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Renzension

Horst Bayrhuber, Ulrich Kull (Hrsg.)


Biologie Linder
21 Aufl. Hannover: Schroedel, 1998

Ein erster Eindruck


von Reinhard Junker

Dieses Jahr erschien nicht nur „Evolution - ein kritisches nicht ins Schwanken, sondern wurde von manchen Biolo-
Lehrbuch“ in völliger Neubearbeitung, sondern auch der gen erheblich modifiziert2 (viele hielten selbst eine Anpas-
altehrwürdige „Biologie-Linder“ in der 21., neu bearbei- sung der Evolutionstheorie nicht für erforderlich).
teten Auflage. Wort-und-Wissen-Freunde interessiert darin 2. Der genetische Code galt lange Zeit als ausnahmslos
natürlich besonders das Kapitel über Evolution. Eine erste für alle Lebewesen gültig. Das evolutionstheoretische Ar-
Durchsicht zeigt, daß die im W+W-Diskussionsbeitrag gument lautete: Eine Veränderung des genetischen Codes
1/1993 („Fehler in Evolutions-Lehrbüchern?“) ange- sei im evolutionären Rahmen faktisch unmöglich (sie
merkten einseitigen Darstellungen inhaltlich nicht geändert könnte sich nicht durchsetzen, da sie viele funktionslose
wurden. Es fehlen darüber hinaus auch in der neuen, über- Proteine zur Folge haben müßte). Umgekehrt sei die (ver-
arbeiteten Auflage jegliche Hinweise darauf, daß es kriti- meintliche) Tatsache der Universalität des Codes ein her-
sche Aspekte zur Evolutionslehre gibt. Stattdessen wird ausragender Beleg für die Abstammung aller Lebewesen
der Eindruck vermittelt, bei der Evolutionstheorie handle von einem einzigen Vorfahren: der einmal entwickelte3
es sich um eine mit den Fakten rundum stimmige Erklä- Code sei auf alle späteren Lebewesen vererbt worden und
rung. habe danach nicht mehr verändert werden können. Man
hätte früher also gesagt: Eine Abwandlung des genetischen
„In keinem Fall wurde die Evoluti-
onshypothese falsifiziert.“
Vor diesem Hintergrund kann es nicht überra-
schen, wenn im Abschnitt über „Naturwissen-
schaftliches Weltbild“ behauptet wird, daß kein
Ergebnis der Biologie im Widerspruch zur Hy-
pothese der Evolution stehe (S. 455). Dagegen
seien mit dieser Hypothese zahlreiche Voraussa-
gen gemacht worden, die in keinem Fall die Evo-
lutionshypothese falsifiziert (widerlegt) hätten.

