E S &T Europäische 8,30 a • D 6323 E

Sicherheit
&Technik 1/2018
Europäische Sicherheit · Strategie & Technik
Österreich a 9,20 · Benelux a 9,30 · Schweiz sFr. 16,00

Was folgt dem

Tornado?

Säbelrasseln in Pjöngjang Luftlandeoperationen Maritime Sicherheit

Nordkoreas Nuklearprogramm und Relevanz – Rahmenbedingungen – Prinzipien für die konzeptionelle und
internationale Gegenstrategien Fähigkeiten – Ausrüstungsbedarf technologische Ausrichtung der Marine

Gernot Erler: Greater Eurasia –

Russland und Chinas Marsch nach Westen

iApps 353
Po l i t i k · S t r e i t k rä ft e · W i r t s c h a ft · Te c h n i k
Marine Systems

Im Einsatz für
die Deutsche Marine

Mit Standorten in Kiel, Hamburg, Bremen und Emden sind wir einer der
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Kommentar

Viel Lärm um wenig

Pathos, Kitsch und euphorische Resolutionen gehörten schon immer zum Stilrepertoire
europäischer Gipfeltreffen. Blieben sie einst eher den tatsächlichen Marksteinen der
europäischen Integration vorbehalten, ist ihr Gebrauch heute inflationär. Seit dem Aus-
bruch der Finanzkrise vor über einem Jahrzehnt arbeitet sich die Europäische Union an
einer beständig wachsenden Zahl von Problemen ab, deren sie nicht Herr wird. Wo es
den Lösungsversuchen, zu denen man sich durchringt, an Überzeugungskraft mangelt,
sollen wenigstens ihre Inszenierung und eine vollmundige Rhetorik Zuversicht vermitteln.
Zählt man all die bedeutenden Weichenstellungen zusammen, die auf diese Weise in
jüngster Zeit vorgenommen worden sein sollen, stellt sich die Frage, ob es überhaupt
noch ein Politikfeld gibt, auf dem nicht längst eine sichere und prosperierende Zukunft
der Europäer eingeläutet wurde. Leider sind die Bürger unseres Kontinents so störrisch,
sich von diesem Optimismus nicht anstecken zu lassen. Viel zu viele von ihnen haben sich
bereits innerlich von der EU verabschiedet. In einigen Mitgliedstaaten ist diese Stimmung
so stark, dass sie den Regierungskurs prägt. Es geht daher längst um mehr als das Ma-
nagement aktueller Krisen. Die EU an sich, so wie wir sie jedenfalls heute kennen, durch-
läuft eine Bewährungsprobe.
In solch einer Situation mag es wagemutig erscheinen, ein neues Kapitel europäischer
Integration auf einem Gebiet aufschlagen zu wollen, das bislang eher im Hintergrund
stand. Am 13. November einigten sich die Außen- und Verteidigungsminister von 23 der
derzeit 28 EU-Staaten auf ein umfangreiches Paket von Verpflichtungen und Maßnah-
men, mit denen im Rahmen der sogenannten Permanenten Strukturierten Zusammen-
arbeit (PESCO) pragmatische Fortschritte auf dem Weg zu einer Sicherheitsunion erzielt
werden sollen. Anfang Dezember wurden die ersten 16 Projekte identifiziert, in denen in
unterschiedlichen Konstellationen die Zusammenarbeit vorangetrieben werden soll.
Noch vor wenigen Jahren hätte man der Öffentlichkeit umständlich erklären müssen,
warum die Zivilmacht EU plötzlich auch militärisches Gewicht gewinnen will. Heute ist
dies anders. Die Bürger sind besorgt und verunsichert. Ihnen ist bewusst, wie prekär die
Sicherheitslage in zahlreichen Krisenregionen an der südlichen und östlichen Peripherie
ihres Kontinents ist. Die terroristische Bedrohung hat ihren Alltag längst erreicht. Um-
fragen zeigen einen deutlichen Stimmungswandel. Die Bürger erwarten von der Politik,
dass sie mehr in innere und äußere Sicherheit investiert und grenzüberschreitende Prob-
leme auch in grenzüberschreitender Zusammenarbeit angegangen werden. Wer, wenn
nicht die EU sollte dafür einen geeigneten Rahmen bieten können?
Und doch ist Besonnenheit geboten. Aktionismus ist noch kein Konzept. Im Gegenteil.
Im Wildwuchs mal dieses mal jenes Projekt auf der Grundlage momentaner Möglich-
keiten und Interessen voranzutreiben, kann sehr schnell in eine veritable Ressourcenver-
schwendung münden. PESCO ist zudem keine neue Königsidee, sondern ein Instrument,
das der Vertrag von Lissabon bereits vor einem Jahrzehnt bereitstellte. Es muss nicht
als Ausdruck von Schläfrigkeit oder Pflichtvergessenheit interpretiert werden, dass
diese Möglichkeit bislang nicht genutzt wurde. Mehrere bi- oder multinationale Ko-
operationen sind auch ohne diesen Rahmen auf den Weg gebracht worden. Derartige
„Koalitionen der Willigen“ müssen nicht notwendigerweise an Flexibilität und Effizienz
gewinnen, wenn man sie in den größeren Zusammenhang der EU einbettet. Dies gilt
insbesondere für die sehr weitgehende Kooperation, die Frankreich und Deutschland
im Juli 2017 vereinbart haben. Beide Staaten stehen zusammen für mehr als 50 Prozent
des Verteidigungsbudgets aller 23 PESCO-Nationen. Ihre Zusammenarbeit könnte sehr
schnell jeglicher Dynamik beraubt werden, wenn man sie durch die PESCO-Hintertür
„vergemeinschaftet“.
Vor allem aber ist dafür Sorge zu tragen, dass sich all das, was die Europäer betreiben, in
die Planungen der NATO einfügt und am Ende nicht doch jene Doppelstrukturen Gestalt
annehmen, die vermeiden zu wollen man hoch und heilig beschwört. Bislang konnte
man sich darauf verlassen, dass die Briten hierauf achten. Da sie sich mit dem Brexit auch
aus der europäischen Verteidigungspolitik verabschieden, ist diese Stimme transatlan-
tischer Vernunft verstummt. Frankreich will und Deutschland kann sie nicht erheben.
Das schlechte Image der Trump-Administration macht es leicht, antiamerikanische
Ressentiments zu bedienen, um europäische Sonderwege als Übernahme von Selbstver-
antwortung auszugeben. Der Sicherheit unseres Kontinents ist damit nicht gedient. Sie
wird auch in Zukunft nur durch das bewährte Bündnis mit Amerikanern (und Briten) zu
gewährleisten sein. Peter Boßdorf

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 3

 Inhalt
Seite 25 Seite 38
(Foto: ES&T Archiv)

(Foto: Finnish Defence Forces)

„Islamischer Staat“ auf dem Rückzug Finnlands Verteidigung
Die Rekrutierungsmechanismen der Terroristen bleiben ein General Jarmo Lindberg, Oberbefehlshaber der finnischen
sicherheitspolitisches Problem. Verteidigungskräfte, über aktuelle Herausforderungen

SICHERHEIT & POLITIK 38 Finnlands Verteidigung – heute und in Zukunft

Jarmo Lindberg
10 Greater Eurasia
Russland und Chinas Marsch nach Westen 42 Die Ausrüstungsplanung des Deutschen Heeres
Gernot Erler Lage und Ausblick
Eduard Schnabel
14 Nordkorea als Nuklearwaffenmacht
 Pjöngjangs Nuklearoptionen und internationale 51 Relevanz und Rahmenbedingungen
Gegenstrategien von Luftlandeoperationen
Dr. Frank Umbach Gert Gawellek und Henning Reimann

18 Globale Verteidigungsperspektiven 2017 54 Fit für die Zukunft

Veränderungen von militärischem Gestaltungsanspruch Betrieb Tornado über 2025 hinaus
und finanzieller Priorisierung Matthias Fensterseifer
Rainer Bernnat, Germar Schröder, Jan Wille
und Frank Dirksen 56 LTG 61 – Ende nach über 60 Jahren
Peter Preylowski
22 Von einsamen Wölfen und ferngesteuerten Attentätern
Die Terror-Bedrohung des Westens durch den 58 Deutschlands maritime Dimension
Islamischen Staat Jahresbericht 2017 des Marinekommandos
Marcel Serr Dieter Stockfisch
25 Der Islamische Staat auf dem Rückzug
Die Rekrutierungsmechanismen des IS bleiben
ein sicherheitspolitisches Problem ES&T SPEZIAL: FLUGABWEHR
Andreas M. Rauch und Seckin Söylemez
59 Thesen zur boden- und seegestützten Luftverteidigung
28 Nach „Jamaika“ auf Reede in Europa
Deutschlands Sicherheits- und Verteidigungspolitik Stefan Nitschke
in der Flaute
Wolfgang Labuhn 63 Qualifizierte Fliegerabwehr soll Drohnen
im Nächstbereich ausschalten
29 Unser Mann in Niger Lars Hoffmann
Laurent Joachim
64 Sinnvolle Phasen der Raketenabwehr
Dorothee Frank
BUNDESWEHR & STREITKRÄFTE INTERNATIONAL
65 Bodengebundene Luftverteidigung
33 Neue sicherheitspolitische Herausforderungen Das Taktische Luftverteidigungssystem im Kontext
für die Marine zukünftiger Luftverteidigung
Rainer Brinkmann Ulrich Renn

4 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018

 Seite 42 Seite 69
(Foto: Bundeswehr)

(Foto: Boeing)
Vollausstattung und Modernisierung V-22 Osprey
Die Ausrüstungsplanung des Heeres im Zeichen der Das militärische Kipprotorflugzeug kombiniert die Fähigkeiten
Trendwenden Finanzen, Material und Personal von Hubschrauber und Turbopropflugzeug.

RÜSTUNG & TECHNOLOGIE RUBRIKEN

69 Die Bell Boeing V-22 „Osprey“ 3 Kommentar

Ulrich Renn

77 Der Transfermarkt für Marineschiffe 6 Umschau

Bob Nugent
32 Berliner Prisma
WIRTSCHAFT & INDUSTRIE
73 IT- News und Trends
82 Neue Generation ungeschützter Transportfahrzeuge
Gerhard Heiming und Michael Horst 74 Informationen – Nachrichten – Neuigkeiten aus aller Welt
86 Hostile Fire Indication (HFI) für Hubschrauber 81 Blick nach Amerika
Detektion von Beschuss durch Handfeuerwaffen
Ulrich Hasse 92 Unternehmen & Personen
88 Ein Jahr Inhouse – die BWI und ihre Zukunftsperspektive 94 Impressum
Interview mit Ulrich Meister, Chief Executive Officer,
BWI GmbH
95 Bücher
90 „Der persönliche Kontakt zu den Kunden
ist uns sehr wichtig!“ 96 Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V.
Interview mit Hermann Mayer, Geschäftsführer MEN –
Metallwerk Elisenhütte GmbH 98 Gastkommentar
(Foto: kremlin.ru)

„Wir haben oder bekommen ein Problem mit Russlands Abkehr

von der Europäischen Friedensordnung. Das liegt vor allem an
dem Anspruch Russlands, Ordnungsmacht zu sein und sich seine
eigenen Regeln zurechtzulegen. Man stelle sich nur vor, andere
Staaten auf der Welt könnten ähnliche Ansprüche stellen. Es
kann die Gefahr entstehen, dass man sich auch anderswo aus
universell geltenden Regeln und Prinzipien verabschiedet. Am
Ende kann dies die Rückkehr zu einer archaischen Weltordnung
bedeuten, in der nur noch das Recht des Stärkeren gilt. Das kann
niemand wollen – auch nicht Peking und Moskau.“

Gernot Erler: Greater Eurasia, Seite 10

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 5

 Umschau

(Foto: BwFuhrparkService)
Drohnenabwehrsystem Xpeller Der große Vorteil gegenüber herkömmli-
HENSOLDT hat auf dem Werkflugplatz von chen Antriebssystemen ist u.a. der gerin-
Airbus in Hamburg das neu entwickelte ge Wartungsaufwand. Bis zur Grundin-
Drohnenabwehrsystem Xpeller vorgeführt. standsetzung kann das Aggregat 25 Jahre
Xpeller dient dem Schutz von Flughäfen lang betrieben werden. MTU hat bereits
die ersten Aggregate verkauft. Australien
(Foto: HENSOLDT)

will zwölf neue konventionelle U-Boote

(Foto: MTU)
Fahrschul-Lkw für die
Bundeswehr
Kürzlich übergab Rheinmetall in Oldenburg
den ersten von insgesamt 35 Fahrschul-Lkw
und Kritischer Infrastruktur. Das System des Typs TGX 26.360 6X2-2 LL an die Bw-
arbeitet mit einer Kombination aus Ra- FuhrparkService GmbH. Die Übergabe
dar-, Funk- und optischen Sensoren sowie erfolgte am Kraftfahrausbildungszentrum beschaffen. Es ist das größte militärische
einem zielgerichteten Störsender. Xpeller der Bundeswehr. Der Auftrag, der bereits Beschaffungsprogramm Australiens. Das
kann auch in die Infrastruktur eines Flug- 2016 erteilt wurde, hat einen Auftragswert von MTU entwickelte neue Antriebssys-
hafens integriert werden.. Alle aufgestie- von rund 3,2 Mio. Euro netto. Darüber hin- tem hat gute Aussichten, für die geplanten
genen Drohnen auf dem gesamten Flug- aus ist die RMMV im Oktober 2017 erneut zwölf U-Boote als best geeignetes System
hafen wurden sofort erfasst/geortet, selbst als Rahmenvertragspartner bis 2022 ausge- ausgewählt zu werden. (ds)
kleinste Drohnen in mehreren Kilometern wählt worden.  (wb)
Entfernung.  (ds) Erste 2.000 XM17 ausgeliefert
Mk VI-Patrouillenboote Die XM17 oder Modular Handgun System
Ende der Ära Bentlage Die U.S. Navy will 48 Patrouillenboote vom (MHS) ist die neueste Handfeuerwaffe der
Mit dem letzten „Abflug“ einer North Typ Mk VI beschaffen, zwei Boote sind be- US-Streitkräfte, die zurzeit in den Einsatz
American Rockwell OV-10 Bronco sind reits in Dienst gestellt und im Persischen kommt. Mitte November erhielt die 101.
die Zeichen für das Ende der militärischen Golf eingesetzt, zwölf weitere Boote folgen Airborne Division die neue Pistole. Mehr als
Nutzung des Flugplatzes Rheine Bentlage bis Anfang 2018. Die Patrouillenboote wer-
(Foto: U.S. Army)

den mit MTU-Motoren Typ 16V 2000M94

(Foto: Sven Rapreger)

ausgerüstet, weil MTU diese Motoren spe-

ziell für die 25 m langen Boote entwickelt
(Foto: Safe Boats Industries)

2.000 MHS wurden von SIG Sauer am 17.

hat. Bei einem idealen Leistungsgewicht
(wenig Raumbedarf, geringes Gewicht bei
gesetzt. Die für die Luftnahunterstützung hoher Leistung) erzielen die Antriebssyste-
konstruierten Broncos wurden von der me eine Geschwindigkeit von 45 kn; durch
Luftwaffe bis 1990 für die Zieldarstellung geringem Kraftstoffverbrauch beträgt die
eingesetzt und dienten u.a. in der bis Ende Reichweite ca. 600 sm/35 kn.  (ds)
2017 aufzulösenden Ausbildungswerkstatt
der Bundeswehr in Bentlage zukünftigen Neues U-Boot-Antriebssystem
Fluggerätemechanikern als Übungsobjekt. MTU hat auf der internationalen maritimen
Damit endet auch die Geschichte des 1940 Messe Pacific 2017 in Sidney das neu ent-
für die Luftwaffe errichteten und ab 1960 wickelte Antriebssystem für konventionelle
durch Hubschrauberkräfte des Heeres bis U-Boote präsentiert. Es ist der Antriebsmo-
2014 betriebenen Flugplatzes. So hatte am tor Typ 12V 4000U83. Das Dieselaggregat
6. Dezember 2017 eine am Standort ge- erzeugt eine hohe Leistung von ca. 1.500
nutzte CH-53 die Ehre, die OV-10 Bronco kW bei relativ geringem Bauraum und vor
zur Ausbildungswerkstatt in Bückeburg zu allem geringem Kraftstoffverbrauch, was
fliegen.  (ur) u.a. die Reichweite des U-Bootes erhöht.
November an die Division ausgeliefert. SIG
Sauer hat die Produktion für die US-Streit-
kräfte für die nächsten zehn Jahre in ihrem
Werk Rockingham County im US-Bun-
desstaat New Hampshire aufgenommen.
Insgesamt umfasst der Auftrag allein für
die U.S. Army rund 280.000 Stück sowie
weitere 212.000 Stück für die weiteren
Teilstreitkräfte im Umfang von rund 580,2
Mio. US-Dollar einschließlich Munition und
Zubehör. (wb)
Automatische Erkundung von
Landeplätzen
Die ESG Elektroniksystem- und Logis-
tik-GmbH wurde durch das BAAINBw be-
auftragt, die Machbarkeit einer automati-
schen Erkundung von Landeplätzen mittels
Drohnen zu untersuchen. Bei einigen Hub-
schraubereinsätzen ist es notwendig, dass

6 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018

mögliche Landeplätze aufwändig aus der
Luft gesucht und bewertet werden. Genau
hier können Drohnen entscheidende (Zeit-)
Vorteile bringen. Anfang Oktober wurden
(Foto: ESG)
die Sensoren und Algorithmen schließlich
im Flugversuch mit ihrem Unbemannten
Missionsausrüstungsträger (UMAT) un-
ter realen Einsatzbedingungen erprobt.
Der UMAT besteht aus der bis zu 150 kg
schweren Hubschrauberdrohne R-350 der
Firma UMS Skeldar. Die bei den Tests mit
Unterstützung der WTD 61 gewonnenen
Erkenntnisse und aufgezeichneten Daten
liefern nun wichtige Grundlagen für die
Bewertung der Machbarkeit einer automa-
tischen Landeplatzerkundung. (wb)
Polizei Berlin beschafft neue
Dienstpistole HK SFP9TR
Die Polizei Berlin beschafft 24.000 neue
Dienstpistolen Heckler & Koch SFP9 TR so-
wie 450 subkompakte Pistolen SFP9 SK.
Der Zuschlag erfolgte am 11. Dezember
2017. Die SFP9 TR ist eine Schlagbolzen-
(Bild: ww)
schlosspistole im Kaliber 9 x 19 mm mit Ab-
zug gemäß Technischer Richtlinie (TR) der
Polizei. Die Ausführung für die Landespoli-
zei Berlin hat einen seitlichen Magazinhal-
teknopf. Zu der Waffe gehören zwei Maga-
zine mit je 15 Patronen Fassungsvermögen.
Eine erste Teillieferung der Waffen ist für
Januar 2018 geplant, später sollen 2.000
Pistolen pro Monat zulaufen. Die Polizei
Berlin geht davon aus, dass ab Mitte 2018
die Umrüstung von der bisher geführten P6
auf die SFP9 TR erfolgt. (ww)
25 weitere Schützenpanzer Neuvorstellung Osiris und
Marder für Jordanien Legatus
Im Auftrag der Bundesregierung moderni- Auf der Fachmesse I/ITSEC 2017 in Orlan-
siert Rheinmetall weitere 25 Schützenpan- do stellte Rheinmetall sein Führungs- und
zer Marder aus den Beständen der Bun- Stabsrahmenübungssystem Osiris erstmals
deswehr für die jordanischen Streitkräfte. dem Fachpublikum vor. Mit dem konstruk-
Die Auslieferung beginnt im ersten Quartal
(Foto: Rheinmetall)
2018. Sie erfolgt im Rahmen der deutschen
Ertüchtigungshilfe. Der Wert des Auftrags
beläuft sich auf über 17 Mio. Euro. Rhein-
metall wird nach 2016/2017 weitere 25
(Foto: Rheinmetall)
tiven Simulationssystem Osiris üben Kom-
mandeure und Stäbe militärischer Verbän-
de und Einheiten auf operativer, taktischer
und strategischer Ebene in realistischer Ein-
satzumgebung. Osiris stellt die Werkzeuge
für das Training von Führungsverhalten und
generalüberholte und mit Wüstentarnan- Entscheidungsprozessen in einer hochau-
strich versehene Schützenpanzer des Kon- tomatisierten Umgebung bereit. Daneben
struktionsstandes 1A3 aus den Beständen steht das modulare Live-Trainingssystem
der Bundeswehr liefern. Darüber hinaus Legatus für die Simulation infanteristi-
gehören ein Ersatzteilpaket, Munition, scher Einsätze in seiner neuesten Entwick-
Dokumentation, Sonderwerkzeuge, Kun- lungsstufe mit weiterer Miniaturisierung
dendienst vor Ort sowie die Ausbildung kritischer Komponenten und verkürzten
für Bediener und Instandsetzungspersonal Rüstzeiten durch optimiertes Design sowie
zum Lieferumfang.  (wb) Software-Updates.  (gwh)
Rettungsboote für Deutsche Marine
Die Fassmer-Werft in Berne hat drei neue Rettungsboote („Paule“, „Ludwig“, „Hot-
te“) an die Deutsche Marine geliefert. Die neuen Rettungsboote sollen Anfang 2018
auf den drei Einsatzgruppenversorgern (EGV) eingerüstet werden. Zur Lieferung der
Boote gehören auch die entsprechenden Aussetzvorrichtungen. Das erste Rettungs-
boot wurde auf dem EGV „Berlin“ bereits eingerüstet. Die Boote ersetzen die veral-
teten Pinassen auf den EGV. Die Boote besitzen einen Antrieb mit 370 PS, der ihnen
eine Beschleunigung auf 32 kn verleiht. Die Boote dienen als Rettungs- und Bereit-
schaftsboote zur Personenrettung. Sie können 26 Personen aufnehmen.  (ds)
(Foto: Fassmer)
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 7
 Umschau
Weitere Camel-Wassertank-
module für die U.S. Army
WEW Container Systems liefert 167
Low-Profile-Wassertankmodule an die U.S.
Army zur Integration in das Camel II Unit
Water Pod System. Dieses System beinhal-
tet den 800 US gal (3 m³) Camel Tank, der
in einen Rahmen integriert und auf dem
(Foto: WEW)
(Foto: HENSOLDT)
M1095-Anhänger montiert ist. Die An-
hänger werden entweder neu hergestellt
oder vom Generalunternehmer Choctaw
überholt. Das extrem flache System ist ein
Schlüsselelement des primären Wasserver-
teilungssystems der US-Armee für die Zuge-
bene und darunter. WEW hatte 2013/2014
die originalen 327 Camel Tanksysteme an
Choctaw Defense geliefert. Der dünnwan-
dige, isolierte und ummantelte Wassertank
ist für raue Einsätze im Land- und Lufttrans-
port konzipiert entsprechend den moder-
nen multimodalen Anforderungen an die
militärische Logistik.  (gwh)
Wiesel 1 Nutzungsdauer-
verlängerung
Im Auftrag des BAAINBw entwickelt die
FFG Flensburger Fahrzeugbaugesellschaft
die von der Bundeswehr geplante Nut-
zungsdauerverlängerung (NDV) des Waf-
fenträgers Wiesel 1. Geplant ist die Fertig-
stellung von drei Demonstratorfahrzeugen
(Foto: Heiming)
(Foto: Bundeswehr)
bis Ende 2018. Im Anschluss daran soll eine
Ausschreibung der NDV von ca. 100, ggf.
auch mehr Fahrzeugen erfolgen. Die NDV
hat drei Hauptelemente: die Integration des
Waffensystems MELLS und einer Gummi-
bandkette sowie die Verbesserung des
Schutzes gegen ballistische und Blastbe-
drohung. Für letzteres wurde das CAMAC
Schutz- und Überlebenspaket von Morgan
Advanced Materials plc. ausgewählt, mit
dem innerhalb des Gewichtslimits der ge-
8 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
forderte Schutz realisiert wird. Neben den
Hauptelementen werden zahlreiche Details
verbessert und neue Elemente wie z.B. eine
Rückblickkamera eingebracht.  (gwh)
Referenzanlage Flugplatz-
überwachungsradar
Im Rahmen der Erneuerung der Flugplatz-
überwachungsradare (Aerodrome Surveil-
lance Radar-Serie, ASR-S) für die deutschen
Militärflugplätze hat HENSODT das siebte
(Foto: Tencate)
von 20 bestellten Radaranlagen ausgelie-
fert. Dieses Radar steht beim Systemzent-
rum 24 in Trollenhagen/Neubrandenburg
und dient als Referenzanlage, um die Ein-
satzverbände an den militärischen Flug-
plätzen der Luftwaffe bei der Depot-In-
standsetzung zu unterstützen. Bereits in
Betrieb sind die Anlagen auf den Luftwaf-
fenstützpunkten Laupheim, Büchel, Witt-
mund und Untermeitingen sowie bei der
Wehrtechnischen Dienststelle 61 in Man-
ching und auf dem Heeres-Fliegerhorst
Niederstetten.  (gwh)
Artillerieradar COBRA im Test
Die neue System Software V23 für das Ar-
tillerieortungsradar COBRA (Counter Bat-
tery Radar) ist von einem Team mit dem
französischen Beschaffungsamt DGA,
dem französischen Heer, der COBRA-Pro-
gramm-Division der OCCAR und der ESG
auf Leistungsfähigkeit und Fehlerfreiheit
getestet worden. Die neue Software soll
die Reichweite für die Entdeckung vergrö-
ßern und die Entdeckung feindlicher Rake-
ten schon in der Startphase ermöglichen.
Die Versuche werden im nächsten Jahr u.a.
auch in Deutschland fortgeführt mit dem
Ziel, die Fähigkeiten der neuen Software
voll umfänglich zu validieren. Ab Ende 2018
soll die Software in die Systeme eingeführt
werden. Hierzu gehören auch die zehn
COBRA-Systeme der Bundeswehr. Das Sys-
tem COBRA ist ein Produkt der EURO-Art
GmbH, einem Konsortium von Airbus,
Lockheed Martin und Thales.  (gwh)
Konfigurierbarer ballistischer
Körperschutz
TenCate Advanced Armour hat ein neu-
es, bedrohungsgerechtes Schutzsystem
entwickelt, das durch die Verwendung
von Zusatzplatten für die TenCate Mul-
ti-light CXP461IC Basic Light Platte einfach
an unterschiedliche Bedrohungsstufen
angepasst werden kann. Die beiden mo-
dularen Aufbauplatten können in einem
Trägersystem untergebracht und zur Op-
timierung des Schutzniveaus des Gesamt-
systems ein- oder ausgefahren werden.
Dies bietet dem einzelnen Bediener die
Möglichkeit, das ballistische Schutzniveau
auf eine Mission-by-Mission-Anforderung
abzustimmen. Das neue Schutzsystem ist
besonders geeignet für Einheiten, die in
Zonen mit wechselnden Bedrohungsni-
veaus operieren, wie z.B. Spezialeinheiten
und Infanterieeinheiten, die in städtischen
Umgebungen operieren.  (gwh)
Miniatur-Mündungsfeuer-
dämpfer
Die Schweizer Firma B&T hat neue, leich-
te Miniatur-Mündungsfeuerdämpfer he-
rausgebracht, die auf der Milipol vorge-
stellt wurden. Die neue Familie mit dem
Namen M.A.R.S. (Miniature Assault Rifle
Suppressor) ist für Sturmgewehre mit den
Kalibern 5,56 mm und 7,62 mm ausgelegt.
Die Befestigung auf der Waffe erfolgt mit
Schnellverschluss oder durch Aufschrau-
ben. Merkmale der M.A.R.S.-Familie sind
kleine Abmessungen, geringes Gewicht
(Foto: B&T)
und eine verbesserte Reduzierung des
Mündungsfeuers, daneben die Geräusch-
reduzierung um 26 dB bzw. 20 dB. Das
leistet die von Grund auf neu entwickelte
multi-Y-Endkappe des Dämpfers, die auch
für den Einsatz auf voll automatischen Ge-
wehren geeignet ist. Bis zu 600 Schuss in
16 Minuten verträgt der Mündungsfeuer-
dämpfer nach Angaben der Firma.  (gwh)
Eisenmann hat russische
Chemiewaffenvernichtung
unterstützt
Der Anlagenbauer Eisenmann hat drei der
sieben Chemiewaffenvernichtungsanlagen
gebaut, mit den Russland sein Arsenal an
chemischen Kampfstoffen vernichtet hat.
Seit 2006 wurden in Kambarka (Südural),
Potschep (500 km südwestlich von Mos-
kau) und in Kisner (Republik Udmurtien)
(Foto: Eisenmann)
insgesamt über 20.000 t Lewisit, Nerven-
kampfstoffe und Nervengifte in einem
mehrstufigen Verfahren unschädlich ge-
macht. Zur Verbrennung der gasförmigen/
flüssigen bzw. festen toxischen Reaktions-
massen installierte Eisenmann Hochturbu-
lenz-Brennkammern Turaktor und Herd-
wagenöfen. In den Turaktor mit nachge-
schalteter Rauchgasreinigung und Abwas-
serbehandlung wurden die flüssigen und
gasförmigen Kampfstoffe eingedüst und
bei Temperaturen bis 1.200 °C verbrannt.
Mit der langbewährten Technologie von Ei-
senmann wurden bis September 2017 die
letzten chemischen Kampfstoffe in Russ-
land vernichtet.  (gwh)
Sicherheitsscanner QPS200 von Schwerlasthubschrauber CH-53K
TSA zertifiziert debütiert auf der ILA
Die Rohde & Schwarz-Millimeterwel- Nach Bericht der Nachrichtenagentur Reu-
lentechnologie des R&S QPS200 hat die ters wird der Schwerlasthubschrauber CH-
Detektionszertifizierung für Advanced 53K auf der ILA 2018 in Berlin zum ersten
Mal außerhalb der USA auf einer Messe zu
(Foto: Rohde & Schwarz)
sehen sein. Deutschland und Israel haben
Interesse an dem Hubschrauber bekundet,
von dem zurzeit zwei Demonstratorflug-
(Foto: DVIDS.net)
zeuge im Auftrag des U.S. Marine Corps
gebaut werden. Der Hubschrauber soll
zu Beginn des nächsten Jahrzehnts beim
Imaging Technology (AIT) der Transport- U.S. Marine Corps eingeführt werden. Die
sicherheitsbehörde TSA erhalten. Damit Bundeswehr hat einen Bedarf von rund
erfüllt der R&S QPS200 die strengen De- 40 Schwerlasthubschraubern. Es wird er-
tektionsanforderungen der TSA in Sachen wartet, dass das Beschaffungsprogramm
Flugsicherheit. Mit der Millimeterwellen- gestartet wird, wenn eine neue Bundes-
technologie des QPS200 Sicherheitsscan- regierung arbeitsfähig ist. Dabei wird eine
ner werden Passagiere automatisch auf Beschaffungsentscheidung zwischen der
verborgene Gefahren kontrolliert, ohne CH-53K von Lockheed Martin und der
Privatsphäre der Passagiere zu verletzen. CH-47 von Boeing – den bisher ins Auge
Der R&S QPS200 ist bereits von der Eu- gefassten Hubschraubern – zu treffen sein.
ropäischen Zivilluftfahrt-Konferenz (ECAC) Letzter war auf dem 30. Internationalen
zertifiziert und auf Flughäfen in ganz Euro- Hubschrauberforum in Bückeburg dem
pa im Einsatz.  (gwh) Fachpublikum präsentiert worden.  (gwh)
Survivor R mit Waffenstation
Bei der Milipol war der Survivor R zum ersten Mal mit einer Waffenstation zu se-
hen. Die verwendete Qimek-Waffenstation ist für ein 12,7-mm-Maschinengewehr
ausgelegt. Mehrere Länderpolizeien haben das Fahrzeug für die Ausrüstung ihrer
Spezialkräfte bestellt. Durch Kombination von Großserienkomponenten und Spezial-
baugruppen vor allem für den Schutz ist ein kostengünstiges Fahrzeug entstanden,
das einen guten Kompromiss von Schutz und Mobilität bietet.  (gwh)
(Foto: Rheinmtall)
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 9
 SICHERH EIT & P O LITI K

Greater Eurasia
Russland und Chinas Marsch nach Westen
Gernot Erler

Das Verhältnis zwischen dem EU-Europa und Russland sowie zwischen den USA und Russland ist aus ver-
schiedenen Gründen und aufgrund vielfältiger Entwicklungen verkantet. Russland strebt eine Beachtung
auf Augenhöhe vor allem gegenüber den USA an, die immer noch jener Zeit nachhängen, die sie nach dem
Kalten Krieg zur einzigen Supermacht werden ließ.

D urch die Annexion der Krim und die

Reaktionen der westlichen Staaten
darauf wurde diese Verhärtung in
den Beziehungen manifest. Russland sucht
neue Orientierung und trifft bei der Suche
es RBI (Road Belt Initiative). Das Programm
wird bis heute weiterverfolgt.
Im Mai 2017 hat in Peking eine große Kon-
ferenz zur Seidenstraßenstrategie der chi-
nesischen Führung stattgefunden, an der
gewisser Wang Jisi eine wichtige Rolle, der
Dekan der Pekinger Schule für Internatio-
nale Studien, der schon im Oktober 2012
einen Artikel unter dem Titel „Marching
Westwords: The Rebalancing of China’s
auf China. 29 Staatschefs teilgenommen haben, dar- Geostrategy“ schrieb. Ein wichtiges Motiv
unter auch der russische Präsident Wladimir bei diesem chinesischen Marsch nach Wes-
Was ist passiert östlich Putin. Dort wurde verbindlich erklärt, dass ten ist die Stabilisierung der autonomen Re-
von Russland: Chinas Marsch in diesem Zusammenhang Investitionen in gion Xinjiang durch Handel und wirtschaft-
nach Westen
(Quelle: Stafor/Grafik: mawibo media)

Im September 2013 reist der relativ neue

Generalsekretär der KP Chinas und Staats-
präsident Xi Jinping nach Astana, in die
kasachische Hauptstadt, und hält dort
eine weltweit beachtete Rede, in der er
den Aufbau eines Silk Road Economic
Belt ankündigt, eines ökonomischen Gür-
tels Seidenstraße. Auf einer Konferenz im
Oktober desselben Jahres, bei der APEC
(Asiatisch-Pazifische Wirtschaftsgemein-
schaft), ergänzt er das und trägt den Plan
einer Maritimen Seidenstraße des 21. Jahr-
hunderts vor. Schon der Name ist, gerade
in Zentralasien, sehr klug gewählt, weil
die Seidenstraße bis heute geradezu ein
magischer Begriff für Zentralasien ist. Die
Seidenstraße steht für die Handelsbrücke
zwischen Asien und Europa, die lange
funktioniert hat. Es gibt praktisch keinen
zentralasiatischen Präsidenten, der nicht Chinas neue Seidenstraßen
mindestens ein Buch über die Seidenstra-
ße geschrieben hat. Die beiden Strategien einer Größenordnung von 900 Milliarden liche Belebung. Sie ist eine Problemregion
werden dann zusammengefügt zu dem Dollar (ca. 763 Milliarden Euro) ins Auge in China mit vielen Minderheiten, die zum
Programm, das erst OBOR (One Belt, One gefasst werden – zum Vergleich: Der deut- Teil unruhig sind – die Uiguren, die Tibeter,
Road) genannt wurde. Inzwischen heißt sche Staatshaushalt liegt ungefähr bei 330 die Mongolen. Hier spielt das Ost-West-Ge-
Milliarden Euro. Mit den Mitteln soll ein fälle, das in China in gefährlicher Weise ent-
Au to r riesiges Infrastrukturprogramm durchge- standen ist, eine wichtige Rolle. Der Osten
führt werden. Dazu gehören der Bau von und die Küstenregionen sind wohlhabend,
Gernot Erler war Staatsminister im Eisenbahnlinien (auch für die berühmten je weiter man jedoch nach Westen kommt,
Auswärtigen Amt und Russland-Be- chinesischen Hochgeschwindigkeitszüge), desto größer werden die Probleme. Auch
auftragter der Bundesregierung. Der Straßen, Brücken, Tunnel, Häfen, Flughäfen darauf soll diese Seidenstraßen-Strategie
Beitrag basiert auf einer Rede, die und Pipelines. Alles soll alte Verbindungs- eine Antwort geben.
er kürzlich beim Berliner Dialog der wege in den Westen wiederherstellen. Insgesamt sind sechs Korridore geplant.
Gesellschaft für Sicherheitspolitik in Es ist typisch für die chinesische Politik, dass Der wichtigste soll von China über Zent-
Berlin gehalten hat. solch eine neue Strategie lange und intensiv ralasien und Russland nach Europa mit den
vorbereitet worden ist. Da spielt auch ein Zielhäfen in der Ostsee laufen. Diese mil-

10 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018


Die Mitgliedsländer und möglichen Beitrittskandidaten der Eurasischen
Wirtschaftsunion
liardenschweren Infrastrukturinvestitionen
werden zum großen Teil über die 2015 neu
gegründete AIIB (Asiatische Infrastruktur
Investment Bank) mit Sitz in Peking abge-
wickelt. Es wurde zudem ein milliarden-
schwerer Seidenstraßenfond geschaffen.
China baut damit Konkurrenzinstitutionen
für den Internationalen Währungsfonds
und die Weltbank auf, um sich unabhängig
von Institutionen zu machen, an denen die
USA maßgeblich beteiligt sind.
China tritt bei dem Seidenstraßenprojekt
RBI als guter Nachbar auf, der bei Infra-
strukturinvestitionen hilft, von denen Part-
nerländer profitieren können. Aber dahin-
ter steckt die Idee, chinesische Waren – es
gibt eine Überproduktion in China – schnel-
ler nach Westen zu bringen.
Daneben gibt es aber auch eine politi-
sche Zielsetzung des Projekts. China will
die von der US-amerikanischen Dominanz
geprägte aktuelle Weltordnung mit ihrem
westlichen Institutionensystem verändern.
Es will eine multipolare Weltordnung eta-
blieren. So ist die neue Seidenstraße auch
die chinesische Antwort auf die Ende 2011
von Barack Obama ausgerufene Pivot to
Asia-Politik, die ja eben gerade eine Ein-
dämmung und Einhegung dieses chinesi-
schen Strebens anpeilt.
Die Seidenstraßenoffensive offenbart ein
wachsendes Selbstbewusstsein Chinas als
asiatische Ordnungsmacht, die es nicht
mehr zulassen will, an anderswo definier-
ten Kriterien gemessen und beurteilt zu
werden. Das betrifft auch einen weiteren
Bereich: China spricht neuerdings von
sich selbst als der größten Demokratie
der Welt. Tatsächlich gibt es Belege da-
für, dass sich die chinesische Führung zu
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, zu
SICHERHEIT & P O LITI K 
(Grafik: mawibo media)
ten – Russland, Weißrussland, Kasachstan,
Kirgisistan und Armenien – mit insgesamt
170 Millionen Einwohnern gehören dieser
Eurasischen Wirtschaftsunion an. Nun wird
versucht, Freihandelsabkommen zwischen
dieser Eurasischen Wirtschaftsunion und
anderen Staaten zu erreichen. Mit Vietnam
ist ein solches bereits seit 2016 in Kraft.
Es laufen Gespräche mit Indien, Pakistan,
Korea, Singapur, Iran, Israel und Serbien.
Hinzu kommt, dass Russland wegen der
Sanktionen im Zusammenhang mit dem
Ukrainekonflikt nach Ersatzpartnern
sucht. Moskau braucht vor allem Substi-
tutionen für Importlücken, die dadurch
entstanden sind. Da richtet es den Blick
vor allem nach China.
Die großen Hoffnungen, die Russland auf
eine Hinwendung nach Osten gesetzt hat-
te, sind inzwischen einer Ernüchterung
gewichen. China ist immer ein knallharter
Verhandlungspartner. Das gilt auch für das
berühmte Pipelineprojekt Sila Sibiri, bei
Menschenrechten und bürgerlichen Frei- dem heute schon feststeht, dass Moskau
heiten bekennt. Aber hinter diesen über- keinen Gewinn bei diesem Großprojekt
nommenen Idiomen steht eine andere machen wird, weil es nicht erfolgreich ge-
politische und gesellschaftliche Realität. nug verhandelt hat. Aber das war als eine
China reklamiert ganz offen das Recht,
selbst entscheiden zu können, was im
eigenen Land Demokratie und Rechts-
staatlichkeit bedeutet. Die Unterschiede
zu westlichen Vorstellungen werden gar
nicht geleugnet. Die eigene Sichtweise
wird als Resultat einer eigenen kulturellen
Entwicklung offensiv bekräftigt. Damit
schert die neue Ordnungsmacht China
aus der globalen Gemeinschaft aus, so-
bald diese sich zu universellen Werten und
unveräußerlichen Prinzipien im Sinne einer
Weltzivilisation bekennt. Aber das heißt
auch, dass Mahnungen gegenüber chine-
sischen Entwicklungen und das Einfordern
dieser universellen Werte ins Leere laufen.
Moskau – der neue Blick
nach Asien
Parallel dazu und als Antwort darauf hat
Russland die Strategie Greater Eurasia ent-
wickelt. Die nach Auflösung der Sowjetuni-
on gestarteten Versuche einer Reorganisa-
tion des postsowjetischen Raums waren
gescheitert. Nun wird ein neuer Anlauf
unternommen. Ein wichtiges Zwischensta-
dium bei diesen Bemühungen war im Jahre
2010 die Zollunion von Russland, Weißruss-
land und Kasachstan. Damals hoffte Mos-
kau, die Ukraine für diese Zollunion gewin-
nen zu können. Die erfolgte Absage aus
Kiew ist ein weiterer Hintergrund für den
Ukrainekonflikt.
Ein entscheidender Schritt für Wladimir
Putin war die am 1. Januar 2015 gebildete
Eurasische Wirtschaftsunion. Fünf Staa-
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 11
  SICHERHEIT & P O LITI K

Botschaft an den Westen gemeint: Wir sind
von euch nicht abhängig, wir haben Alter-
nativen in Asien.
Wie das in Russland weitergeht, ist völlig
offen. Es gibt diesen Poworot na Wostok,
diese Hinwendung nach Osten, es gibt die-
sen Aufstieg von China, auch als Handels-
partner, aber es gibt auch diejenigen, die
sagen, dass es ohne eine Kooperation mit
dem Westen nie zu einer Modernisierung
der russischen Wirtschaft und Gesellschaft
kommen wird. Das ist in der russischen
Geschichte ein vertrautes Bild. Das Ringen
zwischen Westlern und Slawophilen, wie
das im 19. Jahrhundert genannt wurde,
gibt es heute noch.
Wie soll die russische politische Antwort
auf diese dynamische chinesische Strate-
gie aussehen? Die Antwort von Wladimir
Putin lautet: „Bolschoje Ewrasiskoje Sot-
(Foto: Kreml)
mit den ASEAN-Staaten. Putin hat sogar
vorgeschlagen, die BRICS-Staaten, also die
ehemaligen Schwellenländer Brasilien, Indi-
en, China und Südafrika mit in diese große
eurasische Partnerschaft einzubeziehen.
Dahinter steckt die Idee einer gigantischen
Freihandelszone auf dem eurasischen
Kontinent. Das ist auch eine großräumi-
ge Umarmungspolitik, um den Schwung
aus dieser chinesischen Initiative der Sei-
denstraßenpolitik abzufedern. Da tun
sich dann Rivalitäten zu China auf: Auch
Russland sieht sich als Ordnungsmacht mit
einem Wertesystem, gewachsen aus der
eigenen Nationalkultur. Dabei werden in
Russland immer wieder die sogenannten
traditionellen russischen Werte zitiert: Va-
terland, Familie, Religion, manchmal gehört
auch Homophobie dazu. Daraus ergibt sich
die enge Verbindung der russischen Politik Die Vereinigten Staaten von Amerika
Das gilt besonders für die Europäische Frie-
densordnung, die vor allen Dingen auf die-
sen beiden Fundamenten der Schlussakte
von Helsinki von 1975 und der Charta von
Paris für ein neues Europa von 1990 beruht.
Russische Diplomaten sind da ganz offen:
„Ja, es kann sein, dass wir diese Regeln
verletzt haben, aber die sind für uns nicht
mehr richtungsweisend. Diese sind zum Teil
überlebt und nicht mehr zeitgemäß.“
Russland schafft sich also als selbstbewuss-
te Ordnungsmacht seine eigenen Regeln
und sucht damit auch, wie die Chinesen,
nach Immunität gegen jegliche Kritik an
den eigenen Verhaltensweisen.
Wie also sieht heute die
Weltordnung aus?
sind in einer unsicheren Situati-

on. Sie haben sich teilweise als

Führungs- und Ordnungsmacht
zurückgezogen – siehe Afgha-
nistan und Irak. Es gab praktisch
keine echte US-amerikanische
Rolle bei den Versuchen, den
Syrienkonflikt zu lösen. Auch
ein Jahr nach Amtsantritt der
Trump-Administration wissen
wir noch nicht genau, in welche
Richtung eigentlich deren Politik
geht. Präsident Trump hat ge-
sagt, er will nicht mehr die Rolle
des Weltpolizisten spielen, aber
als in Syrien C-Waffen eingesetzt
wurden, hat er Kampfflugzeuge
geschickt. Er hat auch Flotten-
verbände im Zusammenhang
mit der Raketenkrise in Richtung
Nordkorea geschickt. Die USA
haben jedoch ein Vakuum ent-
stehen lassen, das andere nut-
zen.
Chinas ökonomischer und politi-
scher Aufstieg ist unübersehbar.
Meeting des Supreme Eurasian Economic Council mit den Präsidenten Armeniens, Auch ist der Anspruch unüber-
Serzh Sargsyan, Kasachstans, Nursultan Nazarbajew, dem russischen Präsidenten sehbar, selber Ordnungsmacht
Wladimir Putin sowie dem damaligen Präsidenten Kirgisistans Almasbek zu sein und damit Weltmacht
Atambajew. Ganz rechts der Chairman des Eurasian Economic Commission auf Augenhöhe mit den USA.
Board Tigran Sargsyan in Petersburg im Dezember 2016 Das Ziel ist ausdrücklich die mul-
tipolare Weltordnung gegen
rudnitschestwo: Die große eurasische Part- mit den europäischen Rechtspopulisten. einen unipolaren Führungsanspruch der
nerschaft“. Dieser Begriff geistert durch Das hat den gewünschten Nebeneffekt, zu Vereinigten Staaten.
die russische Politik. Die Idee ist dabei, versuchen, die Einigkeit innerhalb der EU in Russland ist konfrontiert mit dem Druck
den gesamten euro-asiatischen Raum zu Sachen Sanktionen auf irgendeine Weise des Westens im Ukrainekonflikt und her-
vernetzen und alle bestehenden Kollektiv- aufzubrechen. ausgefordert durch diese riesige Initiative
organisationen in eine Zusammenarbeit In einem Punkt ziehen Moskau und Peking der Chinesen mit dem Seidenstraßen-
untereinander zu bringen – die Eurasische an einem Strang: Greater Eurasia markiert projekt. Es muss auch Sorge vor einem
Wirtschaftsunion von Russland zusammen den Eintritt in eine multipolare Weltord- stärkeren chinesischen Einfluss in Russland
mit der chinesischen Seidenstraßeninitiative nung und soll den US-amerikanischen Füh- haben, weil die östlichen Teile Russlands
RBI und der SCO (Shanghaier Organisation rungsanspruch beerdigen. Das ist auch der unter Entvölkerung leiden. Dort sind die
für Zusammenarbeit), der größten Sicher- Abschied aus dem universell gültigen und Bilder chinesischer Kultur schon sehr oft
heitsorganisation in Asien, und zusammen vertraglich abgesicherten Regelsystemen. auf den Straßen anzutreffen. Aber Russ-

12 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018

 SICHERHEIT & P O LITI K 

land teilt das Ziel der multipolaren Welt-
ordnung. Bei russischen Diplomaten ist
manchmal geradezu triumphierend von
der „Post-West-Ordnung“ zu hören. Man
glaubt also, dass das Ende des westlichen
Liberalismus schon eingetreten ist und
dass eine neue Phase begonnen hat.
Greater Eurasia ist die logische Fortsetzung
der Hinwendung nach Osten. Es ist über-
wiegend eine Angelegenheit von Russland
und China, aber es gibt hier auch Bezüge zur
EU. Aus Russland hört man immer die Bot-
schaft und das Angebot: „Ihr könnt doch
als EU diese Eurasische Wirtschaftsunion
nutzen als eine Brücke zu den asiatischen
Märkten.“ Die deutsche Wirtschaft sieht
darin durchaus ein ernsthaftes Angebot. Da
wird zum Teil sehr heftig geworben dafür,
dass sich die EU tatsächlich für die Eurasische
Wirtschaftsunion öffnen sollte. Wahrschein-
lich ist dieser Prozess der Veränderung der
Weltordnung nicht aufzuhalten.
Aber wir haben oder bekommen ein Pro-
blem mit Russlands Abkehr von der Euro-
päischen Friedensordnung. Das liegt vor
allem an dem Anspruch Russlands, Ord-
nungsmacht zu sein und sich seine eige-
nen Regeln zurechtzulegen. Man stelle
sich nur vor, andere Staaten auf der Welt
könnten ähnliche Ansprüche stellen. Es
kann die Gefahr entstehen, dass man sich
auch anderswo aus universell geltenden
Regeln und Prinzipien verabschiedet. Am
Ende kann dies die Rückkehr zu einer ar-
chaischen Weltordnung bedeuten, in der
nur noch das Recht des Stärkeren gilt. Das
kann niemand wollen – auch nicht Peking
und Moskau.
Welche Rolle spielt
die EU eigentlich?
Diese Entwicklung in der Weltordnung
kommt zu einer Zeit, da die Europäische
Union sehr stark mit eigenen Problemen
beschäftigt ist, die sehr viel Kraft kosten.
Bisher ist es immer noch nicht endgültig
gelungen, aus der Finanzkrise von 2008
herauszukommen. Es hat eine Auseinan-
derspreizung von Arm und Reich in Europa
gegeben, obwohl der Anspruch war, ge-
meinsame Korridore von vergleichbaren
Lebensstandards zu schaffen. Der aufge-
kommene Rechtspopulismus ist zum Teil
schon richtig EU-feindlich eingestellt und
gewinnt Zuspruch. Der BREXIT ist eine gro-
ße Herausforderung. Die Türkei macht uns
große Sorgen. Die Folgen des Katalonien-
konflikts sind noch nicht übersehbar.
Die Europäische Union muss sich wieder
stärker auf die drei großen Versprechen
konzentrieren:
• Frieden – das heißt, jeder Konflikt wird
nur politisch gelöst und nicht militärisch.
• Prosperität – das heißt, alle profitieren
von der wirtschaftlichen Zusammenar-
beit und von den gemeinsamen Märk-
ten.
• Solidarität – das heißt, man schafft
annähernd vergleichbare Lebensstan-
dards und hilft auch einem anderen in
der Krise.
Wenn man sich die Behandlung des Flücht-
lingsproblems anschaut, ist die EU davon
weit entfernt. Wie wird die EU die Erwei-
terungspolitik handhaben? Da stehen in
Südosteuropa die Staaten des Westbalkans
vor der Türe, wo wir feststellen, dass dort
im Augenblick ein weltpolitisches Ringen
um Einfluss stattfindet. Man beobachtet
dort Aktivitäten der Türkei und auch von
Russland mit seinen alten Beziehungen zu
Serbien und anderen Partnern.
Die EU steht vor der Entscheidung, wie
die Beziehungen mit den Staaten, die ein
EU-Assoziierungsabkommen haben – z.B.
Georgien, Ukraine und Moldawien – ge-
staltet werden sollen. Die EU muss eine
langfristige Perspektive entwickeln und
nicht nur einen kurzatmigen Aktionismus.
Weder Russland noch die EU alleine haben
die Kraft, um dieser großen chinesischen
Offensive tatsächlich etwas entgegen-
zusetzen. Deshalb müssen wir nach po-
litischen Konfliktlösungen zwischen Ost
und West, zwischen der EU und Russland,
suchen. Die Partnerschaft können wir nur
erneuern, wenn wir altes Vertrauen wie-
derherstellen. Sonst werden beide, die EU
wie Russland, die Reorganisation der Welt-
ordnung eher als Objekte, denn als Subjek-
te erleben. L

Strategische Partnerschaft mit Norwegen

Am 7. Dezember 2017 haben der Inspekteur der Deutschen Ma- zusätzlichen U-Booten, die Bestandteil der Kooperation sind,
rine, Vizeadmiral Andreas Krause, und sein Amtskollege aus Nor- wird die Deutsche Marine, wie konzeptionell vorgesehen, künf-
tig über acht U-Boote
(Foto: PIZ/M)

verfügen. Damit wird

die Einsatzfähigkeit
der Marine beacht-
lich verstärkt. Zudem
soll gemeinsam mit
Norwegen unter
Nutzung verfügba-
rer Technologien
eine neue Generati-
on von Flugkörpern
entwickelt werden.
Langfristig soll damit
die Fähigkeit zur Wir-
kung gegen See- und
Landziele auf große
Entfernungen sicher-
gestellt werden. Das
Foto zeigt Verteidi-
gungsministerin Ur-
wegen, Rear Admiral Nils Andreas Stensönes, die Kooperations- sula von der Leyen und ihre norwegische Amtskollegin Ine Marie
vereinbarung für eine bislang beispiellose maritime Zusammen- Eriksen Soereide bei der Besichtigung von U35 der Klasse 212A in
arbeit unterzeichnet. Die langfristige strategische Partnerschaft Eckernförde. Norwegen will vier und Deutschland zwei U-Boote
ist ein Beitrag zum Aufwuchs der Deutschen Marine. Mit zwei der Klasse 212A (Variante) gemeinsam beschaffen.  (ds)

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 13

  SICHERHEIT & P O LITI K

Nordkorea als Nuklearwaffenmacht

Pjöngjangs Nuklearoptionen und internationale
Gegenstrategien
Dr. Frank Umbach

Mit dem jüngsten Test einer mobilen Interkontinentalrakete (ICBM) diese Rüstung primär offensiven Absichten
des Regimes in Pjöngjang diene.
vom Typ Hwasong-15 am 29. November 2017 schockierte Nordkorea Es wird mit jedem Test schwieriger, den
einmal mehr die USA, seine unmittelbaren Nachbarstaaten, aber auch Konflikt beizulegen. Zunächst sind alle
Hoffnungen auf eine Verhandlungslösung
die internationale Gemeinschaft – einschließlich der EU. erst einmal begraben worden.
Das hat weitere Folgen: Der Friedenskurs

D
ie neue mobile ICBM kann mit ih-
rer Reichweite von möglicherweise
mehr als 10.000 km „im Prinzip je-
den Punkt der Erde erreichen“, wie US-Ver-
teidigungsminister James Mattis unmittel-
bar nach dem Test feststellte, damit auch
(Fotos: KCTV)
ICBM auch einen nuklearen Großspreng-
kopf ins Ziel bringen könne.
Nordkorea hatte erstmals 2006 eine Atom-
waffe getestet. Seitdem treibt das Land die
Forschung und Entwicklung sowohl von
ballistischen Langstreckenraketen als auch
des seit Mai agierenden neuen südkorea-
nischen Präsidenten Moon Jae-in ist vor-
erst innen- wie außenpolitisch gescheitert.
Zugleich gerät auch US-Präsident Donald
Trump unter politischen Druck, hatte er
doch wiederholt angekündigt, dass „alle
Optionen“, einschließlich militärischer, auf
dem Tisch seien und dass Washington kei-

ne andere Wahl habe, als Nordkorea bei

einer militärischen Konfrontation vollstän-
dig zu zerstören. Trump gerät nun in eine
Glaubwürdigkeitsfalle, wenn er sich weiter-
hin nur auf erfolglose Verhandlungen oder
Sanktionen für eine Denuklearisierung
Nordkoreas beschränkt. Gibt es nun eine
bessere Chance, dass mit der bekundeten
Vollendung des nordkoreanischen Nukle-
arwaffenprogramms endlich die Augenhö-
he erreicht ist, die es Pjöngjang ermöglicht,
aus einer Position der Stärke diplomatische
Verhandlungen mit den USA und Südkorea
aufzunehmen?

Unbeantwortete Fragen
Für westliche Raketenexperten ist die Frage
Neben sowjetischen Kurzstreckenraketen verfügt Nordkorea auch über weiterhin offen, ob die jüngsten Raketen-
Mittelstreckenraketen und nach eigenen Angaben auch über Interkon- fortschritte auf nordkoreanische Eigenent-
tinentalraketen vom Typ Hwasong-15 mit einer Reichweite von über wicklungen zurückzuführen oder eher das
13.000 km. Resultat des illegalen Erwerbs mehrerer
Dutzend kompletter Triebwerke aus Russ-
das Hauptterritorium der USA. Auch die Nuklearsprengköpfen voran. Während land, der Ukraine oder China über kriminel-
US-Geheimdienste und internationale Ex- US-Präsident Donald Trump neue Sanktio- le Netzwerke in den 1990er Jahren sind. Al-
perten haben die Fähigkeiten Nordkoreas nen gegen Nordkorea ankündigte, ist er zu- lerdings spricht die Weiterentwicklung des
in der Raketen- und Nuklearwaffenent- gleich von Chinas Unterstützung abhängig, früheren sowjetischen RD-250-Triebwerkes
wicklung wiederholt unterschätzt. da kein anderes Land über vergleichbare dafür, dass Nordkorea zur Eigenentwick-
Diese bislang letzte Testrakete wurde von Mittel zur Beeinflussung der nordkoreani- lung von Langstreckenraketen inzwischen
einem neuen Transportfahrzeug mit einge- schen Atompolitik verfügt. Es gelingt den sehr wohl fähig ist. Zunächst erfolgte sie
schränkter Geländegängigkeit abgefeuert, USA aber nicht, eine ge- und entschlossene offenbar mit iranischer und russischer Hil-
das nicht länger auf Straßen angewiesen Reaktion der internationalen Gemeinschaft fe. Nach dem Ende der Blockkonfrontati-
ist. Sie erreichte mit einer Gipfelhöhe von zu entwickeln. on wurden in der damaligen Sowjetunion
4.450 km einen neuen Rekord und schlug Ein Teil der internationalen Experten sieht rund 60.000 sowjetische Forscher aus dem
960 km entfernt im Japanischen Meer auf. in der nordkoreanischen Raketen- und Bereich der Raketen- und Nuklearwaffen-
Die nordkoreanische Regierung erklärte, Nuklearwaffenrüstung primär ein Abschre- entwicklung arbeitslos. Viele von ihnen
dass das Land nun den Status als Atom- ckungsmittel gegenüber den USA. Andere sind Anwerbungsversuchen des Iran, Pa-
macht erreicht habe und die Hwasong-15 sehen sich in ihrer Ansicht bestätigt, dass kistans und auch Nordkoreas gefolgt. Das

14 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018


2006 2009 2011 2012
Nukleartests 1 1 - -
Raketentests 7 8 . 2
(Quelle: CNS/Financial Times 2017)
Anzahl der Nuklearwaffen- und ballistischen Raketentests Pjöngjangs
hat Nordkorea geholfen, das Land zu ei-
ner Nuklearwaffenmacht aufzubauen. Die
ganze Wirtschaftskraft Nordkoreas war seit
den 1990er Jahren auf die Rüstungsindus-
trie ausgerichtet, in der wiederum die Nuk-
learwaffen- sowie Langstreckenraketen-
entwicklung stets Priorität hatte.
Nordkoreas Nuklearambitio-
nen und seine militärstrategi-
sche Ratio
Der nordkoreanischen Diktator Kim Jong-
un agiert keineswegs so irrational und un-
berechenbar wie oft im Westen unterstellt.
Jede erfolgversprechende Gegenstrategie
für eine Denuklearisierung Nordkoreas
muss auf eine Rationalität der Gegensei-
te setzen, bei der die Denkstrukturen und
historischen Erfahrungen auch anderer
Länder berücksichtigt werden müssen. So
glaubt Nordkorea nicht, dass es sich am En-
de des Tages auf einen chinesischen oder
einen russischen Nuklearschirm verlassen
kann. Zudem lehrt aus der Sicht Nordko-
reas die Geschichte, dass nahezu alle Staa-
ten, die mit den USA einen Konflikt mit
konventionellen Waffen ausgetragenen
haben, hoffnungslos unterlegen waren.
Zuletzt haben das die Golf-Kriege gezeigt.
Insofern sind Nuklearwaffen eine asymme-
trische Antwort auf überlegene konventio-
nelle militärische Fähigkeiten insbesondere
der USA. Raketen mit großen Reichweiten
gibt diesen Staaten ein Gefühl der Sicher-
heit und der Nichtangreifbarkeit. Freilich
ist diese Botschaft für die internationale
Proliferationspolitik äußerst problematisch.
Auch das Beispiel des libyschen Diktators
Muammar al-Gaddafi, der 2003 auf sein
Nuklearwaffenprogramm verzichtete, um
im Gegenzug von gelockerten Sanktio-
nen wirtschaftlich zu profitieren, muss für
Pjöngjang eine Lehre sein. Am Ende nützte
dieser Nukleardeal dem libyschen Diktator
wenig, da er von US-unterstützten Rebel-
len gestürzt wurde.
Die Strategie des Regimes in Nordkorea ba-
siert auf zwei Pfeilern der „Byungjin“-Dok-
trin: zum einen der militärischen Selbstver-
teidigung, zum anderen wirtschaftliche
Entwicklung. Nur beim ersten Pfeiler hat
Nordkorea in den letzten zehn Jahren sub-
stantielle Fortschritte gemacht. Nun hofft
Pjöngjang, dass die Sanktionen aufgeho-
ben werden. Doch ohne militärische Stärke
2013 2014 2015 2016 2017
1 - - 2 1 jedem Raketen- und Nukleartest werden
6 19 15 24 20
sind wirtschaftliche Erfolge aus der Sicht
Nordkoreas nicht zu erreichen. Damit stellt
sich die Frage der politischen Systemsta-
bilität. Selbst wenn es zu Verhandlungen
zwischen Pjöngjang und den USA kom-
men sollte, werden die nordkoreanische
Führung und ihr Diktator kaum auf ihre
Nuklearwaffen verzichten, solange ihnen
eine entsprechende systemstabilisierende
Rolle zugeschrieben wird.
Kim Jong-un bei der Militärparade im April 2017
Zudem wird mittels der Raketenoption die
Glaubwürdigkeit des US-Nuklearschirms
für die Alliierten der Amerikaner – z.B.
Japan und Südkorea – in Frage gestellt,
wenn Nordkorea die Metropolen in den
USA glaubhaft angreifen kann. Dann kön-
nen sich die Partner der USA in der Regi-
on nicht sicher sein, dass ein US-Präsident
die eigenen Großstädte wie San Francisco,
New York und Washington für Tokio und
Seoul in einem Nuklearkrieg riskieren wür-
de. Insofern schafft die Nuklearwaffenop-
tion Pjöngjang die Möglichkeit, Südkorea
und Japan faktisch in eine nukleare Geisel-
haft zu nehmen und deren Sicherheit zu
erodieren. Daher überrascht es auch nicht,
dass in Japan seit Mitte der 1990er Jahre
die Glaubwürdigkeit des amerikanischen
Nuklearschirms Gegenstand kontroverser
sicherheitspolitischer Diskussionen ist und
dabei auch über die Notwendigkeit einer
japanischen Nuklearwaffenoption debat-
tiert wird. Noch aber setzt Japan auf den
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik
SICHERHEIT & P O LITI K 
US-Nuklearschirm, da ansonsten das regio-
nale Gleichgewicht gefährdet ist. Doch mit
die Diskussionen weiter an Brisanz zuneh-
men.
Chinas strategische Interes-
sen und die Widersprüche
seiner Nordkorea-Politik
Nun hat die US-Administration einmal
mehr den politischen Druck auf China er-
höht, weil nur Peking über ausreichende
wirtschaftliche Druckmittel verfüge, Ein-
fluss auf die nordkoreanische Führung zu
nehmen. Tatsächlich hat Nordkorea nach
Erkenntnissen internationaler Ermittler und
Geheimdienstler über China wiederholt
technische Ausrüstungen für die Raketen-
entwicklung erhalten. Peking muss sich
den Vorwurf gefallen lassen, wider besse-
ren Wissens illegale Aktivitäten Nordkoreas
unter Beteiligung chinesischer Firmen nicht
verhindert zu haben.
Früher hat Peking stets einen solchen Ein-
fluss in Abrede gestellt. Nun aber gerät die
chinesische Führung mit diesem Kurs selbst
unter zunehmenden politischen Druck. Die
nordkoreanischen Provokationen und die
darauf zurückzuführende diplomatische
Eskalation liegen nicht im chinesischen
Interesse. Chinas Machtanspruch als re-
gionale und künftig auch globale Super-
macht zwingt Peking dazu, den Konflikt
nicht mehr nur zu moderieren. Peking will
weder die nordkoreanischen Provokati-
onen gut heißen noch die Verschärfung
der US-Sanktionen unterstützen. So ist
auffällig, dass sich der im September vom
chinesischen Volkskongress bestätigte Prä-
sident Xi Jingping – im Gegensatz zu seinen
15
 SICHERHEIT & P O LITI K
Vorgängern – noch immer nicht mit dem
nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un
persönlich getroffen hat, obwohl China seit
dem Koreakrieg in den 1950er Jahren die
militärische Schutzmacht Nordkoreas ist.
China hat kein Interesse an weiteren regio-
nalen Destabilisierungen, die sogar zu einer
japanischen Nuklearwaffenoption führen
können. Daraus entsteht ein Widerspruch
in der chinesischen Sicherheitspolitik:
Einerseits tut Peking alles, um die ameri-
kanischen Sicherheitsallianzen mit Japan,
Südkorea, Taiwan und den Philippinen zu
schwächen sowie die Glaubwürdigkeit des
nuklearen Schutzschirms der USA in Ost-
asien in Frage zu stellen. So lehnt China
die Stationierung von Raketenabwehrsys-
temen in Südkorea und Japan ab, da dies
die eigene Nuklearoption in ihrer Wirkung
einschränken kann. Das US-Raketenab-
wehrsystem Terminal High Altitude Area
Defense (THAAD) soll nun aber im Dezem-
ber 2017 gegen Mittel- und Langstrecken-
raketen einsetzbar sein. Peking sieht in der
Dislozierung in Südkorea seine eigenen
Möglichkeiten bedroht. China hat sofort
den diplomatisch-wirtschaftlichen Druck
auf Südkorea erhöht – Seoul wurde offen
mit Handelseinbußen von Peking bedroht.
Andererseits läuft Peking Gefahr, mit seiner
Politik der stetigen Erhöhung der eigenen
Militärfähigkeiten entsprechende Bedro-
hungsperzeptionen bei seinen Nachbarstaa-
ten zu schaffen und zugleich diesen Staaten
entsprechende Verteidigungsoptionen (wie
eine Raketenabwehr) zu verwehren. Dies
aber treibt diese Länder noch mehr in die
Arme der USA. Es führt neben den Diskussi-
onen um eine eigene Nuklearwaffenoption
wie in Japan oft auch zu einer signifikanten
Erhöhung der nationalen Verteidigungsaus-
gaben.
Seit Anfang 2017 hat China nun jedoch sei-
ne Kritik an Nordkoreas Raketen- und Nuk-
leartests intensiviert und die verschärften
Sanktionen der USA mitgetragen. So hat
Peking seine Energielieferungen reduziert
und dabei seine Kohleimporte um mehr
als 50 Prozent gegenüber 2016 verringert.
Im April drohte Peking neben der Redu-
zierung der Öllieferungen sogar mit einem
Ölembargo gegenüber Pjöngjang. 2015
importierte Nordkorea nach UN-Angaben
525.000 t Rohöl aus China sowie 218.000 t
raffiniertes Öl und Benzin – demgegenüber
wurde aus Russland nur ein Sechstel ein-
geführt.
Der Gesamthandel Nordkoreas mit der
Welt stieg trotz der Sanktionen 2016 auf
rund sechs Mrd. US-Dollar – davon ent-
fielen rund 5,5 Mrd. Dollar (also 95 Pro-
zent) auf den bilateralen Handel mit China.
Indien ist der zweitgrößte Handelspartner
Nordkoreas, gefolgt von Russland.
16 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
Der chinesische Kurswechsel erklärt sich
aus den drohenden US-Strafmaßnahmen
gegen chinesische Unternehmen, die wei-
terhin verdeckt mit Nordkorea Handel trei-
ben und damit UN-Sanktionen unterlaufen.
Trotz dieser Verschärfung der Sanktionen
läuft der Import von Mineralien wie Gold,
Kupfer, Zink oder Seltenen Erden offenbar
weiter, obwohl sie unter die Sanktionen fal-
len. So ist Chinas härtere Sanktionspolitik
vielleicht nicht so sehr das Resultat eines
generellen Kurswechsels als vielmehr das
einer klaren Interessensanalyse.
China fürchtet vor allem ein wiederver-
einigtes Korea, das wirtschaftlich stark,
nationalistisch in seiner Außen-, Sicher-
heits- und Wirtschaftspolitik ausgerichtet
ist und keineswegs die dann vom Norden
geerbten Nuklearwaffen wieder aufgeben
will. Zudem besteht die Gefahr, dass ein
wirtschaftlicher Kollaps Nordkoreas auch
zu einer großen Fluchtwelle über die Gren-
ze zu den chinesischen Provinzen führt.
Das könnte Peking zwingen, große Trup-
penteile in die Grenzregion zu entsenden.
Zu effektive Sanktionen gegen Nordkorea
könnten erst dessen Wirtschaft schwächen
und dann die Systemstabilität sowie Unab-
hängigkeit des Landes gefährden.
Rund 6.600 Artilleriegeschütze hat Nordkorea an der Grenze zu
Südkorea disloziert.
Zugleich hat auch Nordkorea ein Interes-
se, die große wirtschaftliche Abhängigkeit
von China zu verringern. Es will mehr De-
visen aus anderen Ländern erwirtschaften.
Hierfür wurde das „Büro 39“ geschaffen,
das wie seinerzeit der DDR-Devisenzar
Schalck-Golodkowski und sein Firmenim-
perium „Kommerzielle Koordinierung (Ko-
ko)“ Staatseinnahmen in Milliardenhöhe
generieren soll. So gibt es sowohl in Asi-
en als auch in Afrika zahleiche Front- und
Scheinfirmen, die in illegale Handelsprakti-
ken involviert sind und dabei auch nordko-
reanische Leiharbeiter vermitteln, die nur
die Lebenshaltungskosten im „Einsatzland“
ausbezahlt bekommen. Ihr Gehalt wird di-
rekt nach Pjöngjang überwiesen. In jünge-
rer Zeit erfolgt die Devisenerwirtschaftung
auch vermehrt über Cyber-Angriffe auf
westliche Firmen, Banken und anderen In-
stitutionen, die dann erpresst werden. So
wurden bei einem Cyber-Angriff auf die
Devisenreserven der Staatsbank Bangla-
deschs im Februar 2016 rund 81 Mio. Dol-
lar gestohlen, deren Programmcode bereits
beim Cyber-ngriff auf die Sony-Filmstudios
im Dezember 2014 entdeckt worden war.
Das war damals vermutlich ein Racheakt für
eine Komödie über einen übergewichtigen
jüngeren Diktator in Ostasien.
Optionen der internationalen
Gemeinschaft
Militäroptionen
Bei aller Überlegenheit der USA ist jede
Militäroption mit hohen Risiken verbun-
den. Weder sind den USA alle Lagerplätze
der nordkoreanischen Nuklearwaffen und
ballistischen Raketen bekannt, die zumeist
in unterirdischen Bunkern disloziert sind.
Zudem können die ballistischen Raketen
von beweglichen Abschussrampen abge-
feuert werden, die nur schwer auszuma-
chen sind. Nordkorea verfügt auch über
rund 800 Kurzstreckenraketen auf der
Basis sowjetischer Scud-Raketen und Mit-
telstreckenraketen des Typs Nodong, die
auch mit biologischen und chemischen

