek veröffentlichte zuletzt das Buch „Die verlorenen Söhne -
Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes“.
Quelle: Der Fall Sürücü
Der Islam ist soziale Realität. In seinen Schriften und in seiner Philosophie vertritt er
über alle Unterschiede hinweg ein geschlossenes Menschen- und Weltbild. Nehmen wir
zum Beispiel die Frage der Menschen- oder Frauenrechte. In der sind sich die Muslime
durchaus einig. Am 5. August 1990 unterzeichneten 45 Außenminister der
Organisation der Islamischen Konferenz, dem höchsten weltlichen Gremium der
Muslime, die "Kairoer Erklärung der Menschenrechte" (hier als pdf). Darin legten
Muslime aus aller Welt gemeinsam ihre Haltung zu den Menschenrechten dar. Das
Dokument soll das Pendant zur Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte der
Vereinten Nationen sein. Es hat keinen völkerrechtlich verbindlichen Charakter, erhellt
aber die globale Haltung des Islam zu den Grundrechten. Es ist ein Minimalkonsens
und kein Extrem und deshalb besonders aufschlussreich.
Die wichtigsten Feststellungen dieser Erklärung stehen in den letzten beiden Artikeln:
Artikel 24: Alle Rechte und Freiheiten, die in dieser Erklärung genannt werden,
unterstehen der islamischen Scharia.
Artikel 25: Die islamische Scharia ist die einzig zuständige Quelle für die Auslegung
oder Erklärung jedes einzelnen Artikels dieser Erklärung."
Und schon in der Präambel heißt es, im Gegensatz zur Erklärung der Allgemeinen
Menschenrechte der Vereinten Nationen: "Die Mitglieder der Organisation der
Islamischen Konferenz betonen die kulturelle Rolle der islamischen Umma, die von
Gott als die beste Nation geschaffen wurde und die der Menschheit eine universale und
wohlausgewogene Zivilisation gebracht hat...".
Anders als in demokratischen Verfassungen ist hier nicht vom Individuum die Rede,
sondern von der Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen, vom Kollektiv. In
konsequenter Fortsetzung dessen erkennt die Erklärung der Muslime nur jene Rechte
an, die im Koran festgelegt sind und wertet - gemäß der Scharia - nur solche Taten als
Verbrechen, über die auch Koran und Sunna gleichermaßen urteilen: "Über Verbrechen
oder Strafen wird ausschließlich nach den Bestimmungen der Scharia entschieden."
(Art. 19)
In Artikel 2 d) der Kairoer Erklärung heißt es: "Das Recht auf körperliche
Unversehrheit wird garantiert. Jeder Staat ist verpflichtet, dieses Recht zu schützen, und
es ist verboten, dieses Recht zu verletzen, außer wenn ein von der Scharia
vorgeschriebener Grund vorliegt." Das wäre zum Beispiel der Fall nach Sure 17, Vers
33: "Und tötet niemand, den zu töten Gott verboten hat, außer wenn ihr dazu berechtigt
seid! Wenn einer zu Unrecht getötet wird, geben wir seinem nächsten Verwandten
Vollmacht zur Rache", heißt es im Koran. Was ist das anderes als eine von den
muslimischen Außenministern abgesegnete Lizenz zur Blutrache?
Gleichberechtigung ist in dieser Erklärung nicht vorgesehen, sondern es heißt in Art. 6:
"Die Frau ist dem Mann an Würde gleich" - an "Würde", nicht an Rechten, denn so der
Koran, Sure 4, Vers 34: "Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie von Natur
vor diesen ausgezeichnet hat" und damit sind sie zu sozialer Kontrolle und
Denunziation legitimiert, wie Artikel 22 der Kairoer Erklärung deutlich macht: "Jeder
Mensch hat das Recht, in Einklang mit den Normen der Scharia für das Recht
einzutreten, das Gute zu verfechten und vor dem Unrecht und dem Bösen zu warnen."
Das ist der Koran, verkündet im siebten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung und heute
noch für Muslime verbindlich.
Und so geht es weiter in der Kairoer Erklärung: Der Islam gilt als die wahre Religion,
niemand habe das Recht, die in ihm festgehaltenen Gebote "ganz oder teilweise
aufzuheben, sie zu verletzen oder zu missachten, denn sie sind verbindliche Gebote
Gottes, die in Gottes offenbarter Schrift enthalten und durch Seinen letzten Propheten
überbracht worden sind." Jeder Mensch sei "individuell dafür verantwortlich, sie
einzuhalten - und die Umma trägt die Verantwortung für die Gemeinschaft." Das ist
nicht nur eine Absage an die Menschenrechte, sondern auch eine mittelbare
Rechtfertigung von Selbstjustiz. Mr. Buruma kennt das Problem, er hat in seinem Buch
"Murder in Amsterdam" über einen solchen Fall von Selbstjustiz geschrieben.
Aber Mr. Buruma hat noch weitere Stereotype im Köcher. Das nächste lautet: Der Islam
ist eine Religion wie jede andere oder alle Religionen sind gleich (schrecklich). Diesmal
geht es gegen seinen Kritiker Pascal Bruckner. Mr. Buruma schreibt: "In einem
weiteren typischen Fall von Übertreibung und assoziativer Anschuldigung erwähnt
Bruckner die Eröffnung eines islamischen Krankenhauses in Rotterdam und für
muslimische Frauen reservierte Strände in Italien. Ich verstehe nicht, warum es soviel
schrecklicher sein soll als die Eröffnung koscherer Restaurants, katholischer
Krankenhäuser oder für Nudisten reservierte Strände…."
Ich kann Ihnen sagen, Mr. Buruma, warum der für muslimische Frauen reservierte
italienische Strand schrecklicher ist. Anders als beim koscheren Essen oder einer
krankenhausreifen Grippe geht es beim Strand um eine von den Muslimen angestrebte
Veränderung. Der politische Islam will, mit dem Kopftuch, mit der
geschlechterspezifischen Trennung öffentlicher Räume die Apartheid der
Geschlechter in den freien europäischen Gesellschaften etablieren.