Ist die Evolutionshypothese über-


Typisches Beispiel für das systematische Fehlen evolutionärer Übergangs-
haupt falsifizierbar? formen: Fossildokumentation der Paarhuferfamilien. Die Überlieferung fos-
Man muß hier nachfragen: Was würde denn siler Reste reißt ohne Verbindungen durch Übergangsformen zwischen den
die Evolutionshypothese falsifizieren? In der Ver- Familien ab. (gestrichelte Linien). Im Tierreich sind Familien sehr häufig mit
Grundtypen identisch. Die meisten Familien sind ausgestorben. Nur die be-
gangenheit wurden durchaus (wenn auch selten) kannteren heute lebenden Familien sind beschriftet. (Aus 'Evolution - ein kri-
Daten genannt, die zu einer Falsifizierung führen tisches Lehrbuch')
könnten. Doch, wenn solche Daten dann tatsäch-
lich gefunden wurden, führte das nicht zur Widerlegung, Codes steht zumindest im Widerspruch zur Evolutionshy-
sondern zur Modifizierung der Evolutionstheorie. In pothese.
schwereren Fällen wird auch gerne darauf verwiesen, daß Mittlerweile sind so viele Abwandlungen des geneti-
man noch zu wenig Daten habe, um das betreffende Phä- schen Codes entdeckt worden, daß eine vielfach unabhän-
nomen erklären zu können, oder einfach abwarten müsse, gige Änderung des Codes in verschiedenen evolutionären
bis in Zukunft neue Erkenntnisse erzielt worden seien. Linien postuliert werden müßte4 – meines Erachtens für
Zwei Beispiele: 1. Kein geringerer als Charles Darwin die Evolutionslehre schon fast ein GAU. Doch es bleibt
hat das systematische Fehlen evolutionär passender Über-
gangsformen beklagt und vorhergesagt, daß solche Lebe- stheoretikern ausdrücklich eingeräumt wird. (Vergleiche: Junker R &
wesen in der Zukunft gefunden werden müssen, wenn sei- Scherer S (1998) Evolution - ein kritisches Lehrbuch, Giessen, Kapi-
ne Theorie nicht zu Fall kommen soll. Diese zu erwarten- tel VI.13)
2
Hierzu ist vor allem der sog. Punktualismus zu rechnen, wonach
den Übergangsformen wurden in der Regel nicht gefunden Evolution meistens sehr langsam verläuft und nur in kurzen Phasen
(vgl. Abb.).1 Die Evolutionstheorie geriet dadurch aber sprunghaft Fortschritte macht.
3
Dabei soll hier die eigene Problematik der Entstehung des genetischen
1
Ausnahmen wären gesondert in einzelnen zu diskutieren. Als Gesamt- Codes nicht diskutiert werden. (Vgl. Gitt W (1996) Am Anfang war
eindruck bleibt bis heute das systematische Fehlen von evolutionär die Information; Evolution - ein kritisches Lehrbuch, Kap. VII.16.1)
4
interpretierbaren Übergangsformen, das auch von vielen Evolution- Siehe Evolution - ein kritisches Lehrbuch, Kap. VII.17.5.2.

