You are on page 1of 202

MARIEN-ROMAN

von Torsten Schwanke

ERSTER TEIL

ERSTES KAPITEL

DER PROTESTANT:
Wir Protestanten sind Glieder der heiligen, apostolischen, christlichen Kirche. Wir sind Söhne der
Kirchenväter. Wie die Kirchenväter von Ephesos bekennen wir: Groß ist die Theotokos! Denn der
Engel Gabriel nennt sie die Begnadete, die Holdselige, denn Elisabeth preist sie als die Gesegnete
unter den Frauen. Und der heilige Paulus, mein Namenspatron, spricht von Christus, der geboren
wurde von einer Frau. Diese Sprüche halten fest, wie ich wohl weiß, daß Maria Gottes Mutter ist.
Darum ist in Einem Worte alle ihre Ehre inbegriffen, wenn man sie Gottes Mutter nennt, kann
niemand Größeres je und je von ihr sagen. Nicht zu ihrer eigenen Ehre wird Maria Gottes Mutter
genannt, sondern Christi Ehre wegen, der Herr und Gott ist. Die Theotokos ward verkündet, um die
Gottheit Jesu Christi ins wahre Licht zu stellen. Darum irrt Nestorius, der Maria nur Mutter der
menschlichen Natur Christi nannte, sie nur Christotokos nannte. Die menschliche Natur Christi und
die göttliche Natur Christi sind vereinigt in der Einen Person Jesu Christi, dessen Mutter Maria ist.
O wie wirklich war die Menschwerdung, wirkliche Inkarnation des Logos in dem Fleisch und Blut
eines geschöpflichen Mutterschoßes! Ja, Maria ist die Gebärerin unseres Heils, die reine Magd des
Herrn, ancilla domini. Die reine Magd, das ist die reine Jungfrau. Denn siehe, das ist die höchste
Ehre, die man Maria erweisen kann, daß man die gute Tat des Sohnes Mariens an uns armen
Sündern recht erkenne, ehre und zu ihm laufe. Denn was ist das Größte an Maria? Daß sie uns den
Sohn Gottes, den Erlöser geboren! Aber bedenkt, der Titel Gottes Mutter kann die Abergläubischen
wohl in ihrer heidnischen Unwissenheit verwirren. Ist doch Gott der ursprungslose Ursprung und
der anfanglose Anfang und der grundlose Urgrund und ist ihm keine Mutter voraus. Aber Maria ist
die Sancta Virgo, sie ist gebenedeit von Gott, weil Gott sie gewürdigt hat, der Welt den Sohn Gottes
zu schenken. Dadurch hat Gott Maria hoch geehrt. Und von dieser Ehre darf Maria auch selbst im
Magnifikat singen. So halten wir fest an der leibhaftigen Offenbarung Gottes in der Menschheit
Christi durch Maria, die Gottesmutter und heilige Jungfrau. Christus ist geboren aus der reinen
Jungfrau. Wir sollen der Heiligen gedenken, um uns zu erinnern, welche großen Gnaden Gott den
Heiligen erwiesen. Die Mutter Christi dürfen wir wohl unter die Heiligen zählen. Maria ist die
dignissima amplissimis honoribus, die der höchsten Ehren Würdigste. Denn wir bekennen mit der
Gottessohnschaft Christi auch die Gottesmutterschaft Mariens. Denn wir glauben, lehren und
bekennen, daß Maria nicht bloß einen pur lauteren Menschen, sondern den wahrhaftigen Sohn
Gottes empfangen und geboren hat. Darum wird sie Mutter Gottes genannt und ist auch wahrhaftig
die Mutter Gottes. Wir bekennen im Apostolicum, daß Christus ist geboren von der Jungfrau Maria.
Das ist unbestritten. Ja, Maria ist semper virgo, immerwährende Jungfrau, vor und in und nach der
Geburt, wie Luther, Zwingli und Calvin bekennen. Luther verurteilte scharf den Häretiker des
vierten Jahrhunderts, Helvidius, der behauptete, daß Maria mehrere Kinder gehabt hätte. Zwinglis
glühendste Leidenschaft war die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens. Es steht geschrieben:
Josef erkannte Maria nicht, bis sie ihren erstgeborenen Sohn gebar. Doch dies bedeutet nicht, daß
Maria eine ordinäre Ehe geführt habe. Josef ist der Jungfrau nur zum Schutze beigegeben worden.
Schon daraus, daß Jesus seiner Mutter, der Frau, am Kreuze den Lieblingsjünger als Sohn
anvertraute, ist zu erkennen, daß sie keine weiteren Kinder gehabt hat. Die im Evanglium genannten
Brüder und Schwestern Jesu sind nahe Verwandte des Herrn. Wir bekennen also als die Kinder der
Kirche der Reformation, daß Christus ist geboren: Ex Maria, pura, sancta, sempervirgine! Was sagt
die Reformation zur Unbefleckten Empfängnis? Diese Lehre, die Lehre der Makellosen
Konzeption, behauptet die Empfängnis der Jungfrau im Schoße ihrer Mutter, der heiligen Anna, als
eine natürliche Empfängnis, die durch die Gnade Gottes frei von allem Makel der Erbsünde war.
Luther liebte diese Reinheit Mariens, die ihr gegeben war um der Reinheit und Sündlosigkeit des
Menschensohnes willen. Die heilige Mutter Gottes, die den Gottessohn im Fleisch geboren, konnte
nicht eine gemeine Sünderin sein. Die Freiheit Mariens von dem Makel der Erbsünde geschah im
Augenblick ihrer Empfängnis als der Vereinigung des Leibes mit der vernünftigen Seele. Der
reformatorische Theologe Valentin Weigel nannte Maria darum gar eine Inkarnation des Heiligen
Geistes. Zwingli nannte Maria eine reine, heilige, unbefleckte Magd, das heißt Jungfrau. Dennoch
bestritten andere, wie Calvin und Melanchton, diese Lehre. Schließlich war sie auch in der
katholischen Kirche lange umstritten und wurde erst im neunzehnten Jahrhundert zum unfehlbaren
Dogma der Offenbarung erhoben. Was lehren wir aber von der Aufnahme Mariens in den Himmel?
Das Volk schwärmt wohl gelegentlich von der Himmelfahrt Mariens, doch ist es keine Himmelfahrt
gleich der Himmelfahrt Christi, sondern eine Aufnahme in den Himmel durch den in den Himmel
gefahrenen Christus. Die katholische Kirche verkündet, daß die unbefleckte Gottesgebärerin und
immerwährende Jungfrau Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in die
himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden ist. Wo ist aber für diese Auffassung die Grundlage
in der Heiligen Schrift? Luther kannte das Fest Mariä Himmelfahrt. Er sprach, es stehe zwar nichts
davon im Evangelium, wie Maria im Himmel sei, auch nicht, wie sie dorthin gekommen, das sei
auch nicht nötig zu wissen. Es genügt zu glauben, daß die Heiligen leben. Er wußte nicht, ob sie im
Leib oder außerhalb des Leibes in den Himmel gefahren sei. Er wollte das Fest Mariä Himmelfahrt
gefeiert sehen. Welcher Christ zweifelt daran, daß die würdigste Mutter des Herrn bei ihrem Sohn in
himmlischen Freude lebe? Die einen Christen glauben nun einmal, daß Marien Seele im Himmel
sei, ihr Leib aber noch in der Erde ruhe, die anderen Christen aber glauben, daß sie mit Leib und
Seele im Himmel sei. Jeder urteile, wie er will. Schließlich ist Henoch leiblich in den Himmel
aufgefahren und bei Christi Auferstehung sind viele Heilige leiblich auferstanden. Gewiß ist aber,
daß Maria mit ihrem Sohne Jesus lebe. Aber ist nicht auch Elias leiblich in den Himmel gefahren,
damit die Kinder Israels ein Bild der Unsterblichkeit der Seele hätten und doch nicht den Leib des
Heiligen verehren? So ist auch die reine unbefleckte Kammer der Gottesgebärerin und Jungfrau
Maria, ihr heiliger Leib, von den Engeln in den Himmel getragen worden. Ja, wir trauen darauf, daß
die reine heilige Magd von Gott erhöht ist über alle Geschöpfe der Menschen oder seligen Engel,
aller Kreaturen im Himmel und auf Erden und im Meer, bei Christus in der ewigen Freude. Nun
aber, ihr Papisten, werdet wohl bedauern, daß der Körper der Jungfrau im Himmel ist, ihr hättet
sonst wohl eine Kirche um ihre Reliquien gebaut, die größer als Jerusalem und Rom gewesen
wäre...

DER ORTHODOXE:
Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich über mich armen Sünder! Dich
besingen wir, dich preisen wir, dir danken wir, Herr, und bitten dich, Gott, zu preisen die selige
Gottesmutter und immerwährende Jungfrau Maria! Im Augenblick der Wandlung des Brotes und
Weines durch den Heiligen Geist in Fleisch und Blut Christi, danken wir Gott vor allem für unsere
allerheiligste, makellose, über alle Heiligen und Engel gelobte Gottesmutter Maria, die Ewige
Jungfrau! Wahrhaft würdig ist es, dich, Theotokos, selig zu preisen, Allerseligste, Unbefleckte,
Mutter Gottes! Verehrungswürdiger bist du als die weisesten Cherubim und die vor Liebe
brennendsten Seraphim, die du in unversehrter Jungfräulichkeit den göttlichen Logos geboren,
Gottes Gebärerin und Gottes Mutter, dich preisen wir höher als alle Geschöpfe im Himmel und auf
Erden! Wen aber führt die Herrin der himmlischen Heerscharen an? Wen führt die Königin der
Engel und Mutter der Menschen? Alle im Glauben Entschlafenen, alle Voreltern, alle Väter und
Mütter des Glaubens, alle Patriarchen, Propheten und Prophetinnen, die Apostelin der Apostel und
die Apostel, die Jungfraun und die Evangelisten, die Märytrer und Bekenner, alle Heiligen, Witwen
und Waisen! Wir danken, wenn wir der Gottesmutter danken, auch Johannes dem Täufer, dem
Apostelkonzil und besonders danke ich dem heiligen Andreas, meinem Patron, und aller Heiligen
des Orients und Okzidents, auf deren Fürsprache hin uns gnädig heimsuchen möge der Gott, der
Liebe ist! Wir bitten die Gottesmutter um Fürsprache für alle Heimgegangenen, die universelle
christliche Kirche und die ganze Menschheit und die gesamte Schöpfung. Unserer allerheiligsten,
reinsten, über die Maßen gepriesenen, allen Ruhmes würdigen Gottesmutter und Ewigjungfrau
Maria eingedenk, weihen wir uns selbst und die gesamte Schöpfung unserm Herrn und Gott, Jesus
Christus! Siehe, die Gottesmutter in der Ikone ist niemals ohne ihren Sohn. Er ist das göttliche Kind
der Gottesmutter. Steht sie aber als unsere Fürsprecherin vor Seinem Thron, so steht sie dort mit
Johannes dem Täufer. Denn wie Johannes der Täufer die Vollendung des Alten Bundes, ist Maria
der Inbegriff und die Vollendung des Neuen Bundes, die sich zusammen als Ein Ewiger Bund der
Menschheit mit Gott zu Christus, der göttlichen Weisheit, anbetend wenden. Maria ist der Anbeginn
des Neuen Bundes. Deine Geburt, o Gottesmutter, hat der ganzen Mutter Erde Freude bereitet. Aus
dir ging hervor aus wie aus dem Schoß der Morgenröte die Sonne der Gerechtigkeit. Er nahm den
Fluch hinweg, zerstörte den Tod, brachte den Segen und schenkte uns ewiges Leben. Darum preisen
wir dich, die Aurora Gottes, die du dem Himmelslicht, das die Sonne ohne Untergang ist, auf
unaussprechliche Weise aus deinem Schoß der Morgenröte den Leib geschenkt, gesegnete
Gottesmutter und heilige unbefleckte Jungfrau, sei gepriesen! Darum ist der Tag der Verkündigung
des Herrn durch den Engel an die Jungfrau Maria der Anbeginn des Heils und die Offenbarung des
Geheimnisses von Ewigkeit. Gottes Sohn wird Sohn der Jungfrau, der Engel verkündet der
Begnadeten die Gnade. Mit dem Engel beten wir allezeit: Sei gegrüßt, du Gnadenvolle, freue dich,
Maria, Gott ist mit dir! In der heiligen Weihnacht aber gebiert die Jungfrau den Seienden,
überwesentlichen Gott! Die Mutter Erde gewährt der Höchsten Macht eine Grotte. Die
Himmlischen und die Hirten feiern den Frieden. Die Weisen des Morgenlands ziehen nach der
Weisung der Sterne zu der Jungfrau und dem Jungfraunkind, dem urewigen Gott und Gottheit von
Urzeit her! Halleluja! Singen will ich die heiligen Ostern, das Mysterium von Kreuzestod und
Auferstehung zu ewigem Leben! O Christus! Als dich, den Schöpfer und Gott, am Kreuze hängen
sah Jene, die dich als Jungfrau geboren, da rief sie unter Tränen und Trauer: Mein Sohn, mein Sohn!
Wohin ist deine Schönheit? Siehe, du warst der Schönste aller Menschensöhne! Nun ist an dir keine
Schönheit mehr, du bist der Allerverachtetste, der entstellte Gottesknecht! Ich ertrage es nicht, den
Gerechten so ungerecht gekreuzigt zu sehen! So klagte Maria. Wir wollen besingen Ihn, der sich
aus Ewiger Liebe für uns kreuzigen ließ! Ihn schaute Maria am Kreuz und sprach: Wirst du
gekreuzigt, entstellt in deiner Schönheit, verflucht, weil du am Holze hängst, angespieen mit Gift
und Galle, du bist doch mein Gott und mein geliebter Sohn! So klagte Maria. O Jesus, Ströme von
Tränen hat mit blutendem Herzen die Allerreinste über dich vergossen und gerufen: Wie soll ich
nun dir dienen, mein geliebter Sohn? O Gott, o Logos und Sophia! O meine Wonne! Wie soll ich
dein Begrabensein drei Tage lang ertragen? Es zerreißt mir vor Schmerzen mein Mutterherz! Wer
wird mir Wasser geben, daß meine Augäpfel überströmen von Tränenfluten wie Wasserbäche?
Woher nehme ich all die Ströme, rief die jungfräuliche Mutter und Frau der Schmerzen, meinen
Jesus zu beweinen? Ihr Schluchten, ihr Seelen alle, schluchzet, schluchzet mit der Frau der
Schmerzen, alle Kreaturen des Kosmos, heult mit der Mutter Gottes um den gekreuzigten Sohn
Marias! So klagte Maria. Siehe, der Gekreuzigte in seiner Passion am Kreuz, er tröstete seine
Mutter und alle Frauen von Jerusalem und ihre Kinder und die gesamte Menschheit: Weine nicht
über mich, meine Mutter! Du wirst schauen im Grabe deinen Sohn, den du im Schoß getragen. Aber
ich werde auferweckt, ich werde auferstehen in der Kraft Gottes und verherrlicht im Geist zu
ewigem Leben im Reiche Gottes! Siehe, Magd des Herrn, die dich seligpreisen, alle Kinder und
Kindeskinder, die werde ich, o Frau der Schmerzen, als dein Sohn und Gott, ich, Christus zur
Rechten des ewigen Vaters, werde alle jene erhöhen, die in Glauben und Liebe dich, o allerseligste
Jungfrau, lieben und preisen! So sprach Christus am Kreuz. So ruft nun die Kirche im Schoß der
Menschheit der allerseligsten Jungfrau zu, die Christus verklärt hat: Strahle, strahle heller als die
Sonne, milder als der Mond, glühender als die Morgenröte, himmlische Jerusalem! Denn die Gloria
Gottes geht auf in dir! Tanze mit den Engeln und Seligen himmlische Hochzeitstänze, Tochter Zion,
und jauchze im Heiligen Geist als die Braut des Heiligen Geistes! Mutter Gottes, allerreinste
Jungfrau, freue dich, Halleluja, über die Auferstehung Christi und die Auferstehung der Toten!
Siehe, der Engel des Herrn rief der Jungfrau zu: Freue dich, Maria, voll der Gnade! Und ich sing
auch mit englischer Zunge und mit Menschenzunge: Freue dich, allerseligste Jungfrau, denn dein
Sohn ist auferstanden als die Erstgeburt aus den Toten! Freue dich, makellose Jungfrau! Freue dich,
Menschheit! Halleluja!
Chaire! Freue dich! Das will ich singen! Es wäre leicht und wäre ohne Gefahr der Übertreibung der
Poesie, ein skrupulöses Schweigen zu bewahren, o Jungfrau! Dir zu Liebe schöne Hymnen zu
singen ist ein schwieriges Werk. So gib mir, die du meine Braut und Mutter bist, passend zu meiner
Absicht auch die heilige Inspiration! Wohlan, singen wir im göttlichen Wahnsinn die Schönste der
Frauen! Freude dir, du Gipfel, schwer ersteigbar den Menschen! Freude dir, du Tiefe, schwer
erschaubar den Engeln! Freude dir, du Thron des ewigen Königs! Freude dir, du Trägerin dessen der
hält das All in der Hand wie einen Apfel! Freude dir, du Luna, die spiegelt den Sol justitiae! Freude
dir, du Mutterschoß der Fleischwerdung Gottes! Freude dir, du Anfang der neuen Schöpfung!
Freude dir, in der der Schöpfer ein Embryo geworden! Freude dir, meine jungfräuliche Braut!
(Maria lächelte...) Freude dir, in den unergründlichen Rat du Eingeweihte! Freude dir, du gewisse
Ruhe der Ruhebedürftigen! Freude dir, du Vorspiel der Wunder Jesu! Freude dir, du schönste
Weisheit der Lehre Jesu! Freude dir, du Himmelsleiter, auf der Gott selbst zu uns kam! Freude dir,
du Regenbogenbrücke, die von der Erde zum Himmel führt! Freude dir, du von den Engeln
besungenes Wunder und Meisterwerk des Schöpfers! Freude dir, du Entsetzen und Zittern der
Dämonen! Freude dir, die du empfangen das Überlicht! Freude dir, du von allen Weisen
unergründliche Weisheit! Freude dir, meine jungfräuliche Braut! (Maria lächelte...) Freude dir, du
Paradiesfrucht! Freude dir, du Aue der Barmherzigkeit! Freude dir, du Tafel der Weisung Gottes!
Freude dir, du Garten der Wonne! Freude dir, du Heim der Seele! Freude dir, du Brautgemach des
Christen! Freude dir, meine jungfräuliche Braut! (Maria lächelte...) Freude dir, du unverwelkliche
Blüte! Freude dir, du keuscher Flor! Freude dir, du Lebensbaum! Freude dir, du Kleid des Nackten!
Freude dir, meine jungfräuliche Braut! (Maria lächelte...) Freude dir, du tausendjährige Rose!
Freude dir, du Apfel der Schönheit! Freude dir, du Duft des Menschheitsfrühlings! Freude dir, du
Brot des Lebens! Freude dir, du Wasser des Geistes! Freude dir, du versiegelter Garten,
verschlossener Born, Lustgarten Gottes! Freude dir, meine jungfräuliche Braut! (Maria lächelte....)
Freude dir, du Grenze der grenzenlosen Liebe Gottes! Freude dir, du Zusammenfall der Gegensätze!
Freude dir, du Schlüssel des Paradieses! Freude dir, du Hoffnung auf die Schöne Liebe! Freude dir,
du unvermählte Braut! Freude dir, du Kelch der Weisheit! Freude dir, du Brautgemach der
Vorsehung! Freude dir, du Weisheit der Narren! Freude dir, du Muse der heiligen Dichter! Freude
dir, du Sophia der Philosophen! Freude dir, du Königin der Apostel! Freude dir, du Braut der
Patriarchen! Freude dir, du Erleuchtung aller Lebenden! Freude dir, meine jungfräuliche Braut!
Freude dir, Christi jungfräuliche Braut! (Maria lachte sanft gedämpften Girrens...)

ZWEITES KAPITEL

Maria, du bist schön wie das Meer. Dein Leib ist ein Weizenbüschel, umwunden mit blauen
Kornblumen, Wiesenkerbel, wilder Kamille und Wiesenmohn.

O Hagia Sophia, so schön bist du! So schön bist du, o Schöpfer, so schön bist du, Maria, so schön
ist die Hagia Sophia! Niemand weiß, wer die Hagia Sophia ist. Ist sie Gott-Mutter, ist sie
matriarchale Göttin, ist sie Christus, ist sie Maria, ist sie der heilige Geist, ist sie die Weltseele?

Maria sagt, Jedidja ist schön wie Gold. Jedidja sagt, Maria ist schön wie Gold.
4

Maria ist schön wie Haura, aber Maria ist schöner als Haura, weil Marias Augen mich voller Liebe
anschaun.

Ich bettle nicht um Frauenliebe, denn mich liebt die himmlische Frau.

Die Sonne auf dem Meer, der Schimmer und Flimmer, das ist wie der Goldglanz der Kuppel der
Hagia Sophia. Ich gehöre der Hagia Sophia, ich bin ihr Sohn und Geliebter. Was können mir
Menschen tun?

Die chinesischen Weisen lebten von einem Reiskorn und einem Fingerhut voll Wein und dem Chi
der Mutter Tao allein.

Die marianische Großmutter dient als stille demütige Magd.

Tao Yüan-Ming pflanzte nur Reis für den Reiswein seiner mystischen Trunkenheit, bis sein Weib
ihn bat, ihr ein Ackerfeld für den Gemüseanbau zu überlassen. Su Tung-Po berichtete voller Mitleid
von einem befreundeten Dichter, dem das Weib das Trinken verbot.

10

Großmutter, was ist Liebe? Die Großmutter zeigt auf den Himmel, die Erde, das Meer und spricht:
Dies alles ist Liebe!

11

Das Kind der Mutter Tao ist das Kind der Pansophia.

12

Der kosmischen Pansophia Energie und Dynamik ist der heilige Geist.

13

Goethe pries den schöpferischen Pan-Eros und pries als den Gipfel des immerschöpferischen
heiligen Eros den schönen Menschen, genauer: die schöne Frau, nämlich Helena von Sparta. Die
Frau ist die Krone der Schöpfung.

14
Wir wollen die göttliche Liebe zelebrieren in Andacht an geweihten Orten. Wir wollen leben in der
Ganzhingabe an das göttliche Liebesmysterium. Wir wollen die göttliche Liebe empfangen wie ein
Kind und selber lieben mit göttlicher Liebe.

15

Bonne nuit, Notre Dame Noire!

16

O Sehnsucht nach der ewigen Stille!

17

Die Mutter aller Menschen sagt: Du, ich gebe dir meine Liebe, damit du sie den Andern gibst.

18

Maria erscheint am liebsten Kindern. Die kleine Bernhardette von Lourdes hatte schlechte Noten im
Religionsunterricht. Maria fragt nichts nach theologischem Wissen, sondern nach einem reinen
Herzen.

19

Maria spricht: Mein Dodo, du sollst der Welt mein marianisches Herz zeigen!

20

Und wo du Sorge um die frisch aufblühenden Kinder trägst, kommt lächelnd die Madonna und
fragt, was du dich bekümmerst, da sie doch die Königin ist!

21

Ich bin ein Kind, das ehrt die nährende Mutter Tao. Wer die Mutter fand und erkannt hat seine
Kindschaft, der ist im Untergang des Leibes ohne Gefahr. Kinder leben im Hier und Jetzt, im All-
Eins, sind ursprüngliche Mystiker. Kindern ist Erdkloß, Stein und Gold gleich viel wert, das nennt
die Gita Weisheit.

22

Mein Mantra und meine Meditation ist das Ave Maria.

23

Das ist die gute Botschaft, o Hagia Sophia: Du lebst! Aber du bist die verschleierte Göttin.

24

Der Rosenkranz der tibetanischen Madonna meditiert das Wort: Das Juwel ist in der Lotosblüte.
Gott ist in der Seele. Erotisch geprochen ist der Phallus in der Vulva.

25
Mein Sohn, schau dir an die blauen Kornblumen, wilde Kamille, Mohn und Butterblumen. Sie sind
von Gott gekleidet, so schön war nicht einmal Sulamith gekleidet in ihrer geblümten Seide. Mein
Sohn schau dir die Schwalben an, sie arbeiten nicht und sparen nicht, die nährende Mutter Tao
ernährt sie doch.

26

Maria ist wie eine Birke, so licht, so zart, so schlank, so verschleiert.

27

Maria ist die Königin des Friedens. Der Friede beginnt im Herzen. Friede kommt von Gott.

28

Anna tauchte aus dem Meer wie die schaumgeborne Aphrodite. Sie fror wie die Venus frigida. Sie
meditierte und wurde eins mit dem mütterlichen Meer im ozeanischen Gefühl der All-Liebe.

29

Gott, du bist kein Vater mit weißem Barte auf einem Stuhle über den Wolken. Du bist das All-Eine,
in dem wir leben und weben und sind wie ein Embryo im Mutterschoß.

30

Der gewaltige, vom Wind durchrauschte Lebensbaum ist ein Bild der mütterlichen Gottheit.

31

Göttliche Mutter, Weltall und Erde sind voll deiner Schönheit!

32

Die Muse singt: Ich glaube an Frieden und Harmonie, du sollst glauben an die Liebe. Gib du Liebe
und du bekommst sie zurück.

33

Verschmähe die Frauen und sie werden dich lieben. Liebe die Frauen und sie werden dich
verschmähen.

34

Ich will heim in meine marianische Einsiedelei!

35

Ich bin kein Freier der Frauen, sondern der Sklave und Geliebte der Jungfrau Maria.

36
Maria wacht eifersüchtig über mein Herz. Der Weise bleibe Frau Weisheit treu und gebe sein Herz
keiner anderen Frau. Maria war einen Augenblick eifersüchtig auf Anna. Aber ich bin Marias
bevorzugter Geliebter, und auf besondere Weise ihr einziger Geliebter.

37

Wer im Zölibate lebt und Freundschaft mit den Frauen pflegen will, muß achtgeben auf sein Herz,
daß die jungfräuliche Gottesliebe immer stärker anzieht als die Freundin. Dazu braucht er
Einsamkeit und Gebet.

38

Der Sohn der göttlichen Mutter ruft der Jugendgeliebten zu: Weib, willst du mich wieder
zurückziehen in die eitle Welt der Weiber und des Geldes?

DRITTES KAPITEL

Maria entblößte ihre schöne Brust und stillte das Jesuskind. Das Jesuskind hielt die Granatfrucht
des Paradieses. Die Glocken läuteten, als der Urlaub begann. Sankt Christopherus trug das
Jesuskind und gab den Reisesegen. Ich sah das himmlische Jerusalem: Das Fundament waren die
nackten Putti-Engelskinder der Antike, darüber gingen die ernsten Heiligen und droben schwebte
die schöne geschmückte Braut, die himmlische Jerusalem, deren oberster Gott ist das Jesuskind.