Die Nächstenliebe ist der islamischen Religion genauso fremd wie die Seelsorge. Aber
das ist ein anderes Thema. Ich halte es für geschmacklos, die Arbeit von katholischen
Nonnen durch diesen "Religionen sind alle gleich"- Relativismus zu denunzieren.
Offensichtlich weiß Mr. Buruma nicht, wovon er spricht, wenn er vom Islam spricht. Es
geht den islamischen Betreibern von Stränden, von Krankenhäusern oder Moscheen
nicht um humane Anliegen, es geht auch nicht um religiöse Kategorien, sondern es geht
darum, die vertikale Trennung von Männern und Frauen in den demokratischen
Gesellschaften zu etablieren.
Das dritte Stereotyp von Buruma lautet: Islamkritiker sind Denunzianten. Buruma
schreibt, die "Denunziationen" Hirsi Alis seien wenig "hilfreich". Ob für ihn historisch
belegte Fälle, wie die Heirat Mohammeds mit der sechsjährigen Aishe, die er dann mit
neun beschlafen hat, auch unter die "wenig hilfreichen Denunziationen" fallen würden?
Hirsi Ali jedenfalls erzählt in ihrem Buch "Ich klage an" davon, um daran die in der
Nachfolge Mohammeds sich entwickelnde Sexualmoral des Islam als "Jungfrauenkäfig"
zu kritisieren. Nach Mr. Burumas Auffassung sollte sie das nicht tun, denn als
"bekennende Atheistin" - nächstes Stereotyp - könne sie ohnehin nicht zur Reform des
Islam beitragen. Wiederum eine erstaunliche Auffassung eines für Menschenrechte und
Demokratie zuständigen Wissenschaftlers.
Kulturrelativisten wollen nichts mehr von arrangierten Ehen, von Ehrenmorden (allein
in Istanbul im letzten Jahr 25 Tote) und anderen Menschenrechtsverletzungen hören. Sie
sind ihnen lästig. Oder wie ist das gemeint, wenn Mr. Buruma schreibt: "Den Islam zu
verurteilen, ohne seine Variationen in Betracht zu ziehen, ist zu unüberlegt." Nun, was
die Missachtung von "Variationen" anbetrifft, dürfte sich für Mr. Buruma in der
muslimischen Welt ein weites Feld eröffnen: Was ist - um nur ein Beispiel unter vielen
möglichen Beispielen zu nennen - mit den Frauen in über 60 Ländern, in denen das
Gesetz der Scharia herrscht, die nicht ohne Wali, das heißt ohne die Genehmigung
eines Vormund, heiraten dürfen? Wo ist die Vielfalt, Mr. Buruma?
Mr. Buruma lobt sich dafür, dass er die Welt der südkoreanischen Rebellen kennt. Die
Welt der Muslime scheint ihm fremd, die Werte der westlichen Gesellschaft relativ. Er
fürchtet - Pascal Bruckner sei Dank - mit Recht um seine intellektuelle Reputation. Dass
er diese in seiner Replik auf Kosten von Ayaan Hirsi Ali zu retten versucht, macht die
Sache nicht besser. Misslungen, Mr. Buruma.
Pascal Bruckner hat mit seiner Polemik gegen Ian Burumas Buch "Murder in
Amsterdam" und einen Artikel Timothy Garton Ashs eine internationale Debatte
ausgelöst. Alle Artikel zu dieser Debatte finden Sie auf Deutsch hier, auf Englisch hier.
Quelle: Die Stereotype des Mr. Buruma
Entgegnung Top
Necla Kelek antwortet auf eine Petition von 60 Migrationsforschern zur deutschen
Integrationspolitik und die Kritik an ihren Büchern über den Islam
In meinem Buch Die fremde Braut habe ich aus dem Inneren des türkischen Lebens in
Deutschland berichtet, über Zwangsheirat, arrangierte Ehen und Frauen geschrieben,
denen ihre Familien die elementarsten Rechte verweigern. Das Buch hat eine heftige
öffentliche Diskussion ausgelöst, weil es gegen eines der bestgehüteten Tabus der
türkischen Gemeinschaft verstieß – es machte das Schicksal der gekauften Bräute
öffentlich, die mitten in Deutschland ein modernes Sklavendasein führen.
Jetzt werfen mir 60 Migrationsforscher aus Instituten in Hamburg, Köln und Bielefeld
vor, ich hätte mit meinem Buch die Beachtung bekommen, die eigentlich ihnen zustehe.
Kurios daran ist, dass gerade diese Kritiker aus der gut ausgestatteten Welt der
öffentlich finanzierten Migrationsforschung kommen. Sie hätten in den vergangenen
Jahrzehnten Zeit, Mittel und Gelegenheit gehabt, die Frage von Zwangsheirat,
arrangierten Ehen, Ehrenmorden, Segregation und dem Islam zu untersuchen. Sie hätten
die Fragen stellen können, die ich gestellt habe. Sie haben es nicht getan, weil solche
Fragen nicht in ihr ideologisches Konzept des Mulitkulturalismus passte. Damit haben
sie aber auch das Tabu akzeptiert und das Leid anderer zugelassen.
Die Unterzeichner bestreiten nicht die Existenz von Zwangsheiraten, sehen diese aber
als eine Art “Heiratsmarkt“, der sich der europäischen Abschottungspolitik verdankt.
Gibt es also keine Zwangsheirat in Anatolien? Hat Europa eine Bringschuld gegenüber
Ländern, die der EU beitreten wollen? Oder ist es nicht umgekehrt so, dass bestimmte
Bedingungen in diesen Ländern erfüllt sein müssen, bevor sie der EU beitreten können?