REZENSIONEN
dabei: Nichts spricht im „Linder“ gegen Evolution. Dort allem durch Spezialisierung) kommt. Der Satz im „Lin-
wird dazu im Genetik-Kapitel lediglich festgestellt: „An der“: „Die Lebewesen wurden in der jetzt bekannten
der grundlegenden Universalität ändern einige geringfü- Vielfalt geschaffen“ ist also wieder irreführend; er würde
gige Äbweichungen nichts“ (S. 331). zutreffen, wenn dies für „Grundtypen“ (die „geschaffenen
Arten“) gesagt würde. Doch die seit 20 Jahren in der
Falsche Eindrücke und Irreführungen deutschsprachigen Schöpfungsforschung vorgenommene
Unterscheidung zwischen „Arten“ und „Grundtypen“
Kurzum: Die Behauptung, die Evolutionshypothese sei
scheint den Autoren unbekannt zu sein.
nie falsifiziert worden, ist leer, mindestens so lange nicht
Unerfreulich sind auch folgende Sätze: „Der Kreatio-
klar angegeben wird, wodurch sie denn falsifizierbar wäre.
nismus erkennt die im Vorstehenden dargestellten Grund-
Walter J. ReMine nennt in seinem sehr anregenden Buch
prinzipien der Naturwissenschaften nicht an und kann da-
„The Biotic Message“5 zahlreiche Beispiele, wonach Da-
her keine naturwissenschaftlichen Hypothesen liefern.
ten, die vor ihrem „Auftreten“ als falsifizierend gewertet
Nimmt man eine Schöpfung im Sinne des Kreationismus
wurden, danach nur zur Anpassung der Evolutionshypo-
an, so ist daraus keine falsifizierbare Hypothese abzulei-
these an die neue Situation geführt haben.
ten; daher ist diese Ansicht wissenschaftlich leer.“ Hier ist
Es wird also mit dieser Behauptung der Nicht-
fast alles falsch. Die Schöpfungslehre arbeitet mit Hypo-
Falsifizierung der Evolutionshypothese der falsche Ein-
thesenbildung, mit Vorhersagen schöpfungstheoretischer
druck erweckt, es sei im Wesentlichen alles klar. Tatsäch-
Theorien und ihrer Überprüfung und Korrektur usw. Bei-
lich verbirgt sich hinter diesem Satz die Tatsache, daß die
spielsweise wird vorhergesagt, daß als Grundtypen defi-
Evolutionslehre gegen Widerlegung immunisiert wird. Es
nierte Schöpfungseinheiten auch unter den heutigen Le-
ist daher nur folgerichtig, daß der Evolutionslehre als Ge-
bewesen abgrenzbar sind, daß es „programmierte Variabi-
samtanschauung von wissenschaftstheoretischer Seite ge-
lität“ innerhalb der Grundtypen gibt, daß die ursprüngli-
legentlich der wissenschaftliche Charakter nur einge-
chen Grundtypen (die „geschaffenen Arten“) genetisch
schränkt zugestanden wurde.
polyvalent (vielseitig, flexibel) waren u.v.a. Alle diese
Ein weiteres gravierendes Beispiel einer Irreführung ist
Vorhersagen sind prüfbar, wurden Tests unterzogen und
folgende Passage: „Gelegentlich wird die Ansicht vertre-
haben hier und da auch zu Modifizierungen der Grundty-
ten, beim Evolutionsgeschehen handele es sich um expe-
penbiologie geführt.
rimentell nicht zugängliche Ereignisse, welche die Natur-
Die Grundtypenbiologie arbeitet freilich in einem vor-
wissenschaft prinzipiell nicht behandeln könne. Dies trifft