Ich atme Maria ein und atme allen Zorn aus. Die pneumatische Maria bereitet sich ein Bett in
meinem Innern.

Sophia begegnet mir wie eine glückliche Mutter, die mir Brot und Wein reicht, und wie eine
liebevolle Jugendliebe mit dem Reichtum der Brüste. Sie führt mich an das Wasser, daß ich dort
erfüllt vom Heiligen Geiste Midda taufe.

Midda schlief ein, da die Madonna im Sessel mit dem Jesuskind im Arme ihm zugelächelt. Midda
sagte: Ein Kind ist geboren!

Die Rose gibt sich mit großer Kunst viel Mühe, süß zu duften und schön zu glühen. Schau sie an,
sie glüht so schön für dich, doch höre ihr nicht zu, wenn sie plappert ihre eitlen Worte.

Der Weise schaut den Himmel der Idee der Schönheit. Die Magd spottet über ihn, weil er das
Schlammloch zu seinen Füßen nicht gesehen und ist hineingefallen.
7

Ein Engel hat meine Eltern in Liebe zur Hochzeit und Ehe zusammengeführt. Gott hat mich bereitet
und berufen im Mutterschoß. Bei meiner Geburt sangen die Himmlischen einen Lobgesang. Ich bin
gekommen, zu künden die Mutterschaft Gottes.

Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterhaus und bei seiner Familie. Aber die Weisheit schafft dem
Sohn der Weisheit einen ewigen Namen. Kinder und Kindeskinder werden seligpreisen meine
Weisheit.

Meine Großmutter als meine Engelin tröstet mich mit dem süßen Troste, daß ich Gottes bevorzugter
Liebling bin.

10

Die auserwählte Psyche ist ungelitten in der Familie. Sie geht im schmutzigen Kleid. Die Taube des
Heiligen Geistes hilft ihr. Die Mutter im Himmel erscheint ihr auf dem Friedhof im Lebensbaum
und schenkt der auserwählten Psyche ein glorreiches Kleid. Psyche wird die jungfräuliche Braut des
Königssohnes, aber die Stiefschwestern haßt der Königssohn. Die von der Welt verachtete Psyche
ist die vor Gott als weise erachtete Jungfrau.

11

Dem Ritter verband man die Augen, setzte ihn auf ein hölzernes Pferd und erzählte ihm von seiner
Himmelfahrt durch die sieben Planeten. Dort begegnet ihm die angebetete Königin seines Herzens.
Das ist wahr. Denn das Innere des Minneritters ist ein unendlicher Kosmos, in dessen Zentrum der
Thron der Herrin steht, der Freundin seiner Gefühle.

12

Im Kidrontale, zwischen dem Garten Gethsemane und der Schädelstätte, schwamm im Kidron ein
schwarzer Trauerschwan. Das Jesuskind brach ihm das Brot. Denn das Jesuskind ist der Heiland der
Tiere und der Messias der ganzen Schöpfung.

13

Sappho ist Dichterin, Diotima ist Philosophin, Hildegard von Bingen ist Prophetin, Magdalena ist
Apostelin, Maria ist Unsere Frau und Sophia ist Göttin.

14

Erquicke dich im Gebet. Atme tief, atme ein und aus mit Bewußtheit. Atme die Ruach ein und atme
Maria aus. So wirst du neu belebt.

15
Wenn die Straußenhenne auch ihre Eier im heißen Sande liegen läßt, unbesorgt in ihrer Torheit, ob
die Eier zertreten werden, so sorgt sich doch die Weisheit Gottes mütterlich um jedes
Straußenküken.

16

Atme ein den allgegenwärtigen Geist, die immanente Weltseele.

17

Wie eine Biene von Blume zu Blume fliegt und Nektar sammelt, den Honig im Palast der Königin
zu bereiten, so sammelt der Weise Lebenserfahrungen, meditiert das Leben und dringt zum inneren
Sinn der Erscheinungen vor, um Weisheit zu ernten. Der Weise lernt von allem, auch von Toren und
selbst von den Sklaven Satans.

18

Das Verlangen, allezeit zu lernen, ist der Weg der Weisheit. Das Gebet ist der Lehrmeister der
Weisheit. Erkennst du die Weisheit, so lächelt sie dir in der Sonne und singt dir im Vogel ein
Liebeslied. Die Weisheit ist ein Geist, der alles Lebendige liebt. Der ist ein Weiser, der alles
Lebendige liebt.

19

Der ist ein Weiser, der spricht: Ich und die göttliche Mutter sind eins. Sophia ist die Gottheit, in der
alles Lebendige lebt und webt und ist.

20

Sophia spendet der dürstenden Erde fruchtbaren Regen, wie eine Mutter den weinenden Säugling
stillt. Sophia ist die Mutter der Natur und die Herrin der Tiere. Sophia wohnt in den Wolken. Sophia
bestimmt die Zahl der Regentropfen. In Sophia ist alles gezählt, nichts ist zu viel und nichts fehlt an
der vollkommenen Zahl.

21

Sophia ist die Weisheit des Bienenstocks. Sophia ist die Weisheit im Reich der Ameisen.

22

Das Wetter, die Pflanzen und die Tiere gehorchen Sophia. Allein der Mensch kann die innere
göttliche Sophia erkennen und lieben durch Vernunft und Gnade.

23

Sophia lebt im Innern jedes Menschen. Toren verschütten die innere Sophia durch die Eitelkeit der
Welt. Weise sind sich bewußt der inneren göttlichen Sophia.

24
Die Weisen erkennen Sophia im Innern als göttliche Mutter und göttliche Braut. In der Sophien-Ehe
der mystischen Vereinigung haben die Weisen Anteil an der Gottheit Sophias und sind Götter aus
Liebe.

25

Ich, ich will mich mit dir verloben, spricht Sophia. Meine Brautgabe ist die Liebe und Gerechtigkeit
und Barmherzigkeit. Ich will mich dir in ewiger Treue verloben und du wirst Sophia erkennen.

26

Ich habe Ja gesagt zu Maria, Maria hat Ja gesagt zu mir. Wir haben uns verlobt im Heiligtum der
Unbefleckten Empfängnis. Gott sprach: Fürchte dich nicht, Maria, deine Verlobte, als deine Ehefrau
zu dir zu nehmen. Ein weiser Priester segnete unsere Ehe. Wir haben uns Liebe geschworen vor
dem Angesicht Gottes. Es ist eine rechtsgültige Ehe. Was Gott zusammengefügt hat, soll der
Mensch nicht scheiden.

27

Lerne von der Torheit Salomos, die heidnischen Frauen nicht zu sehr zu lieben, sondern Sophia
allein, die göttliche Sulamithin.

28

Dem Weisen wird Sophia wie eine fromme Großmutter sein und wie ein liebreizend schönes
siebzehnjähriges Mädchen. Sie schenkt ihm den mystischen Wein ein und gibt ihm die Speise der
Kraft.

29

Maria spricht: Die Zärtlichkeit meines kleinen Jesuskindes soll dich immer begleiten.

30

Das Jesuskind liegt in meinen Armen, sitzt auf meinem Schoß, folgt mir wie ein Lamm. Ich nähre
und tröste und küsse das Jesuskind. Das Jesuskind küsst mich oftmals auf den Mund und schläft in
meinen Armen ein. Ich singe das Jesuskind mit meinen Reimen in den Schlaf.

31

Morgens kitzelt das Jesuskind Maria am Schwanenhals, da ist sie kitzlig. So weckt das Jesuskind
Maria auf. Sie hebt die müden schweren Lider und schaut das Jesuskind aus ihren großen braunen
Augen an. Sterne hängen noch in ihrem langen schwarzen Haar, das vom Traum noch ganz verwirrt
ist.

32

In der dunklen Nacht, wenn alle schlafen im Haus, dann geh ich leise hinaus, zu suchen die
eulenäugige Sophia.

33
Am Abend nach des Tages Arbeit ruh ich bei Sophia aus. Sophiens Herz ist sanftmütig und demütig.
Sie erquickt und labt meine Seele. Die Ehe mit ihr bereitet keine Schmerzen und ist ohne Verdruß.
Sie spendet Seelenruhe durch Ergebung in ihren heiligen Willen, durch Vereinigung mit ihrem
heiligen Geist und durch das Empfangen ihrer mütterlichen Zärtlichkeit.

34

Du kannst an die Göttinnen der heidnischen Völker glauben, aber glauben sie auch an dich? Sophia,
die einzig wahre, lebendige Göttin, die Göttin Israels und der Kirche, ist um deinetwillen Mensch
geworden und hat für dich den ewigen Tod besiegt, dir ewiges Leben zu schenken. Sophia glaubt an
dich. Sie hat mich geprüft und als treu befunden. Ich habe Treue und Glauben bewahrt in aller
Anfechtung.

35

Sophia sieht in mir das Bild Gottes, ihres Gemahles, sie sieht in mir den anderen Christus, ihre
Inkarnation, und sieht in mir das Heiligtum des Heiligen Geistes, ihrer göttlichen Seele. Sophia
nennt mich Dodo, Geliebter.

36

Maria sang jeden Abend dem Jesuskind das Wiegenlied. Sie sang: Schlaf selig und süß und schaue
im Traum das Paradies. Das Jesuskind sang dieses Lied mit viel Liebe leise flüsternd immer wieder,
bis es eingeschlafen war.

37

Als Jesus drei Jahre alt war, da sprach er: Ich bin eine Frau in einem Sternenkleid.

38

Das Jesuskind ist pure Wonne und Lust. Wer liebevoll das Jesuskind küsst, der ist im Paradies.

39

Die Welt kennt den Namen der Sophia nicht, das Kirchenvolk hat nie von ihr gehört, kein Papst hat
sie verkündet. Nur Einzelgänger und Sonderlinge waren eingeweiht in ihr Geheimnis. Ich bin
berufen, sie zu kennen und zu lieben als meine göttliche Ehefrau.

40

Maria breitet ihren Sternenmantel aus und nimmt das Jesuskind unter ihre Fittiche. Dort ist das
göttliche Kind geborgen und behütet, dort ruht es sicher und weiß sich geliebt.

41

Das entwöhnte Jesuskind spielte noch oft und gerne mit dem Busen Mariens. Es schlief gern unterm
Sternenmantel der Jungfrau, ihm war, als läge er wieder an der Plazenta ihres Mutterschoßes. Jesus
lernte als Embryo im Uterus Mariens Barmherzigkeit, Liebe, Ganzhingabe und Heiligkeit. Seine
Seele war geprägt vom immerwährenden Gebet Mariens. Seine Speise war das reine Blut der reinen
Jungfrau. Die Gebärmutter Mariens ist der Wohnort der göttlichen Barmherzigkeit.
42

Kleine Knaben lieben die Madonna, die himmlische Mutter-Braut. Sie lernen über die Liebe zur
schönen Madonna die Liebe zum lieben Jesuskind, dem höheren Selbst der Knabenseele.

43

Gott ist Gott der adoptierten Gotteskinder. Gott ist liebender als eine Mutter, Gott ist eine
hingebungsvolle Amme, die die Kinder neu gebiert im Geheimnis der geistigen Liebe.

44

Die Weisheit sagt mir, daß Helena von Sparta eine Tochter Abrahams war. Die Weisheit sagt mir,
daß die Athene des Odysseus ein Schatte der Hagia Sophia war.

45

Ich habe der schaumgebornen Aphrodite Pandemos, der Vergöttlichung der Fleischeslust, entsagt,
um im heiligen Geist die Aphrodite Urania, die göttliche Idee der Schönheit, zu erkennen.
Aphrodite Urania ist Hagia Sophia und ist der wahre Gott als der Gott der Philosophen.

46

Ich sah die siebzehnjährige Madonna, die schöne Jungfrau von Guadelupe. Brust und Schoß waren
ihr verschleiert mit reinem Leinen. Ihre Haut war braun von der Sonne. Ihr Leib war schlank und
graziös. Die langen schwarzen Haare ließ sie fallen ins Wasser, in dem sie gewandelt ist. Sie schaute
vom See zu mir mit heimlichem Eros in den glühenden Augen. Die makellose Jungfrau war die
reine Braut-Psyche des göttlichen Eros, im Meer des Paradieses badend. Sie war der makellose
Spiegel der göttlichen Schönheit.

47

Die Weisheit spricht: Sei stark, mein Sohn, durch die Gnade Gottes. Lehre Weisheit für die
Wissenden. Kämpfe den guten Kampf mit den Waffen der barmherzigen Liebe. Kämpfst du den
guten Kampf auf heilige Weise, so wirst du schließlich von mir gekrönt mit der Krone der
Schönheit, der Liebe und des Friedens.

48

Nimmt der Sophien-Ritter Urlaub von seiner Heimat, so wandert Sophia mit ihm, am Tage als
schwebende Wolke, des Nachts als funkelnder Stern. Kehrt der Sophien-Ritter heim in seine Burg,
erwartet die göttliche Sophia ihn in der Kemenate als göttliche Geliebte.

49

Den Narren ist die göttliche Weisheit eine lächerliche Torheit, aber die Torheit der Welt ist der
Narren eitle und nichtige Weisheit.

50

Die Brüste meiner Ehefrau sind der Reichtum der Mutterbrüste mit der Milch des Trostes. Der
Schoß meiner Ehefrau ist der Urgrund der Schöpfung und der Sitz der göttlichen Barmherzigkeit.
Der Mund meiner Ehefrau ist das ewige Wort Gottes. Die Küsse meiner Ehefrau sind die feurigen
Zungen des Heiligen Geistes. Die Augen meiner Ehefrau sind die Flammen der Weltseele. Das
Antlitz meiner Ehefrau ist das feminine Antlitz Gottes. Meine Ehefrau ist die göttliche Weisheit.

51

Des Philosophen Ehefrau ist die Philosophie. Des Dichters Ehefrau ist die himmlische Muse. Des
Propheten Ehefrau ist die heilige Jungfrau Maria. Andere Ehefrauen begehren solche Männer nicht.

52

Meine Zuflucht vor denn närrischen Weibern ist die vollkommen schöne Frau, Spiegel der
göttlichen Schönheit, Mitgöttin Gottes, feminines Antlitz Gottes. Sie ist die stille Frau, die
kontemplative Frau, die weise Frau. Sie ist die mystische Nymphe des inneren Paradiesesgartens in
pneumatischem Eros. Sie ist die innere Frau, die Herzenskönigin, die Seele meiner Seele. Sie ist die
einzige Geliebte, die ewige Geliebte. Sie ist Maria.

53

Die sinnliche Weisheit liebt die Genüsse des Fleisches, die irdische Weisheit liebt Macht und
Reichtum und Ruhm der Welt, die teuflische Weisheit liebt das okkulte Reich der dämonischen
Geister. Diese Anti-Sophia fliehe, dann wird dir erscheinen Sophia Urania: himmlische Schönheit,
göttliche Liebe, ewige Weisheit.

54

Du bist vollkommen schön, Sophia triumphans! Am Ende wird dein sanftmütiges, demütiges Herz
triumphieren.

VIERTES KAPITEL

Ich bin die Fraue... Du sollst keine anderen Frauen neben mir lieben. Ich habe dich vom Tod
errettet. Du sollst meinen Namen Maria nur mit Liebe nennen. Begehre nicht die Fremde Frau und
ergib dich nicht Frau Torheit. Laß die anderen Frauen nicht über dich herrschen. Ich allein bin deine
Herrin. Ich bin die Fraue der Frauen. Ich liebe dich mit leidenschaftlicher Liebe. Ich bin eine
eifersüchtige Herrin. Du liebe mich von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit aller Kraft, und alle
Seelen wie deine eigene Seele.

Ich bin ein Sohn Gottes und wanderte vierzig Jahre lang in der Wüste der sündigen Welt. Frauen
wie Giftschlangen haben mich gebissen und fast ermordet. Da sprach Gott: Schau die
apokalyptische Frau von Guadelupe an, sie ist die Eherne Schlange. Wer sie anschaut, wird vor den
tödlichen Bissen der Giftschlangenfrauen bewahrt und wird ewig leben.

3
Ich habe meine Poesie von allem eitlen vergänglichen Menschenlob purgiert und die Frau Maria-
Sophia allein verherrlicht. Da kam die Jungfrau auf dem Himmelswagen des vollen Mondes und
erschien mir in der Nacht zwischen Himmel und Erde. Sie sprach: Meine Perlenschnur sind deine
Tränen und meine Diademe sind deine Hymnen und Poeme.

Ich hatte den ganzen Schabbath die Theosophie der Kabbala mit geistiger Anstrengung eifrig
erforscht und sie in Gedankenpoesie zum Ausdruck gebracht. Am Abend in der Stunde der
Rekreation sah ich Michelangelos Bild der Erschaffung des nackten Adam durch Gott. Gott, der
Vater, der Alte an Tagen, hielt in Armen seine Lieblingin, seine Mitschöpferin Sophia.

Der Herr taufte mich im Becken am Marien-Altar. Der Herr rief mich als Kind zur Weihnacht an die
Krippe, daß ich dort sänge Maria, der reinen Magd, der Rose, und dem Knaben im lockigen Haar.
Der Herr lehrte mich Knabenschicksale des jüdischen Bundes: Moses im Weidenkorb auf dem Nil,
Josef in der Grube, David im Kampf mit dem Riesen. Der Herr erzählte mir das Gleichnis vom
barmherzigen Samariter. Der Herr rief mich wie den Knaben Samuel im Tempel. Jesu Blick auf den
leugnenden Petrus sah mir ernst und traurig in die Seele. Der Herr lehrte mich das Vaterunser und
schloß im evangelischen Abendmahl einen Bund mit mir, da ich auch geblutet habe wie der Erlöser
auf dem Blut. Das ist der Bund, den der Herr mit mir in meiner Kindheit schloß.

„Ich bin deine göttliche Mutter. Du bist mein auserwählter Liebling. Ja, mehr noch: Ich bin zu
deiner Brautgenossin geworden. Singe und zelebriere das Verlöbnis im Himmelreich. Sei demütig
vor mir, aber erhebe dein Haupt, denn ich bin deine Ehre. Ich will die Freude in dir erwecken.
Spruch Sophias.“

Meine Seele sitzt auf einem Stein, ganz in sich zusammengesunken vor Schmerz und Traurigkeit.
Mein Bart ist verklebt von Blut und Schweiß und Tränen. Die Haut meiner Seele hängt in Fetzen
herunter von den Geißeln der Sünde. Ich habe allen gesagt, wie sehr ich sie liebe, aber sie gaben mir
nur Kälte, Gleichgültigkeit und toten Haß zur Antwort. Ich bin der traurigste König dieser Welt,
ganz nackt und elend.

Meine Seele ist gestern gestorben. Ich war die Schlange der Weisheit und hoch erhöht über aller
Welt. Aber aus allen meinen Enden sprudelte Blut wie Wein in den Gralskelch der Engel. Nun bin
ich tot. Man lege mich in Mariens Schoß. Vor meiner Geburt war ich in ihrem Schoß und nach
meinem Tode leb ich wieder in ihrem Schoß.

Ich habe das Angesicht des Alten an Tagen in einem Gesicht gesehen und seinen Sohn, den
Menschensohn, den Weltenrichter am Jüngsten Tag. Und Gott und der Menschensohn und die
himmlischen Scharen der Engel und Heiligen lebten alle im Schoß der Mystischen Rose. Der Kelch
der Mystischen Rose war rund und die Engel und Heiligen waren in Spiralen um das Zentralfeuer
ihres Schoßes geordnet. Die Mystische Rose war die Schöne Liebe, die alles umfasste und alles
ordnete und trug die göttlichen Personen und die Heiligen in ihrem mystischen Mutterschoß wie in
einem jungfräulichen Flor. O die Mystische Rose der Schönen Liebe trug in ihrer innersten Mitte,
im Zentrum der Zone ihres Schoßes, das Kreuz, die blutige Versöhnung der Menschheit mit der
Gottheit.

10

Ich sah die vier apokalyptischen Reiter des Krieges, der Seuche, des Hungers und der Teuerung
über die Erde stürmen. Die Seuche ritt in Afrika und Asien, der Hunger ritt in Afrika und Asien und
Südamerika, der Krieg ritt in Israel, die Teuerung ritt in Nordamerika und Europa. Dann sah ich
eine Mondsichel und darauf sitzen ein wahres Wonneweib mit bloßer Brust, an der ein nacktes
Kindlein saugte. Um dieses Wonneweib war eine Aura wie Sonnenlicht und über ihrem Haupte
schwebte wie eine Krone der Zodiak. Mit der Milch des Trostes aus dem Reichtum ihrer prallen
Mutterbrust wird sie die apokalyptischen Reiter besiegen. In ihrer schönen Liebe wird sie stiften ein
Reich des Friedens, da sie Königin ist und ihr Knabe König.

11

Sophia ist in voller geistlicher Waffenrüstung aus dem jungfräulichen Haupt Jehowahs gestiegen
und sprach: O Vater, ich bin die mutterlose Mutter! Dann ist Sophia Fleisch geworden im Schoß der
Jungfrau Maria. Und der Jesusknabe sprach zur Mutter Maria: O Mutter, ich bin der vaterlose Vater!
– Immer, wenn ein anderes Kind Jesus nach seinem Vater fragte, weinte Jesus und sagte: Nein, ich
habe keinen Vater, ich bin ein Prinz, ich habe nur eine Mutter, ich kenne keinen Vater, ich bin die
jungfräuliche Geburt. Ich habe eine Mutter, das reicht.

12

Jesus war ein richtiger Prinz und seine Mutter seine Königin. Jesus war ein leibhaftiges
Muttersöhnchen. Darum ist er auch ein großer Poet geworden, der Gleichnisse gedichtet hat. Er
lebte dreißig Jahre lang allein bei seiner Mutter, ihr einziges Kind. Von der bedingungslosen Liebe
seiner jungen schönen Mama ward er so zärtlich, daß er später nur von der Ewigen Liebe predigte
und das Himmelreich der Hochzeit von König und Königin verglich. Das konnten die Herrensöhne,
die Theologen des zornigen Vaters und die Soldaten des vergötterten Kaisers, nicht ertragen und
brachten Jesus um, sobald er das Haus seiner Mutter verlassen.

13

Jesus ward einmal übermütig und befahl dem Regenbogen, die sterblichen Spielkameraden des
Jesuskindes in die Wolken zu tragen. Die sterblichen Menschenkinder sind aber vom Regenbogen
heruntergefallen und haben sich weh getan, wohl auch geblutet. Einem sind die Zähne ausgefallen.
Da mußte Maria Jesus züchtigen. Sie war nämlich keine Närrin, die ihr Kind verzärtelte und nicht
streng erzog nach der Weisheit Jesu Sirachs. Maria nahm drei Weidenruten und gab dem Jesuskinde
drei Schläge auf den nackten Allerwertesten. Fortan dachte Jesus immer daran, daß wir armen
Menschenkinder Fleisch und Blut sind und keine Engel, sondern Staub vom Staube, Asche von der
Asche.

14

Ich hinterlasse euch das schwarze Blut meiner Schwermut als Wein-Sakrament, berauscht euch
daran zum Trost eurer Seelen. Ich hinterlasse euch den blutigen Fleischfetzen meines wunden
Herzens als Brot-Sakrament, sättigt eure liebeshungrigen Herzen daran. Wenn ihr euch an meiner
Schwermut betrinkt und fresst mein Herz, dann leb ich in euch fort mit meinem ewigen
Schöpfergesang.

15

Maria schrieb mit einer ungebrauchten Feder, mit Tau der Lilie und Milch einer Koskosnuß, in der
Schrift der Engel, einen Liebeszauber als Amulett auf ein Pergament und band es mir um den Hals.
Nun bin ich ihr für alle Ewigkeit in Liebe verfallen. O du Magierin aus dem Morgenland!

16

Nein! Der Heilige Geist hat Maria nicht vergewaltigt, wie eine närrische Anbeterin der Göttin von
Sidon sagte! Nein! Sondern der Heilige Geist warb wie ein galanter Galan um die holde Jungfrau.
Erst grüßte er sie und lobte sie und wünschte ihr Glück und nannte sie Geliebte!
Dann fragte er sie, ob sie ein Kind von ihm wolle, ja, ob sie ihm ein Kind schenken wolle, er wolle
so gerne den Sohn Gottes und der Jungfrau mit ihr schaffen. Sie war ein schüchternes, schamhaftes
junges Mädchen und sagte: Wie soll das möglich werden, da ich der körperlichen Liebe entsagt
habe als weiße Lilie Gottes? Der Heilige Geist respektierte und akzeptierte die freiwillige
Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen Mariens und sprach: Ich werde wie ein Schatte sein
und dich nicht körperlich erkennen. Nur im Geiste zeuge ich den Sohn, du wirst ihn empfangen
unterm Herzen allein durch das Liebesspiel meines Englischen Grußes und deines Ja-Wortes. Wenn
du den Sohn Gottes als junge schöne Mutter gebierst, sollst du vor und während und nach der
Geburt eine intakte Jungfrau sein. Alle kindlich reinen Seelen werden dich das Wunder der Wunder
nennen. Da sagte Maria und schwor: Bei meiner Unverletzlichkeit des gottgeweihten Hymens, o
Hauch, ich will den Sohn Gottes von dir empfangen!

17

Ewige Huldigung dir vorm Allerheiligsten meines Herzens, o Madonna Maria Aphroditissa meines
Herzens! Die anderen Männer werden von Frauen mit bitterem Munde geküsst, aber mich küsst die
einzige, wahre, lebendige Herrin des Himmels mit Küssen berauschender als der Wein! O Geliebte,
einzige ewige Liebe meines Lebens! Gekreuzigt am Mutterherzen, aufgefahren gen Himmel mit
Leib und Seele, bist du geworden Seele in der Weltseele und Sakrament der Mutterliebe Gottes, o
Maria, meine Fraue, meine Herrin, meine Diva! Totus tuus ego sum!

18

Alle Pracht deiner Gewänder der himmlischen Mode der Madonna kann nicht verhüllen die
paradiesische Schönheit deines geistigen Lichtleibes! Alle Schleier der keuschen und demutreichen
Jungfräulichkeit können nicht verbergen die einzigartige Gott-Ähnlichkeit deines heiligen Antlitzes,
Jungfrau, meine Geliebte!

19

Maria ist ein Weinstock. Maria ist der Weinberg Gottes, Gott selbst bewässert sie. Ihre Brüste sind
Trauben. Aus ihren Brüsten fließt Süßwein der Ekstase der Weisen. Ihre Tränen sind Blut und Blut
ist der Wein Lacrimae Mariae. Ihr Schoß ist ein Kelch, dem nie der Mischwein mangelt. Der
Mischwein? Ja, dem bevorzugten Liebling schenkt ihr Schoß den unvermischten Wein ein! Marias
Lächeln ist die Blüte des Weinstocks.