Gefechtsköpfen bestückt werden können.
Weiter sind in den Arsenalen Nordkoreas
weiterentwickelte KN-II-Raketen, die mit
Festbrennstoff auch von U-Booten abge-
feuert werden können. Die konventionelle
Rüstung Nordkoreas mag weitgehend ver-
altet sein. Aber Nordkorea besitzt weiter-
hin die viertgrößten Streitkräfte der Welt
mit mehr als einer Million Soldaten, die
politisch-ideologisch präzedenzlos indokt-
riniert sind. Zweifelhaft ist, ob die Nordko-
reaner in einem militärischen Konflikt lange
durchhaltefähig sind. Sie haben nur sehr
begrenzte logistische Vorräte. Allerdings
haben sie etwa 6.600 Artilleriegeschütz-
te und 5.500 Mehrfachraketenwerfer an
der hoch militarisierten Grenze im Süden
disloziert, in deren Reichweite die nur 50
km entfernte südkoreanische Hauptstadt
Seoul mit mehr als 20 Mio. Einwohnern
liegt. Ein jeglicher militärischer Konflikt,
einschließlich eines viel diskutierten Prä-
ventivschlages der USA, riskiert, dass inner-
halb weniger Stunden Seoul – mit hohen
Kollateralschäden – angegriffen werden
könnte. Aus diesem Grund haben die USA
und Südkorea alle Militäroptionen gegen
Nordkorea vorerst verworfen.
Stattdessen hatte Präsident Obama noch
Anfang 2014 verdeckte Cyber-Angriffe
auf das nordkoreanische Raketenpro-
gramm angeordnet. Doch der Erfolg war
von Beginn an zweifelhaft, nahmen doch
die Raketentests zeitgleich zu. Derartige
Cyber-Angriffe waren Teil einer Drei-Säu-
len-Strategie, die politische Isolation, Wirt-
schaftssanktionen und militärischen Druck
vorsahen. Die Trump-Administration hat
nun alle drei Säulen erheblich verschärft,
ohne dass bisher freilich auch nur Anzei-
chen eines nordkoreanischen Einlenkens
erkennbar sind.
Diplomatische Verhandlungs-
lösungen und Ihre Grenzen
Seit den 1990er Jahren haben US-ame-
rikanische Regierungen versucht, eine
Verhandlungslösung zur Beendigung der
nordkoreanischen Nuklearwaffenambiti-
onen zu finden. Bereits 1994 wurde das
„Agreed Framework“ vereinbart, das für
die Beendigung der auf Uran- und Pluto-
nium basierten Nuklearwaffenentwick-
lung Nordkoreas den Bau von zwei teuren
Nuklearreaktoren sowie weitere Energie-
und Wirtschaftshilfe für Pjöngjang vorsah.
2002 musste US-Präsident George W. Bush
lernen, dass Pjöngjang seit Jahren gelogen
hatte und sein Uran-Anreicherungspro-
gramm weiterentwickelt und forciert hat-
te. Daraufhin wurde das wirtschaftliche
Hilfsprogramm für Nordkorea gestoppt,
was dieses wiederum zum Anlass nahm,
aus dem Abkommen auszusteigen und
den Betrieb seines Plutoniumreaktors
wiederaufzunehmen. Ungeachtet dieser
Lehre vereinbarte US-Präsident Bush 2007
ein neues Kooperationsabkommen zur
Denuklearisierung mit Nordkorea, das es
Pjöngjang erlaubte, das US-Dollarsystem
wieder bei seinen Handelsaktivitäten zu
nutzen, mehr Wirtschaftshilfen zu erhal-
ten, Sanktionen abzubauen und von der
Liste der Staatssponsoren für Terrorismus
genommen zu werden. Doch innerhalb
eines Jahres zeigte sich, dass Nordkorea
kein Verifikationsprotokoll unterzeichnen
wollte, so dass die diplomatische Initiative
mit Nordkorea einmal mehr am Ende der
Bush-Ära kollabierte.
Der neue US-Präsident Barack Obama un-
ternahm einen neuen Annäherungsversuch,
der von Nordkorea mit dem erstmaligen Test
Südkorea
Denuklearisierung Nordkoreas
Ausmaß/Grad der Sanktionen
(Präventive) Militäroptionen
Beschränkung der gemein-
samen Militärübungen zwischen
Südkorea und den US
(Quelle: Asian Institute of Policy Studies 2017)
Positionen Südkoreas, der USA, Japans, Chinas und Russlands gegen-
über Nordkorea bei Schlüsselfragen der Optionen
einer Langstreckenrakete und der Entwick-
lung eines nuklearen Gefechtskopfes beant-
wortet wurde. 2012 unterbreitete Präsident
Obama ein erneutes Kooperationsangebot
zur Denuklearisierung und Einstellung des
Raketenprogramms („Leap Day“-Abkom-
men), das von der nordkoreanischen Füh-
rung innerhalb von sechs Wochen nach Un-
terzeichnung mit neuen Tests für Langstre-
ckenraketen beantwortet wurde.
Auch die „Sonnenschein-Politik“ des frühe-
ren südkoreanischen Präsidenten Kim-Dae-
jung (1998-2003) sowie die Sechs-Mächte
Verhandlungen (USA, China, Russland,
Nord- und Südkorea sowie Japan) hatten
keinen Erfolg und waren nach sechs Ver-
handlungsrunden 2009 eingestellt wor-
den, nachdem Nordkorea einen erneuten
Untergrundnukleartest durchgeführt und
die internationale Gemeinschaft mit neuen
Sanktionen reagiert hatte.
Somit hatte sich jegliche Strategie einer
Kombination von Angeboten und Sank-
tionen immer als illusorisch gegenüber
der machiavellistischen Politik Nordkoreas
erwiesen. Tatsächlich hatte Nordkorea da-
mit nur die Möglichkeit erreicht, Zeit und
wirtschaftliche Devisen zu gewinnen, mit
denen die Raketen- und Nuklearwaffen-
rüstung forciert werden konnte. Unter
SICHERHEIT & P O LITI K 
Kim Jong-un wurde die ballistische Rake-
ten- und Nuklearwaffenentwicklung sogar
noch intensiviert, die politisch-militärische
Führung gesäubert und mit neuen loyalen
Führern besetzt sowie in 2014 der Nuklear-
waffenstatus in der Verfassung Nordkoreas
offiziell verankert..
Strategische Perspektiven
Auch wenn die Region und Nordkorea
geographisch auf den ersten Blick weit von
Europa und Deutschland entfernt sind, so
haben die nordkoreanischen Raketen- und
Nuklearwaffentests und die sich daraus
ergebenden Fähigkeiten direkte und indi-
rekte Sicherheitsauswirkungen auf Europa
und Deutschland. Da sind einmal die „Leh-
ren“ der Nuklearwaffenoption Nordkoreas
USA/Japan China/Russland
ja ja ja
umfassende umfassende begrenzte
nein mögliche nein
nein nein ja
für andere autoritäre Staaten, die über eine
Nuklearwaffenoption nachdenken – sei es
aus Gründen des machtpolitischen Status´
oder konkreter Abschreckungsoptionen.
Durch die Vorgänge auf der koreanischen
Halbinsel ist die weltweite Nichtverbrei-
tungspolitik von Massenvernichtungswaf-
fen geschwächt.
Weiter könnte Nordkorea mit seinen Rake-
ten mit Nuklearsprengköpfen auch Europa
direkt militärisch bedrohen und politisch
erpressen. Bleibt Europa dann bei seiner
Sanktionspolitik? Die EU hat keine wirt-
schaftlichen Druckmittel. Es fehlen auch die
militärischen Fähigkeiten für einen Einsatz
dort. Die EU ist sicherheitspolitisch in Ost-
asien kaum engagiert, obwohl sie von ver-
wundbaren Seewegen abhängig ist. Hinzu
kommen die strategischen Interessen der
EU an einer globalen Nichtverbreitungspo-
litik. Weil eine gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik der EU – vor allem ge-
genüber Asien – weitgehend fehlt, ist der
politisch-diplomatische Einfluss der Euro-
päer auf Nordkorea äußerst schwach. Sie
kann sich zwar als diplomatischer Mediator
ins Spiel bringen, doch wird sie weder von
Nordkorea noch China oder den USA so-
wie den anderen Regionalstaaten ernsthaft
als eine neutrale Macht akzeptiert. L
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 17
 SICHERHEIT & P O LITI K

Globale Verteidigungsperspektiven 2017

Veränderungen von militärischem Gestaltungsanspruch
und finanzieller Priorisierung
Rainer Bernnat, Germar Schröder, Jan Wille und Frank Dirksen

Tempora mutantur, nos et mutamur in illis (Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen): Die letz-
ten Jahre haben eine stark veränderte Sicherheitslage hervorgebracht und Staaten reagieren auf die damit
einhergehenden neuen Herausforderungen. Viele dieser Herausforderungen haben ihren Ursprung in glo-
balen Megatrends, die PwC Strategy& in der Ausgabe Februar 2017 der Europäischen Sicherheit & Technik
vorgestellt hat.

D ie globale Verschiebung wirtschaft-

licher Macht von West nach Ost
zieht eine Neuverteilung von Vertei-
digungsansprüchen und -ausgaben nach
sich. Demografischer Wandel hat zu einer
Polarisierung und teilweise Radikalisierung
von Bevölkerungsschichten geführt, deren
radikalste Auswirkungen sich in den ver-
heerenden Anschlagserien 2016 und 2017
in Paris, Brüssel, Nizza, Berlin, Istanbul,
London, Stockholm, Barcelona und Man-
chester Bahn gebrochen haben – bei ge-
steigerter Verletzbarkeit der Bevölkerung
durch zunehmende Urbanisierung. Die
Digitalisierung ganzer Wirtschaftszweige
hat zum Einsatz von Cyber-Technologie
als Angriffswaffe geführt, zu beobachten
beispielsweise im verheerenden Angriff auf
das Stromnetz der Ukraine im Dezember
2015, das zu einem weitflächigen Blackout
führte. Und nicht zuletzt verschärfen der
Kampf um Ressourcen und regionale Do-
minanz das Aufflammen zahlreicher Kon-
flikte. Im Ergebnis wurden 2012 bis 2016 so
viele Rüstungsgüter erworben wie in keiner
Periode seit Ende des Kalten Krieges.
Ein Konglomerat all dieser Trends ist die
Entwicklung im Mittleren Osten: Seit dem
Au to r e n
Die Autoren sind Geschäftsführer
und leitende Mitarbeiter der Unter-
nehmensberatung Strategy&, der
Strategieberatung im Netzwerk von
PwC. Prof. Dr. Rainer Bernnat leitet
die Praxisgruppe Öffentlicher Sektor.
Dr. Germar Schröder ist auf Techno-
logie- und IT-Themen im öffentlichen
Sektor spezialisiert. Dr. Jan Wille
fokussiert auf Rüstung und Logistik,
und Dr. Frank Dirksen berät im Be-
reich Sicherheit und Verteidigung.
„Arabischen Frühling“ konnte die Sicher-
heitslage nicht wieder dauerhaft stabilisiert
werden. Bürgerkriege, der Kampf um die
regionale Vormachtstellung zwischen Sau-
di-Arabien und dem Iran, der multinatio-
nale Kampf gegen die Terrormiliz IS und
die Uneinigkeit innerhalb des Golf-Koope-
rationsrates auch aufgrund des gefallenen
Ölpreises und der damit verbundenen fi-
nanziellen Unsicherheiten verschärfen die
Situation in dieser Region weiter.
Nach einer ersten Studie legt PwC Stra-
tegy& nun zum zweiten Mal eine umfang-
reiche Untersuchung zu den Veränderun-
gen beim militärischen Gestaltungsan-
spruch und der finanziellen Priorisierung
der Verteidigungsausgaben vor, die in die-
sem Artikel kurz vorgestellt werden.
PwC Strategy&-Studien zur
Entwicklung globaler Vertei-
digungsperspektiven
Jedes Land muss seine eigene Balance
zwischen politisch und gesellschaftlich ak-
zeptiertem Sicherheitsniveau, den daraus
resultierenden Fähigkeiten für die innere
und äußere Sicherheit und den hierfür
erforderlichen finanziellen Mitteln finden.
Diese Balance manifestiert sich in einer na-
tionalen Sicherheitsstrategie, wie in einer
ersten Untersuchung von PwC Strategy&
in der Ausgabe Dezember 2015 der Euro-
päischen Sicherheit & Technik aufgezeigt
wurde.
Aufgrund der aktuellen Veränderungen
der Bedrohungslagen ändern sich die Si-
cherheitsstrategien der Länder. Eine Ana-
lyse von PwC Strategy& zu „Globalen
Verteidigungsperspektiven“ (www.pwc.
com) vergleicht die Veränderungen von
71 Nationen in der Verteidigungslandkarte
innerhalb der letzten zwei Jahre anhand ih-
res globalen militärischen Gestaltungs- und
Führungsanspruchs und den dafür jeweils
aufgewendeten Verteidigungsausgaben
in US-Dollar, gemessen am prozentualen
Anteil des BIP. Der militärische Gestaltungs-
anspruch wird dabei definiert als kombi-
nierte und vergleichende Einschätzung
hinsichtlich der folgenden Kriterien: Anteil
der Truppen im Auslandseinsatz vs. Um-
fang der gesamten Streitkräfte, Anzahl
und Umfang der Teilnahme an Einsätzen
in Bündnissen, Transfer von militärischem
Gerät (Verkauf, Überlassung, Verleih).
Das Ergebnis der Untersuchung ist in der
Matrix in Abbildung 1 dargestellt. Die
beiden Dimensionen „Militärischer Ge-
staltungsanspruch“ und „Finanzielle Pri-
orisierung“ bilden die Achsen der Matrix,
die Größe und Farbe der Kreise geben
Aufschluss über die aktuelle Höhe und das
Wachstum der Verteidigungsausgaben (in
US-Dollar).
In der oberen Hälfte der Matrix befinden
sich die Länder mit einem hohen, militä-
rischen Gestaltungsanspruch. Dabei sind
Russland, die Türkei und China Kernländer,
die diesen Anspruch im betrachteten Zeit-
raum massiv ausgedehnt haben, während
die USA (in Reaktion darauf) unter der Re-
gierung Trump ein Versprechen zur starken
Erhöhung ihres Verteidigungshaushaltes
abgegeben haben. Russland und die USA
geben mehr als drei Prozent ihres BIP für
den Verteidigungsetat aus und setzen ihre
militärischen Fähigkeiten im Rahmen einer
globalen Strategie ein. Russland manifes-
tiert seinen militärischen Gestaltungsan-
spruch weiter durch eine nahezu Verdopp-
lung eingesetzter Kräfte im betrachteten
Zeitraum, nicht zuletzt durch den (jetzt
als „erfolgreich beendet“ dargestellten)
Einsatz in Syrien, sowie die andauernden
Konfliktlinien in der Ukraine. Australien,
China, Frankreich, Großbritannien, Italien
und die Türkei haben Verteidigungsbud-

18 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018

 SICHERHEIT & P O LITI K 

(Grafiken: Autoren)
12
Koalitionspartner Koalitionäre mit Führungsanspruch Globale Supermächte
11
USA
10 Vereinigtes Frank-
Königreich reich
Global
Militärischer Gestaltungsanspruch

9
Russland
8 Deutschland
Italien
7 Kanada Niederlande
Türkei
China
Regional

6 Spanien Vereinigte
Schweden Australien Arabische
5 Finnland Katar Emirate
Norwegen Israel
Südkorea
4 Belgien Dänemark Saudi-Arabien
Lokal

3 Indonesia Portugal Polen Irak Kuwait

Mexiko Japan Chile Vietnam Indien Iran Oman
2 Taiwan Syrien
Argentinien
Venezuela Brasilien
1
Lokal orientierte Akteure Bedrohungsorientierte Selbstverteidiger Robuste Selbstverteidiger
0 Finanzielle Priorisierung (Anteil Verteidigungsetat am BIP)
0,0% 0,5% 1,0% 1,5% 2,0% 2,5% 3,0% 4% 6% 8% 10% 11% 17%

Fokusthemen Europa 2012–16 Wachstumsrate <0%

Mittlerer Osten Größe der Kreise = 0–1%
Verteidigungsausgaben
in 2016 >1%

Abbildung 1: Globale Verteidigungslandkarte 2017

gets zwischen 1,5 bis 3 Prozent des BIP spruch. Eine gewisse Ausnahme bildet ein angesichts der Unruhen in der Region
und nehmen ebenfalls Führungsaufgaben Saudi-Arabien, das seinen militärischen gestiegenes Sicherheitsbedürfnis. Indien,
innerhalb von Koalitionen rund um den Gestaltungsanspruch in regionalen Kon- Südkorea, Taiwan, Polen und Norwegen
Globus wahr. Deutschland, Kanada, den flikten insbesondere gegenüber dem Iran geben neben anderen Ländern zwischen
Niederlande und Spanien geben zwar in jüngster Zeit zunehmend klarer formu- 1,5 und 3 Prozent des BIP für die Verteidi-
weniger als 1,5 Prozent des BIP für Vertei- liert und entsprechend alimentiert. Die gung aus, sind aber deutlich begrenzter in
digung aus, zeichnen sich aber dennoch Vereinigten Arabischen Emirate, Israel, ihren Sicherheitsinteressen auf ihre direkte
durch ihren globalen Einsatz – z. B. bei Ein- Iran, Irak, Oman, Kuwait und Syrien haben regionale Nachbarschaft. Weitere Natio-
sätzen mit UN-Mandat – aus. vergleichsweise hohe (und im Falle Ku- nen wie beispielsweise Japan, Brasilien,
In der unteren Hälfte der Matrix befinden waits und Omans stark gestiegene) Aus- Venezuela, Indonesien, Mexiko, Schwe-
sich 59 Länder mit einem derzeit eher gaben von mindestens drei Prozent des den und Argentinien geben weniger als
niedrigeren militärischen Gestaltungsan- BIP und fokussieren sich vorwiegend auf 1,5 Prozent ihres BIP für Verteidigung aus

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Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 19

 SICHERHEIT & P O LITI K

10
Vereinigtes Frank-

Militärischer Gestaltungsanspruch
6 Vereinigte Königreich
Militärischer Gestaltungsanspruch

9 reich
Arabische Deutschland
Emirate
8
5 Israel
Italien
Saudi- 7
Arabien Niederlande
4 Türkei
6 Spanien
Schweden
3 Irak Kuwait 5 Finnland
Norwegen
Iran Oman 4 Dänemark
2 Belgien
Syrien
3 Portugal Polen

1 Finanzielle Priorisierung (Anteil Verteidigungsetat am BIP) Finanzielle Priorisierung (Anteil Verteidigungsetat am BIP)

2% 3% 4% 5% 6% 7% 8% 9% 10% 11% 17% 1,0% 1,5% 2,0% 2,5%

Abbildung 2: Wachstum im Mittleren Osten Abbildung 3: Moderate Veränderungen in Europa

(2014 bis 2016) (2014 bis 2016)

und konzentrieren sich im Rahmen ihrer der Verteidigungsausgaben am BIP größer US-Dollar) von 2012 zu 2016 verringert ha-
Sicherheitsstrategie auf ihren direkten Ein- drei Prozent. ben. Die Erhöhungen der Ausgaben 2017,
flussbereich. In Abbildung 2 sind die Veränderungen z.B. in Deutschland, sind in der Analyse
dieser Länder im Vergleich zu 2015 zu se- noch nicht enthalten. Gleichzeitig ist der
Veränderungen in der hen. Hierbei fällt auf, dass insbesondere Anspruch einer globalen Koalitionspartner-
Verteidigungslandkarte die Positionen der Vereinigten Arabischen rolle für die überwiegende Zahl dieser Län-
Emirate, Kuwait, Irak, Iran, Syrien und der klar verankert, während z.B. Schweden,
Neben der statischen Darstellung von 2017 Saudi-Arabien sich deutlich nach oben Litauen und Lettland ihre internationale Po-
sind die Veränderungen im Vergleich zu und/oder rechts verschoben haben. Dies sitionierung im Betrachtungszeitraum eher
der letzten Untersuchung 2015 aufschluss- ist der steigenden militärischen Präsenz depriorisiert haben.
reich: Die Auswirkungen globaler Megat- und der zunehmenden finanziellen Pri- Besonders interessant sind die kombinier-
rends sowie regionaler Konfliktlinien und orisierung geschuldet. Der „Kalte“ Krieg ten Verschiebungen innerhalb der beiden
die hieraus resultierenden strategischen zwischen Saudi-Arabien und Iran, im ak- Betrachtungsdimensionen. Hier zeigt
Anpassungen einzelner Länder werden tuellen (Stellvertreter-) Konflikt im Jemen sich, dass sich lediglich Frankreich nach
entlang der beiden Betrachtungsdimen- sichtbar, sowie die Destabilisierung der rechts oben in der Verteidigungslandkar-
sionen offensichtlich. Im Vergleich zu der Region im Zuge des Syrienkonfliktes und te bewegt hat. Alle anderen europäischen
Studie von 2015 sind acht der damals 61 des Erstarkens des IS haben diese Ent- Länder haben sich im Zeitraum 2014-
betrachteten Nationen (also 13 Prozent) wicklungen entscheidend getrieben. Ge- 2016 eher nach links bzw. nach unten
in ein anderes Cluster der Verteidigungs- nerell liegt bei vielen dieser Länder eine verschoben. Die finanzielle Priorisierung
landkarte gewandert. Insbesondere in der reiche finanzielle Ausstattung bei noch von Verteidigung ist also relativ gesunken
unteren Hälfte der Landkarte, in der sich im Aufbau befindlichen militärischen und der militärische Gestaltungsanspruch
aktuell 59 Nationen befinden, ist ein mas- Fähigkeiten vor – im Material hat dies gefallen.
siver Anstieg der finanziellen Priorisierung teilweise jedoch bereits heute zu Kom- Viele europäische Länder sehen jedoch
zu erkennen. Es ist zu erwarten, dass dieser plexitäten geführt, die noch zu managen angesichts einer unsicherer gewordenen
Trend über die nächsten Jahre anhält. sind. Die o.g. Länder werden ihre militä- „südlichen Flanke“ und einer veränderten
Nachstehend erfolgt eine nähere Betrach- rischen Fähigkeiten weiter ausbauen, um Sicherheitslage im Osten die nach dem
tung der Entwicklungen entlang der bei- sich innerhalb, aber ggf. auch außerhalb Ende des Kalten Krieges eingefahrene
den Dimensionen der Verteidigungsland- der eigenen Region stärker militärisch zu Friedensdividende als verbraucht an und
karte im Nahen und Mittleren Osten sowie engagieren. Beeinflusst wird dies jedoch beginnen in den Aufbau neuer Fähigkei-
in Europa. auch durch den Ölpreisverfall, sichtbar ten insbesondere im Bereich Landes- und
am Beispiel der Vereinigten Arabischen Bündnisverteidigung zu investieren. So ha-
Fokus: Naher und Emirate, deren finanzielle Priorisierung ben einige europäische Länder – wie auch
Mittlerer Osten zeigen mit dem stark gewachsenen militärischen Deutschland – ihre Verteidigungsausgaben
Gestaltungsanspruch zuletzt nicht mehr 2017 mit dem Blick auf die Ziele von Wales
sich hochdynamisch
Schritt halten konnte. erhöht und forcieren gemeinsame, länder-
Die Länder des Nahen und Mittleren Os- übergreifende Verteidigungsmaßnahmen
tens befinden sich mehrheitlich im rechten Fokus: Europa verändert wie beispielsweise die Aufstockung des
unteren Bereich der Verteidigungslandkar- sich moderat EU-Verteidigungsfonds.
te. Das bedeutet, dass sie im Sinne der zu- Die Diskussion einer Stärkung der gemein-
grunde liegenden Definition derzeit noch In Europa hingegen sieht die Veränderung samen europäischen Verteidigungsfähig-
einen relativ geringen militärischen Gestal- anders aus. Wie in Abbildung 3 darge- keit hat begonnen, nicht zuletzt auch aus-
tungsanspruch haben, jedoch eine hohe stellt, fällt zunächst auf, dass alle Länder gedrückt in gemeinsamen Rüstungs- und
finanzielle Priorisierung mit einem Anteil außer Polen ihre Verteidigungsbudgets (in Beschaffungsprojekten wie der Ankün-

20 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018


digung einer neuen gemeinsamen Figh-
ter-Plattform durch Macron und Merkel.
Diese jüngsten Entwicklungen werden
sich in der nächsten Ausgabe der Vertei-
digungslandkarte in Form von (moderaten)
Rechtsverschiebungen darstellen.
Europa steht vor entschei-
denden Weichenstellungen
Durch die vergleichsweise moderate Ent-
wicklung in Europa im Vergleich zu der
hochdynamischen Entwicklung in den an-
grenzenden Regionen besteht weiterhin
erhöhter Handlungsbedarf. Gleichzeitig ist
Europa aber schlecht beraten, seine „Auf-
holjagd“ in eine nationale Vollausstattung
des gesamten militärischen Fähigkeitsspek-
trums umzumünzen, die sogar mittelfristig
nur schwer erreichbar ist. Nachfolgende
Handlungsoptionen sind empfehlenswert:
Engere Kooperation mit europäischen
Partnern: Durch eine zielgerichtete Koordi-
nation länderübergreifender Verteidigungs-
investitionen einschließlich harmonisierter
Forschungs-, Innovations- und Beschaf-
fungsvorhaben können hohe Synergie- und
Beschleunigungswirkungen erzielt werden.
Priorisierung benötigter Fähigkeiten:
Die Weiterentwicklung von Schlüsselfä-
higkeiten sollte im Sinne einer Qualitäts-
offensive vorrangig adressiert werden.
Dies würde eine effiziente Entwicklung
von kaum vorhandenen, aber dringend
benötigten Fähigkeiten, wie beispielswei-
se Cyber-Abwehrfähigkeiten, weiter vor-
antreiben, sowie eine erhöhte Interope-
rabilität und eine gemeinsame Nutzung
ermöglichen.
Erhöhung der Verfügbarkeit: Der
schnelle und effiziente Weg zum Fähig-
keitsausbau militärischer Streitkräfte ist
die Erhöhung der Verfügbarkeit vorhan-
dener Waffensysteme und militärischer
Ausrüstung. Dazu sind die Konzepte für
Logistik und Instandhaltung zu überar-
beiten, wie in Deutschland u.a. über die
Agenda Nutzung bereits angestoßen,
jedoch im europäischen Kontext weiter zu
koordinieren. Die zunehmende Nutzung
digitaler Möglichkeiten (z.B. Lagebilder)
bildet hierbei eine erfolgskritische Voraus-
setzung für Transparenz und Steuerung
von Bereitschaft und Verfügbarkeit.
Auf den Punkt gebracht: Deutschland und
seine europäischen Partnerländer stehen
angesichts erhöhter regionaler Konflik-
te, internationaler Verpflichtungen und
gleichzeitig veränderter Bedrohungslage
vor entscheidenden Weichenstellungen
und sollte diesen Entwicklungen der glo-
balen Sicherheitslage mit länderübergrei-
fenden, fähigkeitsbezogenen Kooperatio-
nen begegnen. L der Verstärkung der bodengebundenen Luftverteidigung.
Die Zukunft der Bundeswehr: europäisch und digital
8. Wehrtechnischer Kongress der CSU
Mit dieser Überschrift waren für den 8. Wehrtechnischen Kongress der CSU am 24. November
2017 drei hochaktuelle Themenbereiche vorgegeben: die Zukunft der europäischen Verteidi-
gungsunion, die Digitalisierung der Streitkräfte und – in Umsetzung dieser Überlegungen – die
Zukunft der Luftwaffe. Die Einstimmung in die Thematik erfolgte einmal durch die Begrüßung
der 210 Teilnehmer durch den Vorsitzenden des Außen- und Sicherheitspolitischen Arbeitskrei-
ses (ASP) der CSU, Florian Hahn MdB, im Hause Rohde & Schwarz, ergänzt von Christian Lei-
cher, Geschäftsführender Gesellschafter und Vorsitzender der Geschäftsführung von R&S, und
andererseits durch Statements von Staatssekretär Johannes Hintersberger, MdL, Vorsitzender
des Arbeitskreises Wehrpolitik der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, und Bundesminister
Christian Schmidt, MdB.
(Fotos: Rohde & Schwarz/CSU)
Bild links: Begrüßung durch Florian Hahn MdB; Bild rechts: Podiums-
diskussion zum Thema Europäische Verteidigungsunion: v.l.: Frank
Haun, Dr. Reinhard Brandl, MdB, Moderator Rolf Clement, Dr. Chris-
tian Mölling, Generalleutnant Erhard Bühler
Diese Einführungen gaben den politisch bedeutsamen Rahmen: Den hohen Anteil der wehr-
technischen Industrie in Bayern, ihre Abhängigkeit vom Export, die Notwendigkeit von Aus-
tausch und Kommunikation. Generalleutnant Erhard Bühler, Abteilungsleiter Planung im BMVg,
hielt den Impulsvortrag zum europäischen Aspekt: Das nunmehr unterschriftsreife Konzept der
Bundeswehr geht entsprechend dem Weißbuch 2016 von einer Gleichrangigkeit der Aufgaben
aus, die durch Anpassungen des Personalkörpers und der Ausrüstung, dem Aufbau der IT-Kom-
petenzen sowie der Intensivierung der Multinationalität umgesetzt wird. Mit der Vereinbarung
von PESCO, der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (Permanent Structured Cooperation),
steht nunmehr unter dem Dach der EU eine zweistufige Werkzeugstruktur für einen Sicher-
heits- und Verteidigungsverbund zur Verfügung, der sich in Kürze mit den ersten fünf Projekten
darstellen wird. Dabei wird das geplante europäische Hauptquartier PESCO aus bestehenden
Elementen im Rahmen der NATO-Struktur zu bilden sein.
In der anschließenden Diskussionsrunde, moderiert von Rolf Clement, Chefredakteur „Europä-
ische Sicherheit und Technik“, wurden die kritischen Punkte von den Teilnehmern Dr. Reinhard
Brandl, MdB, Frank Haun, Vizepräsident BDSV, Dr. Christian Mölling, Stellvertretender Direktor
DGAP, angesprochen: Diese handelten von der Forderung nach einheitlichen EU-Rüstungskon-
trollregeln, hinterfragten die durch die Kürzungen der Vergangenheit verursachte teilweise Be-
schränkung der industriellen Lieferfähigkeit, umfassten eine Reform der Parlamentsbeteiligung
und beklagten schließlich das nicht nur in Deutschland mangelhaft ausgeprägte strategische
Bewusstsein.
Klaus Hardy Mühleck, Abteilungsleiter Cyber/Informationstechnik und Chief Information Officer
im BMVg, gab den Einblick in das langjährige, auch international anerkannte Vorgehen des
Verteidigungsressorts im Bereich Cyber und IT-Technologien. Die Herausforderungen ergeben
sich aus der komplexen Bedrohungslage, dem Forschen nach zukünftigen Schlüsseltechnolo-
gien und der Konzeption eines mehrdimensionalen digitalen „Bebauungsplans“, mit dem auch
ressortübergreifend Cyber-Fähigkeiten bereitgestellt werden können.
Der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner, betonte in seinen Gedanken zur
Zukunft der Luftwaffe die von Russland ausgehende Bedrohung als Ausgangslage, die einer-
seits die Frage der Glaubwürdigkeit der Verteidigungsfähigkeit aufwirft, andererseits erkennen
lässt, dass rein nationale Planungen nicht ausreichend sein können. Dies zeigt sich im Einsatz
von UAV, die nicht nur als Schlüssel zur Informationsüberlegenheit gesehen werden müssen,
sondern auch hinsichtlich bemannter Kampfflugzeuge, ihrer Eignung als Luftangriffsmittel und
zu Mehrrollenfähigkeit sowie im Wiederaufbau eines Nah- und Nächstbereichsschutzes und in
Die abschließende Diskussionsrunde mit Florian Hahn, MdB, Dirk Hoke, CEO AD&S und André
Hiebeler, CEO Grob Aircraft SE, hinterfragte und vertiefte die Darstellungen der Referenten, wo-
bei sowohl die allgemeinen tages- und innenpolitischen Entwicklungen als auch internationale
Tendenzen thematisiert wurden. (hgb)
 SICHERHEIT & P O LITI K

Von einsamen Wölfen und ferngesteuerten Attentätern

Die Terror-Bedrohung des Westens
durch den Islamischen Staat Marcel Serr

Am 31. Oktober 2017 lenkte der 29-jährige Sayfullo Saipov einen gemieteten Umzugslastwagen in New
York auf einen Fahrradweg, pflügte durch die Passanten und rammte einen Schulbus. Acht Menschen star-
ben, mehrere wurden schwer verletzt. Neben dem Kleintransporter fand die Polizei Zettel, auf denen „Der
Islamische Staat wird für immer fortbestehen“ geschrieben war. Auf Saipovs Mobiltelefon befand sich Pro-
pagandamaterial des sogenannten Islamischen Staates (IS). Vorbildlich folgte Saipov der Terror-Anleitung,
die die Terrororganisation im englischsprachigen Onlinemagazin Rumiyah im November 2016 veröffent-
licht hatte. Für die Sicherheitsbehörden kam er aus dem Nichts.

D erartige vom IS inspirierte, eigen-

ständig handelnde Attentäter verü-
ben in jüngster Zeit immer wieder
Anschläge in Europa und den
USA – teils mit verheerenden
und eine massive Bedrohung für
westliche Staaten dar.
Auch nachdem der IS in Syri-
en und im Irak in die Knie ge-
zwungen scheint, bleibt die
(Grafiken mawibo-media, Quelle: Ramiyah)

Opferzahlen. So auch Omar Terrorgruppe höchst gefährlich.

Mateen, der im Juni 2016 Sie verfügt weiterhin über Rück-
einen Nachtclub in Orlan- zugsgebiete u.a. in Libyen, der
do in Florida angriff und 49 Sinaihalbinsel und dem Jemen. In
Menschen tötete. Er stand zu der „schönen neuen Welt“ des
keinem Zeitpunkt mit einem ferngesteuerten IS-Terrorismus ge-
Vertreter der Gruppe in Kon- nügen letztlich ein Computer oder
takt und bekannte sich erst ein Smartphone sowie eine Internet-
während seines Anschlags verbindung, um in Europa und den
telefonisch zum IS. USA Anschläge zu dirigieren. Mit
Mateen und Saipov sind dem Verlust der IS-Kerngebiete im
Paradebeispiele eines „ein- Nahen Osten steht zu befürchten, dass
samen Wolfs“ (Lone Wolf) sich die Organisation zunehmend auf
– also eines Einzeltäters, der Terrorangriffe im Westen konzentriert.
ohne bzw. mit minimaler Grund genug, die aktuellen Entwicklun-
Unterstützung anderer Per- gen nachzuzeichnen.
sonen oder Gruppen Gewalt
anwendet, wobei er vorgibt, Das Internet als Radikalisie-
ein politisches, soziales, reli- rungs- und Lehrplattform
giöses oder ein anderes Ziel
erreichen zu wollen. Eine wesentliche Rolle bei der zunehmen-
Der IS ermutigt seine Unter- Der Terror-Anleitung, die der IS in den Bedrohung durch Lone Wolf-Terroris-
stützer in Europa und den USA offensiv seinem Onlinemagazin Rumiyah mus spielt das Internet. Viele einsame Wöl-
zu derartigen Terroranschlägen. Sie stellen im November 2016 veröffentlicht fe radikalisieren sich quasi selbst, indem sie
die Sicherheitsbehörden vor erhebliche hatte, folgte Ende Oktober 2017 terroristische Webseiten und Blogs besu-
Schwierigkeiten. Oft kommen sie aus dem der 29-jährige Sayfullo Saipov, der chen. Das Gift dschihadistischer Verführer
Nichts, denn im Gegensatz zu Terrorgrup- in New York einen Umzugswagen ist stets nur wenige Mausklicks entfernt
pen lassen sich hier keine Netzwerke in- in eine Menschenmenge fuhr und und trifft bei Sinnsuchenden scheinbar auf
filtrieren oder Kommunikation abfangen. dabei acht Menschen tötete. offene Ohren. Die gewieften Online-Ideo-
Doch die einsamen Wölfe im Zeichen des logen wissen dies für sich zu nutzen und
IS handeln nicht alle so eigenständig, wie es in der Medienberichterstattung unmit- wecken den Zorn in Menschen, die an-
telbar nach Anschlägen oft den Anschein dernfalls weder das Bedürfnis noch die
Au to r erweckt. Fortgeschrittene Ermittlungen Möglichkeit gehabt hätten, einer Terroro-
zeigen, dass einige Attentäter durch den rganisation beizutreten.
Marcel Serr ist Politikwissenschaftler/ IS direkt angeleitet und gesteuert werden. Darüber hinaus stellt das Internet das zen-
Historiker und freier Autor. Dies stellt eine bemerkenswerte Entwick- trale Informationsmedium für potenzielle
lung in den Fähigkeiten der Organisationen Terroristen dar, die im Internet alles recher-

22 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018

 SICHERHEIT & P O LITI K 

chieren können, was sie wissen müssen,
um Bomben zusammenzusetzen und
Ziele auszuwählen. Der IS, aber auch
al-Qaida unterstützen die Informati-
onsbeschaffung nach Kräften, indem
sie praktische Schritt-für-Schritt-An-
leitungen bereitstellen.
Der IS missbraucht das Internet
gezielt, um weltweit potenzielle
Terroristen anzuwerben und an-
zuleiten. Die Gruppe nutzt das
gesamte Spektrum sozialer Me-
dien und Kommunikationsfor-
men von Facebook über Twitter
bis hin zu WhatsApp und dem abhörsi-
chereren Telegram, das auf Ende-zu-En-
de-Verschlüsselung setzt. Im Jahr 2015
verbreitete die Gruppe mit Twitter-Kam-
pagnen wie „Hashtag Jihad“ bis zu 90.000
Tweets – am Tag!
Strategiewechsel des IS
Hintergrund der vermehrten Anschläge
im Westen ist ein Strategiewechsel des IS
als eine Folge der militärischen Rückschlä-
ge in Irak und Syrien. Seit Ende 2015 ruft
die Organisation über das Internet Unter-
stützer, die im Westen leben, auf, in ihrer
Heimat Anschläge zu verüben: „Zerreißt
eure Flugtickets in die Türkei! … Das Pa-
radies liegt euch zu Füßen.“ Dazu etab-
lierte die Gruppe eigens Telegram-Kanäle,
die speziell auf potenzielle Täter in Euro-
pa zugeschnitten sind, und ermuntert die
Followers, dort zuzuschlagen, wo, wann
und wie es ihnen möglich ist. Der Strategie-
wechsel birgt viele Vorteile für den IS: Der
Aufruf zu Lone Wolf-Angriffen im Westen
ist kostengünstig und bindet kaum Perso-
nal oder Ressourcen. Prinzipiell ist dem IS
jeder Anschlag recht und billig. Die einzige
Bedingung ist ein öffentliches Bekenntnis
zur Organisation bzw. ihrem Anführer,
dem selbst ernannten und mittlerweile to-
ten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi.
Die IS-Terrorbedrohung ist jedoch viel-
schichtig. Nicht alle Wölfe sind tatsächlich
einsam. Einige Beispiele: Anis Amri, der im
Dezember 2016 mit einem Lkw durch ei-
nen Weihnachtsmarkt in Berlin pflügte und
elf Menschen tötete, stand vermutlich in
Kontakt mit IS-Leuten. Gleiches gilt für die
Attentäter von Würzburg und Ansbach: Im
Juli 2016 griff ein minderjähriger Flüchtling
aus Afghanistan Passagiere einer Regional-
bahn bei Würzburg mit einem Messer und
einem Beil an; es kam zu fünf Verletzten.
Sechs Tage später zündete ein syrischer
Flüchtling vor einem Musikfestival in Ans-
bach eine Bombe. Der Attentäter löste den
selbst gebauten Sprengsatz vermutlich ver-
sehentlich aus und tötete nur sich selbst;
allerdings wurden 15 Passanten verletzt.
In Full-HD können Videos mit
ausführlichen Berichten über
das gottgewollte Leben im Kalifat
heruntergeladen werden, verfüg-
bar in Arabisch und Englisch.
Auch Salman Abedi, der sich im Mai 2017
bei einem Konzert von Ariana Grande in
die Luft sprengte und über 20 Menschen
mit sich in den Tod riss, gehört in diese Ka-
tegorie.
Eine voreilige Bezeichnung von Einzeltätern
als einsame Wölfe kann gefährliche Konse-
quenzen nach sich ziehen. Spätere Ermitt-
lungen hatten ergeben, dass Abdelhamid
Abaaoud, der Drahtzieher der Pariser At-
tacken, verschiedene Vorfälle, die als Ak-
Der Titelartikel des Magazins Ramiyah im April
2017 ist eine Lobrede auf den amerikanischen
IS-Agenten Ahmad Abousamra, alias Abu Sulay-
man Al-Shami, alias Abu Maysara Al-Shami, eine
der Hauptfiguren des IS-Medienapparats, der im
Frühjahr 2017 ums Leben kam.
tionen einsamer Wölfe bewertet wurden,
als Ablenkungsmanöver für sein Vorhaben
in der französischen Hauptstadt veranlasst
hatte. Darunter ist der Fall von Sid Ahmed
Ghlam, der sich im April 2015 versehentlich
ins Bein schoss und damit Ermittlungen aus-
löste, die aufdeckten, dass er Kirchen in der
Umgebung von Paris attackieren wollte. Im
August 2015 verhinderten drei US-Ameri-
kaner, dass Ayoub El-Khazzani, ein 25-jäh-
riger Marokkaner, das Feuer in einem Zug
von Amsterdam nach Paris eröffnete. Beide
Vorfälle wurden zunächst als unverbunde-
ne Taten von einsamen Wölfen betrachtet.
Zu spät deckten die Sicherheitsbehörden
Netzwerke und Querverbindungen auf;
sie hatten die Komplexität unterschätzt.
Immer deutlicher wird, dass der IS über ein
Netzwerk direkt gesteuerter Zellen in
Europa verfügt. Auch die Anschläge in
Paris 2015 und am Brüsseler Flughafen
2016 offenbarten dies.
Ferngesteuerter
Terrorismus
Der IS ist insgesamt stärker in die Pla-
nung und Koordination von den ver-
meintlichen Lone Wolf-Anschlägen in
Europa involviert als vielfach angenom-
men. Verantwortlich für die Anschlä-
ge im Ausland ist eine IS-Untergrup-
pe namens Amn al-Kharji, die von dem
Franzosen Abu Suleyman al-Firansi geleitet
wird. Aufgeteilt in Regionalgruppen sind
sogenannte virtuelle Planer via Internet
und Messenger-Apps für die Rekrutierung,
Motivation und Anleitung potenzieller Ter-
roristen auf der ganzen Welt verantwort-
lich. Mit anderen Worten: Die virtuellen
Planer sitzen vor ihren Computern in Syrien
oder Irak und bilden Terrorinteressierte in
Europa wie an einer Fernuniversität aus.
Unter Analysten ist bereits die Rede von
ferngesteuerten Anschlägen.
Rachid Kassim ist einer dieser virtuellen Pla-
ner. Er unterhält eine große Online-Präsenz
und drängt seine Follower zu Anschlägen
im Westen. Kassim hat mehrere Instruktio-
nen im Internet veröffentlicht, die Namen
 
und Orte für Anschlagsziele enthalten so-
wie Taktiken und strategische Hinweise. Er
leitete vermutlich schon mehrere Anschlä-
ge in Europa an. So hatte Kassim direkten
Kontakt zu Adel Kermiche und Abdel Malik
Nabil Petitjean, die im Juli 2016 einem Pries-
ter in Frankreich die Kehle durchschnitten.
Ermittler fanden Telegram-Konversationen
zwischen Kassim und den beiden Tätern,
die darauf hindeuten, dass Kassim sie zur
Tat angewiesen hat.
Doch die virtuellen Planer haben nicht nur
Europa im Visier. Rukmini Callimachi zeich-
nete in der New York Times die Fälle eines
Ingenieurs in Indien und eines jungen Man-
nes in Rochester, USA, nach, die von einem
virtuellen Planer namens Abu Issa al-Amriki
bei ihren Anschlagsvorbereitungen beglei-
tet wurden. Im Falle des Amerikaners lagen
zwischen der ersten Kontaktaufnahme bis

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 23

  SICHERHEIT & P O LITI K
zum geplanten Anschlag nur wenige Tage.
In Indien standen der virtuelle Planer und
der potenzielle Terrorist über 17 Monate
in Kontakt. Beide Vorhaben wurden recht-
zeitig von den Sicherheitsbehörden auf-
gedeckt. Amriki wurde im April 2016 bei
einem Luftschlag in al Bab, Syrien, getötet.
Die Folgen
Zusätzlich zu den direkten Opfern führen
die IS-inspirierten und ferngesteuerten An-
schläge zu schwerwiegenden politischen
und gesellschaftlichen Folgen in den west-
lichen Gesellschaften. Sie rufen eine ver-
stärkte Islamophobie hervor und befördern
den Aufstieg rechtsradikaler Populisten
und Demagogen. Nach Angaben des FBI
stieg die antimuslimische Hasskriminalität
in den USA von 2014 auf 2015 um 67 Pro-
zent. In Deutschland kam es 2016 zu 3.500
Angriffen auf Flüchtlinge und Flüchtlings-
unterkünfte.
Wenn sich aber die öffentliche Meinung
verstärkt gegen Muslime wendet, ziehen
diese sich stärker zurück, das Misstrauen
gegen Sicherheitsbehörden wächst. So
können die muslimischen Gemeinschaften
zu Brutstätten und zum Unterschlupf für
Extremisten werden. Kein Wunder also,
dass sich Salah Abdeslam, einer der Täter
der Pariser Anschläge, unter dem Schutz
Nürnberg, Germany
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seines Netzwerks im Brüsseler Stadtteil
Molenbeek monatelang einer Verhaftung
entgehen konnte.
Der IS und andere extremistische Gruppen
nutzen wiederum die Vorbehalte und isla-
mophoben Stimmungen geschickt für ihre
Propaganda. Die Anschläge sollen einen
Graben zwischen Muslimen und Nichtmus-
limen in den westlichen Staaten auftun und
die Gesellschaften spalten. So entsteht ein
Teufelskreis gegenseitiger Entfremdung
und Radikalisierung.
Gegenstrategien
Das Internet ist ein zwiespältiges Medium
für einsame Wölfe. Einerseits ist es eine
elementare Radikalisierungs- und Infor-
mationsplattform, andererseits aber auch
das wichtigste Aufklärungsmedium für
die Sicherheitsbehörden. Insbesondere
der Überwachung der sozialen Medien
kommt eine besondere Bedeutung zu,
denn gerade einsame Wölfe haben eine
zentrale Schwäche: Sie reden gern. Die
Überwachung von Chat-Rooms, den sozi-
alen Medien sowie Messenger-Apps sind
daher wichtige Komponenten in der Ter-
rorabwehr. Dabei kann es taktisch zielfüh-
rend sein, die Accounts identifizierter virtu-
eller Planer, Hetzer oder anderer digitalen
Dschihadisten nicht direkt zu sperren, son-
KONFERENZ
UND MESSE
TERMIN
VORMERKEN!
dern als Informationsquelle auszuhorchen.
Außerdem sollten die digitalen Netzwerke
von Terroristen verstärkt infiltriert werden,
um Gefährder zu identifizieren, ihre Kom-
munikation abzufangen und zu stören. Die
Sicherheitsbehörden sollten auch gezielt
desinformieren, um Verwirrung zu stiften.
Psychologische Kriegführung ist Trumpf in
der Terrorismusbekämpfung. Es gilt, die
Paranoia von Terrorgruppen vor möglicher
Infiltration auszunutzen. Auch sollten die
Internetseiten und die Accounts der Orga-
nisationen in sozialen Medien offensiver
angegriffen werden.
Außerdem sollten Regierungen und Sicher-
heitsbehörden enge Kontakte und vertrau-
ensvolle Beziehungen zu den jeweiligen
muslimischen Gemeinden aufbauen und
pflegen. Freunde, Familien und Nachbarn
von potenziellen Terroristen wissen am
ehesten, wenn etwas nicht stimmt. Doch
sie werden sich nur dann die Sicherheits-
behörden wenden, wenn sie diesen ver-
trauen.
Letztlich lassen sich Terroranschläge – ins-
besondere die der einsamen Wölfe – nicht
vollständig verhindern. Entscheidend ist
jedoch, diesen Aspekt der Gesellschaft zu
vermitteln, um keine unrealistischen Erwar-
tungen zu wecken, die zwangsläufig ent-
täuscht werden, was dann rechtsextremen
Populisten die Tore öffnet. L
UAV
DROHNENABWEHR
 SICHERHEIT & P O LITI K 

Der Islamische Staat auf dem Rückzug

Die Rekrutierungsmechanismen des IS bleiben
ein sicherheitspolitisches Problem
Andreas M. Rauch und Seckin Söylemez

Welcher Wein ist in den Schläuchen? Das Instrument der Rekrutierung von Menschen, die in Westeuropa
leben, ist das Internet. Das, was im Internet angeboten wird, um junge Menschen zu radikalisieren, hat sich
in den letzten Jahren stark gewandelt.

eitgleich zu seiner Expansion in Me-
sopotamien und der Levante startete
der IS eine regelrechte Medienoffen-
sive. Mit aufwändigen Videoproduktionen
wird der Kampf des Kalifats im selben Stil
präsentiert wie Actionfilme à la Hollywood.
In diesen Videos wird vor allem das Image
des Dschihadisten als heldenhafter Krieger
in orientalisch anmutender Militäruniform
und mit Schnellfeuergewehr vermarktet.
Verbreitet wurden diese Aufnahmen zu
Beginn ausschließlich über die neuen so-
zialen Medien. Facebook, Twitter, YouTube
und Co. avancierten so zu einem neuen
Schlachtfeld eines medialen Dschihad. Die-
se Kommunikationsmechanismen weisen
erstaunliche Parallelen zur Selbstinszenie-
rung der salafistischen Szene in Westeu-
ropa auf.
So verwundert es auch nicht, dass in der
Medien- und Propagandaabteilung des IS
eine Vielzahl von Personen mit europäi-
schem Background zu finden war. Neben
Videos von Kampfhandlungen und Ent-
hauptungen von Geiseln veröffentlichte
der IS nach der seinerzeitigen Einnahme
von strategisch wichtigen Städten wie
Rakka und Mossul auch eine Vielzahl von
Videos über die Lebensbedingungen im
Kalifat. Dieser Schritt untermauert nicht nur
Au to r e n
Prof. e.h. Dr. Andreas M. Rauch ist
als Lehrbeauftragter am Institut für
Politische Wissenschaft der Univer-
sität Duisburg-Essen, als Mitglied im
NRW-Landesprüfungssausschuss für
das 1. Staatsexamen in Sozialwissen-
schaften und Wirtschaft/Politik sowie
im Schuldienst in Köln tätig.
Seckin Söylemez M.A. ist Politik-
wissenschaftler und veröffentlicht zu
Themen der Außen- und Sicherheits-
politik mit dem Schwerpunkt Nahost,
Fundamentalismus und Terrorismus.
Im vom IS verbreiteten Video „Flames of War“ ist zu sehen, wie Kriegs-
gefangene sich ihr eigenes Grab schaufeln müssen, ehe sie dann hinge-
richtet werden.
seinen Anspruch auf Staatlichkeit, der auch
im Begriff „Islamischer Staat“ zu finden ist,
sondern zielte vor allem darauf ab, auch
Gruppen für den Kampf zu gewinnen, die
nicht der klassischen Kombattantenklientel
zuzurechnen sind.
Nutzung moderner Kommu-
nikationsmechanismen
Seine Hochphase erreicht die Produktion
von Propagandamaterial während der Zeit
der maximalen Expansion in Syrien und
dem Irak in den Jahren 2013 und 2014. Der
schnelle Landgewinn und die militärischen
Erfolge des IS in dieser Phase spiegeln sich
auch in einer nach außen kommunizier-
ten Überheblichkeit wider. So erscheint
2014 die bis zu diesem Zeitpunkt längste
und kostenaufwändigste Videoprodukti-
on des IS unter dem Namen „Flames of
War“. In diesem 55-minütigen Film finden
sich alle bisherigen Inhalte wie Kampfsze-
nen, Siegesfeiern, das alltägliche Leben im
Kalifat wieder. Beendet wird der Film mit
der Hinrichtung von Kriegsgefangenen,
die sich zuvor ihr eigenes Grab schaufeln
(Foto: Archiv)
müssen. Dieser Film der Propagandaabtei-
lung des IS – besser bekannt unter dem
Namen al-Hayat Media – ist sinnbildlich für
die Kombination von moderner Kommuni-
kation und fundamentalistischen Inhalten.
Die in diesem Film konstruierte Ästhetik der
Gewalt knüpft an bereits existierende Bil-
der aus Film, Fernsehen und Videospielen
an und zielt somit direkt auf die Rekrutie-
rung eines jungen, vor allem männlichen
und im Westen sozialisierten Klientels ab.
Dass die Wirkung des Films aus Sicht des IS
durchaus erfolgreich ist, belegen die Zahlen
der sogenannten Auswanderer aus westli-
chen Staaten in die vom IS kontrollierten
Gebiete. Laut Angaben der Soufan Group
und des International Centre for Coun-
ter-Terrorism – The Hague sind bisweilen
knapp 5.000 Personen aus EU-Staaten in
die Region ausgewandert.
Heute hat der IS die Gebiete in Syrien und
dem Irak weitgehend wieder verloren. Der
Niedergang begann mit der verlorenen
Schlacht um die nordsyrische Stadt Ko-
bane (arabisch: Ain al-Arab) 2015. Dann
gelang es der irakischen Armee mit mas-
siver Unterstützung durch die USA und die

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 25

 SICHERHEIT & P O LITI K
Anti-IS-Koalition, die Stadt Mossul vom
IS zu befreien. Rakka und weitere Städte
folgten. Parallel zu diesen Entwicklungen
ist auch ein Strategiewechsel in den Pro-
pagandamethoden des IS zu erkennen.
Der Niedergang wurde in der Propagan-
da zum Beispiel für Märtyrertum. Es gab
keine Videos von Kampfhandlungen mit
anschließender Siegesfeier mehr, sondern
Aufnahmen von bombardierten Häusern
und zivilen Opfern, die die Luftschläge
der Koalition verursacht haben sollen. Die
offensive Selbstdarstellung bis in das Jahr
2015 weicht heute einer Inszenierung als
sunnitische Schutzmacht vor einer bevor-
stehenden feindlichen Übernahme durch
schiitische Gruppen oder eine westliche
Besatzungsmacht. Ein mögliches Ziel die-
ses Wandels in der Außenkommunikation
ist der Versuch des immer schwächer wer-
denden IS, nun in der Region vorhandene
Kräfte zu mobilisieren bzw. Gruppen im
Ausland zu gezielten Anschlägen in ihren
Heimatländern zu bewegen.
Sicherheitspolitische
Gefährdungen bleiben
Diese militärische Entwicklung hat den IS
veranlasst, seine vorhandenen Kräfte best-
möglich zu schonen und in den Untergrund
zu verschieben. So gingen seit dem Wan-
del auf dem Schlachtfeld die offensiven
Rekrutierungsbemühungen zurück. Wenn
es dem IS gelingt, in den Untergrund abzu-
tauchen, bedeutet dies für den Konflikt in
der Levante, dass eine wirkliche Befriedung
in näherer Zukunft nicht in Sicht ist. Dann
würden weite Teile Syriens ein ähnliches
Schicksal wie die Unruhegebiete Afgha-
nistans erwarten. Die Alternative, dass die
IS-Kämpfer in andere Regionen auswan-
dern, ändert für die Sicherheitslage in den
westlichen Ländern nicht viel. Allerdings
besteht die Gefahr eines neuen Flächen-
brandes an anderer Stelle in der Welt.
Für die Sicherheitslage im Westen ist klar zu
erkennen, dass der IS mit der Inszenierung
als Opfer der westlichen Welt auf die Akti-
vierung von spontanen Anschlägen durch
Einzelpersonen setzt. Hierfür sprechen ins-
besondere die Anschläge mit Messern und
Fahrzeugen in den letzten Monaten, die
zumeist durch Personen verübt wurden,
die sich in kürzester Zeit vor allem über das
Internet radikalisierten.
Linien des Terrors reichen
weit zurück
Dass eine solche Niederlage wie die des IS
in Syrien und dem Irak ein Ende des Terrors
bedeuten, sollte man nicht annehmen. Es
ist nämlich ein Trugschluss, dass der islamis-
26 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
Der 11. September 2001 mit mehreren tausend Todesopfern war nur der
Höhepunkt in einer Reihe von vorangegangenen, islamistisch motivier-
ten Anschlägen.
tisch motivierte Terror erst in den 2000er
Jahren zutage trat, also mit den Anschlä-
gen auf New York und Washington am 11.
September 2001. Bereits in den 1990er
Jahren gingen mehrere Anschläge auf das
Konto von Radikalislamisten, so 1999 in
Russland, 1997 in Kairo und Luxor, 1995
sieben Mal in Frankreich, 1995 auf einen
Flug der Philippine-Airline, 1993 auf das
World Trade Center in New York und 1992
auf das CIA-Headquarters in Langley. Der
11. September 2001 mit mehreren tausend
Todesopfern stellt nur einen Höhepunkt in
einer Reihe von vorangegangenen, islamis-
tisch motivierten Anschlägen dar.
Die Geschehnisse von 9/11 legten auf dras-
tische Art und Weise dar, dass Terror in ei-
ner globalisierten Welt in der Lage ist, fun-
damentalistische Gewaltmotivationen mit
modernster Technologie zu verschmelzen.
Der Terror der al-Qaida galt ab dem Jahr
2001 als die wohl größte Bedrohung für die
internationale Sicherheit. Nach unzähligen
Anschlägen weltweit und einem groß an-
gesetzten War on Terror unter US-Führung
ist die Bedeutung der al-Qaida als Terror-
gruppe zwar geringer geworden, doch die
ihr zugrunde liegende Ideologie und ihre
Vorgehensweise lebt heute in Form von
neuen Gewaltakteuren weiter.
Vom Kader zu breiten
Bewegung
Mit dem Entstehen und der Verbreitung
des sogenannten Islamischen Staates (IS)
vollzog der islamistische Terror einen Ge-
staltenwandel. Während al-Qaida als ei-
ne Kader-Bewegung einzuordnen ist, die
vornehmlich Personen aus dem arabischen
Raum rekrutierte, handelt es sich beim
IS und ähnlichen Organisationen dieses
Spektrums um regelrechte Massenbe-
wegungen, die sich vor allem durch eine
breit aufgestellte und international orien-
(Foto: U.S. Coastguard)
tierte Rekrutierungslogik auszeichnen. Es
sind nicht mehr nur ideologisch gefestigte
Personen, die sich dem Dschihad anschlie-
ßen, sondern auch ganze soziale Gruppen,
die gezielt in Krisengebiete auswandern.
Dort nehmen sie an Kampfhandlungen
teil – oder sie vernetzen sich, um in ihren
Herkunftsländern Anschläge zu verüben.
Bemerkenswert ist hierbei vor allem, dass
wir in den vergangenen Jahren Zeuge
davon wurden, wie sich auch eine große
Anzahl junger Menschen, die in westli-
chen Staaten geboren, aufgewachsen und
sozialisiert wurden, dazu entschlossen ha-
ben, dem IS die Treue zu schwören. An-
gesichts dieser Entwicklung stellt sich aus
einer sicherheitspolitischen Perspektive die
dringliche Frage, wie die Rekrutierungsme-
chanismen von Terrorgruppen wie dem
des IS funktionieren und welche Schritte
unternommen werden können, um diesen
entgegenzuwirken.
Fundamentalistische
Bewegungen verstehen
Mit den Anschlägen des 11. September
2001 verzeichnete auch der wissenschaft-
liche Diskurs einen raschen Anstieg von
wissenschaftlicher und populärer Literatur
zum islamischen Fundamentalismus. Das
Verständnis über den islamischen Fun-
damentalismus oder auch Islamismus ist
insofern wichtig, da er den ideologischen
Unterbau von Terrorgruppen wie al-Qaida
und dem IS darstellt. Den Fundamentalis-
mus zu verstehen, ist in diesem Kontext
der erste Schritt für etwaige präventive
Schritte.
Der israelische Soziologe Samuel N. Eisen-
stadt (1923-2010) – bestens in der wissen-
schaftlichen Welt für seine großen Zivilisati-
onsstudien bekannt – beschäftigte sich Zeit
seines Lebens mit dem Begriff des Funda-
mentalismus als einer sozialen Bewegung

der Moderne. Hierbei untersuchte er neben
den islamischen auch die christlichen und
jüdischen Ausprägungen von Fundamenta-
lismus. Aus dieser multiperspektivischen Be-
trachtung erschließt Eisenstadt die Grund-
und Funktionsstruktur fundamentalistischer
Bewegungen.
(Foto: Tzahy Lerner)
Der israelische Soziologe Samuel
N. Eisenstadt beschäftigte sich ne-
ben dem islamischen auch mit den
christlichen und jüdischen Ausprä-
gungen von Fundamentalismus.
Ausgangspunkt für die Studien Eisenstadts
ist der Begriff der Moderne, den er in erster
Linie als eine europäische Erfindung ver-
steht, die durch verschiedene nichteuropä-
ische Kulturen eine neue Deutung erfuh-
ren. Diese Eigendefinitionen der Moderne
führten Eisenstadt zufolge zur Entstehung
von gesellschaftlichen Antagonismen, die
sich wiederum in konkreten ideologischen
und institutionellen Mustern kristallisierten.
Ein Beispiel hierfür ist demnach auch das
kommunistisch-sowjetische Regime, das
als nichteuropäische Gesellschaft die Mo-
derne anders definiert. Bestimmt wurde
das internationale System aber durch das
europäische Verständnis von Moderne. Der
Sowjetunion gelang es nicht, der eigenen
Deutung auch Geltung zu verschaffen. So
distanzierte sich das kommunistische Regi-
me mit einer Eigeninterpretation von Auf-
klärung, Zweckrationalität, Technologie,
Wissenschaft und Naturbeherrschung von
klassischen, wissenschaftlichen Begriffen
und entwickelte eine eigene Ideologie.
Dieses Grundverständnis einer ideologi-
schen Heilsmission und der damit einher-
gehenden Uminterpretation von Moderne
lässt sich auch bei den antikolonialen und
fundamentalistischen Bewegungen des ara-
bischen Raums in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts erkennen. Bei Organisationen
wie z.B. den Muslimbrüdern speiste sich
der Heilsgedanke in erster Linie aus einem
Bedürfnis nach einer Einheit unter den Mus-
limen. Diese seien von den Einflüssen des
Westens zu befreien und auf einen religiös
rechten Weg zu leiten. In diesem Verständ-
nis galt es, zunächst sogenannten protofun-
damentalistische Bewegungen die Legitima-
tionsgrundlage zu entziehen. Während die
protofundamentalistischen (Erneuerungs-)
Bewegungen, als Beispiel nennt Eisenstadt
hier z.B. die Wahhabiten, sich stärker durch
den Traditionalismus leiten ließen und ihre
fundamentalen Visionen viel stärker nach
innen richteten, verstehen es die fundamen-
talistischen Bewegungen als ihre Aufgabe,
„Raum und Zeit gemäß ihren utopischen
Visionen zu konstruieren“.
Somit beschränkte sich die Neuausprägung
nicht mehr nur auf eine isolierte Enkla-
ven-Kultur, sondern zeichnete sich durch
einen expansiven Charakter aus. Inhaltlich
wurde also der Zielwert einer puritanischen
und unverfälschten Kultur übernommen,
Zuletzt gelang es mit massiver Unterstützung durch die USA und
die Anti-IS-Koalition die Stadt Mossul vom IS zu befreien.
funktional jedoch wurde dieser Gedanke
von einer nach innen gewandten Lehre,
welche primär nur auf die eigene Klientel
abzielte, zu einer nach außen wirkenden
Doktrin transformiert. Die Verlegung des
Wirkungsfokus führte auch zu einem ra-
dikalen Wandel in der Organisations- und
Funktionsweise dieser Bewegungen. Die
Etablierung moderner Kommunikations-
techniken, Propagandamethoden und
einer disziplinären Organisationsstruktur
waren somit strukturelle Notwendigkei-
ten, um aus einer Enklaven-Kultur eine
expansionistische Missionierungskultur zu
entwickeln.
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik
SICHERHEIT & P O LITI K 
Die Bestrebungen der Fundamentalisten
beinhalteten demnach Aspekte wie die
Umgestaltung der Gesellschaft, die Auf-
hebung von heterogenen Tendenzen, die
Etablierung eines einheitlichen Kultur-
verständnisses und die Etablierung einer
religiösen Politik, die auf ein formuliertes
Endziel gerichtet ist. Auch wurde die Um-
strukturierung jedes Individuums im Sinne
der revolutionären Ziele zum Kontext der
inhaltlichen Agenda jeder fundamentalis-
tischen Bewegung.
Rückwärtsgewandte
Ideologie
So hält Eisenstadt fest, dass „die moder-
nen fundamentalistischen Bewegungen
und Regimes … die moderne … Mobili-
sierung mit ‚antimodernen’ oder zumin-
dest antiliberalen Ideen (kombinieren)“.
(Foto: U.S. Army)
Ausgehend von diesem Verständnis lässt
sich der IS zweifelsohne als eine funda-
mentalistische Bewegung im Sinne Eisen-
stadts definieren. So stilisierte sich der IS
von Beginn an als eine Gegenbewegung
zum westlichen Lebensstil, aber auch zur
traditionellen Auslegung des Islam. Die
Grundlage für diese Selbstzuschreibung
resultierte aus den inhaltlichen Zielvor-
gaben, wie der Wiedereinführung des
Kalifats und der Herstellung der Lebens-
weise, wie sie zu Zeiten des Propheten
existiert habe. Die Art und Weise der Au-
ßenkommunikation hingegen war und ist
alles andere als reaktionär. L
27
 SICHERHEIT & P O LITI K