gegebenen Rahmen, nämlich dem der biblischen Überlie-
nicht zu, denn die Artbildung - die den Evolutionsvorgän-
ferung. Aber das ist nichts Besonderes, denn dies gilt unter
gen zugrunde liegt - ist ein häufiger und in einigen Fällen
veränderten Vorzeichen auch für die Evolutionslehre.6
(bei Pflanzen und Mikroorganismen) beobachtbarer und
experimentell nachvollzogener Vorgang“ (S. 455). Ein
Teil der zitierten Sätze stimmt: Artbildung ist empirisch Gesamteindruck
nachgewiesen. Doch solche Vorgänge beweisen nur Mi- In „W+W-Praxistips 2“7 stellte Jethro Lamprecht fest,
kroevolution und sind auch mit der Grundtypenbiologie daß sich bei der Darstellung schöpfungstheoretischer
(Schöpfungslehre) voll kompatibel. Die Frage nach der Standpunkte seitens der Kritiker immer wieder ein vierfa-
experimentellen Überprüfbarkeit evolutionärer Vorgänge ches Schema feststellen läßt:
zielt aber - davon abgesehen - darauf, daß der angenom- • Ein Teil der Darstellung ist zutreffend.
mene Evolutionsverlauf vom Einzeller bis heute nicht be- • Ein Teil ist falsch.
obachtbar, weil einmalig und vergangen, und daher expe- • Ein weiterer Teil beschreibt den Sachverhalt ver-
rimentell unzugänglich ist. Und daran ändert die Beob- zerrt und unfair.
achtbarkeit heutiger mikroevolutiver Prozese wie Artauf- • Die wichtigsten Argumente der Evolutionskritik
spaltungen in den Grenzen von Grundtypen nichts. Wieder werden verschwiegen.
wird also ein falscher Eindruck erweckt, hier nämlich, daß Die Darstellung im „Biologie Linder“ zum Kreatio-
der historische Prozeß der hypothetischen Evolution mit nismus belegen diese Beobachtung auf eindrucksvolle,
empirischen Methoden der Naturwissenschaft überprüfbar aber auch traurige Weise. Die Notwendigkeit, Aufklä-
sei. Doch das ist er genauso wenig wie der Schöpfungsakt rungsarbeit zu leisten, ist offenkundig. Wenn Sie, liebe In-
Gottes. fo-Leserinnen und -Leser dazu beitragen wollen, könnten
Sie dies beispielsweise dadurch tun, daß Sie das evoluti-
Falsches über den „Kreationismus“ onskritische Werk „Evolution - ein kritisches Lehrbuch“
den Lehrern und Schulbibliotheken schenken, die Sie ken-
Die auf S. 456 folgenden Ausführungen über die
nen. Das wäre sicher wirkungsvoller als Proteste beim
Schöpfungslehre sind nicht nur irreführend, sondern teil-
Verlag oder den „Linder“-Autoren.8
weise sogar falsch. So wird behauptet, daß nach der
Schöpfungslehre Mutation und Selektion nur Variationen aus „Wort und Wissen Info 45“ (Dezember 1998)
innerhalb von Arten erzeugen. Wie oben erwähnt, wird
dagegen in der Schöpfungslehre davon ausgegangen, daß
es innerhalb von Grundtypen zu sehr viel Artbildung (vor
6
Vgl. Evolution - ein kritisches Lehrbuch, Kap. I.1.3.
5 7
ReMine WJ (1993) The Biotic Message. St. Paul, Minnesota. Aus- Das vierseitige Blatt „Praxistips 2“ wurde mit dem W+W-Info 44 ver-
führliche Buchbesprechung in Studium Integrale Journal 5 (1998), S. schickt.
8
45-48. Frühere Bemühungen in dieser Richtung sind völlig fehlgeschlagen.