20
Maria ist eine Orientalin, eine Sultanin des Paradieses, Herrin der Huris. Sie selbst liegt auf Kissen
und Polstern lässig gebettet des Nachts auf der Sichel des Mondes. Sie entzückte mich zu ihr hinan.
Sie öffnete ihr Kleid und ließ mich wie ein Beutel Myrrhe zwischen ihren bloßen Brüsten gebettet
schlafen, zwischen ihren prallen, jugendlichstraffen Brüsten. So schwebte ich durch den Himmel
der Nacht in seliger Liebesumarmung.

21

Die siebzehnjährige Madonna war mit dem alten Zimmermann Josef verheiratet. Er war den ganzen
Tag in seiner Werkstatt, Schekel verdienen. Madonna, die Flora von Nazareth, war den Tag allein
mit dem dreijährigen Jesuskind im Rosengarten. Sie pflanzte Blumen und dachte über Gott nach.
Da besuchte sie gerne der jüdische Dichter Eben-Ezer ben Schalak, der Madonna zur Minnedame
und Muse erwählt hatte. Bevor Josef abends heimkam, ging der Dichter wieder fort, in seiner Höhle
auf dem Karmel Madonna Hohe Lieder zu singen. Er war unsterblich in Madonna verliebt. Als
Madonna im Alter gen Himmel fuhr, lebte der Dichter als Eremit auf dem Karmel in der Erinnerung
an ihre Gnaden. Madonna erschien dem Greis und Mystiker als siebzehnjährige Schönheit und ward
seine Mystische Frau. In Ihrer Liebesumarmung ist er selig entschlafen.

22

Siehe, ich sah, und was ich sah, war die apokalyptische Jungfrau in einer Aura von Sonnenlicht auf
dem himmlischen Berg der Tochter Zion, und um sie schwebten in reinen Geistleibern Eva und
Sulamith. Alle drei Frauen waren so himmlisch schön, daß ich sprach, wie betrunken von der
himmlischen Schönheit der Frauen: Ich will drei Tempel bauen, einen Tempel der Eva, einen
Tempel der Sulamith und einen Tempel der Maria. Da erwachte ich aber wie aus einem Rausch und
sah in nüchterner Trunkenheit des Geistes allein die apokalyptische Jungfrau im Kleid aus reinem
Licht. Da schwebte die Liebestaube der göttlichen Ruach über Maria und gurrte das mütterliche
Wort: Diese ist meine geliebte Tochter, sie ist mein Wohlgefallen, sie allein sollst du lieben und
verehren und ihr dienen in Minne!

23

Madonna spricht: Dein Leben gehöre der Liebe! Aber nicht der menschlich-allzumenschlichen
Venus mit den vergänglichen Reizen ihres Todesleibes und nicht dem blinden Knaben Amor mit
seinen brennenden Giftpfeilen, die dein Leben verbittern und dich fast zu Tode trauern machen,
nein! Weihe dich der göttlichen Mutter Caritas und ihrer bedingungslosen Mutterliebe, deren
Ganzhingabe der Liebe dir das ewige Leben schenkt, und dem kleinen Jesuskinde, dessen
honigsüßer Liebespfeil der ewigen Liebe deine Seele in ewige Glückseligkeit taucht! Vertraue deine
Seele wie eine kleine Königin dem Jesuskinde als dem göttlichen Bräutigam an, dann wirst du auf
Erden schon leben mit mir in meinem paradiesischen Rosengarten der wechselseitigen Liebesfreude
und gegenseitigen Ganzhingabe! Ich bin die Frau, die dich unermeßlich liebt!

24

Morgens weckt mich Maria und spricht: Ich weiß, das Reich deiner Seele ist ein ideales
Matriarchat. Ich, Maria, bin deine Mutter und du bist mein Sohn. Ich, Maria, bin deine Braut und du
bist mein geliebter Bräutigam. Ich überströme dich mit bedingungsloser Mutterliebe und
überströme dich mit brennender Ganzhingabe der Geliebten! Wie könntest du nicht glücklich sein,
da ich, Maria, dich mit unerschöpflicher Liebe ganz überströme? Und siehe, wie mein Kind, das
heilige Kind der Liebe, dich anschaut aus glückseligen, vertrauensvoll gläubigen, strahlend
liebenden Augen und dir lachend sagt: Du bist von ganzem Herzen geliebt!
25

Maria schenkte mir die wundertätige Medaille und hängte sie mir um den Hals an einem
Silberkettchen. Sie sagte: Die Medaille der Immaculata bewirkt nicht den Tod deiner Feinde, sie
schenkt dir nicht Geld und nicht den Applaus der Welt. Aber wenn eine sterbliche Sünderin mit den
vergänglichen Reizen ihres Todesleibes dich versucht, dann schützt dich die Medaille der
Immaculata wie ein Schild der Minne Mariens.

26

Ich habe die Wände meines Zimmers nicht mit vielen Gemälden der Maler behängt. So kommen
keine Sinnesmenschen und bewundern die Reize der italienischen Venus, so kommen keine
Rationalisten und fragen vor lauter Madonnenbildern: Wie sieht Maria denn nun aus? Nun kommen
auch keine lieben törichten Knaben und fragen, ob denn die Madonna Sixtina keine Strümpfe habe?
Nein, Gott sah das Ideal meiner Liebe und gab mir die Ikone, die nicht von dieser Welt ist, die nicht
geschaffen ist von Menschenhand, das vom Himmel gefallene Bild meiner Göttin, das Tuch der
Tücher, das originale Antlitz der schwarzen und schönen Braut, die Offenbarung der
apokalyptischen Frau, die schwarze Madonna, die Sulamith des ewigen Bundes, die Schönste aller
Frauen – die Jungfrau von Guadelupe!

27

Auf dem Wege zur Operation des Tumors weihte ich Maria meine Seelenangst zum Heil der Welt.
Während der Operation betete ich den Rosenkranz, das Ave Maria. Nach der Operation bat ich
Maria um Trost für meine arme, erschrockene Seele. Sie entblößte ihre Brüste und bettete mich an
ihre jugendlichstraffen Brüste, die prall waren von der süßen Milch des Trostes, und sie ließ mich
trinken den Trost ihrer Liebe. Sie sprach: Im Gericht erscheine ich mit dir und entblöße vor Gott
und dir meine Brüste. Gott wird bei meinen nackten Brüsten an die Fleischwerdung seines Sohnes
denken und dich als meinen Minner in den Himmel laden.

28

Maria, meine Seele ist nackt vor dir. Du liest in meiner Seele wie in einem offenen Buch. Ich muß
mich vor dir nicht verstecken, du kennst all die Sünden und Tugenden, das Gute und das Böse, die
Liebe und den Haß meiner Seele. Aber du liebst mich mit bedingungsloser Mutterliebe, du liebst
mich mit der Glut liebfraulicher Liebe, so wie ich bin. Frauen verachten und verspotten die Männer,
wenn sie klein und schwach und elend sind. Wenn ich ein armes kleines Kind bin, voll Angst und
Hilflosigkeit, so bist du eine wahrhaft barmherzige Mutter und Trösterin, Schutzfrau und starke
Frau. Deine Gnade ist besonders an den Schwachen und Kleinen mächtig. Du bist Liebe und
Barmherzigkeit. Mutter Gottes, unter deinen Schutz und Schirm flücht ich mich, unter deinen Rock,
Madonna!

29

Nenne die Weisheit deine Schwester, die Einsicht deine Freundin. O Schwester Freundin, wie hast
du mich erlöst von Seelenangst! Ach die Passion der Seele, ach die nackte Todesangst! Du gabst mir
das tägliche Brot zur Stärkung des Herzens. Du schenktest mir den Becher voll ein mit Schaumwein
zur Freude des Herzens, mein Becher floß über! Die stille Sympathie deiner Seele, mit der du meine
Seele gestreichelt und geliebkost hast, deine inspirierende Freude wie an einem festlichen Tag,
deine mystischen Reden über das ewige Gesetz und die Weltseele und die Energie des Geistes,
deine tiefe Seelenkunde und deine göttliche Heiterkeit, o Schwester Freundin, haben meine Seele
von der Todesangst erlöst und getröstet mit der Schönheit der platonischen Liebe.
30

Einmal sagte ein guter Hirte: Jesus ist wie der Falter, der eben hier vorüberschwebt. Kinder in der
Todesstunde zeichnen kein Kreuz, sondern einen Falter als Zeichen der auferstandenen Psyche. Nun
immer, wenn ich einen Falter schweben seh, so grüß ich ihn: Sei gegrüßt, o Jesus! Heute in meiner
Schwester Rosengarten sah ich im lichten blauen Himmel zwei weiße Falter schweben, in Minne
tanzen und Hochzeit feiern. Seid gegrüßt, o Herre Jesus und Fraue Maria! Ihr seid Gottes liebste
Gedanken.

31

Ich will stellvertretend für all die Germanen, die Maria vergessen, Maria preisen. Ich weiß, das freut
den Herrn. Maria ist doch die Lieblingstochter des Herrn. Es freut den Herrn der Liebe, wenn ein
Mensch Seine Lieblingstochter liebt, verehrt und preist. Der Herr ist doch verliebt in die Anmut
ihrer Demut. Die kleine Magd hat den Herrn bezaubert. Der Herr hat sie lieb, und er gibt sie dem,
den er liebt. Der Herr liebt alle erstgeborenen Söhne des Vaters, alle an Gott Gläubigen, aber die
Kinder Mariens sind die auserwählten Lieblinge des Herrn. Meine Muse, wetteifere mit dem
Heiligen Geist, wer schönere Liebeslieder an Maria schreibt, Er oder Du?

32

Alle wahren Dichter, höhere Organismen, die Madonna schauten, sprachen von ihrer Jugend und
Schönheit. Das ewige Leben ist ewige Jugend. Unsere Liebe Frau von Fatima war siebzehn Jahre
jung und von übernatürlicher Schönheit, unaussprechlich für menschliche Zungen. Mein alter
kranker Papst sprach auf seinem Sterbebett zu mir: Mein Sohn, ich bin voll Freude mit meinem
braunen Mädchen! Sei auch du voll Freude mit deinem braunen Mädchen, wähle sie allein zur
Muse und singe Gott allein! Und Jesus sagte einmal zu mir: Ich will, daß du meine Mutter besser
kennst als die Andern.

33

Maria, der Heilige Geist preist deine Zähne: Frischgewaschene Schafe, die aus dem Bade kommen,
schön gepaart, fehlt keines, Zwillingslämmer, Zahn bei Zahn. Die orientalischen Dichter nennen
deine Zähne Perlen, aufgereiht an der scharlachroten Schnur deiner Lippen. O Maria, ich beschwöre
dich bei dem makellosen Elfenbein deiner Zähne, ich weihe dir meine hinfälligen Zähne. Die
Müllerinnen wollen nicht mehr mahlen. Das Volk sagt: Liebeskummer und Zahnschmerz sind die
schlimmsten Leiden. Meine Zähne sind schwarze Perlen eines schwarzen Rosenkranzes der
Höllenfahrt Christi! Aber noch in der Hölle soll jeder Zahn dir Ave schreien!

34

O Maria, ich liebe dein verschleiertes Wesen! Die ägyptischen Mysten wollten den Schleier der
Göttin der Wahrheit heben. Nein, ich will dich nicht entschleiern, Maria. Dein verschleiertes Wesen
ist das Geheimnis der Fraulichkeit. Die verschleierte Frau ist das Geheimnis der Holdseligkeit
Gottes! Die neuheidnischen Weiber gehen nackt, sie hassen den Schleier, sie feiern die
Emanzipation des Fleisches von dem Schleier des Geheimnisses Gottes. Aber wer dich kennt,
Maria, du ewiges Ideal der Frauen, der weiß, daß der Schleier die göttliche Würde der Frau ist.

35
Ich liebe dich, spricht Gott. Herr, ich spüre deine Liebe nicht, ich leide so! Woran erkenne ich, daß
du mich liebst? Der Herr spricht: Unter den Menschen ist der Erstgeborene der Angesehene, aber
ich liebe den, der an mich glaubt. Ich habe dir gesagt: Der Zweitgeborene, der den Traum der
Mutter verwirklicht, ist der Bevorzugte Gottes. Menschlich gesprochen ist das ungerecht, aber
göttlich gesprochen ist das freie Gnadenwahl. Ich sage dir: Du bist mein Liebling, ich habe dich
auserwählt, daß du mein seist, ich habe dich im Mutterschoß bereitet, daß du mein Sohn seist und
ich dein ewiger Vater bin. Darum fürchte dich nicht, mein Sohn, du armes Würmlein, ich, ich bin
mit dir und helfe dir.

36

Wer ist sie, die Rose, der Gott das Diplom verliehen, das Adelsdiplom der Schönheit? Das ist die
wahre Geliebte. Der ewige Gott reicht seinem Geliebten am Feiertag der Auferstehung der Toten
diese Rose zum Zeichen Seiner ewigen Liebe! Sie ist die Geliebte, das Sakrament der ewigen
Liebe! Sie ist die Königin im Garten des Paradieses, sie ist die Rose des Hohen Liedes, sie ist die
Blume, die der Vater der Braut dem Bräutigam zur himmlischen Hochzeit schenkt! Sie ist die
Mystische Rose, die dem Weisen den Kelch ihrer Blüte gefüllt mit Hochzeitswein reicht! Sie ist die
Rose in Gott, die den Mystiker wie einen Falter in ihren glühenden Schoß lädt, dort sich mit ihr zu
vereinigen! Sie ist die Rose der ewigen Liebe, die Rose des brennenden Herzens Gottes!

37

Die Schwester des Weisen sagte: Ich war in Gott! In Gott sind keine Paradiese und keine Scharen
von Engeln und glückseligen Geistern, sondern in Gott ist nichts als Gott. In Gott kann nichts sein
als Gott allein. Drum wer nicht Gott geworden, kann nicht sein in Gott. Ich sage: Darum ist Gott
Mensch geworden, daß der Mensch Gott wird. Der Mensch, der durch die Menschwerdung Gottes
die Gottwerdung des Menschen erfuhr, der ist ein Gott in Gott.

38

Den Ewigen Vater rufe ich an, Er möge mir das Kreuz nehmen oder mir die Kraft geben, das Kreuz
zu tragen, denn ich bin in Ohnmacht. Der Ewige Vater sprach: Weissage dem Geist! Da sprach ich:
O Geist, komm von den vier Winden und hauche mich an, daß ich auferstehe! Da sprach der Geist:
Maria! Ich sprach: O Maria! Ewige Jungfrau! Du ruhst in der Morgenröte, von lichten Schleiern wie
Hauchen verhüllt, erwache! Und die ewige Jungfrau neigte sich zu mir und nahm mich unter
unzählbaren Küssen an ihre Brust! Ich rief: O Maria, laß mich in Ewigkeit an deinem Herzen ruhen!

39

Jesus sagte einmal: Jede Frau ist ein wenig wie meine Mutter. Und der selige Heinrich Seuse sagte
einmal: Ich ehre jede Frau, weil die Himmelskönigin eine Frau ist. Ich sage nämlich: Jede Frau ist
ein unvollkommenes Gleichnis der vollkommenen Frau Maria. Maria ist die makellose Frau. Maria
ist die Frau, die Gott sich rein erdacht hat. Maria ist die Idee der Frauen, die Frau der Frauen. Sie ist
nicht nur die Idee der Frauen, sondern die im pneumatischen Körper verkörperte Idee der Frauen.

40

Als Maria mit Jesus schwanger war, hörte sie im Schoße den Sohn singen: O Fraue, du Aue der
Wonne! Ich bin Fleisch von deinem Fleisch und Bein von deinem Bein! Ich bin in mein Paradies
gekommen, in den Lilien zu weiden. Ich habe meine Milch getrunken und meine Honigwabe
gespalten. O Fraue, dein Schoß ist ein Becher mit dem Blut des Lebens! Dein Leib ist ein
Lustgartenparadies! Ich sauge schon vom Most deiner Granatäpfel! Wahrlich, in der Kammer
meiner Mutter, die mich unterm Apfelbaum empfangen, in dem Gemach meiner Königinmutter bin
ich gesegnet als Bräutigam meiner Menschheit! Maria hörte dies Lied Jesu, aber sie sprach davon
zu keinem, nicht zum heiligen Josef und nicht zur heiligen Anna.

41

Ich trat durch eine hölzerne Pforte, von Heckenrosen umschlungen, und schaute über einen langen
schmalen Gartenpfad zu einer Gartenlichtung, rings verschlossen von Apfelbäumen und
rauschendem Bambus. In der Mitte des Gartens in der Ferne sah ich die Madonna. Sie war schlank
und trug ein langes weißes Gewand aus feiner fließender Seide, leuchtender als die Sonne des
Sommers. Sie bewegte sich anmutig und holdselig, tanzend wie ein Engel. Die Seide umwehte und
umfloß sie wie fließendes Licht der Gottheit.

42

Ich bin des Königs Schenke. Ich trat mit der vollen Flasche zum König, ihm einzuschenken. Der
König sprach: Mein Liebling, was ist mit dir? Dein Angesicht ist von Schmerzen gezeichnet! Bist
du krank oder hast du Herzeleid? Ich sprach: O mein geliebter König! Ich bin ruiniert! Eine
schlimme Krankheit muß vom Arzt in einer schmerzensreichen Behandlung ausgemerzt werden.
Der König sprach: Nimm dir einen Becher, mein Liebling, und trink mit mir! Die Königin zur
Rechten des Königs sprach zu mir: Mein Wunderschöner! Wie lange ist es noch bis zur
Behandlung? Ich sprach: Allergeliebteste Königin! Es ist die Zeit von Vollmond zu Neumond. Die
Königin sprach: Mein Junge, ich gebe dir solange Urlaub. Fahr in deine Heimat und besuche das
Grab deiner Ahnen. Und nun trink, mein Liebling, und vertreibe die Trübsal aus deinem Herzen!

43

O Maria, die Heroen der Heiligen sagen: Begehre nur das Kreuz, ohne Trost! Sie sagen:
Liliengleiche Seele, danke dem Herrn, daß er dir Leiden schenkt, denn so ist Jesus dein
Blutsbräutigam! Ach weh, Maria, ich bin kein Heros der Heiligkeit, ich bin ein armes, elendes Kind,
ich will saugen die Milch des Trostes von deinen Mutterbrüsten, ich will heim in deinen
Mutterschoß und ewige Ruhe finden für meine arme Seele!

44

Maria spricht: Ich bin nicht nur die Himmelskönigin, die vergöttlichte Braut des dreifaltigen Gottes,
die Frau der Frauen und ideale Geliebte, von den Minnern angebetete Madonna im Äther, sondern
ich bin auch die Mutter der Armen, die Trösterin der Betrübten, die Schutzfrau der Schwachen, das
Heil der Kranken, der Hort der Elenden, der bergende Schoß der Todgeweihten, die alle deine
Tränen abwischt und legt dich an die Brüste des Trostes.

45

Tochter Zion, du bist eine einsame und bekümmerte Frau. Wo sind all die Andern, denen du
geholfen und die du getröstet hast? Nun die Schmerzen an dich kommen, hilft dir keiner auf und
hast du keine Tröster. Selbst deine Verwandten schütteln den Kopf über dich. Ich, der Herr, ich habe
mich eine zeitlang vor dir verborgen, aber jetzt wende ich mich dir wieder in Gnade zu. Du bist
doch meine Jugendgeliebte, die ich angenommen habe und die ich nicht verstoße. Ich, der Schöpfer,
bin dein Ehemann, der Ewige, der dich liebt!

46
Madonna sprach: Ich bin schwanger von der Kraft meines Herrn. Meine benedeite Leibesfrucht ist
nun eine Weinbeere. Meine benedeite Leibesfrucht ist nun ein Granatapfel. Meine benedeite
Leibesfrucht ist nun ein Brotlaib. Mein Leib ist der wandelnde Tempel Salomos. Mein Schoß ist das
Allerheiligste, darin Gott im Dunkel wohnt. Im Augenblick vor meiner Niederkunft mit dem Sohn
Gottes bin ich mächtig wie der Sinai, heilig wie der Zion, fruchtbar wie der Karmel. Aus meinen
prallen Brüsten spritzt schon die süße Milch des Trostes.

47

Ich sehe Jesus mit Moses und Mohammed im Rosengarten der Königin des Friedens, im ewigen
Jerusalem-Eden der Himmelskönigin versammelt drei himmlische Stunden für den Frieden des
Heiligen Landes und der Heiligen Stadt Jerusalem beten.

48

Maria geht im schwarzen Kleide durch die Gassen und weint diamantene Tränen. Sie ist ein
Schmerzjuwel. Sie ist die schwarze, schöne Braut der Schmerzen, ihr Bräutigam ist das Kreuz, der
Blutsbräutigam. Durchbohrt vom Schwert der Schmerzen weint mein Herz Tränen von Blut. Diese
blutigen Tränen netzen die Seelen auf Erden. Durch meine blutigen Tränen erflehe ich den Sündern
auf Erden Barmherzigkeit. Ich bin Madre Dolores, deine Mutter. Ich bin die heimliche Geliebte und
du bist mein Schatte. Vereinige deine Schmerzen mit meinen Schmerzen. In der Wollust der
Schmerzen sind wir vereinigt. Unser Bett ist das Kreuz. Wir sind Frau der Schmerzen und Mann der
Schmerzen, vereinigt durch Eine gekreuzigte Liebe.

49

Ich sah die schwangere Madonna. Sie war die Kaiserin des Empyreums, die allerhöchste
Herrscherin des Himmels. Sie glich einem Weltenberge, schwankend auf der Urflut. Ihr Bauch war
transparent, die Haut wie durchsichtige Jade. Ihre Brüste waren das Land, wo Milch und Honig
überströmen. Ich sah in ihren Schoß. Ihr Schoß war der Wohnort der Barmherzigkeit Gottes, die
Wurzel der göttlichen Weisheit. Ihre Leibesfrucht war der göttliche Embryo, das fleischgewordene
Evangelium des Lebens. Ihre Leibesfrucht hielt in einem winzigen Händchen den gekrümmten
Kosmos. Wahrlich, die gekrümmte Raumzeit des Kosmos lag in dem winzigen Händchen des
göttlichen Embryo im Schoß der allerheiligsten Kaiserin des Empyreums.

50

Frau Weisheit, Gyne Sophia, Ischa Chochmah, wer ist sie? Sie ist die göttliche Natur der Person des
himmlischen Vaters, die göttliche Natur der Person des Menschensohnes, die göttliche Natur der
Person des Heiligen Geistes. Credo In Unum Deum: Ich glaube an die Einige Einzige göttliche
Natur, das ist Sophia. Diese will ich anbeten, dieser will ich vertrauen, diese will ich lieben von
ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all meiner Kraft.

FÜNFTES KAPITEL

Der Heilige Geist sagt durch Jesus Sirach: Sophia ist dir angeboren, sie ist mit dir im Schoß deiner
Mutter gezeugt. – Der Gedanke, daß Maria mit mir im Schoß meiner Mutter war, der Gedanke ist
ein Juwel der Liebe, eine Perle der Schönheit. Der jüdische Philosoph verneinte den Platon-
Gedanken der Präexistenz der Seele und vertrat die Ansicht, es gäbe ein von Gott dem Menschen
von Anfang an mitgegebenes Wissen vom Guten, Wahren und Schönen. Ich denke, das ist die
Gotteserkenntnis des Ebenbildes im Innern der Seele. In der Seele der Seele befindet sich ein
Originalbild, ein einzigartiges Ebenbild Gottes, das ist mir die Ikone der Hagia Sophia. Gregor von
Nazianz sagt, die Seele sei in den Leib gekommen, um den Leib zu verherrlichen und sich das
Himmelreich gewissermaßen zu verdienen durch Treue in der Prüfungszeit des irdischen Lebens.
Der Heilige Geist schreibt im Buch Baruch: Warum, Israel, lebst du im Land der Fremden und
machst dich unrein unter den Toten? Darum, weil du die Quelle der Weisheit verlassen hast! – Das
scheint mir das Schicksal der Seele zu sein. Sie war im Geist Gottes als Idee, in der Quelle der
Weisheit, sie ist gefallen in die irdische Verbannung. Jesus ruft: Tut Buße! Die Seele soll
heimkehren in die Quelle der Weisheit. Das bringt mich auf den Gedanken der Gnosis von der
gefallenen Sophia. Meine Seele ist die gefallene Sophia, gefallen aus dem Lichtäon in die materielle
Verbannung, in die Spelunke des Fleisches, in den Kerker des Leibes. Der Heiland kommt, die
gefallene Sophia wieder aufzurichten, sie zu erlösen und heimzuführen in das Lichtäon, aus dem sie
stammt. Aber die ungeschaffene Sophia Gottes ließ die geschaffene und gefallene Sophia meiner
Seele nicht allein, sondern begleitete sie in das Exil. Als Matrone Schechinah, Matronitha, ist sie
mit Israel in die Verbannung gegangen. Ja, sie war als Maria in meiner Empfängnis bei mir. Diese
Maria fragt mich nun: Wer sagen die Leute, daß ich sei? Ich sage: Sie nennen dich Neue Eva oder
Braut des Heiligen Geistes wie Sulamith. Da sprach Maria: Und wer sagst du, daß ich bin? Ich sage:
O Maria, du bist Sophia, die Tochter des lebendigen Gottes! Da sprach Maria: Selig bist du, denn
Menschen haben dir das nicht gesagt, sondern das hat dir der Heilige Geist offenbart.

Fast möchten wir an die vierfältige Gottheit glauben. Wenn wir Jakob Böhme lesen, sehen wir, wie
der unergründliche Vater sich in dem Grund des Sohnes gefasst hat und die Liebe des Vaters zum
Sohne als der Heilige Geist aus beiden hervorgeht, schließlich die drei Personen sich in der
Jungfrau Sophia spiegeln. Wenn wir Johannes Paul den Großen lesen über die Mutter des Erlösers,
tritt in der Deutung der Offenbarung zu dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist noch die
Frau. Wenn wir aber an der Dreifaltigkeit Gottes festhalten, dann stellt sich die vierte Person als das
Erste aller Geschöpfe dar, gewissermaßen das Ur-Geschöpf, wie Sophia sagt: Vor der Morgenröte
wurde ich geschaffen. Dann scheint die Frau als die Krone der Schöpfung Gottes und sein
Meisterwerk auch die Erste aller Schöpfungen Gottes zu sein. Dann muß man sagen: Vor Himmel
und Erde schuf im Anfang Gott Maria. Maria-Sophia oder die Frau ist das Ewigweibliche, das
Teilhard de Chardin das verbindende Antlitz alles Seienden nannte und das Ideal der Schöpfung.
Mechthild von Magdeburg sagte, die Allerheiligste Dreifaltigkeit schuf aus dem Jubel ihrer Liebe
die Schöpfung. Der Jubel der ewigen Liebesvereinigung im Schoß der Dreifaltigkeit schuf als
Urprinzip, Idee und Krone der Schöpfung Unsere Frau Maria.