Nach „Jamaika“ auf Reede

Deutschlands Sicherheits- und Verteidigungspolitik
in der Flaute Wolfgang Labuhn

Am 24. Oktober 2017 konstituierte sich der 19. Deutsche Bundestag. 25-Millionen-Euro-Vorlagen stattfinden
wird: „Das bedeutet natürlich auch eine
Seitdem wird Deutschland von einer geschäftsführenden Bundesre- erhebliche Verzögerung für alle zukünfti-
gierung aus CDU/CSU und SPD verwaltet, der früheren Großen Koa- gen Beschaffungsvorhaben. Eigentlich gibt
es wohl einen breiten Konsens darüber, die
lition. Im Parlament wurden bisher weder die vom Grundgesetz vor- Bundeswehr sehr schnell besser auszurüs-
geschriebenen Ausschüsse für EU-Angelegenheiten, Auswärtiges und ten. Das würde einer jetzt rasch ins Amt
kommenden neuen Bundesregierung auch
Verteidigung noch die meisten übrigen Ausschüsse eingesetzt, auch sehr gut anstehen. Aber man sieht daran,
nicht der wichtige Haushaltsausschuss. dass die Prioritäten im Moment offenbar
woanders liegen.“

B is zur Bildung einer neuen Bun-

desregierung übernimmt ein vom
Grundgesetz nicht vorgesehener
„Hauptausschuss“ die Aufgaben der Fach-
ausschüsse – mit teilweise bedenklichen
Folgen für die Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik und für die Bundeswehr. Auch
in der Industrie wachsen die Sorgen.
Immerhin hat der Deutsche Bundestag am
12. und 13. Dezember 2017 nicht weniger
als sieben Mandate für Auslandseinsätze
der Bundeswehr verlängert, die um die Jah-
reswende ausgelaufen wären. Die Verlän-
gerung wurde allerdings auf drei Monate
begrenzt, um Mandatsentscheidungen der
nächsten Bundesregierung nicht vorzugrei-
fen. Doch es könnte in Berlin noch lange
dauern, nach dem Scheitern der Sondie-
rungsgespräche für eine „Jamaika“-Koali-
tion aus CDU/CSU, FDP und den Grünen
nun das bisherige Regierungsbündnis von
CDU/CSU und SPD förmlich zu erneuern.
Somit bleibt der geschäftsführenden Ver-
teidungsministerin Ursula von der Leyen
(CDU) die undankbare Aufgabe, die für die
Bundeswehr beschlossenen Trendwenden
in den Bereichen Material, Personal und
Finanzen auch im derzeitigen bundes-
politischen Vakuum weiter umzusetzen.
Der Bundesverband der Sicherheits- und
Verteidigungsindustrie (BDSV) formuliert
unterdessen seine wichtigsten Wünsche
an die künftige Bundesregierung. Sein
Hauptanliegen sei es, so BDSV-Hauptge-
schäftsführer Hans Christoph Atzpodien
gegenüber ES&T, „dass die neue Bundes-
regierung nicht nur sehr schnell das Vor-
haben in Angriff nimmt, die bestehenden
Fähigkeits- und Ausrüstungslücken zu
schließen, sondern sich auch darauf rück-
besinnt, dass die deutsche Sicherheits-
und Verteidigungsindustrie der geborene
Partner der Bundeswehr ist.“ Wenn man
Beschaffungsprogramme nicht überfrach-
te, sondern sie stringent abwickele, indem
die Rahmenbedingungen zu Beginn ge-
meinsam sehr klar festgelegt und dann
auch nicht mehr verändert würden – was
leider in der Vergangenheit immer wieder
geschehen sei – „dann kann die Bundes-
wehr auch sehr schnell mit hochwertigem
Equipment ausgerüstet werden.“ Doch das
dürfte in diesem Jahr schwierig werden.
Bundeswehr muss länger auf
bessere Ausrüstung warten
In den kommenden Monaten stehen Ent-
scheidungen über eine Reihe von Großpro-
jekten im Materialbereich an. Dazu zählen
ein neues Sturmgewehr für die Truppe als
Ersatz für das G36, das Taktische Luftver-
teidigungssystem (TLVS) auf der Grundla-
ge des von Deutschland mitentwickelten
MEADS-Systems und die Auftragsvergabe
für das Mehrzweckkampfschiff MKS 180,
ferner die Wahl eines Nachfolgemodells
für den betagten Mittleren Transporthub-
schrauber CH-53. Auch die vom Koaliti-
onsmitglied SPD im vergangenen Sommer
in letzter Minute gestoppte Beschaffung
einer bewaffnungsfähigen Aufklärungs-
drohne (Heron TP) dürfte wieder auf der
Agenda stehen. Insgesamt will das Vertei-
digungsministerium 2018 dem Vernehmen
nach rund 40 25-Millionen-Euro-Vorlagen
in das parlamentarische Verfahren einbrin-
gen. Dabei dürfte es sich überwiegend
um Beschaffungsprojekte für die Truppe
handeln, die vom Haushaltsausschuss des
Bundestages gebilligt werden müssen, so-
fern das Vorhaben den finanziellen Rah-
men von 25 Millionen Euro übersteigt.
BDSV-Hauptgeschäftsführer Atzpodien
rechnet angesichts der verzögerten Regie-
rungsbildung in Berlin aber nicht mehr da-
mit, dass vor der zweiten Jahreshälfte 2018
die parlamentarischen Behandlung neuer
Restriktive Rüstungsexport-
politik belastet Unternehmen
Voranfragen für den Export von Kriegswaf-
fen an Drittstaaten, also Länder, die nicht
der EU oder der NATO angehören bzw. der
NATO gleichgestellt sind, gehen an das in
solchen Fällen federführende Auswärtige
Amt (AA) – und scheinen dort jetzt häu-
figer in der Leitungsebene zu verbleiben,
bevor den Unternehmen rechtsverbindlich
mitgeteilt wird, wie eine förmliche Anfrage
beurteilt werden dürfte. Über diese hätten
dann neben dem AA auch das Wirtschafts-
und das Verteidigungsministerium und in
letzter Instanz der Bundessicherheitsrat
zu entscheiden. Viele BDSV-Mitgliedsun-
ternehmen beklagen laut BDSV-Hauptge-
schäftsführer Atzpodien, dass es derzeit
insbesondere für die Türkei und den Mitt-
leren Osten überhaupt keine Anzeichen für
Genehmigungen mehr gebe. Aber auch
bei laufenden Verfahren sei die Genehmi-
gungspraxis entweder sehr langsam oder
bereits erteilte Genehmigungen würden
nicht mehr erneuert. Man habe das ge-
genüber dem Wirtschaftsministerium und
dem AA thematisiert, könne aber keine
Fortschritte erkennen. Dies bedeute, „dass
die Auswirkungen aus dieser schleppenden
oder unterbrochenen Genehmigungspra-
xis die in Deutschland ansässigen Lieferan-
ten treffen. Sie geraten nun im Rahmen
laufender Verträge gegenüber den Kunden
in Verzug und müssen mit Vertragsstrafen
rechnen aus Gründen, die weder politisch
erklärt noch von den Lieferunternehmen zu
verantworten sind oder beeinflusst werden
können. Das ist bei allem Verständnis für
den politischen Primat der Bundesregie-
rung und auch für die Verschlechterung der
politischen Verhältnisse in einem Land oder
in einer Region eine für die Unternehmen
sehr unbefriedigende Situation.“ L

28 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018


Unser Mann in Niger
Laurent Joachim
Der Staat in der Sahelzone gehört zu den ärmsten Ländern der Erde.
Im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative hilft auch die Bundeswehr, die
Sicherheit am Rand der Sahara zu verbessern.
F
ünf Millionen Euro werden in weni-
gen Minuten Besitzer und Kontinent
wechseln. Verbindungsoffizier Oberst-
leutnant Dirk Hamann ist zu Besuch im
bescheidenen, abgedunkelten Büro einer
freundlichen Dame mittleren Alters. Sie ist
Abteilungsleiterin des nigrischen Verteidi-
gungsministeriums und trägt die Verant-
wortung für ein Projekt, das Hamann im
Namen der Bundesrepublik Deutschland
betreut.
Der massive Arbeitstisch der Beamtin ist
aus dunklem Holz. Darüber, scheinbar
ohne System verteilt, eine Vielzahl von
Akten und Dokumenten. Zwei Mobiltele-
fone vermitteln dem Ganzen einen Hauch
von Modernität. Die Amtsstube im Regie-
rungsgebäude in der Hauptstadt Niamey,
wo das Millionengeschäft besiegelt wird,
ist schlicht.
20 Millionen Einwohner hat die
Republik Niger. 55 Prozent der
Bevölkerung gehören zur Volks-
gruppe der Hausa, 21 Prozent zum
Volk der Djerma, zehn Prozent zu
den Tuareg.
Keine Spur von Regierungsprunk, wie sonst
oft in Afrika. Im Vorzimmer herrscht rege
Betriebsamkeit. Ab und zu flackert das
Licht, die betagte Klimaanlage röchelt vor
sich hin. In Niger führt die Stromversorgung
ihr eigenes Leben – mit Höhen und Tie-
fen. Zunächst werden Höflichkeiten ausge-
tauscht, dann kommen Hamann und seine
Gesprächspartnerin zum Geschäft. Unver-
mittelt kommt die Vorzimmerdame herein
und bittet um Geld, damit der Fahrer den
Wagen betanken kann.
Verhandlungsunterbrechung. Die Abtei-
lungsleiterin zückt eine Banknote aus ihrer
Au to r
Laurent Joachim ist Offizier der
Bundeswehr. Er hat diesen Artikel
für das Magazin der Bundeswehr Y.
geschrieben.
Handtasche. Immer wieder klingelt das Te-
lefon: erneute Verhandlungspause.
Dirk Hamann, der unter anderem meh-
rere Jahre als Referent im französischen
Verteidigungsministerium gearbeitet hat,
erzählt in der Zwischenzeit, dass der Ein-
fluss Frankreichs, der ehemaligen Kolonial-
macht, überall zu spüren sei. Zum Beispiel
auch hier an den Aktendeckeln, die im Ge-
Oberstleutnant Dirk Hamann mit einem nigrischen Offizier bei der Ein-
weisung
gensatz zu Deutschland nicht aus grauer
Pappe, sondern aus dünnem Papier in fröh-
lichen Pastellfarben bestehen – genau wie
in jeder Pariser Verwaltungsstelle.
Verbindungsoffiziere müssen einen ausge-
prägten Sinn für Details haben. Sie müssen
Informationen erschließen, einordnen und
analysieren. Sie sind die Augen und Ohren
der Bundeswehr. Sie messen ständig den
Puls des Gastlandes und senden entspre-
chende Lageberichte in die Heimat. Das
so gewonnene Wissen wird für politische
Entscheidungen mit oft internationaler
Tragweite ausgewertet.
Hamann war 2017 Verbindungsstabsof-
fizier der Bundeswehr in Niamey. Ein No-
vum in den Beziehungen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Re-
publik Niger, einem der ärmsten Länder
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik
SICHERHEIT & P O LITI K 
der Welt. 2016 belegte Niger den vorletz-
ten Platz auf dem Entwicklungsindex der
Vereinten Nationen. Im Fertilitätsbericht
der UN für den Zeitraum 2010 bis 2015
liegt Niger dagegen weltweit an der Spit-
ze mit im Durchschnitt über sieben Kin-
dern pro Frau. Diese beiden Statistiken
veranschaulichen die Rahmenbedingun-
gen, die das Land kennzeichnen. Unter
diesen Voraussetzungen hätte eine Ver-
schlechterung der ohnehin angespannten
Sicherheitslage dramatische Folgen.
Als Verbindungsstabsoffizier sollte Hamann
mit zwei ungewöhnlichen „Waffen“ Erfol-
ge erzielen: seinem perfekten Französisch
(Fotos: Bundeswehr)
und seiner ausgeprägten Freundlichkeit.
Seine frühere Tätigkeit als Referent für Stra-
tegische Kommunikation und Redenschrei-
ber des Inspekteurs des Heeres kommt ihm
in dieser Position zusätzlich zugute.
Die Abteilungsleiterin hat am Tag seines
Besuches tatsächlich guten Grund für ihre
Fröhlichkeit: Hamann nimmt im Namen der
Bundesregierung Rechnungen entgegen.
Im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative hat
Deutschland bei lokalen Händlern insge-
samt 100 Pickups, 115 Motorräder und 55
Satellitentelefone für die nigrischen Streit-
kräfte gekauft.
Alle Fahrzeuge werden im Norden des Lan-
des eingesetzt.
„Das Projekt wurde anlässlich des Besuchs
der Bundeskanzlerin Angela Merkel im Ok-
tober 2016 in Niger angekündigt“, erklärt
29
 SICHERHEIT & P O LITI K
Die Ertüchtigungsinitiative steht vor infrastukturellen, kulturellen und
auch verkehrstechnischen Herausforderungen.
Hamann. „Ertüchtigung bedeutet: Hilfe zur
Selbsthilfe.
Länder, die sich nach Kräften bemühen, die
Sicherheit auf ihrem Territorium zu verbes-
sern, werden von der Bundesregierung und
der EU unterstützt. Oft ist der politische
Wille da, aber die fehlenden finanziellen
Mittel lassen den ärmsten Ländern kaum
Handlungsfähigkeit.“
12.900 Mann sollen die Sicherheit
gewährleisten. Die nigrischen
Streitkräfte bestehen aus Heer
und Luftwaffe sowie der Gendar-
merie, der Nationalgarde und der
Nationalpolizei.
Niger hat geschätzt etwa 20 Millionen Ein-
wohner. Das Land ist mehr als doppelt so
groß wie Frankreich, trotzdem verfügen
die Sicherheitskräfte über nur etwa 12.900
Mann, denen es noch nicht gelingt, in Ei-
genregie für Sicherheit zu sorgen. Im Sü-
den versuchte die dschihadistische Terror-
organisation Boko Haram von Nigeria aus
eine Rückzugsbasis zu etablieren. Die mit
dem Islamischen Staat verbündete Miliz
konnte zunächst zurückgeschlagen wer-
30 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
den, aber die Situation bleibt angespannt.
Im Norden bereiten Drogen- und Waffen-
schmuggler, meist aus Algerien oder Liby-
en, den Sicherheitskräften erhebliche Pro-
bleme. Aus den westlichen und südlichen
Anrainerstaaten kamen in den letzten Jah-
ren darüber hinaus Abertausende Migran-
ten. Den Vereinten Nationen zufolge ver-
suchten 2015 bis zu 150.000 Migranten
von Agadez aus nach Libyen weiterzurei-
sen, um dann über das Mittelmeer Europa
zu erreichen.
Agadez liegt im Zentrum Nigers und war
lange Zeit die Drehscheibe für die Migran-
ten. Von hier aus begann die Durchquerung
der Sahara. Ein gefährlicher Weg. Bei der
Fahrt durch die Wüste fielen gelegentlich
Menschen von den Pickups der Schmugg-
ler herunter – die Schleuser hielten nie an.
Die Verunglückten verdursteten. Viele, die
es nach Libyen schafften, landeten in illega-
len Gefängnissen. Einige ergatterten einen
Platz auf einem Schmugglerboot nach Ita-
lien. Viele der Migranten erreichten Europa
nie.
Heute sind sie aus dem Straßenbild von
Agadez weitgehend verschwunden, seit-
dem die nigrische Regierung ihren „illega-
len Transport” verboten hat. Einige verste-
cken sich in Innenhöfen und warten auf die
Nacht, um die unsichere Fahrt anzutreten.
Andere sind nur einige Monate in der Regi-
on, um ihr Glück in den Uranminen bei Arlit
zu versuchen.
Oberstleutnant Hamann kommt mit der
Regierungsbeamtin ins Gespräch. Man
arbeitet jetzt sehr konzentriert. Alle wei-
teren Anrufe werden abgewiesen. Ein
Tagesordnungspunkt jagt den anderen.
Es geht unter anderem um die Wartung
der gekauften Fahrzeuge, aber auch dar-
um, dass regelmäßig kontrolliert wird, dass
Nigers strahlender Schatz
Fund
Eigentlich suchten sie nach Kupfer: 1957
entdeckten französische Geologen gro-
ße Uranvorkommen am Südrand der
Sahara in Zentral-Niger. 1969 erhielt
der französische Staatskonzern Cogema
(heute Areva) Konzessionen für Minen,
von denen die erste 1971 den Betrieb
aufnahm. Dafür wurde die Stadt Arlit
gegründet
Boom
Niger ist heute der viertgrößte Uranpro-
duzent weltweit. Der nigrische Staat ist
zu je etwa einem Drittel an den beiden
Minen von Areva (SOMAIR und COMI-
NAK) beteiligt, zusätzlich erhält er Steu-
ern auf die Gewinne. Zeitweise trugen
die Einnahmen aus dem Uranbergbau
fünf Prozent zum Staatshaushalt Nigers
bei.
Crash
Seit dem Reaktorunglück von Fukushi-
ma im März 2011 ist der Weltmarktpreis
für Uran gefallen. Bei Verhandlungen
zur Verlängerung der Konzessionen ei-
nigten sich Areva und der nigrische Staat
2014 auf eine höhere Besteuerung. Au-
ßerdem versprachen die Franzosen, die
Straße nach Benin auszubessern.
Zukunft
Eine 2011 eröffnete weitere Mine bei
Arlit (SOMINA), die von chinesischen
Unternehmen gemeinsam mit Niger
betrieben wird, hat die Förderung auf-
grund von Finanzproblemen eingestellt.
Die Entwicklung der dritten Areva-Mine
Imouraren wurde angesichts des niedri-
gen Uranpreises vorerst verschoben.
alle Fahrzeuge vertragsgemäß eingesetzt
werden. Und es geht letztlich um die ge-
plante Anschaffung von zusätzlichen Was-
sertanklastern, eine Herzensangelegenheit
Hamanns.
 SICHERHEIT & P O LITI K 

Besonders an diesem Projekt zeigen sich
die Vorzüge einer ortskundigen Verbin-
dungsperson. Zwei Lkw hat die EU schon
gekauft: das neueste Modell eines franzö-
sischen Herstellers. Eigentlich prima Fahr-
zeuge – allerdings ist bereits jetzt absehbar,
dass aufgrund der extremen Witterungs-
bedingungen bald die Elektronik streiken
wird. Dann muss ein Spezialist eingeflogen
80 bis 95 Prozent der nigrischen
Bevölkerung bekennen sich zu
einem toleranten Islam. Niger ist
ein säkularer Staat; das bedeutet,
Staat und Religion sind durch die
Verfassung getrennt.
einem toleranten Islam. Hamann verab-
schiedet sich und geht zurück zu seinem
Dienstwagen. Er und Stabsfeldwebel
Andreas Unseld sind ein eingespieltes
Team. Unseld sorgt im Hintergrund dafür,
dass sein Chef entlastet wird und sich auf
seine Aufgaben konzentrieren kann. Ist der
Wagen im fahrbereiten Zustand? Ist genug
Wasser im Kofferraum? Ist der Weg erkun-
det, sind alle sicherheitsrelevanten Maß-
nahmen getroffen? Das sind die Details,
die den Unterschied zwischen Erfolg und
Misserfolg ausmachen. Diskret, besonnen
und vorausdenkend sind deswegen die he-
rausragenden Charaktereigenschaften des
Stabsfeldwebels.
gebracht werden. All das wird Hamann von
seinem Büro aus erledigen: einem klimati-
sierten Zweimalviermetercontainer mit ei-
nem ein mal ein Meter großen Arbeitstisch,
einem Laptop und einem Telefon. Das Büro
dient gleichzeitig als Unterkunft. Die Ba-
sis in Niamey ist ein Sonderfall, denn das
deutsche Kontingent ist praktisch zu Gast
auf dem französischen Militärstützpunkt.
Nicht nur die Sicherheit, sondern auch die
Logistik bis hin zur Verpflegung wird vom
französischen Militär organisiert. Dies wird
besonders beim Frühstück deutlich, wie
viele deutsche Soldaten anmerken: But-
tercroissants mit Marmelade statt Mett-
wurstbrötchen.

werden, um den Fehlercode auszulesen. In

so einem Fall stünden die Lkw erst einmal
für unbestimmte Zeit nicht mehr zur Verfü-
gung. Hamann bevorzugt deshalb einfache
solide Technik. „Wir mussten erkennen,
dass hier in Niger die Uhren anders ticken
als in Europa“, sagt er. In einem Land, in
dem die Temperaturen gut und gerne 50
Grad Celsius erreichen können, sind schnel-
le und unkomplizierte Lösungen gefragt.
„Dies ist eine wichtige Erkenntnis meiner
bisherigen Tätigkeit, denn pragmatische
Maßnahmen helfen, das gegenseitige Ver-
trauen aufzubauen“, erzählt der Oberst-
leutnant.
Diese Erfahrungen fließen in die nächsten
Projekte ein. Kurz vor seinem Besuch im
Ministerium hat Hamann die Unteroffizier-
schule in Agadez besichtigt. Das Unteroffi-
zierskorps wird zurzeit kräftig aufgestockt.
Im nächsten Jahr werden um die 200 Sol-
daten ausgebildet. Doch die Schule ist nur
für rund 50 Mann ausgelegt, sie platzt heu-
te schon aus allen Nähten. Es gibt eine ein-
zige Truppenküche, gegessen wird deshalb
in zwei Schichten. Es gibt einen Schlafsaal
mit circa 80 Betten, dazu kommen provi- Von der Bundeswehr übergebene Fahrzeuge
sorische Notunterkünfte. An Truppenkü-
che und Schlafsaal nagt der Zahn der Zeit. Nach einer knappen Stunde haben im Ver- Abgesehen von Früchten und Gemüse wird
Auch da muss eine schnelle, unbürokrati- teidigungsministerium in Niamey Rechnun- alles aus Frankreich eingeflogen. Sogar die
sche, aber nachhaltige Lösung gefunden gen in Höhe von rund fünf Millionen Euro gelbe Linoleumtischdecke in der Truppen-
werden. „Gemeinsam denken und ausfüh- den Besitzer gewechselt. Weitere zwei Mil- küche ist typisch für die südfranzösische
ren“ heißt die Devise Hamanns. Nur „wenn lionen Euro sind für die Wartung der Fahr- Provence und versucht vermutlich, eine
die nigrische Seite im Entscheidungs- und zeuge budgetiert. Jetzt geht die Arbeit für gewisse Urlaubsstimmung vorzugaukeln.
Ausführungsprozess miteinbezogen wird, Hamann weiter. Der Einsatz in Niger ist mit dem in Mali eng
kommen gute Lösungsansätze zum Zuge. Er fährt zum Sitz der Nationalgarde und verbunden. Nirgendwo sonst im Ausland
Deshalb ist jede gut überlegte Hilfegeste gleicht jede Rechnung mit der Seriennum- sind derzeit so viele deutsche Soldaten sta-
auch eine sehr sinnvolle Investition in die mer des dazugehörigen Pickups oder Mo- tioniert wie im westlichen Nachbarland des
Zukunft“, erklärt der Oberstleutnant. Im torrades ab. Außerdem muss er den Zu- Niger. Die Sicherheitslage ist angespannt.
Büro der Referatsleiterin dreht sich das Ge- stand der Fahrzeuge überprüfen. Abschlie- Deshalb müssen Verbindungen aufgebaut
spräch inzwischen um Alltägliches. ßend inspiziert er die Fortschritte beim Bau und Gespräche geführt werden. Auch in
Die nigrische Ministerialbeamtin und Ha- der Wartungswerkstatt. Niamey. So wird Tag für Tag ein kleines
mann unterhalten sich über den Fasten- Dann müssen Gesprächsprotokolle ge- Stück deutsche Sicherheitspolitik mitge-
monat Ramadan, der am nächsten Tag schrieben werden, eventuell noch eine staltet – an einem Ein-mal-ein-Meter-Tisch
beginnt. Zwischen 80 und 95 Prozent der Lagebeurteilung. Letztlich müssen die in einem Bürocontainer mit Bundesflagge,
nigrischen Bevölkerung bekennen sich zu Rechnungen auf den Weg zur Zahlstelle 4.500 Kilometer von Berlin entfernt. L

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 31

 Zwischen den Jahren
Wolfgang Labuhn

Nicht weniger als sieben Mandate für „Partei werden bei einem Staatszerfall CH-53-Nachfolgemodell, neues Sturm-
laufende Auslandseinsätze der Bundes- des Irak.“ Mit Blick auf den Konflikt gewehr und bewaffnungsfähige Drohne
wehr hat der Deutsche Bundestag auf zwischen der Zentralregierung und den lauten die wichtigsten Stichworte.
Antrag der geschäftsführenden Bun- Kurden forderte auch der Grüne Jürgen
desregierung am 12. und 13. Dezember Trittin, alles dafür zu tun, „die zentrifu- *
2017 um jeweils drei Monate verlän- galen Kräfte im Irak unter Kontrolle zu
gert. Danach soll die nächste Bundes- bringen, statt Separatisten militärisch zu Hingegen gibt es seit Mitte November
regierung über weitere Verlängerungen trainieren.“ einen ersten Entwurf für den neuen Tra-
befinden. Der Parforceritt durch die ditionserlass der Bundeswehr, in dem die
Einsatzlandschaft war nötig geworden, * Ergebnisse von vier Workshops zu diesem
um die Rechtsgrundlage für die um die Thema berücksichtigt wurden. Der Ent-
Jahreswende ausgelaufenen bzw. aus- Gern hätte der Bundestag auch über wurf schreibt in vielen Punkten die „Richt-
laufenden Einsätze zu erhalten. Unter den aktuellen Stand der „Agenda Rü- linien zum Traditionsverständnis und zur
ihnen befinden sich – abgesehen vom stung“ debattiert. Doch der zweite Traditionspflege in der Bundeswehr“ aus
Kosovo-Einsatz – alle großen Auslands- Halbjahresbericht des Verteidigungsmi- dem Jahre 1982 fort, verweist wie jene
missionen (Anti-IS-Einsatz „Counter Da- nisteriums zu Rüstungsangelegenheiten, u.a. auf die Werte des Grundgesetzes
esh“, MINUSMA/Mali, „Resolute Sup- der dem Parlament eigentlich bis zum und die Konzeption der „Inneren Füh-
port“/Afghanistan und die Mittelmeer- vergangenen Herbst vorliegen sollte, rung“ als Grundlage der Traditionspflege
Operation „Sea Guardian“). Umstritten war bis Anfang Dezember nicht über- des „Staatsbürgers in Uniform“, stellt aber
war dabei im Bundestag vor allem die geben worden. Begründet wurde dies auch unmissverständlich klar: „Zentraler
Fortsetzung der deutschen Bezugspunkt der Tradition der
(Foto: gruene-wedemark)

Beteiligung mit bis zu 1.200 Bundeswehr sind ihre eigene,

Soldatinnen und Soldaten lange Geschichte und die Leis-
am Kampf gegen die Terror- tungen ihrer Soldatinnen und
organisation IS mit vor allem Soldaten, zivilen Angehörigen
Aufklärungs- und Luftbe- sowie Reservistinnen und Re-
tankungsfähigkeiten. Der servisten.“ Wehrmacht und
Abgeordnete Jürgen Trittin NVA könnten keine Tradition
(Bündnis 90/Die Grünen) ver- begründen, entsprechende De-
misste ein UN-Mandat, das votionalien dürften nicht mehr
Deutschland für diesen mili- in Diensträumen auftauchen.
tärischen Einsatz ermächtige. Aber: „Historische Beispiele für
Die Partei Die Linke sprach gar zeitlos gültige soldatische Tu-
von einem „Rechtsbruch“. genden, etwa Tapferkeit, Rit-
Vertreter der Fraktionen, die terlichkeit, Anstand, Treue, Be-
die geschäftsführende Bun- scheidenheit, Kameradschaft,
desregierung unterstützen, Wahrhaftigkeit, Entschlussfreu-
hielten Deutschlands Beteili- Der Abgeordnete Jürgen Trittin vermisst ein de und gewissenhafte Pflicht-
gung am Anti-IS-Kampf auf UN-Mandat für den Kampf gegen den IS. erfüllung, aber auch Beispiele
der Grundlage mehrerer Re- für militärische Exzellenz (z.B.
solutionen des UN-Sicherheitsrates und mit dem noch nicht eingesetzten Vertei- herausragende Truppenführung) können
der Beistandsklausel des EU-Vertrages digungsausschuss des Bundestages. Ein in der Bundeswehr Anerkennung finden.“
hingegen für völkerrechtlich weiterhin vertraulicher Entwurf des Papiers, über Sie seien jedoch stets im historischen Kon-
legitimiert. Kritik löste auch die fortge- den die WELT am 6. Dezember 2017 text zu bewerten und nicht zu trennen
setzte Beteiligung der Bundeswehr „zur berichtete, lässt vermuten, weshalb das von den politischen Zielen, denen sie ge-
Ausbildungsunterstützung der Sicher- Ministerium es mit der Veröffentlichung dient hätten. Und: „Für die Bundeswehr,
heitskräfte der Regierung der Region des Dokuments nicht sonderlich eilig die freiheitlichen und demokratischen
Kurdistan-Irak und der irakischen Streit- hatte. Zwar sei „der Entscheidungsstau Zielsetzungen verpflichtet ist, kann nur
kräfte“ aus. Alexander Graf Lambsdorff bei den Rüstungsvorhaben ... überwun- ein soldatisches Selbstverständnis mit
(FDP) bewertete die Mission mit Blick den“ worden, zitiert das Blatt aus dem Wertebindung, das sich nicht allein auf
auf den Schutz der Jesiden und anderer Papier, doch fänden sich darin keine An- rein handwerkliches Können im Gefecht
Minderheiten als positiv. Ein Fehler sei gaben zu konkreten Rüstungsprojekten reduziert, sinn- und traditionsstiftend
jedoch die Lieferung deutscher Klein- der Bundeswehr und den dort erzielten sein.“ Auf das Potsdamer Zentrum für Mi-
waffen gewesen, deren Verbleib sich Fortschritten. Dabei ist die Liste der Pro- litärgeschichte und Sozialwissenschaften
in einem Land wie dem Irak nicht kon- jekte lang, deren Umsetzung seit Län- der Bundeswehr wartet mithin viel sinn-
trollieren lasse. Deutschland dürfe nicht gerem erwartet wird: MKS 180, TLVS, stiftende Arbeit.

32 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018

 B UND E S WEH R & S TR EITK R ÄF TE I NTER N ATI O N A L 

Neue sicherheitspolitische Heraus-

forderungen für die Marine
Rainer Brinkmann

Die sicherheitspolitische Lage hat sich in den letzten drei Dekaden zunehmend verschärft und insbesondere
die Marine vor neue Herausforderungen gestellt. Zuerst der Kalte Krieg mit seinen einfachen Grundrechen-
arten, nach seinem Ende die Hoffnungen auf eine Friedensdividende und eine gerechtere Weltordnung mit
weniger Militär, dann die Ernüchterung auf dem Balkan, dass der Mensch des Menschen Wolf geblieben ist,
dann 9/11 mit seiner Erkenntnis, dass staatliche Verwundbarkeit in einer sich globalisierenden Welt keine
Frage räumlicher Distanzen ist, dann die regionalen Eruptionen im Nahen Osten, in Vorderasien, am Horn
von Afrika oder im Maghreb, schließlich die Renaissance West-Östlicher-Rivalität, nukleare Ambitionen
scheinbar unantastbarer Kleinstaaten und ethnische Konflikte.

I n diesen Nebel der Un-

gewissheit erscheint es
ratsam, sich sicherheits-
politisch relevanter Kon-
stanten zu vergewissern.
bar – nicht ohne den
Seehandel, nicht ohne
die Erschließung des
maritimen Raumes als
Energie-, Rohstoff und
erste Ableitungen treffen für die konzepti-
onelle Ausrichtung der Marine.
Deutschland als extrem exportabhängige
Industrienation mit weltweiten Verflech-
tungen ist gezwungen, seine Sicherheit
Aus maritimer Sicht gelten Ressourcenspeicher. nicht nur regional, sondern auch global zu
folgende Grundtatsachen: Und dieser Bedeu- denken und zu organisieren. Das führen
Digitalisierung und Glo- tungszuwachs des uns die weltweiten Flüchtlingsströme, die
balisierung prägen unser maritimen Raumes längst Europa erreicht haben, täglich vor
Zeitalter, bedingen aber wird allein aufgrund Augen. Das Erfordernis, sich der Krisenbe-
gleichzeitig auch eine „Na- des rasanten Wachs- wältigung und Konfliktvorsorge weltweit
valisierung“. Wird Globali- tums der Weltbevölke- anzunehmen, ist unilateral nicht zu leisten.
sierung vor allem als Par- rung anhalten. Auch Daher sind Strategische Partnerschaften
tizipation an weltumspan- die neuen Erdenbür- und Bündnisse für uns ein Imperativ: „The
(Foto: Bundeswehr)

nenden Entwicklungen,
Warenströmen, Möglich-
keiten und Produkten
verstanden und durch die
Digitalisierung diese Partizipation techno-
logisch erst ermöglicht, dann manifestieren
sich beide vor allem in einer Navalisierung.
Denn die globalen Waren- und Handels-
ströme werden in der Masse auf und über
See abgewickelt.
Navalisierung aber erschöpft sich nicht im
Handel über See, denn Handel allein sichert
keine Lebensgrundlagen. Stellen wir uns
aber die Frage, wo überhaupt noch uner-
schlossene Lebensgrundlagen zu erschlie-
ßen sind, richtet sich der Blick einmal mehr
auf den maritimen Raum. Globalisierung ist
also ohne eine Navalisierung nicht vorstell-
Au to r
Vizeadmiral Rainer Brinkmann
ist Befehlshaber der Flotte und
Unterstützungskräfte im Marine-
kommando.
ger wollen konsumie-
ren, heizen, mobil sein
und an der globalisier-
ten Welt teilnehmen.
Die Exploration und Erschließung maritimer
Bodenschätze, Lebensgrundlagen und Res-
sourcen, die immer engmaschiger werden-
de maritime Infrastruktur im Zusammen-
hang mit Pipelines, Windparks, Strom- und
Kommunikationstrassen und neue Formen
maritimer Energiegewinnung machen
schon heute deutlich, dass die Erschließung
und Durchdringung des maritimen Raumes
signifikant zunimmt.
Ein weiterer Aspekt ist zu nennen. Die Ver-
steppung und Verkarstung der Kontinente
in Verbindung mit dem dort herrschenden
Wasser- und Ressourcenmangel nimmt
dramatisch zu. Die Menschen fliehen aus
den Tiefen der Kontinente und brechen zu
den Küsten auf, wo sich immer mehr Bevöl-
kerung und maritime Infrastruktur ballen
und von wo sie zu neuen, hoffnungsvol-
leren Ufern streben. Die Situation an der
nordafrikanischen Küste macht dies sehr
deutlich. Aus all diesen Faktoren lassen sich
best ships in a navy are the partnerships.“
Für uns muss es sicherheitspolitisch nicht
zuletzt darum gehen, Krisen dort zu ent-
schärfen, wo sie entstehen. Nur so verhin-
dern wir, dass sie von der Peripherie ins
Zentrum Europas zurückschlagen.
Dass gerade die Marine ein probates Mittel
ist, weltweit zur Sicherheitsvorsorge bei-
zutragen, hängt ganz wesentlich mit zwei
Eigentümlichkeiten des maritimen Raumes
zusammen:
Zum einen mit dem trennenden, zugleich
aber auch verbindenden, weltumspannen-
den Charakter der Hohen See, was einer-
seits Schutz, andererseits aber Wirkungs-
möglichkeiten über See bedeutet. Die
Hohe See bietet unendliche Möglichkeiten
der weltweiten Einflussnahme und der Ge-
staltung von Politik über die nassen Flanken
der Kontinente.
Zum zweiten beobachten wir ja gerade ei-
ne Bevölkerungskonzentration und Ballung
maritimer Infrastruktur im küstennahen
Raum. Und Krisen entstehen nun einmal
dort, wo Menschen leben, wo sie arbeiten,
wo sie Handel treiben, wo soziale Gegen-

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 33

  B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL
sätze ausbrechen und von wo sie in eine
neue Zukunft aufzubrechen suchen. Das
belegt eindrucksvoll die Situation rund ums
Mittelmeer.
Die globalen sicherheitspolitischen und
geostrategischen Entwicklungen aber of-
fenbaren auch, dass wir uns heute nicht
nur auf Konfliktvorsorge und Krisenma-
nagement, nicht nur auf humanitär oder
polizeilich geprägte Einsätze fokussieren
(Grafik: Bundeszentrale für Politische Bildung)
Die nassen Flanken Europas: im Norden Nord-, Ostsee und Atlantik,
im Süden das konfliktreiche Mittelmeer und das Schwarze Meer
dürfen. Die Erfahrungen mit der militärisch
hinterlegten Machtpolitik Russlands in un-
serer Nachbarschaft zeigen, dass zur Lan-
des- und Bündnisverteidigung auch wie-
der ganz klassische militärische Fähigkeiten
gefragt sind.
Auch Fragen der Landes- und Bündnisver-
teidigung zwingen dazu, sich intensiver mit
dem uns umgebenden maritimen Raum
zu befassen. Blicken wir aus dem europäi-
schen Haus, blicken wir in drei Richtungen
auf das Meer. Nirgends sind die Entfernun-
gen aus der Mitte eines Kontinentes zu den
nassen Flanken kürzer als in Europa. Unse-
re nasse Nordflanke fordert uns in einem
Konfliktfall militärisch allein schon wegen
dieser räumlichen Nähe, aber eben auch
wegen der Dichte und Ballung von Bevöl-
kerung und Infrastruktur, der ozeanogra-
fischen Bedingungen, der fragmentierten
Geografie und der Dynamik des dortigen
Geschehens. Unsere nasse Nordflanke wird
überdies zur Drehscheibe etwaiger Unter-
stützung unserer Partner im Baltikum.
Die Situation wird gewiss nicht einfacher,
wenn man sich vor Augen führt, dass das
uns bekannte Intensitätsspektrum von Ein-
sätzen gerade im küstennahen Raum um
34 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
ein weiteres Segment ergänzt ist: die hy-
bride Kriegführung. Wir müssen mit Kräf-
ten und Akteuren rechnen, die nicht mehr
eindeutig zuzuordnen, identifizierbar oder
lokalisierbar sind. Das Gefechtsfeld wird
noch dynamischer, noch gesättigter und
noch unüberschaubarer sein als es jemals
war.
Das zwingt zur engen Zusammenarbeit
mit Partnermarinen, aber auch mit allen
Behörden, Institutionen und Akteuren, die
Interessen in dem Raum haben oder dort
Aufgaben wahrnehmen. Nirgends wird
spürbarer als im küstennahen Raum, dass
sich die Grenzen zwischen innerer und äu-
ßerer Sicherheit zunehmend verwischen.
Erste Konsequenzen daraus sind gezogen
worden, man denke an das Maritime Si-
cherheitszentrum in Cuxhaven. Weitere
Schritte sind gewiss erforderlich.
Die Konzipierung und Organisation unserer
Sicherheitsarchitektur weltweit und regio-
nal ist vorrangig eine Aufgabe der Politik,
die Ausformung aber, gerade wenn Politik
einmal scheitert, auch eine zentrale Aufga-
be der Marine.
Prinzipien der zukünftigen
Marine
Daraus lassen sich sechs Prinzipien für die
konzeptionelle und technologische Aus-
richtung der Marine ableiten:
1. Wir bedürfen eines breitgefächerten,
ausgewogenen Fähigkeitsportfolios, das
uns die Teilhabe an allen Spielarten von
Seekriegsoperationen, aber auch von Kri-
sen- und Stabilisierungsoperationen er-
möglicht: wir müssen unter, auf und über
dem Wasser und auch vom Wasser aus
handlungsfähig sein und einen Beitrag zu
bündnisgemeinsamen Operationen leisten
können. Dabei reichen unsere Mittel nicht
aus, um spezifische Seekriegsmittel für das
operative Kontinuum von humanitären,
polizeilichen und militärischen Einsätzen
vorzuhalten. Die Fähigkeit zum High Inten-
sity War ist für die Auslegung unserer Ein-
heiten designbestimmend. Doch lehrt die
Erfahrung, dass es erforderlich ist, Erfor-
dernisse humanitärer oder polizeilicher Ein-
sätze mitzudenken. Raumvorhalte an Bord
neuer Schiffe, sanitäre, logistische und
medizinische Einrichtungen sowie Be- und
Entladungsmöglichkeiten wären hilfreich.
2. Unsere Rüstung muss wesentlich mo-
dularer und skalierbarer ausgeformt wer-
den. Wir erleben schon heute ein Maß an
Beanspruchung, das uns an die Grenzen
des Machbaren führt. Wegen begrenzter
Mittel und eines geschrumpften Fuhrparks
können nicht mehr alle Einsätze umfänglich
beschickt werden. Autarke Missionsmodu-
le, die aufwandsarm auf eigene oder auch
Partnereinheiten für spezielle Aufgaben
eingeschifft werden, würden uns Teilhabe
an Operationen im politischen Interesse
sichern und unsere eigene Flexibilität er-
höhen. Vorstellbar sind Missionsmodule
in den Bereichen der medizinischen Ver-
sorgung, der Aufklärung, der Logistik, der
Kommunikation, der Absicherung von Hä-
fen sowie der Verbringung von Kräften und
Gewahrsamnahme von Personen.
3. In der modernen Seekriegführung ist
nicht derjenige erfolgreich, der über die
schlagkräftigste Waffe verfügt, sondern
derjenige, der über die besten Informati-
onen verfügt und damit unverzüglich und
adäquat reagieren kann. Solcher Informati-
onen bedarf es auf unterschiedlichen Ebe-
nen: an Bord genauso wie in den Führungs-
zentren an Land. Daher müssen neue Lö-
sungen zur Gewinnung und Verarbeitung,
zum Austausch und zum Umgang mit In-
formationen geschaffen werden. Zunächst
müssen vorhandene Informationen über
und im maritimen Raum zu einem aussa-
gekräftigen Lagebild verdichtet werden. Es
gilt, diese Informationsverbünde sukzessive
zu integrieren und mit solchen anderer Ak-
teure wie Behörden, Forschungsinstituten,
der maritimen Industrie und der Schifffahrt
zu verknüpfen, rechtliche Fragen zu klären
und Zugriffsrechte zu definieren. Bei der
Verarbeitung der riesigen Datenfluten wird
es dann auch Künstlicher Intelligenz bedür-
fen, um Entwicklungen zu erkennen und
zu bewerten. Die Verknüpfung der vielen
regionalen und institutionellen Subsysteme
könnte die Grundlage für ein weltumspan-
nendes maritimes Lagebild bieten. Auch

die maritime Infrastruktur bietet vielfälti-
ge Möglichkeiten zur Informationsgewin-
nung. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann
Windparks, Pipelines, Unterwasserkabel
und andere Einrichtungen als Sensorträger
entdeckt werden.
Die Durchdringung und Erschließung des maritimen Raumes wird
zunehmend intensiver, hier: Wind-Park in der Nordsee.
4. Weltumspannende Kooperation mit
Partnern verlangt nach technologischer
Standardisierung sowie horizontaler und
vertikaler Kompatibilität. Multinationale
Kooperation verlangt nicht zur Zusam-
menarbeit mit technologisch fortschrittlich
(Foto: NATO)
ausgerüsteten Marinen und Akteuren, son-
dern auch die Zusammenarbeit mit weni-
ger anspruchsvoll bestückten Partnern.
5. Wir erleben immer wieder, dass über
den Ausgang und Erfolg militärischen En-
gagements nicht die höhere Kampfkraft,
die adäquatere Taktik oder die bessere Mo-
tivation der Soldaten entscheidet, sondern
die Medien und die medial beeinflusste
Öffentlichkeit. Es bedarf daher abseits ent-
sprechender Informationskampagnen über
das eigene Tun auch der in ihrer Wirkung
skalierbaren Präzisionswaffen, um Kolla-
teralschäden zu vermeiden, der umwelt-
schonenden Waffen- und Antriebstechno-
logien und letztlich auch der Technologien
zum Recording und Monitoring unseres
Handelns.
6. Digitalisierung beeinflusst alle Lebens-
bereiche unserer hochkomplexen Gesell-
schaften. Cyber-Angriffe auf Regierungen
und Kritische Infrastruktur, die Aushebung
des Botnet-Ringes Avalanche im Dezember
letzten Jahres, die Einflussnahme im ame-
rikanischen Wahlkampf und Hinweise auf
russische Entwicklungen an psychotroni-
B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL 
schen Waffen machen in Verbindung mit
Begriffen wie Industrie 4.0, Big Data und
Virtual Reality deutlich, dass die Science Fic-
tion zur Realität geworden ist. Diese Ent-
wicklungen lassen Formen eines Cyber War
und eines Krieges der Sterne erahnen und
(Foto: RWE)
nähren vielleicht auch die Erwartung, künf-
tig in Gänze auf kinetische Seekriegsmittel
verzichten zu können. Diese Auffassung
scheint dennoch abwegig. Der Cyber-Krieg
ist zwar eine neue Qualität und Dimension,
Multinationale Kooperation ist ein Markenzeichen der Deutschen
Marine, hier: ein NATO-Verband in der Ostsee.
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik
richtet sich vor allem aber auf die Beeinflus-
sung bzw. die Unterbrechung technischer
Funktionalitäten von Kontrahenten. Er wird
aber nicht den Humanbezug ersetzen kön-
nen, den jedes Handeln in Krieg und Krise
bedeutet.
Der Mensch in der Marine
Das leitet zu einem anderen Kontext über,
der für die Frage der technologischen Aus-
richtung unserer Marine immer mehr an
Bedeutung gewinnt. Und dieser Kontext
handelt von den Menschen, die in den
Streitkräften dienen. Nicht nur, dass das
Kriegshandwerk ein gefährlich und teu-
er Ding ist, auch die demografische Ent-
wicklung legt nahe, mit möglichst wenig
Personal auszukommen. Dieses Personal
aber ist nicht bar jeglichen Bezuges zur ge-
sellschaftlichen Wirklichkeit. Auch unsere
Soldaten möchten ihren individuellen Le-
bensentwurf leben, möchten Planbarkeit,
Sicherheit, Zeit für sich und doch auch das
Gefühl, gebraucht zu werden und Verant-
wortung zu tragen.
Wie muss daher das Arbeitsumfeld an
Bord unserer Schiffe oder Flugzeuge kon-
zipiert sein, wenn wir künftig nicht mehr
genügend Personal vor allem für den
technischen Betrieb haben? Dann muss
die Technik anders werden. Wir brauchen
technische Lösungen vor Ort, die einen
hohen Automations-, aber einen geringen
Komplexitätsgrad aufweisen, die beson-
ders störungs- und wartungsarm und mo-
dular aufgebaut sind, die mit wenig Perso-
35
 B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL
nal auskommen, die nicht Intelligenz vor
der Anlage verlangen, sondern hinter der
Bedienoberfläche bündeln und zu deren
Bedienung nicht viel mehr als der gesunde
Menschenverstand vonnöten ist.
Mit der Fregatte F125 beschreiten wir erst-
malig einen Weg, der diese Ideen vorzeich-
net. Weniger Personal könnte dazu verlei-
ten, die Lösung allein in Drohnentechnolo-
gie, autarken Schiffen oder unbemannten
Die Fregatte Klasse 125 ist vor allem in technologischer Sicht zukunfts-
weisend: die F125 „Baden-Württemberg“ bei der Seeerprobung.
Systemen zu suchen. Ob solche Technolo-
gien tatsächlich mit weniger Personal be-
treibbar sind, ist zweifelhaft. Tatsache aber
ist, dass derartige Systeme durchaus Vor-
teile haben und deswegen einen wichtigen
Platz im künftigen Instrumentenkoffer ein-
nehmen werden: Die Gefährdung von Per-
sonal ist reduziert, Nutzraum, Nutzlast und
Reichweite vergrößern sich, weil auf perso-
nellen Bedarf keine Rücksicht genommen
werden muss, und die Miniaturisierung von
Systemen wird begünstigt.
Diese skizzierten Lösungen haben weitrei-
chende Folgen auch für Ausbildung und
Betrieb der Flotte. Die Marine kann es sich
kaum mehr leisten, die sehr spezifischen
Qualifikationen der Besatzungsangehöri-
gen durch eine sehr aufwändige und diver-
sifizierte Lehrgangslandschaft auszubilden.
Im Ergebnis wird dies dazu führen, dass
Bordpersonal wesentlich querschnittlicher
qualifiziert und ausgebildet werden wird.
Wie aber machen wir dann die notwendige
Expertise an Bord verfügbar, wenn Störun-
gen eingetreten oder Schäden zu beheben
sind? Verschiedene Lösungen sind vorstell-
bar: Virtual oder Mixed Reality-Brillen kön-
36 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
nen Handlungsanweisungen abbilden, um
auch Störungsbeseitigungen an komple-
xen Anlagen vorzunehmen; Tele-Technik
und Tele-Maintenance wären Optionen,
Experten an Land im Sinne eines Reach
Back-Verfahrens in das Geschehen an Bord
einzubeziehen.
Auch zur querschnittlicheren Qualifizie-
rung unseres Personals werden neue Wege
beschritten werden müssen: Fernlernen,
(Foto: BAAINBw)
Computerunterstütze Ausbildung und
Simulation in Verbindung mit der Vernet-
zung von Einheiten und Einrichtungen sind
Schlagworte, die den Weg in eine neue
Ausbildungszukunft illustrieren. Dieser Weg
wurde teilweise bereits mit den Einsatzaus-
bildungszentren und dem Systemverbund
TAUES (Test- und Ausbildungsunterstüt-
zung für Einsatzsysteme) eingeschlagen.
Die traditionelle Ausbildung mit einer kom-
plexen Schullandschaft, einer sehr diversi-
fizierten lehrgangsgebundenen Individual-
ausbildung und einer ressourcenintensiven
seebasierten Einsatzausbildung wird sich die
Marine jedenfalls nicht mehr leisten können.
Ein weiteres Handlungsfeld ist der Betrieb
der Flotte. Abseits aller organisatorischen,
prozeduralen und strukturellen Überlegun-
gen wie Performance Based Maintenance
oder militärisch-industriell integrierte Be-
treuungsorganisationen, die das Instand-
haltungsmanagement optimieren sollen,
sind auch technologische Optionen und
Wege denkbar. Aus einer Vielzahl von Fak-
toren, die von Relevanz für die materielle
Einsatzbereitschaft der Flotte sind und die
das Instandhaltungsmanagement beein-
trächtigen sind beispielhaft vier zu nennen:
die unzureichende Ersatzteilsituation, die
schiffbaulichen Schäden, die unterschiedli-
chen Instandhaltungs- und Innovationszy-
klen zwischen Plattform- und Systemtech-
nik und die überbordende Diversivität der
Führungs- und Waffeneinsatzsysteme ein-
gedenk der notwendigen Softwarepflege
und -änderung.
Möglicherweise könnten z.B. 3D-Drucker
mit entsprechenden Materialien eine un-
zureichende Ersatzteilbevorratung redu-
zieren.
Um zur Entdeckung schiffbaulicher Schä-
den nicht erst das halbe Schiff auseinander-
schrauben zu müssen, ist an neuralgischen
Punkten eine den schiffbaulichen Zustand
überwachende Sensorik notwendig. Min-
destens architektonisch sollte vorgesehen
werden, den Zugang zur Kontrolle neural-
gischer Punkte zu vereinfachen.
Die asynchrone Lebensdauer von Platt-
formtechnik und Systemtechnik und un-
terschiedliche Innovationszyklen verlan-
gen nach modularen Systemen, die ohne
Aufwand auch neu eingerüstet werden
können. Schiffbaulich muss für einen sol-
chen modularen Aufbau Sorge getragen
werden.
Schließlich existieren in der Flotte inzwi-
schen ebenso viele Führungs- und Waf-
feneinsatzsysteme wie Schiffe, was die
Marine außerordentlich schmerzt. Es ist
erforderlich, wieder eigene Kompetenzen
aufzubauen, um selbst die Systemphiloso-
phien definieren zu können. Die vorhan-
dene Diversität muss einer Kommunalität
weichen, um Komponenten versorgbar,
betreibbar und handhabbar zu machen.
Die sicherheitspolitischen Herausforde-
rungen in Verbindung mit der technologi-
schen Revolution des Digitalzeitalters und
den innerbetrieblichen und personellen
Bedingungen rufen nach neuen Lösungen
für unsere Flotte. Von der Marine verlangt
dies einen breitbandigen, modular zu-
sammengesetzten und skalierbaren Ins-
trumentenkoffer, verlangt neue Ansätze
in Ausbildung und Betrieb, verlangt nach
technologischer Innovation und verlangt in
jeder Hinsicht nach Flexibilität und Agilität.
Wir leben in einer sich rasant entwickeln-
den Welt. Die Geschwindigkeit, Komplexi-
tät und Dynamik des Geschehens um uns
herum macht uns frösteln. Die Geschwin-
digkeit von Fortschritt scheint uns zu über-
fordern, die Kluft zwischen uns und der
sich weiterentwickelnden Zukunft wird ste-
tig größer. Deswegen klammern wir uns
so gern an Bewährtes, an alte Rezepte und
Schablonen. Die aber vertragen sich nicht
mit Zukunft. Anerkennen wir also, dass wir
nicht gegen die Zukunft, sondern für die
Zukunft arbeiten müssen. L
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Finnlands Verteidigung –
heute und in Zukunft
(Fotos: Finnische Verteidigungskräfte)

Jarmo Lindberg

In diesem Jahr feiert Finnland den hundertsten Jahrestag seiner Unab-

hängigkeit. Die finnischen Verteidigungskräfte waren im Laufe ihrer Ge-
schichte ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft, sowohl in Friedens- als
auch in Kriegszeiten. Noch heute genießt die militärische nationale Ver-
teidigung die starke Unterstützung des finnischen Volkes. In der jüngs-
ten Umfrage Ende letzten Jahres sind mehr als 70 Prozent der Finnen
der Meinung, dass Finnland jederzeit bewaffnet verteidigt werden sollte.

haben. Russland hat neue Waffensysteme Gegner umfassender und unerwarteter zu

in die Nähe unserer Grenzen verlegt und beeinflussen als mit konventionellen mili-
Chief of Defence Finland, General seine Truppen im westlichen Militärbezirk tärischen Mitteln. Zum Beispiel kann ein
Jarmo Lindberg verstärkt. Auch die NATO hat die Vertei- Cyber-Angriff schnell mehrere kritische

F
innland war eines der wenigen euro-
päischen Länder, das nach dem Ende
des Kalten Krieges die Prinzipien der
Gesamtverteidigung (total defence), eine
breite Reserve und die allgemeine Wehr-
pflicht nicht aufgab. In letzter Zeit zeigt die
verschlechterte Sicherheitslage in Europa,
dass das vernünftig war.
Der von der finnischen Regierung im Feb-
ruar 2017 veröffentlichte Verteidigungsbe-
richt enthält klare Leitlinien für die Verwen-
dung von unserer Verteidigungsfähigkeit
und deren Fortentwicklung bis weit in die
2020er Jahre. Der Verteidigungsbericht be-
wertet das militärische Operationsumfeld,
beschreibt den aktuellen Stand unserer
Verteidigung und skizziert die Zukunft un-
serer Verteidigungsfähigkeit.
digung Osteuropas und des Ostseeraums
gestärkt, indem sie dauerhaft Truppen
und Systeme in der Region stationiert hat.
Finnlands Nachbarn haben auf die Verän-
derungen im Sicherheitsumfeld reagiert,
indem sie die Bereitschaft ihrer Streitkräfte
verbessert, Beschaffungsentscheidungen
getroffen und Mittel für ihre Streitkräfte
aufgestockt haben.
Neben der Zunahme traditioneller Land-,
See- und Luftoperationen sind auch Infor-
mationssysteme – die Cyber-Dimension –
zu einer Domäne der Kriegführung gewor-
den. Informationsnetze und deren Daten
sind zu einem Mittel geworden, um einen
Funktionen einer Gesellschaft gleichzeitig
lahmlegen. Traditionelle und neue Metho-
den der Kriegführung können auch auf
sehr verschiedene Arten miteinander kom-
biniert werden.
Heute überschneiden sich äußere und inne-
re Sicherheit und können nicht mehr von-
einander getrennt betrachtet werden. Man
kann sich nicht gegen multidimensionale
Bedrohungen verteidigen, indem man sich
nur auf eine einzige Ressource oder einen
Akteur stützt. Eine umfassendere Zusam-
menarbeit zwischen verschiedenen Behör-
den, Organisationen und der Wirtschaft ist
erforderlich, um auf Bedrohungen zu re-

Finnlands Sicherheitsumfeld
und die sich wandelnde Art
der Bedrohung
In den letzten Jahren ist das finnische Sicher-
heitsumfeld instabiler und unberechenba-
rer geworden, während die militärischen
Aktivitäten in unseren Nachbargebieten im
Vergleich zu der Situation vor einem hal-
ben Jahrzehnt beträchtlich zugenommen

Au to r
General Jarmo Lindberg ist seit dem
1. August 2014 Oberbefehlshaber der
finnischen Verteidigungskräfte.
Die finnischen Verteidigungskräfte wollen ihre Einsatzbereitschaft er-
höhen. Die ersten Abteilungen der Bereitschaftseinheiten haben ihre
Einsatzfähigkeit erreicht.