„Wenn es keine transparenten Möglichkeiten für Einwanderung gibt,„ so schreiben die
Migrationsforscher, “nutzen die Auswanderungswilligen eben Schlupflöcher“. Das soll
doch wohl heißen, die Europäer sind für die Menschrechtsverletzungen in Kurdistan
und für den Zwang zur Ehe im Islam verantwortlich. Die Unterzeichner bestreiten
keineswegs die Existenz von Ehrenmorden, doch „dafür gibt es bekanntlich Gesetze“.
Für mich offenbart sich darin ein merkwürdiges Selbstverständnis der unterzeichnenden
Migrationsforscher. Offensichtlich verstehen sie ihren Beitrag zu gesellschaftlicher
Aufklärung und zur Integration nicht so, dass solche kriminellen Praktiken verhindert
werden, sondern sie wollen sie bestenfalls „in ihrem Entstehungskontext“ erklären
können. Da habe ich in der Tat ein anderes Verständnis von meiner Aufgabe als
Migrationsforscherin. Ich möchte mit meinen Arbeiten zur Integration beitragen und
habe deshalb auch keine Probleme damit, mit dem Innenminister der Bundesrepublik,
dem Bundesamt für Migration und anderen Stellen zusammenzuarbeiten. Und wenn sie
kritisieren, ich hätte „Einzelfälle zu einem gesellschaftlichen Problem aufgepumpt“,
dann empfehle ich Ihnen Werner Schiffauers Studie Die Migranten aus Subay , in der er
anhand von acht Schicksalen über „die Türken in Deutschland“ Schlüsse zieht. Ein
Standardwerk Migrationsforschung.
Nach Max Weber ist alles Handeln „Mittel zum Zweck“. Ich verstehe deshalb auch,
dass sich die 60 Migrationsforscher die Mühe machen, einen Brief zu schreiben. Sie
haben Angst um ihre Forschungsmittel, sie merken, dass sie nicht mehr
unwidersprochen vom unaufhaltsamen Weg der Migranten in die Moderne schwätzen
können, denn inzwischen hat auch der letzte Bürger, Politiker und Entscheidungsträger
gemerkt, dass diese Institute der Integrationspolitik seit Jahren einen Bärendienst
erweisen.
Für mich sind es gerade diese Migrationsforscher, die seit 30 Jahren für das Scheitern
der Integrationspolitik verantwortlich sind. Die Politik hat viel zu lange auf sie gehört.
Die Unterzeichner beanspruchen, sich „auf Erkenntnisse zu stützen“, die „auf rationale
Weise gewonnen wurden“: auf den Tisch damit!
Quelle: Entgegnung
Petition von 60 Migrationsforschern
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Sie versteht sich als Unabhängige, als säkulare Muslimin: Necla Kelek
14. März 2008 Lieber Herr Alboga, lieber Herr Köhler, lieber Herr Kizilkaya und lieber
Herr Yilmaz vom „Koordinierungsrat der Muslime“, Ihre beständigen Angriffe auf uns,
die säkularen Muslime, Ihre andauernde Negation unseres Muslimseins, Ihre unsägliche
Taktiererei, Ihr auf nichts gründender Hochmut haben uns gezeigt, dass mit Ihnen kein
Staat zu machen ist. Jedenfalls keiner, der unseren Vorstellungen von Demokratie und
Säkularität entspricht. Wir haben Ihnen und Ihren Verbänden viel zu lange die
Deutungshoheit überlassen, was muslimisches Leben in Deutschland ist.
Ich spreche hier als Unabhängige, als säkulare Muslimin, aber ich weiß, dass viele
Menschen, in diesem Plenum und anderswo, derselben oder ähnlicher Meinung sind.
Ich erlaube mir deshalb, einige Feststellungen im Plural zu treffen.
Was ist Ihr Verständnis von Islam und Demokratie
Die Vertreter des „Koordinierungsrates der Muslime“ (KRM) haben während der
letzten anderthalb Jahre nichts Substantielles zur Debatte über unser Verfassungs- oder
Werteverhältnis beigetragen. Kein Islamgelehrter dieser Seite trat auf, um sein
Verständnis von Islam und Demokratie darzulegen. Es war ernüchternd, feststellen zu
müssen, dass der organisierte Islam in Deutschland offenbar nicht in der Lage oder
willens ist, solche Fragen zu erörtern, sondern immer nur bekundete, was der Islam alles
nicht ist. Es macht den Eindruck, dass die Verbandsfunktionäre diese Islamkonferenz
als einen Ort ansehen, wo sie einen Vertrag über das ungestörte religiöse Leben der
Muslime und ihre staatliche Anerkennung aushandeln können. Aber wir sind in dieser
Konferenz zum Glück nicht auf einem Bazar, auf dem die Bundesrepublik und ihre
Werteordnung zur Debatte stehen.
Ich möchte hier, stellvertretend für die nichtorganisierten Muslime in diesem Land,
sagen, dass wir es Ihnen nicht länger überlassen, in der Öffentlichkeit zu vertreten, wie
und was der Islam in diesem Land sein kann. Mit Ihnen, das ist die Konsequenz der
letzten dreißig Sitzungen der Arbeitsgruppen, scheint es keinen Konsens geben zu
können. Sie wollen offenbar ein anderes Deutschland als wir.
Ein Bekenntnis zu Deutschland
Für uns ist Deutschland das Land, das unseren Kindern zur Heimat geworden ist und in
dem wir friedlich und in Freiheit leben. Dieses Bekenntnis zu Deutschland beruht auch
darauf, weil dieses Land uns allen gestattet und ermöglicht hat, aus freien Stücken und
ohne Bevormundung zu werden, was wir sind: Volkswirte, Ärzte, Schriftsteller, Lehrer,
Professoren, Politiker, Ingenieure, Unternehmer, Facharbeiter - und dies alles ohne
Integrationskurse und Sprachhilfe. Allein, weil wir zeigen durften, was in uns
Gastarbeiter- und Migrantenkindern steckt: der Wille und die Fähigkeit zum Erfolg!