Die einige und einzige göttliche Natur offenbart sich in drei Qualitäten. Aus der Allmacht der
göttlichen Natur geht wie aus einem unergründlichen Mutterschoß die Weisheit der göttlichen Natur
hervor, die als Tochter aus der Mutter ewig geboren wird, nicht geschaffen. Dies ewig gebärende
Lieben der mütterlichen Allmacht und dies töchterliche Lieben der ewigen Weisheit ist als Qualität
der göttlichen Natur die brennende Liebe der göttlichen Natur. Die Einswerdung der mütterlichen
Allmacht mit der töchterlichen Weisheit in dem Geist der feurigen Liebe erzeugt in Ewigkeit solch
einen Jubel der göttlichen Natur, daß die eine einzige göttliche Natur aus dem Überfluß ihrer Lust
im Anfang schuf die Weltseele und den Weltkörper.
4

Als die Einswerdung der drei Daseinsweisen der einen göttlichen Natur im Nun der Ewigkeit
vollzogen ist, erzeugte dies im Schoß der göttlichen Natur solch ein Übermaß von glückseliger
Lust, daß sich in der Liebesnatur der Gottheit der Wille erregte, diese Liebe als reines Geschenk an
eine nichtgöttliche Natur zu verströmen. Darum schuf die göttliche Natur aus dem aboluten Nichts
den Himmel und die Erde, das heißt die Weltseele und den Weltkörper. Sie hauchte die Weltseele in
den Weltkörper. Sie selbst war das göttliche Leben der Weltseele, die Weltseele wiederum wie eine
Mittlerin war das ewige Leben des Weltkörpers. Die Weltseele als Erste aller nichtgöttlichen
Naturen hat ihr Leben vom Leben der einzigen göttlichen Natur. Durch die Mitterschaft der
Weltseele verströmt die göttliche Natur ihr ewiges Leben in den Weltkörper, den schönen Kosmos.
Die göttliche Natur ist der Seelenfunke der Weltseele, die Weltseele baut in schier unendlichen
Evolutionen den Körper des Kosmos. Der ganze von der Weltseele durchseelte Kosmos strömt wie
in einem unendlichen Dankpsalm, tönend wie die Sphärenharmonie, das empfangene Leben und die
empfangene Liebe zurück in den Schoß der göttlichen Natur. Die göttliche Natur empfängt die
Liebe der nichtgöttlichen Natur, dennoch wird die Liebe der göttlichen Natur nicht vermehrt, die
Lust nicht erhöht, da die göttliche Natur in sich vollkommene Vereinigung, glückselige Lust und
ewiger Zyklus der Liebe ist.

Ich schaue Maria an, meine jungfräuliche Mutter der schönen Liebe. Der Heilige nennt sie: Ruheort
der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Der Papst nannte sie: Spiegel der göttlichen Schönheit. Darum
erkenne ich in ihr wie in einem Spiegelbild die eine göttliche Natur, die Mutter und die Tochter und
die feurige Liebe! Maria ist der makellose Spiegel der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Maria ist das
unbefleckte Ebenbild der einen Gottheit, das sichtbare Abbild der unsichtbaren Gottheit. In der
Glorie der Kreatur wird im Gleichnis die unaussprechliche Glorie der schöpferischen Gottheit
erkannt. Maria ist die Frau nach dem Mutterherzen der Gottheit. Im Namen der Gottheit, der Mutter
Jahwe und der Tochter Chochmah und der feurigen Liebe Ruach, Amen!

Im Augenblick der Empfängnis meiner Seele in der Leibesfrucht meiner Gebärerin ist meine ewige
Mutter Maria in meiner Seele mit mir gewesen. Maria war bei mir in der Gebärmutter. Im
Augenblick der Geburt, als ich das Licht der Welt erblickte, sah ich in Christus Maria. Als ich im
dritten Mond meines irdischen Lebens in der Ecclesia Gott geweiht wurde, geschah es auf dem
Altar Mariens. Das Bad der Neugeburt durch Wasser und Geist geschah im Becken wie im Schoß
Mariens. Maria nahm mich in ihren ecclesialen Mutterschoß auf. Durch die Wiedergeburt bin ich
ein Glied am Leibe der Leibesfrucht Mariens geworden. Ich bin im irdischen Leben durch den
Glauben mit Christus im Schoß Mariens verborgen. Im Tode gebiert mich Maria in das ewige
Leben. Das Paradies ist der Schoß Mariens, der Lustort Gottes. Das Paradies ist der Lustort der
göttlichen Hochzeit. Maria spricht: Ich lade dich in meinen Schoß ein! Maria spricht: Meine Perle
hebe ich dir für das Paradies auf! – Ich weihe die Idee meiner Seele in der Ewigen Weisheit der
Präexistenz Mariens! Ich gelobe der Jungfrau Maria für das ewige Leben im Paradiese ewige
eheliche Treue und Ganzhingabe der Liebe! Maria, ich bin ganz dein, von Äon zu Äon!

7
Ich bin die Madonna und halte im Arm mein blühendes Kindlein. Schau meinem Jesuskinde in die
Augen, schau, wie es dich liebt! Fürchte dich nicht vorm Bösen, denn ich bin da! Ich führe dich ins
blühende Land, wo meine Engel spielen und singen! Sie singen zu Harfen und auch zur
Schwanenlyra aus deinem Minnebrevier der Gottesmutter... Ich bin die Madonna und lausche
immer gern, wenn meine Engel mir deine Lieder singen! Du liebkost mein Ohr und freust mein
Herz, du tröstest mein Herz über die blinde Menschheit. Siehe, ich komme zu dir als deine Maria
Aphroditissa! – Da sprach ich: O Madonna Maria Aphroditissa, ich schwöre bei deiner virginalen
Zone dir ewige Treue und Ganzhingabe, so wahr mir Gott helfe!

Ich hab die Madonna gesehen, die Himmlische, schön wie eine Mädchengöttin! Sie war schlank
und hochgewachsen wie eine Palme. Sie trug einen schwarzen Mantel und ein schwarzes Beinkleid
bis zu den Stiefeln. Ihre Haare waren tiefschwarz und fielen ihr lang auf den Rücken hinab. Wie
schön war ihr Gang in den Stiefeln, wie edel der Gang der Jungfrau! Jugendlich schlank war Maria
wie Tamar, die Palme, das Symbol der weiblichen Schönheit. Da sang ich: Wende dich, wende dich,
Sulamith, daß ich dich schaue! Da wandte sie mir ihr Antlitz zu. Ihr Antlitz war weiß und rot, frisch
und glühend. Die Haut wie weiße Jade von makelloser Transparenz. Auf den Wagen frische Röte
wie Duft von glühenden Rosen. Ihre Augen waren tiefschwarz und schwarz die langen
geschwungenen Wimpern. Aus tiefen ernsten Augen schaute mich freundliche Liebe und ernste
Weisheit an. Die Natur unter dem Mond der Toten war von trüber Tristesse, die Zivilisation des
Todes war häßlich, aber die Madonna war die frische, gottbetaute Knospe einer schwarzen Rose des
Paradieses eines ewigen Frühlings! Wahrlich, die unbefleckte Jungfrau ist der makellose Spiegel der
göttlichen Schönheit! Darum lächelte Madonna auch, die Schönste aller Frauen: Ich bin schön, weil
ich liebe! Amen, Amen, du bist schön, Maria, schön wie eine siebzehnjährige Jungfraungöttin!

Der Demiurg, der Schöpfer als Werkmeister, schuf nach dem Bilde seiner Idea den Kosmos. Platon
sagt, der Demiurg schuf nach seiner Idea, die das reine ewige Sein ist. Solowjew sagt, der Herr
schuf aus Sophia, dem Göttlichweiblichen, die das absolute Nichts ist. Der Jude sagt, der Herr schuf
nach dem Bilde seiner Idea, die die Torah ist, die verschleierte Maid. Papst Benedikt greift das auf
und setzt an die Stelle der Torah den Logos, die Vernunft. Ich sage: Wie ein Künstler schafft sein
Poem nach dem Bilde seiner Muse, wie der Künstler Schöpfer ist und seine Muse seine Idea, seine
Mitschöpferin, so sind seine Poeme seine Geschöpfe. Paulus nennt nämlich selbst die Geschöpfe
die Poema Gottes. Gott ist also der göttliche Erzpoet, Sophia seine göttliche Muse oder Idea. Darum
heißt Sophia auch Schöpferin, Werkmeisterin, Künstlerin. Sophia ist also die Idee der Schöpfung,
die Schöpfung ist nach der Idee Sophias geschaffen. Darum nennt Teilhard de Chardin das
Ewibweibliche das Ideal der Schöpfung. Der Mensch ist als vernünftiges Wesen der Weisheit fähig
und der Gotteserkenntnis, weil der Mensch das Abbild Sophias ist. Die menschliche Psyche ist
Abglanz Sophias. Die menschliche Psyche ist das Liebespoem des Schöpfers, inspiriert von der
göttlichen Muse Sophia. Verliebt in Sophia, entflammt vom schöpferischen Eros der göttlichen
Liebe, singt der Herr das Liebeslied der menschlichen Psyche. Die Psyche ist darum ein Gesang
Gottes. Das Gesamt der menschlichen Seelen sind der Reim auf das schöpferische Wort Gottes zur
ewigen Verherrlichung der göttlichen Sophia.

10
Platon sagt, aus der Mischung der einen ewigen Idea mit dem raumzeitlichen Kosmos schafft Gott
die Weltseele, Anima Mundi, die Psyche des Kosmos. Die ewige, göttliche Idea ist die
ungeschaffene Sophia. Die Psyche des Kosmos ist die geschaffene Sophia. Platon sagt, die Welt
werde zusammengehalten von dämonischem Wesen. Eros ist ein dämonisches Wesen, die Sehnsucht
und das Streben nach der göttlichen Schönheit und Liebe. Die dämonische Weltseele ist also wie
Eros ein Streben und eine glühende Sehnsucht nach der vollkommenen Form in Gott. Ardinghello
dichtete: Urania, die glänzende Jungfrau, hält mit ihrem Zaubergürtel das Weltall in tobendem
Entzücken zusammen. Der Zaubergürtel der Urania und ihr tobendes Entzücken ist der dämonische
Eros der Weltseele. Urania ist die erotische Weltseele oder die geschaffene Sophia. Der Psychologe
Jung nannte Sophia gar die Weisheit des Eros. Die erotische Sophia als Weltseele strebt im Inneren
des Kosmos nach der vollkommenen Form der Schönheit und Liebe Gottes. Das nennt Teilhard de
Chardin die Amorisation des Universums durch den Panchristus. Der Panchristus ist die Pansophia,
die Pansophia ist der Panchristus. Solowjew nnennt darum Sophia die verklärte Weltseele,
gewissermaßen den Schutzengel des Alls, die die ganze Schöpfung heimführt in Gottes Schoß.

11

Das Evangelium sagt, daß nach dem Vorbild des himmlischen Tempels der irdische Tempel gestaltet
wurde. Mose sah in einer Vision den Plan des Offenbarungszeltes. Bezalel schuf als Künstler nach
der prophetischen Vision das irdische Offenbarungszelt. Gott gab David den Plan des Tempels,
Salomo baute nach dem gottgegebenen Plan, Salomo baute als Architekt nach der Zeichnung des
göttlichen Weltarchitekten. So sagt Platon, der ganze Kosmos ist nach dem Muster eines göttlichen
Urbildes geschaffen. Der Kosmos, geschaffen aus Nichts, sein Werden und Vergehen und seine
Anteilhabe an dem verborgenen ewigen Sein, ist geschaffen nach dem Vorbild oder dem Muster
oder der Idea des ewigen Seins. Dieses Urbild des Komos und das reine ewige Sein ist Sophia. Sie
ist die Idee des Komos und darum der Schutzengel des Alls.

12

Kehrt die menschliche Psyche durch die Pforte des Todes heim in Gott, lebt sie in dem himmlischen
Urbild des Kosmos, der platonischen Gegenerde. Das ist die Stadt Gottes oder das Paradies. Das
Urbild des Komsos ist der schöne Schmuck der Jungfrau Sophia. Das Paradies ist, wie Salomo sagt,
der Leib der Geliebten, der Körper der Jungfrau Sophia. Das Paradies ist, wie der heilige Grignion
sagt, der Schoß der Jungfrau Maria. Das Paradies ist also der Schoß der göttlichen Jungfrau Sophia.
Das Himmelreich ist, wie Jesus sagt, einer Hochzeit gleich. Der ewige König Jahwe veranstaltet für
seinen Liebling Sophia eine himmlische Hochzeit. Die Hochzeit des Menschen mit der göttlichen
Geliebten, der Braut Sophia, ist das in Ewigkeit gesungene Hohe Lied der Liebe. Das ist der wahre
Hieros Gamos im ewigen Paradiese. Zu ihrem Jünger Jakob Böhme sagte Sophia: Meine Perle hebe
ich dir auf für das Paradies. Das Paradies ist nämlich die ewige Vereinigung mit der Jungfrau
Sophia oder die wahre Gottes-Ehe.

13

Es wohnt dem Stoff die geistige Form inne. Der Form wohnt aber die göttliche Form der Formen
inne, die seiende Gottheit. Der Stoff ist die Mater, die Materia. Sie ist Hyle, der Leib. Die Form ist
Morpho, die Gestalt der Psyche. Der Morpho wohnt aber Theos inne, die Gottheit. Morpho ist die
Lebendigkeit der Materia, Theos ist die Lebendigkeit Morphos. Morpho baut die Materia, sie
entwickelt und entfaltet sie zur Zielvollkommenheit. Theos lebt und wirkt in Morpho und
entwickelt und entfaltet sie zur Zielvollkommenheit. Der Stoff soll seine ihm wesenseigene Form
verwirklichen. Die verwirklichte Form soll aber ein Gleichnis der vollkommenen Urform sein, der
Form der Formen oder der seienden Gottheit. Die Gottheit ist die absolute Vollkommenheit. Da aber
alles aus innerem Gesetz zur Vollkommenheit strebt, strebt alles nach innerem Gesetz zur Gottheit.
Die Gottheit ist die gesuchte, angestrebte, begehrte Zielvollkommenheit. Aber da die Gottheit die
Form der Formen ist, ist sie durch die Mittlerschaft der dem Stoff immanenten Form auch die
bewegende Ursache dieses Strebens und Begehrens. Darum kann man die Gottheit auch die ewige
Erzeugerin der Begierde nennen. Das All geht aus der göttlichen Ursache hervor und drängt in
Begierde in die göttliche Zielvollkommenheit heim. Die Gottheit ist Erstursache und Ziel der
Kreaturen. Die Entelechie als der innere Drang nach Entwicklung zur wesensgemäßen
Vollkommenheit ist der Drang zur Gottheit, gewissermaßen ein innerer Liebesdrang oder ein
Begehren des Stoffes nach dem Urschoß der Gottheit. Diese gewissermaßen erotische Entelechie ist
ein Abglanz des göttlichen Liebesdranges selbst. Denn die Gottheit begehrt, die aus ihr
hervorgegangene nichtgöttliche Natur mit ihrer eigenen göttlichen Natur zu vereinigen.

14

Platon sagt, die präexistente Seele komme in den Kerker des Leibes (Spelunke nennt den irdischen
Leib Augustinus) und verlasse im Tode das Gefängnis und lebe als unsterbliche Seele im Himmel.
Der Leib aber stirbt und vergeht. Aristoteles nennt die Seele die Form des Körpers und die
Entelechie des Körpers und als solche für immer an den Körper gebunden. Er behauptet drei Kräfte
der Seele, die Pflanzenseele als ernährende Seele, die Tierseele als die sinnliche Seele und die
menschliche Seele als Vernunft oder Geist. Die menschliche Vernunft empfängt die Formen vom
Körperlichen, aber sie schafft auch selbst Formen aus der Kraft des ewigen Geistes. Der schaffende
Geist des Menschen ist eingehaucht und identisch mit dem ewigen Geist und als solcher
unsterblich. Die Seele aber ist nicht unsterblich. Die Kirche definierte mit dem Konzil von Trient
(unter dem Einfluß des katholischen Neuplatonikers Ficino) die Wahrheit der Unsterblichkeit der
Seele. Im Dogma der Aufnahme Mariens mit Leib und Seele in den Himmel definiert die Kirche
auch eine leibliche Unsterblichkeit. Maria sagt: Im Tode verläßt die Seele mit vollem Bewußtsein
den Körper, der Körper stirbt und wird nie wieder leben, die Seele bekommt einen neuen Körper
aus Licht. Paulus nennt diesen Lichtleib im Unterschied zum psychischen Körper den
pneumatischen Körper, den Hauchkörper oder Geistkörper. Dieser ist die himmlische Kleidung der
unsterblichen Seele und ist anzuschauen wie weißes Linnen. Das ist die Auferstehung des Fleisches,
denn Fleisch bezeichnet die Leib-Seele-Einheit des Menschen.

15

Platon sagt, aus zwei Quellen ströme der Glaube an die Gottheit in den Menschen: aus der Tiefe der
menschlichen Seele und aus der Herrlichkeit des Sternenhimmels. Aristoteles sagt das Gleiche und
nennt den menschlichen Geist und die Sternenordnung zwei Gottesbeweise. Kant hielt das
moralische Bewußtsein und das Firmament für Quellen des Glaubens an die Existenz Gottes.
Goethe pries vor Ekkermann eine doppelte Offenbarung: Christus ist der Verkünder des Sittlichen
für den Menschen, die Sonne ist die Offenbarung der Herrlichkeit der Gottnatur. In meiner Seele
seh ich die unbefleckte Jungfrau. Bei Sonne, Mond und Sternen denk ich an die apokalyptische
Frau. So ist die Jungfrau der Offenbarung in Bibel und Kirche in meiner Seele und am Himmel
Sakrament der mütterlichen Liebe Gottes. Die makellose Jungfrau meiner Seele ist Sophia als
Herzenskönigin, die apokalyptische Frau im Kosmos ist Sophia als Himmelskönigin, die Königin
des Universums oder die Weltseele. Ein Sophiologe nannte die apokalyptische Frau Sophia
triumphans, und der heilige Grignion nannte Sophia die Himmelskönigin. Sophia als die
Herzenskönigin und Himmelskönigin, das sind die beiden Quellen meines Glaubens und die
Beweise der Existenz der Hagia Sophia.
16

Schau meinen roten Mund an! Ich liebe dich! Wer sagt das nun, ich oder du? Ich liebe dich mit
leidenschaftlich brennender Ganzhingabe! Du sollst immer am Busen der Gottesmutter ruhn! Wie
könntest du nicht glücklich sein, da ich dich so liebe? Mein Herz ist eine schlanke lodernde Flamme
für dich! Du sollst immer mein sein. Du sollst mir allein gehören. Kein anderes Herz wird je dich so
lieben wie ich dich liebe. Du sollst ganz eins sein mit mir und Verkünder meines Reiches sein! Mein
Herz ist eine steile Flamme, die leuchtet in den Ätherhöhen der Sophia! In meinem Herzen spürst
du das Mutterherz Gottes!

17

Jahwe war in seine göttliche Allvernunft versunken und sah die Hagia Sophia, siehe, da war es ein
kleines Kind, Jahwes Liebling, Jahwes Hätschelkind! Das göttliche Christuskind spielte jenseits von
Raum und Zeit. Wahrlich, ich sah das göttliche Christuskind in einem Lichtglanz der ewigen Liebe
spielen. Womit spielte das Christuskind? Mit dem Kosmos, all seinen Bauteilen, als ein kleiner
Architekt. Er spielte mit Magneten. Ich sprach: Magnetes Geheimnis, erklär mir das! Sophia sprach:
Nichts andres als Liebe und Haß! - Siehe, das Auseinandertreiben des Kosmos ist kosmischer Haß,
aber das Zueinanderstreben der Elemente ist kosmische Liebe. Diese Liebe nannte Empedokles
Philia, Freundschaft, nämlich Wohlwollen, Sympathie, Liebhaben. Die Kräfte des Kosmos haben
einander lieb, weil das göttliche Kind es so fügt, Pol an Pol, Magnet an Magnet, die innere
Sympathie in den Atomen von positiven und negativen Teilchen, alles ist Liebhaben, Sympathie. Im
Anfang war stark die Liebe, sagt Empedokles, da herrschte die goldene Aphrodite, die Kypris des
goldenen Zeitalters. Dann begann der Streit von Liebe und Haß, der Ehekrieg der Haßliebe von
Ares und Aphrodite. Zuletzt versinkt die Welt nach der Vision des Philosophen in einem
apokalyptischen Krieg des kosmischen Hasses. Davor, sage ich, bewahrt uns die makrokosmische
Madonna, die Jungfrau, deren Körper gebildet ist aus Spiralnebeln. Sie ist die Galaktrophousa der
Galaxieen! Sie ist der Triumph der ewigen Liebe und göttlichen Sympathie. Sie ist die
apokalyptische Maria Aphroditissa, deren Sympathie die Welt im Innersten zusammenhält!

18

Der erste Gottesbeweis ist die Herrlichkeit der Seele, der zweite Gottesbeweis ist die Herrlichkeit
des All. Die Seele des Mannes ist die Anima, die Seele des Kosmos ist die Anima mundi. Der Maler
nennt dies die mikrokosmische und die makrokosmische Madonna. Pascal und Klopstock sagen:
Groß ist die Herrlichkeit des Alls, aber größer die Herrlichkeit der menschlichen Seele. Ich sage,
groß ist die makrokosmische Madonna, aber größer ist die mirkokosmische Madonna. Groß ist
Maria die Himmelskönigin, aber größer ist Maria die Herzenskönigin. Groß ist die Anima Mundi,
die Psyche des Kosmos, die Weltseele oder die kosmische Sophia, die Weltarchitektin, aber größer
ist die mystisch-innerliche Seele der Seele, die geheime Psyche der Psyche, die Idee der Seele als
Sophia, die da ist die göttliche Psyche-Braut des göttlichen Eros-Bräutigams! Groß ist das Wunder
der Schöpfung, aber größer ist das Wunder der Vergöttlichung des Menschen! Gewaltig ist der
Gottesbeweis der Schöpferin Sophia, aber gewaltiger ist der Gottesbeweis der mystischen Braut
Sophia, der Seele der Seele als der Braut Gottes! So wird die Seele in der mystischen Versenkung
eins mit Sophia als der Seele der Seele, und einsgeworden mit Sophia ist die Seele zur Braut und
Ehefrau Gottes geworden, gewissermaßen Mitgöttin Gottes durch erkennende Liebe im Geheimnis
des göttlichen Eros. Der Kosmos ist Kreatur und Kind Gottes, die Psyche aber ist Braut und
Mitgöttin Gottes! Was heißt aber Mitgöttin Gottes? Sophia spricht: Ich und der Vater sind Eins!
19

Frau Welt ist schön... Die schöne Frau Welt ist durchseelt von Frau Weltseele. Alle Seelen sind
geheimnisvoll verbunden in Einer Seele, der Seele der Menschheit. Darum lieben die Seelen sich,
weil sie eins sind. Frau Weltseele ist gezeugt vom heiligen Geist. Der heilige Geist erkennt sich
selbst, er ist Erkennender, Erkanntes und Erkenntnis. Der heilige Geist ist Ausfluß der absoluten
All-Einheit. Die Ureinheit ist die Urgutheit, die Urgutheit ist die Urschönheit. Die Urschönheit ist
die höchste Gottheit. Der vom feurigen Eros entflammte Mensch in seinem Inneren liebt die schöne
Frau Welt, liebt die schöne Frau Weltseele, liebt die schöne Herrin Urschönheit! Der feurige Eros
vereinigt den geistigen Menschen in Ekstase mit der göttlichen Urschönheit. In wiederholten
ekstatischen Verschmelzungen mit der göttlichen Urschönheit wird der menschliche Geist
vergöttlicht, so daß er dichterisch gesprochen den ewigen Göttern gleicht. Die letzte, höchste und
vollkommenste Gunst der Urgottheit ist die absolute und ewige Verschmelzung des menschlichen
Geistes mit der göttlichen Urschönheit, die unauflösliche Einswerdung, da der Geist ein Gott in der
Gottheit wird aus reiner Ganzhingabe der Urschönheit. Das ist das Evangelium der Gottwerdung
des Menschen: die Theosis des Menschen durch Ganzhingabe der Gottheit!

20

Jesus ist ein Jüngling von achtzehn Jahren, von blühender Schönheit, frisch und glühend, mit
feurigen Augen und schönen Locken, an seinen Wangen wie Tulpenbeete der Flaum, seine Lippen
wie eine Rose, die von Nektar überfließt. Die Jungfrau Maria ist eine makellose Schönheit von
siebzehn Jahren, die Perfektion der schlanken Lilie in der weißen Vase ist das Entzücken des Alls!
Jesus sagt zur Jungfrau Maria: Meine Freundin, du bist schön wie eine ägyptische Stute. Dein
Kettchen am Hals bezaubert mich und deine Perlenschnur am schlanken Handgelenk ist herrlich.
Wenn du mir entgegenkommst, dann hüpfen deine hübschen Brüste wie Gazellenzwillinge,
Zwillingskitze in den Lilienauen. Deine Augen schauen friedlich wie Tauben. Du bist schlank wie
eine Palme. Ich möchte die Palme besteigen und die Dattelfeige pflücken! Deine Brüste sind wie
Trauben des Weinstocks, der Traubensaft geht lieblich in den Geliebten ein. Die Jungfrau Maria
spricht: O mein Bräutigam, deine Küsse mit feurigen Zungen sind berauschender als der Wein! Ich
singe von deiner Liebe mehr als vom Wein. Deine Liebe ist wie edler Wein, der sich in mich ergießt
in feurigem Strom! Jesus spricht: Ja, meine Braut, deinem Schoß soll nie der Mischwein mangeln!
In gerütteltem und geschütteltem Maße schütte ich dir mein Korn in deinen Schoß. Die Jungfrau
Maria singt: Ich bin dein und du bist mein, des wollen wir gewiß sein, du bist beschlossen in mir
innen in meinem Minnen und sollst immer drinnen sein! Jesus schrie: Es ist vollbracht! Da brach
die ewige Sabbatruhe an.