38 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018


agieren. Das finnische Modell umfassender
Sicherheit, bei dem die Bereitschaft und die
Zusammenarbeit der Behörden klar gere-
gelt und die Interoperabilität regelmäßig
geübt wird, schafft eine solide Grundlage,
um auch auf diese Art von Bedrohungen
zu reagieren.
Der Verteidigungsbericht
macht klare Vorgaben für die
militärische Landesverteidi-
gung
Wie im Verteidigungsbericht ausgeführt,
werden sich die zentralen Grundsätze un-
serer Verteidigung nicht ändern. Basis un-
serer Verteidigung bleibt unser finnisches
Modell, das auf unseren Verhältnissen
und Bedürfnissen fußt und die Prinzipien
und die Verwirklichung der Verteidigung
Finnlands veranschaulicht. Die Grundlage
unserer Verteidigung beruht auf unseren
bekannten Entscheidungen: allgemeine
Wehrpflicht, keine Zugehörigkeit zu einem
militärischen Bündnis und eine glaubwür-
dige Verteidigungsfähigkeit, die unser ge-
samtes Territorium abdeckt. Hinter unseren
Entscheidungen steht der starke Wille un-
serer Bürger, ihr Land zu verteidigen.
Die militärische Landesverteidigung ist Teil
der vitalen Funktionen für die umfassen-
de Sicherheit Finnlands, neben u.a. denen
für die öffentliche Ordnung, für die Ver-
sorgung und die Funktionsfähigkeit der
Bevölkerung sowie für die Staatsführung.
Die Verteidigung Finnlands beruht auf der
Fähigkeit zur Land-, See- und Luftvertei-
digung, die dem Operationsumfeld ange-
messen ist, und auf streitkräftegemeinsa-
men Fähigkeiten, aber auch auf der Vor-
bereitung, internationale Unterstützung
aufzunehmen.
Um militärische Krisen verhindern und
wenn notwendig Angriffe abwehren zu
können, brauchen wir sowohl „Speerspit-
zenfähigkeiten“ auf Basis moderner Tech-
nik als auch eine breite Reserve. Schnelle
Einsatzkräfte aus allen drei Teilstreitkräften
in hoher Bereitschaft mit effektiven und
modernen Systemen sollen in erster Linie
verhindern, daß eine Krisensituation zu ei-
nem bewaffneten Angriff gegen Finnland
eskaliert. Wenn erforderlich, können die
schnellen Einsatzkräfte einen ersten Schlag
gegen Finnland abwehren. Die Fähigkeit,
großangelegte Angriffe parieren zu kön-
nen, leisten Territorialkräfte, die auf unserer
großen Reserve fußen und mit geeignetem
Material ausgestattet sind.
Bisher hatten die Verteidigungskräfte drei
Hauptaufgaben: die militärische Verteidi-
gung Finnlands, die Unterstützung anderer
Behörden und Dienststellen und die Betei-
ligung am internationalen militärischen
B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL 
Die Teilnahme an internationaler Hilfe ist die neueste Aufgabe für die
finnischen Verteidigungskräfte. Sie ermöglicht Finnland, internationa-
le Militärhilfe zu gewähren und zu erhalten, die auf der Grundlage der
Solidaritätsklausel der EU oder der Amtshilfeklausel angefordert wird.
Abgebildet sind finnische und schwedische Marineschiffe auf See.
Krisenmanagement. Im Juli 2017 erhielten Bürger an der Verteidigung Finnlands bei.
wir eine zusätzliche Aufgabe. Vereinfacht Vier von fünf Finnen unterstützen die Auf-
lautet diese Aufgabe „Beteiligung an in- rechterhaltung des aktuellen Einberufungs-
ternationaler Hilfe.“ Auf Grundlage der systems. Die allgemeine Wehrpflicht bietet
Klauseln für Solidarität und gegenseitige dem Militär auch einen ausgezeichneten
Unterstützung, die für alle Mitgliedstaaten Rekrutierungspool. In diesem Jahr hatte
der Europäischen Union verbindlich sind, das Ausbildungsprogramm der Landes-
kann Finnland durch diese neue Aufgabe verteidigungsakademie für Offiziere eine
anderen Staaten Unterstützung gewähren. Rekordzahl von Bewerbern, ebenso wie der
Im Gegenzug kann Finnland durch die Än- freiwillige Militärdienst für Frauen.
derung der Gesetzgebung für diese neue
Aufgabe auch internationale militärische Fähigkeiten entwickeln
Unterstützung erhalten.
Ich möchte die Bedeutung der allgemeinen Der neue Verteidigungsbericht ist sich dar-
Wehrpflicht für die Landesverteidigung über im Klaren, dass die Verteidigungskräf-
Finnlands betonen. Unter den Bedingun- te Neues entwickeln, aber auch Altes erhal-
gen Finnlands hat sich die Wehrpflicht als ten und ersetzen müssen. Schwerpunkte
kostengünstigste Lösung erwiesen, um die beim Ausbau unserer Verteidigungsfähig-
Verteidigungsfähigkeit in Friedens- und keit sind die Einsatzbereitschaft, der Ersatz
in Kriegszeiten aufrechtzuerhalten. Die veralteter Fähigkeiten sowie Aufklärung
Wehrpflicht ermöglicht uns, Kriegstruppen und Nachrichtengewinnung, Cyber-Vertei-
aufzustellen und zu unterhalten, von de- digung und Präzisionswaffen. Unser Vertei-
nen fast 97 Prozent Reservisten sind. Die digungssystem wird so ausgebaut werden,
allgemeine Wehrpflicht bindet die Vertei- dass keine praktischen Hindernisse für eine
digungskräfte an unsere Gesellschaft und mögliche Mitgliedschaft in einem Militär-
trägt wesentlich zum Interesse unserer bündnis entstehen.
Trotz der Veränderung im Operations-
umfeld ist Finnland derzeit keiner unmit-
Allgemeine Wehrpflicht telbaren militärischen Bedrohung ausge-
in Finnland setzt. Mehrdimensionale Bedrohungen,
Die allgemeine Wehrpflicht in Finnland die schnell und unerwartet auftreten und
beträgt entweder sechs, neun oder schwerwiegende Konsequenzen haben
zwölf Monate, genauer 165, 255 oder können, machen es jedoch notwendig,
347 Tage. Reserveoffiziere, Unterof- unsere Einsatzbereitschaft auszubauen
fiziere oder Soldaten mit Tätigkeiten, und flexibel dem Bedarf anzupassen. Bis-
die außergewöhnliche Kenntnisse her haben Luftstreitkräfte und Marine un-
erfordern, dienen ein Jahr. Soldaten sere territoriale Integrität überwacht und
auf Dienstposten mit besondere Fä- geschützt. In der gegenwärtigen Situation
higkeitsanforderungen dienen neun verbessern wir die Einsatzbereitschaft von
Monate, der Rest sechs Monate. Luftstreitkräften und Marine. In den Land-
streitkräften macht sich diese Änderung
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 39
deutlich stärker bemerkbar, da wir diese
Teilstreitkraft, die sich zuvor hauptsächlich
auf Training konzentrierte, gezielt in eine
Bereitschafts- und Ausbildungsorgani-
sation umwandeln. Dies beinhaltet zum
Beispiel den Aufbau und die Ausbildung
neuer Truppenteile mit höherer Einsatzbe-
reitschaft. Wir werden auch den Vertei-
digungsumfang unserer Streitkräfte von
230.000 auf 280.000 Soldaten erhöhen,
in Übereinstimmung mit den im Verteidi-
gungsbericht gegebenen Richtlinien.
Unsere Verteidigungsfähigkeiten werden
langfristig ausgebaut. Begrenzte finanzielle
Ressourcen verhindern jedoch den gleich-
zeitigen Ausbau aller Fähigkeiten. Deshalb
muss die Beschaffung der größten und
wichtigsten Systeme in einem langfristigen
Zeitrahmen zwischen den verschiedenen
Teilstreitkräften geregelt und priorisiert
Die Haubitze K9 auf Selbstfahrlafette steht für die neueste Verbesserung
der indirekten Feuerunterstützung finnischer Verteidigungskräfte
werden. Das Ziel ist eine ausgewogene
Gesamtfähigkeit.
In diesem Jahrzehnt lag der Schwerpunkt
der Entwicklung auf den Landstreitkräf-
ten. Die Landstreitkräfte werden in Trup-
penteilen entwickelt, deren Ausrüstung
und Fähigkeiten von einem Jahrzehnt zum
nächsten kontinuierlich weiterentwickelt
werden. Die wichtigsten Fähigkeitsprojek-
te der Landstreitkräfte sind zum Beispiel
die Ausrüstung der neuen Truppen des
Verteidigungsumfangs sowie u.a. die
Verbesserung der Mobilität der Landstreit-
kräfte, ihrer schnellen Reaktionsfähigkeit,
der Feuerkraft und der Kampftruppen. Die
aktuelle Weiterentwicklung unseres Artil-
leriesystems, eines der größten in Europa,
zeigt sich in diesem Jahr am Kauf der selbst-
fahrenden Haubitze K9 aus Südkorea.
Durch systematische Entwicklung sichern
wir die Fähigkeit der Landstreitkräfte,
auch in den 2020er Jahren ihre Aufgabe
zu erfüllen. Und die Weiterentwicklung
wird auch in Zukunft fortgesetzt. Das Ge-
40 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
Die wichtigsten Entwicklungsprogramme der finnischen Verteidigungs-
kräfte zu Beginn des nächsten Jahrzehnts sind der Ersatz unserer F/A-18
Hornet-Kampfflugzeuge und des Squadron 2020-Marineprogramms.
samtvolumen der für die Landstreitkräfte
im kommenden Jahrzehnt geplanten An-
schaffungen ist fast dreimal so groß wie
das „Squadron 2020-Projekt“ der Marine.
Auf der anderen Seite spiegelt sich die Ent-
wicklung von Marine und Luftstreitkräften
in der Beschaffung von Systemen wie Schif-
fen und Flugzeugen wider. Die Hauptsyste-
me der Marine und Luftstreitkräfte wer-
den in den 2020er Jahren fast gleichzeitig
außer Dienst gestellt. Für unsere Verteidi-
gung sind die Beschaffungen von Schiffen
und Kampfflugzeugen, die zu Beginn des
nächsten Jahrzehnts die auszuphasenden
Fähigkeiten ersetzen werden, sehr wichti-
ge strategische Projekte. Das „Squadron
2020“ der Marine wird sieben Schiffe am
Ende ihrer Nutzungsdauer ersetzen. Dieses
Projekt ist eine Vorbedingung für die Ge-
währleistung maritimer Verteidigungsauf-
gaben ab Mitte des nächsten Jahrzehnts.
Mit Mehrrollen-Kampfflugzeugen als Er-
satz für unsere F/A-18 Hornets können wir
unseren gesamten Luftraum verteidigen
und unsere präemptive Verteidigungsfä-
higkeit auch in Zukunft beibehalten.
Die Umsetzung der Richtlinien des Ver-
teidigungsberichts verlangt ausreichende
Ressourcen. Zur Umsetzung der Richtlini-
en nennt der Bericht drei eng miteinander
verbundene Finanzierungsinstrumente, die
sich auf Einsatzbereitschaft, strategische
Projekte und Beschaffungen beziehen.
Weitere 50 Mio. Euro wurden für die Er-
höhung der Einsatzbereitschaft bereitge-
stellt und stellen somit sicher, dass wir in
der Lage sind, kontinuierlich auf militäri-
sche Bedrohungen jeder Art zu reagieren.
Die finanziellen Mittel, die für strategische
Projekte benötigt werden, können nicht
aus dem Materialbudget der Streitkräfte
zugewiesen werden, ohne den Zusam-
menbruch eines Gesamtgefüges wie un-
seres derzeitigen Verteidigungssystems zu
verursachen. Aus diesem Grund müssen
strategische Projekte mit separaten Res-
sourcen finanziert werden, und diesbezüg-
liche Entscheidungen sind auch auf natio-
naler Ebene sehr wichtig. Darüber hinaus
gewährleisten zusätzliche Mittel von 150
Millionen Euro für Anschaffungen ab 2021
die Weiterentwicklung der Fähigkeiten der
Landstreitkräfte, sowie der gemeinsamen
Fähigkeiten aller Teilstreitkräfte.
Internationale Verteidigungs-
zusammenarbeit ist wichtig
für die Verteidigungsfähig-
keit Finnlands
Obwohl Finnland keinem Militärbündnis
angehört und daher nicht auf externe Hil-
fe zählen kann, spielt die Verteidigungs-
zusammenarbeit eine wichtige Rolle für
die Verteidigung unseres Landes. Durch
die Verteidigungskooperation sichern wir
unsere Interoperabilität und damit unsere
Fähigkeit, internationale Unterstützung mit
unserem eigenen Verteidigungssystem zu
verknüpfen.
Finnland leistet sowohl bilaterale als auch
multilaterale Verteidigungszusammen-
arbeit. Die verschiedenen Varianten von
Kooperation stehen nicht in Konkurrenz
zueinander. Jede Kooperation hat ihren
eigenen Zweck und Ort.
Es ist wichtig, dass Europa seine Sicherheit
gewährleisten kann. Dafür sind alle Mit-
gliedstaaten verantwortlich. Finnland en-
gagiert sich für die Weiterentwicklung der
Verteidigungszusammenarbeit der Union
und unterstützt unter anderem die Ent-
 B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL 

Mitglieder der finnischen Verteidigungskräfte, des Grenzschutzes und Finnland beteiligt sich mit über
der Polizei in enger Zusammenarbeit während einer Übung: Das finni- 300 Soldaten bei UNIFIL. Sie sind
sche Modell umfassender Sicherheit, bei dem die Bereitschaft und sowohl im irisch-finnischen Ba-
Zusammenarbeit der Behörden klar geregelt ist und die Interoperabilität taillon als auch im französisch
regelmäßig geübt wird, schafft die Grundlage für die Reaktion auf geführten Reservebataillon des
moderne Bedrohungen. Kommmandeurs eingesetzt.

wicklung der ständigen strukturierten Zu-
sammenarbeit (PESCO) der Union. Hierbei
ist es wichtig, sowohl die Ziele der Union als
auch die Bedürfnisse der Mitgliedstaaten
zu berücksichtigen.
Finnland fördert das NATO-Programm
„Enhanced Opportunities Partners“ und
die Intensivierung der Zusammenarbeit
mit der NATO, Finnland und Schweden
(29 + 2). Finnland hält sich auch die Mög-
lichkeit einer NATO-Mitgliedschaft offen.
Die nordische Verteidigungskooperation
(NORDEFCO) setzt unter anderem auf Zu-
sammenarbeit in den Bereichen Situations-
bewusstsein/Lageerkenntnisse, Übungen
und Ausbildung.
Schweden nimmt in Finnlands bilateraler
Verteidigungszusammenarbeit eine Son-
derstellung ein. Deren Ziel ist es, die ge-
meinsame Landesverteidigung sowie die
Sicherheit in der Ostseeregion zu stärken.
Die Vereinigten Staaten sind auch ein wich-
tiger Partner für Finnland. Hier handelt es
sich bei der Verteidigungskooperation vor
allem um die Zusammenarbeit bei Material
und Übung.
Die Verteidigungszusammenarbeit unserer
Truppen manifestiert sich am konkretesten
bei Operationen zur Krisenbewältigung
und internationalen Übungen. Zum jetzigen
Zeitpunkt beteiligen sich über 500 finnische
Soldaten, zumeist Reservisten, an der Frie-
denssicherung in insgesamt elf militärischen
Kriseneinsätzen. Darüber hinaus stehen
rund 160 Soldaten in Einheiten, die für Kri-
senmanagement der NATO bestimmt sind,
für Krisenmanagementaufgaben bereit.
Die Gründe für unsere Teilnahme an der
militärischen Krisenbewältigung liegen
auf der Hand. Sie sind Teil der finnischen
Außen- und Sicherheitspolitik und der in-
ternationalen Zusammenarbeit. Auf der
anderen Seite bieten uns Krisenmanage-
ment-Operationen auch die Möglichkeit,
unsere nationale Verteidigungsfähigkeit
zu verbessern. In Operationen sammeln
unsere Soldaten und Reservisten Erfah-
rungen unter anspruchsvollen, fordern-
den Bedingungen und auf vielen Füh-
rungsebenen. Gleichzeitig sammeln wir
auch Erfahrungen in der Nutzung unserer
Ausrüstung unter Einsatzbedingungen vor
Ort.
Finnlands Verteidigungs-
fähigkeit und -bereitschaft
entspricht dem Sicherheits-
Finnland hat sich sowohl an der NATO-
umfeld geführten ISAF-Mission als auch an der
Die Sicherheitslage in den Nachbargebie- RSM-Mission in Afghanistan beteiligt.
ten Finnlands hat sich verschlechtert. Die Das Bild zeigt finnische Soldaten auf
militärischen Spannungen in der Ostsee- Patrouille in Nordafghanistan.
region sind gestiegen und die Unsicherheit
hat sich auch weiter entfernt erhöht. Das Lage sind, auch in Zukunft auf mögliche
bedeutet nicht, dass wir erwarten, dass der militärische Bedrohungen Finnlands in
Krieg ausbricht, sondern dass wir vorbe- jedweder Sicherheitslage sowie auf Ände-
reitet sein müssen, wenn militärische Ge- rungen in der Kriegführung zu reagieren.
walt gegen Finnland eingesetzt wird oder Der Sinn unserer Aktionen besteht in erster
wenn wir damit bedroht werden. Sicherzu - Linie darin, zu verhindern, dass Drohungen
stellen, dass unsere Verteidigung stark ist, zu militärischen Konflikten führen.
ist kein Säbelrasseln. Es ist unsere Pflicht Der Verteidigungsbericht wurde dieses Jahr
und ein stabilisierender Faktor für unser Si- veröffentlicht, und die Leitlinien geben den
cherheitsumfeld. Unsere Botschaft ist klar: Verteidigungskräften eine klare Richtung
Finnland verfügt über eine Verteidigungs- für die Zukunft. Ausreichende Ressourcen
fähigkeit und -bereitschaft, die dem Sicher- sind Voraussetzung für die Umsetzung die-
heitsumfeld angemessen ist. ser Leitlinien und damit für die Aufrechter-
Unsere Maßnahmen zur Erhöhung unse- haltung unserer Verteidigungsfähigkeit im
rer Bereitschaft garantieren, dass wir in der nächsten Jahrzehnt. L

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 41

 B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL
Die Ausrüstungsplanung des
Deutschen Heeres
Lage und Ausblick
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Die enge Bindung der Streitkräfte an das deutsche Parlament
ist ein besonderes Merkmal der Bundeswehr. Das Parlament entscheidet über die Auslandseinsätze, das
Budget und wichtige Ausrüstungen. Das Parlament und die Bundeswehr gehen Hand in Hand.
V or dem Hintergrund der Verschär-
fung des Ost-West-Konfliktes hat
der 2. Deutsche Bundestag (1953
bis 1957) früh Verantwortung für die Si-
cherheit der jungen Republik übernom-
men und 1954 die Einführung militärischer
Strukturen in die Bundesrepublik Deutsch-
land sowie den NATO-Beitritt beschlossen.
Keine zwei Jahre später, am 20. Januar
1956, begrüßte Bundeskanzler Konrad
Adenauer die ersten Soldaten des Deut-
schen Heeres. Anschließend stellte sich das
Deutsche Heer der großen Aufgabe binnen
drei Jahren zwölf Heeresdivisionen für die
NATO personell und materiell aufzustellen.
Am 24. September 2017, über 60 Jahre
später, wurde der neue 19. Deutsche Bun-
destag gewählt. Auch er trägt vor dem
Hintergrund der Ereignisse 2014 in der
Ukraine und der sich schnell verändernden
weltweiten Sicherheitslage eine besondere
Verantwortung für die Sicherheit der Bun-
Au to r
Oberstleutnant i.G. Eduard
Schnabel ist Referent im Stab
Kommando Heer.
42 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
Eduard Schnabel
desrepublik Deutschland und zusätzlich für
seine Bündnispartner. Für diese besondere
Aufgabe muss der neue Deutsche Bundes-
tag ähnlich wie in den Jahren 1953 bis 1957
die nötigen Vorrausetzungen schaffen, da-
mit „seine Parlamentsarmee“ die Ausrüs-
tung erhält, die sie braucht.
(Foto: Bundeswehr)
Mit diesen Grundlagen können die Bun-
deswehr und das Deutsche Heer nach den
25-jährigen stetigen Kürzungen und Stre-
ckungen bei den Verteidigungsausgaben
– mit weitreichenden Folgen für die mate-
rielle Ausstattung – die weltweiten Einsätze
und im Besonderen die Schwerpunktauf-
gabe der Bündnis- und Landesverteidigung
erfüllen.
Der Inspekteur des Heeres, Generalleut-
nant Jörg Vollmer, betont in seinem Vor-
wort, dass das Deutsche Heer als erste Rah-
mennation einen Verband im Rahmen von
enhanced Forward Presence nach Litauen
verlegt hat und eine erste Ablösung durch
ein Folgekontingent vor Kurzem erfolgte.
Kernauftrag dieser Kräfte im Baltikum ist
eine glaubhafte Abschreckung. Dieses ist
„nur möglich, wenn Streitkräfte gut aus-
gebildet und ausgestattet sind und dieses
auch nach außen sichtbar demonstriert
wird.“
Um die Voraussetzungen zu erfüllen, ha-
ben der Deutsche Bundestag und das
Bundesministerium der Verteidigung die
Trendwende Finanzen (damit wurde nach
langer Zeit die stetig fallende Finanzlinie bei
den Verteidigungsausgaben gestoppt), die
Trendwende Material (damit wurden wich-
tige Ausrüstungsschritte eingeleitet, wie
die Beschaffung zusätzlicher Kampfpanzer
Leopard 2, GTK Boxer oder das neue ge-
panzerte Brückenlegesystem Leguan) und
die Trendwende Personal (damit wächst
nach langer Zeit die Bundeswehr auch per-
sonell) eingeleitet.
Der Inspekteur des Heeres stellt daher fest:
„Wir haben die Ablauflinie [gemeinsam]
überschritten und nun gilt es, den Angriff
(die weitere materielle Ausrüstung) weiter
voranzutreiben.“
Das Heer mit dem Kristallisationspunkt
Brigade bleibt bei Beschaffungen ein kom-
plexes Gebilde und steht im Fokus aller Pla-
nungen. Die Brigaden des Heeres haben
eine große Zahl an Hauptwaffensystemen
nebst Ausstattungen und peripherem Ge-
rät inklusive der persönlichen Ausrüstung
und Munition. Planungen müssen zusam-
mengefasst als System Brigade erfolgen.
Denn eine Brigade ist als Großverband eine
herausgehobene Führungsebene und auf-
grund ihrer Organisation, Personalstärke
und Ausrüstung in der Lage, taktische Auf-
gaben ohne substanzielle Verstärkungen
selbstständig zu lösen; dies schließt die
Befähigung zur Operationen verbundener
Kräfte ein.
Den Systemgedanken Brigade hat der Ins-
pekteur des Heeres mehrfach aufgezeigt:
„Das Heer wird nur seine volle Wirkung
entfalten, wenn die Brigade als System
verstanden wird und entsprechend ihrer
Struktur ausgerüstet ist“ und „… wenn das
Heer als Ganzes betrachtet wird, anstatt
sich auf einzelne Fähigkeiten zu fokussie-
ren“.
Dies unterstreicht auch die Aussage von
Bernd Siebert, MdB und Mitglied des Ver-
teidigungsausschusses: „Heute spricht alle
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Nach Jahren des Rückgangs wird das Heer wieder an Umfang und
Ausrüstung wachsen.
Welt zu Recht vom Systemgedanken. Dies
scheint für die größte Teilstreitkraft der
Bundeswehr nicht zu gelten.“ und „Das
Deutsche Heer leidet ständig unter den
Verstößen gegen den Systemgedanken.“
Seine Aussage „Die Aufsplitterung von
Materiallieferungen in Klein- und Kleinst-
lose ... verhindert ein gemeinsames Ver-
ständnis im Heer.“ macht deutlich, dass
bei Beschaffungen den Faktoren Zeit
und Quantität, den Prozessen und
Verfahren durch alle Beteiligten we-
sentlich mehr Bedeutung geschenkt
werden muss als bisher. Mit anderen
Worten: Wir müssen schneller wer-
den!
Der Wehrbeauftragte des Deutschen
Bundestages Hans-Peter Bartels for-
dert daher gleich zwei weitere Trend-
wenden, die „Trendwende Tempo“
und die „Trendwende Mentalität“
bei allen Beteiligten im Beschaf-
fungsprozess.
Zwei Beispiele aus der Praxis untermauern
dies. Der Fähigkeitsaufwuchs gepanzerter
Kampf wurde 2015 eingeleitet und wird
aller Voraussicht nach 2023 abgeschlos-
sen. Gleiches gilt für das gepanzerte Brü-
ckenlegesystem Leguan: 2013 geplant,
laufen Ende 2019 die ersten Systeme zu,
sodass sieben Systeme 2022 zur Verfü-
gung stehen werden. Der Abschluss für
die nachträglich veranlasste Beschaffung
weiterer 24 Systeme ist für 2024/2025
geplant.
Auch wenn beschleunigt wurde, wo zu be-
schleunigen war, sind vor dem Hintergrund
der zunehmend schwierigen sicherheitspo-
litischen Lage zehn Jahre für das Herstellen
nur einer technisch wenig anspruchsvollen
Systemkompetente eine (sehr) lange Zeit.
Denn die sicherheitspolitischen Entwick-
lungen der letzten Jahre haben gezeigt,
dass die Trennlinie zwischen Krieg und
Frieden verschwimmt und dass immer wie-
44 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
(Foto: Bundeswehr/Jane Schmidt)
der Reaktionsfähigkeit, Robustheit, Intero-
perabilität, Flexibilität und Zuverlässigkeit
nicht gewachsen sein. Eine planerische
Umsetzung erfolgt mit den aktuellen Ar-
beiten am neuen Fähigkeitsprofil und das
durch den Inspekteur des Heeres gebilligte
Concept of Operation.
Dabei sind zwei zeitliche Vorgaben we-
sentlich:
• Erstens bis Ende 2026 erfolgt die Um-
setzung der bereits entschiedenen Aus-
stattungen des Heeres im Rahmen der
Struktur HEER2011. Dies führt plane-
risch zu einem schlagfertigen, moder-
nisierten und voll einsatzbereiten Divi-
sionsäquivalent vor allem für Aufträge
im Rahmen der Bündnis- und Landes-
verteidigung.
• Zweitens bis Ende 2031 gilt es zusätz-
der eruptive Ereignisse mit wenig bis keiner lich und parallel dazu unter Integration
Vorwarnzeit das Umfeld verändern. Für das aller verfügbaren Zukunftstechnologien
Deutsche Heer bedeutet dies, dass per- zwei weitere Divisionsäquivalente auf-
manent eine schnelle Reaktionsfähigkeit zustellen. Diese sollen vor allem den
gewährleistet werden muss. Mit anderen Forderungen des zukünftigen – digita-
Worten: Alle Brigaden lisierten – Gefechtsfeldes entsprechen.
Ein bruchfreier und stetiger zukunfts-
fähiger Kommunikationsverbund ist
(Foto: Rohde & Schwarz) dabei von zentraler Bedeutung. Dies
schließt die Architektur und die Aus-
gestaltung eines deutschen zukunfts-
orientierten Battlefield Management
System (BMS) und die Integration beste-
hender Informations-, Führungs- und
Waffeneinsatz-
systeme ein.
Das sind ne-
ben dem Sys-
tem Brigade
zusätzliche
we s e nt li ch e
Kristallisationspunkte, die
Die streitkräftegemeinsame ver- eine Ausrüstungsplanung des Heeres be-
bundfähige Funkausstattung ist rücksichtigen und umsetzen muss.
eine der Säulen von MoTaKo. Jede Umsetzung beginnt mit den ersten
Schritten. Die folgende Auswahl stellt ei-
müssen über das vorgesehene, vollzählige nige ausgewählte Schritte geordnet nach
und einsatzbereite Material jederzeit und den Fähigkeitsdomänen Führung, Aufklä-
quasi griffbereit in den Standorten verfü- rung, Wirkung und Unterstützung, dar.
gen, einschließlich Munition und der per-
sönlichen Ausrüstung eines jeden Solda- Fähigkeitsdomäne Führung
ten. Umfangreiche Materialbewegungen
sind aufgrund der zeitlichen NATO-Vorga- Um den Anforderungen an eine moder-
ben nicht möglich. ne, vernetzte und komplexe Operations-
Ursache ist vor allem der rasant fortschrei- führung – joint and combined – zu genü-
tende Prozess in der technischen Entwick- gen, benötigt das Deutsche Heer einen
lung und die Nutzung neuer innovativer hochmobilen, modernen, resilienten und
Technologien in den aktuellen Konflik- zukunftsorientierten Kommunikationsver-
ten. Vieles spricht dafür, dass sich dieser bund. Ziel ist es stets, eine Informations-
Prozess noch einmal beschleunigen wird. und Führungsüberlegenheit bruchfrei in
Daher wird mit der reinen Beschaffung eine Wirkungsüberlegenheit umzusetzen.
von zusätzlichen Waffensystemen und die Eine Umsetzung dieses Ziels erfolgt mit
Befüllung bestehender Strukturen im Sys- den zentralen Vorhaben Mobile Taktische
tem Brigade das Deutsche Heer den kom- Kommunikation (MoTaKo) und Mobile
menden Herausforderungen hinsichtlich Taktische Informationsverarbeitung (Mo-
(Foto: Rohde & Schwarz)
Moderne Handgeräte können die Zuverlässigkeit und Sicherheit der
Kommunikation verbessern.
TIV). Gemeinsam ermöglichen sie erstmalig
einen durchgängigen Kommunikationsver-
bund auf mobiler taktischer Ebene.
MoTaKo umfasst die Beschaffung, Integ-
ration, Regeneration, Nutzung und den
Betrieb aller Kommunikationsmittel zur
vollständigen Ausstattung der Waffensys-
teme und Fahrzeuge (Plattformen) in land-
basierten Operationen. Die derzeitig abge-
stimmte Planung sieht eine Vorbereitung
der Einrüstung beginnend ab 2020 sowie
die Ausstattung der Verbände von 2023
bis 2035 vor.
MoTIV umfasst die Bereitstellung von ska-
lierten IT-Services für die mobilen Elemente
bis auf die unterste taktische Ebene und
schließt die für die Informationsverarbei-
tung benötigten Endgeräte ein. Darüber
hinaus sieht MoTIV die Ausstattung al-
(Foto: EMT)
ler Plattformen mit einem einheitlichen
Bedien- und Anzeigegerät vor. Zweck ist
die Vereinheitlichung der derzeit nicht stan-
dardisierten Bedien- und Anzeigegeräte in
allen Plattformen.
Die übergeordnete Absicht des Heeres mit
beiden Projekten ist es, eine zukunftsorien-
tierte, auf die Optimierung der taktischen
Abläufe zielende Architektur und Ausge-
staltung eines BMS zu schaffen. Da sich
Deutschland im Rahmen des Framework
Nation Concept dazu verpflichtet hat, eine
Führungsrolle bei der Aufstellung multina-
tional nutzbarer Kräftepakete zu überneh-
men, muss dieses BMS so kompatibel sein,
dass sich andere Nationen schnell und mit
geringem Aufwand integrieren lassen.
Impulsgeber für die Ausgestaltung von Mo-
TIV sind die technisch-konzeptionellen An-
sätze von Partnernationen, alle Sensoren
und Effektoren aus unterschiedlichen Platt-
formen für eine vernetzte Operationsfüh-
rung wirksam und verzugsfrei zu verketten.
B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL 
Ebenso sind Entwicklungen maßgeblich,
wie eine ebenengerechte Lagebilddarstel-
lung auf Basis eines Common Operating
Pictures. Dabei sind sowohl eigene Sen-
sor- und Effektorinformationen als auch In-
formationen aus offenen Quellen (soziale
Netzwerke, Messenger Services etc.) oder
aus dem Intel-Bereich zu integrieren.
Ausgehend von den Operationalisierungen
eines zukünftigen Gefechtsfeldes (Techno-
logien bestimmen die Einsatzgrundsätze)
wird die zukünftige Nutzung des Konzep-
tes Sensor-to-Shooter von besonderer Be-
deutung sein. Die Umsetzung des Konzep-
tes ist die entscheidende zukunfts- und fä-
higkeitsbestimmende Größe für die Land-
streitkräfte und somit ein Game Changer.
Auf einem gläsernen Gefechtsfeld wird
Abbildende Aufklärung in mittlerer Reichweite für bodengebundene
Operationen mit der Aufklärungsdrohne LUNA
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik
das eigene Handeln aus allen Dimensio-
nen heraus beobachtet, aufgeklärt und
überwacht. Eine schnelle präzise Wirkung
in einem Sensor-to-Shooter-Verbund, der
das Zusammenspiel aller eigenen Kräfte
gewährleistet (vernetztes Kämpfen), sind
neben der Unterstützung von Entschei-
dungsprozessen grundlegende Forderun-
gen bei der Realisierung von MoTIV.
MoTaKo und MoTIV sind die wichtigsten,
inhaltlich komplexesten und finanziell be-
deutsamsten Vorhaben für die nächsten
Dekaden. Beide Vorhaben müssen syn-
chronisiert werden, sodass beispielsweise
alle Waffensysteme und Fahrzeuge zur
Einrüstung der Systeme nur einmal aus der
Truppe entnommen werden müssen. Dies
ist für das Deutsche Heer und alle Beteilig-
ten eine planerische und steuerungstechni-
sche Herausforderung.
Dazu plant das Deutsche Heer die Aufstel-
lung eines Test- und Versuchsverbandes
auf Brigadeebene und mit der Einführung
der grundlegenden neuen innovativen
Informationsübertragungs- und -verarbei-
tungstechnologie, ein zentrales IT-Zentrum
für Landoperationen.
Fähigkeitsdomäne
Aufklärung
Aufklärung ist noch stärker als bisher der
Schlüssel zur Entscheidungsfindung auf
allen Führungsebenen. Aufklärung muss
über die Fähigkeit verfügen, Aufklärungs-
ergebnisse schnell zu verarbeiten, zu ana-
lysieren und bruchfrei so bereitzustellen,
dass diese unmittelbar in Wirkungen um-
gesetzt werden können. Wenngleich das
Deutsche Heer hier insbesondere durch
45
 B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL

das Engagement in Afghanistan bereits PARA-Fuchs genannt) und des Leichten ben den Vorgaben der Einsatzregeln (Rules
große Fortschritte erzielt hat, muss noch Gefechtsfeld-Aufklärungsradars (LEGAR) of Engagement) vor allem die Durchset-
viel Arbeit geleistet werden, um eine um- der Heeresaufklärungstruppe sowie des zungsfähigkeit und den Schutz der Solda-
fassende, zielgerichtete Koordinierung aller Artilleriebeobachtungsradars (ABRA) der ten zu garantieren.
Der Kampfpanzer Leopard 2 ist bei vielen

(Foto: Bundeswehr)
Streitkräften weltweit im Einsatz und ein
Synonym für weltweit führende Kampf-
panzertechnologie. Durch stetige Anpas-
sungen ist er unverändert die Benchmark
und bestimmt wesentlich die Durchset-
zungsfähigkeit bei landgebunden Operati-
onen der Panzertruppe und der Panzerkräf-
te bei NATO- und Partnernationen.
Die aktuell eingeleitete Anpassung Fähig-
keitsaufwuchs gepanzerter Kampf besitzt
eine qualitative und eine quantitative Kom-
ponente. Die qualitative Komponente um-
fasst unter anderem eine Steigerung der
Wirkungs- und Aufklärungsreichweiten,
Erhöhung der Trefferwahrscheinlichkeit
und Verringerung der Bekämpfungszeit.
Aufgrund der Weiterentwicklung gegne-
Kampfpanzer Leopard 2 im scharfen Schuss rischer Waffensysteme sowie moderner
Schutztechnologien werden die Fähigkei-
Kräfte und Mittel, basierend auf einem ge- Artillerietruppe ab 2020 entstehende Fä- ten im Bereich Wannen- und Turmschutz,
meinsamen Lagebild, zu erreichen. higkeitslücke wird mit dem neuen System optische/optronische Systeme, Waffenan-
Derzeit wird die Fähigkeit zur luftgestütz- zur bodengebundenen, abstandsfähigen, lage und Antrieb weiter verbessert. Mit der
ten abbildenden Aufklärung mittlerer nahezu wetterunabhängigen Aufklärung Umsetzung der quantitativen Komponente
Reichweite für bodengebundene Opera- und Überwachung großer Räume bei ein- stehen dem Deutschen Heer zukünftig 320
tionen durch die UAS Kleinfluggerät für geschränkter Sicht geschlossen. Kampfpanzer zur Verfügung.
Zielortung (KZO) und Luftgestützte Unbe- Ab 2019 werden dem Heer 104 KPz Leo-
mannte Nahaufklärungs-Ausstattung (LU- Fähigkeitsdomäne Wirkung pard 2 A7V zulaufen. In der Version A7V
NA) abgedeckt. Beide Systeme erreichen (Verbesserung) werden die für die Variante
2020 ihr Nutzungsdauerende. Eine weiter- Im Bereich Wirkung kommt es darauf an, A7 vorgesehenen Nachbesserungen be-
entwickelte Fähigkeit (bis zu zehn Stunden die eigenen Ansprüche etwa an Abstands- rücksichtigt, u.a. von der Reichweitenerhö-
Aufklärungszeit bei bis zu 100 km Reich- fähigkeit, Skalierbarkeit, Präzision und hung über das Wärmebildgerät Attica bis
weite) soll ab 2020 mit dem Schließen der Nachtkampffähigkeit zu erfüllen, um ne- zur Integration in das Führungs- und Waf-
Fähigkeitslücke „Abbildende Aufklärung
(Foto: Bundeswehr/Daniel Dinnebier)

in mittlerer Reichweite für bodengebunde-

ne Operationen“ realisiert werden. Bis zur
vollständigen Realisierung werden in einer
Übergangsphase bis mindestens 2025 pa-
rallel Nutzungsdauer-verlängernde Maß-
nahmen für das UAS LUNA notwendig
sein.
Das Parlament hat vor Kurzem die Einfüh-
rung der Luftgestützten Unbemannten
Nahaufklärungsausstattung Next Generati-
on/Bundeswehr (LUNA NG/B) entschieden.
Drei taktische und ein Ausbildungssystem
werden ab 2019 zulaufen. Laut Rahmen-
vertrag können bis zu neun weitere LUNA
NG/B bestellt werden.
Die Radaraufklärung befähigt zur Überwa-
chung großer Räume, Lücken oder Flanken,
von Sperren, von Punkten/Objekten, von
Gewässern und Küstenabschnitten sowie
des bodennahen Luftraumes aus der Dis-
tanz, zudem leistet sie auch einen wesent-
lichen Beitrag für streitkräftegemeinsame
taktische Feuerunterstützung. Die durch
das Nutzungsdauerende des Aufklärungs-
radars RASIT (Radar d’Acquisition et de Sur-
veillance Intermédiaire, im Truppenjargon Übung mit dem neuen Schützenpanzer Puma

46 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018

(Foto: Rheinmetall)
Soldatensystem Infanterist der Zukunft – Erweitertes System
feneinsatzsystem IFIS der Kampftruppen.
Ein stärkerer Minenschutz kommt ebenfalls
hinzu, wie er bereits bei etwa 70 KPz Leo-
pard 2 A6M erfolgte. Mit der Version A7V
werden z.B. eine noch verbesserte Nacht-
kampffähigkeit, Verstärkung des Antriebs-
stranges sowie weitere Schutzmaßnahmen
vorgenommen.
Für die Zeit nach Ende der Nutzungsdau-
er um 2035 wird ein Nachfolgesystem des
heutigen Panzers gesucht. Hierzu wer-
den Möglichkeiten in einer gemeinsamen
Studie Main Ground Combat System mit
Frankreich untersucht und ggf. auf weite
Sicht mit weiteren Partnern multinational
realisiert.
Der Schützenpanzer Puma (SPz Puma) wird
als neues Hauptwaffensystem der Panzer-
grenadiertruppe den seit 1971 genutzten
Schützenpanzer Marder ersetzen. Mit der
(Foto: Graham Robson-Parker)
Realisierung SPz Puma in der Zielkonfigu-
ration steht ein Technologiesprung bevor.
Realisiert werden hohes Fahrleistungspo-
tenzial und Fähigkeit zum Feuerkampf aus
der Bewegung, um das dynamische Ge-
fecht gemeinsam mit dem Kampfpanzer
Leopard 2 zu führen oder überlegene Waf-
fenwirksamkeit auch gegen Kampfpanzer,
Bunker und Ziele hinter Deckungen zu er-
zielen.
Neben der stabilisierten 30-mm-Bordma-
schinenkanone, dem Fire-and-Forget-fähi-
gen Panzerabwehrraketensystem MELLS
(mehrrollenfähige Lenkflugkörpersystem)
und der erheblich stärkeren Motorleistung
von 800 kW verdeutlichen insbesondere
das von der Panzerwanne abgekoppel-
te hydropneumatische Laufwerk und der
besatzungslose Turm die technischen In-
novationen gegenüber dem Schützen-
panzer Marder. Der Schützenpanzer Puma
bildet zudem – wie auch das Gepanzer-
te Transportkraftfahrzeug Boxer – mit
dem erweiterten System Infanterist der
B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL 
Zukunft (IdZ-ES) einen Systemverbund.
Der SPz Puma vereint damit eine Vielzahl
von Neuerungen, die erstmals in einem
komplexen Waffensystem Anwendung
finden. Mitte April letzten Jahres ist der
Ausbildungsbetrieb in Form eines Pilotlehr-
gangs gestartet. Mit dem Übergang in die
Regelausbildung und der Ausstattung der
ersten Panzergrenadierbataillone wurde im
Januar 2016 begonnen.
Vor dem Hintergrund der heute noch nicht
erreichten vollen Einsatzreife des Schüt-
zenpanzers und der von Deutschland ein-
gegangen internationalen Verpflichtung
einer durchgängigen Bereitstellung von
mindestens vier einsatzfähigen Panzergre-
nadierbataillonen für die geforderten High
Readiness Forces muss der seit über 40
Jahren bewährte Schützenpanzer Marder
Gepanzertes Transportfahrzeug Boxer als „Maschinen-Kanonen-Boxer“
mit 30-mm-Turm (australische Version)
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik
als Hauptwaffensystem der Panzergrena-
diertruppe noch bis mindestens 2025 in
Nutzung bleiben.
Die Panzergrenadiertruppe wird über 200
Schützenpanzer Marder produktverbessert
in Nutzung halten. Schwerpunkt der Pro-
duktverbesserung ist der Ersatz des Wär-
mebildgeräts und des Nachtsicht-Fahrge-
räts des Kraftfahrers. Zusätzlich steht die
Adaption des neuen Panzerabwehrsystems
MELLS auf dem Schützenpanzer Marder
kurz vor dem Abschluss, um das betagte
Lenkflugkörpersystems Milan abzulösen.
Mit diesen Verbesserungen und den Mo-
dernisierungen in der Vergangenheit ist
der Schützenpanzer Marder nach wie vor
für den Einsatz im gesamten Spektrum ge-
eignet.
Mit der Realisierung des IdZ-ES hat das Heer
die Weichen für die zukünftige Entwick-
lung der abgesessen kämpfenden Kräfte
gestellt und wird damit deren Fähigkeiten
in allen Bereichen entscheidend stärken.
Die Komponenten und Mengengerüste
des ldZ-ES erfüllen die Erfordernisse im ge-
samten Einsatzspektrum und unterstützen
alle Gefechtsgliederungen abgesessener
Kräfte hinsichtlich Durchsetzungsfähigkeit,
Führungsfähigkeit, Beweglichkeit, Überle-
bensfähigkeit und Durchhaltefähigkeit.
Das System ldZ-ES ist eine aus technischer
Sicht vollständige und evolutionäre Neu-
entwicklung mit hohem Weiterentwick-
lungspotenzial. Es ist ein modulares Ge-
samtsystem mit aufeinander abgestimm-
ten Komponenten aus Bekleidung, Schutz
und Trageausstattung, Handwaffen, op-
tischen und optronischen Geräten sowie
Führungsmitteln.
47
  B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL

(Foto: Telefunken RaComS)

Die Befähigung eigener Kräfte, sich in mul-
tinationalen, streitkräftegemeinsamen,
militärischen Operationen durchsetzen zu
können, erfordert auch die Fähigkeit zur
wirksamen Bekämpfung von Zielen am
Boden auch aus der Distanz. Eine präzise
und skalierbare Wirkung zur Unterstüt-
zung eigener Kräfte, insbesondere in ur-
banen Gebieten, verlangt die Synergie von
hochgenauer Zielortung und Einsatz von
Präzisionsmunition.
Während Präzisionsmunition bereits bei der
Raketenartillerie realisiert wird (beispiels-
weise Guided Multiple-Launch Rocket Sys-
tem, GMLRS), sind die vorhandenen bo-
dengebundenen Aufklärungsmittel tech-
nisch noch nicht in der Lage, hochgenaue
Zielkoordinaten bereitzustellen. Daher wird
die Fähigkeit zur Verbesserung der Zielor-
tungsgenauigkeit der Aufklärungsmittel
in Verbindung mit der Fähigkeit zur Ge-
winnung und Umsetzung von dreidimen-
sionalen Referenzdaten weiterentwickelt,
um die volle Leistungsfähigkeit von Präzi-
sionswirkmitteln, insbesondere aus großer
Entfernung und im Verbund im Rahmen
der Realisierung des Konzepts Streitkräfte-
Leichte Bildverstärkerbrillen laufen gemeinsame taktische Feuerunterstützung
der Truppe ab 2018 in hoher Stückzahl zu. (STF), unter Verringerung des Risikos von
Kollateralschäden zu gewährleisten.
Über einen integrierten Rechner werden
(Foto: Bundeswehr)
derzeit verfügbarer Sperr- und Wirkmittel
der Pioniere noch nicht wie angestrebt um-
setzbar. Diese Fähigkeit wurde im Rahmen
der Neuausrichtung der Bundeswehr und
der Konzentration auf die wahrscheinliche-
ren Einsätze reduziert.
Nach derzeitiger Planung wird aufgrund
der dafür notwendigen innovativen Ent-
wicklungen erst in einigen Jahren ein neu-
es, intelligentes Sperrsystem verfügbar sein,
welches ein effektives und kräftesparendes
Operieren in großen Räumen ermöglichen
wird. In allen Einsatzarten nutzbar, wird es
skalierbar, gegen abgesessene Kräfte und
Fahrzeuge einsetzbar und so diskriminier-
bar sein, dass es Unbeteiligte, ohne dass
diese Schaden nehmen, aus Kampfzonen
fernhalten kann.
Bis diese neue Fähigkeit einsatzbereit ist,
erfolgt der Rückgriff und die Reaktivierung
des Minenverlegesystems 85.
Die Einsatzrealität erfordert eine entspre-
chende Ausstattung mit optronischen Ge-
räten oder Komponenten, um vor allem
abgesessenen Kräften das Beobachten,
Bewegen und Wirken in einem 24-Stun-
den-Kampftag zu ermöglichen. Ziel ist es,
in den kommenden Jahren alle Verbände
des Heeres so auszurüsten, dass sie ihren
Auftrag auch bei eingeschränkter Sicht

dem Soldaten die für den aktuellen Auf-

trag benötigten Lagekarten und Operati-
onspläne bereitgestellt. Durch das eben-
falls integrierte Funkgerät können aktuelle
Lageinformationen wie Positionen eigener
und gegnerischer Kräfte und aktuelle gra-
fische Befehle mit dem Gruppenfahrzeug
oder dem Führungsrechner des abgeses-
senen Führers ausgetauscht werden. Diese
Informationen können entweder über das
Bedien- und Anzeigegerät abgerufen oder
in das am Helm befestigte Head-up-Display
eingespielt werden. Damit stellt das Sys-
tem erstmals die Fähigkeit zur vernetzten
Operationsführung auf Ebene der Infante-
riegruppe sicher, die auch im abgesessenen
Einsatz auf die Lageinformationen über das
Gruppenfahrzeug zurückgreifen kann.
Eine weitere besondere Herausforderung
liegt in den Abhängigkeiten mit den be-
reits angesprochenen anderen Vorhaben
des Heeres. Damit IdZ-ES seine volle Wir-
kung entfalten kann, bedarf es eines Grup- Das Minenverlegesystem 85 wird reaktiviert.
penfahrzeugs (Stichwort: SPz Puma, GTK
Boxer) und entsprechender Führungs- und Besonders in der Landes- und Bündnisver- erfüllen können. Mit der Realisierung des
Fernmeldegeräte und der Anbindung an teidigung ist das Sperren von Geländeab- Vorhabens Infanterist der Zukunft, den
die vernetzte Operationsführung. schnitten gegen mechanisierte Kräfte von eingeleiteten Beschaffungen von Bildver-
Es ist beabsichtigt, weitere IdZ-ES-Systeme besonderer Bedeutung, um gegen militä- stärkerbrillen sowie Nachtziel- und Beob-
zu beschaffen. Derzeit erfolgt die Ausstat- risch organisierte Gegner erfolgreich wir- achtungsgeräten wurden erste Schritte
tung mit Schwerpunkt bei den Panzergre- ken zu können. In Operationen hoher In- unternommen. Neben der Deckung des
nadierbataillonen und der Ausbildungsor- tensität ist im Rahmen defensiver Aktivitä- großen quantitativen Bedarfs muss auch
ganisation parallel mit dem Zulauf des SPz ten sowohl die taktisch angestrebte Sperr- die schnell voranschreitende Entwicklung
Puma. breite als auch die notwendige Tiefe mittels auf dem Gebiet der Sensorik beobachtet

48 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018


und in die Ausrüstungsplanung integriert
werden, um eine taktische Überlegenheit
durch modernes Gerät sicherzustellen.
Fähigkeitsdomäne
Unterstützung
Im Bereich der Durchhaltfähigkeit kommt
es darauf an, logistische Ketten und damit
auch die Ausrüstung wieder konsequent
auf den logistischen Bedarf der Landes-
und Bündnisverteidigung auszurichten.
Logistische Planungen zur Anpassung der
Bevorratungshöhen sind auf allen Ebe-
nen im vollen Gange. Im Mittelpunkt der
Überlegungen zur Ausrüstungsplanung
des Deutschen Heeres steht dabei – ne-
ben dem Aufwuchs der Munitionsvorräte
– auch der Aufwuchs der geschützten und
ungeschützten Landmobilität, um durch
eine Flotte aus standardisierten und modu-
lar flexibel einsetzbaren Mobilitätsträgern
die erforderliche Leistungsfähigkeit der
wesentlichen Versorgungsketten wieder-
herzustellen: Großverbrauchermunition,
Betriebsstoff, Trinkwasser und Ersatzteile.
Das Bundesministerium der Verteidigung
gibt in seinen konzeptionellen Dokumen-
ten vor: „Wo immer möglich und sinnvoll
sind Sekundärfähigkeiten auf bereits vor-
handenen Plattformen zu realisieren.“
Ein Beispiel für den Plattform- und Flot-
Rad oder Kette?
Der Auftrag entscheidet!
www.ffg-flensburg.de
B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL 
tengedanken ist das Gepanzerte Trans-
portkraftfahrzeug Boxer. Als geschütztes
8x8-Radfahrzeug erfüllt es Führungs-,
Unterstützungs- und Transportaufga-
ben. Der modulare Aufbau (Fahrmodul/
Missionsmodul) lässt eine Vielzahl unter-
schiedlicher Funktionalitäten auf derselben
Fahrzeugbasis zu. In einem ersten Los mit
272 Stück wurden 190 Gruppentransport-
und Führungsfahrzeuge, 72 schwere ge-
schützte Sanitätskraftfahrzeuge und zehn
Fahrschulfahrzeuge eingeführt. Das zweite
Los mit 131 GTK Boxer A2 in der Variante
Gruppentransportfahrzeug ist im Zulauf.
Die Auslieferung ist für Ende 2017 bis 2020
vorgesehen.
Weitere Beispiele für den GTK Boxer als ei-
ne Standardplattform des Deutschen Hee-
res sind denkbar. Hierzu sind Planungen
angewiesen und zum Teil abgeschlossen,
wie das Joint Fire Support Team schwer
oder die Initiative Steigerung von Wirkung
und Durchsetzungsfähigkeit der waffen-
trägergebundenen taktischen Feuerunter-
stützung der Jägertruppe. Absicht ist es,
mit dieser Initiative die modernste Schieß-
technologie des SPz Puma in die bewährte
Plattform des GTK Boxer zu integrieren und
ggf. multinational als „Maschinen-Kano-
nen-Boxer“ zu beschaffen.
Zur Erhöhung der taktischen Beweglichkeit
ist die Brigade auch auf die Fähigkeit zum
schnellen, flexiblen und geschützten Über-
winden von natürlichen und künstlichen
Geländehindernissen (wie z. B. Flüsse, Bä-
che und Gräben) angewiesen. Das hierfür
einzusetzende gepanzerte Brückenlegesys-
tem muss über die gleiche Mobilität und
den gleichen Schutz verfügen, wie die zu
unterstützenden Gefechtsfahrzeuge der
Brigade. Die geforderte Fähigkeit einer Brü-
ckenlegekapazität kann durch das derzei-
tige Brückenlegesystem des Heeres Biber,
mit einer Tragfähigkeit MLC 50 vor allem für
den Kampfpanzer Leopard 2 (MLC 70), nicht
mehr gewährleistet werden. Diese Fähigkeit
gilt es schnellstmöglich wiederherzustellen.
Sie ist der Schlüssel, um die Stoßkraft der
Panzertruppen auch im durchschnittenen
Gelände zur Wirkung zu bringen.
Die oben dargestellten Projekte sind einige
wichtige Beispiele aus der Ausrüstungs-
planung des Deutschen Heeres. An dieser
Stelle kann jedoch nicht auf die Gesamt-
heit aller Projekte eingegangen werden.
Weitere Projekte sind beispielsweise die
Realisierung des Konzepts STF, die bereits
angesprochene Beschaffung von Präzisi-
onsmunition für den Raketenwerfer MARS
oder die Panzerhaubitze 2000, die einen
entscheidenden Beitrag zur Erhöhung der
Präzision auch auf große Kampfentfernun-
gen leisten. Dies gilt auch für Untersuchun-
gen zu weiteren Handlungsfeldern, wie
(Foto: KMW)
 B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL
Das Brückenlegesystem Leguan
z.B. die Munitionsbevorratung im Rahmen
der Landes- und Bündnisverteidigung oder
die Unterbringung von Soldaten in den ers-
ten 60 Tagen im Rahmen einer beweglich
geführten Operation.
Die Zukunft: Digitalisierung
Im Gegensatz zur Ausgangslage vor über
60 Jahren verfügt das Deutsche Heer mit
seinem Material heute über eine solide
Grundlage. Es bewährt sich seit mehr als
20 Jahren in weltweiten Einsätzen wie im
Kosovo, in Afghanistan oder in Mali. Der
Kommandeur Deutsche Anteile Multina-
tionale Korps/Militärische Grundorganisa-
tion, Generalleutnant Frank Leidenberger,
merkt in seinem Vorwort im Thesenpapier
„Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig?“
an, dass „Alle Energie und der Großteil der
Ressourcen in diese Einsätze zum internati-
onalen Krisenmanagement geflossen sind.
Dies hatte einen hohen Preis, denn die
Ausstattung des Heeres insgesamt und die
Fähigkeiten für Landes- und Bündnisvertei-
digung haben darunter gelitten.“
Nach über 25 Jahren des Schrumpfens hat
die aufgezeigte Kurskorrektur stattgefun-
den. Allein 2017 wurden 18 Großvorhaben
mit großer Relevanz für das Heer durch das
Parlament gebilligt. Diese neuen Großvor-
haben werden sich mittelfristig positiv auf
die Einsatzbereitschaft des Deutschen Hee-
res auswirken. Es gilt nun, den Blick auf die
Zukunft zu lenken und das Heer entspre-
chend auszurichten.
Dazu hat der Kommandeur Deutsche
Anteile Multinationale Korps/Militärische
Grundorganisation zwei Thesenpapie-
re herausgegeben: „Digitalisierung von
Landoperationen“ und „Wie kämpfen
Landstreitkräfte künftig?“.
50 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
Diese Thesenpapiere sollen ein Schlaglicht
auf Fragestellungen und Fähigkeitsforde-
rungen werfen, die sich ergeben, wenn
multinational eingebundene deutsche
Landstreitkräfte in einem sich weiterentwi-
ckelnden und verändernden Umfeld auch
künftig erfolgreich im Einsatz und Gefecht
bestehen sollen. Einige die in diesem Pa-
pier dargelegten Ideen und Anforderun-
gen wurden schon angesprochen, werden
aktuell vertieft oder planerisch umgesetzt.
Sie münden konsequenterweise in neuen
Strukturen und in einer innovativen mate-
riellen Ausrüstung des Heeres. Die steue-
rungstechnische Aufgabe für einen koordi-
nierten Fähigkeitsaufwuchs ist multidimen-
sional, ineinandergreifend und von zahlrei-
chen Faktoren abhängig; sie ist jedoch ohne
Alternative. Sie wird und muss durch das
Heer geleistet werden und ist Auftrag an die
Ausrüstungsplanung in den nächsten De-
kaden. Zur erfolgreichen Auftragsdurchfüh-
rung sind zwei Voraussetzungen aus Sicht
der Ausrüstungsplanung wesentlich:
• Erstens Überprüfung der Prozesse zur
Beschaffung von Ausrüstung:
 Die Komplexität von MoTIV und die
Kopplung an das Programm MoTaKo
sowie die schnellen Innovationszyklen
bei der IT zeigen, dass eine Realisierung
mit den Regelverfahren nur schwer
möglich ist. Hierzu müssen agilere und
fortschrittlichere Verfahren der Be-
schaffung gefunden werden, um mit
dem Tempo der permanenten techno-
logischen Innovationen und der sich
wandelnden Bedrohungen mithalten
zu können.
• Zweitens die kontinuierliche Abbildung
im Haushalt ist erforderlich:
Besonders die Systempflege moderner
Landstreitkräfte erfordert eine Bud-
get-Kontinuität. Für eine stringente
Modernisierung sind für wichtige Groß-
vorhaben – vor allem für MoTaKo und
MoTIV – die erforderlichen Finanzmittel
jährlich fest einzuplanen. Das wäre der
Einstieg in eine langfristige, auf Nach-
haltigkeit angelegte Ausrüstungspla-
nung, die planerische, rüstungsseitige
und strategische Transparenz schafft
und Planungsspitzen vermeidet.
In der Gesamtheit
Die materielle Modernisierung ist angelau-
fen, die das Heer für die zukünftigen und
vielfältigen Anforderungen, insbesonde-
re aber auch wieder für die Landes- und
Bündnisverteidigung, in seiner Gesamtheit
noch reaktionsfähiger, robuster, interope-
rabler, flexibler und zuverlässiger machen
wird.
Ein vollausgestattetes, mechanisiertes und
sicherheitspolitisch relevantes Divisions-
äquivalent hat Deutschland der NATO bis
2027 zugesagt. Das ist gesetzt! Zwei wei-
tere Divisionsäquivalente werden bis 2031
folgen, die in besonderem Maße auf Zu-
kunftsfähigkeit ausgerichtet sein werden.
Mit bewährter, aber auch mit modernster
Technik ausgestattet, wird das Deutsche
Heer dann in der Lage sein, über das ge-
samte Spektrum der Aufgaben, besonders
effektiv operieren zu können. Dies ist zwei-
fellos eine ähnliche Herausforderung wie
vor 60 Jahren.
Wir können diese bestehen, wenn das
Parlament und die Bundeswehr bzw. das
Deutsche Heer wie zu Beginn der jungen
Bundesrepublik Deutschland Hand in Hand
gehen. Die Trendwenden Finanzen, Materi-
al und Personal, ergänzt um die Trendwen-
de Tempo, zeigen den richtigen Weg. L
 B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL 

Relevanz und Rahmenbedingungen von

Luftlandeoperationen Gert Gawellek und Henning Reimann

(Fotos: Bundeswehr)
Luftlandeoperationen (LLOp)
haben auch in der heutigen Zeit
eine unverändert hohe Relevanz.

J enseits der Bilder von Massenabsprün-

gen im Zweiten Weltkrieg über Kreta,
im Rahmen des D-Day in der Norman-
die oder in Arnheim zeigen Operationen
der jüngeren und jüngsten Vergangenheit
alliierter Verbündeter, dass luftlandefähige
und zum Fallschirmsprung befähigte Kräf-
te durch ihren überraschenden Einsatz in
der Tiefe des Raumes (z.B. zum Gewinnen/
Nehmen von Schlüsselgelände) als Vor-
aussetzung für Folgeoperationen oder zur
Unterbrechung von Verbindungswegen,
entscheidend zum Gesamterfolg einer
Operation beitragen können. Beispielhaft
können hier die Operationen „Northern
Delay“ der U.S. Army im Irak 2003, die
Operation „Serval“ der Franzosen in Mali
2013 oder Einsätze gegen den Islamischen
Staat (IS) in Syrien genannt werden.
Kräfte, die zur Luftbeweglichkeit befähigt
sind, insbesondere solche für LLOp, kön-
nen als Teil der Streitkräfte in allen zu er-
wartenden Einsätzen, in allen Intensitäten
und sowohl gegen symmetrisch als auch
asymmetrisch agierende Gegner wirksam
eingesetzt werden.
Sowohl bei der Landes- und Bündnisver-
teidigung als auch im Rahmen des inter-
nationalen Krisenmanagements können
diese Kräfte zu schnellen, wirksamen,
jedoch zeitlich begrenzten Reaktionen
beitragen. Darüber hinaus stellen sie den Luftlandung deutscher Fallschirmjäger auf dem Truppenübungsplatz in
Kern der Kräfte für das Nationale Risi- Hohenfels
ko- und Krisenmanagement mit den Fä-
higkeiten zur Rettung, Evakuierung und überdehnten Operationsräumen bieten Luftlandoperationen zeichnen sich durch
Befreiung deutscher Staatsbürger im Kräfte, die zu LLOp befähigt sind, dem folgende Charakteristika aus: Überra-
Ausland dar. Grundvoraussetzung hier- Truppenführer einen nicht zu unterschät- schungsmoment, „hindernisfreier Luft-
für ist die Befähigung zur strategischen, zenden operativen Mehrwert (z.B. durch weg“, Geschwindigkeit in der Truppenver-
operativen und taktischen Luftbeweg- die Fähigkeit zum schnellen Verlagern des legung, Verlegung über große Distanzen
lichkeit, inklusive der Option einer LLOp. Schwerpunkts). und Einsatz unabhängig von Infrastruktur.
Gerade in den heutigen großen und stark Luftbeweglichkeit unterteilt sich in Operati- Zwingende Voraussetzungen zum Entfal-
onen luftmechanisierter Kräfte, luftgestütz- ten dieser Fähigkeiten sind u.a. geeignete
Au to r e n te Operationen, Luftlandeoperationen, Luft- Luftfahrzeuge, Absetzmaterial, luftlande-
transportoperationen und allgemeine Un- fähige Ausrüstung und Material, zudem
Brigadegeneral Gert Gawellek ist terstützungsaufgaben. Luftbeweglichkeit auch eingeübte Verfahren – auch mit
der Stellvertretende Kommandeur der im Allgemeinen und die Luftlandeoperation „Nichtluftlandekräften“ – mit entspre-
Division Schnelle Kräfte. im Besonderen vergrößern damit die Op- chend ausgewähltem und vor allem aus-
Oberstleutnant i. G. Henning tionen des Truppenführers hinsichtlich der gebildetem Personal.
Reimann ist Referent in der Abtei- Faktoren Kräfte, Raum und Zeit und begün- Insbesondere dem Aspekt Personal und
lung Planung I 3 des BMVg. stigen dadurch das Gewinnen und Behalten Ausbildung kommt eine entscheidende
von Initiative und schnelle Reaktion. Bedeutung zu – dazu später mehr.

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 51

Bild links: Soldaten des Fallschirmspezialzuges 31 aus Seedorf leiten als Einsatzleitgruppe die Luftlandung der
Fallschirmjäger im Rahmen der Übung „Red Griffin/Colibri 50“ bei Bondelum.
Bild rechts: Soldaten des Fallschirmjägerregimentes 26 üben gemeinsam mit Fallschirmjägern des 8e Régiment
de Parachutistes d‘Infanterie de Marine den Häuserkampf im Rahmen einer multinationalen Übung.