Wir wollen daher selbstbewusst den Grad und die Form unserer Religiosität selbst
bestimmen und dort, wo sie sich kollektiv manifestiert, mitbestimmen, wie diese
Religiosität zum Ausdruck gelangt. Wir lehnen es ab, immer wieder gerichtlich die
Grenzen der deutschen Verfassung und der deutschen Rechtsprechung auszuloten.
Als deutsche Bürger leben
Wir wollen nicht auf eine muslimische Identität reduziert werden, sondern an den
Werten Deutschlands teilhaben, in dem wir diese Werte als die unseren anerkennen und
im wahrsten Sinn des Wortes als deutsche Bürger leben. Wir wollen nicht, dass junge
Frauen und Männer, mit Berufung auf Tradition und den Islam, nicht frei entscheiden
können, ob, wann und wen sie heiraten. Wir sind gegen Import- und Ferienbräute, weil
damit jungen Menschen die Selbstbestimmung verweigert und die Integration immer
wieder unmöglich gemacht wird.
Wir wenden uns gegen jegliche Form der Legitimierung von Gewalt - sei es in der
Erziehung, der Ehe oder in der politischen Auseinandersetzung. Es beschämt uns, dass
Gewalt gegen Frauen ein islamisches Problem ist; es beschämt uns, dass Gewalt gegen
Kinder ein islamisches Problem ist; es beschämt uns, dass Gewalt gegen
Andersgläubige ein islamisches Problem ist. Und es beschämt uns, dass dies von den
Islamverbänden geleugnet wird.
Wer darf die Muslime in Deutschland vertreten?
Wir wollen, dass unsere Kinder an den Schulen dieses Landes einen Religionsunterricht
erhalten, der sich in nichts von dem Religionsunterricht für Kinder anderer
Konfessionen unterscheidet. Wir wollen nicht, dass Islamvereine wie zum Beispiel die
Milli Görus mit der Regierung von Nordrhein-Westfalen oder anderswo definieren,
welche Rolle der Islam in der Schule zu spielen hat. Wir wollen an Schulen weder das
Kopftuch noch Gebetsräume, noch dass an Ramadan von Kindern gefastet wird. Es
kann nicht sein, dass, von Moscheen unterstützt und Behörden gebilligt, in deutschen
Städten Scharia-Richter sich anmaßen, zivil- und strafrechtliche Belange zu regeln, die
eindeutig dem Gewaltmonopol des Staates vorbehalten sind.
Es widerspricht unserem Verständnis von der Souveränität unseres Landes, dass
Religionsvereine wie die Ditib, die politisch, organisatorisch und finanziell von
ausländischen Regierungen und Organisationen abhängig sind, für die deutschen
Muslime sprechen und maßgeblichen Einfluss auf die Innen- und Integrationspolitik
unseres Landes haben. Wir bedauern, dass Moscheen oft Ausgangspunkt einer
Selbstausgrenzung und Fixpunkte einer Parallelgesellschaft sind. Es fehlt die Offenheit
und Transparenz, die Vertrauen entstehen lassen.
Wir bedauern, dass die Verbände den Islam in Deutschland selbst um das nötige
Vertrauen bringen. Dazu gehört, dass die Verbände die Finanzierung der 187 geplanten
Moscheeneubauten mit einem Geheimnis umgeben. Stimmt es, was der Herr
Innenminister in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ auf die Frage, wer die
Kölner Moschee finanziert, feststellt: „Wenn der Verein Ditib die Moschee baut, kommt
das Geld vom türkischen Staat.“ Ich frage Herrn Alboga, wer finanziert die Ditib und
die Kölner Moschee? Ich frage Herrn Köhler, war es der Bruder des Herrschers von
Dubai, der die Frankfurter Abu-Bakr-Moschee finanziert hat?
Es fehlt die Offenheit und Transparenz
Innerhalb von achtzehn Monaten haben die Vertreter des religiösen Koordinierungsrates
nur einen einzigen Satz (!) aus eigener Feder beigesteuert, dafür aber, sprichwörtlich in
letzter Minute, Änderungen verlangt, die juristisch zwar unbedenklich sind, aber uns
deutlich vor Augen führen: Sie wollen oder können nicht verstehenn, worum es geht.
Durch die europäische Geschichte der Aufklärung ist ein Wertekanon entstanden, der
sich auch, aber eben nicht nur in der Verfassung spiegelt.
Wir leben in einem säkularen Gemeinwesen, das Staat und Religion trennt. Dem
Einzelnen verschafft es die Luft zum Atmen, die „innere Freiheit“, die geschützt ist wie
unsere Grundrechte. Das ist mit Koran und Sunna nicht auf einer Ebene zu sehen. Zum
einen, weil deren Lehre den Menschen diese Freiheit nicht gewährt, sondern
Vorschriften macht. Aber vor allem, weil diese Werteordnung die moralische
Verfassung Europas darstellt. Das ist der elementare Unterschied, der den „Scharia-
Islam“ , wie Professor Tilman Nagel es formuliert hat, von den Säkularen trennt.
Eine demokratisch legitimierte Vertretung
Navid Kermani hat im vergangenen Mai die deutschen Muslime aufgerufen, sich eine
demokratisch legitimierte Vertretung zu schaffen. Doch hat der Koordinierungsrat, der
eine Minderheit vertritt, bisher nichts getan, sich mit uns, den Säkularen, der
unorganisierten Mehrheit, zu verständigen. Warum sagen uns die Islamverbände nicht
einfach, was wir schon immer wussten: Sie lehnen letztlich die Werteordnung
Deutschlands ab. Dieser endlose Streit über Selbstverständliches hat auch sein Gutes.