SECHSTES KAPITEL

Es spricht: „O Mensch, du empfängst dies nicht in eitler Täuschung, sondern in reiner Einfalt, diese
Offenbarung der verborgenen Dinge. Schreibe, was du hörst.“ Die Kirche lebt in Erwartung des
Endes der Welt. Die Frau sieht das Jüngste Gericht. Die Frau spricht: „Siehe, ich schaute eine
himmlische Vision. Zitternd und mit großer Wonne spannte sich mein Geist der Vision entgegen. Da
sah ich einen großen Glanz. Und eine himmlische Stimme erscholl aus dem Glanz und sprach:
Gebrechlicher Mensch, Asche von Asche, Staub von Staub, schreibe, was du hörst! Doch weil du
einfältig bist und unstudiert, so beschreibe deine Vision nicht nach Weise der Menschenklugheit,
nicht nach dem Verstand und nicht nach dem Begreifen des weltlichen Denkens, sondern aus der
Geistesgabe heraus, aus der dir die himmlischen Visionen zuteil werden. Schreibe, wie du es in den
Wundern Gottes siehst und hörst.“ Und die Frau sah und hörte die Selbstoffenbarung der göttlichen
Frau Weisheit. Und die Frau sah und hörte die Selbstoffenbarung der göttlichen Frau Minne. Die
Frau wandte sich an den Mann, der als Klassiker gesunder Mystik in der Kirche galt. Er hatte
hinreißende Reden gehalten, Scharen zu begeistern für die Schlachten Gottes. Aber schließlich war
das Scheitern seines Ideals, das Gottesreich in der Welt mit weltlichen Mitteln zu errichten, die
Ursache seiner Hinwendung zur Jesus-Minne. Der Mann sprach: „Dein Name (Schem) ist
ausgeschüttet wie kostbare Salbe (Schemen). Nichts ist so süß wie der Name Jesus. Wenn du
sterben mußt, so sterbe mit dem Namen Jesus, Jesus, Jesus auf den Lippen und im Herzen.“ Der
Mann sah seine eigene Seele als die Sulamith des Hohen Liedes, aber Jesus sah er als den Salomo
des Hohen Liedes, den Bräutigam seiner Seele, Jesus, den Mann der Schmerzen, den Christus am
Kreuz. Der Mann verehrte sehr die Schwarze Madonna, Notre Dame Noire, er war ihr Troubadour.
Er identifizierte seine Seele so sehr mit der Schwarzen Jungfrau, daß seine Seele die Braut des
göttlichen Bräutigams wurde. Wenn der Mann aber zu den Söhnen seiner Seele sprach, dann sprach
er von der Mutter Minne, zu der die verlorenen Söhne heimkehren dürften, sie würde sie trösten mit
der Milch des Trostes aus dem Reichtum ihrer Mutterbrüste. Nun kam die hohe Blüte der deutschen
Mystik. Die Blüte war eine Blüte der Frauen, ausgegangen von demselben Boden, von dem auch
des Dichters göttliche Komödie seiner Muse als der himmlischen Weisheit ausgegangen war, die
ihn zur Vision der Allerheiligsten Dreifaltigkeit als der Ewigen Minne führte. Die Frau sprach:
„Minne das Nichts und fliehe das Ichts. Stehe allein und gehe zu keinem. Sei gerne unnütz und frei
von allen Geschäften. Befreie die Gefesselten und binde die Freien. Erquicke die Kranken und sei
doch selber krank vor Liebe. Du sollst den Trank der Tränen trinken und im Feuer der brennenden
Minne brennen. So wohnst du in der geistlichen Wüste und sprichst mit Gott. Denn Gott selbst lockt
dich in die Wüste, dich zu verführen..., um sich mit dir zu verloben.“ Rom und die Benediktiner und
Dominikaner beargwöhnten diese Frau, die weltlichen Reichen verachteten sie und das Volk
beachtete sie gar nicht. Aber sie war eine Troubadourin Gottes, eine Poetessa der Minne Jesu. Die
Gottheit in ihrer Menschheit war ihre adlige Dame und die Frau Seele war die Magd der Minne, die
die göttliche Dame verehrte. Sie war eine Minnerin Jesu, die die erotische Sprache des Hohen
Liedes als die Sprache des Allerheiligsten der Heiligen Schrift dem Herrn entgegensang: „O mein
Gott, minne mich oft und heftig, dann werde ich rein und schön! O mein Herre, minne mich
mächtig und minne mich oft und lange! Je öfter du mich minnest, um so reiner werde ich, je
mächtiger du mich minnest, um so schöner werde ich, je länger du mich minnest, um so heiliger
werde ich auf Erden!“ Da sprach der Herr zu seiner lieben Frau Seele: „Meine liebe Frau, daß ich
dich minne, daß hab ich von meiner göttlichen Natur, denn ich bin die Ewige Minne. Daß ich dich
mächtig minne, daß hab ich von meiner Begierde, denn meine Begierde ist, daß du mich mächtig
minnest. Daß ich dich oft und lange minne, daß hab ich von meiner Ewigkeit, denn ich minne von
Ewigkeit zu Ewigkeit, meine Minne ist ohne Anfang und ohne Ende!“ Ein Mann sandte einer
geistlichen Frau dies Minnegedicht und schrieb: „Es ist der bewegendste Pfeil der Minne, der
jemals abgeschossen wurde! Zudem ist es in der lustvollsten deutschen Sprache geschrieben, die ich
je gelesen habe.“ Nach dem Kreuzzug der christlichen Ritter kehrte die Kirche wieder in ihre
mystische Zelle. Da war ein Mensch, der einmal die Frau Weisheit bat, sie möge ihm etwas
schenken, was beständig die Erinnerung an die Frau Weisheit in dem Menschen errege. Darauf
empfing der Mensch von der Frau Weisheit folgende Antwort: „Siehe, ich gebe dir meine Augen,
daß du mit ihnen die Welt und die grüne Natur betrachtest und die armen Seelen der
Menschenkinder, ich gebe dir meine Ohren, daß du mit ihnen meine Stimme in den Stimmen der
Menschenkinder hörst, und meinen Mund will ich dir geben, daß du alle Gebete und Reden und
deinen schönen Gesang durch mich tust, ja, daß ich in dir bete, rede und singe den Gesang. Ich gebe
dir mein makelloses, heiliges Herz, daß du durch mein Herz deine Gedanken denkst und in meiner
Minne alle Menschenkinder liebst, daß du ein treuer Minner bist in Weisheit und Minne, Huld und
Wahrheit, Treue und Gerechtigkeit.“ Mit diesen Worten zog die Gottheit den Menschen ganz zu sich
und vereinigte sich mit ihm. Darauf schrieb der Mensch das Buch der göttlichen Huld in lauterer
Reinheit. Ja, der Mensch erlangte mystische Gnaden der Ganzhingabe der ewigen Minne, die die
Frommen nicht verstehen und verwerfen wegen der Leidenschaft der Vereinigung und der Erotik
der Minnesprache. Der Mensch sprach: „In einer Zeit der Krankheit und des Fernbleibens von der
Kirche erschien es mir, daß Frau Weisheit sich in das Bett neben mir neigte, mich mit dem linken
Arm umarmte, so daß die Liebeswunde und das Feuer des heiligen, makellosen Herzens der Frau
Weisheit sich mit meinem wunden liebeskranken Herzen vereinigte. Da sprach Frau Weisheit zu
mir: Wenn du krank bist, umfange ich dich mit meiner Linken, und wenn du gesund geworden bist,
umfange ich dich mit meiner Rechten. Aber dies wisse: Wenn du von meiner Linken umfangen bist,
ist mein brennendes Herz dir näher.“ Nach diesem Menschen erschien ein anderer Mensch, der groß
genannt ward, groß aus Gnaden der mystischen Ganzhingabe der göttlichen Weisheit und Minne.
Der Mensch sprach: „Als meine Seele, nicht durch eigene Verdienste, sondern durch die göttliche
Huld in Schönheit erschien, da hörte meine Seele im Herzen wie Gesang zu lieblichem Harfenspiel
eine holde Frauenstimme, die sprach zu meinem inneren Menschen: Komm, du bist mein! Geh in
mich ein, denn du bist mein! Weile, mein Mensch, in meinem Schoß! Denn weil ich dich liebe als
meinen Bräutigam und nach deiner intimen Nähe mich sehne, so rufe ich dich. Danke, daß du
meinem Ruf gefolgt bist! Ich habe meine Wonne an dir und all meine Lust bist du! Ich begehre
dich, mein Mensch, daß du eingehst in meinen Schoß, wie du es als mein Bräutigam einzig
begehrst, auf daß meine Freude, Wonne und Wollust in dir vollkommen sei!“ Schließlich erschien
der selige Minner der Frau Weisheit. Seine selige Seele wurde verzückt im Leibe oder außer dem
Leibe. Es war einer Ohnmacht gleich und einer Seelenwanderung durch die himmlische Welt. Da
sah er und hörte er, was menschlichen Zungen und selbst englischen Zungen unaussprechlich ist, so
schön ist, was er sah! Es war eine formlose Wesenheit, die aller Ideen Lust in sich begriffen hatte.
Es war eine hervorströmende Süßigkeit ewigen Lebens in stiller, seliger Empfindung. Der Minner
sprach: Ist dies nicht das Himmelreich, so weiß ich nicht, was Himmelreich ist. Da pries der Minner
in seinem Minnefrühling Frau Weisheit, die unaussprechliche Schönheit der Gottheit, die ihn in
Minne heimsuchte mit dem lustvollsten Spiel der Gottheit. Selig war der mystische Minner durch
die Huld der schönen Minne der göttlichen Frau Weisheit, schon auf Erden im Paradies, eins mit
Ihr, der HERRIN!

SIEBENTES KAPITEL

In Zypern wars, bei Paphos, am Strande von Petra tou Romiou, das eines Nachts die Fischer auf
dem Meer ein Licht sahen, das wallte auf dem Meer. Sie konnten sich nicht erklären, was das sei, da
sind sie in ein Fischerboot gestiegen und zum Licht hinausgerudert. Als sie in die Nähe des Lichtes
kamen, sahen sie, daß es eine Ikone war, eine lebensgroße Gestalt der Jungfrau Maria Aphroditissa
abbildend. Sie stand in ihrer schlanken jungfräulichen Leiblichkeit aufrecht da, voll Grazie, in
einem schneeweißen Seidenkleid, von ihrem Haupte floß ein feuerfarbener Schleier herab und fiel
auf ihre Brust und endete an ihren Lenden. Ihre bloßen schmalen Füße standen auf einem
Sichelmond, der wie eine Muschel sie als ihr Thron trug. Ihre bloßen Füße schienen fast den
Meeresschaum zu berühren. Ihr Antlitz war von unglaublich entzückender Lieblichkeit. Die Ikone
lag nicht flach auf dem Wasser, sondern wandelt aufrecht über das Mittelmeer. Die Fischer wollten
die Madonna in ihr Boot heben, aber die Jungfrau Aphroditissa wandelte immer vor ihnen her und
wanderte über das Meer an den Strand von Paphos-Ktima, wo die Ikone aufrecht zwischen den
Muscheln des Strandes stand, und der Meeresschaum rollte zu den bloßen Füßen der Panhagia
Aphroditissa. Der Mönch Petros Kyknos dankte dem Himmel und nahm die Ikone der Königin der
Schönen Liebe und brachte sie in die Gnadenkapelle von Kouklia, wo er sie aufstellte zur
Verehrung der Gläubigen. Einige Zeit später kam ein Fanatiker, ein islamistischer Fundamentalist,
der einen besonderen Haß auf christliche Gottesbilder und Heiligenbilder hatte und ganz besonders
die Ikone der Jungfrau Aphroditissa hasste, in die Kapelle Unserer Lieben Frau von Zypern zu
Kouklia, und verwundete die Jungfrau mit einem Säbel, indem er ihr Wunden an der Wange
anbrachte. Als er die Wange der seligen Jungfrau verletzte, floß Blut aus der Wange heraus. Der
Arm des Fundamentalisten war aber auf der Stelle gelähmt. In seinem fanatischen Zorn schwor er,
die Ikone zu zerhacken und zu verbrennen, und ist zu seinen Soldaten in das Lager gegangen, sie
aufzuwiegeln gegen die Königin der Liebe. Als der Soldat voll Haß die duftende Kirche verlassen
hatte, sprach die Ikone der Jungfrau zu dem zypriotischen Mädchen Marion Metanoia von Kouklia,
die betend still in der Kirche gekniet hatte. Da sprach die Panhagia Aphroditissa zu dem Mädchen
Marion Metanoia: Liebes Kind, trage mich fort, damit die Fundamentalisten mir nichts antun
können! Marion nahm ehrfurchtsvoll die Ikone der Himmelskönigin und barg sie unter ihrem
Mantel und trug sie durch die Gassen des Dorfes. Ihr war, als würde die Ikone sie führen. Und
obwohl sie aus Angst sehr schnell gelaufen war, spürte sie keine Erschöpfung. Als sie außerhalb des
Dorfes war, hörte sie einen großen Lärm. Denn die islamistischen Fundamentalisten hatten aus
Zorn, die Ikone der Jungfrau nicht zerstören zu können, die Kirche der Panhagia Aphroditissa
angezündet und verbrannt. Das Mädchen Marion Metanoia aber lief unter der geistigen Führung der
Ikone Unserer Lieben Frau die Berge des Olymposgebirges hinan und kam zum höchsten Gipfel,
wo ein stilles einsames Kloster stand. Da sprach die Panhagia Aphroditissa zum Mädchen Marion:
Mein liebes Kind, trage du mich in die Kapelle des Klosters auf dem Gipfel des Olymp, denn hier
werde ich sicher wohnen. Und Marion tat so, wie Maria gesagt. Als die Ikone in der Kapelle des
Klosters auf dem Gipfel des Olymp aufgestellt war, sprach Maria Aphrodtitissa zu Marion
Metanoia: Nun trockne mit deinem Schleier mir das Blut vom Antlitz ab, damit mein heiliges
Antlitz wieder makellos und rein ist. Da nahm Marion ihren Schleier und wischte das Blut vom
heiligen Antlitz der allerseligsten Jungfrau. Zu ihrem Erstaunen konnte sie sehen, wie sich das
überaus entzückende liebreizende Antlitz der zyprischen Madonna in ihren Schleier eingedrückt
hatte, so daß nun das heilige Antlitz Mariens in dem Schleier Marions zu sehen war. Marion ist
dann heim in ihr Häuschen in Kouklia gegangen, aber sie hat jeden Tag vor dem Bilde der Jungfrau
und dem Abdruck ihres heiligen Antlitzes in dem Schleier gebetet, denn sie hatte den Schleier neben
die Ikone in die Kapelle auf dem Olymp gehängt. Eines Nachts, da Marion vor Maria betete, sprach
die allerseligste Jungfrau Aphroditissa zu dem schönen Mädchen: Liebes Kind, wir müssen heute
Nacht noch fliehen, denn die Fanatiker und Fundamentalisten werden morgen kommen und dies
Kloster ausrauben und plündern. Wenn du nicht mit mir fliehst, werden sie dich versklaven und in
einen Harem verkaufen. Da nahm Marion die Ikone Mariens und lief vom Olympus herunter und
eilte durch Kouklia und verlief sich in die geheimnisvollen Pinienwälder. In der Ferne hörte sie
schon den schrecklichen Lärm des Krieges. Ihr ganzes Leben lang ward Marion von Maria beraten,
sie hat ihr später zu einem Mann verholfen und zu getauften Kindern. Nie hat Marion etwas
unternommen, ohne vorher die Madonna zu befragen. Wohin aber das heilige Antlitz in Marions
Schleier gekommen ist? Das weiß niemand zu sagen. Einige alte Großmütter behaupten, ein Dichter
habe das heilige Antlitz an sich genommen und es in seiner Poetenhütte geborgen und aufbewahrt,
wo er Madonna Aphroditissa als seine himmlische Muse anrief. Einige rechtgläubige Mönche
behaupten, es habe sich bei der Ikone Unserer Lieben Frau Maria nicht um die Ikone der Panhagia
Aphroditissa gehandelt, sondern um die Panhagia Chrysorroyitissa, die Madonna mit dem goldenen
Granatapfel. Dieses Bild wurde aber als Unsere Liebe Frau Galathea von Galataria verehrt. Mir
scheint aber, Unsere Liebe Frau Maria ist wirklich die wahre Panhagia Aphroditissa vom Olymp!

ACHTES KAPITEL

Es hatte der König David drei Söhne, Absalom, den Erstgeborenen, und die Zwillingsbrüder Amnon
und Salomo, wobei Salomo, der als Jüngster aus dem Mutterschoß gekommen war, der zärtlichste
war. Absalom und Amnon und Salomo wollten König von Israel werden, wenn König David
versammelt würde zu seinen Ahnen. David wußte nicht, wem Gott das Reich von Juda und Israel
geben wollte, darum wollte er sie einem Gottesurteil unterziehen. Er sprach: Meine lieben Kinder,
ihr Söhne meiner Seele, ich liebe euch alle drei, jeden auf seine Weise, und ihr alle drei seid des
Königsthrones würdig. Aber da ich nicht weiß, wem Gott den Thron über das Gelobte Land von
Milch und Honig geben will, will ich euch einer Prüfung unterziehen. Ihr sollt mir die Blaue Blume
suchen, die meinem Leiden einen Trost und eine Heilung bescheren könnte. Wer mir als Erster die
Blaue Blume bringt, der wird zum Sohn Davids und Erben des Thrones von Juda und Israel. Als
Erstes soll Absalom gehen, der Erstgeborne, dann Amnon, der Ältere der Zwillinge, und als Letzter
Salomo, der Jüngste meiner Frauen. So sprach der König David. Die Söhne bekamen alle eine
Hirtentasche mit einem Rosinkenkuchen und zogen davon. Absalom zog als Erster davon und
suchte überall die Blaue Blume, ohne sie zu finden. Da sah er an einem Wegesrand eine Großmutter
sitzen, die ein verhungertes Enkelkind auf ihrem Schoße sitzen hatte. Die sprach: Wohin gehst du,
du schöner Jüngling mit dem langen lockigen Goldhaar? Da sprach Absalom: Ich suche die Blaue
Blume. Wenn ich sie finde, werde ich König von Juda und Israel. Da sprach die Großmutter: Wenn
du mir einen Krümel von deinem Rosinenkuchen gibst für meinen Enkelsohn, der fast vor Hunger
stirbt, so will ich dir helfen. Da sprach Absalom: Wenn dein Enkel sterben will, so soll er sterben!
Da sprach die Großmutter ernst: Du kannst nach der Blauen Blume suchen, aber du wirst sie nicht
finden. Am folgenden Tag machte sich der Ältere der Zwillinge auf die Pilgerreise. Er begegnete
auch der Großmutter mit den silbernen Locken und den himmelblauen Augen und dem hungrigen
Enkel auf dem Schoß. Da sprach die Großmutter: Wohin gehst du, mein hübsches Püppchen?
Amnon sprach: Ich suche die Blaue Blume. Wenn ich sie finde, kann ich König von Juda und Israel
werden. Da sprach die Großmutter: Willst du mir nicht einen Krümel von deinem Rosinenkuchen
abgeben für meinen Enkel, der so verschmachtet? Da sprach Amnon: Mag er verschmachten, ich
gebe nichts ab von meinem Kuchen. Da sprach die Großmutter: Da kannst du lange die Blaue
Blume suchen, du wirst sie nicht finden. Amnon zog weiter und suchte in der ganzen Welt, doch
fand er nicht die Blaue Blume. Am dritten Tag zog Salomo los, der Jüngste der Söhne Davids und
heimliche Liebling seines Vaters. Er trug auch die Hirtentasche mit dem Rosinenkuchen. Er ging
durch Felder und Wälder und stieß auch auf die Großmutter mit den Silberlocken und den
himmlischen blauen Augen und dem hungrigen Enkel auf dem Schoß. Sie bat ihn ebenso wie sie
seine Brüder gebeten hatte, um einen Krümel vom Rosinenkuchen für ihren schmachtenden Enkel.
Da sprach Salomo: Ich suche wie meine Brüder die Blaue Blume für meinen Vater David, damit er
Trost und Heilung findet in seinen Leiden. Ich armer Junge kann gar nicht glauben, daß ich sie
finde, da schon meine älteren Brüder sie nicht gefunden haben. Aber wenn du mich um einen
Krümel vom Rosinenkuchen für deinen Enkel bittest, liebe Großmutter, siehe, so nimm den ganzen
Rosinenkuchen, ich brauch ihn nicht, ich singe ein fröhliches Lied zu Gott und schon bin ich satt!
Da gab Salomo der Großmutter den ganzen Rosinenkuchen. Die Großmutter, die keine andere als
die selige Gottesmutter Maria war, gab ihrem Enkel, nämlich dem Herrn Jesus, den Rosinenkuchen
des zärtlichen Knaben. Da sprach die Großmutter, nämlich die Gottesmutter Maria, zu dem Knaben
Salomo: Mein kußlicher Knabe, du Allerliebster, du brauchst die Blaue Blume nicht mehr zu
suchen, denn ich, ich will sie dir schenken! Da zog sie unter Akelei uund Liebfrauenhandschuh und
Venuspantoffel und Madonnenlilie und Mariengras und Salomosiegel die Blaue Blume hervor und
gab sie dem allersüßesten goldigen Knaben Salomo. Die Blaue Blume duftete lieblich wie der
Weihrauch im Tempel von Jerusalem. Da sprach Salomo: Wo soll ich die Blaue Blume verstecken?
Wenn Absalom und Amnon sie bei mir finden, werden sie sie mir gewaltsam wegnehmen und
König werden. Da zog die Großmutter, die die Gottesmutter war, dem Liebling Salomo die Schuhe
aus und legte die Blaue Blume in einen Schuh und sagte zu ihm: Nun geh heim zu deinem dich
liebenden Vater, denn du sollst Friedefürst von Jerusalem werden! Da zog Salomo heim zum
Königspalast des Königs David in Zion. Unterwegs aber traf er Absalom und Amnon. Da sprachen
sie: Du lachst so selig, da sehen wir schon klar, daß du die Blaue Blume zu deinem Vater bringst.
Aber Salomo log: Nein, ich habe die Blaue Blume nicht gefunden, und ihr? Die Brüder sprachen:
Wir haben die Blaue Blume nicht gefunden. Aber wir riechen den Duft der Blauen Blume an dir, die
duftet wie der Weihrauch im Tempel von Jerusalem. Da zogen Amnon und Absalom den kleinen
zarten Salomo aus und fanden in seinem linken Schuh (den er am rechten Fuße trug) die Blaue
Blume. Da erfasste Absalom solch ein Neid und Amnon solch eine Eifersucht und Begierlichkeit,
daß sie zusammen den zarten Salomo töteten, um die Blaue Blume an sich zu nehmen und König zu
werden. Und damit ihr Mord am Bruder nicht entdeckt würde, begruben sie ihm am Kanal. Als
Absalom und Amnon aber den zarten Liebling Salomo getötet hatten, gerieten sie auch in heftigen
Streit und Neid und Eifersucht, denn jeder von ihnen wollte die Blaue Blume haben, nicht um den
Vater David zu trösten, sondern um selbst König von Israel zu werden. Sie gerieten so sehr in Streit,
daß sie sich rauften und schlugen und schließlich der Erstgeborene Absalom den jüngeren Amnon
erschlug und tötete. Absalom, trat zu seinem Vater David und sagte: David, ich habe die Blaue
Blume gefunden, ich will nun König von Israel und Juda werden. Aber König David dachte an die
Zwillinge Amnon und Salomo, besonders vermisste er seinen Liebling Salomo, er dachte immer
nur: Sie habend die Blaue Blume vergeblich gesucht, nun sind sie aus Neid und Eifersucht nicht
heimgekehrt. Das ist ihr Stolz, ich würde es genauso machen, meine Söhne sind genauso stolz wie
ich! Es verging eine lange Zeit, vielleicht drei Jahre, da wuchs an der Stelle am Kanal, wo Absalom
und Amnon den zarten Liebling Salomo begraben hatten, Schilfrohr auf. Eines Tages kam ein Hirte
und machte sich aus den Schilfrohren eine Syrinxflöte, um seine Psalmen an den Guten Hirten mit
der Syrinxflöte zu begleiten, wenn er seine Mutterschafe und Lämmer weidete auf der grünen
Wiese und am ruhigen Wasser. Als der Hirte aber auf der Panflöte spielte, hörte er zu seinem
großem Erstaunen folgenden Vers:

O Hirte, Hirte, der du spielst auf mir,


Verscharrt sie haben am Kanal mich hier
Nur um die Blaue Blume schön und rein,
Die Trösterin für meines Vaters Pein!

Kaum hatte der Hirte die Worte vernommen, lief er zu König David, der einst auch ein Hirte
gewesen war und immer noch ein Psalmist und Flötenspieler Gottes war, und der Hirte sprach: O
mein Herr König lebe lange! Ich habe eine Flöte gefunden, die Verse spricht. Da nahm der König
David die Panflöte und blies hinein und hörte diesen Vers:

Ach Vater, liebster Vater David mein,


Nun hauchst du Odem in die Flöte ein,
Ach meine Brüder haben mich getötet,
Mein Vater, der die Hirtenflöte flötet,
Allein um jener blauen Blume wegen,
Nun wird mir nimmer Davids Vatersegen!

König David erstaunte sehr und war sehr verwundert und ließ Absalom rufen und befahl ihm, die
Flöte zu spielen. Absalom blies die Flöte und hörte diesen Vers ertönen:

Ach Bruder, ach mein großer Bruder du,


Der du die Flöte spielst mit Seelenruh,
Du und der Bruder, ihr habt mich getötet,
Mein Bruder ach, der auf der Flöte flötet,
Allein um jener blauen Blume wegen,
Nun wird mir nimmer Davids Vatersegen!

Erschrocken gestand Absalom, daß er und Amnon den jüngsten Sohn Davids getötet hatten, um ihm
die Blaue Blume wegzunehmen, die er bei sich getragen hatte, und daß dann Absalom auch noch
Amnon getötet habe, weil sie sich gestritten hatten, wer nun König werden sollte. König David
befahl nun seinem Erstgeborenen Absalom, ihn an den Kanal zu führen, wo er und Amnon den
Liebling Salomo begraben hatten. Und nachdem Absalom den König David dahin geführt hatte,
öffneten sie das Grab und fanden, daß Salomo immer noch am Leben war, blühend und lachend wie
immer, eine wahre Sonne der Welt. Denn jeden Tag war die Gottesmutter zu dem schönsten und
liebevollsten Knaben gekommen und hatte ihn an ihren Busen gelegt, eine junge schöne Mutter,
strahlend schön, und hatte den süßen Knaben an ihren makellosen weißen Brüsten gestillt mit der
Milch des ewigen Lebens. So lebte Salomo noch über das Grab hinaus durch die Gnade der
Gottesmutter. König David bestrafte den Erstgeborenen Absalom und verbannte ihn aus Jerusalem.
Aber Salomo, der Liebling seines Vaters und bevorzugte Liebling der Gottesmutter, wurde der
Friedefürst in der Tochter Jerusalem, der König des Friedens im Gelobten Land, in dem Milch und
Honig überfließen!