Planung und Phasen einer
Luftlandeoperation
LLOp werden in den Einsatzformen Fall-
schirmsprung, Anlanden mit Hubschrau-
bern oder Anlanden mit Transportflug-
zeugen durchgeführt. Die verschiedenen
Einsatzformen können dabei arttypisch,
nacheinander oder auch parallel erfolgen
und untereinander kombiniert werden.
Der operative Mehrwert von LLOp im
Fallschirmsprung ergibt sich aus der Mög-
lichkeit, dass Kräfte in Gefechtsgliederung
und insbesondere infrastrukturunabhängig
in den Einsatz gebracht werden können,
um so beispielsweise weitere Kräfte nach
Nehmen eines Flug- oder auch Seehafens
anzulanden. Eine derartige Operation dient
dann als Voraussetzung für die Einführung
von (schweren) Folgekräften zur Fortset-
zung der Operation.
Vorbereitung und Durchführung bedürfen
sorgfältiger Planung sowie einer gewissen
Risikobereitschaft auf Seiten des verant-
wortlichen Truppenführers.
Planung und Durchführung
einer Luftlandeoperation
Die Vorbereitungs- und Planungszeit ist
meist durch hohen Zeitdruck bei gleichzei-
tig hohem Informationsdefizit geprägt. Die
Planungszyklen der Luftwaffe beeinflus-
sen ebenfalls stark die Vorbereitung und
Durchführung der LLOp. Ausgangspunkt
einer LLOp ist dabei stets die Bewertung
von Anzahl und Umfang des verfügba-
ren Lufttransportraumes (LuTrspR) als
bestimmende Größe. Die Planung der
Einsatzladung, Reihenfolge der Wellen als
Voraussetzung für die Durchführung der
Bodenoperation zum Nehmen und Halten
des Luftlandekopfes (LLKopf) müssen ex-
akt geplant werden. Eine LLOp läuft in der
Regel in fünf Phasen ab.
Phase I – Einsatz Aufklärungskräfte
Wesentliches Element der Aufklärung bil-
den Fernspähkräfte, die im Regelfall im
Freifalleinsatz vor den Vorauskräften den
Einsatzraum erkunden. Sie können bei Be-
darf durch weitere, ggf. ebenfalls freifallbe-
fähigte Kräfte verstärkt werden.
Sie gewinnen mittels Beobachtung und
Sensoreinsatz Schlüsselinformationen von
taktischer und operativer Bedeutung, die
zur weiteren Vorbereitung der LLOp er-
forderlich sind oder/und dem Verdichten
des Lagebildes anderer Führungsebenen
dienen. Sie bereiten weiterhin den Einsatz
der Vorauskräfte vor, können Absetz- und
Landzonen markieren und erste Kräfte des
Luftlandeeinsatzverbandes aufnehmen.
Phase II – Einsatz Vorauskräfte
Mit der Verbringung des Fallschirmspezial-
zuges in den Einsatzraum beginnt die zweite
Phase der Luftlandeoperation. Diese erfolgt
in der Regel ebenfalls im Freifalleinsatz, wo-
bei hier analog zu den Fernspähkräften auch
andere Arten der Verbringung möglich sind
(Anlandung mit Hubschraubern, amphibi-
sche Verbringung etc.).
Nach Verbindungsaufnahme mit den im
Einsatzraum befindlichen Aufklärungskräf-
ten der Phase I und Übernahme der Raum-
verantwortung durch den Führer der Vo-
rauskräfte erfolgt im Rahmen des Haupt-
auftrages die Aufklärung und Erkundung
des Einsatzraumes. Ziel ist die Feststellung
der Eignung und die Vorbereitung der vor-
gesehenen Absetzplätze.
Während der Anlandung/dem Absetzen
der Hauptkräfte, übernimmt der Fallschirm-
spezialzug die Sicherung des Absetzplat-
zes, die Einweisung der Luftfahrzeuge, bei
Bedarf Lenken von Luftnahunterstützung
und nimmt die Hauptkräfte auf und weist
diese in den Raum ein – den LLKopf.
Phase III – Hauptkräfte
Hauptkräfte werden in Abhängigkeit der
Lage in den oben beschrieben Einsatzfor-
men abgesetzt bzw. angelandet.
Der Fallschirmsprungeinsatz wird u.a. be-
vorzugt gewählt, wenn es keine geeignete
Landebahn oder Behelfslandebahn gibt
bzw. diese erst gewonnen oder genom-
men werden muss, der Einsatz außerhalb
der Reichweite von Hubschraubern erfolgt,
die Transportkapazität von Hubschraubern
nicht ausreicht oder die Kapazität einer
Landebahn nicht ausreicht, um einen zügi-
gen Kräfteaufwuchs sicherzustellen.
Der Fallschirmsprungeinsatz selbst findet
in der Regel nachts oder bei Dämmerung
statt.
Phase IV – Anschlussversorgung
In der Phase IV beginnt die Nachführung
von Versorgungsgütern/-einrichtungen in
den LLKopf, um diesen halten und betrei-
ben zu können und so die Voraussetzung
für Folgeoperationen zu schaffen. Phase IV
kann dabei auch überschneidend mit Pha-
se III stattfinden.
Dreh- und Angelpunkt ist die Luftlandever-
sorgungskompanie des Fallschirmjägerregi-
ments, die über die erforderlichen schnell
verfügbaren und lufttransportfähigen
logistischen Fähigkeiten verfügt, um die
Anschlussversorgung im LLKopf sicherzu-
stellen. Diese Anschlussversorgung ist die
Grundlage der Durchhaltefähigkeit und er-
folgt in der Regel aus der Luft, kann aber
grundsätzlich auch über Land erfolgen, so-

52 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018


fern die entsprechenden Voraussetzungen
geschaffen sind.
Phase V – Abschlussoperation
Die letzte Phase einer LLOp ist in der Regel
die Verstärkung oder Ablösung durch nach-
folgende Kräfte im Rahmen eines Folge-
kontingentes und die Rücknahme der Kräf-
te aus dem LLKopf durch Lösen oder Aus-
weichen. Im Anschluss an die Abschluss-
operation wird durch die Folgekräfte eine
Folgeoperation durchgeführt.
Weiterhin kommen als Formen der Ab-
schlussoperation Rettungs- und Evakuie-
rungsoperationen, weitere luftbewegliche
Operationen, Operationen zur Täuschung
oder Operationen gegen irreguläre und
verdeckt kämpfende Kräfte in Betracht.
Ausbildung und Übung
In der Division Schnelle Kräfte und den
Truppenteilen der Luftlandebrigade 1 (und
selbstverständlich in den jeweiligen „Ah-
nenverbänden“) wurde in einer Vielzahl
verschiedener Übungen das Know-how
zur Durchführung von LLOp erworben und
Bild links: Fallschirmjäger der 6./Fallschirmjägerregiment 26 verlegen während einer Übung unter Sicherung eines
Wiesel mit Maschinenkanone 20 mm. Bild rechts: amerikanisches Bodenpersonal bei der Koordinierung beim Aus-
laden eines Gefechtsstandfahrzeuges Wiesel aus der Transall während der Übung „Swift Response 2015“
fortgeschrieben; beispielhaft seien hier die
Übungsreihen „Condor“, „Luchs“ oder
„Eisregen“ auf Ebene der Brigade oder
der Verbände genannt. Aber auch Groß-
übungen, eingebettet in streitkräftege-
meinsame oder multinationale Vorhaben
wie JAWTEX 2014 oder „Swift Response
2015“, sind hier zu nennen. Dabei zeigt sich
immer wieder als Kernerkenntnis, dass das
„System“ LLOp eine nicht zu unterschät-
zende Komplexität beinhaltet.
Hinzu kommen die Herausforderungen bei
der Operation am Boden – dem Nehmen
und Halten des Luftlandekopfes. Denn: nach
der Landung kämpft der Fallschirmjäger
als Infanterist zunächst ohne Anbindung
B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL 
an gepanzerte oder geschützte Fahrzeuge
in einem überdehnten Raum gegen einen
unter Umständen zahlenmäßig überlege-
nen Gegner. Seine Taktik und auch sein
Mindset müssen besonders auf diese
Tatsache hin geschult und ausgerichtet
sein. Der Auftragstaktik auf allen Ebenen,
Selbstständigkeit und Entschlossenheit im
Handeln aller eingesetzten Führer und Sol-
daten kommt eine entscheidende Bedeu-
tung zu, um in der „Insellage“ eines LL-
Kopfes das Gefecht erfolgreich zu führen.
Spezialisten und ihre Erfahrung, insbeson-
dere auf der Ebene der Unteroffiziere mit
Portepee, sind von hoher Bedeutung. Dies
betrifft vor allem die Operations- und Luft-
transportplanung, Vorbereitung von Las-
ten, Fernspähkräfte, Fallschirmspezialzug
und Luftlandelogistik. Diese Fähigkeiten zu
erwerben, zu vertiefen und im Verbund zu
üben, sind essenziell und zeitintensiv.
Neben der individuellen Ausbildung aller
Soldaten, der Ausbildung im Rahmen von
Zug und Kompanie, ist das Zusammen-
spiel aller Kräfte und Mittel inklusive der
Fähigkeiten anderer militärischer Organisa-
tionsbereiche nur im Rahmen regelmäßiger
größerer Übungen realitätsnah darstellbar.
Dies ist aufwändig, aber zum Erhalt der Fä-
higkeit LLOp unerlässlich. Eine einmal ver-
loren gegangene Fähigkeit ist später nur
schwer wiederzuerlangen.
Fazit
Die moralische Wirkung auf gegnerische
Kräfte durch LLOp „in ihrem Rücken“ ist
nicht zu unterschätzen. Ihr unerwartetes
Auftreten, das Nehmen von Schlüsselge-
lände oder das Unterbrechen von Verbin-
dungslinien hat erhebliche Auswirkungen
auf die gegnerische Operationsführung
und kann daher einen erheblichen Beitrag
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik
zu einer Gesamtoperation leisten. Aller-
dings kommt es entscheidend darauf an,
dass die vergleichsweise leichten Kräfte im
LLKopf rasch verstärkt, kontinuierlich ver-
sorgt und mit Wirkmitteln aus dem Ver-
bund der Streitkräfte (Feuerunterstützung
insbesondere durch Luftfahrzeuge) unter-
stützt werden.
Die Fähigkeit zum Zusammenwirken mit
verbündeten Luftlandekräften ist durch
die Anwendung einheitlicher Planungsver-
fahren sowie die Nutzung multinationaler
Luftfahrzeuge mit interoperablen Fall-
schirm- und Lastenabsetzausstattungen
kontinuierlich weiter auszubauen. Übun-
gen oder gemeinsame Tagungen zum
Thema LLOp mit unseren Alliierten, wie
beispielsweise mit den Niederlanden, den
USA oder Frankreich, bieten hierfür den
entsprechenden Rahmen.
Luftlandeoperationen können die Voraus-
setzung für Operationen mit Spezialkräf-
ten schaffen, da Spezialkräfte nur über eine
zeitlich und räumlich begrenzte Wirkungs-,
Durchsetzungs- und Durchhaltefähigkeit
verfügen. Daher ist das Zusammenwirken
von konventionellen Luftlandekräften und
Spezialkräften durch einheitliche Planungs-
und Einsatzverfahren auf allen Führungs-
ebenen sicherzustellen.
Der Erhalt und Ausbau der Fähigkeit
LLOp setzt außerdem zwingend voraus,
dass das hierfür erforderliche Material
und die erforderliche Ausrüstung – vom
Fallschirm bis zum Gefechtsfahrzeug –
weiterentwickelt und beschafft werden.
In diesem Bereich wurde inzwischen ei-
ne Reihe von Vorhaben auf den Weg
gebracht (u.a. Luftlandeplattform als
Nachfolger Wiesel, Wolf, Mungo, Gleit-
fallschirmsystem etc.), die nun in den
kommenden Jahren realisiert werden
müssen. L
53
  B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL

Fit für die Zukunft

Betrieb Tornado über 2025 hinaus
Matthias Fensterseifer

Das Waffensystem Tornado nähert sich mehr als vierzig Jahren nach Es ist daher von großer Bedeutung für die
Luftwaffe, dass die durch das Waffensys-
seinem Erstflug der äußersten Grenze seiner Lebensdauer. 2018 soll tem bereitgestellten Fähigkeiten auch im
eine Entscheidung über den Zeitpunkt seiner Außerdienststellung und Umfeld einer deutlich zunehmenden Be-
drohung durch moderne, gegnerische
seine Nachfolge fallen. Luftstreitkräfte erhalten bleiben. Bisher ist
geplant, das Waffensystem Tornado bis

D
ie Luftwaffe betreibt das Kampfflug-
zeug Tornado in der Jagdbomberva-
riante IDS (Interdiction and Strike) und
der ECR-Version (Electronic Combat and
(Foto: Luftwaffe)
Vielzahl an unterschiedlichen Zielen:, von
gegnerischer Infrastruktur über Land- und
Luftstreitkräfte, bis hin zur gegnerischen
bodengebundenen Luftverteidigung.
zum Jahr 2025 durch die Luftwaffe einzu-
setzen. Eine besondere Herausforderung
für den Betrieb von älteren Kampfflugzeu-
gen wie dem Tornado stellt die sogenannte
Obsoleszenzbeseitigung dar. Immer wieder
müssen technische Komponenten erneuert

werden, die aufgrund von nicht mehr zeit-

gemäßer Technologie und ausgelaufener
Fertigung durch die Industrie nicht mehr
verfügbar sind. Es muss dann adäquater
Ersatz gefunden werden (meist durch kost-
spielige Neuentwicklungen) und die neue
Technologie muss in das Gesamtsystem
integrierbar sein.

Ablösung des Waffensystems

Tornados mit Präzisionsbewaffnung GBU-54 und GBU-24
Reconnaissance), welche auf die Aufklä- Aktuell sind deutsche Tornados in Jor-
rung und Unterdrückung der gegnerischen danien stationiert, wo sie im Rahmen der
Luftabwehr spezialisiert ist. Die insgesamt Operation „Inherent Resolve“ (deutsche
85 deutschen Tornados decken ein breites Mission: „Counter Daesh“) den Koalitions-
Spektrum an Fähigkeiten in den Bereichen partnern wichtige Aufklärungsergebnisse
Luftangriff und luftgestützte Überwa- für die Bekämpfung der Terrororganisation
chung und Aufklärung ab. Die umfassen- „Islamischer Staat“ in Syrien und im Irak
den, hochflexiblen Bewaffnungs- und Zu- zur Verfügung stellen. Die Fähigkeiten des
ladungsmöglichkeiten des Waffensystems Waffensystems werden auch in den kom-
ermöglichen die präzise Bekämpfung einer menden Jahren gefragt sein, insbesondere
wenn es um den der NATO zugesagten
Au to r Beitrag der Luftwaffe zur Bündnisverteidi-
gung geht. Ein nicht unerheblicher Teil der
Oberstleutnant Matthias Tornado-Flotte wird auf absehbare Zeit für
Fensterseifer ist Referent Fliegende Einsätze der Allianz zur Verfügung stehen,
Plattformen beim Kommando beispielsweise im Rahmen der schnellen
Luftwaffe. Eingreiftruppe der NATO (enhanced NATO
Response Force).
durch eine Kauflösung
Sowohl die zunehmenden Fähigkeiten geg-
nerischer Luftstreitkräfte, die mittelfristig
nicht mehr durch Verbesserungen an dem
seit den frühen 1980er Jahren durch die
Luftwaffe verwendeten Tornado ausgegli-
chen werden können, als auch die Obso-
leszenzproblematik machen eine zeitnahe
Ablösung des Waffensystems notwendig.
Aufgrund der engen Zeitlinien wird die Ab-
lösung des Tornados durch eine marktver-
fügbare Kauflösung intensiv geprüft. Der
Zulauf der ersten neuen Kampfflugzeuge
ist dabei bereits für das Jahr 2025 geplant.
Dieses Projekt ist im Gesamtkontext mit der
im Deutsch-Französischen Ministerrat be-
schlossenen Entwicklung eines Eurofighter-
bzw. Rafale-Nachfolgers zu betrachten,
dessen Beschaffung ab dem Jahr 2040
erfolgen soll.
Als potentzielle Nachfolger für das Waf-
fensystem Tornado wurden zunächst vier
Waffensysteme identifiziert. Diese sind die
drei US-amerikanischen Kampfflugzeu-
ge F-35 Lightning II (Joint Strike Fighter),
F/A-18E/F Super Hornet und F-15E Strike
Eagle, sowie eine Weiterentwicklung des
europäischen Kampfflugzeugs Eurofighter.
Damit eine fundierte Datengrundlage für
die anstehende Auswahlentscheidung zur

54 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018

 B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL 

(Foto: Bundeswehr)
nikationsausstattung, der Selbstschutz-
ausstattung und Stückzahlerhöhungen
einiger externer Sensoren. Ebenfalls
aufgeführt wurden Verbesserungen bei
den Ausbildungsmitteln wie etwa dem
Simulator.
In einem nächsten Schritt wird das Maßnah-
menpaket nunmehr durch das Planungsamt
der Bundeswehr und das Bundesamt für
Ausrüstung, Informationstechnik und Nut-
zung der Bundeswehr mit Zeitlinien und den
geschätzten Kosten für jede Einzelmaßnah-
me hinterlegt, sodass für die im Jahr 2018
erwartete Entscheidung über den weiteren
Betrieb des Waffensystems Tornado ausrei-
chend Informationen zur Verfügung stehen.

Tornados in Al-Asrak, Jordanien, im Rahmen der Mission „Counter Daesh“
Verfügung steht, werden derzeit umfang- Daher wird derzeit eine Nutzungsdauer-
reiche Informationen über die vier Kandi- erweiterung bis maximal zum Jahr 2035
daten durch das Verteidigungsministerium untersucht. Hierfür wurde durch das
eingeholt. Kommando Luftwaffe ein Maßnahmen-
paket ermittelt, welches einen Fähigkeits-
Nutzungsdauererweiterung erhalt des Waffensystems bis zum Jahr
(NDE) des Waffensystems 2035 trotz einer erhöhten Bedrohung
und unter Berücksichtigung neuer ge-
Tornado
setzlicher Vorgaben für den Luftverkehr
Selbst bei beginnender Auslieferung des sicherstellen soll. Damit die Kosten und
Nachfolgemodells an die Luftwaffe im die Dauer der Umrüstung möglichst klein
Jahr 2025 wird es eine mehrjährige Über- gehalten werden können, wurden nur
gangsphase geben, in der sukzessive die solche Umrüstmaßnahmen betrachtet,
Stückzahlen des Waffensystems Tornado die für einen reinen Fähigkeitserhalt als
abgebaut werden, während gleichzeitig zwingend notwendig erachtet wurden.
die Anzahl der Waffensysteme des Nach- Neben den Maßnahmen zur Obsoles-
folgemodells in den Luftwaffenverbänden zenzbeseitigung umfasst das Paket Ver-
zunehmen wird. besserungen der Avionik, der Kommu-
Fazit
Die Entscheidung über das Ende der Nut-
zungsdauer des Waffensystems Tornado
und die Beschaffung eines Nachfolgemus-
ters, wird im Rahmen des sogenannten
„Quality Gate“ im Jahr 2018 erwartet.
Auch bei einer Ablösung des Tornados ab
dem Jahr 2025 werden einige der vorge-
schlagenen Umrüstungsmaßnahmen den-
noch realisiert werden müssen, damit ein
Fähigkeitserhalt bis zur Außerdienststel-
lung sichergestellt werden kann.
Die Zeitlinien, sowohl für die Umsetzung
einiger Einzelmaßnahmen aus dem Maß-
nahmenpaket zur Nutzungsdauererwei-
terung Tornado als auch für den Kauf
eines neuen Waffensystems, sind bereits
heute sehr eng. Damit der ambitionierte
Zeitplan eingehalten werden kann und
damit kritische militärische Fähigkeiten
für die Landes- und Bündnisverteidigung
auch in Zukunft zur Verfügung stehen,
muss eine Entscheidung im Jahr 2018 er-
folgen. L

– Fit for the Future

kampferprobt • verlässlich • fortschrittlich

Seit 40 Jahren bildet der Tornado das Rückgrat

der NATO Luftsicherheit.
Tornado: eine effiziente Dank kontinuierlicher Kampfwertsteigerungen und
und verlässliche Lösung bis über das Jahr 2035 hinaus. Modernisierungen bietet der Tornado heute und zukünftig:
Panavia Aircraft GmbH mit den Partnerfirmen Airbus Defence and Space,
BAE Systems und Leonardo steuert und koordiniert die Versorgung und  eine Vielzahl von präzisen intelligenten Waffen
Weiterentwicklung des Tornados.  genaue Navigation
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Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 55

  B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL
LTG 61 – Ende nach über 60 Jahren
Peter Preylowski
U mgliederungen, neue Auf-
gaben und Strukturen, aber
vor allem Umfangsreduzie-
rungen haben in der Geschichte
der Bundeswehr immer wieder
auch zur Auflösung von Verbän-
den geführt. Mit dem in Penzing bei
Landsberg am Lech stationierten Lufttrans-
portgeschwader 61 (LTG 61) trifft es nun
auch den ältesten fliegenden Verband der
(Foto: Archiv)
Der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß stellt am 24. August 1957 in Erding das
Lufttransportgeschwader 61 in Dienst.
(Foto: LTG 61)
Am 28. September 2017 wurde ein symbolischer Flyout mit einer zum
60. Geschwadergeburtstag als „Silberne Gams 50+01“ lackierten
Transall durchgeführt.
Luftwaffe, über 60 Jahre nach seiner Grün-
dung. Nach dem Luftwaffenaufstellungs-
befehl Nr. 47 vom 29. Januar 1957 wurde
am 1. März 1957 mit der Aufstellung des
Lufttransportgeschwaders 61 auf dem
Fliegerhorst Erding begonnen. Durch den
56 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
damaligen Verteidigungsminister
Franz Josef Strauß wurde das Ge-
schwader am 24. August 1957 of-
fiziell in Dienst gestellt. Die Erstaus-
stattung bestand aus 18 gebrauch-
ten Transportern Douglas C-47D,
da sich die Lieferung der Nord 2501
Noratlas zunächst verzögerte. Die ersten
Noratlas trafen aber noch im gleichen Jahr
ein, sodass mit diesen Transportern die 2.
Staffel aufgestellt werden konnte. Am 22.
April 1958 verlegte das LTG 61 nach Neu-
biberg, und schon im September des glei-
chen Jahres fand der erste Auslandseinsatz
in der Türkei statt. Am 16. Juni 1970 erhielt
das Geschwader seine erste Transall C-160,
eine deutsch-französische Entwicklung.
Anfang 1971 wurde das LTG 61 an seinen
endgültigen Standort Penzing bei Lands-
berg verlegt, wo noch im selben Jahr die
letzte Noratlas außer Dienst gestellt wurde
und zum Ende des Jahres die Auslieferung
der letzten Transall erfolgte. Im April 1979
wurde das Geschwader durch die Anglie-
derung einer mit dem Hubschrauber Bell
UH-1D ausgerüsteten Staffel für den Such-
und Rettungsdienst erweitert. Doch die
Nutzungszeit der Transall und der Bell
geht dem Ende entgegen, die Nachfol-
gemuster werden nicht in Penzing stati-
oniert. Seit Ende 2015 bereitet sich das
Geschwader auf seine Auflösung vor. Der
letzte Einsatzflug mit einer Transall fand
im Februar 2017 statt. Am 10. Juni 2017,
dem Tag der Bundeswehr, wurde noch
einmal zu einem Tag der offenen Tür ein-
geladen, dem fast 52.000 Besucher folg-
ten. Die offizielle Außerdienststellung mit
dem Einholen der Truppenfahne erfolgte
am 14. Dezember.
Neben den über 60 Jahre lang geforder-
ten Routineaufgaben für die Bundeswehr
und Verbündete waren es humanitäre
Hilfs- und Katastropheneinsätze, die das
Geschwader in den Blick der Öffentlichkeit
rückten. 1960 in Agadir, 1964 und 1966
in der Türkei, 1968 in Sizilien usw. usw.
Ab Anfang der 1990er Jahre wurde die
Bundeswehr vermehrt bei internationalen
Missionen eingesetzt, wozu in der Regel
Lufttransport erforderlich war: ehemaliges
Jugoslawien, Afghanistan, Tschad … L
INNOVATION AND
LEADERSHIP IN
AEROSPACE

25. – 29. April 2018

Berlin ExpoCenter Airport

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 B UND E S WEHR & S TREITKRÄF TE I NTERN ATI O N AL
Deutschlands maritime Dimension
Jahresbericht 2017 des Marinekommandos
Seit 30 Jahren präsentiert die Deutsche Marine bzw. das Marine-
kommando die Jahresberichte „Fakten und Zahlen zur maritimen
Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland“.
D er Jahresbericht 2017 stellt wie seine
Vorgänger einen umfassenden und
konkreten Ein- und Überblick zur ak-
tuellen maritimen Lage unseres Landes in
all ihren Dimensionen angesichts der Be-
schleunigung der Globalisierung und des
Anwachsen der Weltwirtschaft (bis 2018
um ca. 3,5 Prozent) dar. Maritime Sicher-
heit bildet dabei den Schwerpunkt des
Berichtes.
Maritime Wirtschaft
Deutschland ist die größte Handels- und
Exportnation in Europa, wobei bis zu 90
Prozent des Exports über See abgewickelt
werden. Die maritime Wirtschaft zählt mit
einem jährlichen Umsatz von ca. 50 Milli-
arden Euro und ca. 400.000 Beschäftigten
zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen
unseres Landes. Die Handelsflotte umfasst
3.173 Schiffe (ab 1.000 BRZ), darunter
207 Schiffe unter deutscher Flagge, und
ist mit 6,5 Prozent der Welttonnage die
viertgrößte der Welt. Dennoch ist die Han-
delsflotte unter deutscher Flagge seit 2008
von 645 Schiffen auf nunmehr 330 Schiffe
geschrumpft. Die von deutschen Reedern
kontrollierte Containerflotte (1.351 Schif-
fe, davon 117 unter deutscher Flagge) ist
die größte der Welt. 2016 wurden 296,4
Millionen Tonnen Güter in deutschen See-
häfen bei 130.152 Schiffsbewegungen um-
geschlagen. Der Schiffbau mit ca. 17.500
Beschäftigten erzielt einen jährlichen Um-
satz von ca. 5,4 Milliarden Euro, wobei 67
Prozent der Produkte exportiert werden.
Maritime Sicherheit/Krisengebiete
Der internationale Seehandel basiert auf
weltweiten, freien und sicheren Seever-
Ein Einsatzverband (Einsatzgruppenversorger und
zwei Fregatten Klasse 124) der Deutschen Marine
im Mittelmeereinsatz
bindungswegen. Aber Krisengebiete wie
das Südchinesische Meer gefährden die
sicheren Seeverbindungswege. Dort be-
ansprucht China ca. 90 Prozent des Süd-
chinesischen Meeres quasi als chinesisches
Binnenmeer und militarisiert die besetzten
Inseln und Atolle. Dabei kommt es immer
wieder zu Zwischenfällen mit den An-
rainerstaaten und vor allem mit der U.S.
Navy, die demonstrativ die chinesischen
„Hoheitsgewässer“ durchfährt/überfliegt,
weil die USA und die Völkergemeinschaft
Chinas Ansprüche nicht anerkennen und
auf freie Durchfahrt (freedom of naviga-
tion) pochen. Auch die internationalisier-
te Arktis mit ihrem politisch ungeklärten
Status ist krisenanfällig. Der Klimawandel
beschleunigt das rasante Abtauen der Eis-
panzer. Das erleichtert den Zugang zu
den Gas-, Erdöl- und Erzvorkommen und
öffnet die nördliche Seeroute, die entlang
Nordrusslands Küsten Europa mit Asien
verbindet, für den internationalen Schiffs-
verkehr. Russland hat daher am Nordkap
neue Marinestützpunkte errichtet und
sechs alte Stützpunkte wieder aktiviert
und führt regelmäßig Militärmanöver in
der Arktis durch.
Das Mittelmeer hat sich wegen der enor-
men Migrationswellen über See nach Eu-
ropa zu einem akuten Krisengebiet gewan-
delt. Weltweit sind derzeit ca. 65,6 Millio-
nen Menschen auf der Flucht mit steigen-
der Tendenz. Die Migrationswelle über das
Mittelmeer betrug 2015 über eine Million
Menschen. Mit dem Vorgehen europäi-
scher Marinen und Frontex-Behörden und
der Zusammenarbeit mit nordafrikanischen
Ländern gegen Schlepper- und Schleuser-
banden konnte der Migrationsstrom 2016
Dieter Stockfisch
auf ca. 370.000 Menschen reduziert wer-
den. Aber 2017 ist der Migrationsstrom
wieder angewachsen. Absehbar ist, dass
die Migrationsströme auch künftig nicht
abnehmen werden.
Piraterie
Piraterie ist rückläufig. 2016 wurden
weltweit noch 191 Piratenüberfälle auf
die Schifffahrt gemeldet, 2015 waren
es noch 246. Am Horn von Afrika, 2011
mit 163 Überfällen der Piraterie-Hotspot,
ist die Piraterie 2016 auf zwei Überfälle
zurückgegangen. Dies wurde durch die
Antipiraterie-Einsätze der EU-geführten
Mission „Atalanta“, der US-Task Force
151 und Einheiten zahlreicher Nationen
erreicht. Auch in Südostasien (Indonesi-
en) konnte durch verstärkte Antipirate-
rie-Patrouillen der Anrainerstaaten die Pi-
raterie spürbar zurückgedrängt werden.
Dafür hat sich in Westafrika/Golf von
Guinea ein neuer Pirateriebrennpunkt
entwickelt. 2015 gab es dort 31 gemel-
dete Überfälle und Schiffsentführungen.
2016 waren es bereits 55. Die Dunkelzif-
fer liegt höher.
Deutsche Marine
Die Deutsche Marine trägt kontinuierlich
mit hoher Einsatzintensität seit vielen Jah-
ren weltweit zur Konfliktbewältigung und
Krisenvorsorge bei. 2015/2016 stellte sie
über 25 Prozent aller Soldaten der Bun-
deswehr in ihren zahlreichen Einsätzen.
Derzeit umfasst die Marine 77 Schiffe/
Boote und 51 Flugzeuge/Hubschrauber.
Der Personalumfang in der Marine beträgt
15.867 Soldatinnen und Soldaten. Die Flot-
te wird bis 2020 um vier Fregatten Klasse
125 und 18 neue Hubschraubern (Sea Lion)
aufwachsen. Geplant ist zudem der Zulauf
von fünf Korvetten Klasse 130 (2. Los), zwei
U-Booten Klasse U212A NG und mittelfris-
tig vier bis sechs Mehrzweckkampfschiffen
(MKS 180). L
(Foto: EU NAVFOR)
 ES&T SPEZIAL: FLUGABWEHR 

Thesen zur boden- und seegestützten

Luftverteidigung in Europa
Stefan Nitschke

Zur Bewältigung von Risiken, die Europa mit dem Aufkommen neuer durch taktische und substrategische/stra-
tegische aerodynamische Angriffswaffen,
regionaler Konfliktsituationen bedrohen, bedarf es gemeinsamer ver- sogenannte Cruise-Missiles, ausgehen. Die
teidigungspolitischer und rüstungstechnologischer Anstrengungen. Proliferationsentwicklung bei solchen Waf-
fensystemen kann heute als bedenklich
Hierzu gehört eine glaubwürdige boden- und seegestützte Luft- bewertet werden. Die Bedrohung, welche
verteidigung. durch solche Offensivwaffen ausgeht, ist
der Öffentlichkeit bislang aber weitgehend
verborgen und vorenthalten geblieben.

K risenhafte Entwicklungen – einherge-

hend mit neuartigen Bedrohungen
aus der Luft – eröffnen die Debatte
um eine verbesserte Luftverteidigung in
Europa. Zum einen führt die Verbreitung
von taktischen-ballistischen Flugkörpern
(Tactical Ballistic Missiles, TBM) in einer
Reihe von sogenannten Schurkenstaaten
wie Nordkorea, Iran und Syrien zu po-
tenziellen regionalen Konfliktsituationen,
die auch Europa bedrohen, zum anderen
(Foto: U.S. Air Force)
Conference 2017 in Essen am 11. Oktober
im vergangenen Jahr. Die Schaffung eines
„gemeinsamen Verständnisses“ der der-
zeitigen Bedrohungslage, so Konferenz-
teilnehmer, biete genügend Argumente,
die Analyse der Stärken und Schwächen
von Luftverteidigung im euro-atlantischen
Raum durch eine Neubewertung von ro-
busten Fähigkeiten bei boden- und seege-
stützten Einsatzmitteln zu untermauern.
Fehlende Kapazitäten
Das fehlende oder unzureichende Ver-
ständnis der meisten NATO-Staaten, solche
Offensivwaffen – Cruise-Missiles – in eine
glaubwürdige Luftverteidigung mit einzu-
beziehen, führte zu besorgniserregenden
Defiziten bei der Luftabwehr besonders im
Kurz- und Mittelbereich. Die Lücke bei der
Flugabwehr im kurzen Entfernungsbereich

kommt ein in den letzten Jahren gewach-

senes Konfliktpotenzial mit Russland zum
Ausdruck. Letzteres entstand im Zuge des
Aufbaus eines Raketenabwehrschirms in
Europa und durch die Bemühungen der
Vereinigten Staaten, entsprechende Ab-
wehrsysteme in Polen (Redzikowo) und in
Rumänien (Deveselu) zu installieren. Russ-
land, das sich durch die inzwischen erfolgte
Stationierung von Abwehrsystemen selbst
bedroht fühlt, da der Einsatzwert von ei-
genen strategischen Waffensystemen ein-
geengt würde, reagierte deshalb mit einer
weiteren Modernisierung seiner Offensiv-
waffen. Die als aggressiv wahrgenommene
Politik Moskaus in der Ukraine und ander-
norts (Nordpolar- und Ostseeraum) führt
bei den europäischen NATO-Staaten zu Patriot (Foto) und MEADS/TLVS zeichnen sich dadurch aus, dass sie rasch
weiterer Besorgnis. verlegefähig sind und über eine hohe taktische Mobilität verfügen. Die-
Es gibt mehree Instrumentarien, die der se Systeme sind für die Flugkörperabwehr in der unteren Abfangschicht
Eindämmung möglicher Risiken im eu- und zur Bekämpfung von TBM, die den höheren Abhaltebereich durch-
ro-atlantischen Raum dienen. Zwei davon, brochen haben, ausgelegt.
Luftmacht (Air Power) und Erweiterte Luft-
verteidigung, werden als „Mittel der Ab- Deren Bedeutung für eine glaubwürdige (SHORAD/VSHORAD, Short-Range/Very
schreckung“ verstanden, so NATO-Vertre- TBM-Abwehr in Europa wächst mit dem Short-Range Air Defence) zeichnet sich
ter während der Joint Air and Space Power Grad der Bedrohung durch neuartige An- seit einigen Jahren ab. NATO-Partner kri-
griffsmittel. Nur ein Gesamtsystem aus tisieren das Fehlen entsprechender Fähig-
Au to r Frühwarnsystemen und Effektoren kann keiten auch bei der Bundeswehr. In einem
hinreichenden Schutz gegen weitreichen- Dokument zu den Fähigkeitsforderungen
Stefan Nitschke ist Editor, Special de TBM und die weiterhin als kritisch einge- für ein „Flugabwehrraketensystem kurzer
Assignments bei unser Schwesterzeit- stuften Wiedereintrittskörper bieten. Reichweite“ geht es jetzt um die Frage,
schrift European Security & Defence. Ungeachtet dessen tun sich aber weitere wie die Fähigkeitslücke auf absehbare Zeit
Risiken auf, welche von der Bedrohung geschlossen und der Schutz der Landstreit-

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 59

  ES&T SPEZIAL: FLUGABWEHR
kräfte auch vor neuartigen Bedrohungen
wie Cruise-Missiles erreicht werden kann.
Die Modernisierung der bodengebunde-
nen Luftverteidigung gilt als hoch priori-
siertes Vorhaben. Mittelfristig könnten für
Voruntersuchungen und erste Entwick-
lungen eines Flugabwehrraketensystems
kurzer Reichweite Finanzmittel von 460
Millionen Euro eingeplant werden. Für eine
spätere Projektphase könnten dann noch
einmal rund zwei Milliarden Euro „hinzu-
genommen“ werden, so ein Konferenzteil-
nehmer beim FKH-Symposium „Nutzung
des Luftraums durch die Landstreitkräfte –
operativ und technisch“ beim Internationa-
len Hubschrauberausbildungszentrum Bü-
ckeburg Mitte November letztes Jahr. Die
Frage, ob hierfür von der Industrie bereits
entwickelte Lasertechnologien und weite-
re Sensorkomponenten genutzt werden,
bleibt auch aus Kostengründen unklar.
(Foto/Grafik: Korean Central News Agency; The Heritage Foundation)
Links: Start einer nordkoreanischen Mittelstreckenrakete des Typs BM25 Musudan am 21. Juni 2016.
Rechts: Mit den im Juli und November 2017 durchgeführten Raketentests gelangt das Festland der USA
in Reichweite neuester nordkoreanischer Interkontinentalraketen.
Nachdem Lenkflugkörper Neue Genera-
tion inzwischen von Diehl Defence offen-
sichtlich nicht mehr offeriert wird, gehen
Beobachter davon aus, dass IRIS-T SL/SLS
oder ein bei Kongsberg und Raytheon
verfügbares System (NASAMS II) als mögli-
che Favoriten in Betracht gezogen werden
könnten. IRIS-T SL/SLS als Teil des Gesamt-
systems IRIS-T SLM könnte ohne größere
Modifizierungen für den Bodenverschuss
adaptiert werden – etwa analog zu der
von Schweden beauftragten Systemkonfi-
guration auf dem Trägerfahrzeug Bv206/
BvS10 von Hägglunds Vehicle AB (jetzt BAE
Systems). Bei IRIS-T SL (Surface Launched)
handelt es sich um eine reichweitengestei-
gerte Version des Lenkflugkörpers IRIS-T.
Dieses System ist für den Nahbereich bis
60 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
fünf Kilometer Höhe und zehn Kilometer
Entfernung ausgelegt. NASAMS II befindet
sich bereits in Finnland, den Niederlanden,
Norwegen, Spanien und in den USA in der
operationellen Nutzung. Ob der Vorschlag
IRIS-T SL letztlich obsiegt, hängt davon ab,
ob nicht ein leichterer Effektor vorrangig
betrachtet werden muss. Kritiker behaup-
ten, IRIS-T SL als Nachfolger von Ozelot/
Stinger sei überdimensioniert. Mit einer
Entscheidung wird nicht vor 2018 gerech-
net.
Abwehrsysteme höchster
technologischer Reife
Die Proliferation von Technologien für TBM
hat eine globale Dimension erreicht. Einer
Einschätzung der Bedrohungslage durch
die NATO zufolge werden einige Staaten in
Zentral- und Südostasien sowie des Mittle-
ren Ostens bereits zu Beginn des nächsten
Jahrzehnts über mehr als 2.200 TBM mit
unterschiedlichen Reichweiten und Ge-
fechtskopftypen verfügen. In dieser Berech-
nung sind allerdings auch etwa 600 TBM
enthalten, deren Reichweite über 2.500 km
betragen wird und die nach neuesten Ein-
schätzungen auch Mitteleuropa bedrohen
könnten. Die Arbeiten an Systemen mit grö-
ßerer Reichweite (über 9.000 km) in Nordko-
rea bestätigen diese Tendenz.
Um die Dramatik der weltweit beobacht-
baren Proliferationsentwicklung bei TBM
zu verdeutlichen, ist von großer Wichtig-
keit, dass viele dieser Angriffsmittel nur
sehr schwer mit den zurzeit verfügbaren
Luftverteidigungsmitteln zu bekämpfen
sind. Hierbei handelt es sich um Submu-
nitionen, die von einem Trägersystem
mitgeführt und in großen Höhen als Wie-
dereintrittskörper ausgestoßen werden.
Als außerordentlich kritisch benennen
NATO-Papiere im hohen Machzahlbereich
anfliegende TBM, die wegen ihrer größe-
ren Systemreichweiten und verbesserten
Präzision sowie der dramatisch reduzierten
Abstrahlungscharakteristiken und der rela-
tiv kleinen letalen Bereiche nur sehr schwer
bekämpft werden können.
Ebenso wie die Interzeption von TBMs und
Wiedereintrittskörpern im exoatmosphäri-
schen Abhaltebereich eine technologische
Herausforderung darstellt, ist deren Abwehr
im unteren Abhaltebereich nicht unproble-
matischer, weil mit einer hohen Präzision
relativ kleine letale Bereiche an einem TBM
(wie die Flugkörperelektronik und die Ge-
fechtsladung) oder bereits abgetrennte und
in die untere Abfangschicht gelangte Wie-
dereintrittskörper bekämpft werden müs-
sen. Hierzu gibt es jedoch nach wie vor keine
einheitlichen Kill-Kriterien, die eine sichere
Identifizierung der Position eines Gefechts-
kopfes in einem TBM, die Unterscheidung
eines anfliegenden TBM-Gefechtskopfes
von einem Täuschkörper und die Klassifi-
zierung eines anfliegenden TBM-Gefechts-
kopftyps ermöglichen könnten.
Die Bekämpfung des Trägermittels durch
einen Catastrophic Kill-Treffer in der ge-
forderten Abhaltehöhe muss demzufolge
sicherstellen, dass Kollateralschäden am
Boden durch solche Submunitionen wei-
testgehend vermieden werden. Chemische
und biologisch (bakteriologische) Submuni-
tionen gelten deshalb schon seit Längerem
als außerordentlich kritisch, da sie größere

Offene Systemarchitektur bei bodengebundenen Luftverteidigungs-
systemen: Gesamtsystem IRIS-T SLM (Startgerät und Effektoren
IRIS-T SL) mit Multifunktionsradar CEAFAR (CEA Technologies) und
Tactical Operation Centre mit BMD-Flex C3 (Terma) und Oerlikon
Skymaster Battle Management System (Rheinmetall Air Defence)
Die Entdeckungsreichweite des Radarsystems SMART-L MM/N wird durch
neue Software auf bis zu 1.500 km erhöht.
Bekämpfungsreichweiten in Höhen ober-
halb von 20 km erfordern.
Derzeit verfügt die NATO, abgesehen von
der eingeschränkten Bekämpfung von
Punktzielen in der unteren Abfangschicht
durch Abwehrsysteme wie Patriot PAC-
3, über keine ausreichende Befähigung
besonders zur Bekämpfung von weitrei-
chenden TBM. Endphasensysteme wie
PAC-3, die gemäß der HTK-Technologie
(Hit-to-Kill) einen Direkttreffer an einem
anfliegenden TBM-Ziel herbeiführen sol-
len und deren Feuerleitung vom Boden
aus erfolgen muss, haben dann allerdings
ein beträchtliches Abwehrpotenzial, wenn
deren Waffenleitradar präzise genug ein-
gewiesen wird.
Sicher ist, dass seegestützte Abwehrsyste-
me im Vergleich zu herkömmlichen landge-
stützten Systemen wie PAC-3 über deutlich
größere Footprints verfügen, weil die zur
(Foto: Diehl Defence)
(Foto: Thales Nederland)
Detektion und Verfolgung von Flugkörper-
bedrohungen eingesetzten bordeigenen
Phasenradare Informationen zu deren prä-
ziser Einweisung erhalten oder aber über
hinreichend große Entdeckungsreichwei-
ten verfügen. Deutschland und die Nieder-
lande planen, entstehende Defizite in die-
sem Bereich durch Fähigkeitsanpassungen
bei schiffseigenen Sensoren zu beseitigen.
Hierfür stellt Thales Nederland das auf Gal-
liumnitrid-Technologie basierende Radar-
system SMART-L MM/N (Multi-Mission/
Naval) bereit.
In einem typischen TBMD-Szenario könnte
die Fregatte F124 („Sachsen“-Klasse) dann
als eine sinnvoll in streitkräftegemeinsame
Einsätze integrierbare Plattform für die
Gewinnung, Zusammenführung (Fusion)
und den Austausch von Sensordaten im
Sinne eines sogenannten Sensor Netting
mit anderen schwimmenden und fliegen-
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik
ES&T SPEZIAL: FLUGABWEHR 
den Einheiten der Flotte und verbündeter
Kräftedispositive genutzt werden.
Die notwendigen Voraussetzungen für ei-
ne künftig verbesserte Abwehr von See aus
umfassen längerfristig eine leistungsgestei-
gerte Verarbeitung von Frühwarn- und Ra-
dareinweisedaten in einer Echtzeitrechner-
umgebung. Die Grundidee dafür bietet das
amerikanische Coordinated Engagement
Concept (CEC), das als Frühwarnsystem
Zieldaten von unterschiedlichen Sensor-
plattformen – schiffsgestützte wie AEGIS
SPY-1 (künftig auch SPY-6) und luftgestütz-
te wie E-2D AHE Advanced Hawkeye bzw.
JTIDS (Gemeinsames taktisches Informati-
onsverteilungssystem) – und im Verbund
mit bodengebundenen Elementen der
Flugkörperabwehr an geografisch weiträu-
mig dislozierte Plattformen zur Darstellung
eines überall identischen Luftlagebildes ver-
teilt. Zumindest erscheint aus heutiger Sicht
eine frühzeitige Ortung und Bekämpfung
von TBM sowie von Wiedereintrittskör-
pern, die unterschiedliche Submunitions-
gefechtsköpfe enthalten, durch CEC oder
ein ähnliches Frühwarnsystem möglich.
Seegestützte Abwehrsysteme verfügen im
Vergleich zu landgestützten Systemen wie
PAC-3 über deutlich größere Footprints,
weil die zur Detektion und Verfolgung
von Flugkörperbedrohungen eingesetzten
schiffseigenen Phasenradare Cueing-In-
formationen erhalten oder aber über hin-
reichend große Entdeckungsreichweiten
verfügen. Außerdem kann auf den Ein-
satz von landgestützten Frühwarnradaren
verzichtet werden, wenn schiffsgestützte
Phasenradare in der Nähe der gegneri-
schen Abschussanlagen (im Küstenvorfeld)
disloziert sind, die sehr viel früher in der
oberen Abfangschicht anfliegende Bedro-
hungen auffassen und solche sich in der
Aufstiegsphase befindlichen Systeme einer
Bekämpfung durch schiffsgestartete Ab-
wehrflugkörper zuführen können.
Systeme im Vergleich
Untersuchungen aus den Jahren 2009,
2010 und 2012 zufolge erscheint im unte-
ren Abhaltebereich, wo PAC-3 und MEADS/
TLVS in der aktiven Flugkörperabwehr am
wirkungsvollsten eingesetzt werden sol-
len, eine Direkttrefferwahrscheinlichkeit
von über 70 Prozent und eine Zielzerstör-
wahrscheinlichkeit von nahezu 90 Prozent
bei einem Doppelverschuss von PAC-3 als
realistisch. Sehr ähnliche Arbeiten erfolg-
ten in Frankreich und Italien mit SAMP/T
(sol-air-moyenne portée/terrestre), einem
bodengestarteten Endphasensystem auf
Basis ASTER 30 mit einer prognostizierten
Direkttrefferwahrscheinlichkeit von 65 bis
75 Prozent.
61
  ES&T SPEZIAL: FLUGABWEHR
Die höchstmögliche Direkttrefferwahr-
scheinlichkeit bei diesen Abwehrsystemen
ist allerdings abhängig von der Flugbahn
und der Geschwindigkeit eines anfliegen-
den TBM. Dessen Vulnerabilität ist dann als
besonders hoch einzustufen, wenn dieser
in die dichter werdende Atmosphäre ein-
taucht und der Eintrittswinkel mit zuneh-
mender Reichweite des Flugkörpers flacher
wird. Als gesichert gilt hier die Annahme,
dass die Geschwindigkeit eines weitrei-
chenden TBM (etwa vom russischen Typ
RS-12M1/2 Topol-M (SS-27/RT-2PM2) und
solche aus nordkoreanischer, iranischer, pa-
kistanischer und chinesischer Entwicklung
wie Taepo-Dong 2, Shahab 3 oder BM25
Musudan, Agni III und JL-2 (CSS-NX-5)
nach dem Eintritt in die Atmosphäre stark
abgebremst wird. Bei TBM mit einer Reich-
weite von über 2.000 km sind derartige
Merkmale bereits in einer Höhe von etwa
30 km zu erwarten.
Als ein High End-/Exo-Abwehrsystem ist
THAAD (Terminal High Altitude Area De-
fense) im Abhaltebereich oberhalb von 20
km gegen solche Bedroher durch Nutzung
(Foto: MBDA)
Mit dem Endphasensystem ASTER
30-SAMP/T können TBM mit einer Reich-
weite bis 600 km bekämpft werden.
von Kinetic Kill Vehicles (KKV) und deren
hoher kinetischer Energie (über 200 MJ)
wirksam. THAAD auf der einen Seite und
Endphasensystemen wie MEADS/TLVS
(Taktisches Luftverteidigungssystem) und
Patriot PAC-3 auf der anderen Seite ist ge-
meinsam, dass sie beim Abwehrflugkörper
62 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
Das auf französischen und singapurischen Fregatten genutzte Multi-
funktionsradar Herakles wird als Multibeam-Radar für die Ortung und
Identifizierung von Luftzielen über Distanzen bis über 250 km und 26 km
Höhe und als Pencilbeam-Radar für Tracking-Aufgaben eingesetzt. Die
Aufnahme zeigt die mit dem Herakles-Radar ausgerüstete französische
FREMM-Fregatte „Normandie“.
die gleiche konventionelle HTK-Technolo-
gie nutzen. Allerdings unterscheiden sich
diese Systeme durch die Ausdehnung der
verteidigten Fläche (Footprints).
Das durch den US-Kongress als „Deployable
TMD Demonstration System“ im National
Missile Defense (NMD) Act von 1991 gebil-
ligte und mit Beteiligung der Ballistic Missile
Defense Organization (BMDO) im Rahmen
der taktischen Zielvorstellung Joint Vision
2010 inzwischen bei den amerikanischen
Streitkräften eingeführte Upper Layer-Sys-
tem THAAD soll die Bekämpfung von in
unterschiedlichen Eintrittswinkeln anflie-
genden TBM im sehr hohen Abhaltebereich
(Upper Keep-out Altitude) ermöglichen. Die
großen Entdeckungsreichweiten werden
hierbei nur durch ein Waffensystemradar
mit einer feststehenden Antenne mit elek-
tronischer Strahlschwenkung erzielt, wobei
Reichweiten in der Größenordnung von
über 450 km angenommen werden kön-
nen. Wichtig ist hierbei der Tatbestand, dass
die frühzeitige Detektion und Identifizierung
von TBM-Zielen und die Unterscheidung
von Gefechtsköpfen und Täuschkörpern
Reichweiten und Auflösungsgenauigkeiten
erfordert, die mit den bislang entwickelten
Systemen kaum erreicht werden können.
Frühere Überlegungen, THAAD auch in
Europa zur TBM-Abwehr im oberen Ab-
haltebereich (Upper Tier TBMD) zu nutzen,
besagen, dass am Beispiel Deutschlands
eine im Vergleich zu PAC-3 und MEADS/
TLVS um ein Vielfaches geringere Stückzahl
von Werferstellungen zur Abdeckung des
Territoriums erforderlich wäre.
Technologische Risiken
weiter ungeklärt
Die technologische Einschätzung der Ab-
wehrmöglichkeiten von Flugkörpern mit
großer Reichweite ist außerordentlich kom-
plex. Richtschnur einer künftigen TBM-Ab-
wehr sind Abstand, Präzision und kurze
Reaktionszeiten. Technologisch lassen sich
die meisten der heute vorhandenen Ab-
wehrsysteme auf die bereits in den 1960er
(Foto: DCNS)
Jahren begonnenen Entwicklungsarbeiten
für eine Raketenabwehr zurückverfolgen,
jedoch ist bis heute kein solches System mit
den seit Langem geforderten extrem ho-
hen Anforderungen an die Zielgenauigkeit
in der Lage, vollumfänglich gegen das heu-
te vorhandene TBM-Spektrum zu schüt-
zen. Ansätze sind in den jetzt entwickelten
Systemen GBI (Ground Based Intercep-
tor), als Komponente des Ground-based
Midcourse Defense (GMD)-Segments der
NMD) und THAAD in den USA, Arrow 2 in
Israel und S-300V/Antei (SA-12 Gladiator/
Giant) in Russland erkennbar.
Technologisch umstritten ist allerdings
noch beim Upper Layer-System THAAD
die Befähigung zur Diskriminierung von
Zielen mit sehr kleinen Radarquerschnit-
ten (Radar Cross Sections, RCS), weil ein
Wiedereintrittskörper nur sehr schwer von
benachbarten Täuschkörpern unterschie-
den werden kann. Bei Lower Layer-Syste-
men wie PAC-3, die als Allroundsysteme
gegen ein breites Bedrohungsspektrum
eingesetzt werden können und wegen
ihrer Mobilität besonders für Joint/Com-
bined Operationen eine gewisse Stand-alo-
ne-Fähigkeit ermöglichen, beherrscht die
Problematik der Trefferhöhe die Frage, wie
toxische Kampfstoffe in Submunitionsge-
fechtsköpfen, die als Leaker in die untere
Abfangschicht gelangen, unschädlich ge-
macht werden können, bevor diese in kon-
zentrierter Form den Boden des eigenen
Territoriums oder den eines neutralen oder
verbündeten Staates erreichen. Experten
sehen deshalb in sogenannten Boost Pha-
se Intercept-Systemen, die entweder den
Einsatz von gerichteter kinetischer Ener-
gie oder laserbasierten Systemen umfas-
sen, Möglichkeiten, TBM-Bedrohungen
schon über gegnerischem Territorium zu
eliminieren. Eine langfristige Option kann
daher möglicherweise nur die Zerstörung
von TBM in deren Aufstiegsphase durch
luftgestützte Hochenergie-Lasersysteme
sein, wodurch das Risiko der Restwirkung
durch Submunitionen auf das gegnerische
Territorium beschränkt bleiben könnte. L

Qualifizierte Fliegerabwehr soll
Drohnen im Nächstbereich ausschalten
Lars Hoffmann
Der Konflikt in der Ukraine hat die von Drohnen ausgehende tödliche
Gefahr für Landstreitkräfte für jedermann sichtbar gemacht. Dort
sollen binnen weniger Minuten zwei mechanisierte Bataillone der uk-
rainischen Streitkräfte durch weitreichendes Artilleriefeuer vernichtet
worden sein – aufgeklärt wurden die Einheiten von ferngesteuerten
Drohnen.
U
m die deutsche Kampftruppe in be-
weglichen Operationen gegen die
neuen Bedrohungen aus der Luft
zu schützen, soll deshalb eine qualifizierte
Fliegerabwehr aufgebaut werden. Absicht
sei es, dass Verbände des Heeres ein Wirk-
mittel erhalten, „mit dem sie auf nächste
Entfernung Flugobjekte bekämpfen kön-
nen“, sagte der Inspekteur des Heeres,
Generalleutnant Jörg Vollmer, am Rande
der diesjährigen Informationslehrübung
Landoperationen Mitte Oktober auf dem
Truppenübungsplatz Bergen. Er betonte,
dass dies in klarer Trennung von der Ver-
antwortlichkeit der Luftwaffe erfolge.
Man denke dabei an Drohnenschwärme,
die die Truppe unmittelbar bedrohten, sag-
te der Inspekteur. Eine solche Bedrohung
wolle man mit einem effektiven Wirkmit-
tel bekämpfen „und eben nicht nur mit
dem Maschinengewehr MG 3 und dem
Fliegerabwehrvisier“, welche das Heer seit
ungefähr 60 Jahren benutze. Laut Vollmer
soll die Fähigkeit zum Selbstschutz bis zum
Jahr 2023 aufgebaut werden. In diesem
Jahr stellt die Bundeswehr eine Brigade für
die sogenannte NATO-Speerspitze oder
VJTF bereit.
Bei der Definition der qualifizierten Flieger-
abwehr geht es auch darum, eine klare
Abgrenzung der Aufgaben von Heer und
Luftwaffe herauszuarbeiten. Denn seit
dem 1. April 2012 ist die Luftwaffe für
die gesamte Luftverteidigung in der Bun-
deswehr zuständig. Die damals durch die
Inspekteure von Heer und Luftwaffe ge-
Au to r
Lars Hoffmann ist Freier Journalist
für Sicherheit und Verteidigung.
ES&T SPEZIAL: FLUGABWEHR 
grundsätzlich mehrerer Lösungsvorschläge
ist für Ende 2018 beziehungsweise Anfang
2019 vorgesehen. Erste Waffensysteme
einer Erstbefähigung sollen der Truppe zu
Beginn 2024 zur Verfügung stehen. Um die
ambitionierten Zeitlinien einhalten zu kön-
nen, werde bei der Realisierung der Erst-
befähigung der Fokus weitestgehend auf
marktverfügbare Lösungen gelegt, teilte
die Luftwaffe mit.
Aufgrund dieser Vorgabe werden in der
troffene „Ziel- und Leistungsvereinbarung Erstbefähigung noch keine Effektoren wie
zwischen Heer und Luftwaffe über die etwa Laser vorhanden sein, die besonders
Zusammenführung der Aufgaben Luftver- zur Bekämpfung von Drohnen und Mini-
teidigung und Flugabwehr in der Luftwaf- drohnen geeignet sind. Dieses Vakuum soll
fe“ gelte unverändert als
(Foto: KMW)
Grundlage für sämtliche
Aktivitäten zum Schutz
von Landstreitkräften so-
wie Heereskräften gegen
Bedrohungen aus der
Luft, teilte ein Sprecher
der Luftwaffe dazu mit.
Die Gültigkeit dieser Ziel-
und Leistungsvereinba-
rung sei unlängst durch
die Inspekteure bestätigt
worden, so der Sprecher
weiter. Damit werde
die Aufgabe Nah- und
Nächstbereichsschutz
(NNbS) in Gänze durch
die Luftwaffe wahrge-
nommen. Dieser Schutz
soll der Luftwaffe zufolge
im Rahmen eines dynami- Der Schützenpanzer Puma kann mit Air-Burst-Munition
schen Raumschutzes, un- einen Sperrvorhang gegen anfliegende UAV schießen.
ter Berücksichtigung der
Einsatzgrundsätze der Landstreitkräfte in offenbar die neue Initiative des Heeres aus-
allen taktischen Aktivitäten, sichergestellt füllen. Da die qualifizierte Fliegerabwehr
werden. Wesentlicher bestimmender Fak- aber zu einem späteren Zeitpunkt Bestand-
tor bei der Ausplanung eines solchen dyna- teil der NNbS wird, ist für Beschaffungsvor-
mischen Raumschutzes werde die tatsäch- haben im Rahmen der qualifizierten Flie-
liche technische Auslegung eines zukünfti- gerabwehr keine separate FFF vorgesehen,
gen Luftverteidigungssystems NNbS sein. wie es aus Bundeswehrkreisen heißt. Dem
Diese Entscheidung stehe jedoch noch aus, Vernehmen nach laufen gegenwärtig Ge-
so der Sprecher. spräche mit der Industrie, um gemeinsame
Die sogenannte Fähigkeitslücke und Funk- Lösungen zu finden. Dabei dürfte es dem
tionale Forderung (FFF) für NNbS wird ge- Heer nicht nur um den Schutz von beweg-
genwärtig erarbeitet. Dieses Phasendoku- lichen Verbänden, sondern auch um den
ment, das den Lösungsweg offenlässt, soll von festen Stützpunkten gehen. So sollen
bis Sommer 2018 durch den Generalins- deutsche Kontingente in ihren Feldlagern
pekteur der Bundeswehr gebilligt werden. im Baltikum mehrfach von unbekannten
Eine Auswahlentscheidung auf Grundlage Drohnen überflogen worden sein.
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 63
 ES&T SPEZIAL: FLUGABWEHR

Diskutiert wird in Heereskreisen unter an-

Sinnvolle Phasen der Raketenabwehr derem eine spezialisierte Bewaffnung auf
vorhandenen Fähigkeitsträgern für die qua-
lifizierte Fliegerabwehr. Wobei es hier Be-
Dorothee Frank denken vonseiten der Luftwaffe gibt, dass
ein solches Vorhaben die Umsetzung des
NNbS-Projektes behindern oder verzögern
Der NATO-Raketenschild für Europa, heute allgemein in der NATO könnte. Nicht zuletzt, weil die personellen
Ressourcen in den Planungsbehörden an-
als BMD (Ballistic Missile Defense) bezeichnet, soll das Gebiet des gespannt sind.
Bündnisses vor ballistischen Raketenangriffen schützen. Auch Technisch dürften dabei eine ganze Reihe
von Lösungen infrage kommen, sogar die
wenn vor allen Dingen die Europäer von diesem Ansatz profitieren Nutzung von Maschinengewehren. So hat
– da die USA ihr eigenes Gebiet bereits schützen können – stam- die Luftwaffe zusammen mit dem Bundes-
wehr-Beschaffungsamt BAAINBw im Ok-
men fast alle Technologien, Systeme, Abwehrmöglichkeiten und tober ein Versuchsschießen mit Rohrwaf-
vor allem die Finanzierung derselben weiterhin aus den USA. fen bis hin zum MG 3 und MG 12,7 mm
gegen Drohnen in Todendorf organisiert,
wie es aus Luftwaffenkreisen heißt. Be-
Europa und Deutschland konzentrieren ihre Bemühungen (Erkennen, Erfassen und
kämpften mehrere Schützen eine Drohne
Bekämpfen) fast ausschließlich auf den Lower Tier Bereich, in dem eigentlich keine
gleichzeitig, sei die Wahrscheinlichkeit sehr
Raketenabwehr mehr stattfinden sollte. Zumindest keine von ballistischen Raketen.
hoch, dass diese getroffen werde. Die aus
Die drei Flugphasen ballistischer Raketen werden allgemein in die Startphase, gefolgt
dem Schießen gewonnenen Erkenntnisse
vom Midcourse und schließlich den Zielanflug eingeteilt. Die Raketen besitzen bis sollen in die „Taschenkarte Fliegerabwehr
auf wenige Marschflugkörper, die sich allerdings noch in der Testphase befinden, aller Truppen“ einfließen.
eine ballistische Flugkurve, die sie über die Atmosphäre hinaus in den Weltraum und Sollten allerdings Drohnen im Schwarm
schließlich wieder zurück Richtung Erde führt. auftreten, dürfte diese Art der Bekämpfung
Aufgrund der Erdkrümmung kann die IR-Signatur der Startphase nur mittels Satel- nicht ausreichen. Aus diesem Grund über-
liten aufgeklärt werden. Die Abwehr in der Startphase wäre zwar wünschenswert, legt die Bundeswehr, Air-Burst-Munition
ist aber mit heutigen technologischen Mitteln nicht möglich. einzusetzen, etwa mit der 40-mm-Granat-
Dementsprechend bietet sich der Midcourse im sogenannten Upper Tier als ideal zur maschinenwaffe. Darüber hinaus gibt es
Bekämpfung an. In dieser Flugphase besitzt die Rakete eine vorhersehbare ballisti- zahlreiche Ansätze, mit elektromagneti-
sche Flugbahn und bei einer Bekämpfung würden eventuell noch aktive Elemente schen Impulsen zu arbeiten.
des Gefechtskopfes durch den Eintritt in die Erdatmosphäre neutralisiert. Obwohl Als weitere Herausforderung gilt die De-
der Midcourse nur wenige Minuten dauert, ließen sich mehrere Abfangeffektoren tektion von unbemannten Kleinstflugob-
auf die Rakete abschießen. Bedingung ist allerdings, dass die Effektoren auch bis in jekten. Auch hierzu haben bereits auf dem
den Weltraum reichen. Und dies können aktuell – zumindest in der NATO – nur die Übungsplatz Meppen Tests mit der Indust-
Lenkflugkörper der Aegis-Schiffe der USA. Die USA errichten zusätzlich zwei weitere rie stattgefunden, bei denen verschiedene
sogenannte Aegis-Ashore in Europa, sodass dann auch entsprechende Effektoren Sensoren getestet wurden.
auf europäischem Boden zur Verfügung stehen, allerdings wieder finanziert und Gegenwärtig befindet sich die Ausgestal-
betrieben durch die USA. tung der qualifizierten Fliegerabwehr zwar
Alle in Europa vorhandenen Abwehrtechnologien – Patriot, SAMP-T, TLVS – können noch in der Definitionsphase, das Kom-
oder könnten nur im Lower Tier, also in dem Zielanflug wirken. Dies verursacht mando Heer gibt in seinem Thesenpapier
allerdings mehrere Probleme. Wenn der Gefechtskopf nicht direkt durch die Abfang- „Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig“
rakete zerstört wird, besteht das Risiko (zumindest in Europa), dass die Kampfmittel aber bereits einen Ausblick auf mögliche
Lösungen der Zukunft. In einem fiktiven
über bewohntem Gebiet unkontrolliert zur Wirkung gelangen. Selbst bei einer
Szenario, das zeitlich nach 2026 angesie-
Zerstörung des Gefechtskopfes kann es je nach Höhe zu einem unerwünschten
delt ist, beschreiben die Autoren die Ab-
Downfall kommen.
wehr angreifender Drohnenschwärme:
Die ballistische Raketenabwehr in und für Europa wird dementsprechend weiterhin
Zunächst bekämpfen in ihren Fähigkei-
von den USA und deren Bereitschaft zur Finanzierung und Weiterentwicklung der
ten erweiterte Schützenpanzer Puma mit
entsprechenden Technologien, besonders die Effektoren betreffend, abhängen. Air-Burst-Munition die anfliegenden UAV,
Der Raketenabwehrschild ist weiterhin ein Streitpunkt zwischen Russland und der indem sie einen „Sperrvorhang“ schießen.
NATO, da Russland dies nach Kündigung des ABM-Vertrages durch die USA als Da die Turmwaffen den kleinen agilen
eine Verletzung der strategischen Stabilität ansieht. Im ABM-Vertrag hatten sich Drohnen nicht bei allen Bewegungen fol-
seinerzeit Russland und die USA – zur Verhinderung eines nuklearen Wettrüstens gen können, werden auf Kompanieebene
– darauf geeinigt, entweder nur ihre Hauptstadt oder ihre Raketenabschussbasen zusätzliche Gefechtsfahrzeuge auf Basis
mit Abwehrmaßnahmen zu sichern. Der Rest des Territoriums bliebe ungeschützt, GTK Boxer mit einem Counter-UAV-Mis-
sodass die nukleare Abschreckung mit den vorhandenen Mitteln wirksam aufrecht- sionsmodul eingesetzt. Neben verschiede-
erhalten werden konnte. Die NATO argumentiert, dass die in Europa aufgebauten nen Sensoren zur UAV-Aufklärung verfü-
Kapazitäten viel zu gering zur Abwehr des russischen Nuklearpotenzials seien. Eine gen die Fahrzeuge auch über Wirkmittel,
Einigung in diesem Konflikt zeichnet sich aktuell nicht ab. etwa auf Basis von High-Power Electroma-
gnetics oder High Energy Laser, um Droh-
nen zum Absturz zu bringen. L

64 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018

 ES&T SPEZIAL: FLUGABWEHR 

Bodengebundene Luftverteidigung
Das Taktische Luftverteidigungssystem im Kontext
zukünftiger Luftverteidigung
Ulrich Renn

Zum Schutz von Räumen, Objekten, Objektgruppen und beweglich fence System (MEADS) als Basis für die
Entwicklung eines neuen Systems zur
geführten Operationen der Landstreitkräfte verfügt die Luftwaffe über Erfüllung der funktionalen Forderung zu
Flugabwehrraketenkräfte. Seit 2005 wird die bodengebundene Luft- nutzen. Diese Entscheidung wurde mit
einer Reihe von Auflagen verbunden, die
verteidigung im Schwerpunkt durch das Waffensystem Patriot wahr- die mit einem derartigen Großvorhaben
genommen. Gegen Ende des nächsten Jahrzehnts soll das Taktische verbundenen Risiken vermindern sollen.
Für den Fall der Nichterfüllung dieser Auf-
Luftverteidigungssystem (TLVS) diese Aufgabe übernehmen. lagen wurde die Weiterentwicklung von
Patriot als alternatives Vorgehen festge-

D
as Vorhaben, die Bundeswehr mit ei-
nem neuen TLVS als Nachfolger für
die heute eingesetzten Patriot-Sys-
teme auszustatten, beruht auf einer funk-
tionalen Forderung aus dem Jahr 2014.
Die Forderung richtet sich auf ein boden-
gebundenes Flugabwehrraketensystem
der unteren Abfangschicht. Das System
soll Schutz gegen Hubschrauber, Flug-
zeuge, unbemannte fliegende Systeme,
Marschflugkörper und ballistische Flugkör-
per kurzer und mittlerer Reichweite bieten.
Die einzelne Feuereinheit soll permanent
in einem Umkreis von 360° wirken kön-
nen, allwetterfähig und zum Einsatz in der
vernetzten Operationsführung befähigt
sein. Die Großgeräte (Startgeräte, Radare,
Führungskabinen) sollen in geschützte Trä-
gerfahrzeuge integriert werden. Gewicht
und Dimensionen der Großgeräte und ihrer
Trägerfahrzeuge sollen den Transport im
Airbus A400M zulassen.
Stand des Vorhabens
Im Juni 2015 entschied der Generalins-
pekteur, das von den USA, Deutschland
und Italien entwickelte Medium Air De-
legt. Der 5. Bericht des Bundesministeri-
ums der Verteidigung zu Rüstungsange-
legenheiten (Rüstungsbericht) vom April
2017 stellt fest, dass die Bearbeitung der
Auflagen des Generalinspekteurs den
eingeschlagenen Weg bestätigt hat und
die technologischen Risiken eines TLVS
auf Basis von MEADS als beherrschbar
eingestuft werden können.
Ende September 2016 hat MBDA, der
mögliche zukünftige Generalunternehmer,
ein Basisangebot für die Entwicklung von
TLVS und die Beschaffung von Gerät für
die integrierte Nachweisführung und Ein-
satzprüfung beim Bundesamt für Ausrüs-

(Foto: MBDA)

Drei der Major End Items von MEADS – Feuerleitradar, Launcher und Feuerleitstand

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 65

 ES&T SPEZIAL: FLUGABWEHR
tung Informationstechnik und Nutzung
der Bundeswehr vorgelegt. Die Abgabe
eines vollständigen, detaillierten Angebots
wurde zum einen durch die programma-
tische und technologische Komplexität
des Projekts erschwert, die umfangreiche,
nicht mit der gleichen Geschwindigkeit
voranschreitende Verhandlungen des zu-
künftigen Generalunternehmers mit einer
großen Zahl von möglichen Unterauftrag-
nehmern mit sich brachte. Zum anderen
wurde der Prozess der Angebotserstellung
Das Innere des TLVS-Feuerleitstands
auch dadurch beeinflusst, dass es für Sys-
tembestandteile, die im Foreign Military
Sales-Verfahren beschafft werden sollen,
Verzögerungen durch die Bearbeitung auf
US-Regierungsseite gab. Bis zur zweiten
Jahreshälfte 2017 wurde das Angebot je-
doch soweit vervollständigt, dass die Ver-
tragsverhandlungen beginnen konnten.
Von MEADS zu TLVS
2014, nach Abschluss der zehnjährigen
Entwicklungsphase von MEADS, hatte das
Projekt die Prototypen für vier Großgeräte
(sogenannte Major End Items) und die auf
einer modernen offenen Architektur ba-
sierende Systemsoftware hervorgebracht.
Die Großgeräte sind: das Luftraumüberwa-
chungsradar, das Feuerleitradar, die Ope-
rationszentrale und das Startgerät für die
Flugkörper. Als einziger Flugkörper wurde
während der Entwicklung der auch bei Pa-
triot einsetzbare PAC-3 MSE von Lockheed
Martin verwendet. Das Gesamtsystem
hat seine Funktionsfähigkeit bei mehreren
scharfen Schüssen auch unter schwierigen
Bedingungen nachgewiesen.
66 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
Um aus MEADS das zukünftige deutsche
TLVS zu machen, soll der Boden-Luft-Lenk-
flugkörper Infra-Red Imaging System-Tail/
Thrust Vector Controlled, Surface Laun-
ched (IRIS-T SL) als kostengünstige Alter-
native zur Bekämpfung weniger hochwer-
tiger Ziele integriert werden. Zudem sollen
TLVS-Verbände aus dem von der Luftwaffe
für die Führung von Flugabwehrraketen-
kampfverbänden genutzten Gefechtstand
(Surface-to-Air Missile Operations Centre,
SAMOC) geführt werden können.
(Foto: MBDA)
Darüber hinaus sollen weitere Sensoren,
wie ein Luftraumüberwachungsradar mit
großer Reichweite, ein Radar mittlerer
Reichweite und ein elektro-optischer Sen-
sor, integriert werden. Auswahl und Ein-
führung dieser Sensoren sind noch nicht
entschieden. Zu den Kandidaten für das
Radar mittlerer Reichweite zählen das Mo-
bile Air Surveillance and Defence Radar
(TRML-3D/32) oder das Mobile Multi-Fun-
ction Surveillance and Target Acquisition
Radar (TRML-4D) von HENSOLDT sowie
das Giraffe 4A von Saab. Letzteres zeichnet
sich dadurch aus, dass es bereits mit IRIS-T
SL zusammenwirken kann und dass der
Hersteller an einem dezidierten TLVS-Inter-
face arbeitet.
Für die Verfasser des Rüstungsberichts be-
steht grundsätzlich kein Zweifel, dass das
auf MEADS basierende TLVS technologisch
realisierbar und vor allem zukunftsfähig ist.
Allerdings liegt zwischen dem heutigen
Stand und einem einführungsreifen TLVS
noch eine Entwicklungsphase, die komple-
xer und wohl auch länger ausfallen könn-
te als bisher geplant. MBDA sieht für ein
MEADS TLVS folgende Vorteile:
• Es wird nach seiner Fertigstellung das
modernste Luftverteidigungssystem
mittlerer Reichweite sein, das alle ak-
tuellen und zukünftigen Bedrohungen
abwehren kann.
• Es erfüllt alle funktionalen Forderungen
der Bundeswehr.
• Es bietet aufgrund seiner offenen Sys-
temarchitektur beste Möglichkeiten zur
Integration zusätzlicher Komponenten
und zur Zusammenarbeit mit den Luft-
verteidigungssystemen verbündeter
Nationen.
• Es wird geringere Lebenslaufkosten ver-
ursachen als technisch ältere und perso-
nalintensivere Systeme.
• Es sichert die nationale Expertise und
Wissensbasis für Schlüsseltechnologien
in der Luftverteidigung einschließlich
der Flugkörperabwehr.
• Es sichert oder schafft eine beträchtliche
Anzahl deutscher Arbeitsplätze.
MEADS wurde von MBDA Deutschland,
MBDA Italien und Lockheed Martin entwi-
ckelt. Generalunternehmer für das zukünf-
tige TLVS der Bundeswehr wäre voraus-
sichtlich MBDA – wohl mit Schwerpunkt
in Deutschland, das der erste Kunde wäre
und wo sich wichtige Test- und Entwick-
lungseinrichtungen befinden. Für MBDA
bedeutet das TLVS die Möglichkeit, mit
einem eigenen, sehr modernen Hochleis-
tungsluftverteidigungssystem weltweit in
Konkurrenz zu amerikanischen, russischen
und chinesischen Mitbewerbern treten zu
können. Dies gilt, obwohl einer der Mit-
bewerber, Lockheed Martin, nicht nur ein
Zulieferer, sondern ein Partner sein wird,
der seinerseits die bei der Entwicklung
von MEADS gewonnenen Erkenntnisse im
Rahmen unabhängiger eigener Angebote
verwenden könnte. Allerdings gilt das der
Bundeswehr von MBDA angebotene TLVS
unter den möglichen MEADS-Nachfolgern
als die Lösung mit der größten technischen
Reife.
Die Zukunft der bodenge-
bundenen Luftverteidigung
In militärischen Einsätzen nahezu aller In-
tensitätsstufen stellt der Schutz eigener
Kräfte und Einrichtungen gegen Bedro-
hung aus der Luft eine wichtige Voraus-
setzung dar, um die eigene Handlungsfä-
higkeit sicherstellen zu können. Dennoch
wurde der bodengebundenen Luftvertei-
digung in den vergangenen zweieinhalb
Jahrzehnten, die vor allem durch Einsätze
im Rahmen des multinationalen Krisen-
managements geprägt waren, nur relativ
geringe Bedeutung zugemessen. Der mit
dem Erwerb und Unterhalt leistungsfähi-
ger Flugabwehrsysteme verbundene ho-
 EXCELLENCE
AT YOUR SIDE

TLVS, DAS TAKTISCHE

LUFTVERTEIDIGUNGS-
SYSTEM
EINE NEUE ÄRA BEGINNT

DIE BODENGEBUNDENE LUFTVERTEIDIGUNG DER ZUKUNFT

TLVS auf der Basis von MEADS wird der zukünftige Träger der bodengebundenen
Luftverteidigung. Die Bundeswehr erhält mit TLVS bisher nicht verfügbare Fähigkeiten:
Nachgewiesener 360-Grad-Rundumschutz und vernetzte Operationsführung,
überlegene Mobilität, niedrige Nutzungskosten, hohe Durchhaltefähigkeit.