Wir wollen weitermachen, und wir können uns nicht von den Ewiggestrigen aufhalten
lassen. Ich möchte darum einige Punkte zur Diskussion stellen:
1.Die Deutsche Islamkonferenz sollte sich ein öffentliches Forum im Internet geben,
damit die Unterschiede zwischen Religiösen und Säkularen öffentlich diskutiert werden
können.
2.Das Resümee der Konferenz sollte ins Türkische übersetzt werden, damit die Debatte
auch in die türkischen Gemeinden getragen wird.
3.Wir brauchen die intellektuelle Debatte über einen säkularen Islam und die Probleme
der Muslime in Deutschland. Lassen Sie uns diese Auseinandersetzung öffentlich
führen.
4.Die wissenschaftlich rationale Auseinandersetzung und Forschung mit und über den
Islam aus theologischer und religionssoziologischer Sicht sollte gefördert werden, damit
der Islam aus der intellektuellen „Versiegelung“ befreit wird.
5.Lassen Sie uns eine Kampagne für die Rechte der muslimischen Frauen und Mädchen
initiieren, die junge Frauen darüber aufklärt, dass es nicht im Sinn der Integration und
eines säkularen Islam ist, junge Menschen nicht selbst entscheiden zu lassen, ob, wann
und wen sie heiraten.
6.Lassen Sie uns unsere Kinder zu selbständigen und selbstverantwortlichen Bürgern
erziehen. Klären wir sie über die Religionen auf, doktrinieren sie aber nicht in
Koranschulen.
7.Wir brauchen die finanzielle und organisatorische Unabhängigkeit der deutschen
Muslime.
8.Die in Deutschland aktiven muslimischen Verbände sollten über eine freiwillige
Prüfung ihrer Organisations- und Finanzverhältnisse durch eine unabhängige
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nachdenken.
9.Ich fordere die Islamverbände und auch die Säkularen auf, die einmalige historische
Chance nicht zu verspielen, auf dieser Konferenz, im öffentlichen Diskurs, den Islam
mit der Moderne und der Demokratie zu versöhnen.
Die Soziologin Necla Kelek, säkulare Muslimin, sitzt in der Arbeitsgruppe „Deutsche
Gesellschaftsordnung und Wertekonsens“ der Islamkonferenz.
Quelle: Sie wollen ein anderes Deutschland
Siehe auch: Dr. Necla Kelek's Bericht an die Islamkonferenz
Das Kopftuch muslimischer Frauen sei eine "Art Branding, vergleichbar mit dem
Judenstern", hat Alice Schwarzer in einem "FAZ"-Interview erklärt. Die Autorin und
Frauenrechtlerin Necla Kelek teilt diese Einschätzung. Mit SPIEGEL ONLINE sprach
sie über Gründe und Folgen von Verschleierung.
Frage: Frau Kelek, Alice Schwarzer hat in einem Zeitungsinterview erklärt, das
Kopftuch stigmatisiere muslimische Frauen zu Menschen zweiter Klasse - ähnlich wie
im Dritten Reich der Judenstern. Teilen Sie diese Auffassung?
Necla Kelek: Frau Schwarzer hat vollkommen Recht: Mit dem Tragen eines Kopftuchs
werden Frauen zu sexualisierten Wesen reduziert, anstatt gleichberechtigte Menschen
zu sein. Frauen müssen sich zudecken, damit die Männer nicht unruhig werden. Sie
verhüllen sich nicht für Gott, sondern weil Männer ihrer Triebe nicht Herr werden. Die
Aussage, die dahinter steckt, lautet: Jede Frau, die kein Kopftuch oder keinen Tschador
trägt, bringt Unruhe in der Öffentlichkeit. Frauen werden als Unruhestifterinnen
stigmatisiert und haben einem einzigen Mann zu gehören. Das Recht auf
Selbstbestimmung wird ihnen damit genommen.
Frage: Gibt es nicht auch Frauen, die sich freiwillig für das Tragen eines Kopftuches
entscheiden?
Kelek: Wenn Menschen sich freiwillig zu einem faschistischen System bekennen, dort
glücklich und davon überzeugt sind, dann kritisieren wir das doch auch und sehen den
gesellschaftlichen Kontext. Wir fragen uns etwa: Was bewirken diese Neonazi-
Gruppen? Und eine Frau, die Kopftuch tragen will, flaggt für eine islamistische Partei.
Auch wenn sie sich selbst dafür entschieden hat, sagt sie damit, dass die Frauen
Sexualwesen sind. Das tut sie vielleicht nicht bewusst, weil sie keine Soziologin ist.
Meine Aufgabe und die von Alice Schwarzer ist es deshalb einen gesellschaftlichen
Kontext herzustellen. Seit 1979 wissen wir, was das Tragen eines Kopftuchs bedeutet.
Als die islamistische Revolution im Iran begann, mussten die Frauen sich verschleiern.
Das ist immer das erste, was die Islamisten tun.
Frage: Gegner eines Kopftuchverbots führen immer an, dass es keine allgemeingültige
Interpretation dessen gibt, was es für die Einzelne bedeutet, ein Kopftuch zu tragen. Sie
widersprechen dem?
Kelek: Ja, im gesellschaftlichen Bild gibt es eine allgemeingültige Bedeutung. Nach der
Scharia hat die Frau sich zu verschleiern, weil der Mann seine Triebe nicht beherrschen
kann und er sich versündigt, wenn er sie anguckt. Wenn sie sich dafür entscheidet und
sagt: Ja, ich bin ein Wesen, das die Männer zur Unruhe treibt und sich bedeckt,
akzeptiert sie das doch. Bewusst oder unbewusst. Ich sage nicht, dass die Frauen das
wissentlich machen. Meine ganzen Bücher drehen sich darum, dass die betroffenen
Frauen durch ihre Sozialisation keine andere Alternative haben. Ihnen wird gesagt, sie
seien Unruhestifterinnen und dürften nicht in die Öffentlichkeit.