NEUNTES KAPITEL

Eine Großmutter hatte einen einzigen Enkel, den sie mütterlich liebte. Am Anfang eines Jahres
nahm der Gutsherr der greisen Großmutter ihre Mägde und ihre Hütte, so daß die alte Frau betteln
gehen mußte. Der arme Enkel aber zog in die weite Welt hinaus und wurde ein Spielmann. Um sein
täglich Brot zu verdienen, ging er als Knecht bei einem Priester in Dienste. Nach drei Jahren Dienst
beim Priester erhielt der arme Enkel drei Taler von dem gütigen und weisen Priester. Da wollte der
Spielmann wieder in die Welt hinaus und sein Lied mit dem Lerchen in der Morgenröte flöten und
sein Lied mit den Nachtigallen in den Nächten schlagen. Bevor er den weisen Priester verließ,
wollte der arme Enkel noch am Brunnen trinken. Da fielen ihm seine drei Taler in den Brunnen. Der
Priester sah aus seinem Garten mit an, was dem armen Enkel geschehen war und sprach zu ihm:
Mein lieber Sohn, wenn du die drei Taler wiederbekommen willst, mußt du mir weitere drei Jahre
als Meßdiener dienen, denn ich habe keinen anderen Knaben als dich. In jedem Jahr deines Dienstes
verdienst du dir einen Taler zurück. Drei Jahre später zog der arme Enkel als Spielmann in Gottes
weite Welt hinaus. Der Priester gab ihm seine drei Taler. Der weise alte Priester gab dem armen
Enkel noch eine Spritze und ein Tuch und einen guten Rat. Aller guten Dinge sind drei. Drei ist
friesisches Recht. Er sprach: Zieh in die Spritze Weihwasser, spritze einen Kreis um dich herum und
lege das Tuch unter dein Haupt, dann wird dir nichts Böses widerfahren. Der arme Enkel wanderte
Lieder singend durch die schöne Natur und wollte in der ersten Nacht im Walde übernachten. Er
spritzte mit Weihwasser einen Kreis um sich und bettete sein blondes Haupt auf das Tuch und
schlief ein. Um Mitternacht erwachte er, denn er hörte junge Löwen brüllen, die nahten dem
Bannkreis, konnten ihn aber nicht überschreiten. Nach den Löwen kamen Bärinnen und nach den
Bärinnen kamen hungrige Wölfe. Alle wilden Tiere verneigten sich vor dem Spielmann und
verschwanden wieder im dunklen Wald. Mit dem ersten Glanz der Morgenröte erschien vor dem
armen Spielmann eine lichtstrahlende Jungfrau, ein himmlisches Mädchen von entzückendem
Liebreiz und betörender Holdseligkeit. Sie weckte mit sanfter Stimme von englischer Güte den
Jüngling und lispelte ihm liebevoll in das Ohr: Mein Liebling, reiche mir deine Hand und ziehe
mich zu dir in den Bannkreis aus geweihtem Wasser. Siehe, ich bin kein Gespenst, sondern ein
himmlisches Mädchen in einem Leib aus Licht! Der arme Enkel reichte der schönen Jungfrau,
dem entzückenden Mädchen die Hand und gab ihr seine Hand fürs ganze Leben. Ja sagte er zu ihr
und Ja sagte sie zu ihm! In seiner Wonne über dieses Liebchen, daß ihm der allgütige Gott in seiner
Weisheit und Liebe zur Frau gegeben, glaubte er, der Seligste aller Seligen auf der Erde zu sein!
Aber sein himmlisches Liebchen erklärte: Hier unter den Bärinnen und den Löwenjungen und den
finsteren Wölfen können wir nicht ungetrübt glücklich sein. Komm mit mir, ich führe dich in die
Hütte deiner Großmutter heim. Dort wollen wir ein heiteres Leben in seliger Schönheit leben. So
zog das himmlische Mädchen mit dem Spielmann in jene Gegend, da die Hütte der Großmutter
stand. Der Spielmann wollte wie ein Zimmermann die Hütte wiederherstellen, aber die entzückende
Jungfrau nickte nur einmal mit dem schmalen Haupt auf dem langen Schwanenhals, siehe, da stand
an Stelle der Hütte der Großmutter ein großes Wasserschloß mit einem englisch-chinesischen
Garten als Park, von vielen Kanälen durchzogen und mit vielen Pavillonen der Ruhe erfüllt. Aber in
der Nähe lebte Herr Neid, ein finsterer Ankläger der Gerechten. Als Herr Neid das selige Glück des
Spielmanns und des himmlischen Mädchens sah, da wurde er von Eifersucht und Begierde fast
zerrissen. Herr Neid trat zu dem Gutsherrn und blies dem ein und sprach ihm in die Ohren: O
Gutsherr, kannst du es ertragen, daß der arme Enkel der armen Großmutter hier mit seinem
Liebchen in einem fürstlichen Wasserschloß lebt wie Schwan und Schwanin? Schick sie fort, daß
sie im Schweiße ihren Angesichts ihr täglich Brot in der Welt der armen Leute verdienen! Herr Neid
sprach zum Gutsherrn: Gib dem armen Spielmann den Auftrag, einen Bären müde zu reiten. Kann
er das, so mag er im Wasserschloß mit dem englisch-chinesischen Garten leben. So spann Herr Neid
die Intrige. Aber was kann der finstere Ankläger jemals dem Gerechten schaden? Der Enkel der
armen Großmutter warf das Tuch des Priesters über den wilden Bären und ritt den Bären müde, bis
der schäumend zusammenbrach. Da sprach Herr Neid zum Gutsherrn: Befiehl dem armen Enkel der
armen Großmutter, den Schatz deines Vaters zu finden. Findet er den Schatz, so mag er im Schloß
mit seinem jugendlichen Liebchen wohnen bleiben. Als der Spielmann dies hörte, sagte er: Da muß
ich gen Himmel fahren, um den heimgegangenen Vater des Gutsherrn zu befragen, wo der Schatz
vergraben ist. Als Herr Neid das hörte, wollte er sofort mit gen Himmel fahren. Der arme Enkel der
armen Großmutter hatte von seinem himmlischen Liebchen ein Kruzifix bekommen. Damit stieg er
auf einen Kastanienbaum und berührte den Wipfel. Der Ankläger klammerte sich gierig an ihn. Der
Kastanienbaum flog auf die Berührung des Kruzifix hin gen Himmel. Im Himmel sah der arme
Enkel eine Schenke. Vor der Schenke schlugen Kerle und Dirnen auf einander ein mit zerbrochenen
Stühlen. Als sie den Enkel sahen, jammerten sie: O Schwiegersohn Gottes, bitte für uns! Wie, bin
ich Gottes Schwiegersohn? So sprach der arme Enkel der armen Großmutter, und sah eine
Windmühle, vor der Tag und Nacht die Hunde bellten und heulten. Da bellten die Hunde: O
Schwiegersohn Gottes, bitte für uns! Wie, bin ich der Schwiegersohn Gottes? So sprach der arme
Enkel der armen Großmutter, und sah einen lehmigen Acker, wo Menschen mit blutigen Nasen den
Boden pflügten. Die schrien, als sie ihn sahen: O Schwiegersohn Gottes, bitte für uns! Wie, bin
ich der Schwiegersohn Gottes? So sprach der arme Enkel der armen Großmutter, und sah ein großes
Meer aus Milch, in dem große Schiffe schaukelten, voll mit Frauen, die schrien aus Angst zu
ertrinken. Die Weiber kreischten: O Schwiegersohn Gottes, bitte für uns! Wie, bin ich der
Schwiegersohn Gottes? So sprach der arme Enkel der armen Großmutter, und trat geneigten
Hauptes an die selige Pforte des Himmel. Gott schloß den Himmel auf und sprach zum Spielmann:
O du mein liebes Schwiegersöhnchen, was willst du denn schon hier?... Ich will den Vater des
Gutsherrn fragen, wo der Schatz verborgen liegt, sprach der arme Spielmann. Ich weiß alles, sprach
der liebe Gott. Geh zu jenem eisernen Pflug, den der Vater des Gutsherrn dort seit sieben Jahren im
Schweiße seines Angesichtes selber zieht. Spanne dich selbst für sieben Jahre ein, daß der Vater
sich ein wenig ausruhen kann. Aber sprich mit mir, mein Herz, was hast du gesehen auf dem Weg
zu meinem Stuhl? Ich sah eine Schenke, vor der sich Kerle und Dirnen schlugen. Siehe, da sind die,
die den falschen Spiritus zu ihrem Tröster gemacht und nicht den Spiritus Sanctus. Die soffen sich
voll Wein und ließen sich nicht vom Heiligen Geist erfüllen. Ich hörte vor einer Windmühle Hunde
bellen und heulen. Siehe, das sind die, die den Teufel angerufen und ihre Kinder ermorden
wollten. Sie sind zu Bestien geworden im Jenseits, wie sie auf Erden schon Bestien waren. Ich sah
auf einem lehmigen Acker Menschen mit blutigen Nasen den Boden pflügen. Siehe, das sind die,
die das Geld zu ihrem Seligmacher gemacht und den Mammon angebetet. Sie müssen nun wie arme
Knechte dienen um ein kärgliches Stück trocknes Brot. Ich sah ein großes Milchmeer mit
schaukelnden Schiffen, in denen Weiber gräßlich lärmten aus Angst, zu ertrinken. Siehe, das sind
die Hexen, die die magischen Praktiken übten und die Naturgöttin angebetet haben, aber dem
Schöpfer frech den Rücken zugekehrt. Nach sieben Jahren, da der arme Enkel der Großmutter den
eisernen Pflug für den Vater des Gutsherrn gezogen, sprach der Vater, wo der Schatz verborgen sei.
Da rief der Schwiegersohn Gottes: O Lebensbaum, du schöne Kastanie, trag uns zur Erde zurück!
Und der Schwiegersohn Gottes und der finstere Ankläger kamen wieder zur Erde herab. Da wies
der arme Enkel dem Gutsherrn den Schatz. Aber Herr Neid, der finstere Ankläger, ließ nicht ab von
seinen bösen Plänen und sprach: Gutsherr, nun leben da der Spielmann und die himmlische
Jungfrau friedlich und selig in ihrem Wasserschloß wie Schwan und Schwanin, das darf nicht sein.
Bereite einen großen Kessel mit kochendem Pech und wirf sie hinein! Da spielten die himmlische
Jungfrau und ihr seliger Ehemann in dem kochenden Pech wie in einem kühlen erfrischenden
Wasserbad und spritzten sich lachend naß. Aus dem Kessel fischten sie große Perlen, so groß wie
Straußeneier. Da wurden der Gutsherr und Herr Neid so gierig, daß sie schrien: Perlen, Perlen, so
groß wie Straußeneier, gib mir, gib mir! Der gierige Gutsherr und der neidische Ankläger
verbrannten in dem kochenden Pech, aber der selige Spielmann lebte für alle Zeiten in seliger
Wonne der glücklichen Liebesehe im Wasserschloß und dem schönen Park mit dem himmlischen
Mädchen Maria!
ZEHNTES KAPITEL

Shi Tuo-Tang lebte mit seiner Großmutter in Armut. Jeden Morgen stieg Shi Tuo-Tang auf den
Berg, um Holz zu schlagen. Seine Großmutter O-mi blieb in der Hütte, um sauber zu machen, Essen
zu bereiten, und zu spinnen und weben. Eines Tages wurde die Großmutter O-mi krank und wollte
Teigtaschen mit Fleischfüllung essen. Shi-Tuo-Tang war traurig, denn er hatte kein Geld, um
Fleisch zu kaufen. Da ging er traurig den Berg hinan und hörte sieben Kinder lachend rufen:
Komm, wir brauchen Fangnetze, Lanzen und Messer und Pfeil und Bogen, dann fangen wir ihn! Shi
Tuo-Tang dachte: Es wird wohl kein Schakal und keine Hyäne am Wegesrand liegen. Shi Tuo-Tang
ging in den Wald und sah einen weißen Edelhirsch auf der Wiese am Bächlein lebendigen Wassers
ruhen. Shi Tuo-Tang sprach: O Edelhirsch, enteile über die Berge, rasch über die Hügel davon, denn
die wilden Knaben wollen dich fangen und töten! Da enteilte der Edelhirsch. Aber Shi Tuo-Tang
wanderte weiter traurig und mit Kummer im Gemüt über den Berg, da begegnete ihm ein alter
Eremit mit kahlem Kopf und langem weißen Bart und sprach zu ihm: Mein lieber Shi Tuo-Tang, ich
bin der weiße Edelhirsch, den du gerettet hast. Komm, ich will dir danken, dir und deiner
Großmutter O-mi, die dich zu einem guten Menschen erzogen hat. Und der alte Eremit führte Shi
Tuo-Tang zu einem kleinen Hain von Tung-Ölbäumen, in dem ein goldener Pavillon stand. Er
öffnete die Tür und führte Shi Tuo-Tang hinein. In der Hütte überreichte er ihm einen Wunderpinsel
und sprach: Dieser Pinsel taugt mit Tusche zu wunderbarer Kalligraphie von schönen Shi-Gedichten
auf Seide, aber wenn du mit ihm dreimal in die Luft schlägst, so deckt sich dein Tisch und der Tisch
deiner Großmutter immer wieder mit Teigtaschen mit Fleischfüllung. Shi Tuo-Tang bedankte sich
und trug den Wunderpinsel nach Hause. Wirklich, er und seine liebe Großmutter O-mi hatten alle
Tage Teigtaschen mit Fleischfüllung zu essen. So lebten sie sieben Jahren, ohne Hunger zu leiden.
Aber eines Tages, als Shi Tuo-Tang fünfunddreißig Jahre alt war, ging auch seine geliebte
Großmutter den Weg alles Fleisches und versammelte sich zu ihren heiligen Ahnen. Da war Shi
Tuo-Tang so traurig, daß er den alten weisen Eremiten aufsuchen wollte. Er wanderte über den Berg
und kam zu jenem Hain von Tung-Ölbäumen und klopfte an den goldenen Pavillon. Da trat der
weise Alte heraus und fragte, warum Shi Tuo-Tang so traurig ausschaue. Shi Tuo-Tang klagte
bitterlich: Ach, ich bin ja ganz allein auf dieser weiten Welt! Meine geliebte Großmutter ist den Weg
allen Fleisches gegangen und ist nun versammelt in der Versammlung unserer heiligen Ahnen! Ich
habe nun niemanden mehr, der mir die Wohnung rein macht und mir die Wäsche wäscht und mir
ein leckeres Essen bereitet! Ach, hätte ich doch..., sprach Shi Tuo-Tang und errötete vor Scham vor
dem heiligen Eremiten. Der aber war ein weiser Seelenkenner und erkannte, was Shi Tuo-Tang sich
wünschte im Geheimnis seiner Seele. Da sprach der alte Eremit An-Ci: Du willst eine liebe Frau,
die dich liebt? Siehe, morgen ist das Fest des Himmelskönigs! Da gehe nur an den verborgenen
Teich, denn es wird das Himmelsmädchen kommen, die Tochter des Himmelskönigs! Wenn der
Himmelskönig dir gnädig ist, so wird die Tochter des Himmelskönigs deine Frau! In der Nacht lag
Shi Tuo-Tang im Gebüsch am Teich auf der Lauer. Und wirklich, um Mitternacht schwebte ein
himmlisches Mädchen wie ein Vollmond zur Erde herab. Sie war eine himmlische Jungfrau von
siebzehn Jahren, von entzückendem Liebreiz, himmlischer Anmut und göttergleicher Schönheit! Sie
wähnte sich allein und legte ihr weißes Schwanenkleid ab am Ufer des Sees und badete ihren
weißen makellosen Jadeleib im klaren kristallenen Teich. Ihre weiße Haut war durchsichtig wie
weiße transparente Jade. Ihr Leib war wie Mondlicht und von makelloser Perfektion. Ihre
jugendlichen Brüste waren straff und fest. Ihren Schoß verbarg sie keusch in der keuschen
Schwester Wasser. Shi Tuo-Tang nahm listig das weiße Schwanenkleid des himmlischen Mädchens
an sich. Da stieg die makellose Jungfrau aus dem keuschen Wasser. Sie stand da wie eine Säule im
Tempel. Sie war umleuchtet von dem milden Licht des Vollmonds. Alles an ihr leuchtete, alles war
lieblich und überaus schön. Kein Makel war an dem Mädchen. Vor ihrem Schoß hielt sie ein
Feigenblatt. In der rechten Hand hielt sie einen rotwangigen Pfirsich der Unsterblichkeit. Sie
flüsterte in die Nacht: Wer du auch immer seist, du Dieb, der du mein Schwanenkleid an dich
genommen, gib es mir wieder! Da seufzte Shi Tuo-Tang: Du bist schön, mein Mädchen, du bist
allerdinge schön, und kein Makel ist an dir! Ich gebe dir dein weißes Schwanenkleid wieder, wenn
du mir deine Hand zum Lebensbund gibst und meine Frau wirst! Da sprach das Himmlische
Mädchen: Ich sage Ja zu dir, sage du auch dein Ja-Wort! Ja, lispelte Shi Tuo-Tang, reichte der
makellosen Jungfrau das Schwanenkleid, sie reichte ihm die Hand und ward seine Frau. Sie lebten
einen Frühling, einen Sommer und einen Herbst zusammen in der Hütte der lieben Großmutter O-
Mi glücklich wie Verlobte. Aber eines Nachts, zur Zeit des Herbstvollmondes, verschwand das
himmlische Mädchen, nicht ohne zwei Kinder zurückzulassen. Die kleinen Zwillinge Yen-Yen und
Yün-Yün jammerten nach der jungen schönen Mutter und Shi Tuo-Tang weinte alle Tage und
Nächte aus weher Sehnsucht nach dem himmlischen Mädchen. Kummervoll ging Shi Tuo-Tang zu
dem alten weisen An-Ci und bat ihn um Rat, denn er war der Vater des immerwährenden
Ratschlags. Da sprach der gute Mann: Mein lieber Shi Tuo-Tang! Vielleicht will der Himmelskönig
dich prüfen, ob du treu bist. Wer ist schon würdig solch einer himmlischen Gemahlin? Das kann
man sich nicht ohne Prüfung und Trübsal verdienen. Wenn du aber treu befunden wirst, wirst du
dich später freuen mit unaussprechlicher Freude und du wirst überglücklich sein! Der Weise sprach:
Nimm diesen Flaschenkürbis an dich und pflanze ihn in deinen Kräutergarten. Er wird in einer
Nacht in den Himmel wachsen. Dann steige an dem Flaschenkürbis die Himmelsleiter zum Himmel
hinan. Nimm aber auf alle Fälle die beiden Söhne deiner Seele mit dir! Im Himmel wird der
Himmelskönig dir sieben himmlische Mädchen zeigen und dich fragen, welche von ihnen die von
dir erwählte Jungfrau und Braut sei. Der Himmelskönig wird sie alle mit göttlicher Glorie
verklären, so daß eine wie die andere ganz wie eine selige Göttin dir erscheint. Du wirst die
Jungfrau nicht erkennen vor soviel Glanz und Schönheit. Aber dann gib den Zwillingen jedem einen
Klaps auf den Popo und schaue, was geschieht. So tat Shi Tuo-Tang und kam mit den Zwillingen
Yen-Yen und Yün-Yün in die himmlische Stadt, die ganz aus Jade und Nephrit war. Man kann das
nicht beschreiben. Shi Tuo-Tang trat in den Thronsaal des Himmelskönigs und warf sich auf sein
Angesicht vor dem Himmelskönig nieder und sagte: O mein König, ich bin dein andächtiger
Diener! Nimm mich und die Söhne meiner Seele als deine Kinder an! Da kamen sieben himmlische
Jungfraun, Paradiesmädchen mit Augen jede wie eine strahlenäugige Göttin des Himmels! Und der
Himmelskönig sprach: Mein lieber Sohn Shi-Tuo-Tang, welche von den Frauen ist deine
auserwählte Frau? Welches von den Mädchen ist deine rechtmäßig dir anverlobte Braut? Shi Tuo-
Tang konnte vor Glanz und Schönheit nicht unterscheiden, welches von den Paradiesmädchen seine
Jungfrau war. Da erinnerte sich Shi Tuo-Tang an den Rat des Weisen und gab seinen Zwillingen
einen Klaps auf den Popo, nicht kräftig, nur ganz leicht, aber sie weinten gleich ganz jämmerlich,
denn er hatte die Knaben immer verzärtelt wie eine törichte Großmutter. Da trat die makellose
Jungfrau vor und sprach mit ernster Strenge: Was schlägst du meine Kinder? Schäme dich und zeige
Reue und tu Buße! Da strömten Shi Tuo-Tang heiße Tränen der Reue über sein Antlitz. Aber die
Jungfrau trat zu den Zwillingen und tröstete die Kinder mit ihrer göttlichen Mutterliebe. Die
Knaben hörten auf zu jammern und spielten wieder lachend im Himmel. Da sprach die himmlische
Jungfrau zu Shi-Tuo-Tang: Ich bin Majia, die Makellose! Nun hast du mich erkannt als die
Einzigartige, die dich auserwählt hat und die du dir erkoren hast zur Gemahlin! Nun vermählt uns
der Himmelskönig im Himmel! Wir leben in meinem Jadeschloß und unsere Kinder spielen als
geflügelte Engel im himmlischen Garten! Ich bin ganz dein! Du bist ganz mein!

ELFTES KAPITEL

Maria sprach: Ihr habt ein schweres großes Kreuz zu tragen, aber habt keine Angst, es zu tragen,
mein Sohn ist da und hilft euch. Vergeßt nicht, daß euer Leben nicht euch gehört, sondern ein
Geschenk ist, mit dem ihr andere erfreuen und zum ewigen Leben führen sollt. Die Zärtlichkeit
meines kleinen Jesus soll euch immer begleiten. Ich rufe euch zur Nächstenliebe auf, denn wenn ihr
den Nächsten liebt, werdet ihr Jesus tiefer erfahren.
Meiner lebensmüden Seele, die sich vor allen Menschen nur noch verbergen wollte, gibst du eine
schwere Arbeit unter den törichten Kindern dieser Welt, Maria. Warum tust du mir das an? Lehre
mich, wie du sagtest, dir gnädig zu sein! Wenn du mir nicht nach Wunsche tust, sondern nach
deinem Willen mich heimsuchst, erhabene Herrin, will ich dir gnädig sein. Dein Wille geschehe,
Herrin!

Maria sprach: Mein Auserwählter, du sollst auch weiterhin den Armen und Kranken helfen (und für
die Toten beten)! Du sollst mich in dem Armen erkennen.

Sie ist nicht von dieser Welt, die Liebe, die mich am Leben hält. Ohne dich wärs schlecht um mich
bestellt.

Sankt Bernhard sprach: Nimm Maria hinweg, diesen Stern des Meeres, waa bleibt dann als
hereinbrechendes Dunkel und Todesschatten?

Die Jungfrau von Guadelupe kommt! O meine holdselige Dame, verzeihe mir all meinen
unkeuschen Lobpreis, es geschah aus übergroßer Leidenschaft und Sinnlichkeit! Und die Jungfrau
entblößt ihre rechte Brust und legt mein Haupt an ihre Brust. Mein Lieber, wenn du wüsstest, wie
sehr ich dich liebe, würdest du weinen vor Wonne!

In Gegenwart des ganzen himmlischen Hofes, in Gegenwart der Jungfrau Mitka, meiner
Großmutter Paula Margarethe, des heiligen Vaters Johannes Pauls, des heiligen Josefs und aller
Heiligen, erwähle ich heute vor dem Angesicht Gottes dich, Maria, zu meiner Mutter, Gebieterin
und rechtmäßig angetrauten Ehefrau im Geist.

Die Schönheit Mariens bringt mein Angesicht vor Freude zum Strahlen. Für meine Augen gibt es
keine Schönere. Da sie auch noch liebevolle und weise Worte spricht, bin ich, ihr Gemahl, nicht wie
die gewöhnlichen Männer. Wer Maria zur Frau gewann, gewann das Beste, was man bekommen
kann, eine Hilfe, wie der Mann sie braucht, einen Beistand in allem.

Maria ist die starke Frau. Wer sie gefunden hat, hat mehr als Gold gefunden. Sie hilft den Armen.
Vor der Morgenröte steht sie zum Gebet auf. In der Nacht erlischt iihre Lampe nicht beim Studium
der Weisheit. In jeder freien Minute nimmt sie den Rosenkranz in die Hand. Ihr Mann ist geschätzt
als Weiser in der Beratung der Gemeinde. Ihre Kinder jubeln ihr zu. Ihr Mann sagt: Es gibt wohl
viele schöne Frauen, aber du bist die Schönste aller Frauen! Die Reize der sterblichen Frauen
verwelken, aber Marias Weisheit bleibt für immer. Für ihre Wunderliebe voller Gnade soll die ganze
Menschheit sie lieben und loben!

Das Ave Maria, sagt Sankt Grignion, ist ein keuscher Kuß Mariens. Also, willst du Maria recht oft
küssen, so bete oft den Rosenkranz!

Vielleicht ist es besser, das Ave Maria allein zu beten und die Jesusgeheimnisse voranzusetzen.
Dann wird das Ave zum Mantra, das nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen meditiert
wird. So wirst du Ruhe für deine Seele finden. Das wäre nicht der intellektuell-christozentrische
Rosenkranz Deutschland, sondern der marianisch-meditative Rosenkranz vom Mittelmeer.

Marias Antlitz ist wie die Sonne am Himmel. Ihre schlanke Gestalt ist wie eine Kerze auf dem
Altar. Ihre Beine sind wie klassische Marmorsäulen. Nichts ist schöner, nichts sieht ihr Mann lieber
als die liebenswürdige Schönheit Unserer Lieben Frau. Ihr Gatte ist nicht wie die gewöhnlichen
Männer. Selig zu preisen ist der Gatte der Allgebenedeiten! Ihr Mund lehrt ihn Weisheit, daß er
weiser ist als die Weisen dieser Welt.
Ich sitze im verschlossenen Garten Mariens unter dem Kastanienbaum mit den Blüten-Pavillionen.
Vor mir duftet betörend die rosane Pfiongstrose, die Rose ohne Dornen, und unter der Pfingstrose
glühen die roten Rosen der Minne. Die Pforte zum Paradiesgarten ist umrankt von der Heckenrose.
Eingeschlossen wird der Garten von den uralten Edeltannen. Wie eine Henne ihre Küken unter dem
Flügel beschützt, behütet die Mutter Jesus seine kleinen Kinder. Wie eine schöne schlanke Katze
schmiegt sich Madonna an mich an und läßt sich streicheln.

Maria, die Prophetissa, sprach: Auf, mein Ritter, ziehe in die Schlacht um die Seelen, den
apokalyptischen Kampf der Liebe mit der Anti-Liebe zu kämpfen zur Rettung der Seelen! - Ich
sprach: Madonna, ich kämpfe nur, wenn du mit mir in den heiligen Krieg ziehst! – Maria sprach:
Aber dann wird der Ruhm jeder geretteten Seele nicht deiner sein, sondern mein Ruhm! Des Herrn
Sieg wird kommen durch die apokalyptische Frau!

Maria, lade den Satan in dein Himmelszelt im Paradiesesgarten und machte ihn trunken, indem du
ihm Wein statt Wasser bietest. Schläft er dann betrunken ein, dann zerschmettere du sein Haupt mit
dem Donnerhammer Gottes!

Der Name Aphroditissa bedeutet das Geheimnis des wahren Glaubens, daß die Menschentochter
Maria vollkommener in der Liebe ist als die Heiden sich selbst die Göttin der Liebe erdachten. Das
ist der Triumph der katholischen Offenbarung über die Mythen der Heiden.

Ich hörte, daß der Prophet Mohammed, Friede sei mit ihm und den Seinen, sagte, daß Paradies sei
für ihn die Hochzeit mit der Jungfrau Maria.