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„Entstehung des Lebens“ in der 21. Linder-Auflage:
veraltet und irreführend
Ein Kommentar von Harald Binder

An dieser Stelle soll der Abschnitt von „Linder Biologie“ zen Zeit, die somit zur Entstehung des Lebens noch zur
(Standard-Biologielehrbuch für die Sekundarstufe II an Verfügung steht, hat übrigens einen prominenten Vertreter
den Gymnasien) über Chemische Evolution und Entste- der Evolutionstheorie zu der Annahme veranlaßt, daß das
hung des Lebens (S. 411-414) eingehender mit der älteren Leben im Kosmos entstanden und die Erde infiziert wor-
Auflage verglichen und kritisch kommentiert werden. den sein muß, weil die Zeit für eine Entstehung auf der
Um die Bedeutung dieses Themas zu verdeutlichen, sei Erde nicht ausreicht (F. Crick 1983).
darauf hingewiesen, daß für die gegenwärtige Diskussion Uratmosphäre
um eine „Bio-Ethik“ das Verständnis des Lebens selbst,
Die ganze Diskussion der vergangenen Jahre mit all
seiner Entstehung und Geschichte von grundlegender Be-
den geologischen Befunden, die als Hinweis für eine min-
deutung ist. Außerdem ist zu bedenken, daß der weit
destens neutrale, wenn nicht gar leicht oxidierende Atmo-
überwiegende Teil der Bevölkerung die elementare Prä-
sphäre interpretiert worden sind, scheinen von den Auto-
gung zu diesem Thema in der Schulausbildung bekommt,
ren nicht wahrgenommen worden zu sein. Bei der Skizzie-
oft ohne diese Positionen später kritisch zu überdenken
rung der Randbedingungen würde
oder zu aktualisieren. Wo eine
man sich wenigstens Andeutungen
Aktualisierung vorgenommen
wünschen, daß der gewählte Ent-
wird, erfolgt diese in der Regel
wurf nur einer unter einer Vielzahl
durch den Konsum populär aufbe-
von Alternativen ist, die in der
reiteter Wissenschaftspublikatio-
Fachliteratur diskutiert werden.
nen in verschiedenen Medien, die
gerade in diesem Themenfeld oft
von erschreckender Rückständig- Simulationsexperimente
und Einseitigkeit geprägt sind. Ist man bereit, all die bisher
angeführten Unausgewogenheiten
Leben nur aus dem Le- und Nachlässigkeiten nachzuse-
hen, so ist es doch erstaunlich, ja
ben
eigentlich ärgerlich, mit welcher
Bereits im einleitenden Ab- Penetranz und Ignoranz die Simu-
schnitt fällt auf, daß – wie schon in lationsexperimente von Stanley
den früheren Auflagen – nach dem Miller zitiert werden. Offenbar
Hinweis auf Pasteur: „Omne vi- wurde nicht zur Kenntnis genom-
vum ex vivo“ (Alles Leben kommt Die berühmte Miller-Apparatur. Mit ihr konnte zwar men, daß eben jener Forscher und
aus dem Leben) die starke Be- die Bildung organischer Moleküle aus anorgani- mit ihm viele andere Pioniere der
hauptung aufgestellt wird: „Für die schen Stoffen nachgewiesen werden, doch zahllo-
se Versuchsansätze zeigten, daß eine Entwicklung Erforschung der Lebensentstehung
erstmalige Entstehung der Orga- zum Leben auf diesem Wege nicht funktioniert. eine Vielzahl von experimentellen
nismen auf der Erde gilt diese (Aus „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“; dort fin- Untersuchungen publiziert und
Aussage nicht.“ Begründung: den sich detaillierte Begründungen) darin die Bedeutung jener histori-
„ganz andersartige physikalisch- schen Experimente deutlich relati-
chemischen Verhältnisse“. Doch diese anderen Verhältnis- viert haben (Miller 1986, de Duve 1994). Nichts davon
se könnten allenfalls Ansatz für Hoffnung liefern, sind findet sich im „Linder“.
aber keinerlei Begründung für eine solche Aussage. Es ist wahr, daß aus verdünnten wässrigen Formalde-
hyd-Lösungen unter bestimmten Bedingungen eine Viel-
Fehlende Zeit zahl von Zuckern erzeugt werden kann. Aber die bisheri-
Das ältesten Fossilreste sind im Vergleich zur 20. gen Erfahrungen haben zugleich gezeigt, daß die für den
Auflage 100 Millionen Jahre älter geworden (3,7 Milliar- Aufbau der Nukleinsäuren (Erbsubstanz) benötigten Koh-
den Jahre) Wenn dann weiter ausgeführt wird, daß (bei ei- lenhydrate Ribose (für RNA) bzw. 2-Desoxyribose (für
nem zugrundegelegten Erdalter von 4,5 Milliarden) damit DNA) auf diesem Wege nicht zugänglich sind. Deshalb
fast eine Milliarde Jahre zur „Bildung einfachster lebender sucht man nach einfacheren, weniger komplex gebauten,
Strukturen“ zur Verfügung standen, dann wird dabei aus- evtl. sogar nicht zuckerartigen Verbindungen.
geblendet, daß in allen gängigen Modellen zur Erdentste- Die Experimente von Miller werden auch nicht aussa-
hung davon ausgegangen wird, daß die Erde in der An- gekräftiger, wenn man sie mit Fragmenten aus den Hypo-
fangsphase sehr heiß und einem intensiven Bombardement thesen von G. Wächtershäuser anreichert. Es ist nämlich
von Meteoriten ausgesetzt gewesen ist. Damit ist sie für nicht verständlich zu machen, was durch Pyritbildung un-
lange Zeit (in der Literatur findet man Schätzungen bis vor terstützte Synthese von Ameisensäure mit der Entstehung
ca. 4 Milliarden Jahren) steril. Das Faktum der relativ kur- von Leben zu tun haben soll. Da hilft es auch nicht, wenn