Frage: Es ist in der letzten Zeit häufiger vorgekommen, dass sich ganz junge Mädchen
aus scheinbar aufgeklärten Familien dafür entschieden haben, Kopftuch zu tragen -
obwohl ihre Mütter es nicht machen. Was bedeutet das?
Kelek: Nicht jeder Junge, der ein Hakenkreuz malt, ist ein politisch überzeugter
Neonazi. Vielleicht will er damit nur seine Eltern, seine Lehrer provozieren. Das mag
sein. Nicht jedes Mädchen, das ein Kopftuch trägt, ist eine Islamistin. Vielleicht will sie
sich damit nur abgrenzen. Von den Eltern, von den Deutschen, von den Ungläubigen.
Auch das mag sein. Im Kern ist es aber eine politische Bewegung. Seit 1979 ist das
Kopftuch eine Flagge der Islamisten. Wer sich dem anschließt - egal aus welchem
individuellen Grund - entscheidet sich politisch - für eine politische Marke. Auch diese
jungen Mädchen. Es ist ein Zeichen dafür, dass sie meinen: Die Frau hat in einer
anderen Gesellschaft zu leben.
Frage: Hat sich in den letzten Jahren etwas an der Art der Verhüllung geändert?
Kelek: Seit Tayyip Erdogan 2003 türkischer Ministerpräsident ist, gibt es eine neue
Form der Verhüllung auch bei türkischen Migrantinnen in Deutschland - die langen
Mäntel und die Kopftücher. Das kommt ganz klar von den islamistischen Parteien. Wer
sich in der Türkei so verhüllt, der wählt auch die AKP. Das ist so.
Frage: Was bedeutet es für Frauen, sich zu verschleiern?
Kelek: Zunächst einmal heißt es, dass sie alles dafür tun muss, dass ihr Körper in der
Öffentlichkeit nicht gesehen wird - mit Auswirkungen auf die gesamte Kommunikation.
Auch Alice Schwarzer fragt ja: Wie soll man mit einer verschleierten Frau reden? "Von
Angesicht zu Angesicht" ist vor diesem Hintergrund ein bedeutsamer Begriff. Man
muss einen Menschen sehen, um mit ihm persönlich kommunizieren zu können. Sich zu
verschleiern ist ja auch eine Körpersprache -beziehungsweise eben keine: Sich
nonverbal zu verständigen geht für verschleierte Frauen nicht - denn sie schließen sich
aus der Öffentlichkeit aus.
Frage: Inwiefern?
Kelek: Verhüllte Frauen nehmen nicht mehr an den Errungenschaften der
Menschlichkeit teil. Sie dürfen ihren Körper nicht erfahren, nicht schwimmen, nicht
turnen, nicht am Biologieunterricht teilnehmen, werden ihrer Sexualität beraubt. Wenn
diese Frauen sich dann persönlich sagen: "Ich mache das doch alles freiwillig", ist das
auch ein Muster, das wir aus extremistischen Gesellschaften kennen.
Frage: Umgekehrt gefragt: Was ändert sich konkret für eine Frau, die sich dafür
entscheidet, das Kopftuch abzulegen?
Kelek: Plötzlich wird sie wieder eins mit der Natur - spürt den Wind und die Sonne. Es
ist ein unglaubliches Gefühl für diejenigen Frauen, die dann Schwimmen gelernt haben
- plötzlich können sie eine Naturgewalt beherrschen. Eine Frau, die im Wasser nicht
ertrinkt, kann sich auch in einer Krise über Wasser halten: Die Redewendung "Sich über
Wasser halten können" hat in diesem Zusammenhang eine große Bedeutung. Dazu muss
man etwas können und wenn den Frauen verboten wird, etwas zu können, will man sie
weiter in der Abhängigkeit halten.
Das Interview führte Anna Reimann
Quelle: Frauen werden zu Unruhestifterinnen stigmatisiert
Das Innenministerium hat mir die Fragen geschickt und wollte meine Meinung wissen.
Ich fand die Fragen in Ordnung. Schließlich hat der deutsche Staat ein Recht zu
erfahren, was in den Köpfen der Leute vor sich geht, die eingebürgert werden wollen.
Denn wer die Werte nicht akzeptiert, die sich in unserer Verfassung widerspiegeln, kann
doch kein Deutscher werden, glaubte ich zu wissen.
[an error occurred while processing this directive]Die Verfassung schreibt aber nicht
vor, wie Eltern mit ihrem Kind umzugehen haben, das homosexuell ist. Der Fragebogen
will aber genau das wissen. Das geht den Staat doch gar nichts an.
Doch. Einer der Pfeiler unserer Demokratie ist doch das Selbstbestimmungsrecht eines
jeden, also auch homosexueller Kinder gegenüber Eltern. Außerdem will man mit den
Fragen gezielt herausfinden, wie Muslime zu Dingen stehen, die in ihrer Heimat
verboten sind. Dort werden Homosexuelle mitunter gesteinigt.
Viele Fragen zielen auf das Selbstverständnis der Männer ab. Warum?
In traditionellen muslimischen Familien haben Männer das Sagen und üben Gewalt aus,
wenn man ihnen nicht folgt. Der Fragebogen ist eine Art „Pascha-Test“.
Muslime kritisieren, dass sie unter Generalverdacht gestellt würden. Auch Innensenator
Ehrhart Körting hat den Fragebogen als diskriminierend zurückgewiesen. Verstehen Sie
das?
Nein, denn Muslime, die nach westlichen Werten leben – und nur ihnen werden die
Fragen fremd vorkommen – müssen sich nicht angesprochen fühlen. Außerdem sollen
die Fragen nur im Verdachtsfall gestellt werden. Wenn Sie an den Fall Kaplan denken,
dann ist es sogar notwendig.