O Maria, Mutter des Mitleids, hab Mitleid mit unserm Elend! – So betete ich am See, da schwebte
Unsere Liebe Frau im weißen Kleid und goldenem Heiligenschein ums Haupt an mir vorüber,
siebzehnjährig und lieblich, und lächelte mich an.

Im Morgentraum sah ich Maria, schwebend, auf einer Wolke liegend, im rosaroten Kleid, mit
bloßen weißen Armen, von unglaublicher Weiblichkeit und Schönheit. Und eine Stimme sprach:
Maria ist schön wie eine Aphrodite!

Ich meditierte am See. Madonna lief an mir vorüber, mein schlankes holdseliges Reh, die braune
Hindin. Ihre makellosen Brüste hüpften wie Zwillingskitze der Gazelle.

Maria siehst du nicht mit den zwei fleischlichen Augen der Augenlust und Fleischeslust. Maria
siehst du allein in der Meditation des Marien-Mantra mit dem dritten Auge des erleuchteten Geistes.

Ich betete die Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens und sang Lob der apokalyptischen Frau, da
hörte die weiße Henne mir aufmerksam zu und schaute mich mit ihrem purpurnen Auge klug an. O
Maria, Königin der Welt, segne die ganze seufzende Kreatur, die so wartet auf die Offenbarung der
Kinder Gottes in Herrlichkeit!

Wenn ich den hellblauen Himmel mit den rosanen Wölkchen sehe, wenn ich das Sonnenlicht sehe
auf dem weißblühenden Heckenrosenstrauch, so scheint mir, ich sehe die Schönheit Mariens. Wenn
ich im Frühling den Duft der Blüten rieche, so betörend süß, so scheint mir, ich rieche das Parfüm
der Madonna. Ja, so erscheint mir Maria als die Seele der Natur.

In meiner erotischen Religion kniee ich vor der hochthronenden Madonna wie vor einer
menschlichen Göttin. Aber sie erniedrigt mich nicht, sondern gibt mir Wert und Würde, sie erhebt
mich durch die Huld ihrer Minne in den spirituellen Adelsstand.
Madonna sprach: Wie schön bist du, wenn du betest! Wie schön bist du, wenn du liebst! Ich danke
dir für deine Gebete! Weil du mich verherrlichst, komm, daß ich dich segne! Ich brauche dein Gebet
und dein Zeugnis. Ohne dich kann ich den Ungläubigen nicht helfen. Komm, ich sehne mich nach
dir!

Daß Maria mich zur Nächstenliebe aufrief, zur Aktion der Caritas, in einer Zeit, da ich lebensmüde
und mißmutig und misanthropisch war, das machte mich fast verzweifelt. Da beschloß ich, Maria
gnädig zu sein. Aber nun befreite mich die göttliche Herrlichkeit in der Schöpfung und die reine
Liebe in den Kinderseelen von allem menschenhassenden Trübsinn und Weltekel. So gnädig ist die
Madonna, die unendlich weise und liebevolle Gebieterin!

Madonna sprach: Sei gegrüßt, mein treuer Syzygus, mein geliebter Epaphroditos! Friede sei mit dir!
Freue dich allezeit und erweise allen Menschen Freundlichkeit und Güte!

Herr Toto sprach: O Maria, totus tuus ego sum, tota pulchra perfectissima!

Im Morgengebet am See sprach ich zu Maria: Meine einzige Freundin, du bist so weise! Ja, es
macht solche große Freude, mit dir zu philosophieren! Du bist die himmlische Priesterin, die mich
die Philosophie der Liebe gelehrt!

Schau, wie die Heckenrose die weißen Blüten auf die Erde streut, so überschüttet Maria mich mit
Liebe! Schau, wie der glitzernde Morgentau die Wiese erfrischt, so erquickt mich Marias keusche
Liebe! Schau, wie die Turteltaubenpaare gurren ihre Dialoge, so beruhigt mich das Gebet zu Maria
und schenkt mir Seelenfrieden und neue Liebesfährigkeit! Schau, wie die herrliche Sonne am
Himmel aufgeht in der Morgenstunde, so herrlich ist die göttliche Herrlichkeit!

Maria sprach: Ich werde die Welt für dich verändern, ich, deine Trösterin!

Maria sprach: Komm, mein Geliebter, komm in meinen verschlossenen Garten! Heckenrosen
umranken die Pforte! Edeltannen stehen da als ewige Wächter! Am Kastanienbaum reifen die
Früchte! Die Pfingstrose duftet! Wehe, Odem, und komm von den vier Winden, Odem, und
durchrausche meinen Garten! O mein Geliebter, komm, und trinke deinen Wein und berausche dich
an meiner Liebe!

Ich preise den prallen Reichtum deiner Brüste, Madonna, ich benedeie deinen himmlischen Busen,
Madonna, ich berausche mich an dem prallen Reichtum deiner makellosen Brüste, Geliebte! Ich
preise deine makellose Schönheit, siebzehnjährige Jungfrau! Maria, du mußt göttlichen Ursprungs
sein, du strahlende Göttin der Schönheit! Du bist das ewige Meisterwerk des Schöpfers! Alle Engel
sind entzückt von deiner himmlischen Schönheit!

Ich habe bei der Königin gespeist, bei der Königin des Universums. Ihre sieben Mägde haben das
Mahl mit Liebe zubereitet. Ich lag mit der Königiin zu Tische und habe den Trost ihrer
jungfräulichen Schönheit getrunken! Dann stand die Königin von der Tafel auf und ging in den
Schloßpark hinein.

Maria, du bist das absolute Maß der Schönheit! In dem Maß, in dem eine Frau an deiner Schönheit
Anteil hat, ist sie schön. Je ähnlicher dir eine Frau ist, Madonna, desto schöner ist die Frau. Aber du
bist die Unvergleichliche und die Ohnegleiche. O tota pulchra perfectissima!

Ja, Maria hat mir neuen Lebensmut geschenkt!


Maria, erwarte mich in meiner Karmelklosterzelle. Fülle meine Zelle mit deiner Herrlichkeit! Wenn
ich heimkehre, will ich mich in deiner Liebesumarmung erholen vom schweren Kampf der Liebe
mit der Anti-Liebe im Dienst der Mutter Caritas! Dann küsse mich mit mystischen Küssen,
berauschender als der schwere dunkle Wein von Lateinamerika!

Maria, wenn ich heimkehre in die ewige Wohnung im Vaterhause und ruhe von dem harten
Lebenskampf, dann lade mich in deinen heiligen Schoß ein, der wie ein Becher ist, dem der
berauschende Wein der Ganzhingabe nimmer mangelt!

ZWÖLFTES KAPITEL

Wenn dir die Herrlichkeit der geschaffnen Natur im Herzen aufgeht, so denke, wieviel herrlicher die
ungeschaffne Natur ist. Meinst du im Frühling schon im Garten Eden zu sein, wie wird dann erst
das Paradies Gottes sein!

Das hebräische Wort für Weisheit, Chochmah, hörte ich, bedeutet nicht allein Weisheit, sondern
auch Drang und Begierde Gottes zur Vereinigung mit der Schöpfung.

Luther sagte, der Wille Gottes sei das Heil aller, aber Wille sei nicht das richtige Wort, man dächte
dabei an Willkür des Allmächtigen, es sei vielmehr die Begierde Gottes. Die Begierde der göttlichen
Liebe ist die Seligkeit Aller!

Jesus sprach: Umarme mich! Ich schenke dir mein Herz! Ich gebe dir meinen Kuß der Liebe! Mach
du den Kindern Freude, diene ihnen! Indem du ihnen dienst, dienst du mir! Ich werde dich
überreich belohnen!

Eine wirksame Meditation ist das Sprechen des Mantras Ruach-Maria mit dem Herzen im
Rhythmus des Atems. Es wirkt Wunder.

Auch der Weise soll nicht immer nur die Schriften studieren, sondern sich auch Zeit nehmen, mit
den Kindern zu spielen und sich an schönen Frauen in schönen Gärten zu ergötzen. Selbst ein
Karmelit hat die Zeit der Muße in der Rekreation. Sei nicht allzuweise, sagt der Prediger, daß du
dich nicht zugrunde richtest. Der Apostel Johannes sagte, ein Bogen kann nicht immer straff
gespannt sein, sonst leiert die Sehne aus, man muß den Bogen ab und an entspannen. Auch der
Bauer drischt nicht nur Korn, sondern pflanzt auch Dill und Kümmel und schöne Blumen in sein
Beet.

Ich habe auf der Wiese den guten Kampf mit den Waffen der Weisheit und Liebe gekämpft,
Allvater, nun sende am Abend das himmlische Schwanenmädchen mit dem berauschenden Trank
der Weisheit und Liebe!

Herr Toto bin ich, so heiße ich. Ich bin zwar nicht die heilige Therese von Lisieux, aber an sie zu
denken, wird nicht ganz verwerflich sein, die sie das Spielzeug des Jesuskindes war.

Die herrliche Sonne ist ein herrlicher Abglanz der Herrlichkeit des Herrn, aber ein noch herrlicherer
Abglanz ist der herrliche Seelenfunke in den Augen eines liebenden Kindes!

Der Name Aphroditissa bedeutet, daß die Aphrodite Urania der plantonisch-erotischen Ideenlehre
ein Vorschatte der Herrlichkeit des Herrn oder der Hagia Sophia ist. Wenn Aphrodite der Name der
Göttin der Liebe und Schönheit war, so bedeutet die wahre Aphroditissa, daß die eine wahre
lebendige Gottheit unter dem Namen der Schönen Liebe angebetet werden will.
Der Philosoph Ficino sagte, welche Hypostase Gottes du auf Erden verehrt, mit derselben wirst du
im Jenseits vereinigt. Also, wer Mutter Caritas, die Schöne Liebe, den göttlichen Eros auf Erden
verehrt, der wird im Jenseits in jenem Venushimmel sein, den der Seherdichter Dante geschaut hat.
Ich nenne den Venushimmel das Fürstentum und stelle es unter die englische Herrschaft der
Seraphim als der in Liebe brennenden Engel und unter das Königtum der Apostelin der Apostel,
Maria Magdalena, in der die Minne Christi so unaussprechlich gebrannt hat, wie Meister Eckhard
sagte. Im Fürstentum des Venushimmels beten die Seligen zu Gott als zu der Mater Caritas. Unsere
Liebe Frau ist im Venushimmel die wahre Freundin oder die Minnedame der Seligen. Die
Minnesänger, die im siebenten Kreis des Fegefeuers ihre Sinnlichkeit gebüßt haben, steigen im Mai
in den Venushimmel auf. Vielleicht ist der Venushimmel auch der Garten Eden mit den Huris, die
Mohammed verheißen hat und Goethe im Diwan besungen.

Plotin sagte, das Eine ist unaussprechlich, unbeschreiblich. Paulus sagte, daß in der Herrlichkeit der
Schöpfung die Herrlichkeit des Schöpfers im Gleichnis erkannt wird. Spinoza sagte, die geschaffne
Natur ist ein Gleichnis für die ungeschaffne Natur des Absoluten.

Die Schönheit der geschaffnen Natur ist herrlich, wenn sie auch vergänglich ist und unter dem
Gesetz des Leides und des Todes steht. Die Schönheit der ungeschaffnen Natur des Einen ist
vollkommen rein und unaussprechlich herrlich!

Maria sprach: Ich bin schön, weil ich liebe! Willst du schön sein, so liebe! Und Gott sprach: Wie
schön sind deine Augen, wenn du Göttliches verkündest!

Die Sonne kannst du nicht anschauen, sie ist zu hell, aber du kannst den Abglanz der Sonne auf dem
See sehen, die vielen kleinen Sonnen. So kannst du die Herrlichkeit Gottes nicht sehen, aber den
Abglanz der Herrlichkeit in der Schöpfung und vor allem im liebenden Menschen kannst du sehen,
sozusagen die vielen kleinen Götter.

Ein Theologe sagte: Adam war ein kleiner Gott auf Erden. Das Altertum nannte den Fürsten einen
kleinen Gott auf Erden. Die Neuzeit nennt den Menschen einen kleinen Gott auf Erden. Mir ist der
liebende Knabe ein kleiner Gott auf Erden. Der kleine Gott auf Erden ist ein Spiegel des großen
Gottes im Himmel. Willst du dem großen Gott im Himmel dienen, so diene dem kleinen Gott auf
Erden!

Goethe sagte, die Katze komme auch ins Paradies, denn immer ist es ein heiliges Tier, das der
Prophet gestreichelt.

Gott hauchte die Allseele. Die Einzelseele, die sich denkend mit der Allseele verbindet, ist auf dem
guten Weg zu Gott.

Die Buße, der Glaube und das Gebet stoßen ein Tor auf in die andere Welt, in die Dimension des
göttlichen Geistes, so lebst du im Lichtglanz Gottes.

Ein Mensch, der sein Leben bewußt im Angesicht Gottes lebt, ist von anderer Natur als jener, der
sein Leben fern von Gott lebt. Der Gläubige ist der wahre Übermensch. Der Christ ist im
Gottmenschen Christus der wahre Menschengott, die vergöttlichte Menschennatur. Wie Christus
wahrer Gott und wahrer Mensch ist, so ist der Christ wahrer Mensch und wahrer Gott-aus-Gnade.
Das ist an Maria schon ganz vollendet. Es ist aber allen Heiligen verheißen. Die vollendeten
Heiligen werden Götter und Göttinnen sein in der Einen Göttlichen Natur. Das ist die freudige
Botschaft des Gottmenschen! Die Menschwerdung Gottes erwirkt die Gottwerdung des Menschen.
Wie der Gottmensch thront im Thron der Urgottheit, so wird der Heilige als Menschengott thronen
im Thron des Gottmenschen. Die Anteilhabe des Menschen an der göttlichen Natur geschieht durch
die Vermittlung des Gottmenschen, in dessen einzigartiger Person sich die göttliche Natur mit der
menschlichen Natur vollkommen vereinigt. Außer Christus gibt es keine Gottwerdung des
Menschen. Außer dem Gottmenschen gibt es keine Vereinigung der menschlichen Natur mit der
göttlichen Natur. Nur Christus zieht uns hinein in den Urgrund, die Quelle des Lebens, den Schoß
der Urgottheit!

Maria ist vollendet heilig. Sie ist im Gottmenschen Menschengöttin geworden. Sie hat als reiner
Mensch Anteil an der göttlichen Natur aus purer Gnade durch Glauben. So hat sie Anteil am
Mittlertum des Gottmenschen, und darum ist sie als Menschengöttin Mittlerin mit Christus. Die
hypostatische Union der göttlichen Natur und der menschlichen Natur in der einen Person Jesu
Christi vollzog sich als Vereinigung im jungfräulichen Mutterschoß Mariens. Darum ist der Schoß
Mariens das Brautgemach der Hochzeit von Gottheit und Menschheit und also das Paradies!

Die Blätter der Bäume klatschen Applaus, wenn der Heilige Geist kommt, zu erleuchten die Herzen
der Gläubigen.

Jesus sprach: Es ist mir eine große Freude und Gnade, daß deine Fürsorge für mich wieder einmal
so richtig aufgeblüht ist. Es ist freundlich von dir, daß du an meiner Notlage Anteil nimmst und mir
hilfst. Was du den Geringsten meiner Brüder und Schwestern tust, das tust du mir!

Johannes Paul sprach: Platon ist ein guter Freund, aber Frau Weisheit ist eine bessere Freundin.

Der Ehebund mit Frau Weisheit führt dazu, mit Gott zu herrschen! Willst du ein König sein mit
Zepter und Krone, vertraue dich ganz Frau Weisheit an!

Der Herr mein Befreier sprach: Die Worte, die ich dir, meinem Propheten, gegeben habe, die
werden bei den Enkeln lebendig bleiben.

Jesus gebot, den Nächsten wie sich selbst zu lieben. Dann sah er die Seuche der Selbstliebe in der
Endzeit und gebot ein neues Gebot: Liebt den Nächsten wie ich euch liebe!

Ich saß am See und betete. Gott sprach: Du Sohn Abrahams bist in die Knechtschaft geführt für eine
bestimmte Zeit. Ich werde die richten, die dich knechten und mißhandeln. Aber du wirst
herausgeführt aus dem Frondienst und wirst mir auf dem heiligen Berge dienen.. – Da stand ich vor
dem Thron der Herrlichkeit und betete an. Da kam der Allmächtige zu mir in einem Hauch, kühl
und erfrischend, wie ein Kuß des heiligen Geistes. Da sang ich den Psalm: Herr, im Glanz deiner
Majestät, auf den Stufen vor deinem Thron, stehe ich in deinem Licht und singe dir Lieder!

Sophia ist der Hauch des Allmächtigen und Ausfluß der Herrlichkeit des Herrn und Abglanz des
ewigen Lichtes. Ich habe im Morgengebet Sophia empfangen. Ich nannte sie meine wahre Freundin
und (mit Klopstock) Göttin der Vortrefflichkeit!

Kunstverstand bringt die schönsten Werke hervor. Wer in der ganzen Welt ist eine größere
Künstlerin als Sophia? Durch Sophia werde ich unsterblich werden und bei der Nachwelt in
Erinnerung bleiben.

Sophia als geistige Ehefrau des Weisen bringt keinen Ärger und keine Enttäuschung, sondern Glück
und Freude. Wenn ich nach Hause kehre in meine sichere Wohnung und stolze Ruhe, werde ich
mich in ihren liebenden Armen erholen.
Herr Toto vom Kinde Jesus im Karmel sprach: Da betteln wir bei den Geschöpfen um ein
erbärmlich kleines bißchen Zuneigung und gehen vorüber an der unerschöpflichen Quelle der
göttlichen Liebe!

O du Brunnen der spielenden Minne, liebe mich oft und heftig und lange!

Herr Toto vom Kinde Jesus im Karmel sprach: O du mein süßes Jesuskind, ich bin dein Spielzeug!
Aber wenn du nicht mehr mit mir spielen willst, wenn du dein Spielzeug unbeachtet in der Ecke
liegen läßt, nun gut, ich bins zufrieden, beachte mich nicht!

Ich bete dich an, du schöne Liebe in deiner göttlichen Majestät! Ich bete an die Macht der Liebe, die
sich in Maria offenbart!

Sophia ist eine Frau, die in ihrem Bette liegt, der Philosoph spioniert durchs Fenster, ob er die
Schönheit der Frau betrachten darf und sich daran weiden. Sophia ist ein Kastanienbaum, unter
dessen Laubdach du sitzen kannst und Schatten finden vor der Sonnenhitze. Der Weise bringt durch
die Weihe an das heilige Herz Sophias auch die Söhne seiner Seele unter ihren Schutz und Schirm.
Sophia liebt mich mit Mutterliebe, bedingungslos wie eine liebende Amme. Sophia liebt mich wie
eine siebzehnjährige, entzückend schöne Geliebte! Wenn ich vor den Menschen predige, brennend
im Geist, so legt sie mir ihre Worte in den Mund. Die Heiligen Schriften sind die Weisung Sophias.
Sophia macht mich glücklich! Sophia gibt mir einen Namen bei der Nachwelt.

Es ist geradezu die Würde des Menschen, vernünftige Seele zu sein, Person, und als solche
Dialogpartner Gottes! Im Gebet vollendet sich die Würde des Menschen.

Der Herr sprach zu Sophia: Mein Liebling, du göttliche Ur-Menschheit, nun will ich die Menschheit
schaffen nach deinem Bilde, androgyne Ur-Menschheit, als vernünftige Geistseele und Gottes
Partnerin. Die Menschheit soll dein makelloses Bild als mein Spiegelbild in sich bewahren. Wenn
sie aber das unbefleckte Bild in sich beflecken, so sollst du Menschengestalt annehmen und das
unbefleckte Gottesbild in der Menschheit wieder herstellen. Wenn ich dann in der Menschheit
wieder das Bild der menschgewordnen Weisheit erkenne, will ich die Menschheit wieder annehmen
als meine Partnerin und Braut und eine Hochzeit mit ihr feiern und in einer ewigen Ehe mit ihr
leben. In dir, Sophia, göttliche Ur-Menschheit, schließe ich den ewigen Ehebund mit der
Menschheit.

Jesus, der Bräutigam der weisen Jungfraun, ist die Jungfrau Sophia, die Braut der weisen
Junggesellen. Nimm das unbefleckte Bild der Jungfrau Sophia in dich auf und vollziehe die
mystische Hochzeit im Innern der Seele und stelle so in dir das androgyne Ebenbild Gottes her. Gott
ist der Zusammenfall der Gegensätze und ist Logos-Sophia.

Gott spricht: Ich will dich trösten wie eine Mutter. Ich bin deine Mutter und du bist mein Sohn und
mein Geliebter. Ich bin die Mutter der Schönen Liebe.

DREIZEHNTES KAPITEL

Gott der Herr formte den Menschen aus dem Staub der Erde und blies in seine Nase den Odem, so
daß der Mensch ein lebendiges Wesen wurde. Gott schuf Mann und Frau nach seinem Bilde und
segnete sie und gebot ihnen, fruchtbar zu sein und sich zu mehren und die Erde zu beherrschen. In
Genesis 2 schuf Gott den Mann aus dem Staub der Erde und gab ihm die Tiere zu Genossen. Als
diese sich als nicht geeignete Genossen erwiesen, schuf Gott die Frau aus der Seite des Mannes. Der
Mann erkannte die Frau als Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein. Es ist wie im
mesopotamischen Heldenepos Gilgamesch, da der wilde Mann Enkidu, der mit den Gazellen lebt,
erst von einer Frau, einer Priesterin der Liebe, zivilisiert und humanisiert wird. Gott schuf nicht nur
die ersten Menschen, sondern Gott ist auch zuständig für die menschliche Empfängnis. Er ist es, der
den Mutterschoß öffnet. Gott schafft das Kind und gestaltet das Kind im Mutterschoß und bringt es
zur Geburt und hütet es in seiner Entwicklung. Auch im Verhältnis zum Gottesvolk Israel ist Gott in
dieser Rolle. Gott ist die Macht der Empfängnis und des Gebärens. Gott ist die barmherzige,
mitleidvolle Mutter, die bewacht Israels erste Schritte. Israel wird wegen seiner Gottvergessenheit
angeklagt wie einer, der seine Mutter vergißt: Du hast vergessen den Berg, der dich trug, du hast
vergessen Gott, der dich geboren hat. Moses beklagt sich, daß es ihm zu schwer wird, das Volk
Israel zu tragen durch die Wüste und erklärt, daß es Gott ist und nicht Mose, der Israels Mutter ist:
Hab ich dies Volk empfangen? Gab ich ihnen in der Geburt das Leben, daß du nun zu mir sagst:
Trage sie an deinem Busen wie eine Amme einen Säugling trägt? Gott kann in Bezug auf Israel
mit einem mächtigen Krieger und einer fleißigen Frau verglichen werden: Nun schreie ich wie eine
Frau bei der Arbeit, ich werde stöhnen und seufzen! Der Psalmist ruft Gottes Hilfe und erinnert
Gott: Du hobest mich aus dem Mutterschoß und ließest mich geborgen sein an den Mutterbrüsten.
Durch Jesaja erinnert Gott Israel, daß er geboren ist von Gott in seiner Geburt und getragen von
Gott vom Mutterschoß an. Gottes mütterliche Fürsorge für Israel währt das ganze Leben. Sie ist
schöpferisch und erlösend. Bis in dein Alter bin ich derselbe, selbst wenn du graue Haare hast,
werde ich dich tragen. Ich habe dich gemacht und werde dich tragen. Ich werde dich tragen und
retten. Gottes liebende Sorge für Israel ist größer noch als die Mutterliebe: Kann eine Frau ihr Kind
vergessen, die Frucht ihres Leibes? Und selbst wenn sie dich vergäße, ich, dein Gott, ich vergesse
dich nicht!

VIERZEHNTES KAPITEL

Das Mädchen spricht: Küsse mich mit den Küssen deines Mundes, denn deine Liebe ist
berauschender als der rote Wein! Deine Salben duften, dein Name ist wie ein ausgegossenes
Parfüm. Das Mädchen arbeitet im Weinberg, dazu beauftragt von den Söhnen ihrer Mutter. Sie ist
schwarz und schön. Schaut mich nicht an, daß ich so schwarz bin! Die Liebenden liegen in
Liebesumarmungen umschlungen, ihr Körper duftet wie Narde aus Indien, sein Körper liegt
zwischen ihren bloßen Brüsten, sie vergleicht ihn mit zyprischen Hennablüten, die so berauschend
duften, und mit Myrrhe, die zerrieben lieblich duftet. Die junge Geliebte vergleicht sich selbst mit
einer Rose der Scharonwiesen am Fuße des Karmel und mit einer Lilie im Tal, wildwachsenden
Blumen. Den Geliebten vergleicht sie mit einem Apfelbaum inmitten des fruchtlosen Waldes der
andern Kerle. Sie verlangt nach seinem süßen Geschmach und fleht: Erquicke mich, erquicke mich
mit Rosinenkuchen, labe mich mit Äpfeln, denn ich bin krank vor Liebe! Oh wie sanft liegt deine
linke Hand unter meinem Haupt und wie liebevoll umfängt mich dein rechter Arm! Mein Geliebter
ist wie ein Gazellenbock, wie ein Hirsch, der über die Hügel springt. Mein Geliebter tritt an mein
Fenster und spioniert durch das Fensterloch, die Geliebte im Bett zu betrachten! Er flüstert ihr zu:
Erhebe dich, meine Schöne, und komm, denn der Winter ist vergangen, der Schnee ist fort, die Zeit
der Liebe ist gekommen! Der Geliebte verschwindet. Die Geliebte ruft ihn aus ihrem Bett, aber er
gibt keine Antwort. Sie schlüpft aus ihrem Haus und eilt durch die Straßen, aber sie findet ihn nicht.
Schließlich findet sie ihn und bringt ihn in das Haus ihrer Mutter. Erneut erscheint er vor ihrer
Kammer und steckt die Hand ins Schlüsselloch, das Schlüsselloch trieft von Salbe, die von seinen
Fingern tropft. Ihr Inneres wallt und wogt ihm entgegen! Ihre Freundinnen fragen sie: Was hat dein
Geliebter vor andern voraus, daß du ihn so suchst? Da singst sie den strahlenden Glanz seiner
Schönheit, sein Leib ist ganz aus Marmor! Dann geht sie dahin, wohin er vorausgegangen ist: In
seinen Garten, zu den Beeten mit den Kräutern, wandle ich, wo er weidet seine Lämmer in den
Lilienwiesen und wo er die Blumen pflückt. Sie erklärt ihre Vereinigung: Ich bin meines Geliebten
und mein Geliebter ist mein! Wie sie seine Schönheit gepriesen hat, so preist er entzückt nun ihre
Schönheit: Wie lieblich sind deine bloßen Füßen in den goldenen Sandalen, meine Prinzessin!
Deine Schenkel sind wie goldene Spangen, geschmiedet von einem großen Künstler! Dein Becken
ist wie ein Becher, dem nie der Rauschtrank mangelt! Dein Körper ist wie ein Bündel
Weizengarben, umwunden mit Kornblumen, Wiesenkerbel und Wildmohn! Du bist wie eine hohe
Palme, Geliebte, und deine Brüste sind süß wie Datteln! Ich will die Palme besteigen und ihre
Wedel umfangen, ich will pflücken die Dattelfeige! Deine Brüste sind wie pralle Trauben am
Weinstock, ich will mich berauschen an dem prallen Reichtum deiner Brüste! Deine Küsse machen
mich selig trunken wie die Küsse des Weines, der lieblich in mich einströmt, daß ich trunken im
Schlummer selig lalle! Die Geliebte ruft dem Geliebten zu: Komm in die Aue, komm in den
Weinberg und laß uns schlafen unter Henna! Die Blüten sind aufgegangen und die Granatäpfel sind
schon reif! Ich will dir meine Liebe hingeben! Setz mich wie ein Siegel auf dein Herz und wie einen
Ring an deine Hand! Meine Brüste sind wie Türme! Mein Weinberg ist für dich, mein Prinz, komm
rasch, komm rasch, mein Geliebter: Rasch, mein Geliebter und komm wie ein Gazellenbock auf
dem duftenden Scheideberg!