AIR AIR MARITIME BATTLEFIELD

DOMINANCE DEFENCE SUPERIORITY ENGAGEMENT

www.mbda-systems.com
(Foto: Saab)
 ES&T SPEZIAL: FLUGABWEHR
Das Radar Giraffe 4A von Saab
he technische, strukturelle und finanzielle
Aufwand wurde von vielen NATO-Natio-
nen als nicht mehr zwingend erforderlich
angesehen und Fähigkeiten, die während
des Kalten Krieges als unverzichtbar galten,
wurden ganz aufgegeben oder zumindest
reduziert. Letzteres gilt auch für Deutsch-
land.
Die sicherheitspolitischen Entwicklungen
der jüngsten Vergangenheit scheinen ge-
eignet zu sein, diesen Trend zu brechen.
Die Bedrohung durch Wirkung aus der
Luft hat in vielen möglichen Szenarien zu-
genommen. Unbemannte Luftfahrzeuge
verhelfen selbst nichtstaatlichen Akteuren
zu erschwinglichen Luftangriffsmitteln, die
Verbreitung ballistischer Flugkörper schrei-
tet weiter fort und Entwicklungen an der
Peripherie Europas lassen das Erfordernis
einer mit herkömmlichen oder hybriden
Mitteln zu führenden Landes- und Bünd-
nisverteidigung wieder wahrscheinlicher
erscheinen. Folglich sind zurzeit mehrere
NATO-Nationen (z.B. Deutschland, Italien,
Polen und die Türkei) bemüht, ihre Fähig-
keit zur bodengebundenen Luftverteidi-
gung zu erhalten, zu modernisieren oder
(wieder) zu erweitern.
TLVS ist nur eines von mehreren Systemen,
die geeignet sind, um die bodengebun-
dene Luftverteidigung der europäischen
NATO-Partner und anderer Nationen zu
modernisieren. Ein wesentlicher Mitbe-
werber ist Patriot, das durch die Integrati-
on verbesserter oder neuer Komponenten,
z.B. eines 360°-Radars, eines verbesserten
68 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
Grafic User Interface oder die Integration
in das zukünftige Integrated Battle Com-
mand System (IBCS) der U.S. Army, schritt-
weise weiterentwickelt wird. In Schwe-
den, Rumänien und Polen laufen zurzeit
Verhandlungen über die Beschaffung von
Patriot-Systemen. Wobei Schweden und
Rumänien (zunächst?) Interesse an Patri-
ot-Systemen auf dem aktuellen Entwick-
lungsstand haben, während das polnische
Wisla-Programm auf längere Sicht ange-
legt ist und in der letzten Ausbaustufe auf
eine spezifisch polnische Konfiguration ab-
zielt (360°-Radar, IBCS und Skyceptor als
zusätzlicher Flugkörper), die einen höher
als erwarteten, zurzeit für Polen schwer
annehmbaren finanziellen Aufwand mit
sich bringt. Die Türkei hat sich für das rus-
sische S-400 entschieden, auch wenn dies
eine Integration in das NATO-Luftverteidi-
gungssystem unmöglich machen könnte.
Als leistungsstarkes, mobiles und modu-
lares System ist TLVS sehr gut aufgestellt,
um im Schwerpunkt nationaler oder mul-
tinationaler Luftverteidigung zu wirken.
MBDA sieht TLVS als ein Vorhaben, das
sehr gut in die aktuelle sicherheitspoliti-
sche Landschaft passt. TLVS kann die NA-
TO-Raketenabwehr ergänzen und in allen
Szenarien, die eine intensivere Bedrohung
durch Luftangriffsmittel einschließen, ei-
nen Beitrag zum Schutz der Kräfte der
Bundeswehr sowie von Verbündeten und
Partnern leisten. Es stärkt die europäische
Rüstungskooperation und ermöglicht eine
innereuropäische oder -deutsche Verwen-
dung des erwarteten Zuwachses deutscher
Rüstungsausgaben. TLVS bietet auch eine
gute Grundlage für Aktivitäten im Rahmen
des Framework Nation Concept, weil seine
offene Systemarchitektur die Integration
von „fremden“ Radar- oder Flugköpersys-
temen ohne Rücksicht auf deren Alter oder
technische Auslegung erlaubt. So könnten
unter dem Dach einer TLVS-Betreibernati-
on flexibel konfigurierbare bodengebun-
dene Luftverteidigungssysteme geschaf-
fen werden, die es auch kleineren Natio-
nen erlauben, einen sinnvollen Beitrag zur
Luftverteidigung und Flugkörperabwehr im
Bündnis zu leisten.
Die Einführung von TLVS würde für die
Bundeswehr vor allem eine qualitative Ver-
besserung der bodengebundenen Luft-
verteidigung mit sich bringen, denn aus
heutiger Sicht ist nicht zu erwarten, dass
der zukünftige strukturelle Rahmen über
die aktuelle Anzahl von Patriot-Feuerein-
heiten hinausgehen wird. Ein struktureller
(Wieder-)Aufwuchs zeichnet sich dagegen
im Bereich des sogenannten Nah- und
Nächstbereichsschutzes ab. Ausgehend
von Forderungen der NATO plant die Bun-
deswehr, neue Systeme für den Nah- und
Nächstbereichsschutz zu beschaffen, die
für den begleitenden Schutz von zunächst
(ca. 2026) drei, später (ca. 2032) zehn Hee-
resbrigaden ausreichen sollen. Dabei wird
es sich voraussichtlich um einen Mix von
verschiedenen marktverfügbaren Syste-
men (Lenkflugkörper, Rohrwaffen und ggf.
auch Laser) handeln. L
 R Ü S TUNG & TEC H N O LOG I E 

Die Bell Boeing V-22 „Osprey“

Ulrich Renn

Die Bell Boeing V-22 „Osprey“, das erste in Großserie gefertigte militärische Kipprotorflugzeug, verfügt
über die Fähigkeit, Starts und Landungen senkrecht oder mit nur kurzer Rollstrecke durchzuführen. Sie
wurde entworfen, um die Fähigkeiten eines Hubschraubers mit der hohen Geschwindigkeit und großen
Reichweite eines Turbopropflugzeugs zu verbinden.

D ie Streitkräfte der Vereinigten Staa-

ten unternahmen 1980 einen erfolg-
losen Einsatz zur Befreiung ameri-
kanischer Geiseln aus dem Iran, bei dem
sich unter anderem zeigte, dass die dabei
eingesetzten Hubschrauber den Anforde-
rungen nicht gewachsen waren. Dies führ-
(Fotos: Bell)
ausgeliefert wurden und darüber hinaus
noch Aussichten für weitere Exportauf-
träge bestehen. Zu Beginn der Serienpro-
duktion 2005 planten U.S. Marine Corps,
Air Force und Navy, insgesamt 458 V-22
hatten ebenfalls Interesse. Im Falle Israels
waren die Verhandlungen auch bereits
weit fortgeschritten. Dennoch haben sich
beide Nationen entschieden, ihren Bedarf
durch konventionelle Hubschrauber zu de-
verschiedener Varianten zu beschaffen. cken.

te zu Forderungen nach einem Flugzeug,

das sowohl senkrecht starten und landen
als auch schneller, höher und weiter als ein
Hubschrauber fliegen können sollte. Als
Reaktion auf diese Forderungen begann
das Verteidigungsministerium der USA
1981 ein Vorhaben mit der Bezeichnung
„Joint-service Vertical Take-off/Landing Ex-
perimental Aircraft“ (JVX), das schließlich
zur Entwicklung der beiden Osprey-Vari-
anten, MV-22 für die U.S. Navy und das
Marine Corps sowie CV-22 für die U.S. Air
Force, führte.
Wie aus dem Programmverlauf ersichtlich
ist, vergingen vom Beginn des JVX-Vorha-
bens bis zur Feststellung der Initial Opera-
tional Capability (IOC) für die CV-22 rund
29 Jahre. Damit bildet auch die V-22 kei-
ne Ausnahme von der Regel, dass die für
die Realisierung von Vorhaben im Bereich
komplexer, moderner militärischer Luft-
fahrzeuge erforderlichen Zeiträume eher in
Jahrzehnten als in Jahren gemessen wer-
den. Der ausgedehnte Programmverlauf Eine MV-22 fliegt im „Hubschraubermodus“ .
hat auch bei der V-22 dazu geführt, dass
noch während der Einführungsphase erste Diese Zahl wurde im Zuge von Verände- Aktuell versuchen Bell und Boeing, das In-
Maßnahmen zur Obsoleszenzbeseitigung rungen des Verteidigungshaushaltes nach teresse an der V-22 auch in Hinblick auf die
erforderlich wurden. unten angepasst; mit Stand 2013 auf etwa nationalen Kunden durch die Integration
Auffällig sind auch die rund 15 Jahre, die die Hälfte der ursprünglichen Planung. Bis neuer Fähigkeiten wach zu halten. So ist
zwischen dem Erstflug und der Entschei- Ende 2014 waren mehr als 200 V-22 aus- das Interesse der U.S. Navy und des Marine
dung zum Beginn der vollen Serienproduk- geliefert worden. Corps (und vielleicht auch Großbritanniens)
tion liegen. Diese erklären sich zum einen Bisher ist Japan der einzige Exportkunde. am Einsatz der V-22 im Rahmen von Carrier
aus den zu überwindenden technischen 2014 entschied das japanische Verteidi- Onboard Delivery (COD) durch den Nach-
Herausforderungen und damit einherge- gungsministerium, 17 V-22 zu beschaffen, weis des Transports von F-35-Triebwerken
henden zeitweiligen Rückschlägen und 2015 bewilligte das Parlament die Mittel für gestiegen. Die von den Herstellern in Ei-
zum anderen daraus, dass die V-22 erhebli- zunächst fünf Maschinen, und im August genregie entwickelte Roll-on/Roll-off-Luft-
che politische Widerstände (unter anderem 2017 wurde die erste davon ausgeliefert. betankungsfähigkeit würde es dem Marine
auch von Seiten der Führung des amerika- Auch Indien und Südkorea haben Interesse Corps ermöglichen, Luftbetankung auch
nischen Verteidigungsministeriums) über- an der V-22 gezeigt. Mit beiden Nationen von Bord ihrer amphibischen Landungs-
winden musste. laufen Gespräche über die Beschaffung ei- schiffe einzusetzen und so die Ausdauer
Der wirtschaftliche Erfolg des Programms ner nicht näher bezeichneten Anzahl von und Reichweite ihrer F-35B auch Zugriff
kann noch nicht abschließend bewertet Maschinen, der Ausgang ist offen. Israel auf die Ressourcen eines Flugzeugträgers
werden, da noch nicht alle bestellten V-22 und die Vereinigten Arabischen Emirate oder landgestützte Luftbetankungsmittel

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 69

 RÜS TUNG & TECHN O LOGI E

erheblich zu verbessern. von zwölf Sekunden um 90o nach vorn ge- Forderung, dass Flügel, Triebwerke und
Weitere aktuelle Aktivitäten des Pro- kippt werden, sodass die V-22 zu einem Proprotoren auf der Flugzeuglängsachse
gramms richten sich auf die Verbesserung zweimotorigen Turbopropflugzeug wird zusammengefaltet werden sollen, um den
der logistischen Basis für die Verfügbarkeit (Flächenflugzeugmodus). Im Durchschnitt Platzbedarf an Bord von Schiffen zu mini-
der V-22. 2015 wurde damit begonnen, ein operieren die V-22 mehr als 75 Prozent ih- mieren, gehörten zu den größten techni-
sogenanntes V-22 Readiness Operations rer Flugzeit im Flächenflugzeugmodus. Für schen Herausforderungen, die bei der Ent-
Center aufzubauen, das es ermöglichen Starts und Landungen mit kurzer Rollstre- wicklung der V-22 zu überwinden waren.
soll, die Leistung der V-22-Flotte durch das cke werden die Antriebseinheiten um 45o Die V-22 verfügt über ein zeitgemäßes
Erfassen der technisch/logistischen Daten nach vorn geneigt. Glas-Cockpit, ein Cockpit Management
aller Maschinen zu verbessern – ähnlich wie Als Triebwerke kommen zwei Rolls-Roy- System sowie eine umfangreiche Naviga-
beim Automatic Logistics Information Sys- ce AE 1107C zum Einsatz. Bestrebungen, tions- und Kommunikationsausrüstung.
tem (ALIS) der F-35. einen alternativen Triebwerkstyp zu inte- Der Autopilot ist u.a. in der Lage, das Flug-
grieren, haben bisher zu keinem Ergebnis zeug aus dem Reiseflug in den Schwebe-
Technische Eigenschaften geführt. Durch eine Verbindungswelle und flug in 15 Meter Höhe zu bringen, ohne
die dazugehörigen Getriebe kann beim dass eine über das Programmieren des
Die V-22 verfügt über je ein schwenkbares Ausfall eines Treibwerks das andere beide Systems hinausgehende Einwirkung der
Turboprobtriebwerk mit den dazugehöri- Proprotoren antreiben. In diesem Zustand Besatzung erforderlich wäre. Die Steue-
gen Getrieben und einem Rotor (auch Prop- kann die V-22 jedoch nicht schweben. Der rung erfolgt über ein dreifach redundantes
rotor genannt) an jeder Flügelspitze. Für Ausfall eines der beiden Proprotorengetrie- Fly-by-Wire-System, das im Hubschrauber-
Start und Landung stehen die Triebwerke be führt zum Abschalten beider Triebwer- modus auf eine konventionelle, mechani-
senkrecht und die Rotoren waagerecht wie ke und einer Notlandung, da die Propro- sche kollektive Blattverstellung zugreift.
bei einem Hubschrauber (Hubschrauber- toren über keine Segelstellung verfügen. Im Flächenflugzeugmodus wird die V-22
modus). Beim Übergang in den Reiseflug Die komplexe Mechanik der miteinander mithilfe von Flaperons, Seiten- und Höhen-
können beide Antriebseinheiten innerhalb verbundenen Antriebseinheiten und die rudern gesteuert. Der Rumpf der Maschine
ist nicht druckbelüftet, was bedeutet, dass
Programmverlauf V-22 Besatzung und Passagiere in Flughöhen
oberhalb von 10.000 Fuß Sauerstoffmas-
1981 Start des JVX-Programms unter Führung der U.S. Army
ken tragen müssen.
1983 Programmführung wechselt zu U.S. Navy/Marine Corps; einzige Bewerber für den Als einzige Bewaffnung war ursprünglich
JVX-Auftrag sind Bell und Boeing Vertol mit einem gemeinsamen, auf der Bell XV- ein auf der Heckrampe angebrachtes, nach
15 basierenden Entwurf. hinten wirkendes Maschinengewehr (7,65
26. 04. 1983 Die Partner Bell und Boeing erhalten einen ersten Entwicklungsvertrag oder 12,5 mm) vorgesehen. Nachdem dies
als unzureichend kritisiert wurde, erhielt
15. 01. 1985 Das Projekt erhält die Bezeichnung V-22 Osprey ein Teil der MV-22 ein von BAE Systems
03. 05. 1986 Bell und Boeing erhalten den endgültigen Entwicklungsvertrag; zu diesem Zeitpunkt entwickeltes, als Interim Defense Weapon
beabsichtigen alle vier US-Teilstreitkräfte, Varianten der V-22 einzuführen; kurz System (IDWS) bezeichnetes, fernbedien-
darauf zieht sich die U.S. Army aus dem Programm zurück. bares Waffensystem, das aus einem un-
ter dem Rumpf angebrachten, drehbaren
19. 03. 1989 Der erste von sechs für das Marine Corps vorgesehenen Prototypen (MV-22) fliegt
Turm mit einer Maschinenwaffe, einem
im „Hubschraubermodus“.
TV/IR-Sensor und einer Bedienerstation im
14. 09. 1989 Erstflug im „Flächenflugzeugmodus“ Innenraum bestand. Das System stand ab
1991 - 1992 Absturz der Prototypen drei und vier 2009 auch für Einsätze der MV-22 in Af-
ghanistan zur Verfügung, hatte aber den
10. 1992 – 04. Überarbeitung des Designs zur Reduzierung des Gewichts, Vereinfachung der Pro- Nachteil, dass es die mögliche Nutzlast um
1993 duktion, Reduzierung der Kosten und Verbesserung der Flugsicherheit. 360 kg verringerte und nicht unter allen
Juni 1993 Wiederaufnahme der Flugerprobung Rules of Engagement eingesetzt werden
konnte, weshalb auf seinen Einsatz häufig
Juni 1994 Bell und Boeing erhalten den Vertrag für das Engineering Manufacturing Develop-
verzichtet wurde.
ment (EMD), Fortsetzung der Flugerprobung bis 1997.
Seit 2014 gibt es erneute Überlegungen zu
Anfang 1997 Das Naval Air Warfare Test Center erhält das erste Flugzeug für die eigentliche offensiver Bewaffnung für die V-22. Absicht
EMDFlugerprobung; diese verläuft langsamer als geplant. ist es, insbesondere die Durchsetzungsfä-
27. 05. 1999 Auslieferung der ersten Vorserienflugzeuge higkeit bei Einsätzen zur Unterstützung von
Spezialkräften zu erhöhen und nicht eine
2000 Zwei weitere Flugunfälle führen zur vorübergehenden Sperrung aller V-22 und zur
weitere Luftangriffsplattform zu schaffen.
Überarbeitung mehrerer Systemkomponenten.
Die Überlegungen richten sich vor allem auf
März 2000 Das Marine Corps beginnt mit der fliegerischen Ausbildung für die V-22. präzise Luft-Boden-Waffen wie Flugkörper
28. 09. 2005 Das Pentagon genehmigt die Aufnahme der Serienproduktion. (z.B. AGM-114 Hellfire, AGM-176 Griffin
oder die Joint Air-to-Ground Missile) oder
20. 03. 2006 Die U.S. Air Force erhält die erste CV-22 und beginnt mit der fliegerischen Ausbil- leichte Gleitbomben (z.B. GBU-53 B SDB
dung. II). Die Integration derartiger Waffen erfor-
13. 06. 2007 Die MV-22 erreicht Initial Operational Capability (IOC). dert u.a. das Anbringen von zwei Pylonen
unter dem vorderen Teil des Rumpfes und
16. 03. 2009 Die CV-22 erreicht IOC.
den Austausch des vorhandenen EO-Sen-
Übersicht über den Verlauf des V-22-Programms sors gegen ein System mit der Fähigkeit zur

70 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018


Laserzielbeleuchtung (L-3 Wescam MX-15).
Bereits im November 2014 haben Bell und
Boeing auf eigene Kosten erste Versuche zur
Integration derartiger Waffen durchgeführt.
Leistungsfähigkeit
Wie die mittleren und schweren Transport-
hubschrauber soll auch die V-22 Beiträge
zu folgenden Aufgaben des operativ/takti-
schen Lufttransports leisten:
• Logistischer Lufttransport (Verlegung
und Versorgung von Kräften),
• Luftbeweglichkeit von Landstreitkräf-
ten,
• Verwundetenlufttransport (MedEvac)
• Rettung und Rückführung von isolier-
tem Personal (Personnel Recovery, PR)
inklusive Combat Search and Rescue
(CSAR)
• Militärische Evakuierungsoperationen
(MilEvacOp) und
• Taktische Unterstützung von Spezial-
kräften (SOF Air).
Wie eingangs bereits gesagt, soll sie dabei
schneller, höher und weiter als ein Hub-
schrauber fliegen können. Anforderun-
gen, die die V-22 ohne Frage erfüllt. Ihre
Maximal- und Reisegeschwindigkeit liegen
ca. 180 km/h (100 Knoten) über den ent-
sprechenden Werten für schwerere Hub-
schrauber wie z.B. der Boeing CH-47F oder
der Sikorsky CH-53K. Die Dienstgipfelhöhe
liegt bedingt durch den Verzicht auf Druck-
belüftung mit 7.620 m (25.000 Fuß) nicht
erheblich über den 6.096 m (20.000 Fuß),
die auch von leistungsstarken Hubschrau-
bern (z.B. CH-47F) erreicht werden.
Da die V-22 auf der Strecke im Flächen-
flugzeugmodus operiert, liegt die ohne
Luftbetankung oder interne Zusatztanks
erzielbare Reichweite mit 1.627 km (879
nm) für die MV-22B deutlich oberhalb der
von Hubschraubern erreichbaren Werte –
die CH-47F ER (Extended Range) erreicht
998 km (540 nm). Mit Luftbetankung hat
die V-22 bei Übungen und im Einsatz ge-
zeigt, dass sie Entfernungen überwinden
kann, für die man Hubschrauber – schon
wegen des mit der niedrigeren Geschwin-
digkeit verbundenen Zeitbedarfs – nicht
einsetzen würde und aus technisch/lo-
gistischen Gründen vielleicht auch nicht
könnte.
Hinsichtlich der größtmöglichen Nutzlast
(9.070 kg intern und 6.800 kg extern) stellt
die V-22 zwar eine Verbesserung gegen-
über einer Reihe von Hubschraubern dar,
die vor ihr in diesem Aufgabenspektrum
eingesetzt wurden, kann aber nicht mit
Spitzenwerten aufwarten (was auch nicht
gefordert war). Hier dürfte die CH-53K die
Maßstäbe setzen. Gleiches gilt für das Vo-
lumen des Frachtraumes.
Angesichts des für sie typischen Profils aus
Geschwindigkeit, Reichweite und Nutzlast
eignet sich die V-22 insbesondere für die
taktische Unterstützung von Spezialkräf-
ten, Evakuierungsoperationen, Personnel
Recovery, CSAR und MedEvac. Ihre Nutz-
last reicht grundsätzlich aus, um das für
infanteristische Operationen dieser Art
Eine MV-22 bei Versuchen mit der Roll-on/Roll-off-Luftbetankungs-
einrichtung
erforderliche Personal und Material zu
transportieren. Ihre Reichweite ermöglicht
den Zugang auch zu weit entfernten Ein-
satzorten und erlaubt die rasche Zusam-
menfassung von Kräften von weit vonei-
nander entfernten Ausgangspunkten. Ihre
Geschwindigkeit unterstützt Überraschung
und Initiative, erhöht die Durchsetzungs-
fähigkeit, komprimiert die zeitlich und
räumliche Dimension von Operationen und
erlaubt es, kritische Vorgänge rechtzeitig
abzuschließen (z.B. durch die Nutzung der
sogenannten Golden Hour bei MedEvac).
Kritische Punkte
Das V-22-Programm trifft schon seit län-
gerer Zeit auch auf intensive Kritik und
Ablehnung. In den Jahren 1989 bis 1992
stritten Verteidigungsminister Dick Cheney
und der Kongress um die Finanzierung des
Vorhabens, das der Verteidigungsminister
für entbehrlich hielt. Immer wieder gab
es Zweifel an Leistungsfähigkeit, Zuver-
lässigkeit und Flugsicherheit. Im Oktober
2007 verdammte das Time Magazin die
V-22 als „unsicher, überteuert und völlig
unzulänglich“. 2015 entschieden sich Isra-
el und die Vereinigten Arabischen Emirate
trotz anfänglichen Interesses gegen die
Beschaffung von V-22, offensichtlich weil
sie zu der Überzeugung gekommen waren,
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik
RÜS TUNG & TECHN O LOGI E 
dass konventionelle Hubschrauber eine an-
gemessenere Lösung für ihren operativen
Bedarf darstellten.
Wie berechtigt die Vorwürfe im Einzelnen
sind, ist anhand von offenen Quellen nur
schwer zu beurteilen. Kritiker wie Befür-
worter im Militär, in der Industrie, der Poli-
tik und den Medien operieren mit Behaup-
tungen und Gegenbehauptungen, die nur
selten mit nachvollziehbaren Sachargu-
menten hinterlegt werden – nicht zuletzt
auch deshalb, weil viele Informationen der
militärischen Geheimhaltung unterliegen
oder von der Industrie als geistiges Eigen-
tum angesehen werden. Zahlen werden
ohne Berechnungsgrundlagen angegeben,
was Vergleiche ungenau oder unmöglich
macht. Daher soll hier nur kurz auf zwei
häufig kritisierte Gesichtspunkte eingegan-
gen werden.
Kosten
Der Anschaffungspreis für eine einzelne
V-22 (Flyaway Cost) wurde im Finanzjahr
2015 mit 72,1 Millionen US-Dollar bezif-
fert. Für einen vergleichbaren konventio-
nellen Hubschrauber wurde nur etwa der
halbe Preis (35 bis 40 Millionen Dollar)
veranschlagt. Allerdings erwartete das U.S.
Government Accountability Office (GAO)
zu etwa der gleichen Zeit (2014), dass der
Preis für einen CH-53K bei etwa 91 Millio-
nen Dollar liegen könnte (ohne Research
and Development, basierend auf 200 pro-
duzierten Exemplaren), sodass man nicht
davon ausgehen kann, dass moderne kon-
ventionelle Hubschrauber grundsätzlich
billiger als Kipprotorflugzeuge sind.
Es wurde ebenfalls erwartet, dass sich die
vergleichsweise hohe mechanische und
71
 RÜS TUNG & TECHN O LOGI E
elektronische Komplexität der V-22 in
sehr hohen Betriebskosten niederschlagen
würde. 2015 soll der finanzielle Aufwand
für eine Flugstunde der V-22 bei zwischen
neun- und zehntausend Dollar gelegen
haben. Wie sich dies mit den Werten für
vergleichbare konventionelle Hubschrau-
ber vergleichen lässt, ist nicht leicht zu ent-
scheiden, denn die verfügbaren Aussagen
zur Entwicklung der Kosten für Flugstun-
den von Luftfahrzeugen beinhalten auch
viele situationsbezogene Effekte (Alter
und Entwicklungsstand des Luftfahrzeugs,
Landung auf einem Flugzeugträger
Operationstempo, Effizienz der Wartungs-
organisation usw.). So finden sich für 2007
Angaben für den Preis einer Flugstunde des
CH-53E von ca. 20.000 Dollar.
Die Leistungen der V-22 verlangen ohne
Frage keinen geringen Preis. Allerdings ist
es fraglich, ob dieser unter den heutigen
Bedingungen als unerhört hoch angesehen
werden muss. Auf der anderen Seite waren
es vor allem finanzielle Gesichtspunkte, die
dazu führten, dass die V-22 bei der Suche
nach einer CSAR-Plattform für die Bundes-
wehr – trotz ihrer Attraktivität für gerade
diese Rolle – nicht als eine realistische Opti-
on angesehen wurde.
Flugsicherheit
Die Flugunfallgeschichte der V-22 weist
neun Totalverluste auf, die mit dem Verlust
von insgesamt 39 Menschenleben einher-
gingen. Vier dieser Unfälle, mit 30 Toten,
ereigneten sich währen der Testphase von
1991 bis 2000, die übrigen fünf, mit neun
Toten, nach 2007 in der Nutzungsphase.
72 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
Darüber hinaus gab es eine Reihe von Flug-
zwischenfällen mit weniger schweren Kon-
sequenzen. Die Unfälle und Zwischenfälle
haben in erheblichem Maße dazu beigetra-
gen, dass die V-22 zumindest zeitweilig als
nicht ausreichend sicher angesehen wurde.
So waren die Flugunfälle ein Grund dafür,
dass die Einwohner von Okinawa im Juli
2012 gegen die Stationierung von V-22 auf
der Insel protestierten.
Die Bedenken hinsichtlich der Flugsicher-
heit der V-22 kreisten insbesondere um
ihr Verhalten während einer Autorotation
und ihre Anfälligkeit für das sogenannte
Wirbelringstadium (Vortex Ring State,
VRS). Eine V-22 nach einem (voraussicht-
lich sehr selten auftretenden) Ausfall bei-
der Triebwerke mithilfe von Autorotation
sicher zu landen, wird dadurch erschwert,
dass ihre Proprotoren eine geringere Träg-
heit und damit eine geringere Fähigkeit
zur Autorotation haben als die Rotoren
konventioneller Hubschrauber. Dies macht
Notlandungen aus einem Schwebeflug
unterhalb einer Höhe von ca. 500 m sehr
gefährlich, weil diese Höhen zu gering
sind, um die Gleitfähigkeit der Tragflächen
zu nutzen.
Mindestens ein Unfall (8. April 2000) wird
dem Einfluss von VRS zugeschrieben. VRS
kann bei allen Arten von Drehflüglern auf-
treten, wenn bei einem senkrechten Sink-
flug bestimmte Sinkraten überschritten
werden, und führt dann dazu, dass der
Sinkflug u.U. nicht mehr gebrochen wer-
den kann. Flugtests ergaben, dass die V-22
zwar nicht besonders anfällig für VRS ist,
dass sie in diesem Zustand aber schwerer
beherrschbar ist als konventionelle Hub-
schrauber. Das Marine Corps hat in Folge
dieses Unfalls die fliegerische Ausbildung,
Vorschriften und Verfahren sowie die Inst-
rumentierung der V-22 verändert, um den
fliegenden Besatzungen zu helfen, das
Auftreten VRS zu vermeiden.
Im November 2017 erreichte die V-22-Flotte
400.000 Flugstunden. Viele davon wurden
unter erschwerten Bedingungen im Einsatz
erflogen. Im Februar 2011, nachdem die in
Afghanistan eingesetzten MV-22 100.000
Flugstunden überschritten hatten, bezeich-
nete sie der damalige Kommandant des
Marine Corps, General James Amos, als
das „sicherste oder beinahe sicherste Flug-
zeug“ in seinem Inventar. Insgesamt liefert
die Flugunfallgeschichte der V-22 aus heu-
tiger Sicht keine Grundlage dafür, sie als
ein besonders unsicheres Luftfahrzeug zu
bezeichnen. Die Notwendigkeit zur Rück-
sichtnahme auf technische und fliegerische
Besonderheiten eines Flugzeugs, die den
Besatzungen besondere Leistungen abver-
langt, ist im militärischen Flugbetrieb nach
wie vor nicht ungewöhnlich.
Fazit
Sicherlich gibt es Dinge, die vergleichbare
konventionelle Hubschrauber besser kön-
nen als die V-22 (z.B. den Transport großer
und schwerer Lasten, insbesondere Außen-
lasten) und sicherlich sind einige dieser Hub-
schrauber günstiger in der Anschaffung
und im Betrieb. Es ist aber unbestreitbar,
dass die V-22 das leistet, wofür sie konstru-
iert wurde. Sie fliegt schneller, höher und
weiter als Hubschrauber und kann doch
genau wie diese Zugang zu Orten finden,
an denen konventionelle Flächenflugzeu-
ge nicht landen oder starten können. Ihre
Geschwindigkeit und Reichweite eröffnen
besonders für die taktische Unterstützung
von Spezialkräften, Evakuierungsoperatio-
nen, Personnel Recovery, CSAR und Med-
Evac taktisch operative Möglichkeiten, die
deutlich über das hinausgehen, was Hub-
schrauber leisten können.
Möglicherweise hätte die gegen die V-22
vorgebrachte Kritik dazu führen können,
dass ihre Entwicklung sowie die Entwick-
lung von Kipprotorflugzeugen generell ein-
gestellt worden wäre. Doch das Gegenteil
ist der Fall. Die Leistungen, die die V-22 in
den letzten Jahren bei einer Vielzahl von
Einsätzen gemacht wurden, haben die
Kritik weitgehend entkräftet. Mehr noch:
Aufbauend auf der Erfahrung mit der
V-22 ist Bells Entwurf für den Wettbewerb
um das Future Vertical Lift Programm der
U.S. Army, die V-280 „Valor“, wieder ein
Kipprotorflugzeug. L
Lernen in Zeiten der Digitalisierung
Derk Wagenaar, Head of Trainingsmanagement & Consulting BWI GmbH
D ie Digitalisierung von Geschäftspro-
zessen schreitet auch im öffentlichen
Sektor immer weiter voran. Damit
verbunden sind neue Herausforderungen
und Chancen für die Qualifizierung von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Traditionell wird dem Qualifizierungs-
bedarf von Mitarbeitern mit klassischen
Lernmethoden wie Klassenraumkursen
und Web Based Trainings begegnet. Um-
fangreiche Studien belegen jedoch, dass
nur etwa zehn Prozent des Wissens aus
formalem Lernen resultieren. Hingegen
speisen sich 20 Prozent aus gemeinschaft-
lichem Lernen, wozu beispielsweise soziale
Netzwerke, die Unterstützung von Kolle-
gen und Mentoring zählen. Der aber mit
Abstand größte Wissenszuwachs resultiert
mit 70 Prozent aus Erfahrungen und Un-
terstützung am Arbeitsplatz. Folglich ist
die Mitarbeiterqualifizierung im Rahmen
der Digitalisierung also nicht primär mit be-
trieblicher Qualifizierung in Seminaren zu
bewältigen. Vielmehr wird es unabdingbar,
das Lernen bedarfsorientiert und flexibel in
den eigentlichen Arbeitsprozess zu integ-
rieren. Dabei liegt der Fokus eindeutig auf
der Leistungssteigerung der Mitarbeiter.
Wissenserwerb in den Arbeitsalltag
integrieren
Zunächst gilt es, die jeweils richtige und
sinnvolle Lernmethode zu identifizieren.
Dafür ist es erforderlich, sich den eigent-
lichen Auslöser für den Wissensbedarf
des Mitarbeiters zu verdeutlichen. Soll er
sich Kenntnisse für ein neues Sachgebiet
aneignen oder bestehende Fähigkeiten
vertiefen? Dann sind formelle Lernformen
in der Regel am besten geeignet. Benö-
tigt der Mitarbeiter das Wissen, um eine
konkrete Problemstellung zu bewältigen
oder um auf eine akute Veränderung re-
agieren zu können? Dann braucht er eine
unmittelbare Hilfestellung, die ihm eine
formelle Lernmethode nicht bieten kann.
Hier ist es erforderlich, den Lernprozess
beziehungsweise den Wissenserwerb in
den Arbeitsalltag zu integrieren, getreu
dem Motto „learning by doing“. Genau
für dieses Lernen in der Praxis bieten sich
insbesondere im IT-Bereich zahlreiche
Möglichkeiten. Der einfachste Zugang er-
folgt über Medien wie Google und You
Tube. Hier finden sich kostenlose Inhalte in
rauen Mengen, die der Anwender in ge-
nau dem Moment abrufen kann, in dem
er die Informationen benötigt. Unterstützt
wird er dabei von intelligenten Suchalgo-
rithmen. Was jedoch bleibt, ist die Unsi-
cherheit, ob die gefundene Information
zuverlässig und richtig ist. Außerdem
helfen diese Kanäle nicht weiter, wenn es
zum Beispiel um unternehmensspezifische
Inhalte geht.
Daher ist es für Unternehmen wichtig, ih-
ren Mitarbeitern eigene Medien und Inhal-
te zur Verfügung zu stellen. Auf der einen
Seite sind diese Informationen valide und
qualitätsgesichert. Auf der anderen Seite
sind sie auf die spezifischen Bedürfnisse
des Unternehmens und seiner Mitarbeiter
zugeschnitten. Zur Unterstützung dieses
Prozesses steht mittlerweile eine Vielzahl
von sogenannten Performance Support
Tools zur Verfügung. Sie bieten die erfor-
derliche Hilfestellung während der eigent-
lichen Tätigkeit. Damit unterscheiden sich
diese Werkzeuge von klassischen Trainings-
maßnahmen, bei denen der Lernende die
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik
Arbeit unterbricht und sich auf die Weiter-
bildung konzentriert.
Performance Support ergänzt
klassische Trainings ideal
Performance Support kann eine klassische
Trainingsmaßnahme nicht komplett erset-
zen, allerdings optimal ergänzen. Dadurch
lassen sich der Zeitbedarf und die Kosten
für den Kompetenzerwerb der Mitarbeiter
verringern. Dieser Ansatz verändert auch
den Charakter von Präsenzveranstaltun-
gen. Vormals ging es darum, Informatio-
nen bereitzustellen und Funktionen der
Werkzeuge vorzustellen. Jetzt jedoch steht
die Vermittlung von kritischen Fähigkeiten
im Vordergrund, die benötigt werden, um
die Arbeitsweise eines neuen Tools, von
Prozessen, Aufgaben oder Konzepten zu
verstehen. Sie werden ergänzt von Search
Skills, damit der Mitarbeiter im Bedarfsfall
die richtigen Informationen in einem Per-
formance Support Tool finden kann.
Auch die BWI setzt auf bedarfsorientierte
Qualifizierungskonzepte, die Mitarbeiter
dabei unterstützen ihre Kompetenzen und
ihre Leistung zu steigern. Als künftiges
IT-Systemhaus von Bundeswehr und Bund
verfolgt die BWI einen ganzheitlichen An-
satz bei der Digitalisierung der Geschäfts-
prozesse ihrer Kunden. Dementsprechend
endet ihr Auftrag nicht mit der Einführung
neuer Anwendungen und Verfahren. So
unterstützt die BWI ihre Kunden während
des kompletten Lebenszyklus ihrer Anwen-
dungen mit modernen Trainingskonzepten
und Tools. Dies gilt insbesondere auch
während der Nutzung und der laufend er-
forderlichen Qualifizierung und Unterstüt-
zung ihrer Mitarbeiter.
73
 INFORMATIONEN · NACHRICHTEN · NEUIGKEITEN …
(Grafik: General Atomics)
Unbemanntes Tankflugzeug
Die U.S. Navy hat die endgültige Aufforde-
rung zur Abgabe von Angeboten (Request
For Proposals, RFP) herausgegeben. Adres-
(Foto: MBDA)
saten sind Lockheed Martin, Boeing, North-
rop Grumman und General Atomics. Unter
der Bezeichnung MQ-25 „Stingray“ wird
ein trägergestütztes, unbemanntes Flugge-
rät gesucht, das andere Flugzeuge betanken
kann. Zu einem entsprechenden Auftrag
könnte es im September 2018 kommen.
Derzeit wird die Luftbetankung von Boeing
F/A-18E/F „Super Hornet“ durchgeführt, 20
bis 30 Prozent der Flugstunden dienen der
Betankung und gehen für andere Aufgaben
verloren. General Atomics hat als erster ei-
nen Vorschlag veröffentlicht, der Ähnlich-
keiten mit dem UAV „Avenger“ aufweist,
konkrete Angaben liegen noch nicht vor. (pp)
Live-Simulationssystem
Saab hat bei der I/ITSec die neueste Version
des Live-Simulationssystems BT 46 MK III vor-
gestellt. Die Version Mk III bietet mit drahtloser
Technologie und Augmented Reality eine hö-
here Präzision als seine Vorgänger. Einstell-
und Kontrollfunktionen werden über Smart-
phones und Tablets ausgeführt. Das System
ist für verschiedene Fahrzeugplattformen
konfigurierbar, und Kunden können Einheiten
der Vorgängergeneration wiederverwenden.
Das neue System unterstützt simultane Dual-
Laser-Codes – also SISO und MILES. (gwh)
(Foto: OAK)
Kanada beschafft 15 Fregatten
Kanada will 15 neue Fregatten beschaffen.
Es sollen bereits existierende und bewährte
NATO-Fregatten sein, die in Kanada ge-
baut und nach kanadischen Anforderun-
gen entsprechend modifiziert werden sol-
len. Naval Group/Frankreich und Ficantieri/
Italien haben die besten Aussichten, den
Lieferauftrag mit ihren gemeinsam entwi-
ckelten FREMM-Fregatten zu erhalten. Die
(Foto: Naval Group
74 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
neuen Mehrzweck-Fregatten, die auf Basis
der existierenden FREMM-Fregatten ge-
baut werden sollen, sollen über folgende
Fähigkeiten verfügen: Luftverteidigung
(AAW), U-Jagd (ASW), Überwassergefecht
(ASuW), Landzielbekämpfung (Land Attack)
und Führungsschiff (Command Ship). (ds)
Serienauslieferung MMP
Mit der Auslieferung der ersten 50 Raketen
und 20 Abschusseinheiten hat die Serien-
auslieferung des mittleren tragbaren Pan-
zerabwehrraketensystems (Missile Moyenne
Portée, MMP) begonnen. Mit diesen ersten
Geräten soll das Kaderpersonal ausgebildet
werden, das die Einführung der MMP in
den Infanterie- und Aufklärungseinheiten
sowie den Spezialkräften in Heer, Luftwaffe
und Marine begleiten soll. Erste System sol-
len Mitte 2018 einsatzfähig sein. Bis 2025
werden 1.750 Raketen und 400 Abschuss-
einheiten flächendeckend in den franzö-
sischen Streitkräften verteilt. MMP ist auch
für die Ausrüstung der Aufklärungsfahr-
zeuge Jaguar vorgesehen, die ab 2020 in
die Truppe eingeführt werden sollen. (gwh)
Erstflug der A-100
Am 18. November startete beim Berijew-
Flugzeugwerk in Taganrog das erste Muster
des neuen Frühwarnflugzeugs A-100 zum
Erstflug. Der Erstflug diente auch dazu, die
aerodynamischen Eigenschaften, die Leistung
der Avionik und von Teilen der Missionsaus-
rüstung zu überprüfen. Die vom Elektronik-
konzern Vega gefertigten Radar-Antennen
mit elektronischer Strahlschwenkung befin-
den sich in einem Radom über dem Rumpf
des Flugzeugs. Es können bis zu 300 Flug-
ziele in Entfernungen bis zu 600 km erfasst
werden sowie Kampfflugzeuge und Bomber
zu Zielen an Land, in der Luft und zur See
geleitet werden. Als Träger für das System
dient der Transporter IL-76MD-90A von Il-
juschin. Die Auslieferung an die russischen
Luftstreitkräfte soll 2020 beginnen. (pp)
Ältester Kreuzer außer Dienst
Die Marine Perus hat ihren Kreuzer „Almi-
rante Grau“ (ex-„De Ruyter“) nach 64 Jah-
ren außer Dienst gestellt. Die „De Ruyter“
wurde 1953 von der niederländischen Marine
in Dienst gestellt und 1973 an Peru überge-
ben und mit dem neuen Namen „Almirante
Grau“ in Dienst gestellt. Die peruanische Ma-
rine hat das Schiff im Laufe der Zeit zweimal
modernisiert und grundüberholt. Der 191 m
lange Kreuzer verdrängt 12.360 t; Antrieb:
4 x Hochdruckheißdampfkessel (62,5 MW);
Geschwindigkeit: 32 kn; Reichweite: 7.000
sm/12 kn; Besatzung: 953 Personen; Bewaff-
nung: 8 x Oto Melara/Matra Mk2-FK, 8 x
152-mm-Geschütz, 4 x 40-mm-Geschütz. (ds)
Schutz für Lkw-Kabinen
Dänemark hat 600 militärische Lkw bei Sca-
nia bestellt, von denen über 100 Kabinen
gegen Beschuss, Artilleriesplitter, Minen und
IED geschützt werden sollen. Die geschützten
(Foto: Centigon)
Kabinen werden von Centigon Frankreich mit
unterschiedlichem Schutzniveau nach STA-
NAG 4569 ausgeführt. Centigon nutzt in der
Entwicklung neue Technologien einschließ-
lich Simulation, um die Widerstandsfähigkeit
der Schutzelemente in der Konstruktionspha-
se bedarfsgerecht zu dimensionieren. Nach
Ausrüstung der Kabinen mit beigestellten
Komponenten führt Centigon den abschlie-
ßenden Schutznachweis mit realer Anspren-
gung durch. Während der Vertragsdauer von
sieben Jahren liefert Centigon die Kabinen
ab 2019 sowie Ersatzteile, unterstützt den
Betrieb mit Wartung und Instandsetzung
sowie Ausbildungsmaßnahmen. (gwh)
Littoral Mission Vessel
Singapurs Marine (Republic of Singapore Na-
vy) hat das zweite und dritte Littoral Mission
(RSN)
 … AUS ALLER WELT

Vessel (LMV), RSS „Sovereignty“ und RSS
„Unity“ in Dienst gestellt. Bereits im Mai 2017
wurde das Typschiff RSS „Independence“ (s.
Foto) in Dienst gestellt. Die in Singapur (ST
Marine) nach dem Design von Saab Kockums
AB gebauten 80 m langen OPV (Offshore
erungen und können auf nahezu jedem mi-
litärischen taktischen Radfahrzeug installiert
werden. Das System erhöht die Sicherheit von
Konvoioperationen für militärische Fahrzeuge
deutlich und reduziert den Personalbedarf
für Konvoi-Einsätze. Auf mehr als 55.000
Laser Phosphor Projektor
Barco präsentierte auf der I/ITSEc in Orlan-
do die neue Projektorserie F80. Die F80-
Projektoren liefern realitätsnahe Bilder mit
hochgesättigten Farben für präzise Farb-

Patrol Vessel) verdrängen 1.200 t, CODAD-
Antrieb (8,6 MW), Geschwindigkei: 27 kn,
Reichweite: 3.000 sm/18 kn; Besatzung:
30 Personen; Bewaffnung: 1 x 76-mm-Ge-
schütz, 1 x 25-mm-Geschütz, 2 x 12,7-mm-
MG, Mica-SAM in VLS, ein Hubschrauber-
deck. Insgesamt werden 8 LMV gebaut, die
bis 2020 ausgeliefert werden. Sie ersetzen die
11 Patrouillenboote der „Fearless“-Kasse, die
schrittweise außer Dienst gestellt werden. (ds)
„Patriot“ für Rumänien
Rumänien ist auf dem Wege, der 14. Nutzer
des Luftverteidigungssystems MIM-104 Pa-
triot des US-amerikanischen Herstellers Ray-
(Foto: Raytheon)
(Foto: Barco)
Testkilometern z.B. in Fahrzeugkonvois mit
Wechselladersystemen (Palletized Loading
System, PLS) hat sich das AMAS-System als
robust und bedienerfreundlich erwiesen. Vor
allem konnte der sichere Betrieb in komple-
xem Umfeld demonstriert werden. (gwh)
Eurofighter mit
„Storm Shadow“ wiedergabe in 4K UHD-Auflösung wie sie
Im Rahmen des Projekts „Centurion“ führt für Training/Simulation z.B. für Kleinwaffen
die Royal Air Force bei BAE Systems in War- benötigt werden. Mit ihrer großen Auswahl
ton Versuche mit dem Eurofighter Typhoon an Nur-Glas-Objektiven und dem weiten
und dem Marschflugkörper Storm Shadow Shift-Bereichen für die Objektive ist die F80-
durch. Ziel von Centurion ist die Verlage- Serie für nahezu jede Projektorkonfiguration
rung der Luftangriffsfähigkeiten von dem geeignet. Die Bilderzeugung nach dem Laser-
Muster Tornado GR4 auf den Eurofighter. Phosphor-Prinzip führt zu Installationsfreiheit,

An den Flugversuchen nehmen Piloten von
BAE Systems und Piloten der RAF teil. Be-
reits im Juli hatte ein Eurofighter Versuche
mit dem Panzerabwehrlenkflugkörper Brim-
stone durchgeführt. Der Flugkörper Storm
Shadow wurde von MBDA für Großbritan-
nien und Frankreich ab 1997 entwickelt und
ab 2002 eingeführt. Er ist über 5 m lang,
wiegt 1.300 kg und hat einen Gefechtskopf
von 450 kg. Neben Großbritannien und
Frankreich gibt es vier weitere Nutzer. (pp)
Flexibilität und 4K-Auflösung. Die konstante
Helligkeit und langlebige Farbwiedergabe
wird durch Barco Pulse‘s Single Step Pro-
cessing (SSP) Technologie unterstützt, die
eine 4K Ultra High Definition (UHD) Auf-
lösung in nur einem Schritt liefert. (gwh)
Mehr TA-50 für Südkorea
Das südkoreanische Verteidigungsministeri-
um hat bekanntgegeben, dass es eine wei-
tere Beschaffung des Musters TA-50 von KAI

theon zu werden. Die rumänische Regierung

Navy)
Trotzki)
hat bereits entsprechende Abkommen unter-
zeichnet, sodass nunmehr die US-Regierung

Royal
(Foto:
den Hersteller beauftragen kann. Patriot ist

(Foto:
ein rein defensives System, das gegen bal-
listische und Marschflugkörper, modernste
Kampfflugzeuge und Drohnen eingesetzt
werden kann. An den Lieferungen und zur
Unterstützung des Betriebs des Systems
werden auch rumänische Unternehmen be-
teiligt. Rumänien wird die Patriot Configura-
tion 3+ erhalten und dazu eine bislang nicht
bekannte Zahl von Flugkörpern GEM-T (Gui-
dance Enhanced Missile TBM) sowie PAC-3
MSE (Missile Segment Enhancement). (pp)

Autonome Fahrsysteme
Lockheed Martin hat Lkw der U.S. Army mit
ihrem Kit für autonome Beweglichkeit (Auto-
nomous Mobility Applique System, AMAS)
ausgestattet. Die AMAS Applikations-Kits
bestehen aus Sensoren, Aktoren und Steu-
(Foto: Lockheed Martin)
Indienststellung HMS „Queen Elizabeth“
Der Flugzeugträger HMS „Queen Elizabeth“ (65.000 t) der Royal Navy wurde am
7. Dezember 2017 in seinem Heimathafen Portsmouth in Dienst gestellt. Der neue
Träger ist das größte und mit 8,3 Milliarden Dollar Baukosten auch das teuerste Mari-
neschiff in Europa. Das Schwesterschiff, die HMS „Prince of Wales“, befindet sich noch
im Bau und soll 2019 in Dienst gestellt werden. Die Royal Navy kann wegen Personal-

mangels und aus Kostengründen nicht zwei Flugzeugträger parallel betreiben. Daher
soll künftig immer nur ein Träger einsatzfähig gehalten werden. Das Einsatzprogramm
der „Queen Elizabeth“ für 2018 sieht u.a. die Verlegung zur Ostküste der USA vor,
um dort ihre 14 Kampfflugzeuge vom Typ Lockheed Martin F-35B (Joint Strike Figh-
ter) zu erproben. Das Foto zeigt den Flugzeugträger beim Einlaufen in Portsmouth. (ds)

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 75

 INFORMATIONEN · NACHRICHTEN · NEUIGKEITEN …

(Grafik: Gulfstream Aerospace)

(Foto: KAI)

gung von 15.630 t soll Ende 2018 in Dienst

gestellt werden. Der dritte Zerstörer, die USS
„Lyndon B. Johnson“, befindet sich noch im
Bau und soll 2020 in Dienst gestellt werden.
Der Bau der drei Zerstörer der „Zumwalt“-
Klasse (DDG 1000) zählt zu den teuersten
Schiffbauprogrammen der U.S. Navy. Die

(Foto: U.S. Navy)

(Korea Aerospace Industries) geben wird. Das
überschallschnelle Flugzeug wird als Trainer
und leichtes Angriffsflugzeug eingesetzt. Die
Luftstreitkräfte des Landes verfügen bereits
über 124 Exemplare in verschiedenen Varian-
ten. Die Entwicklung der T-50 begann 1992
unter der Projektbezeichnung KTX-2, auch als
Lead-in-Fighter-Trainer (LIFT) bezeichnet. An
der Entwicklung war auch Lockheed Martin
mit einem Kostenanteil von 13 Prozent beteili-
gt. Mit einer Version der T-50 nimmt Lockheed
Martin aktuell am T-X-Programm der U.S. Air
Force  teil, bei dem ein Nachfolger für den
Trainer  Northrop T-38 gesucht wird. (pp)
Frei bewegliche Ziele
Marathon Targets hat auf der I/ITSec mit
T30 ein neues Mitglied der autonom be-
weglichen Ziele für das Gefechtsschießen
mit Handwaffen vorgestellt. Unter Nutzung
(Foto: Boeing)
Entscheidung bei EC-X
Die U.S. Air Force hat entschieden, das EC-X-
Programm an L3 Technologies zu vergeben.
Das Unternehmen wird die auf neuestem
Stand befindlichen Systeme zur elektro-
Kosten für die Schiffe sind von ursprünglich nischen Kampfführung (EloKa) aus den vor-
geplanten ca. 9 Milliarden Dollar auf bislang handenen Lockheed Martin EC-130H „Com-
ca. 12,9 Milliarden Dollar angestiegen. (ds) pass Call“ aus- und in neue Flugzeuge ein-
bauen. L3 Technologies sieht vor, die Systeme
Boeing modernisiert in modifizierte neue Gulfstream G550 einzu-
niederländische CH-47F Chinook bauen. Die Konkurrenten Boeing und Bom-
Boeing und das niederländische Verteidi- bardier haben dagegen protestiert und sich
gungsministerium haben Mitte Dezember auf Vergaberichtlinien abgestützt. Die Ein-
eine Vereinbarung unterzeichnet, um sechs sprüche waren vom Pentagon als auch vom
Chinook-Hubschrauber der Royal Nether- US-Rechnungshof (Government Accountabi-
lands Air Force (RNLAF) auf die neueste lity Office, GAO) zurückgewiesen worden. Es
F-model Konfiguration umzurüsten. Damit wird erwartet, dass L3 Technologies 2021 die
erste modifizierte Gulfstream abliefert. Der-

von Segway-Technik können sich 3D-Figuren zeit betreibt die U.S. Air Force 14 EC-130H. (pp)
im Zielgelände frei – auf vorprogrammierten
LCSs sind Fregatten
(Foto: Marathon Targets)

US-Marineminister Ray Mabus hat entschie-

den, dass die Littoral Combat Ships (LCS) der
U.S. Navy nunmehr als Fregatten fungieren
und als solche auch bezeichnet werden. Er
sagte: „Die Littoral Combat Ships werden wie
(Foto: U.S. Navy)

wird eine Systemübereinstimmung ihrer

Wegstrecken oder selbst gesuchten We-
gen – bewegen. Ihr Verhalten kann sich bei
Bedarf nach dem Beschuss richten und re-
alitätsnah gefechtsmäßiges Verhalten simu-
lieren. Das auf zahlreichen Schießbahnen
weltweit genutzte Ziel T40 hat mittlerweile
über 100.000 km „im Kampf“ zurückgelegt.
Das neue T30-Roboterziel bietet „etwas
weniger Funktionalität“ als der T40, aber zu
einem geringeren Preis, so dass er für regel-
mäßiges Kampftraining eingesetzt werden
kann. Wichtigste Verbesserung ist die höhere
Widerstandsfähigkeit des Dummies. (gwh)
USS „Michael Monsoor“
Der Zerstörer USS „Michael Monsoor“, das
zweite Schiff der „Zumwalt“-Klasse, hat
seine erste See-Erprobung abgeschlossen
und befindet sich in der Endausrüstung. Der
voll-elektrische Zerstörer mit einer Verdrän-
gesamten Flotte von 20 F-model Chinook
Hubschraubern erzielt. Der Beginn der Aus-
lieferung der sechs modernisierten Chinook
Hubschrauber ist für 2021 vorgesehen. (wb)
F-22 „Raptor“ in Afghanistan
Mit einem höchst aufwändigen Einsatz zer-
störte die U.S. Air Force Drogen-Labore der
Taliban. Den Angriff führten in den Vereini-
gten Arabischen Emiraten stationierte F-22
durch, wobei die 115 kg schweren Small
Diameter Bomb (SDB) verwendet wurden.
An den Einsätzen waren auch Bomber B-
52H und Tanker KC-10 und KC-135 betei-
ligt. Vermutlich gibt es in Afghanistan 400
bis 500 Labore, in denen Heroin hergestellt
wird, das den Taliban Einnahmen von jähr-
lich 200 Mio. Dollar einbringen soll. Dennoch
war der Aufwand groß, denn die Flugstun-
de des wohl modernsten Kampfflugzeugs
schlägt mit fast 70.000 Dollar zu Buche. Die
F-22 ist jedoch neben der F-15E das einzige
US-Flugzeug, das die SDB einsetzen kann,
und die F-15E war nicht verfügbar. (pp)
Fregatten eingesetzt, warum sollen sie nicht
auch Fregatten heißen.“ Zudem sei das See-
kriegsszenario „Littoral Warfare“ der 1990er
Jahre, für das die Littoral Water Ships konzi-
piert und gebaut wurden, heute nicht mehr
sinnvoll. Denn heute können neue, weitrei-
chende und präzise Waffensysteme von der
hohen See aus gegen Küstengewässer und
Küsten eingesetzt werden, daher erübrige sich
ein unmittelbares Operieren in bedrohungs-
reichen Küstengewässern. Die U.S. Navy hat
die LCS in zwei Varianten: „Freedom“-Klasse
(Monohull) (s. Foto) und „Independence“-
Klasse (Trimaran). Ursprünglich sollten 52 LCS
gebaut werden, nunmehr sind es noch 32. (ds)

76 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018

 RÜS TUNG & TECHN O LOGI E 

Der Transfermarkt für Marineschiffe

Bob Nugent

Der Verkauf oder Transfer von außer Dienst gestellten Marineschiffen ist seit Langem gängige Praxis und
ein nicht unwesentliches Element der Sicherheits- und Außenpolitik vieler Länder. Die USA transferieren
z.B. außer Dienst gestellte Einheiten wie die „Oliver Hazard Perry“-Klasse im Rahmen des Excess Defense
Articles-Programms der Defense Security Cooperation Agency (DSCA) und auf der rechtlichen Grundlage
des Naval Vessels Transfer Act.

ie Royal Navy hat Fregatten vom Typ
22 nach Chile, Rumänien und Bra-
silien verkauft. Die NATO-Länder
Dänemark, Frankreich, Türkei und Grie-
chenland haben in der Vergangenheit ge-
brauchte Marineschiffe z.B. nach Litauen,
Kamerun, Zypern, Ägypten und Malaysia
transferiert.
Der Verkauf eines russischen Flugzeugträ-
gers vor 20 Jahren führte dazu, dass Chi-
na damit begann, eigene Flugzeugträger
zu bauen. China ist auch selbst aktiver im
Transfermarkt geworden, im Jahr 2017
z.B. mit Transfers nach Bangladesch und
Namibia. Daneben werden Dutzende von
exsowjetischen oder russischen Marine-
schiffen von Marinen rund um den Globus
betrieben.
AMI beobachtet und kommentiert den
globalen Transfermarkt für Marineschiffe
seit mehr als 30 Jahren. Dieser Beitrag fußt
auf entsprechend ausführlichen und pro-
prietären Daten und befasst sich mit der
gegenwärtigen Lage und den Trends im
internationalen Transfermarkt für Marine-
einheiten.
Überblick
Eine Einschätzung und Bewertung des
Weltmarkts für Schiffstransfers ist schon
von daher kompliziert, dass viele Länder
diese Plattformen verschenken, anstatt
sie zu verkaufen. Ein Beispiel dafür ist
der Transfer der vier U-Boote der „Kob-
ben“-Klasse von Norwegen nach Polen im
Jahr 2002. Diese Einheiten, die zum Zeit-
punkt des Transfers bereits über 30 Jahre
alt waren, könnten je nach Zustand ein
Volumen von zwischen 20 und 40 Milli-
Au to r
Bob Nugent ist Mitarbeiter der auf
maritime Belange spezialisierten Un-
ternehmensberatung AMI Internatio-
nal mit Sitz in Bremerton, WA, USA.
(Foto: UK MoD)
„HMS Ocean“, das Flaggschiff der Royal Navy, wurde 1998 in Dienst ge-
stellt. Erwartungsgemäß wird die Einheit im Zuge der Einführung der
Flugzeugträger der „Queen Elizabeth“-Klasse zum Transfergegenstand.
Die Türkei und Brasilien haben bereits Interesse bekundet.
onen US-Dollar pro Boot gehabt haben. Billion Dollar oder etwa 50 Milliarden Dol-
Und in den Fällen, in denen gebrauchte lar pro Jahr. Dabei geht es um Ausgaben
Schiffe verkauft und nicht verschenkt wer- für 3.157 neue Einheiten aller Klassen, von
den, wird das Volumen des Vorhabens Patrouillenbooten bis zu Flugzeugträgern.
oftmals geheim gehalten. Bei den Ge- Dabei wird durchschnittlich von einer In-
brauchtschifftransfers, die veröffentlicht dienststellung von etwa 150 Einheiten pro
werden (oftmals nach 20, 30 oder sogar Jahr ausgegangen
noch mehr Jahren in Verwendung), zeigen Demgegenüber schätzt AMI, dass der
die verfügbaren Zahlen, dass gewaltige Transfermarkt für Schiffe von mehr als 100
Rabatte im Spiel sind. Ein Beispiel ist der Tonnen sich bei 50 bis 100 Schiffen und
Verkauf der vier italienischen Korvetten U-Booten pro Jahr bewegt und damit ein
der „Minerva“-Klasse an Bangladesch im Marktvolumen von weniger als einer Milli-
Jahr 2015, insgesamt ein Volumen von arde Dollar pro Jahr darstellt – etwa ein bis
164 Millionen Dollar. Darin zeigt sich die zwei Prozent des Marktvolumens für neue
eingeschränkte verbleibende Nutzungs- Schiffe.
dauer dieser Einheiten ebenso wie die Die geschäftlichen Perspektiven der Indust-
Praxis, vor der Überführung alle Großwaf- rie im Transfersektor konzentrieren sich auf
fensysteme und Sensoren zu entfernen. Modernisierungsbedarf mit Arbeiten am
Aus den Daten von AMI geht hervor, dass Rumpf und der mechanischen und elek-
das Gesamtvolumen des Transfermarkts trischen Plattformausstattung sowie der
für Marineschiffe im Vergleich zu Neubau- Erneuerung von Teilen dieser Ausstattung.
vorhaben nur einen geringen Anteil hat. Wie bereits erwähnt, werden die meisten
AMI bewertet den Weltmarkt für neue Ma- Schiffe und Boote in einem „abgespeck-
rine- und Behördenschiffe und -boote über ten“ Zustand transferiert; daraus ergibt
die nächsten 20 Jahre mit etwas über eine sich die Notwendigkeit erheblichen zu-

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 77

 RÜS TUNG & TECHN O LOGI E

sätzlichen Kostenaufwands, um die Einhei-

ten wieder einsatzfähig zu machen, auch
wenn es nur um ein reduziertes Leistungs-
spektrum geht, wenn z.B. Fregatten oder
Korvetten als OPV (Offshore Patrol Vessel)

(Foto: Bundesarchiv)
betrieben werden sollen.
Als Fallstudie kann hier der im Rahmen der
Excess Defense Articles vollzogene Trans-
fer der US-amerikanischen hochseefähigen
Coast Guard-OPV der „Hamilton“-Klasse U23 und U24, zwei von 18 Einheiten der in den 1970er Jahren in Dienst
an die Philippinen, Vietnam, Bangladesch gestellten deutschen U-Boot-Klasse 206, wurden 2015 von der kolumbi-
und Nigeria dienen. Berichten zufolge ha- anischen Marine übernommen. Im Bild das in „Indomable“ (unbezähm-
ben die Philippinen zehn Millionen Dollar bar) umbenannte U24.
pro Einheit für die Modernisierung der bei-
den gekauften OPV aufgewendet. Jahre ihre Seestreitkräfte modernisiert und zu amphibischen Plattformen und selbst
zum Teil auch ausgebaut und erweitert. U-Boote
Schiffstransfer im pazifischen Die erste Generation der Einheiten, mit Viele dieser Einheiten haben noch eine
Raum denen diese Expansion eingeleitet wurde, Nutzungsdauer von 10 bis 20 Jahren (oder
sieht heute dem Ende ihrer Nutzungsdauer mehr) vor sich. Als kostengünstige Ergän-
Der Transfer der „Hamilton“-Klasse steht entgegen. Da sie durch neue Schiffe und zungen für kleinere oder regionale Mari-
für einen weiteren Trend im Gebraucht- Systeme ersetzt wird, überrascht es nicht, nen oder Küstenwachen, die bestrebt sind,
ihre maritimen Kräftestrukturen zu bewah-
Von An Anzahl Klasse Typ ren oder zu modernisieren – meist mit ei-
Republik Korea Philippinen 3 Pohang Fregatte nem sehr eingeschränkten Budget – sind
sie willkommen. Schiffstransfers versetzen
Japan Malaysia 2 Nojima OPV Abnehmernationen wie Vietnam oder die
USA Taiwan 2 Perry Fregatte Philippinen in die Lage, sich besser auszu-
statten, um den gesteigerten Forderungen
USA Philippinen 3 Hamilton OPV
an ihre Seestreitkräfte in einer sich verän-
USA Vietnam 1 Hamilton OPV dernden regionalen Sicherheitsumgebung
Italien Bangladesch 4 Minerva Korvette zu begegnen. Das wiederum dient sowohl
den nationalen als auch regionalen strate-
Australien Papua-Neuguinea 1 Balikpapan Landungsschiff gischen Zielen der Geber- und Verkäufer-
Australien Philippinen 5 Balikpapan Landungsschiff länder.
China Bangladesch 2 Ming U-Boot
Transfer von amphibischen
China Bangladesch 2 Jiangwei I Fregatte
Einheiten
schiffmarkt: zunehmende Aktivität im asi- dass die außer Dienst gestellten Einheiten Amphibische Einheiten sind gefragt und
atisch-pazifischen Raum. Neben den USA zu attraktiven Kandidaten für Transfervor- stellen daher ein wesentliches Element des
werden auch Japan, China und Südkorea haben anderswo in der Region werden. Schiffstransfermarkts dar. Das Marktinter-
zunehmend aktiver im Transfermarkt. Wie die nachfolgende Tabelle zeigt, um- esse an diesem Schiffstyp konzentriert sich
Marinen in dieser Region wie China, Korea fassen die Transfervorhaben Überwasser- im Wesentlichen auf drei Kriterien: Aus-
und Japan haben im Laufe der letzten 25 einheiten von Fregatten über OPV bis hin dauer, Kapazität und Flexibilität. Da der
 RÜS TUNG & TECHN O LOGI E 

globale Markt für Marineschiffe von einer

fortschreitenden technologischen Entwick-
lung und gleichzeitig eingeschränkten Bud-
gets für die meisten stattlichen maritimen
Kräfte getrieben ist, liegen die Ausdauer,
Transportkapazität und die Flexibilität am-
phibischer Einheiten im Marktinteresse.
Bedingt durch ihre entwurfstypischen Cha-
rakteristika – Schwerlastkapazität, Trans-
port von Kräften und Gerät von und an die
Küste – und den beiden Domänen, die sie
für ihre Einsätze nutzen (Wasser und Luft),
müssen amphibische Einheiten so robust
ausgelegt sein, dass sie über lange Zeiträu-
me genutzt werden können. Als Beispiel
mögen die schweren Landungsschiffe
(LCH) der „Balikpapan“-Klasse der Austra-
lischen Marine dienen, die in den frühen
1970ern auf Kiel gelegt und kürzlich an
(Foto: U.S. Navy)

die Philippinen transferiert wurden. Es ist

abzusehen, dass auch die amphibischen
Einheiten HMS „Ocean“, „Albion“ und
„Bulwark“ zum Verkauf anstehen werden,
da sich die Royal Navy darum bemüht, die
gegenwärtige Kräftestruktur angesichts
der aktuellen und künftigen Haushaltssitu-
ation zu erhalten
Bei Betrachtung der nachstehenden Über-
sicht heute in Verwendung befindlicher
Schiffe wird klar, dass die Marinen welt-
weit den Wert amphibischer Einheiten
erkannt haben. Amphibische Einheiten
machen elf Prozent aller Schiffstypen bei
den heutigen Marinen aus, gleich nach
Unterstützungs- und Patrouilleneinheiten.
Das gilt besonders für den asiatisch-pazi-
fischen Raum, wo Geografie, Historie und
Umweltbedingungen zusammengenom-
men die flexiblen logistischen und Elemen-
te zur Kräfteprojektion von amphibischen
Einheiten besonders zur Geltung bringen.
Die Region steht für ein etwa ein Drittel
aller amphibischen Einheiten, die weltweit
in Verwendung sind.
„USS Jack Williams“ ist eine der nach Ägypten transferierten Fregatten
der „Oliver Hazard Perry“-Klasse der U.S. Navy. Insgesamt wurden 51
Einheiten dieser Klasse gebaut, von denen bislang 17 an die Marinen der
Türkei, Ägyptens, Bahrains, Pakistans und Polens abgegeben wurden.
Aber selbst wenn man einigen Typen am- Diese Ersatzlücke stellt eine starke Markt-
phibischer Einheiten eine Nutzungsdauer perspektive für gebrauchte amphibische
von 40 oder 50 Jahren unterstellt (wie die Einheiten und diejenigen Länder dar, die
gerade außer Dienst gestellte „USS Pon- diese Einheiten außer Dienst stellen, die sie
ce“ oder die „Balikpapan“-Klasse), müs- auf dem Transfermarkt anbieten. Und es
sen auch die irgendwann ersetzt werden. stellt eine Marktperspektive für diejenigen
Wenn jährlich nur zwei bis drei Prozent der Firmen dar, die Leistungssteigerungs- und
weltweit in Dienst befindlichen 1.300+ Modernisierungsmaßnahmen (Ausstat-
amphibischen Einheiten außer Dienst ge- tung und Dienstleistungen) für die Schiffe
stellt werden, macht das noch 30 bis 40 der „L“-Klasse anbieten können, die an-
Einheiten aus. Die statistische Projektion dere Nationen für ihre amphibische Flotte
von AMI im Hinblick auf den Bau neuer suchen.
amphibischer Schiffe über die nächsten 20 Aus diesem Grund sind „Ocean“, „Bulwark“
Jahre sieht weniger als 20 dieser Typen pro und „Albion“ der Royal Navy mit weniger
Jahr vor – weniger als die Hälfte von dem, als 20 Jahren Nutzungsdauer voraussicht-
was notwendig wäre, um die heutigen Ein- lich besonders heiße Kandidaten. Sie stel-
heiten zu ersetzen. len für Länder wie Brasilien oder die Türkei,

BEWÄHRTE SCHIFFE VON GESTERN

FÜR DIE ANFORDERUNGEN VON MORGEN.