Auch deutsche Familienväter würden unter Verdacht geraten, würde man ihnen diese
Fragen stellen. Auch hier gibt es welche, die ihren Töchtern keine freie Berufswahl
gestatten, auch unter Deutschen gibt es Antisemiten.
Aber darum geht es doch hier nicht. Wenn ich einen Muslim, der Deutscher werden
will, nach seinen Kenntnissen über die Verfassung frage, muss ich doch nicht gleich
jeden Deutschen befragen. Dass es Neonazis gibt, ist ein Problem. Aber ein ganz
anderes. Wenn alles gleich in einen Topf geworfen wird, können wir doch gar nichts
mehr problematisieren.
Es ist ja kein Fragebogen, den man ausfüllen muss. Es ist ein Gesprächsleitfaden, eine
Hilfe für die Beamten in den Behörden, die keine multikulturelle Kompetenz besitzen,
die nicht wissen, was zum Beispiel Ehre für einen türkischen Mann bedeutet. Viele
Beamten ahnen gar nicht, dass es etwa muslimische Männer gibt, die drei Ehefrauen
haben oder Ehrenmorde gutheißen. Und die einen Pass bekommen haben, weil sie die
Formalien erfüllt haben. Den meisten Deutschen ist es doch egal, wer den deutschen
Pass bekommt.
Sie hat gezeigt, dass Muslime unter Naturschutz stehen. Nicht mal fragen ist erlaubt.
Aber offenbar empfinden tatsächlich viele die Fragen als nicht konstruktiv. Das sollte
man ernst nehmen. Schließlich wollen wir ja, dass sich die Leute mit Deutschland
identifizieren. Deshalb sollten wir den baden-württembergischen Leitfaden
weiterentwickeln – zusammen mit denen, die Kritik geübt und vielleicht bessere Ideen
haben, wie man ein Einbürgerungsgespräch führen könnte.
Hatun Aynur Sürücü wurde ermordet, weil sie "wie eine Deutsche lebte". Die
Betroffenheit über die Gewalt in muslimischen Familien ist groß. Aber: Was treibt
junge muslimische Männer zum Mord an ihren Nächsten? Unter welchem Druck stehen
sie, welcher Moral sind sie verpflichtet? Eine kennt sich aus: die
Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek. Sie sagt: "Sie kennen die Liebe nicht"
Sarrazin macht das nach meinem Empfinden nicht aus Übermut, sondern aus Sorge um
Berlin. Sein Ton ist eigen, seine Bilder sprechend, die Analyse allerdings alarmierend.
Wie sich durch Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am letzten
Wochenende herausstellte, kannte sein Primus inter pares im Vorstand der Deutschen
Bank, der Vorsitzende Axel Weber, den Text und distanzierte sich erst, als er bereits im
Druck war. Eine Kabale um Macht und Einfluss im Vorstand der Währungshüter.
Obwohl Sarrazin der Berliner Politik insgesamt gehörig die Leviten liest, heulten nicht
seine Parteifreunde auf, sondern die üblichen Verdächtigen. Die
Migrantenorganisationen und die Fraktion der Gutmenschen.
Was hatte Sarrazin gesagt? Unter anderem wiederholte er die aus Integrationsberichten
und Studien bekannten Tatsachen, nach denen, vor allem türkische und arabische
Migranten schlechter integriert sind, dass sie dies oft selbst zu verantworten haben, weil
sie ein anderes Lebensmodell verfolgen als die Mehrheitsgesellschaft. Er sagte: „Eine
große Zahl an Arabern und Türken in dieser Stadt hat keine produktive Funktion außer
für den Obst- und Gemüsehandel.“ Die Gemüsehändler jedenfalls waren nicht beleidigt,
denn sie gehören zu den Gewinnern der Migration, sie versorgen sich und ihre Familien
selbst und sind nicht auf staatliche Leistungen angewiesen. Die sich davon ertappt,
neudeutsch: „diskriminiert“, gefühlt haben, waren nicht jene, die die Misere zu
verantworten haben, sondern reflexhaft die Türkenvereine und ihre Verbündeten, die
Teil der Misere sind. Sie rufen „Haltet den Dieb“, sind beleidigt, geben sich als Opfer,
in der Hoffnung, nicht über den Diebstahl reden zu müssen.
„Opferanwalt“ ist eine Paraderolle der Sprecher der türkischen und muslimischen
Lobby, die ihre Stellung mithilfe der Politik und dem Integrationsplan zu einem
subventionierten Mandat machen konnten. Die Empörung der Islamisten vom
„Muslimmarkt“ unterscheidet sich in Ton und Inhalt kaum von der Fraktion der
„Linken“, der Türkenverbände und des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden in
Deutschland, der im Übereifer Sarrazin sogar mit Hitler verglich.
Alle bezeichnen sie die Äußerungen als „rassistisch“, wobei die Islamisten mit der
Kritik am weitesten gehen, sie bezichtigen den Banker des „hasserfüllten
Herrenmenschendenkens“. Und der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan
Kramer, der sich gern gemeinsam mit Islam- und Türkenfunktionären als Opfer der
deutschen Gesellschaft präsentiert, und die sich dafür gegenseitig als Dialogpartner
loben, ist unterwegs, die Ehre der Migranten zu retten. Kein Vergleich ist ihnen zu
absurd, keine Keule zu groß, nach dem Motto, wer am lautesten schreit, hat recht.