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diese an den positiv geladenen Pyritkriställchen festge- Stoffwechsel und Mutation, auch wenn Lebewesen diese
halten werden sollen. Auch die alten Konzepte der Pro- Phänomene u. a. zeigen.
teinoide und Mikrosphären von S. Fox werden unverän- Und die Aussage: „Wenn einfache Polynukleotide und
dert wieder aufgewärmt, obwohl jeder, der sich dafür in- Peptide in der chemischen Evolution entstanden sind, so
teressiert, bereits seit vielen Jahren (z. B. bei Vollmert) mußte die Ausbildung des Hyperzyklus zwangsläufig zu-
nachlesen kann, daß solche Strukturen außer den begriffli- stande kommen“, zeugt von einer erstaunlichen Unkennt-
chen Assoziationen mit den entsprechenden Phänomenen nis. Wo ist das Experiment, in dem gezeigt ist, was
aus dem Bereich der Lebewesen nichts gemeinsam haben. „zwangsläufig zustande kommen“ soll?
Der Begriff „Protobiont“ ist auch durch seine erneut
RNA-Welt hervorgehobene Verwendung nicht konkreter faßbar ge-
worden, er wird weiter als abstrakte Worthülse vorgeführt,
Auch die Präsentation der „RNA-Welt“ ist veraltet.
deren konkrete Bedeutung nicht zu vermitteln ist.
Deren Stern ist seit Jahren wieder im Sinken begriffen,
weshalb intensiv nach einer „Vorgänger-Welt“ und dem
Übergang von der RNA-Welt zur gegenwärtigen „DNA- Fazit
Protein-Welt“ gesucht wird. Da hört es sich nüchterner an, Man wünschte sich, daß gerade dieses Thema in
wenn man von Protagonisten der „RNA-Welt“-Idee, G. F. Schulbüchern sorgfältiger bearbeitet wird. In einer Zeit, in
Joyce und L. E. Orgel, in einer amerikanischen Fachzeit- der viel über die Verkürzung der Schulausbildung geredet
schrift für Biologielehrer liest: „Wir werden wohl nie das und trotzdem, oft ohne erkennbare Not, gerade in den na-
erste Polymer identifizieren können, das in eine Darwin- turwissenschaftlichen Fächern – aktuelle Forschungser-
sche Evolution eintrat. Selbst wenn wir seine chemische gebnisse in die Stoffliste aufgenommen werden, sollte man
Natur kennen würden, würden wir so gut wie sicher nie es nicht dulden, daß beim Thema Lebensentstehung teil-
seine genaue Sequenz kennen.“ (Dennoch halten sie je- weise der Kenntnisstand von 1953 in so unkritischer Wei-
doch eine abiogenetische Entstehung des Lebens für plau- se wie hier wiedergegeben wird. Der Gesamteindruck, den
sibel.) man beim Studium dieses Buchabschnitts erhält, deckt
sich nicht annähernd mit demjenigen, den eine Beschäfti-
Hyperzyklus gung mit entsprechender Fachliteratur hervorruft. Glückli-
cherweise gibt es an diesem Punkt bessere Biologiebücher.
Schwer nachvollziehbar ist auch, warum der Abschnitt
über Hyperzyklen aufgewertet worden ist. Dieses mathe-
Literatur
matisch zwar konsistente Modell ist in Göttingen im Labor
• Vollmert B (1985) Das Molekül und das Leben. Reinbek
unter bestimmten experimentellen Randbedingungen (de- bei Hamburg.
ren Aufrechterhaltung gewährleistet werden muß) umge- • Crick F (1983) Das Leben selbst. München.
setzt worden. Aber bis heute konnte nicht plausibel ge- • de Duve C (1994) Ursprung des Lebens. Präbiotische
macht werden, daß die erforderlichen Anfangs- und Rand- Evolution und die Entstehung der Zelle. Heidelberg.
bedingungen auf einer hypothetischen frühen Erde jemals • Miller SL (1986) Current status of the prebiotic synthesis
vorhanden gewesen sein können. Die Chemie spricht je- of small molecules. Chem. Script. 26B, 2-11.
denfalls dagegen: es ist noch kein Hyperzyklus- • Joyce GF & Orgel LE (1998) The Origin of Life-a status
Experiment im Labor demonstriert worden, das sich selbst report. The American Biology Teacher 60, 10-12.
etabliert hat. Das Konzept hat sich in biotechnologischen
Entwicklungen zwar als erfolgreich erwiesen, ob ähnliches
aber auch im Zusammenhang mit der Lebensentstehung aus "Wort und Wissen Info 48" (September 1999)
beansprucht werden kann, ist bestenfalls offen.
Problematisch ist in diesem Zusammenhang, wenn in
der Neuauflage wieder behauptet wird: „Der Hyperzyklus Die Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN im Internet:
http://www.wort-und-wissen.de
hat bereits grundlegende Eigenschaften von Lebewesen.“
Nein, Leben ist wesentlich anderes als Selbstvermehrung,

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