Lürssen baut und wartet Schiffe für die Deutsche Marine, die auch
nach der offiziellen Dienstzeit weltweit allen Herausforderungen
gewachsen sind. Der umfassende Service von Lürssen sorgt dafür,
dass die Schiffe professionell gewartet und jederzeit einsatzbereit sind.
Anstatt sie am Ende auszumustern, beginnt eine neue Mission: Die
Schiffe werden für den internationalen Markt umgebaut und für
zukünftige Anforderungen gewappnet. So garantiert Lürssen-Qualität
viele weitere erfolgreiche Jahre auf den sieben Weltmeeren.

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+49 421 6604 344 oder www.luerssen-defence.com
  RÜS TUNG & TECHN O LOGI E

heiten nicht eins zu eins ersetzen können.

Das kann dazu beitragen, die steigenden
Kosten für bemannte U-Boote zu erklären
(mit neueren Technologien, aber auch der
Notwendigkeit, mit jeder neuen Einheit
Präsenz und Fähigkeiten bereitzustellen,
die über denen der zu ersetzenden Einheit
liegen). Auch die wachsenden Ausgaben
für unbemannte Unterwasserfahrzeuge
(UUV) tragen dieser Marktrealität Rech-
nung, denn UUV gelten als mögliche Alter-
nativen und künftige Kräftemultiplikatoren
in der Unterwasserdomäne.
Und immer mehr Länder planen die Be-
schaffung von U-Booten, entweder als
Erstbeschaffung oder zum Ersatz älterer
Einheiten wie die „Kobben“, Klasse 209
(Foto: kriegsschiffe.eu)

oder die „Kilo-Klasse“, die zunehmend

schwieriger zu versorgen sind. Das lässt
auch das Interesse am Markt für gebrauch-
te U-Boote wachsen.
In diesem Zusammenhang sollten chi-
Die acht Einheiten der „Karel-Doorman“-Klasse (M-Fregatten) der nie- nesische Aktivitäten aus der jüngeren
derländischen Marine wurden in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in Vergangenheit Erwähnung finden. Chi-
Dienst gestellt. Seit 2004 wurden sechs der Schiffe an die Marinen na überführte zwei kürzlich außer Dienst
Belgiens, Chiles und Portugals verkauft. gestellte diesel-elektrische U-Boote der
„Ming“-Klasse nach Bangladesch anstelle
die beide ein Interesse an diesen Einheiten U-Boote kaufen. Diese 313 Einheiten stellen des früher geäußerten Plans, zwei noch im
geäußert haben, ausgezeichnete Angebo- einen Wert von mehr als 300 Milliarden Dol- Dienst befindliche U-Boote später im Jahr
te dar, um die Lücken in der eigenen See- lar in Investitionen in Neubauten dar, etwa 2019 zu transferieren. Beide Einheiten wur-
streitkräftestruktur zu füllen, auch wenn ein Drittel dessen, was weltweit insgesamt den am 15. November 2016 überführt und

Marineeinheiten heute Flugzeug- Amphibien Unterstüt- Korvetten Kreuzer Zerstörer Schnell- Fregatten Minen- OPVs Patrouillen- U-Boote Total
(Seestreitkräfte und Küstenwachen) träger zungsein- boote kampf boote
heien
Asien & Australien 3 450 319 149 2 89 393 169 170 185 1968 160 4057
Karibik & Lateinamerica 1 106 134 29   1 31 45 15 57 1038 26 1483
Naher Osten & Nordafrika   137 71 50   2 218 24 30 27 861 42 1462
NATO 2 231 372 50   19 98 127 202 90 1000 86 2277
Non-NATO Europa   124 55 8     22 4 46 15 162 5 441
Russische Föderation 1 55 260 28 4 14 110 17 42 39 232 64 866
Schwarzafrika   30 13 1     33 7 7 27 388 3 509
USA 11 203 147   22 67   19 11 27 188 69 764
Total 18 1336 1371 315 28 192 905 412 523 467 5837 455 11859

sie selbst bereits ehrgeizige Schiffbauvor-
haben für neue amphibische Einheiten
verfolgen, wie die türkischen LPD (Landing
Platform/Dock) der „Anadolu“-Klasse. Und
mit einer prognostizierten weiteren Nut-
zungsdauer von 20 bis 30 Jahren gelten
sie für einige Marinen als „Schnäppchen“.
U-Boot-Transfers
Die Zahlen von AMI zum globalen U-Boot-
Markt über die nächsten 20 Jahre zeigen,
wie wertvoll dieses Marktsegment für Kons-
trukteure, Werften und die Zulieferindustrie
ist. Gemäß der Prognose von AMI werden
41 Länder im Rahmen von 68 Beschaf-
fungsprogrammen bis 2037 etwa 313 neue
an Investitionen im Markt für neue Marine-
schiffe aufgewendet werden wird. Es steht
außer Frage, dass U-Boote auch weiterhin
ihre Stellung als die relativ teuersten Plattfor-
men (Preis pro Tonne) im weltweiten Mari-
nemarkt behalten werden.
Ein Blick auf die obenstehende Über-
sicht, die auf den AMI vorliegenden Da-
ten basiert, zeigt, dass gegenwärtig 455
U-Boote und Unterwasserfahrzeuge in
Verwendung sind; das sind weniger als
drei Prozent von allen in Verwendung be-
findlichen Marineeinheiten. Auch mit Nut-
zungsdauer-verlängernden Maßnahmen,
mit denen sich U-Boote 30 bis 40 Jahre
betreiben lassen, wird die prognostizierte
Neubaurate die außer Dienst gestellten Ein-
in „Nabajatra“ (Neue Reise) und „Joyjatra“
(Siegreiche Reise) umbenannt. Der Transfer
wurde bei der Nan-Werft in Dalian vollzo-
gen, und beide Einheiten wurden offiziell
am 12. März 2017 von der Marine Bangla-
deschs in Dienst gestellt.
In Verbindung mit dem Verkauf chine-
sischer U-Boote nach Pakistan und kürz-
lich auch Thailand bedeutet das chinesi-
sche Auftauchen im Markt für neue und
gebrauchte U-Boote für die etablierten
U-Boot-Werften eine neue Herausforde-
rung. Und China bedeutet für Marinen, die
nach kostengünstigen Alternativen suchen,
eine neue Option – einmal abgesehen von
einem möglichen Engpass an gebrauchten
Einheiten von anderen Marinen. L

80 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018


Rüsten für den Untergrundkrieg: En-
de November veröffentlichte die Penta-
gon-Forschungsbehörde DARPA (Defense
Advanced Research Projects Agency) eine
neue Request for Information (RfI) an die
Rüstungs- und Elektronikindustrie. Gesucht
(Foto: U.S. Army)
U.S. Army-Soldaten bei einem
Übungsangriff auf eine Tunnel-
anlage im Rahmen der asymme-
trischen Kriegführung
werden nichtletale technologische Ansätze,
die den Einsatz in unterirdischen Anlagen
sicherer und effizienter gestalten könnten.
Hochmoderne Streitkräfte greifen in der
Regel auf die Ergebnisse von Überwa-
chungssatelliten und Aufklärungsflugzeu-
ge zu. Damit verschaffen sie sich einen Vor-
teil in der Beurteilung der Lage und ggf.
im Gefecht. Dieser Vorteil geht allerdings
weitgehend verloren, wenn der Gegner
sich in unterirdischen Anlagen aufhält und
bewegt. Diese Erfahrung wurde bereits in
den Bergen Afghanistans gemacht, als die
Taliban sich in natürliche Höhlensysteme
und aufwändige künstliche Tunnelanlagen
zurückzogen. Noch komplexer ist das ur-
bane Einsatzumfeld, wo gegnerische Kräf-
te U-Bahnschächte und Kanalsysteme als
Transitstrecken verwenden können oder
(wie auf dem Balkan, im Kaukasus und im
Mittleren Osten gesehen) die Innenwän-
de ganzer Häuserblocks durchbrechen. In
dicht bebauten Städten können Luftüber-
wachung sowie Richt- und Satellitenkom-
munikationssysteme auch außerhalb von
Tunnelbereichen behindert werden. Die
Au to r
Sidney E. Dean ist Präsident
der Transatlantic Euro-American
Multimedia LLC.
Blick nach Amerika
jüngste RfI-Ausschreibung und eine ähnli-
che Anfrage aus dem Frühjahr 2016 suchen
nach Lösungen in den Bereichen:
• Aufklärungssensoren, die zur Lagebild-
erstellung in abgeschlossenen Räum-
lichkeiten und ohne (bzw. bei einge-
schränkter) GPS-Empfangsmöglichkeit
eingesetzt werden können,
• Kommunikationsausrüstung für den
Einsatz in dicht bebautem und abge-
schlossenem Terrain, auch zur Erstellung
von Ad-hoc-Kommunikationsnetzwer-
ken für verstreut agierende Kräfte im
gleichen Umfeld,
• Navigationshilfen, die ohne GPS-Signal
auch im abgeschlossenen Einsatzum-
feld eine zuverlässige Ortung ermögli-
chen und autonom während des Einsat-
zes digitale Wegkarten erstellen,
• Eigenschutzausrüstung einschließlich
Überwachung der Luftqualität,
• medizinische Überwachungssensoren
sowie
• unbemannte Land- und Flugsysteme für
Aufklärung, Nachschub und Verwunde-
tentransport.
Mitte Januar sollen interessierte Firmen
ihre konzeptionellen und technologi-
schen Ideen im Rahmen eines von der
DARPA ausgerichteten Seminars vorstel-
len. Vorläufig dient die Ausschreibung
der Informationsfindung, doch könnte
sie in Zukunft zu einer Entwicklungs- und
Beschaffungsausschreibung führen, be-
tont die DARPA.
Einsatzverbund bemannter und un-
bemannter Systeme: Unter dem Pro-
grammnamen Abrams Lethality Enabler
(Foto: U.S. Army)
Unbemannter Humvee mit einem
automatisierten ADIM-Mörser 81
mm (Automated Direct Indirect-
fire Mortar)
(ALE) erprobt die U.S. Army den Einsatz-
verbund bemannter und unbemannter
Kampfsysteme. Das Konzept wurde Ende
August 2017 auf dem Maneuver Center of
Excellence Combat Vehicle Modernization
Summit auf Fort Benning (Georgia) vorge-
führt. Bei einer Technologiedemonstration
führte die Besatzung eines Kampfpanzers
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik
M1A2 Abrams gleichzeitig den Einsatz ei-
nes unbemannten Flugzeugs und zweier
unbemannter Fahrzeuge. Jedes Element
des Einsatzverbundes trug zum Erfolg des
Auftrags bei: Das UAV ortete das Ziel. Ein
unbemannter, mit einem Nebelgenerator
ausgestatteter Mannschaftspanzer vom
Typ M113 verdeckte den Anmarsch des Ab-
rams-Panzers, während ein unbemannter,
mit einem automatischen Mörser bewaff-
neter Geländewagen Unterstützungsfeuer
leistete. Die Zerstörung des Ziels erfolgte
durch den bemannten Kampfpanzer.
Die Aufgaben der drei unbemannten Syste-
me wurden bereits vor dem Einsatz einpro-
grammiert und liefen weitgehend autonom
ab, erklärte ALE-Projektleiter Evan Finn. Die
Panzerbesatzung musste den Einsatz der
anderen Systeme weitgehend nur überwa-
chen und war folglich nicht überlastet, sag-
te Finn. Grundsätzlich kann die eingesetzte
Technologie sowohl in der bemannten wie
der unbemannten Rolle in einer Vielzahl ver-
schiedener Fahrzeuge verwendet werden,
erklärte Colonel Richard Hornstein, Stellver-
tretender Kommandeur der Entwicklungs-
dienststelle Automotive Research Develop-
ment Engineering Center.
Streumunition weiterverwenden: Das
Pentagon gab am 30. November be-
kannt, dass das US-Militär auf unbe-
stimmte Zeit die in ihren Arsenalen be-
findliche Streumunition weiterverwen-
den will. Die Bush-Administration hatte
2008 die Absicht der USA erklärt, ab dem
1. Januar 2019 nur noch Streumunition
mit einer Blindgängerrate von weniger als
einem Prozent einzusetzen; die Blindgän-
ger dieser „sicheren“ Munition sollten
nach 15 Minuten automatisch zünden,
um die Gefahr für die Zivilbevölkerung
zu minimieren. Zwischenzeitlich konnte
allerdings keine Munition, die diese Pa-
rameter erfüllt, entwickelt werden. Die
einschlägige Forschung wird fortgesetzt.
Auf absehbare Zeit müsste jedoch die
Option erhalten bleiben, größere Trup-
penansammlungen und andere Flächen-
ziele wirksam zu bekämpfen, erklärte
der Pressesprecher des US-Militärs, ohne
potenzielle Gegner näher zu benennen.
Die USA haben zuletzt 2003 während der
Irak-Invasion Streumunition in größeren
Mengen eingesetzt. Allgemein gilt unter
Militärexperten, dass sie im Falle eines
Krieges in Korea oder einer russischen
Aggression herangezogen würden.
Seit 2010 gilt eine Konvention, die die
Herstellung, den Besitz und den Einsatz
von Streubomben untersagt. Die USA
sind dieser Konvention nicht beigetreten,
ebensowenig z.B. Russland und China.L
81
 W I RT SCH AF T & I ND US T R I E

Neue Generation ungeschützter

Transportfahrzeuge
Gerhard Heiming und Michael Horst

Am 6. Juli 2017 haben das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr
(BAAINBw) und die Rheinmetall-Tochter Rheinmetall MAN Military Vehicles (RMMV) einen Rahmenvertrag
über die Lieferung von 2.271 ungeschützten militarisierten Transportfahrzeugen (UTF mil) abgeschlossen.
Damit ist die dritte Phase der Einführung neuer Transportfahrzeuge eingeleitet worden, die mit handels-
üblichen Lkw mit und ohne militärische Sonderausstattung (hü, hümS) und Geschützten Transportfahrzeu-
gen (GTF) begonnen hat.

K
(Foto: Rheinmetall)

ennzeichen der neuen Generation

ungeschützter Transportfahrzeuge
für die Truppe ist die universelle Aus-
legung für eine Vielzahl unterschiedlicher
Transportaufgaben im Einsatzgebiet. Alle
bekannten und relevanten Schnittstellen
zu Rüstsätzen, militärischer Ausrüstung
und im Aufbau sind ausgeführt. Damit
werden die UTF zukunftssicher und auf-
wuchsfähig.

Das Konzept
Im Konzept für die UTF mil hatte das
BAAINBw vier Cluster definiert, in denen
die Anforderungen und Schnittstellen be-
schrieben sind.
Der Cluster „Fahrzeug“ befasst sich mit
den allgemeinen Anforderungen u.a.
hinsichtlich technischer Leistungsfähig-
keit und der Logistik für das Fahrzeug
selbst. Danach ist die Kabine für eine
Besatzung von drei Personen mit einem
Gewicht von jeweils 165 kg (einschließ-
lich persönlicher Ausrüstung) ausgelegt.
Für sie sind drei vollwertige Sitze vorge-
sehen. Vom mittleren Sitz wird die Fern-
bedienbare leichte Waffenstation (FLW)
bedient. Weiter gehören in diesen Cluster
die Anforderungen hinsichtlich Mobilität
und die Zulassung für den Straßenver-
kehr ebenso wie zur Bordausstattung und
Fahrzeugzubehör sowie die Dokumenta-
tion. Ferner werden Ersatzteilumfänge,
Sonderwerkzeuge, Mess- und Prüfmittel
sowie Ausbildungsmittel beschrieben. Als
Option ist die Integration einer geschütz-
ten Kabine aufgeführt (Wechselkabine),
mit der das Fahrzeug in ein geschütztes
Transportfahrzeug umgewandelt werden
kann. Wechselkabinen sind (noch) nicht
zur Beschaffung vorgesehen, allerdings
muss das Fahrzeug darauf ausgelegt sein.
Die HX-Klasse von Rheinmetall für die Zuladungsklasse 15 Tonnen
Im Cluster „Anhänger“ sind geländegän-
gige Anhänger mit einer Achse für 3,5 t
Nutzlast, mit zwei Achsen (12,5 t) und drei
Achsen (24 t) aufgeführt, mit denen ein
Zug bis zu 39 Tonnen transportieren kann.
Der Cluster „Ladung“ zeigt die Aufnah-
mefähigkeit für 15-Fuß-Contanier und
15-Fuß-Wechselpritschen sowie für die
bereits eingeführten Kabine I/II und FmA/
FmB. Es werden zunächst nur zwei Nutz-
lastklassen realisiert: fünf Tonnen mit ei-
nem 6x6-Chassis und 15 Tonnen mit einem
8x8-Chassis.
Der Cluster „Rüstsätze im Fahrerhaus“ be-
schreibt die Einrüstungen zur Aufnahme
von Rüstsätzen (Einbausatz), deren Ge-
rätesätze nach Einführung der Fahrzeuge
aus anderen Vorhaben beigestellt werden.
Hierzu gehören neben den Kommunika-
tionsmitteln SEM 80/90, Tetrapol und
SatCom (BGAN Explorer) das Führungs-
und Waffeneinsatzsystem landbasierte
Operationen, die Ausstattung zum Schutz
gegen IED und nicht zuletzt die fernbedi-
enbare Waffenstation FLW 100 und die
alternative Drehringlafette. Mit der FLW
100 wird der Trend fortgesetzt, logistische
Fahrzeuge mit effektiver Bewaffnung zum
Selbstschutz auszurüsten. Begonnen wur-
de damit bei den geschützten Transport-
fahrzeugen, die seit 2012 zur Aufnahme
einer Waffenstation vorbereitet sind.
Fahrzeuge der Bundeswehr müssen im
Single Fuel-Konzept der NATO mit den
Treibstoffsorten F54 und F63 betrieben
werden können. Daher lautet die Anforde-
rung des BAAINBw zur Emission mindes-
tens EURO 5. Damit ist gewährleistet, dass
die Fahrzeuge im Einsatz und im Grund-
betrieb ohne Einschränkungen genutzt

82 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018


(Foto: Rheinmetall)
Eins der Alleinstellungsmerkmale der
UTF mil: Gehärtetes Dach, geeignet für
FLW 100 (im Bild: HX von Rheinmetall)
werden können. Dies erfordert allerdings
eine Ausnahmegenehmigung von den
Vorschriften der StVZO, die von der Zent-
ralen Militärkraftfahrstelle der Bundeswehr
erteilt wird.
Die in den Clustern beschriebenen Merk-
male führen zu der Bezeichnung „mili-
tarisiert“ für die Fahrzeugklasse und un-
terscheiden sie von den Fahrzeugen mit
militärischer Sonderausstattung (hümS),
die die BwFuhrparkservice GmbH der Bun-
deswehr bereitstellt.
Wettbewerb
Das BAAINBw hatte Lkw-Hersteller mit
klaren Leistungsanforderungen für die
zukünftigen Fahrzeuge zur Teilnahme am
Wettbewerb aufgefordert. Nach Analy-
se der Angebote konnten nur Fahrzeuge
von Rheinmetall MAN Military Vehicles
(RMMV) und Iveco die Anforderungen er-
füllen. Beide Firmen haben Nachweisfahr-
zeuge für die Zuladungsklassen fünf und 15
Tonnen nach den technischen Richtlinien
bereitgestellt, die das BAAINBw für Un-
tersuchungen zur Riskoabschätzung und
-minimierung angekauft hat. An den Un-
tersuchungen waren die Wehrtechnischen
Dienststellen 41 in Trier (Fahrzeugtechnik),
81 in Greding (elektronische Sicherheit)
und 91 in Meppen (Schieß-/Waffentechnik
und Ergonomie) beteiligt.
Bei der WTD 41 mussten die vier Nach-
weisfahrzeuge auf Erprobungskursen im
Gelände und auf Erprobungsbahnen unter
hoher Belastung ihre Funktionsfähigkeit
beweisen. Auf den künstlich angelegten
Erprobungsbahnen mit unterschiedlich
geformten Oberflächen (z. B. Sinuswelle,
„Waschbrett“, Verwindungsbahnen und
der Schlechtwegstrecke „Belgisch Block“)
kamen dabei Fahrroboter zum Einsatz, mit
denen das Testprogramm exakt und ohne
zeitliche Einschränkungen sowie ohne Be-
lastung des Fahrpersonals absolviert wer-
Auf den Erprobungsbahnen kam ein Fahrroboter zum Einsatz.
den konnte. Auf den Erprobungskursen
(u.a. mit Schotter- und Schlechtwegstrecke)
war wegen der hohen Belastung stündlich
ein Fahrerwechsel erforderlich.
Die neue Baureihe HX2
RMMV hat mit HX2 eine neue Baureihe ent-
wickelt, die konsequent dem MOTS-Ansatz
(Military-off-the-Shelf) folgt. Genutzt wer-
den erprobte und zuverlässige modifizierte
Großserienkomponenten, die speziell auf
militärische Bedürfnisse ausgelegt wurden,
sodass maßgeschneiderte Militärfahrzeu-
ge bei hoher Kosteneffizienz entstanden
sind. Erster Nutzer dieser Baureihe sind die
australischen Streitkräfte, für die zurzeit
Fahrzeuge in ähnlichem Umfang wie der
Bundeswehrauftrag produziert werden.
Rahmen
Kern des verwindungsarmen Fahrzeugrah-
mens sind Längsträger aus U-Profilen mit
genieteten und verschraubten Querträ-
gern, die alle Komponenten tragen. Die
Vorderachsen (bei ZLK 5T nur eine) sind
für je elf Tonnen Achslast ausgelegt, die
Hinterachsen für je 13 Tonnen. Parabel-
federn (vorne mit progressiver Kennlinie)
entkoppeln den Rahmen weitgehend von
den Achsbewegungen. Die Räder sind mit
Michelin ZXL-Geländereifen bereift und
verfügen über Notlaufelemente von Hut-
chinson. Der gesamte Vorderwagen ist für
die Aufnahme einer geschützten Kabine
(ca. vier Tonnen Eigengewicht) vorbereitet.
Beim Kabinenwechsel müssen nur Federn,
Dämpfer und die Kabine selbst ausge-
tauscht werden.
Antrieb
Als Antrieb dient ein wassergekühlter MAN
D2066LF44 Sechszylinder Reihenmotor.
Bei Emissionswerten nach Euro 5 kann er
mit F34-Treibstoffen gemäß NATO Sing-
le Fuel Konzept und mit minderwertigen
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik
WI RTSCHAF T & I ND US TR I E 
(Foto: Bundeswehr)
Kraftstoffen betrieben werden. Mit 324
kW Höchstleistung und einem maximalen
Drehmoment von 2.100 Nm bringt er ge-
nügend Zugkraft für die Fahrt in schwe-
remGelände. Das vollautomatische Last-
schaltgetriebe EcoLife 7 von ZF ermöglicht
die Anpassung der Zugkräfte an den Be-
darf ohne Zugkraftunterbrechung.
Kabine
Die äußere Anmutung der Kabine weicht
bewusst nur wenig vom Design der abzu-
lösenden 5-Tonner Kat I ab, um so die Tra-
dition fortzuführen.
Das aufprallsichere Frontlenker-Fahrerhaus
ist hydraulisch kippbar und wird von einer
Webasto-Anlage gekühlt. Fahrer- u. Bei-
fahrersitz sind luftgefedert. Die Rückenleh-
ne des dritten Sitzes (über dem Motor) ist
klapp- und begehbar. Von dort wird die
Waffenanlage auf dem Dach ferngesteu-
ert. Alle Sitze sind schutzwestenoptimiert.
Besonderheit der Kabine ist das Hardtop.
Es ist begehbar und für die Aufnahme von
Drehringlafette bzw. Waffenstation vorbe-
reitet. Für den Transport kann es abgenom-
men werden.
Die optionale geschützte Wechselkabine
bietet Schutz bis Level 3/3b nach STANAG
4569. Bisher hat die Bundeswehr aber
noch keine Wechselkabinen bestellt.
Die Flexibilität für Transportaufgaben wird
durch verwindungsfreie (6x6-Fahrzeuge)
bzw. verwindungsarme (8x8-Fahrzeuge)
Containerrahmen von Empl und Wechsel-
pritschen von SAXAS erreicht. Die Wech-
selpritschen sind mit Plane und Spriegel
ausgestattet.
Mobilität
Antrieb und Fahrwerk sind für schweres
Gelände ausgelegt, sind aber auf der Stra-
ße für Höchstgeschwindigkeit geeignet.
Ohne Vorbereitung kann der HX2 bis zu
1,50 Meter tiefes Gewässer durchwaten.
Die Außenabmessungen lassen den Trans-
83
 WI RTSCHAF T & I ND US TR I E
port im Eisenbahnnetz zu. Per Luft kom-
men als Transportmittel A400M, C-17,
An-124 und andere Transportflugzeuge
ähnlicher Größenordnung infrage.
Produktion
Die Fahrzeuge werden im RMMV-Werk in
Wien-Liesing hergestellt. Die spezielle An-
passung an die Kundenforderungen erfolgt
(Foto: Rheinmetall)
Der Anfang: zwei U-Profile
in einer eigenen Entwicklungsabteilung.
Herz des Fahrzeugwerks ist die Endmonta-
gelinie, in der die Fahrzeuge – angefangen
mit zwei U-Profilen – fast vollständig auf-
gebaut werden.
Einzelteile und Baugruppen werden von
externen Herstellern zugeliefert. Haupt-
Das Kabinendach ist Träger wichtiger militärischer Ausrüstungs-
elemente.
lieferant ist MAN, der neben Rheinmetall
zweite Anteilseigner des Joint Ventures
RMMV. Für Großbaugruppen wie Achsen,
Kabinen, Antrieb oder Kühlerträger sind ei-
gene Taktstraßen eingerichtet, aus denen
84 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
Blick in die Produktionshalle von Rheinmetall MAN Military Vehicles
die Endmontagelinie rechtzeitig bedient
wird. Auf der Endmontagelinie stehen der-
zeit überwiegend Militär-Lkw. Auch zivile
Lkw werden hier montiert, wenn die Ab-
weichungen (z.B. Überlänge) in der Groß-
serie bei MAN in München zu sehr stören
würden. Mit einer Taktzeit von 45 Minu-
ten werden in der Endmontage im Durch-
schnitt elf Fahrzeuge pro Tag fertiggestellt.
Auslieferung
Der Bedarf an ungeschützten Fahrzeugen
für die Truppe liegt zurzeit bei 1.500 Lkw
mit fünf Tonnen und 750 Lkw mit 15 Ton-
nen militärischer Nutzlast. Hinzu kommen
150 Dreiseitenkipper. Aus dem Rahmenver-
trag sind als erste Teilmenge 339 Fünf- und
219 Fünfzehntonner abgerufen worden.
Für den Serienanlauf wird ein Zeitraum
von rund acht Monaten benötigt. Erste
Serienfahrzeuge sollen im April 2018 aus-
geliefert werden, die für die „Integrierte
Nachweisführung“ herangezogen werden.
Dabei werden zur Kosten- und Zeiterspar-
(Grafik: Rheinmetall)
nis Leistungsnachweise, Betriebstests und
Einsatzprüfung zeitlich und örtlich zusam-
mengelegt und in enger Zusammenarbeit
zwischen Auftragnehmer, Auftraggeber
und Nutzer durchgeführt. Dazu gehören
(Foto: Rheinmetall)
auch Erprobungen in extremem Klima.
Vorgesehen sind dafür Erprobungsstand-
orte in Norwegen bzw. Sardinien. Am Ende
steht die Genehmigung zur Nutzung und
die Freigabe der Serienproduktion. Noch
2018 sollen die ersten 90 Serienfahrzeuge
an die Truppe ausgeliefert werden.
Mit den Erkenntnissen der Nachweisfüh-
rung und ersten Betriebserfahrungen wird
der Konstruktionsstand festgeschrieben
und die endgültige Dokumentation (Inter-
aktive Elektronische Technische Dokumen-
tation, IETD) herausgegeben. Damit ist
dann die Versorgungsreife erreicht und die
volle Einsatzreife der Fahrzeuge hergestellt.
Dies wird etwa zwei Jahre nach Beginn der
Auslieferung der Fahrzeuge erwartet.
Aufwuchsfähigkeit
Fahrzeuge, die für eine Nutzungsdauer
von 20 Jahren vorgesehen sind, müssen
während dieser Zeit von technischen Ent-
wicklungen profitieren und an neue Auf-
gaben angepasst werden können. Daher
hat das BAAINBw eine Aufwuchsfähigkeit
gefordert, die sich zum einen in Gewichts-
reserven und zum anderen in modularem
Design äußert. RMMV hat schon neue
Features im Blick. Hierzu gehören u.a. ein
neues Cockpit mit modernisiertem Design
unter Nutzung der Weiterentwicklung in
der Elektronik, elektrisch gesteuerte „ak-
tive“ Stoßdämpfer zur Entlastung von Be-
satzung und Material sowie ein Einbau-
satz „Platooning“, der die automatische
Kolonnenfahrt ermöglicht. Besonderes
Highlight könnte ein D26-Dieselmotor
werden, der die neusten Euro 6-Anforde-
rungen für militärische Motoren erfüllen
wird.
Nachdem jetzt der erste Schritt zur Be-
schaffung der UTF mil getan ist, sollte
schnell der Anschluss geschaffen und das
zweite Los abgerufen werden. Die Truppe
braucht zuverlässige Fahrzeuge für Grund-
betrieb und Einsatz. Moderne Fahrzeuge
erhöhen auch die Motivation und locken
vielleicht neue Bewerber an. L
(Foto: Rheinmetall)
Nachgefragt:
Kurzinterview mit Bernhard Pöltl,
Geschäftsführer RMMV Österreich

ES&T: Welche Vorzüge der neuen Lkw-Baureihe HX2 waren aus ihrer Sicht
entscheidend für den Auftrag zur Lieferung der UTF mil?
Pöltl: Die in den 1970er Jahren in Dienst gestellten militärischen geländegän-
gigen Fahrzeuge (KAT I mil gl) waren hinsichtlich ihrer militärischen Fähigkei-
ten (Mobilität, Robustheit und Zuverlässigkeit) bereits hoch leistungsfähige
Lkw-Systeme. Die Bundeswehr suchte einen konsequenten Nachfolger: als
Fahrzeugfamilie marktverfügbar und den heutigen Einsatzanforderungen ge-
wachsen.
Der HX2 vereint diese Aspekte wie keine andere Lkw-Plattform weltweit. Er bringt Soldat und Ladung ins schwerste Gelände, kann
bei Bedarf mit einer Panzerstahlkabine bis Level 3/3b ausgestattet werden, erfüllt höchste elektromagnetische Verträglichkeits-
standards, bietet aufgrund seiner speziellen Bauweise ausreichend Nutzlastreserven und ist gegenüber zivilen Plattformen für eine
Nutzungsdauer von über 20 Jahren ausgelegt. Darüber hinaus bietet der HX2 durch seine Watfähigkeit von 1,5 m die herausragende
Eigenschaft, um auch im Katastrophenfall (z.B. bei Hochwasserlagen) eingesetzt werden zu können.
Die interne Vergleichserprobung der Bundeswehr unter härtesten und aufgrund von eingesetzten Fahrrobotern absolut vergleich-
baren Rahmenbedingungen bestätigten diese Eigenschaften. Die hohen Fähigkeiten der militärischen HX-Baureihe, verbunden
mit einem konsequenten Gleichteilekonzept führten nach unserer Auffassung zu einem wirtschaftlich stimmigen Gesamtkonzept,
gepaart mit einem geringen Risiko für den öffentlichen Auftraggeber aufgrund der Marktverfügbarkeit.

ES&T: Welche Herausforderungen sehen Sie in der Vorbereitung zum Serienanlauf und später in der Produktion? Wie weit sind die
Vorbereitungen fortgeschritten?
Pöltl: Der Zeitraum zwischen Vertragsschluss und Lieferung der ersten acht Serienfahrzeuge (März 2018) ist knapp bemessen. Der
Auftraggeber hat durch die intensive Erprobung verständlicherweise Optimierungspotenziale im Wesentlichen an der Zusatzaus-
stattung der Fahrzeuge identifiziert. Diese fließen jetzt in die Baubeschreibung der Fahrzeuge ein und werden als finaler Konstruk-
tionsstand einvernehmlich vereinbart.
Der dann folgende Serienanlauf in unserem Werk ist keine schwerwiegende Herausforderung, da wir im Schnitt jeden Monat einen
Fahrzeugneuanlauf für unterschiedliche Kunden termingerecht durchführen.
Die Teams von Seiten des Auftraggebers und RMMV treffen sich derzeit in sehr kurzen Abständen zu Abstimmungsgesprächen
und Stellproben, die auf eine baldige Konstruktionsstandfestlegung abzielen. Für bereits festgelegte Bauteile ist die Beschaffung
ausgelöst. Mit dem Bau der ersten Fahrzeuge wird noch in diesem Jahr begonnen.

ES&T: Welche Schwerpunkte erwarten sie für die Integrierte Nachweisführung?

Pöltl: Im Vergleich zwischen Erprobungsträgern und Serienfahrzeugen ergeben sich Optimierungen in der gesamten Fahrzeug-
konfiguration. Wir erwarten daher eine umfassende Nachweisführung in allen Bereichen wie Fahrdynamik, elektromagnetische
Verträglichkeit, ergonomische Untersuchung und logistische Einsatzprüfung.

ES&T: Wann kann nach Ihrer Planung die volle Einsatzreife des Systems hergestellt sein?
Pöltl: Mit Beginn der Serienfertigung 2018 und mit Lieferung der erforderlichen Befähigungen, wie zum Beispiel Sonderwerkzeuge,
Mess- und Prüfmittel, Ausbildung oder Interaktive Technische Dokumentation (IETD) usw. rechnen wir bereits mit einer Einsatzreife
des Systems ab 2019.

ES&T: Da die Entwicklung nicht stehen bleibt: Welche wesentlichen Verbesserungen können zum Fähigkeitsgewinn in zukünftige
Lose eingebracht werden?
Pöltl: Wir arbeiten kontinuierlich an der Verbesserung unserer Fahrzeuge und wollen dem Nutzer unter dem Dach der Fahrzeugfa-
milie HX2 einen großen Spielraum an Flexibilität bieten. Insbesondere in den Bereichen der Mobilität und des Schutzes sehen wir
Aufwuchspotenzial.
Fahrgestellseitig werden u.a. neue Motoren mit höheren Leistungskennzahlen zur Verfügung stehen, die auf Wunsch des Auftrag-
gebers genutzt werden können. Ebenso wird es Alternativen zur Blattfederung geben, die den Transport schock- bzw. stoßsensibler
Ladung verbessern.
Da die Fahrzeuge dafür ausgelegt sind, einen Wechsel auf eine geschützte Kabine zu ermöglichen, sehen wir neben dem passiven
Schutz auch aktive Schutzlösungen wie ADS als sinnvolle Ergänzung an.
Neben den militärischen Anforderungen sehen wir ebenso Entwicklungen aus dem zivilen Bereich als Mehrwert für den Soldaten.
So werden absehbar Assistenzsysteme wie Active Cruise Control oder Lane Guard verfügbar sein. Als nächsten Schritt wird aktiv
an Themen wie dem autonomen Fahren (Platooning) geforscht und entwickelt.
Als Systemhaus RMMV erweitern wir unser Produktspektrum auch dahingehend, dass wir Aufbauten als integralen Bestandteil
des Lkw-Gesamtsystems betrachten. Die ganzheitliche Entwicklung sowie Nachweisführung trägt somit militärischen Ansprüchen
Rechnung und bietet ein Gesamtpaket aus einer Hand.
Die Fragen stellten Michael Horst und Gerhard Heiming.

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 85

 WI RTSCHAF T & I ND US TR I E

Hostile Fire Indication (HFI)

für Hubschrauber
Detektion von Beschuss durch Handfeuerwaffen
Ulrich Hasse

Derzeit ist in Hubschraubern der Bundeswehr kein System zur Mindestabstand zwischen Geschossbahn
und Hubschrauber betrug rund 30 Meter.
Erkennung von Beschuss durch Handfeuerwaffen integriert. Ent- Das verwendete Muster CH-53G wurde
sprechender Beschuss wird häufig erst bei Ausfall von System- aufgrund von Verfügbarkeit und Platz-
angebot für die Versuchseinrichtung als
komponenten oder nach dem Einsatz festgestellt. Demonstrator ausgewählt. Zudem war
ein passives ballistisches Schutzsystem für

B
die Besatzung und vitale Komponenten
einahe-Treffer werden in der Regel auf Hubschrauber durch Kleinwaffen im des Hubschraubers verfügbar, um die Si-
nicht erkannt und eine Gegenmaß- Rahmen mehrerer Funktions- und Leis- cherheit während der Versuche auf einem
nahme bzw. ein automatisches Wei- tungsdemonstrationen auch unter realen höchstmöglichen Level zu gewährleisten.
termelden von Gefahrenzonen an andere Flugbedingungen gezeigt. Die Erkenntnisse Insgesamt fanden drei Flugkampagnen
Hubschrauber erfolgt nicht. Gegen Be- bilden die Grundlage für spätere Ausrüs- bei der Wehrtechnischen Dienststelle für
schuss durch Handfeuerwaffen ist derzeit tungsentscheidungen. Waffen und Munition (WTD 91) in Meppen
die Integration eines passiven, ballistischen mit Unterstützung weiterer Bundeswehr-
Schutzes zur Reduzierung der Wirksamkeit Flugversuche dienststellen zusammen mit den Auftrag-
von erfolgten Treffern möglich. nehmern statt.
Ein aktiver Schutz vor gelenkten Flugab- Die Flugversuche wurden 2016 und 2017 Ziel war es, den Beschuss von Hubschrau-
wehrwaffen bzw. Flugkörpern besteht im mit einem Demonstratorhubschrauber Typ bern durch kleinkalibrige Rohrwaffen
Wesentlichen aus entsprechender Senso- CH-53G der Wehrtechnischen Dienststelle mittels der drei genannten Technologien
rik (Laser-, Radar-, Missile-Launch-Warner) für Luftfahrzeuge und Luftfahrtgerät der Radar, Akustik und Infrarot zuverlässig zu
und entsprechenden Gegenmaßnahmen Bundeswehr (WTD 61) durchgeführt. Da- detektieren. Zudem wurde untersucht, wie
(z. B. Ausweichempfehlung oder Einsatz bei wurden verschiedene Manöver geflo- die Sensordatenfusion, also eine Kombina-
von Chaff & Flares, d. h. Täuschkörpern). gen und mit unterschiedlichen Waffen an tion der drei Technologien, die Leistungsfä-
Hierzu gibt es bereits Konzepte und nutz- dem mit Sensoren bestückten Demonst- higkeit eines potenziellen Gesamtsystems
bare Komponenten.
(Foto: Airbus Helicopters)

Mögliche Sensor-
technologien
Prinzipiell sind folgende Sensortechnolo-
gien für die Detektion von Beschuss und
die Ortung des Schützen grundsätzlich
geeignet und werden hier im Hubschrau-
berkontext im Rahmen einer F&T-Studie
(Forschung & Technologie) des Bundesam-
tes für Ausrüstung, Informationstechnik
und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw)
untersucht: Radar, Akustik, Infrarot. Eine
Fusion der einzelnen Sensorinformationen
soll eine Steigerung von Zuverlässigkeit,
Robustheit und Genauigkeit ermöglichen.
Mithilfe der ausgewählten Sensorkon- Demonstratorhubschrauber Sikorsky CH-53G
zepte wurde die Detektion von Beschuss
ratorhubschrauber in genau vorgegebener steigern kann. Hier ist u. a. auch eine mög-
Au to r Weise vorbeigeschossen. Durch die daraus lichst kleine Fehlalarmrate anzustreben.
entstandene Kombinationsvielfalt konnten Die genannten Sensoren sind zum Teil
Technischer Oberregierungsrat wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden. schon erfolgreich im bodengebundenen
Ulrich Hasse ist im BAAINBw Die Flugversuche wurden unter höchsten Einsatz. Das spezielle Umfeld Hubschrau-
Technologieverantwortlicher für Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt, ber mit beispielsweise dem Rotorabwind,
Drehflügler. sodass zu keiner Zeit eine Gefahr für die Vibrationen, Fahrtwind und weiteren Ein-
Besatzung oder das Umfeld bestand. Der flüssen stellt aber höhere Anforderungen.

86 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018


Sensorpositionen am Demonstratorhubschrauber während der
Flugversuche
Diese zu untersuchen, war eine der Haupt- Das zu untersuchende HFI-Konzept be-
aufgaben der F&T-Studie.
Zur grundsätzlichen Voruntersuchung der
Sensoren fanden Knall- und Beschussver-
suche auf eine an einem Kran hängende
Sensorik statt. Weiterhin wurden Knallver- den Beschuss als auch die Position des An-
suche mit Sensoren in Hubschrau-
bernähe durchgeführt, um vor
den Flugversuchen möglichst gut
geeignete Sensorpositionen am
Hubschrauber zu finden.
Für die Versuche wurden folgende
Sensoreinbauten vorgenommen:
Die möglichen Bereiche, in de-
nen die Sensoren reagieren,
sind farbig markiert. Im Rah-
men der F&T-Versuche ist eine
überwiegend einseitige Sen-
sorbestückung ausreichend. Im
Hubschrauber war zusätzlich
eine Datenverarbeitung und
-übermittlung für die Versuche
eingerüstet. Die Sensorpositio-
nen wurden nach Vorliegen ers-
ter Versuchsergebnisse teilweise
geändert. Mögliche HFI-Anzeige
WI RTSCHAF T & I ND US TR I E 
(Grafik: Airbus Helicopters)
greifers feststellen können. Zusätzlich ist
ein Radarsystem in der Lage, ein anfliegen-
des Objekt von der Größe eines Projektils
zu erkennen. Die durch die Vernetzung der
drei Technologien generierten Informatio-
nen eröffnen der Hubschrauberbesatzung
Handlungsoptionen, die den eigentlichen
Schutz durch ein Beschussdetektionssys-
tem ausmachen.
Die vorläufigen Ergebnisse der Beschuss-
detektion stellen sich als sehr vielverspre-
chend dar und belegen, dass die unter-
suchten Sensortechnologien in der Lage
sind, eine sehr hohe Detektionsquote bei
einer sehr geringen Zahl an Falschalarmen
darzustellen. Mithilfe der Sensordatenfusi-
on kann das Ergebnis noch weiter verbes-
sert werden.
Abhängig von der Sensortechnologie kann
neben der Beschussdetektion eine zweidi-
mensionale Peilung des Angreifers bis hin
zur Lokalisierung erreicht und visualisiert
werden. Dies ermöglicht das Einleiten von
entsprechenden Gegenmaßnahmen.
Mit den Ergebnissen der genannten
F&T-Studien könnten beispielsweise ange-
passte, geeignete Systeme für die bei der
Bundeswehr eingeführten Hubschrauber
entwickelt werden.
Integration und die
Mensch-Maschine-Schnitt-
stelle
Alle Integrationsaspekte werden von der
Firma Airbus Helicopters Deutschland als
Hauptauftragnehmer wahrgenommen.
Das Studienkonsortium umfasst auch die
Firmen HENSOLDT, Rheinmetall Electronics
stand aus verschiedenen feinfühligen Sen- sowie das Fraunhofer-Institut FKIE.
soren, die auf akustische Reize und Infrarot- Zusätzliche Kompetenzträger (Universität
signatur reagieren und somit anhand des der Bundeswehr München) werden bei
Knalls und des Mündungsblitzes sowohl der Untersuchung zu einer möglichen An-
zeige des detektierten Beschusses hinzuge-
zogen. Hier gilt es, eine geeignete
(Grafik: HENSOLDT)
Mensch-Maschine-Schnittstelle
(Human Machine Interface, HMI)
zu erarbeiten bzw. die vorhande-
nen Schnittstellen anzupassen. Vor
dem Hintergrund der hohen Ar-
beitsbelastung der Besatzung un-
ter zusätzlicher Bedrohung kommt
diesem Aspekt eine wesentliche
Rolle zu. Über das HMI-Konzept hi-
naus sind dann weitere Überlegun-
gen zu einer Weitervermittlung der
HFI-Information (Hostile Fire Indi-
cation) an andere Hubschrauber
und/oder an ein Informationsnetz-
werk anzustellen. Als weitere Fol-
gemaßnahme sind durch geeigne-
te Assistenzsysteme unterstützte
Gegenmaßnahmen denkbar (z. B.
automatisches Ausweichen). L
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 87
 WI RTSCHAF T & I ND US TR I E
Ein Jahr Inhouse – die BWI und
ihre Zukunftsperspektive
ES&T: Die BWI ist seit einem Jahr eine In-
house-Gesellschaft, was hat sich hierdurch
verändert?
Meister: Fangen wir lieber damit an, was
(Fotos: BWI)
sich nicht geändert hat. Die Freiheiten und
Möglichkeiten, die sich allein aus dem Sta-
tus einer GmbH ergeben, besitzt die BWI
weiterhin. Hierdurch konnten wir uns die
Agilität der freien Wirtschaft erhalten. Die
Befürchtungen mancher, dass Inhouse
auch ein Mehr an Regulierung oder andere
Nachteile mit sich bringt, haben sich nicht
bewahrheitet.
Zu den Vorteilen der neuen Stellung gehört
die engere, intensivere Zusammenarbeit
mit der Bundeswehr. Vorher gab es doch
eine gewisse Zurückhaltung, die sich allein
daraus ergab, dass die BWI ein Wirtschafts-
unternehmen unter Leitung großer Firmen
wie IBM oder Siemens war. Heute sind wir
hingegen Teil des Ganzen und wir rücken
immer enger zusammen.
Weil wir nun Teil des Ganzen sind, über-
trägt uns die Bundeswehr auch immer
mehr Aufgaben. In der Strategie 2020 war
schon einmal die Diskussion zu lesen, ob
die BWI von der Weißen zur Grünen IT hin
wächst. Die Grenzen sind schließlich schon
längere Zeit nicht mehr klar umrissen, son-
dern fließend und wir übernehmen heute
schon Aufgaben, die zur militärischen IT
gezählt werden könnten. Ein Großteil un-
seres Wachstums der nächsten Jahre wird
sich aus diesen zusätzlichen Aufgaben ge-
nerieren.
ES&T: Wo sehen Sie besonders ein Ver-
schwimmen der Grünen und Weißen IT
und in welchen von diesen Bereichen könn-
te die BWI mehr Aufgaben übernehmen?
88 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
Interview mit Ulrich Meister,
Chief Executive Officer, BWI GmbH
Meister: Nehmen wir als Beispiel das Logis-
tik-Ssystem der Bundeswehr SASPF. Ohne
dieses System kann man auch im Einsatz in
der Logistik nur wenig machen, es ist also je
nach Anwendung Grün oder Weiß. Diese
fließende Grenze gab es schon immer.
Ein anderes Thema ist der klassische Ar-
beitsplatz, den es hier in Deutschland aber
auch im Einsatzgebiet gibt. Die Betreuung
in Deutschland macht die BWI, die im
Einsatz die Bundeswehr. Diese Trennung
erscheint dann doch etwas künstlich und
wenig sinnvoll. Man könnte schließlich die
Auslandsstandorte standardmäßig der BWI
zuordnen.
Der neu angemietete BWI-Campus Auermühle am Bonner Hafen, in dem
500 Arbeitsplätze entstehen, besteht aus mehreren Gebäuden mit einer
Gesamtfläche von 12.000 Quadratmetern.
Eine deutliche Grenze sehe ich allerdings in
den Embedded Systems, wie beispielswei-
se den Waffensystemen. Hierbei handelt es
sich um hochspezielle und nicht skalierba-
re Lösungen, bei deren Betreuung die BWI
keinen Mehrwert bieten könnte.
Wie diese Beispiele zeigen, sehe ich den
großen Nutzen der BWI in standardisierten
Bereichen, die sich hochskalieren lassen.
Nehmen wir beispielsweise Big Data, Inter-
net of Things, Datenanalyse – hier existiert
kaum ein Unterschied zwischen den Grünen
und Weißen Anforderungen; die BWI könn-
te dementsprechend die Synergien nutzen.
Das Kreieren eines Lagebildes könnte also
ein Beitrag der BWI im Rahmen der Grü-
nen IT sein, während ich bei den Embedded
Systems keinen möglichen Mehrwert durch
eine neue Verteilung sehe.
ES&T: Woher kommt das zusätzliche Per-
sonal für das Mehr an Aufgaben?
Meister: Ein Teil wird von der Bundes-
wehr und verschiedenen Behörden kom-
men, aber einen Großteil rekrutieren wir
am freien Markt. In diesem Jahr wird die
BWI um knapp 1.000 Mitarbeiter anwach-
sen und diese müssen wir vom Markt er-
halten. Mit diesem Aufwuchs kratzt die
BWI dann knapp an der 4.000-Mitarbei-
ter-Grenze.
Natürlich sind diese 1.000 neuen Mitarbei-
ter erst einmal eine Investition, da sie zu-
mindest in der Anfangsphase noch nichts
produzieren. Diesen Aufwuchs – diese
Investition – muss man als Unternehmen
finanziell verkraften können. Die BWI war
hierzu bisher in der Lage und wird es an-
gesichts der zu erwartenden zusätzlichen
Aufgaben auch in der Zukunft sein.
ES&T: Wie planen Sie angesichts der an-
nähernden Vollbeschäftigung im IT-Sektor
diese 1.000 Mitarbeiter am Markt zu fin-
den?
Meister: Die BWI hat auf dem Markt einen
sehr guten Ruf. Unsere Marketingaktivitä-
ten für das Branding haben sogar schon
Preise gewonnen, wir sind also keine unbe-
kannte Größe. Eine unserer Hauptsäulen ist
zudem das Recruiting in den Universitäten.
Wir gehen verstärkt in die Ausbildung hin-
ein. Über hundert Mitarbeiter sind aktuell
über die Ausbildung bzw. studienbeglei-
tendes Arbeiten zu uns gekommen. Dane-
ben spielen natürlich die sozialen Medien,
aber auch die klassischen Headhunter eine
gewisse Rolle. Wir spielen also die ganze
– auch aus der Wirtschaft bekannte– Klavi-
atur zur Personalgewinnung.
ES&T: Ist im Zuge des Aufwuchses eine
Erweiterung der Liegenschaft in Mecken-
heim geplant?
Meister: Die jetzigen Liegenschaften
reichten auf jeden Fall nicht mehr aus.
Wir haben dementsprechend ein neues
Standortkonzept erstellt. Unser größter
Aufwuchs findet im Moment im Westen
und dort in den Regionen Rhein-Sieg-
Bonn statt, aber auch München und
Berlin wachsen. In diesen drei Regionen
werden wir auch in den nächsten Jahren
weiter Personal aufbauen.
Die BWI hatte Ende letzten Jahres 2.900
Mitarbeiter. Ende nächsten Jahres wer-
den wir bei rund 5.000 stehen. Auch der
Umsatz wächst entsprechend, von aktu-
ell etwa 750 Millionen auf einen Betrag
zwischen 1,5 und 2 Milliarden Euro in den
kommenden Jahren.
ES&T: Generiert sich dieses Wachstum aus
dem neuen Status als IT-Dienstleistungs-
zentrum des Bundes?
Meister: Diese neue Stellung wird sich eher
auf die kommenden Jahre auswirken. Die
BWI wächst faktisch um 20 bis 25 Prozent
pro Jahr. Das Wachstum der Jahre 2018
und 2019 ergibt sich zum Großteil aus den
Aufträgen der Bundeswehr. Ab 2019 wird
dann das Wachstum aus den Leistungen
für den Bund hinzukommen.
ES&T: Welche technologischen Trends pro-
gnostizieren Sie für die nahe Zukunft?
Meister: Cloud ist das große Thema der
kommenden Jahre. In der Bundeswehr und
den Behörden haben wir eine Fat Client
Struktur. Mit solchen Modellen muss ich
allerdings immer alles vor Ort durchführen
und kann dementsprechend die Systeme
weder schnell anpassen noch die vorhan-
denen Ressourcen effektiv nutzen. Der
heutigen Entwicklungsgeschwindigkeit
kann allerdings im Grunde genommen nur
durch die Cloud-Struktur begegnet wer-
den. Es ist einfach notwendig in einer gro-
ßen IT-Organisation, was die Bundeswehr
nun mal unzweifelhaft ist, gewisse Dinge
mit Remote-Unterstützung durchzuführen.
Hinzu kommt die verstärkte Zusammenar-
beit verschiedenster Bereiche auf einer ge-
meinsamen Plattform. Und natürlich das
Thema IT-Sicherheit.
Eine Cloud ist einfacher zu kontrollieren,
zu warten und zu modernisieren. Viele
Organisationen haben eine Zentrale,– die
kontrolliert werden muss – und zehn bis
40 Standorte – die ebenfalls einzeln kon-
trolliert werden müssen. Mit der Cloud
habe ich nur noch einen Ort, an dem es
die Sicherheit zu überwachen gilt. Natürlich
gibt es auch für Angreifer nur noch ein Ziel,
nicht mehrere, dennoch ist die Gefahr bei
mehreren Standorten mit eventuell unter-
schiedlichen Soft- und Hardwarezuständen
deutlich größer.
Die Diskussion um die Cloud führen wir
dementsprechend auch mit der Bundes-
wehr. Nicht das Ob, sondern das Wie ist
hier das Thema. Es ist durchaus eine He-
rausforderung, eine sichere militärische
Cloud mit allen gewünschten Fähigkeiten
aufzubauen. Aber dies werden wir als BWI
gemeinsam mit der Bundeswehr schaffen.
ES&T: Wenn die Vernetzung aller Systeme
gewünscht ist, müssten dann nicht auch
die Daten neu gedacht und ein neuer Nen-
ner geschaffen werden?
Meister: Ein Greenfield-Approach klingt
zwar gut, den kann sich aber niemand
leisten. Deswegen brauchen wir eine Lö-
sung, die mit den Daten umgehen kann,
die wir heute haben. Nehmen wir SASPF,
in das Millionen investiert wurde. Mit den
dort enthaltenen Daten und Datenklassi-
fizierungen muss man einfach umgehen
können, die müssen genutzt werden wie
sie nun einmal sind. Dieses Prinzip gilt für
viele in der Bundeswehr vorhandene Da-
ten. Alle diese Bereiche neu aufzubauen,
würde zwar die Qualität der Daten erhö-
hen und die Struktur verbessern, aber es
lässt sich praktisch und finanziell einfach
nicht umsetzen.
Zudem ist die Anzahl an Daten, die jeden
Tag neu hinzukommen, einfach zu groß.
Diese Daten kämen schließlich in ihrem al-
ten Format, weshalb das neue System auch
mit Altdaten umgehen können müsste.
Die Klassifizierung und das Nutzbarma-
chen verschiedenster Daten ist sicherlich
eines der ganz großen Zukunftsthemen,
aber einen Greenfield-Approach kann es
nicht geben.
ES&T: Neben Cloud und Datenklassifizie-
rung werden auch Quantencomputing
und Künstliche Intelligenz oft als die Zu-
kunftstechnologien genannt. Teilen Sie
diese Einschätzung?
Meister: Beim Quantencomputing muss
man noch die weitere Entwicklung abwar-
ten, bevor ich mich dazu äußern würde.
Künstliche Intelligenz testen wir allerdings
heute schon, für die BWI und in einzelnen
Pilotprojekten auch für die Bundeswehr.
Unser Schwerpunkt als BWI in Bezug auf
die Künstliche Intelligenz liegt bei der Pro-
zessautomatisierung, vor allem der Fehler-
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik
Das Monitor- und Control-Center (MCC)
in Bonn überwacht alle System-, Netz-
werk- & Infrastrukturkomponenten der
zentralen und dezentralen Server der
Bundeswehr.
erkennung. Es muss nicht unbedingt ein
Mensch auf Fehlersuche gehen, wenn die
Maschine dies – zumindest bei regelba-
sierten Abläufen – schneller und genauer
durchführen kann. Die Künstliche Intel-
ligenz meldet dann dem Menschen, der
Fehler ist dort und ich schlage folgende
Aktion zur Behebung vor. Die Nutzungs-
möglichkeiten reichen also von der Analyse
hin zur Fehlerbehebung.
Ein weiteres Einsatzgebiet der Künstlichen
Intelligenz ist sicherlich der Bereich User
Help Desk, bei dem die Maschine den Men-
schen anleitet, wie er Fehler beheben kann.
Die Bundeswehr hat zudem ein Interesse
an der Analyse – besonders von großen
Datenmengen – mittels Künstlicher Intel-
ligenz. Daneben spielt im militärischen Be-
reich auch die Wartungsvorhersehbarkeit
eine große Rolle. Hier könnte die Künstli-
che Intelligenz einen deutlichen Mehrwert
schaffen, allein schon durch die Erhöhung
des Klarstandes bei gleichzeitiger Reduzie-
rung unnötig bevorrateter Ersatzteile.
Es sind noch viele weitere Einsatzgebiete
denkbar, da die Künstliche Intelligenz in ei-
gentlich allen regelbasierten Umgebungen
den Vorteil von größerer Geschwindigkeit
und Genauigkeit bietet.
Diese Beispiele zeigen aber auch, dass die
BWI sich mit allen Zukunftsthemen befasst
und in ihr Portfolio integriert. Wir agieren
gleichwertig mit der Wirtschaft, genauso
flexibel und anpassungsfähig. Die Befürch-
tungen, die manche im vergangenen Jahr
hatten, als es hieß, die BWI werde eine In-
house, haben sich also überhaupt nicht er-
füllt. Wir setzen auch weiterhin auf Wachs-
tum und Umsatzsteigerung, und den
Mehrwert erhält die Bundeswehr direkt
durch neue Technologien und moderne
Arbeitsmittel. Also eine Win-win-Situation
für alle Beteiligten.
Das Interview führte Dorothee
Frank.
89
  WI RTSCHAF T & I ND US TR I E
„Der persönliche Kontakt zu den
Kunden ist uns sehr wichtig!“
(Fotos: MEN)
ES&T: MEN hat in jüngster Zeit erhebli-
che Investitionen getätigt. Wo lagen die
Schwerpunkte? Welche strategischen In-
tentionen kamen darin zum Ausdruck?
Mayer: Die Investitionen der letzten vier
Jahre erfolgten in allen Bereichen des Un-
ternehmens. Um einige Beispiele zu nen-
nen: Wir haben ein neues Fertigwarenlager
mit vollautomatischem Hochregallager er-
richtet. Neue Lademaschinen mit zukunfts-
weisender Produktionstechnologie sowie
neue Verpackungsanlagen mit integrierter
Messtechnologie wurden angeschafft.
Wir haben eine neue Hülsenlinie im Kaliber
7,62 mm aufgebaut – mit neuester Pres-
sentechnologie in Gestalt einer Servo-ge-
steuerten Hülsenpresse und einem auto-
matisierten Produktionsprozess. Ferner ha-
ben wir im Bereich des Zündhütchen-Ein-
setzens investiert. Unser Ballistisches
Messlabor, sozusagen unser Schießstand,
mit optimierter Ab- und Zuluft-Anlage
erweitert und die Qualitätssicherung mit
State-of-the-Art-Messtechnologie weiter
optimiert.
Die Intention der Investitionen liegt auf der
Hand. Wir haben die Optimierung der Pro-
zessabläufe vorangetrieben, um Produk-
tivitätssteigerungen zu erzielen. Dadurch
bieten wir noch weiter gesteigerte Qualität
durch noch weiter eingeengte Fertigungs-
toleranzen, erhöhen den Kundenservice
und stärken unsere internationale Wett-
bewerbsfähigkeit. Natürlich erfüllen wir
dabei alle Sicherheitsstandards, sowohl im
Hinblick auf Produkt- wie auch auf Arbeits-
90 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
Interview mit Hermann Mayer,
Geschäftsführer MEN – Metallwerk
Elisenhütte GmbH
sicherheit. Nicht zuletzt sind die In-
vestitionen auch ein Signal an die
Mitarbeiter: Wir bieten moderne
und sichere Arbeitsplätze.
ES&T: Seit zehn Jahren gehört
MEN zur CBC Group. Welche Sy-
nergien hat dies ermöglicht? Gibt
es eine „Arbeitsteilung“ zwischen
der Muttergesellschaft und ihren
Töchtern?
Mayer: Ein Schwerpunkt liegt in
gemeinsamen R&D-Projekten, die
zu einer Win-win-Situation der
Gruppenfirmen führen. Neueste
Produktionstechnologien können
mit Erfahrungswerten der einzel-
nen Firmen im Firmenverbund im-
plementiert werden.
ES&T: Welchen Schwerpunkt legt
MEN im Bereich F+T? Werden Kunden
hierbei (indem sie z.B. ihren Bedarf an
neuen Lösungen zu erkennen geben)
eingebunden? Welche Produktneu-
heiten wurden in jüngster Zeit auf
den Markt gebracht?
Mayer: Für die Mitarbeiter der MEN
ist der persönliche Kontakt zu den
Kunden sehr wichtig. Nur wenn wir
wissen, was benötigt wird, können
wir die richtigen Produkte liefern.
Deshalb steht der Ansatz, Kunden-
anforderungen in unserer Entwick-
lungsabteilung voranzutreiben, an
erster Stelle. Optimierungspotenti-
ale zu erkennen und auszuschöp-
fen, gehört zum Alltag.
Darüber hinaus ist die Entwicklung
umweltfreundlicher bzw. die Stei-
gerung der Umweltverträglichkeit
vorhandener Produkte ein weiterer
Schwerpunkt.
Green Ammunition von MEN: Die
neue LFI (Lead-free Indoor) 5,56 mm
x 45 ist eine vollständig bleifreie
und schadstoffarme Trainingsmuni-
tion, die die Rückprallmaterialien
der Schießstände schont.
Aktuelle neue Produkte sind die
5,56 mm x 45 LFI sowie die Viel-
zahl unserer Green Ammo Pro-
dukte, die im neuen MEN-Katalog
gekennzeichnet sind.
ES&T: Was ist das Besondere an
Green Ammunition? Für welche
Kundengruppen bieten Sie diese
an?
Mayer: Wir benutzen den Be-
griff Green Ammunition verant-
wortungsbewusst und haben
eine genaue Definition, wann
ein Produkt dazu gehört. Neben
den schadstoffarmen Zündhüt-
chen enthält die Green Ammuni-
tion auch kein Blei oder andere
Schwermetalle. Sie sind absolut
bleifrei und schadstoffarm. Darüber
hinaus arbeiten wir auch mit nachhal-
tiger Produktionstechnik, die scho-
nend mit den Ressourcen Wasser
und Abwasser umgeht.
Kundengruppen sind neben NA-
TO-Armeen vor allem unsere
deutschen Behörden, die in In-
door-Schießanlagen so nahe wie
möglich an der Realität üben.
ES&T: Der politische Wille, die
Munitionsversorgung der so-
eben aufgestellten Bundeswehr
sicherzustellen, gab vor knapp
60 Jahren den Anstoß zur Grün-
dung Ihres Unternehmens. Heu-
te ist der Kundenkreis erheblich
größer. Wie hoch ist der Export-
anteil? Welche Länder stehen im
Fokus?
Mayer: Der Fokus der MEN ist
klar auf Deutschland und Zent-
raleuropa gerichtet. Neben der
Bundeswehr und den deut-
 WI RTSCHAF T & I ND US TR I E 

schen Behörden sind traditionell unsere

Zielmärkte Frankreich, Holland, jüngst
Schweden und die weiteren europäischen
Armeen. Unser Exportanteil liegt derzeit
bei ca. 50 Prozent.

