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nachrichten g 3336 4.5.2006 22. jahrg./issn 0945-3946 1,30 ¤
www.antifaschistische-nachrichten.de
Rassistischer Mord-
versuch in Potsdam Die neue braune Mitte im
Potsdam. Ein 37-jähriger Deutscher ist
nach einem rassistischen Angriff in der
Schatten des Ettersberg
Potsdamer Innenstadt immer noch nicht Thüringen wird zum „Rückzugsort für Neonazis“
wieder bei Bewusstsein. Durch die
Schläge und Tritte, die der aus Äthopien Seit einiger Zeit häufen sich Be- aus jener Zeit sind darüber hinaus auch
stammende dunkelhäutige Ermyas M. richte über rechtsextremisti- die nachgewiesenen Kontakte und das
unter anderem gegen den Kopf erlitt, ist sche Umtriebe aus thüringi- Finanzierungsgebaren des Thüringer
er so schwer verletzt, das er zunächst in schen Regionen. Der Fokus der Auf- Verfassungsschutzes in die rechtsextre-
ein künstliches Koma versetzt werden merksamkeit hat sich seit dem Herbst me Szene. 1999 hatte der damals amtie-
musste. Dass die Tat einen rassistischen 2004 (Rechter Aufbau Ost – NPD im rende thüringische Verfassungsschutz-
Hintergrund hat, kann als gesichert gel- Sächsischen Landtag) stärker auf den präsident Helmuth Roewer seine eigene
ten, weil auf der Handymailbox des Op- westlich benachbarten Freistaat ge- Auffassung zur NS-Geschichte durchbli-
fers Fragmente des Tatgeschehens doku- richtet, den die Landesregierung als cken lassen.
mentiert sind. Ermyas M. wurde unter ‘Deutschlands starke Mitte’ bewirbt. Wegen seiner geografischen Lage gilt
anderem als „Scheiß-Nigger“ be- der Freistaat als „Rückzugsort für Neo-
schimpft. Um sich öffentlich gegen die- Die Bestrebungen von Neonazis, sich in nazis, der zugleich Basis für weitere Ex-
sen neuerlichen Fall rassistischer Gewalt Thüringen etablieren zu wollen, sind pansionen sein kann“. So dokumentierte
in Potsdam zu wenden, demonstrierten nicht neu. Das Bundesland weist schließ- Andrea Röpke 2004 in „Braune Kame-
am Ostermontag zeitweise bis zu 550 lich eine geografisch taktisch günstige radschaften – Die neuen Netzwerke der
Antifaschisten in der Innenstadt von Zentrumslage auf. In dem 2001 erschie- militanten Neonazis“ beispielsweise ei-
Potsdam. nenen Buch „Das braune Herz Deutsch- nige entsprechende Immobilienkäufe
In den letzten Monaten hat es über 20 lands? – Rechtsextremismus in Thürin- von nicht gerade unbekannten Rechtsex-
rechte Angriffe in Potsdam gegeben. gen“ beschrieben Jens-F. Dwars und Ma- tremisten. In Fretterode, Landkreis
Wie der Tagesspiegel vom 28.4. be- thias Günther die sich damals bereits an- Eichsfeld, ließ sich einige Zeit zuvor
richtete, hat der politische Streit um das deutenden Entwicklungen. Thüringen Thorsten Heise in einem alten Gutshaus
Motiv für den Überfall im Potsdamer werde „mit festem Platz in der Oberliga nieder – das lediglich als unpolitischer
Stadtparlament zu einem Eklat geführt: der rechtsextremen Statistiken“ geführt. „Jugendraum“ und für familiäre Zwecke
Die CDU-Fraktion verweigerte ihre Un- Als Beleg dafür galten 92 rechtsextreme genutzt werden sollte. Das Stadthaus in
terschrift unter einen Brief an die Familie Gewalttaten im Jahr 2000, so viel wie in der Jenaer Schleidenstraße ging 2002 in
von Ermyas M., in dem die Fraktionen keinem anderen ostdeutschen Bundes- den Besitz des ,Republikaner‘-Funktio-
ihr Mitgefühl und ihr Bedauern ausspre- land. Beim rein statistischen Abgleich närs Wilhelm Tell über. Dieser stellte es
chen. CDU-Fraktionschef Steeven Bretz von rechtsextremen Straftaten pro dann umgehend dem Verein Jenaische
und andere Abgeordnete störten sich an 100.000 Einwohner war das Bundesland Busse e.V. zur weiteren Nutzung zur Ver-
der Passage, es handle sich um eine „von im gleichen Zeitraum mit 1.846 Delikten fügung.
Rassismus geprägte Gewalttat“. „Wir bundesweit unübertroffen. Erinnerlich Fortsetzung Seite 3
kennen das Tatmotiv aber nicht“, so
Bretz. Ähnlich wie schon der Branden- Aktionstag gegen Abschiebung – für Bleiberecht
burger Innenminister Jörg Schönbohm
und der Bundesinnenminister Wolfgang
Schäuble (beide CDU) warnte Bretz da-
vor, vor Abschluss der Ermittlungen über
das Tatmotiv zu spekulieren.
Der Verein „Brandenburg gegen
rechts“ hat auf einem Spendenkonto be-
reits mehr als 25 000 Euro für die Fami-
lie von Ermyas M. gesammelt. Damit
sollen unter anderem Kosten für Behand-
lung und Rechtsbeistand bezahlt werden.
Quellen: solid-brandenburg
Tagesspiel online, 28.4.06 ■