Nebenbei schützen sie durch dieses Ablenkungsmanöver ihre Geldgeber in Senat und
Opposition vor der Blamage, die der ehemalige Finanzsenator seinen Kollegen bereitet
hat. Und natürlich liegt die Ursache für die Misere der Migrantenjugend, der schlechten
Ausbildung, der parallelen Strukturen nach dieser Auffassung nicht auch in der
Verantwortung der Migranten und deren kultureller Bestimmtheit, sondern
ausschließlich in der verfehlten deutschen Sozial- und Bildungspolitik. Der Staat als
Leistungslieferant, der Migrant als Mündel, der keine Verantwortung hat, sondern
Integration ganz nach Belieben konsumiert. Die Vertreter dieser Richtung sind froh,
nicht über die Fakten reden zu müssen, sondern Solidarität mit den diskriminierten
Eltern der „Kopftuchmädchen“ üben zu können.
Bürgergesellschaft erschüttert
Sarrazins Interview hat diesen Schleier wieder einmal gelüftet. Die Bundestagsparteien
hatten ja im Wahlkampf ein stilles Übereinkommen, nicht über Integration oder Islam
zu diskutieren. Roland Koch hatte sich an dem Thema die Finger verbrannt, das wollte
von Linkspartei bis CSU niemand riskieren. Jetzt ist das Thema wieder da und wird uns
begleiten.
Ich wundere mich, dass die deutsche Gesellschaft so wenig Selbstbewusstsein zeigt,
offen über die damit verbundenen Probleme sprechen zu wollen. Das in Jahren mühsam
aus Zielen, Werten und Tugenden und der Aufarbeitung der eigenen Geschichte
erarbeitete Selbstwertgefühl, das Haus unserer Bürgergesellschaft, wird erschüttert,
wenn jemand mal die Tür laut zuschlägt. Die demokratische Öffentlichkeit verliert sich
– wie der Kulturanthropologe René Girard feststellt – in einer Art „depressiver
Erschöpfung“ über die gesellschaftlichen Hypotheken, die man sich aufgebürdet hat.
Politik gestaltet nicht mehr, sondern moderiert und übt sich darin, möglichst keine
Fehler zu machen.
Dabei wird übersehen, dass es sich hierbei tatsächlich um einen Kampf um die
Deutungsmacht handelt. Kritik an Religion oder Grundrechtsverletzungen durch
Migranten sollen wieder ein Tabu werden, man bemüht dafür Begriffe wie
„Islamophobie“ und gründet staatlich bezahlte „Antidiskriminierungsvereine“, die alles,
was unter der Decke gehalten werden soll, mit dem Rassismusvorwurf belegen. Das
spielt den „Depressiven“ in die Hände, denn so brauchen sie sich um die Ursachen und
Folgen von Fehlentwicklungen im Moment nicht mehr zu kümmern.
Wenn von der Bundesregierung fast 200 Millionen Euro im Jahr für Sprach- und
Integrationskurse ausgegeben werden (und einige Islam- und Türkenvereine damit nicht
schlecht verdienen) und es gleichzeitig kaum Kontrollen der Qualität und des Erfolgs
dieser Maßnahmen gibt, fragt man sich, was die Verantwortlichen in Politik und
Verwaltung mit dieser Haltung bezwecken. Wenn man den Erfolg will, muss man auch
die Lernleistung der Teilnehmer einfordern, sie nötigenfalls kontrollieren und bei
Verweigerung sanktionieren. Wenn man allerdings nur Symbolpolitik betreibt, dann
schreibt man einen Bericht, rühmt sich für die Maßnahmen und lässt Allah einen feinen
Mann sein.
Wenn man will, dass die Migrantenkinder Deutsch lernen, dann muss man die
Vorschulpflicht einführen und Kindergeld einbehalten, wenn die Kinder nicht zur
Schule kommen. Wenn man nicht will, dass die Integration auch in der 4. und 5.
Generation immer wieder von vorn beginnt, dann muss man endlich das Gesetz gegen
Zwang zur Ehe auf den Weg bringen. Vor vier Jahren stand ein Gesetz gegen
Zwangsheirat schon einmal im Regierungsprogramm, jetzt wahrscheinlich wieder.
Wenn von der Öffentlichkeit kein Druck kommt, wird nichts geschehen. Nennt dann
jemand wie Sarrazin die Missstände beim Namen, meldet sich das schlechte Gewissen.
Man regt sich über den Ton und nicht über die Fakten auf. Aber die soziale Realität
lässt sich auf Dauer nicht wegempören und mit einem „Aber bitte nicht in diesem Ton!“
beschwichtigen. Der Lack der Schönrednerei blättert schneller ab, als gestrichen werden
kann.
Wer die klaren Worte Sarrazins für Hetze hält, muss sich fragen lassen, ob er die Fakten
kennt oder nicht längst aufgegeben hat. Ich kann mir nur wünschen, dass die künftige
Bundesregierung nicht in den Fehler verfällt, vor lauter Sucht nach Erfolgen, vor lauter
„best practice“ die realen Probleme unter den Teppich des sehr lobenswerten
Integrationsplans zu kehren, sondern auch mal nachsieht, welche Maßnahmen sinnvoll
sind und zum Erfolg führen, und mit welchen nur Lobbyisten alimentiert werden.
Und noch etwas hat die „Causa Sarrazin“ gezeigt: Wie schnell gewisse Kreise bereit
sind, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit infrage zu stellen. Wenn es gelänge, einer
spitzen Zunge und einem selbstbewussten Mann wie Sarrazin den Mund zu verbieten,
fragt man sich, wer dann noch den Mut haben wird, sich überhaupt zu äußern? Sarrazin
redet Tacheles, es ist sein gutes Recht. Zumindest das sollten wir verteidigen.
Necla Kelek (51) kam mit ihrer Familie 1966 aus Istanbul nach Deutschland. In
Hamburg studierte sie Volkswirtschaft und Soziologie. 2001 promovierte sie zum
Thema „Bedeutung islamischer Religiosität für die Lebenswelt türkischstämmiger
Schülerinnen und Schüler“. Die „islamisch geprägte Parallelgesellschaft in
Deutschland“, die sie als „falsch verstandene Toleranz“ entschieden ablehnt.