ES&T: Die Trendwenden Finanzen, Perso-

nal und Material, die auf der Agenda der
Bundeswehr stehen, führen zu einem ver-
stärkten Bedarf an Rüstungsgütern. Ist Ihr
Unternehmen darauf vorbereitet?
Mayer: Die Investitionen der letzten vier
Jahre haben indirekt dazu geführt, dass
wir als MEN solchen Herausforderung, wie
immer sie aussehen werden, gewachsen
sind. Als einer der Hauptlieferanten der
Bundeswehr im Bereich kleinkalibrige Mu-
nition sehen wir dies auch als Teil unserer
Verpflichtung.

ES&T: MEN feierte 2017 sein 60-jähriges

Bestehen. Was ist Ihre Vision: Wo soll MEN
in zehn Jahren stehen?
Mayer: Die MEN soll und wird in zehn Jah-
ren stehen für höchste Qualität, ein gutes
Preis-Leistungsverhältnis und einen hervor-
ragenden Service – als ein erfolgreiches Un-
ternehmen mit attraktiven und modernen
Arbeitsplätzen, das dem Anspruch gerecht
wird, mit die modernste Munitionsfabrik
der Welt zu sein.
Luftaufnahme des Werksgeländes von MEN in Nassau Die Fragen stellte Peter Boßdorf

Neue Broschüre
Schutz deutscher
ACS Armoured Car System
GmbH
D 46892
Gelungene Zusammenarbeit
- optimierter Schutz durch höhere
Bo-
Entwickelt und gebaut wird denfreiheit,
der LAPV - gesteigerte Motorisierung
6.1 als Gemeinschaftsproduk (G280
t der Fir- CDI, 184 PS),
men Daimler, Magna Steyr
und ACS - Schnittstelle zur Montage
Armoured Car Systems GmbH. einer Mul-

Streitkräfte
Bei ACS tifunktionsstation auf dem Dach
Armoured Car Systems GmbH und
im bay- - schutzwestenoptimier te Sitze.
erischen Aichach erfolgen die
Entwick- Mit dem LAPV 6.1 ENOK stellt
lung und Konstruktion aller Schutz- die ACS
und Armoured Car Systems GmbH
Panzerungselemente, sowie zusam-
die End- men mit der Daimler AG der
montage der Fahrzeuge. Bundes-
wehr eine einzigartige Plattform
zur

4/2017
5/2013

Themen: Schutz von

Selbstsch
utz
Luftfahrzeuge

fliegende systeme für

n

Plattform Fahrwerkkompetenz der Weltmarke

• Grundlagen
Daimler AG, des „Mutterhauses“

en
G-Modelle, Magna Steyr und aller
des Panzer-Spezialisten ACS
Ulrich Renn
Die Firma ACS Armoured Car
Sys- Verfügung, die in ihrer Fahrzeugklasse
tems, im Jahr 2003 hervorgegangen
aus einzigartig und konkurrenzlos
Luftfahrzeug einem deutschen Rüstungskonzern, ist. Mit
e sind lohnen ist dem Light Armoured
ein eigenständiges Unternehmen Patrol Vehicle
teure Luftüb de Ziele. der ENOK, der mit ca. 250
erlegenheit Dies gilt GRUMA Gruppe. Einheiten bei
oder Lufthe sowohl in der Bundeswehr in Nutzung
ten, in denen rrschaft erring symmetrisch Am Firmenstandort Aichach
be- ACS Armoured Car Systems
ist, hat die
die wirksa en Konfli
oder Terror me Bedro en wollen kten, in denen schäftigt das Unternehmen knapp 60 neut ihre Fähigkeiten GmbH er-
isten ein hung des , als auch die Ak-
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. im Schutzaufbau Der ENOK
weiteres militärische in asymm erfolgreich demonstrieren können. in schwerem Gelände
etrischen

• Schutz mobiler Landplattformen

Druckmittel n und zivilen KonfliDurch die Kooperation dieser Fir- Der erprobt
Flugverkehrs menk- ENOK hat seine Leistungsfähigkeit

S
für die Durch vereint der LAPV 6.1 das Beste
elbstschutzsyste setzung ihrer Aufständisch al- verschiedenen Auslandsmissionen in
Ziele versch ler Welten.
en Die Fahrwerkkompetenz der be-
Überlebensfähig me erhöhen reits eindrucksvoll unter Beweis
formen gegen keit fliegend die
Rohrwa affen kann. Weltmarke Daimler AG, die Expertise ge-
erPlatt- von ffen werden in stellt.
drohung vom bestimmte Arten der Konflikten allen Arten des „Mutterhauses“ aller G-Modelle,
Boden und Be- wendet in großer ge zu bekämp Magna Steyr, vereint mit dem
aus der Luft. . Sie haben Anzahl ver- Know- Fazit:
Reichweite eine relativ in größere fen, die manövrieren how der Panzer-Spezialisten Im Einsatz erprobt Kontakt:
Die Bedro und geringe n Höhen oder von ACS
hung über Sensore verfügen häufig Geschwindigke und mit größereergibt das bestgepanzerte und
gleich- Die Lösungen der ACS Armoured Car Systems
n und Zielvorr nicht der it fliegen. r
zeitig flexibelste Firma ACS Armoured GmbH
Fliegende die für den ichtungen, Einsatz von Insbeso ndere G-Modell aller Zeiten. Andreas Höche
Einsatz gegen Car Systems sind somit combat
Spektrum
Plattformen gelegt sind. asymmetrische MANPADS ist auch Highlights des LAPV 6.1 ENOK proven! Leitung Vertrieb & Marketing
von Waffen können einem Daher bedroh Luftziele aus- ten, n Konflik in sind: Entsprechende Beschaffungen
setzt sein, systemen gig Luftfah en sie vorran- da diese System ten zu -erwar-optimiertes Fahrwerk durch Portal- dem aus Industriestraße 13
das ausge- rzeuge in Bereich der Bundespolizei

• Schutz von Luftfahrzeugen

feuerwaffen, von Rohrwaffen (Hand- hen (Start
oder Landun
niedrigen
Flughö-
verbreitet
sind,
e inzwischen achsen,
weit anderen polizeilichen Spezialeinheiten
und D-86551 Aichach
Maschinenkan mit relativ g, Tiefflug chen Akteure auch von nichtsta - zulässiges Gesamtgewicht Tel.: +49 (0)8251-8926-22
onen etc.) geringer ) und können n leicht erworb atli- 6.2t, verdeutlichen, dass auch im
(z.B. Hubsch Geschwindigke und keine en - Zuladung:
werden > 1t, behördli- Mob.: +49 (0)151-18 2526 22
rauber). it dung aufwändige - besseres Fahrverhalten chen Bereich das Leistungsvermögen
der Bediene Ausbil- bei Gelände- des ENOK Fax: +49 (0)8251-8926-40
logistische r oder fahrten, überzeugt hat und dieser
Unterstützung umfangreiche als sinnvolle Ergänzung
E-Mail:
Integrierte erfordern. - größeres Ladevolumen im Innenraum, des bestehen- andreas.hoeche@acs-armcar.com
teme verfüge Flugabwehrraketensys- den Fuhrparks in speziellen Einsatzsze-
r)
(Foto: Bundesweh

- geschützter Stauraum im Heckbereich, www.acs-armoured-cars.com

weite sowie n über eine große narien gewertet wird.
komplexe, Reich-
elektrooptische auf Radar
n Sensore und
Luftlage-,
Zielerfa ssungs-n basierende
tions- und
Lenksysteme, , Identifika- 27

• Schutz von Über- und

ermöglichen, die es ihnen
Luftfahrzeugen ein großes
Spektrum
über große von
gen nahezu
ohne Rücksic Entfernun-
Flughöhe,
Geschwindigke ht auf deren
vrierfähigkeit it oder Manö- Grundlagen
plexität dieser zu bekämpfen. Die
Systeme Kom-
sehr hohe
Anforderungenstellt allerdings

Schutz deutscher Streitkräfte

dung der an die Ausbil-

Unterwassereinheiten
Bediener
temlogistik, und die Waffen aus der Luft berücksich-
weshalb ihr sys- gegneri- Land, See und wachsen zusätz-
vor e
halb symme Einsatz außer- eigener Kräfte Auf- tigen.
In Küstennäh ei-
trischer Konflikt auch der Schutz im Rahmen der erungen, die von
technisch
hoch entwick zwischen ,aber
militärischeorganisierte schen Angriffen t der An- lich
die Herausford dem Ein-
nicht sehr gegen elten ausgerichtet sein. im Mittelpunk edrohung oder
wahrsch einlichche
Staaten
Kräfte tragserfüllung in der ner Seeminenb chen Kräften aus-
Auch Kampff asymmetris ist. t der Anforderungen, Angriffe werden satz von asymmetris müssen sich bei
Die Komplexitä
lugzeug strengungen.
Man Portab finanziellen, e setzen einen n Bedrohungsfor- auf große Reichwei- Eigene Einheiten
le technisc
die alle henbestehende ein Einzel-
Regel koordiniert ten Wirk- gehen. gegnerischen
Angriffen
Stinger sind Air Defence System torischen und organisigt, würde hoch performan konzentrier ten
heute weit s (MANPADS)
Aufwanmen berücksicht
d voraus, a- in te und mit Grunde sind
verbreitet. wie die hier
Regel nur
von technisc überforder der inn der und die Kosten erfolgen. Im
lich hoch systemh Daher systemen
abgebildete entwickelten undche aft- treiben. , die

Technologien und Fähigkeiten

über leichte wirtsch
Höhen
Flugabwehrlenk teuren geleiste astronomis (staatlichen)
(vor allem flugkörp ergänzende Ak- Fähigkeiten sind,
MANPA
Defence Systems DS, Man Portabl er Leichte Flugabw Selbstschutz t werden sind sich kann. Für ausgelegt
e Air verfüge fliegend
idealerweis e modular
den
) bis hin zu ehrlenkflugkör stellen er Plattfor . Passi-
integrierten
Flugabwehrrakekomplexen und n über eine per rung sie eine besond men notwendig
Projekte

• Körperschutz
für künftige
ere Herausf (z.B. Beschuss-
men oder
Kampflugzeug tensyste- über (vorran höhere Reichweite dar. Das angreife ehrungen
orde-
Zielerfassungs- gig elektro-optisch zeug und ve Schutzvork
nde Kampff Bauaus-
en reicht.
und Lenksys e) bewege die zu schütze schutz, schockabso lug- rbierende
74 ermöglicht teme. n sich in dem nde Plattfor die Überlebensfähig-
es ihnen,
auch Luftfah Dies und verfüge gleichensichern
legung) m
Medium ung und sind
auch
rzeu- tische n damit keit nach Trefferwirk
Möglichkeiten über ähnliche tak- .
Hinsichvorzusehen
inkünftig wird
t auf die
Der Schutz eigener Netzwerke die
für
e Wichtigkeit
eine zunehmend maritimer Kräfte
Überlebensfähigkeit
Darüber hinaus sind Vorkeh-
bedeuten. eige-
um den Schutz
rungen zu treffen, nem
auch bei vollkomme n in

• Schutz von Infrastruktur

ner Einheiten rchitekture t Boomeranger
mit Speedboo
Ausfall von Netzwerka tzkompanie Hafen
tionalitäten aufrecht- Kräfte der Bordeinsa
ihren Grundfunk Ausfall von Sa-
können (z.B
erhalten zu und Waffenein-
telliten oder Führungs-
satzsystemen).
für
Operationsräume
maritime Kräfte
vergan-
Marine in den
Die Einsätze der g auf
fanden durchgängi
genen Jahren Afrika), in
(z.B. Horn von
der Hohen See ässer des
(z.B. Küstengew
Küstengebieten
unmittelbarer Landnähe
Libanons) und in Rückbli-
Inselwelt) statt.
(z.B. griechische
Operationen weni-
ckend waren diese von
Gefechten denn
ger von intensiven und Begleitauf-
Schutz-
Überwachungs-, n in den Hafen
Die hierfür notwendige beim Einlaufen

100 Seiten
gaben geprägt. „Sachsen“ F 219
stellten den Bedarf Atalanta, Fregatte
Schutzvorkehrungen Besat- Einsatz
m Schutz für die von Djibouti li-
nach individuelle Vielzahl von unterschiedns-
Vordergrund. - gegen eine
zungen in den ung auf die Lan- chen Innovations en aus verschiede
Mit der Rückbesinn die technologis chen Bedrohung Auf-
teidigung und
den hierfür gleichzeitig der erwehren können.
der Bedrohung ten Bereichen müs-
des- und Bündnisver n Anpassungen schritte gen an künfti- Vorwarnzeiten
die Anforderun grund reduzierter nah-
inzwischen eingeleitete Fä- Treiber für ehrungen. Einherge- den Gegenmaß
n des künftigen aktive Schutzvork sen die einzuleiten zeitlichen Abstän-
an die Forderunge , sind die ge ehrungen (z.B.

€ 14,80
der Streitkräfte passive Schutzvork men in sehr engen
higkeitsprofils maritime Kräfte hende von Signaturen) werden ei-
erfolgen. Die Sättigung der aktiven
für g den bei koordi-
Schutzforderungen e der Zukunft
Reduzierun Lagebilderstellung ehrungen wird
auf mögliche Einsatzräum Gegner zwar die , letzt- Schutzvork en Angriffen schnell
die ent- nem Bekämpfung erschweren direk- nierten gegnerisch griffe zur Steue-
projizieren. Parallel dazu sind für bzw. eine und
zu
Schutzvorkehrungen lich aber keinen
dauerhaften erreicht. Bedienerein
sprechenden auszulegen. Gefecht gewährleis- diese Prozesse
zusätzlich
ten Schutz in einem rung würden
hochintensive Gefechte
Hohen See werden verlangsamen.

(zzgl. Versandkosten)
Einheiten auf der or- ten können. die in Küstennä- nahmen in Küs-
maßgeblich gegen Maritime Kräfte, ch al- Eigene Schutzmaß
daher automati-
sich auch künftig Gegner erweh- müssen grundsätzli von tengebieten müssen
ganisierte, militärische he operieren,
n Bedrohungsformen
stehen Fähigkeiten
ren müssen. Dabei und le militärische 35
ionalen Seekrieg
für den dreidimens

MITTLER REPORT VERLAG GMBH Baunscheidtstraße 11 · D-53113 Bonn

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Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 91

Unternehmen & Personen
Großauftrag für Lürssen-Werft (Reedereien, Schiffbauunternehmen und der Qualifizierung im Juli 2017 ausgeliefert.
Die Bremer Fr. Lürs- Zulieferindustrien) aus 68 Ländern wurden MBDA liefert die Rakete mit Infrarotsuch-

(Foto: Australian Government)

sen Werft hat einen für ein Zukunftsbild der Branche befragt. kopf und Tandemhohlladung bzw. Split-
Milliardenauftrag Einvernehmlich wurde vermerkt, dass die tergefechtskopf und das Startrohr. Safran
zum Bau von zwölf Talsohle durchlaufen sei, dass wieder an steuert zum System das Sichtsystem Paseo
Patrouillenbooten Investitionen gedacht werde und dass ein bei, das mit Wärmebildgerät, Tages- und
bzw. Offshore Pat- Wachstum zu erwarten sei. Der Markt für Nachtsichtkamera sowie Laserentfer-
rol Vessel (OPV) für das größte Wachstum werde in Deutsch- nungsmesser für Aufklärung und Feuerlei-
die australische Ma- land, USA und China gesehen. Konkret tung eingesetzt wird. Das in zwei Achsen
rine erhalten. Der werde der emissionsarme Schiffsantrieb mit stabilisierte Gerät ist für die Integration in
Bau soll Mitte 2018 LNG (Flüssigerdgas) weltweit zügig voran- Fahrzeuge vorgesehen.  (gwh)
zunächst in Adelai- kommen, die Fernüberwachung von Schif-
de/Australien beginnen. Das teilte Premier- fen werde kommen und in 20 Jahren werde Cyber-Abwehr im Herzen von
minister Malcolm Turnbull (Foto) in Sydney es eine autonome Schifffahrt geben. Die München
mit. Der Auftrag hat einen Wert von ca. Studienerkenntnisse sollen in den Themen- Zum 1. Januar

(Foto: ESG)
2,6 Mrd. Euro. Lürssen ist Generalunter- plan der SSM 2018 in Hamburg behandelt 2018 bezog der
nehmer und für Konstruktion, Bauleitung werden. 2.200 Aussteller und ca. 50.000 Geschäftsbereich
und Steuerung des Gesamtfertigungspro- Besucher sind bereits angemeldet.  (ds) Cyber IT der ESG
zesses verantwortlich. Das erste OPV soll Elektroniksystem-
2021 ausgeliefert werden. Die OPV wer- Neues Maritimes Forschungspro- und Logistik-Gm-
den auf „australischen Werften mit austra- gramm bH seinen neuen
lischen Arbeitern und australischem Stahl“ Das Bundesminis- Standort im Münch-

(Foto: Bundestag)
hergestellt, sagte Turnbull. Durch das Pro- terium für Wirt-
jekt sollen in Adelaide und Perth ca. 1.000 schaft und Energie
neue Arbeitsplätze entstehen. Zudem hat hat für 2018 das
die Blohm + Voss Werft (Lürssen-Gruppe) neue „Maritime
einen Auftrag zum Bau einer über 100 m F o r s c hu n g s p r o -
langen Megayacht im Wert von ca. 200 gramm“ sowie die
Mio. Euro erhalten. Dieser Auftrag sichert Förderlinie „Echt-
über 300 Arbeitsplätze bei Blohm + Voss in zeittechnologien
den kommenden fünf Jahren. (ds) für die maritime Si-
cherheit“ angekün-
Boeing eröffnet deutsches digt. Die Programme starten am 1. Januar.
Forschungszentrum Ziel ist es, innovative Technologielösungen
Das US-Unternehmen Boeing hat Ende No- für zentrale Zukunftsaufgaben der ma-
vember in Neu-Isenburg bei Frankfurt ei- ritimen Branche zu unterstützen. Für das
ne neue Software-Forschungseinrichtung Förderprogramm, das sich an maritime
„Digital Aviation & Analytics Lab“ eröffnet. Unternehmen sowie Forschungs- und Ent-
In dem Lab werden rund 60 Experten tätig wicklungseinrichtungen richtet, stehen in
sein, die pro Jahr zwölf Forschungsprojekte der Haushaltsplanung ca. 32 Mio. Euro zur
bearbeiten. Bei der Eröffnung wurde aus- Verfügung. Der Maritime Koordinator der
drücklich auf die Offenheit des neuen Zent- Bundesregierung, Uwe Beckmeyer, beton-
rums gegenüber Partnern aus der Industrie te, das neue Forschungsprogramm leiste ei-
und dem Hochschulbereich hingewiesen. nen wichtigen Beitrag zur Wertschöpfung
Dabei wurde drauf hingewiesen, dass Bo- und zur Sicherung in der maritimen Wirt-
eing im vergangenen Jahr Waren und Leis- schaft. Einen wesentlichen Beitrag könnten
tungen von deutschen Unternehmen im auch intelligente robotische Systeme sowie
Wert von fast 1,2 Mrd. Euro bezogen hat. autonome Technologien in der Schifffahrt
Die Schwerpunkte der neuen Einrichtung leisten. Das neue Programm löst das 2017
liegen bei der Analytik (Datenverknüp- ausgelaufene maritime Forschungspro-
fung), bei Drohnen (Zulassung), Reduced gramm „Maritime Technologien der nächs-
Crew Operations (Cockpit mit reduzierter ten Zukunft“ ab.  (ds)
Besatzung) und „Smarte“ Flugkabine. (pp)
Zusammenarbeit MBDA –
Maritime Wirtschaft mit Wachs- Safran
tumschancen MBDA und Safran Electronics & Defense
Die Hamburg Messe und Congress GmbH bieten gemeinsam das tragbare Mehr-
hat in einer umfassenden Studie „Maritime zweck-Lenkflugkörpersystem MMP (Mis-
Industry Report“ Aussteller und Besucher sile Moyenne Portée) im australischen
der Weltmesse der maritimen Wirtschaft Beschaffungsprogramm Land 400 an.
(SMM) nach ihrer Einschätzung der wirt- MMP wurde von Frankreich für seine In-
schaftlichen und technologischen Ent- fanterie- und Kampfaufklärungsfahrzeuge
wicklung befragt. Über 2.500 Experten (Scorpion-Programm) bestellt und wird seit
ner Stadtzentrum.
Damit bekommt
München kompe-
tente Verstärkung,
um die dringlichs-
ten Themen der di-
gitalen Gesellschaft
zu adressieren:
Maximierung von Chancen durch innova-
tive Datenanalysen sowie Minimierung von
IT-Security-Risiken insbesondere eingebette-
ter Systeme über die gesamte Wertschöp-
fungskette eines Unternehmens. Hierbei
wird das Zusammenspiel aus Technologien,
Prozessen und Mitarbeitern ganzheitlich
betrachtet. Eine besondere Rolle spielt da-
bei Deutschlands erstes Cyber Simulation &
Training Center: Seit dem 1. Juli 2017 in Fürs-
tenfeldbruck in Betrieb und bereits von Kun-
den in den Branchen Automotive, Energie,
Finanzen, Chemie, Behörden, Maschinen-
bau und Defence erfolgreich genutzt, zieht
es ebenfalls in die neuen Räumlichkeiten in
München. (wb)
Jenoptik bleibt auf Erfolgskurs
In den ersten neun Monaten des Jahres
konnte Jenoptik den Umsatz um sieben
Prozent auf 527 Mio. Euro steigern. Dabei
wuchs der Erlös deutlich um 15,9 Prozent
auf 52 Mio. Euro. Träger der Entwicklung
ist das überproportionale Wachstum im
Segment Optics & Life Science. Das Seg-
ment Mobility steigerte den Umsatz leicht,
während der Erlös abnahm. Bei Defense
& Civil Systems sanken Umsatz und Erlös
erwartungsgemäß nach Abrechnung meh-
rerer Großprojekte im Vorjahr. Auf dieser
Basis erwartet Jenoptik für 2017 einen Um-
satz bei 740 Mio. Euro und eine EBIT-Mar-
ge bei zehn Prozent.  (gwh)

92 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018

Nancy DiCarlo leitet strategische
Geschäftsentwicklung von MBDA
MBDA hat Nancy DiCarlo mit der Leitung
der strategischen
(Foto: MBDA)
Geschäftsentwick-
lung beauftragt
und zur Vizeprä-
sidentin ernannt.
DiCarlo war bis-
her Direktorin
für internationale
Angelegenheiten
bei der US Missile
Defense Agen-
cy (MDA) und hat u.a. mit führenden
US-amerikanischen und internationalen
Verteidigungsunternehmen zusammen-
gearbeitet. Zuvor war sie u.a. Vorsitzende
des NATO Ballistic Missile Defense Com-
mittee und der NATO Missile Defense
Project Group, die 28 NATO-Nationen bei
der Überwachung und Verwaltung des
NATO Ballistic Missile Defense Program
koordinierte. (gwh)
Zivile Betreiber für HIL-Werke
Die HIL Heeresinstandsetzungslogistik Gm-
bH und das BAAINBw haben die Instand-
setzungsleistungen, die in den HIL-Werken
Darmstadt, Doberlug-Kirchhain und St.
Wendel erbracht werden, zur Vergabe an
zivile Betreiber ausgeschrieben. Dazu wer-
den die drei Werke zunächst in je eine zu
gründende GmbH (NewCo) eingebracht.
In mehreren Verträgen zwischen den
NewCos und den Betreibern werden die zu
erbringenden Instandhaltungsleistungen,
die Überlassung von Liegenschaften und
Personal sowie der Verkauf der Geschäfts-
anteile geregelt. Als Vertragsdauer ist ein
Zeitraum von 20 Jahren vorgesehen. Die
Vergabe kann für einzelne oder mehrere
Werke erfolgen. In der Auftragsbekanntma-
chung vom 18. November 2017 ist der Ge-
samtumfang des Auftrags mit 1,675 Mrd.
Euro beziffert. Der Schlusstermin für Abga-
be der Angebote/Teilnahmeanträge ist auf
den 28. Februar 2018 festgesetzt.  (gwh)
Franz-Josef Paefgen Vorsitzenden
des ZF-Aufsichtsrates
Dr.-Ing. Franz-Jo-
(Foto: VW)
sef Paefgen ist auf
einer außerordent-
lichen Sitzung des
Aufsichtsrats zum
neuen Vorsitzen-
den des ZF-Auf-
sichtsrats gewählt
worden. Er folgt
auf Prof. Dr. Gior-
gio Behr, der die-
ses Amt seit 2008
ausgeübt und kürzlich niedergelegt hat. Schwachstellen-Management-
Zu seinen ersten Aufgaben gehört die Programm für Bundesbehörden
Regelung der Nachfolge des Vorstands- Greenbone, Lösungsanbieter zur Schwach-
vorsitzenden Dr. Stefan Sommer, der am stellen-Analyse von IT-Netzwerken, hat mit
7. Dezember sein Amt niedergelegt hat. dem BSI einen Rahmenvertrag geschlossen.
Interims-CEO ist Finanzvorstand Dr. Kon- Dieser sieht vor, dass die deutsche Bundes-
stantin Sauer. Paefgen ist seit 2008 Mit- verwaltung schnell und einfach die Lösungen
glied des ZF-Aufsichtsrats. Er war vorher und Services des IT-Sicherheitsanbieters abru-
in leitenden Funktionen bei der Audi AG fen kann. Von den vereinbarten Konditionen
(sieben Jahre als Vorstandsvorsitzender), profitieren die gesamte Bundesverwaltung
bei Bentley und bei der Volkswagen AG und weitere staatliche Institutionen wie Ge-
(u.a. Forschung und Motorsport) sowie richte, Verfassungsorgane und Zuwendungs-
2007 bis 2011 Präsident der Bugatti Auto- empfänger des Bundes, Fraktionen des Bun-
mobiles. (gwh) destages, Forschungseinrichtungen sowie
alle Unternehmen mit mehr als 50 Prozent
Aircraft Philipp liefert für Bundesanteil.  (gwh)
CH-47 Chinook
Boeing hat die Aircraft Philipp Gruppe Generationswechsel bei Airbus
mit der Lieferung von Bauteilen für den Das Board of Directors – das
(Foto: Airbus)
Schwerlasthubschrauber CH-47 Chinook oberste Führungsgremium von
beauftragt. Aircraft Philipp wird damit Teil Airbus – hat Perspektiven für
des etablierten Boeing-Zuliefernetzwerks die Neubesetzung der Kon-
von fast 100 Unternehmen in Deutsch- zernspitze veröffentlicht. In der
land. Aircraft Philipp fertigt seit über 50 Sitzung hatte CEO Tom Enders
Jahren einbaufertige metallische Bauteile bekanntgegeben, dass er keine
und Baugruppen für die Luft- und Raum- Verlängerung seines Mandats
fahrtindustrie und ist spezialisiert in der anstrebt, das im April 2019 en-
Zerspanung und Blechumformung von det. Fabrice Brégier, COO von
Aluminium, Titan und anderen Luftfahrt- Airbus und President Airbus
legierungen. Boeing hat bisher über 900 Commercial Aircraft, teilte mit, dass er sich
Hubschrauber CH-47 Chinook ausgelie- nicht um die Position des CEO im Jahr 2019
fert. Acht NATO-Staaten und zwölf weitere bewerben und daher im Februar 2018 sein
Länder weltweit verwenden den Schwer- Amt niederlegen wird. Guillaume Faury (im
lasthubschrauber in ihren Streitkräften. Bild), gegenwärtig CEO von Airbus Helicop-
Deutschland will in den nächsten Jahren ters, wird die Nachfolge von Fabrice Brégier
einen Schwerlasthubschrauber beschaffen. als President Airbus Commercial Aircraft an-
Für dieses Programm ist die CH-47 ein As- treten. Das Board of Directors unter Führung
pirant.(gwh) von Denis Ranque steht jetzt vor der Aufga-
Rüstungsumsätze stiegen 2016 auf 320 Milliarden Euro
Das schwedische Internationale Friedensforschungsinstitut SIPRI hat die Umsätze der TOP
100 Rüstungsunternehmen veröffentlicht. Demnach sind die Umsätze mit Waffenverkäu-
fen und militärischen Dienstleistungen um 1,9 Prozent auf 320 Mrd. Euro angestiegen.
Dies sei das erste Jahr des Wachstums mit Rüstungsgütern nach fünf aufeinanderfol-
genden Jahren des Rückgangs, so SIPRI. US-Unternehmen stehen für 57,9 Prozent aller
Umsätze weltweit. Der weltgrößte Rüstungskonzern, Lockheed Martin, konnte seinen
Umsatz durch die Übernahme des Hubschrauberherstellers Sikorsky (2015) und höhere
Auslieferungszahlen des Kampfflugzeugs F-35 um 10,7 Prozent auf 34,8 Mrd. Euro
steigern. Mit diesem Treiber stieg der Umsatz der US-Rüstungsunternehmen um vier Pro-
zent auf 185 Mrd. Euro. Die Umsätze europäischer Rüstungsunternehmen blieben – bei
uneinheitlicher Tendenz – konstant unter 80 Mrd. Euro. Größtes Rüstungsunternehmen
bleibt BAE Systems mit einem etwa gleich gebliebenen Umsatz von knapp 20 Mrd. Euro.
Bei Rüstungslieferungen aus Deutschland stiegen die Umsätze um 6,6 Prozent, getragen
von Umsatzsteigerungen von Rheinmetall (+13,3 Prozent, 2,8 Mrd. Euro, Platz 26) und
Krauss Maffei-Wegmann (+12,8 Prozent, 0,8 Mrd. Euro, Platz 78). Als dritter Konzern
aus Deutschland ist ThyssenKrupp aufgeführt, der mit leichtem Rückgang 1,5 Mrd. Euro
umsetzte und auf Platz 47 der TOP 100 rangiert. Der Gesamtumsatz aus Deutschland
kann mit sechs Milliarden Euro abgeschätzt werden, das ist weniger als zwei Prozent
des Weltumsatzes an Rüstungsgütern. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt ist der
Anteil unter 0,2 Prozent, also kaum messbar. Die Bedeutung nationaler Produktion von
Rüstungsgütern liegt weniger in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung als vielmehr im
Erhalt von Kernfähigkeiten zur Stützung der nationalen Souveränität.  (gwh)
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 93
Unternehmen
Impressum & Personen
Europäische Sicherheit & Technik
Europäische Sicherheit · Strategie & Technik
67. Jahrgang · ISSN 2193-746X
be, die Spitzen im Konzern und bei Airbus
Herausgeber Helicopters neu zu besetzen. Dabei werden
Mittler Report Verlag GmbH, Baunscheidtstraße 11, D-53113 Bonn
Tel. (0228) 3500870, Fax (0228) 3500871, info@mittler-report.de die am Konzern beteiligten Nationen – allen
www.mittler-report.de, Amtsgericht Bonn HRB 18658 voran Deutschland und Frankreich – auf eine
Geschäftsführer: Dr. Peter Boßdorf, Peter Tamm und Thomas Bantle ausgewogene Personalauswahl achten, um
Prokurist: Jürgen Hensel
Ein Unternehmen der Gruppe Tamm Media über den Proporz ihren Einfluss auf den Kon-
zern zu wahren. (gwh)
Die Herausgabe erfolgt in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr/dem Bundesministerium der Verteidigung in aus-
schließlicher inhaltlicher und presserechtlicher Verantwortung des Mittler Report Verlages. Europäische Sicherheit
& Technik ist aus der Zusammenführung der Zeitschriften Strategie & Technik und Europäische Sicherheit Olli Ruutu wird stellvertretender
entstanden. Strategie & Technik ist ein Werktitel des Lizenzgebers Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Generaldirektor EDA
das Bundesministerium der Verteidigung.
Olli Ruutu wird im März

(Foto: EDA)
Europäische Sicherheit & Technik ist offizielles Organ der Interessengemeinschaft Deutsche Luftwaffe e.V. 2018 stellvertretender
(IDLw), der Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V. (GSP) sowie der Clausewitz-Gesellschaft e.V. und Generaldirektor der
erscheint in Zusammenarbeit mit dem Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland e.V.
Europäischen Verteidi-
Redaktion gungsagentur. Er folgt
Chefredakteur: Rolf Clement (rc; V.i.S.d.P.); Stellv. Chefredakteur: Dr. Peter Boßdorf (pb); Rini Goos nach, der die-
CvD: Wilhelm Bocklet, Oberstleutnant a.D. (wb); Fachredakteure: Dorothee Frank (df; BOS, IT, Cyber Security);
Knut Görsdorf, Stabshauptmann a.D. (kg); Dipl.-Ing. Peter Grundmann EDir BAAINBw a.D. (pg; Maritimes); ses Amt seit 2013 inne-
Dipl.-Ing. Gerhard Heiming, Oberstleutnant a.D. (gwh; Industrie); Dipl.-Ing. Michael Horst, Oberst a.D. hatte. Ruutu ist derzeit
(mh; Landstreitkräfte); Ulrich Renn, Oberst a.D. (ure; Luftstreitkräfte)
u.a. stellvertretender
Weitere ständige Mitarbeiter: nationaler Rüstungsdi-
Thomas Bauer, M.A. (tb); Hans-Günter Behrendt, Oberstleutnant a.D. (hgb); Dipl.-Ing. Rolf Hilmes, Wissenschaftlicher rektor im finnischen Verteidigungsministe-
Direktor (hi); Dietmar Klos, Oberst a.D. (dkl, Sonderkorrespondent Landstreitkräfte); Dipl.-Ing. Georg Meyer, Oberst a.D.
(gm); Peter Preylowski, Oberst a.D. (pp); Ulrich Rapreger, Oberst a.D. (ur; Korrespondent Luftwaffe); Dipl.-Ing. Lothar Schulz, rium sowie Leiter des Defence Administ-
Oberst a.D. (ls); Dieter Stockfisch, Kapitän zur See a.D. (ds; Korrespondent Marine/Küste) ration Commercial Board und der Export
Korrespondent für USA: Sidney E. Dean, Korrespondent in Berlin: Dr. Wolfgang Labuhn (wl),
Control Advisory Group. Er war von 2009
Korrespondent für Tel Aviv: Tamir Eshel (te) bis 2014 bei der EDA im Referat Strategie
und Politik tätig. 2016/2017 nahm er als
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Baunscheidtstraße 11, D-53113 Bonn, Tel. (0228) 3500870, Fax (0228) 3500871 Vertreter seiner Regierung an der Langzei-
info@esut.de, www.esut.de tüberprüfung der Agentur teil.  (gwh)
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Marketing Manager & Business Development Ende Januar 2018 wird

(Foto: Airbus)
Waldemar Geiger (wg), Tel. (0228) 3500887, waldemar.geiger@mittler-report.de Eric Schulz Executive Vice
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bei Airbus. Er folgt John
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(Foto: NATO)

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jeweils um 1 Jahr, falls nicht 8 Wochen vor Ablauf des Bezugszeitraumes gekündigt wird. Preisänderungen vorbehalten. Bei Nichtbe- 21. Jahrhunderts voranzubringen.  (wb)
lieferung ohneVerschulden desVerlages oder infolge von Störungen desArbeitsfriedens bestehen keineAnsprüche gegen denVerlag.
Fotos Titel: Bundeswehr, KCTV, Bundeswehr/Jana Neumann, Bundeswehr/Sascha Wunderlich
Bücher
100 Jahre Panzer
Alexander Lüdeke: Panzer weltweit.
Motorbuch-Verlag, Stuttgart 2017; 223
Seiten, 14,95 €; ISBN: 978-3-613-03973-5.
Der Band gibt einen
Überblick über ca.
150 ausgewählte
Panzerfahrzeuge aus
knapp 20 Nationen.
Der betrachtete Zeit-
raum reicht von den
Anfängen des Pan-
zers im Jahr 1915 bis
zur Gegenwart. Zu
jedem der Typen hat
der Autor in knapper Form die Entwicklungsge-
schichte, wichtige technische Merkmale, Produk-
tionsumfänge sowie Einsätze beschrieben. Ergänzt
wird die Beschreibung durch eine Reihe von an-
sprechenden Bildern. Hierbei stammen allerdings
viele Aufnahmen von hinlänglich bekannten Mu-
seumsfahrzeugen. Mit dem Band hat der Autor
ein informatives Bilderbuch geschaffen, welches
dem Leser in relativ kompakter Form eine Über-
sicht über den Verlauf der Panzerentwicklung der
letzten 100 Jahre bietet. Der Autor ist allerdings
weder gelernter „Panzermann“ und auch kein
Panzertechniker mit ingenieurwissenschaftlichem
Hintergrund, sondern Historiker, der sich das
Wissen in einer großen Fleißarbeit autodidaktisch
angeeignet hat. In wenigen Einzelfällen unterlau-
fen ihm dabei Fehler, wenn er etwas tiefer in die
technische Materie einzudringen versucht. Dieser
Vor 55 Jahren: Unterzeichnung des Deutsch-Französischen
Freundschaftsvertrages
Als die Gründung einer europäischen politi-
schen Union im April 1962 endgültig zu schei-
tern drohte, verstärkten sich die Bemühungen
um eine engere deutsch-französische Zusam-
menarbeit. Staatspräsident de Gaulle fragte
Bundeskanzler Adenauer bei dessen erstem
offiziellen Staatsbesuch in Frankreich, ob er
zu einer bilateralen Zusammenarbeit bereit
sei. Adenauer antwortete mit einem uneinge-
schränkten „Ja“. Den letzten Anstoß zu einer
intensiveren deutsch-französischen Koopera-
tion gab de Gaulles Staatsbesuch in Deutsch-
land vom 3. bis 9. September 1962.Immer
wieder betonte de Gaulle in seinen Reden vor
dem begeisterten deutschen Publikum die
Versöhnung zwischen Deutschland und Fran-
kreich und die Notwendigkeit einer engen
Zusammenarbeit im europäischen Rahmen.
Am 22. Januar 1963 unterzeichneten Charles
de Gaulle und Konrad Adenauer in Paris den
Vertrag über die deutsch-französische Zusam-
Sachverhalt schmälert jedoch nicht den Wert des
großformatigen Buches, welches dem interessier-
ten Leser eine breitbandige Information und gutes
Bildmaterial für einen erstaunlich günstigen Preis
bietet.  (hi)
Kommunistische Herr-
schaftspraxis
Sheila Fitzpatrick: Stalins Mannschaft;
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn
2017; 315 Seiten, 39,90 €, ISBN: 978-3-
506-78432-2
Stalin war kein Al-
leinherrscher, son-
dern die zentrale,
weitgehend unum-
strittene Figur eines
Führungskollektivs,
das in den 1920er
Jahren Gestalt an-
nahm und auch über
die Jahre des Terrors
und der Schaupro-
zesse eine erstaunliche Kontinuität bewahrte. In
dieser „Mannschaft“, die Autorin hält auch den
alternativen Begriff „Bande“ für legitim, scharte
der Diktator ihm ergebene, überwiegend jüngere
Funktionäre um sich, deren zumeist proletarische
Herkunft ihren Zusammenhalt stärkte, als es im
Ringen um die Macht nach Lenins Tod galt, in-
tellektuell geprägte Gegeneliten – Trotzkisten,
„Linksabweichler“ und „Rechtsabweichler“
menarbeit. Dieser Freundschaftsvertrag, der
ursprünglich nur die Form einer Vereinbarung
haben sollte, setzte sich zum Ziel, das Ende
der „Erbfeindschaft" zwischen Deutschland
und Frankreich zu besiegeln. Die beiden Re-
gierungen verpflichten sich dazu, vor jeder
Entscheidung in allen wichtigen Fragen der
Außenpolitik und in erster Linie in den Fragen
von gemeinsamem Interesse, den Partner zu
konsultieren. Im Bereich der Verteidigungs-
politik sollten etwa der Personalaustausch
zwischen den Streitkräften verstärkt und die
Rüstungszusammenarbeit enger gestaltet
werden. Die Bedeutung des Vertrages für die
deutsch-französische Aussöhnung, die Ade-
nauer auch als ein Hauptziel seiner Außenpo-
litik bezeichnet hatte, ist unumstritten. Seine
Unterzeichnung im Januar 1963 hat sich im
Laufe der nicht immer ungetrübten „deutsch-
französischen Ehe“ als Stützpfeiler der Euro-
päischen Einigung erwiesen.  (gm)
Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik
– auszuschalten. Trotz seiner Abhängigkeit von
Stalin exekutierte dieser mit dem Politbüro nur
teilidentische informelle Kreis nicht bloß dessen
Entscheidungen, sondern wirkte an diesen mit. Er
überdauerte den Tod des Diktators nur um wenige
Jahre, mit dem Machtantritt des aus ihm hervor-
gegangenen Nikita Chruschtschow und der „Ent-
stalinisierung“ löste er sich auf. Die Autorin, die
einen großen Aktenbestand (leider nicht auch je-
nen der Geheimpolizei) sichten und auf zahlreiche
(teilweise länger zurückliegende) Interviews mit
Zeitzeugen zurückgreifen konnte, kommt den
handelnden Personen in ihrer Darstellung beäng-
stigend nahe, so nahe, dass die eingenommene
Täterperspektive mit all den Trivialitäten persön-
licher Beziehungsgeflechte beinahe die Grausam-
keiten, die dieser Gruppe zuzuschreiben sind, in
den Hintergrund treten lässt.  (pb)
Seestreitkräfte global
Conrad Waters: Seaforth World Naval
Review 2018; Seaforth Publishing, Bar-
nsley, Vereinigtes Königreich 2017, 192
Seiten, 35,- £; ISBN 978-1-5267-2009-2
Als das einzige Jahr-
buch zur Entwicklung
der Seestreitkräfte
weltweit hat Conrad
Waters‘ Seaforth
World Naval Review
seinen festen Platz als
anerkannte und maß-
gebliche Informati-
onsquelle zum mariti-
men Geschehen. Das
Werk kombiniert regionale Übersichten mit Fach-
beiträgen zu neu in Dienst gestellten Einheiten und
vergisst dabei auch nicht das große Ganze dessen,
was für Marinen sonst noch relevant ist: Luftfahr-
zeuge, Bewaffnung, Sensorik u.v.m.
Neben einer einführenden Übersicht unterteilt sich
die vorliegende Ausgabe 2018 in die inhaltlichen
Segmente „Flotten der Welt“, „Marineschiffe“
und „Technologie“.
Die Beiträge befassen sich u.a. mit der Marine
der Republik Korea und ihrer Reaktion auf die
Aggressionen des nördlichen Nachbarn. Die alle
zwei Jahre veröffentlichte Analyse der britischen
Royal Navy betrachtet die Entwicklungen, ob sie
tatsächlich der politischen Maßgabe des „Jah-
res der Marine“ entsprechen konnten. Daneben
bietet das Werk geografische Analysen zur Lage
in Nord- und Südamerika, dem asiatisch-pazi-
fischen Raum, dem Indischen Ozean und Afrika
sowie Europa und der Russischen Föderation.
Beiträge zu relevanten Schiffsklassen befassen
sich mit den Zerstörern der Arleigh Burke-Klasse
der U.S. Navy, den deutschen Fregatten der Klas-
se 125 sowie den OPVs der Otago-Klasse der
neuseeländischen Marine.  (jh)
95

Selbstständige Sektion Berlin
Technologische Trends und neue
Bedrohungsformen: der Beitrag von
Verteidigungsforschung, Cyber-Ver-
teidigung und Rüstungskontrolle zur
Stärkung von Sicherheit
Wie andere Bereiche der Gesellschaft muss
sich auch die Bundeswehr auf neue Tech-
nologien einstellen. Dies ist in vielen Berei-
chen noch eine Herausforderung. Um sie
beispielsweise besser auf den Cyber-Krieg
und die Digitalisierung vorzubereiten, hat
(Fotos: GSP Berlin)
GSP-Sektionsleiter Dr. Florian Seiller, Joelle Gerbrich, Brigadegeneral
Peter Braunstein und KAS-Tagungsleiter Christoph Korneli (v.l.n.r.)
Bundesverteidigungsministerin Ursula von
der Leyen MdB, einen neuen Organisati-
onsbereich eingerichtet: das Kommando
Cyber und Informationsraum (KdoCIR).
Dessen Inspekteur Generalleutnant Ludwig
Leinhos gab vor der GSP Berlin einen Über-
blick darüber, wie sich die Bundeswehr
auf diese neue Herausforderung einstellt.
Zahllose Cyber-Angriffe in allen Bereichen,
auch im Bereich der Sicherheitsorganisa-
tionen, machen deutlich, wie sicherheits-
relevant diese aktuelle Gefahrenlage im
virtuellen Raum ist. Auf diese Aufgaben,
so Leinhos, wird die Struktur des CIR aus-
gerichtet. Gerade in diesem Bereich ist die
Gewinnung von geeignetem Personal eine
besondere Herausforderung. Dass dabei
auch neue und für die Bundeswehr unge-
wohnte Wege eingeschlagen werden müs-
sen, wurde deutlich. Der Dreisternegeneral
machte deutlich: Die Bundeswehr ist auf
einem gutem Weg. Er betonte: Das neue
Kommando ist ein wesentlicher Eckpfeiler
der gesamtstaatlichen Cyber-Sicherheitsar-
chitektur und leistet einen unverzichtbaren
Beitrag zur nationalen Sicherheitsvorsorge.
Neue Konfliktstrukturen und -formen,
disruptive Technologien (z.B. offensive
Seite Europäische Sicherheit & Technik · Monat
96 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V.
Cyber-Kapazitäten, bewaffnungsfähi-
ge Drohnen, Robotik oder Laser- und
Abstandswaffen) und neue militärische
Einsatzmöglichkeiten stellen auch die
Rüstungskontrolle und die internationale
Vertrauensbildung vor neue Herausforde-
rungen. In einem lebendigen und mit ei-
ner Fülle an Beispielen ausgeschmückten
Vortrag erläuterte Brigadegeneral Peter
Braunstein, Kommandeur des Zentrums
für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr,
dass neben den gegenwärtigen Bereichen
der Rüstungskontrolle und vor allem der
Verifikation, für die sein Zentrum in einer
international modellhaften Form nunmehr
neue Problemfelder entstehen. Gerade in
diesen Bereichen bedarf es neuer Ansätze
der Rüstungskontrollpolitik. Auch im Lichte
des Ukraine-Konflikts und der veränderten
Bedrohungsperzeption z.B. in den balti-
schen Staaten muss über die Neubelebung
der konventionellen Rüstungskontrolle in
Europa nachgedacht werden. Bei der Rüs-
tungskontrolle kommt es in diesen Zeiten
besonders darauf an, die Implementierung
bestehender Verträge fortzusetzen, Trends
aufzunehmen und Defizite in den Verifika-
tionsregimen zu beseitigen, Mechanismen
für Krisenlagen zu stärken und eine Rüs-
tungskontrollarchitektur für das 21. Jahr-
hundert zu konzipieren. Braunstein vermit-
telte zudem einen faszinierenden Überblick
über das breite Aufgabenspektrum und
weltweite Engagement seiner rund 170
Personen umfassenden Dienststelle. Beson-
ders spannend waren seine Ausführungen
zum Ablauf einer Inspektionsreise deutscher
Rüstungsinspekteure und zur Begleitung
ausländischer Delegationen in Deutschland.
Die technologische Entwicklung dieser Jah-
re braucht eine intensive wissenschaftliche
Begleitung. Deswegen sind ausreichende
staatliche Investitionen in Forschung und
Technologie und die damit verbundene
Stärkung der technologischen Souveräni-
tät Deutschlands, um Abhängigkeiten zu
vermeiden und als attraktiver Kooperati-
onspartner wahrgenommen zu werden,
von zentraler Bedeutung. Anwendungs-
orientierte Spitzenforschung leistet zudem
einen unverzichtbaren Beitrag für einen
bestmöglichen Schutz der Soldaten, eine
bedarfsgerecht ausgerüstete Bundeswehr
und eine leistungsfähige Sicherheits- und
Verteidigungsindustrie. Dies wurde auf
einer Veranstaltung mit dem Vorsitzen-
den des Fraunhofer-Verbundes Verteidi-
gungs- und Sicherheitsforschung VVS,
Prof. Dr.-Ing. habil. Jürgen Beyerer, sehr
klar vermittelt. In einem gut verständlichen
und mit zahlreichen Schaubildern und
Videosequenzen unterfütterten Vortrag
stellte er sicherheitstechnologische Trends,
Forschungsfelder und Anwendungsberei-
che vor. Er veranschaulichte dies anhand
von Beispielen aus den Bereichen Sensorik,
Virtual Reality, Cybersecurity und Autono-
me Systeme.
Zu den sich immer weiter entwickelnden
Technologien kommt, dass auch die poli-
tische Landschaft sich immer weiter dreht.
„Wir befinden uns sicherheitspolitisch
in einer neuen Ära“, fasste der Präsident
der Bundesakademie für Sicherheitspolitik
(BAKS), Dr. Karl-Heinz Kamp, die komple-
xe sicherheitspolitische Landkarte bei der
GSP zusammen. Er kommt zu einer klaren
Konsequenz für die deutsche Sicherheits-
politik: Das bedeutet mehr sicherheits-
und verteidigungspolitisches Engagement
für Deutschland und seine europäischen
Partner.
Handlungsbedarf bei der Bekämp-
fung der Organisierten Kriminalität
Auch die Innere Sicherheit stellt immer
wieder eine Herausforderung dar. Der
Kampf gegen den Terrorismus ist auf der
politischen Ebene in aller Munde. Viele
Menschen sind aber auch Opfer der Orga-
nisierten Kriminalität (OK). Die OK macht
im Zeitalter der Globalisierung weder vor
innerstaatlichen Landesgrenzen Halt noch
vor Staatsgrenzen. Daraus ergeben sich
neue Anforderungen an Strafverfolgungs-
behörden. Das zeigte die Podiumsdiskus-
sion, die die GDP zum Thema „Illegaler
Handel“ durchführte. Prof. Dr. Arndt Sinn
von der Universität Osnabrück hat dazu ei-
ne Studie „Wirtschaftsmacht Organisierte
Kriminalität: illegale Märkte und illegaler
Handel“ erstellt. Er stellte diese Studie und
sich daraus ergebende konkrete Hand-
lungsempfehlungen vor. Danach disku-
tierten die Bundestagsabgeordnete Irene
Mihalic, innenpolitische Sprecherin der
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen, Dr. Sabine Vogt, Abteilungsleiterin
Schwere und Organisierte Kriminalität im
Bundeskriminalamt, und Thomas Franke,
Vorsitzender des Forums Vernetzte Sicher-
heit, über effektivere Möglichkeiten der
OK-Bekämpfung. Ein wichtiges Fazit: Die
Lösung der Probleme kann nur durch einen
ganzheitlichen Ansatz gelingen, indem alle
Akteure aus Politik, Wissenschaft, Straf-
verfolgungspraxis und Wirtschaft effektiv
miteinander kooperieren.
Große Vielfalt an sicherheitspoliti-
schen Themen im Angebot
Dies zeigt, dass die Berliner Sektion, die wie
die Bonner eine Selbstständige Sektion der
Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V. (GSP)
ist, ein breites Themenspektrum bearbeitet
hat. Die Bundeshauptstadt mit ihren zahl-
reichen Ministerien, Bundeswehrdienst-
stellen, Sicherheitsbehörden, Botschaften,
Forschungseinrichtungen und Stiftungen
sowie Museen bietet ein ideales Umfeld
für die sicherheitspolitische Informations-
arbeit. Kern der Aktivitäten der Berliner
Sektion sind Vortragsveranstaltungen und
Podiumsdiskussionen (meist in Zusammen-
arbeit mit Partnern), aber auch Exkursi-
onen. Letztere führten in diesem Jahr in
die Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Dr. Florian Seiller, DAVP-Vorsitzende Claudia von Cossel, BAKS-Präsident
Dr. Karl-Heinz Kamp, Inga Frohmann (v.l.n.r.)
im Bendlerblock, in das Bundesministeri-
um für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, in die Polizeihistorische
Sammlung des Berliner Polizeipräsidiums
und zum kulturgeschichtlich bedeutsamen
Invalidenfriedhof.
So kamen als Themen zur Kriminalitätsbe-
kämpfung, deutscher Sicherheitspolitik in
der Ära Trump, Traditionslinien und Tradi-
tionsverständnis der Bundeswehr, Aufstel-
lung des neuen KdoCIR, Rüstungskontrolle,
Maßnahmen der NATO zur Stärkung der
Bündnisverteidigung auch solche wie der
internationale Schutz von Kulturgütern
hinzu: Ein weiter Bogen bot ein abwechs-
lungsreiches Programm für Mitglieder und
Gäste.
2017 führte die Berliner Sektion gemeinsam
mit ihren Kooperationspartnern insgesamt
13 Veranstaltungen durch. Neu aufgenom-
men wurde die Zusammenarbeit mit der
Deutsch-Amerikanischen Vereinigung der
Parlamentsmitarbeiter/-innen (DAVP) und
der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung
der angewandten Forschung. Ihnen wie
auch den langjährigen Kooperationspart-
nern (Politisches Bildungsforum Berlin der
Konrad-Adenauer-Stiftung, KAS, Sektion
Berlin-Brandenburg der Deutschen Ge-
sellschaft für Wehrtechnik (DWT) und Ver-
tretung des Landes Sachsen-Anhalt beim
Bund) gilt daher ein großes Dankeschön.
Außerdem erfreulich: Die Berliner GSP-Sek-
tion konnte in diesem Jahr eine Reihe jün-
gerer Neumitglieder hinzugewinnen. Unser
Ziel für 2018: Weiterhin ein attraktives Pro-
gramm anbieten und vielleicht sogar auch
das eine oder andere eher außergewöhnli-
che Thema aufgreifen.
Dr. Florian Seiller – Sektionsleiter –
und Joelle Gerbrich
In eigener redaktioneller
Verantwortung

Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V.

5 3 1 1 1 B o n n , W e n z e l g a s s e 4 2 , Te l . : ( 0 2 2 8 ) 6 5 2 5 5 6 . E - M a i l : g e s c h a e f t s s t e l l e @ g s p - S i p o . d e

Sicherheitspolitische Öffentlichkeitsarbeit für Jedermann Gliederung/Kontakt

Die GSP widmet sich als unabhängiger und überparteilicher Verein mit ihren rund Die GSP gliedert sich in 7 Landesbereiche und 2 selbstständige Sektionen,
100 Sektionen, unterstützt von über 6.000 Mitgliedern, der Vermittlung sicherheits- die direkt dem Vorstand unterstellt sind. Sie errreichen sie wie folgt:
politischen Verständnisses in der Bevölkerung.
Landesbereich Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und
Veranstaltungsangebot Hamburg (Tel.: 04331/696174)
Die Sektionen als Hauptträger unserer Öffentlichkeitsarbeit veranstalten Vorträge,
Seminare. Symposien und Kongresse sowie Informationsbesuche und Exkursionen Landesbereich Niedersachsen und Bremen (Tel.: 04761/70121)
für alle interessierten Bürger. Landesbereich Nordrhein-Westfalen (Tel.: 0172/3034560)
Gemeinnützigkeit
Landesbereich Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland (Tel.: 02255/4258)
Die GSP ist wegen ihrer besonders förderungswürdigen satzungsgemäßen Aufgaben
durch Freistellungsbescheid des Finanzamtes Bonn-Innenstadt Steuernummer Landesbereich Baden-Württemberg (Tel.: 0711/605555)
205/5764/0498, als gemeinnützig und spendenfähig anerkannt worden. Landesbereich Bayern (Tel.: 08239/7114)
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Landesbereiche Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
Sparda-Bank eG Köln IBAN DE53 3706 0590 0200 6402 20
(Tel.: 030/36289697)
Präsidentin: Ulrike Merten
Geschäftsführer: OTL a.D. Jürgen Rann Selbstständige Sektion Bonn (Tel.: 0151/155677401)

Vereinsregister-Nr.: 5684, Amtsgericht Bonn Selbstständige Sektion Berlin (Tel.: 0176/23366939)

Januar 2018 · Europäische Sicherheit & Technik 97

 Gast-Kommentar
Trumps Entscheidung für
Jerusalem und mögliche Folgen
Es ist diese Mischung aus Wut und Rat-
losigkeit unter den Palästinensern, die
die Sache so unberechenbar macht. Der
US-Präsident zündelt mit seiner Entschei-
dung pro Jerusalem als Israels Kapitale
und Standort für Washingtons Botschaft
ohne Not in einer der instabilsten Weltre-
gionen.
Krieg ist hier immer möglich. Dabei könn-
te Trumps gefährlichem Schritt nicht allein
das bekannte militärische Ritual von Rake-
ten aus Gaza und massiven Luftangriffen
Israels auf die palästinensische Enklave am
Mittelmeer folgen. Mehr denn je droht die
Gefahr weiterer Radikalisierung der Paläs-
tinenser – aus Hoffnungslosigkeit.
Viele sehen sich in dem Jerusalem-Be-
schluss in ihrer Auffassung bestätigt, die
heißt: Israel bekommt alles – immer. Nicht
nur von den USA fühlen sich Palästinen-
ser getäuscht. Auch ihre sogenannten
arabischen Brüder haben die Menschen
in Gaza und im Westjordanland seit Jahr-
zehnten hingehalten, als Faustpfand be-
nutzt, verraten. Um Israel und den Westen
an den verbalen Pranger zu stellen, waren
die Palästinenser allemal gut; verbessert
hat das ihre desolate wirtschaftliche und
soziale Lage nicht.
Jetzt passt den führenden arabischen
Staaten der Ruf des kraftlosen Palästi-
nenser-Präsidenten Abbas nach Unter-
stützung gegen die USA und Israel über-
haupt nicht in den Kram. Der Protest der
sunnitischen Führer fällt denn auch eher
verhalten aus. Denn Saudi-Arabien und
Co. machen wie Trump den Feind, den es
zu vernichten gilt, jenseits des Golfs aus.
Iran ist Ziel von Attacken der USA und der
arabischen Alliierten – Israel sieht Teheran
ebenso als Zentrum des Bösen – diese un-
gewöhnliche amerikanisch-arabisch-israe-
lische Allianz steht auf dem Spiel – jeden-
falls wenn sich die arabischen „Brüder“
zu heftig auf die Seite der Palästinenser
schlagen.
Bislang bestand bei aller Kritik kein Zweifel
daran, dass in Nahost nur mithilfe der USA
ein Ausgleich zwischen den verfeindeten
Nachbarn möglich ist, zumindest die Ab-
wesenheit größerer kriegerischer Handlun-
gen. Die Europäer sind dazu nicht in der
Lage. Sie gelten Israel als zu propalästinen-
sisch. Dass sie den Haushalt des Nichtstaats
finanzieren, bleibt ihnen gestattet.
98 Europäische Sicherheit & Technik · Januar 2018
Am Friedensprozess sind schon die Vor-
gänger Trumps gescheitert. Unter Bush
und Obama siechte er dahin, seine Essen-
tials zerbröselten wie das Land, das die Pa-
lästinenser als ihren Staat beanspruchen.
Vom Rückkehrrecht Geflüchteter und
der Zukunft der jüdischen Siedlungen ist
schon lange keine Rede mehr. Mit seinem
Vorstoß in der Jerusalem-Frage verspielt
Trump zudem auch noch die Vermittlerrol-
le der USA im nahöstlichen Kernkonflikt.
Abbas spricht sie ihm ab, aber auch isra-
elische Diplomaten und Anhänger eines
friedlichen Ausgleichs sind besorgt: Am
Status Jerusalems zu rütteln, das beide
Seiten als ihre Hauptstadt beanspruchen,
schürt das Feuer für Verzweiflung und
Radikalisierung.
Da hilft es wenig, dass die Verlegung
der US-Botschaft nach Jerusalem erst
in Jahren realisiert würde, dass mehr als
150 andere Staaten einen solchen Schritt
nicht mitmachen dürften. Die emotionale
Wirkung der amerikanischen Parteinah-
me für Israel ist kaum rückholbar. Sie
richtet immensen Schaden an. Kurzfristig
droht wieder mehr und unberechenbare
Gewalt. Hamas und Fatah, die verfein-
deten Palästinenserorganisationen, die
nichts für einen besseren Alltag ihrer
Landsleute erreicht haben, dürften von
gefährlicheren Gruppierungen verdrängt
werden. Der IS kann sich die aufgestaute
Wut zunutze machen. Was haben wir
noch zu verlieren, fragen sich die aus-
gegrenzten und aus ihrer Sicht von aller
Welt im Stich Gelassenen in Westbank
und Gaza?
Längerfristig hat das eine verheerende
Wirkung in der Region: auf Palästinen-
ser, deren Traum vom eigenen Staat
schwindet, und Israelis, die von Trumps
Akt diplomatischer Ignoranz nur schein-
bar profitieren. In Wirklichkeit laufen
alle Gefahr, ein Mehr an Sicherheit zu
verlieren.
Trumps Jerusalem-Irrweg heizt die Lunte
an. Das ist unverantwortlich wegen der
absehbaren Folgen für beide Konfliktpar-
teien, den Nahen Osten und die Welt.
Ulrich Leidholdt ist Nahostexperte
und war Korrespondent der ARD
in der jordanischen Hauptstadt
Amman.
 Sicherheitspolitik · Streitkräfte · Rüstung · Wehrtechnik · Logistik · IT · Öffentliche Sicherheit

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