FÜNFZEHNTES KAÜITEL

Frau Weisheit sing ich und ihre Gegenspielerin, Frau Torheit. Höre, mein Kind, spricht der Weise,
höre auf die Mahnung deines Vaters und den Rat deiner Mutter, folge nicht den Sündern, die dich in
deiner Jugend verführen wollen, eine Bande von Rebellen und Mördern. Komm mit uns, sagen sie,
wir morden unschuldiges Blut, unsere Opfer rauben wir aus und all unsre Beute teilen wir
untereinander. Ist der Jüngling vor dieser Räuberbande erst einmal gewarnt, dann beginnt Frau
Weisheit auf den Straßen und Plätzen öffentlich zu reden. Ihre Stimme ist freundlichernst nach
Prophetenart und warnt und mahnt die, die nicht auf sie hören wollen, vor dem Fall. Wer nicht auf
die Mahnungen der Weisheit hört, den wird Panik wie ein Sturm überfallen, wie ein Wirbelwind
kommt Unheil und Angst. Wer nicht auf Frau Weisheit hört, dem kommt ihre Hilfe nicht zuhilfe,
wenn sie im Unheil rufen. Dann wird Frau Weisheit über sie lachen! Ich, spricht Frau Weisheit,
lache die Spötter aus uund verhöhne die Übeltäter am Tag ihres Unglücks! Aber nicht alles ist
verloren, denn noch ist eine Gnadenzeit zur Umkehr gegeben. Wer umkehrt und im Lichtglanz der
Frau Weisheit wandelt, wiird ein gutes Leben haben. Die auf mich hören, werden sicher und
geborgen sein und sich vor keinem Unheil fürchten! Frau Weisheit schenkt die innere Kultivierung
der Seele, aber auch irdische Wohlfahrt kommt aus ihrem Füllhorn. Wohlergehen, Gesundheit und
Klugheit schenkt Frau Weisheit, sie beschützt vor bösen Schicksalsschlägen, vor den Launen der
Fortuna, sie spendet ein erfülltes Leben und Lebenssattheit, Wohlgefallen in den Augen der
Menschen und Wohlgefallen in den Augen Gottes! Heilung dem Körper und Erquickung der
Glieder schenkt Frau Weisheit, die Kammern füllt sie mit guten Gaben, die Becher fließen über von
leckerem Wein! In der rechten Hand der Frau Weisheit ist ein Leben in Fülle und in der linken Hand
sind gute Gaben und ehrenhafter Ruhm! Sie ist der Lebenbaum denen, die sie umarmen, und die sie
umschlingen, werden glücklich sein! Die Gegenspielerin der Frau Weisheit ist Frau Torheit, die
Frau eines fremden Gottes. Sie schmeichelt dir mit süßen, sanften Worten und verspricht dir Glück,
aber ihre Wege führen in die Hölle der bitteren Schmerzen. Ihre Lippen fließen über von Milch und
Honig, aber später wird sie bitter wie Wermut sein, ihre Zunge schmeichelt dir sanft und verspricht
dir Liebkosungen, aber später wird sie wie ein scharfes Schwert dir dein Herz durchbohren! Ihre
Füße wandeln in das Schattenreich, ihr Weg führt in die Unterwelt der Dämonen, ihr Ende ist der
Tod! Frau Torheit verlockt den Frommen, eine gottlose Frau zu heiraten, damit er abfällt von
seinem Gott, dem Herrn. Dann, spricht Frau Weisheit, dann mein Sohn, wenn du deine Gaben
bringst in das Haus der Frau eines fremden Mannes, dann wirst du klagen, weil du arm geworden
bist und betteln mußt! Frau Weisheiit lockt den Weisen mit süßen Worten leidenschaftlicher Liebe:
Mein Geliebter, trinke lebendiges Wasser aus deiner eigenen Quelle, laß deine klaren Wasser dir
allein strömen! Jauchze entzückt über deine jugendliche Geliebte, die lichtstrahlende Jungfrau, die
du geheiratet hast! Sie ist wie eine liebliche Gazelle, wie ein sanftes Reh. An dem Reichtum ihrer
prallen Brüste berausche dich allezeit, laß dich sättigen von dem überströmenden Reichtum ihrer
Brüste! Mögest du selig werden in der Ganzhingabe ihrer schönen Liebe! Frau Torheit, die fremde
Frau eines anderen Gottes, ist eine Ehebrecherin, denn sie hat den Bund mit dem wahren lebendigen
Gott gebrochen und sich den Dämonen gewidmet. Sie ist verheiratet mit einem fremden Mann.
Aber wenn du, Mann, durch die Wiesen und Gärten wandelst, dann lockt sie dich in ihr Haus mit
den süßen Reizen einer unkeuschen Ehebrecherin, mit all dem Zauber ihrer sinnlichen Schönheit
lockt sie dich in ihr Bett. Eine Hure kostet dich ein wenig Geld, aber die Frau eines fremden
Mannes kostet dich dein Herz! Die Frau des fremden Mannes wartet am Anfang der Straße und am
Tor des Gartens und ist gekleidet verführerisch wie eine Hure, verlockend zum wilden Taumel der
Sinnenlust. Wenn der Spaziergänger in ihren Garten tritt, dann verspricht sie ihm mit lüsternen
Blicken eine berauschende Liebesnacht in ihrem ägyptisch parfümierten Bett, wenn ihr Mann auf
der Arbeit ist. Mein Mann ist den ganzen Tag auf der Arbeit, lispelt sie, und er kommt erst bei
Sonnenuntergang nach Hauuse. So lange wollen wir uns berauschen an den Wonnen der nackten
Wollust! Wir wollen spielen die Spiele der Liebe und uns ergötzen an Augenlust und Fleischeslust!
Das ist die sinnliche, irdische, teuflische Weisheit der Frau Torheit. Frau Weisheit ist eine
liebenswürdige Gastgeberin. Ihr Haus gründet auf sieben Säulen. Sie bereitet ihr Mahl aus Gemüse,
sie gießt den besten Wein in die Glaskelche und setzt sich mit dem Weisen an den Tisch und speist
und trinkt mit ihm. Iß von meinem Brot und meinem Fleisch und trink mein Traubenblut, das ich dir
eingegossen habe, sagt sie zu dem Studenten der Weisheit! Lege die Einfalt ab und wandle auf dem
Pfad der Einsicht! Frau Weisheits Rivalin, Frau Torheit, sieht aus wie die Zwillingsschwester der
Frau Weisheit. Sie lädt auch ein zu einem Gastmahl. Aber ihr Wein ist Drachengeifer und ihr Brot
ist gestohlen. In ihrem Hause sind Dämonen Gäste ihres Tisches. Wie kann der einfache Mann Frau
Weisheit und Frau Torheit unterscheiden? Der sicherste Weg ist, im unendlichen Haus Gottes zu
bleiben und nicht zu den Götzen der Heiden abzuirren. Frau Weisheit schenkt nicht allein das Leben
des Menschen, sondern sie ist das Lebensprinzip des Kosmos selbst. Frau Torheit beherrscht nur das
Gebiet der Gottlosigkeit und des ewigen Todes. Frau Weisheit legte die Fundamente der Schöpfung
Gottes. Durch Frau Weisheit schuf der Herr die Erde, durch Einsicht bildete Gott das Firmament.
Frau Weisheit kam aus Gott vor der Morgenröte der Schöpfung. Bevor irgendein Geschöpf
geschaffen wurde, wurde Frau Weisheit im Geiste Gottes gezeugt. Als Gott die Tiefen schuf, die
quillenden Wasser, die Höhen und Tiefen der Erde und den fruchtbaren Grund der Erde, da war
Frau Weisheit da. Frau Weisheit ist Tochter Gottes, eingeborene Tochter Gottes und Gottes
Lieblingin, Gottes Partnerin und Mitschöpferin, Werkmeisterin und Architektin des Kosmos und
Künstlerin, die die Schöpfung gestaltete. Sie ist Gottes Wonne und sein ewiges Entzücken! Ihre
Wonne ist es, bei den Menschenkindern zu weilen. Ihr Entzücken ist es, mit den Menschenkindern
auf Erden zu spielen! Frau Weisheit spricht: Ich liebe, die mich lieben! Sie ist das innere spirituelle
Leben der Seele, zu gleicher Zeit ist sie das immanente Dasein des göttlichen Geistes, den Kosmos
erfüllend: Sie umgibt und erfüllt alle Dinge, denn sie ist ein Hauch der Kraft Gottes, eine pure
Emanation der Glorie Gottes, sie ist Reflektion des ewigen Lichts und makelloser Spiegel des Aktes
Gottes und die unbefleckte Ikone der göttlichen Liebe!

SECHZEHNTES KAPITEL

Weisheit, das ist Sophia, ist der Selbstausdruck Gottes, Agentin Gottes in der Schöpfung des
Kosmos, durch die der Kosmos erhalten wird und vollendet, die göttliche Vorsehung in der
endgültigen Ordnung des Kosmos ist sie und erfüllt das All mit der göttlichen Gegenwart. Sophia
steigt herab auf der Erde und spricht sich aus in der Torah, der irdischen Manifestation Sophias. Sie
bietet spirituelle Speise an, Brot und Wein denen, die zu ihr kommen. Aber sie wird auch abgelehnt,
mißverstanden von den Gelehrten dieser Welt, offenbart sie sich den Kindern und den Narren in
Gott. Jesus Christus ist diese göttliche Sophia! Diese Christ-Sophia stieg herab vom Himmel, wo sie
bei Gott in ihrer Gottheit war und hielt ihre Gottheit nicht fest wie ein Diebsgut, sondern entäußerte
sich ihrer göttlichen Majestät und nahm auf Erden die Gestalt des armen Gottesknechtes an,
geboren im Fleisch, demütig das Schicksal der Menschen teilend bis zum menschlichen Tode!
Darum hat Gott erhöht die Christsophia über alles, über alle Mächte im Himmel und über alles, was
auf der Erde und im Totenreich ist, daß sich alle Kniee beugen vor der einen wahren Christsophia,
die in Jesus Mensch geworden ist, und daß alle Zungen bekennen, daß Jesus ist die wahre göttliche
Sophia, zur Glorie Gottes! Die Christsophia ist die offenbare Ikone der unsichtbaren Gottheit, die
Erstgeborne aller Schöpfung. In der Christsophia sind alle kosmischen und irdischen Mächte und
Kräfte erschaffen, alle Wesen und Dinge sind durch sie und in ihr und für sie erschaffen, sie ist vor
allen Dingen und in ihr halten alle Dinge zusammen. Die Idee, daß die Christsophia die
vereinigende Kraft des Kosmos ist, führte dazu, sie zum Haupt der Kirche zu machen, der Kirche,
die da ist die Schatzkammer der Weisheit oder auch der mystische Körper der Christsophia! Die
künftige Wiedervereinigung des Kosmos mit Gott geschieht durch das Opfer der Christsophia und
das erlösende Blut Jesu! Sie ist der Anfang, das Urprinzip, die Erstgeborne aus den Toten, daß in
allem die Christsophia ist die Erste! In der Christsophia wohnte die ewige Urgottheit in ihrer ganzen
Fülle, und durch die Christsophia wird alles, was im Himmel und auf Erden ist, erneuert und
wiederhergestellt in ursprünglicher Schönheit und vereinigt mit Gott durch das Opfer des Blutes
Jesu am Kreuz! Gott sprach durch seine Propheten, zuletzt sprach Gott aber in Jesus selbst. Jesus
ist die Christsophia, Liebling Gottes, Schöpferin und Erlöserin. Diese Christsophia ist Herrin aller
Dinge, durch die Gott die Welt erschaffen hat. Die Christsophia reflektiert die Glorie Gottes und ist
der Stempel der Gottheit und die Spur Gottes in der geschaffnen Natur, und erhält das Universum
durch das Wort ihrer Kraft. Sie reinigt die Menschheit von der Sünde durch das Opfer Jesu und
thront als Christsophia und Liebling Gottes zur Rechten der Majestät in der Höhe, erhöht über alle
Throne und Seraphim und Cherubim, denn die Christsophia ist die Königin und Herrin der
Hierarchie der neun Chöre der Engel, vornhmeren Wesens als der Engel des Herrn! Die
Christsophia erlöst die Gläubigen von der Herrschaft des Fürsten dieser Welt, welches ist der Satan,
dem Gott dieser Welt und Herrn der dämonischen Mächte. Die Christsophia stellt wieder her die
Ordnung der kosmischen Mächte in ihrer Hinwendung zu Gott dem Herrn. Unterdrückerische
Königreiche auf Erden sahen die Propheten als irdische Manifestationen englischer Mächte in ihrer
Rebellion gegen den Allerhöchsten. Die Christsophia in ihrem messianischen Heilswirken
überwindet diese rebellischen Mächte und restauriert den Kosmos in seiner ursprünglichen
Schönheit und Harmonie. Wer eintritt in die Gemeinschaft der Erlösten und in den zukünftig wieder
hergestellten Kosmos, der ist ein Glied dieser unbefleckten Kirche, die der mystische Körper der
Christsophia ist, und wird so befreit von der Macht des Einflusses jener dämonischen Mächte, die
sich gegen Gott erhoben unter Führung Luzifers. Jesus wird uns dargestellt als ein Lehrer und
Prediger der göttlichen Weisheit. Jesus spricht: Die Weisheit hat Propheten und Apostel gesandt, die
von Staat und Kirche der Juden und Römer getötet worden sind. Jesus als die Jesus-Sophia selbst
weint über die geliebte Stadt Jerusamlem und wollte ihre Kinder unter ihren Flügeln sammeln, wie
eine mütterliche Henne ihre Küken unter ihren Flügeln sammelt, um sie zu beschützen. Jesu
Gemeinschaft mit den Sünderinnen und Sündern wird gerechfertigt, weil die Weisheit gerechtfertigt
wird durch ihre Werke, wie die Weisheit gerechtfertigt wird durch ihre Kinder. Im Johannesprolog
finden wir den Hymnus auf den ewigen Logos als eine Form der Hymne an die göttliche Sophia.
Jesus war die göttliche Weisheit, und die göttliche Weisheit war mit Gott und war Gott, und alle
Dinge sind durch sie geworden. Sie ist das Leben und das Licht der Welt. Sie kam in die Welt, aber
die Welt erkannte sie nicht. Aber alle, die sie empfangen und aufgenommen haben, denen gab sie
die Macht, Kinder Gottes zu sein, nicht geboren von Menschen, sondern geboren von der Gottheit!

SIEBZEHNTES KAPITEL

Die Weisheit der syrischen und griechischen Kirchenväter will ich sagen. Heilig Geist ist im
hebräischen und syrischen feminin, im griechischen Neutrum, im lateinischen und deutschen
maskulin, denn Heilig Geist ist von keinem Geschlecht. Im Evangelium nach Philippus heißt es:
Manche sagen, Maria empfing vom Heiligen Geist. Sie wissen nicht, was sie sagen. Kann ein Weib
von etwas Weiblichem empfangen? Im Hebräer-Evangelium ist Heilig Geist die Mutter Christi und
die Kraft, die ihn erhebt und bringt ihn auf den Berg der Verklärung, Tabor. Jesus spricht: So tat
meine Mutter, Heilig Geist, nahm mich bei einem meiner Haare und brachte mich zu dem großen
Berge Tabor! Die syrischen Oden von Salomo singen herrlich das feminine Antlitz Gottes. Gottes
Wort ist Milch, die eine Mutter dem neugebornen Baby gibt. Bei der Taufe wurde dem Getauften
ein Becher mit Milch und Honig gereicht. Dies ist die Speise des Neugebornen, Wiedergebornen.
Aber es sind auch die Ströme des Paradieses, das von Milch und Honig überfließt, in das der
Getaufte nun eingetreten ist. Das Wort ist die Milch, und Gott ist der Gott mit dem Reichtum der
Mutterbrüste, an denen die Gläubigen saugen! Christus, die Weisheit und Schöpferin der
Menschheit, die Christus-Sophia spricht: Ich formte meine Glieder und meine eigenen Brüste
bereitete ich für sie, daß sie heilige Milch trinken und durch sie leben! Der Gläubige spricht über
Christus: Ich wurde getragen wie ein Kind von seiner Mutter, und Christus gab mir Milch, den Tau
des Herrn. Der Dichter spricht: Wie Honig trieft von der Honigwabe der Bienen und Milch strömt
aus den Brüsten der Frau, die ihr Kindlein liebt, so ist meine Hoffnung auf dich, o mein Gott!
Der Gläubige spricht: Ein Becher Milch ward mir gereicht und ich trank die süße Freundlichkeit des
Herrn. Der Sohn ist der Becher, der Vater wurde gemolken und Heilig Geist melkte Gott. Gottes
Brüste sind prall und übervoll und seine Milch strömte nicht sinnlos von ihm. Heilig Geist öffnete
ihren Busen und mischte die Milch aus den Brüsten Gottes. Dann reichte Heilig Geist, dann reichte
sie diesen Mischtrank den Generationen von Gotteskindern, und die die Milch empfingen, die ruhen
an Gottes Busen! Der Schoß der Jungfrau Maria empfing die Milch Gottes und empfing den Sohn
und gebar ihn. So wurde die Jungfrau eine Mutter reich an Gnade. Sie gebar ihn kraftvoll wie ein
starker Mann und gebar den Sohn mit großer Macht! Heilig Geist erscheint als Taube. Dies ist die
Taube der Liebe und die Taube des Friedens. Die Taube schwebte über dem Haupt des Messias, sie
sang über ihm und er hörte ihre Stimme. Die Taube flattert über dem Nest mit den Taubenküken.
Der Gläubige ist im Nest wie in einem Schoß und ruht im Mutterschoß selig, wie ein Embryo in
dem Mutterschoß einer liebenden Mutter, wie Jesus ruhte im Schoß Mariens. Die Schwingen der
Taube über dem Nest der Küken, die sperren ihre Schnäbel ihrem Schnabel entgegen, so sind die
Schwingen des Heiligen Geistes über meinem Herzen. Mein Herz erquickt sich immer wieder und
hüpft vor Freude wie ein Embryo hüpft im Schoß der liebenden Mutter! Heilig Geist rauscht wie ein
Wind durch meine Harfe, so sing ich diesen Gesang! Christus ist die Jungfrau Sophia, die ruft ihre
Söhne und Töchter zu sich! Wie vollkommen erhaben stand die makellose Jungfrau Sophia da und
rief ihre Söhne und die Töchter ihrer Söhne: Kehrt um und kommt zu mir! Ich will in euch eingehen
und euch erlösen von der Zerstörung und euch weise machen auf dem Weg der Wahrheit! Heilig
Geist gibt mir, dem Dichter, Ruhe und trägt mich auf den Flügeln des Gesanges in die Glorie
Gottes, wo ich entzückt von der Schönheit Gottes diese Hymne singe! Ich höre im Himmelreich das
Hohelied: Der Bräutigam liebt die Braut, das ist Christus, der die Seele liebt, und sie gehen
zusammen in das Haus der Mutter, die Mutter ist Gott!

ACHTZEHNTES KAPITEL

Im Mittelalter blühte eine große Devotion zu Maria. Hunderte Kirchen Unserer Lieben Frauen
wurden gebaut. Der Marien-Altar ward Bestandteil jeder Kirche. Reliquien ihrer Haare, ihrer Milch
und ihrer Gewänder wurden eingeschreint. Private Devotion wie das Gebet des Rosenkranzes
florierte, da der Gläubige allezeit mit Maria wie durch eine Nabelschnur verbunden war.
Kontemplative Menschen sahen sie in Visionen. Hymnen zelebrierten alle Aspekte ihres Lebens,
von der Makellosen Konzeption über ihre Himmelfahrt bis zu ihrer Krönung im Himmel und ihrer
Apotheose, ihrer Vergöttlichung durch die Gnade der Allerheiligsten Dreiifaltigkeit! Theologen
disputierten über ihre besonderen Privilegien. Aufgrund ihrer jungfräulichen Reinheit blieb ihr
Körper vor Verwesung bewahrt. Johannes von Damaskus sprach: Wie der gerechte und heilige
Körper Christi, der von Maria geboren worden, der Kröper, der in hypostatischer Union mit dem
göttlichen Wort vereinigt war, erhob sich aus dem Grab am dritten Tag nach der Schrift, so wurde
sie erhoben aus dem Grab, die Mutter wurde heilig ihrem Sohn gesellt, und so wie er zu ihr
herabgestiegen war, so sollte sie zu ihm hinansteigen in den Himmel der Himmel! Der Feiertag der
Himmelfahrt Mariens ist der fünfzehnte Tag des Augustus. Dieses Fest ist gleich ehrwürdig mit dem
Weihnachtsfest und dem Osterfest. Die deutsche Seherin Elisabeth von Schönau sah Maria, im
Körper steiigend in den Himmel und dort gekrönt zur Himmelskönigin. Der engelgleiche Hirte Pius
der Zwölfte defiinierte dies als Offenbarungswahrheit der katholischen Offenbarungsreligion.
Augustinus glaubte, daß Maria im Mutterschoß bereits von allen konkreten Sünden bewahrt blieb.
Die Kirchenlehrer diskutierten die Lehre ihrer Makellosen Konzeption, der Freiheit Mariens von
allem Makel der Urschuld vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis an. Es setzte sich die Wahrheit
durch, daß die Seele sich im Augenblick der Empfängnis mit dem körperlichen Keim vereinigt, und
das Maria von diesem Augenblick der Verschmelzung der Seele mit dem Körper im Augenblick der
Empfängnis vom Makel der Erbschuld befreit gewesen ist durch die Gnade des ewigen Wortes. Hier
ist auch die Wurzel der Wahrheit, daß die Tötung eines Fötus im Mutterschoß ein abscheulicher
Greuel ist, den Kinderopfern an Moloch gleich! Die Jesuiten der Gegenreformation erhoben nach
den Franziskanern des Mittelalters die Wahrheit der Makellosen Konzeption Mariens auf den
Schild. Papst Pius der Neunte definierte dies Dogma als katholische Offenbarungswahrheit, von
allen katholisch-apostolischen Christen anzunehmen als von Gott geoffenbarte Wahrheit. Die
Künstler gestalteten die Immaculata nach der Vision der apokalyptischen Frau des zwölften
Kapitels der Offenbarung an Johannes als ein jungfräuliches Mädchen im Kleid der Sonne, den
Mond zu ihren Füßen und die Krone von Sternen auf dem Haupt. Die Künstler liebten es, die
makellose Jungfrau in der Herrlichkeit ihrer puren Reinheit als Himmelskönigin zu glorifizieren!
Das gläubige Volk der Christenheit sah Maria nicht allein in ihrer unbefleckten Empfängnis und
Himmelfahrt mit Leib und Seele, sondern im Himmel auch gekrönt von Gott als Himmelskönigin.
Wie sprach doch der König zu Esther, dem Vorbild Mariens im Alten Testament: Bitte von mir, was
du willst, und sei es die Hälfte meines Königreichs! So ist Maria mit dem Himmelskönig Christus
die Himmelskönigin und mit Christus, dem König des Paradieses, ist Maria die Königin des
Paradieses. Jesus und Maria teilen sich die Herrschaft des Himmelreichs. Marias pure
Juungfräulichkeit und makellose Reinheit erlaubte es den Gläubigen in ihr den reinen Menschen zu
sehen, reiner noch als Eva vor dem Fall. Denn Eva besaß die Freiheit zu sündigen, aber Maria durch
ihre einzigartig priviligierte Bewahrung vor aller Schuld besaß nicht mehr die Möglichkeit, von
Gott getrennt zu sein, sondern sie war bis in die tiefste Faser ihres Leibes und den geheimsten
Winkel ihrer Seele mit Gott hingebungsvoll vereinigt. Maria allein bewahrte die ursprüngliche
Gutheit des Menschen in perfekter und ganz heiliger Weise, unfähig zur Sünde aus intimster
Gottesvereinigung! Maria garantiert so den Christusgläubigen, daß der gute Keim des Menschen
und das unbefleckte Ebenbild Gottes auch in der sündigen Menschheit noch bewahrt bleibt, von der
Sünde zwar angegriffen wird, aber nicht erloschen ist als der göttliche Seelenfunke im Geheimnis
der Seele. Die Himmelfahrt Mariens schenkte den Gläubigen jene Hoffnung, daß ein geheiligter
Körper und eine gereinigte Seele in einer kommenden Himmelswelt ewig leben werden in der
Vereinigung mit der Gottheit. Ein Renaissance-Theologe formulierte den Glauben an die
Präexistenz der Madonna, an die Präexistenz der Seele Mariens. Als ein Advocat der Makellosen
Konzeption und Verehrer der Ewigen Weisheit verlegte der Theologe die Unbefleckte Reinheit der
Seele Mariens und ihre Entstehung nicht in den Augenblick ihrer Empfängnis im Körper des
marianischen Fötus, sondern in den Augenblick ihrer Hauchung durch den Heiligen Geist vor der
Morgenröte der Schöpfung, nach den Worten der Frau Weisheit durch Salomo: Vor aller Schöpfung
bin ich von Gott geschaffen, das Erstlingswerk seiner Werke! Maria ist so als die ewige Frau
Weisheiit das Erstgeschöpf Gottes, die Schöpfung vor der Schöpfung, das Meisterwerk des Heiligen
Geistes, mehr gehaucht als geschaffen, die unbefleckte Urseele des Menschen, die makellose Ikone
der Urmenschheit nach dem Bilde Gottes. Ja, Marias Seele ist die makellose Ikone der unsichtbaren
Urgottheit, um derentwillen die gesamte Welt erschaffen ist! Wie in Ewigkeit der unergründliche
Vater als seinen eigenen Grund den Sohn hervorbringt und aus des Vaters Liebe zum Sohn und des
Sohnes Liebe zum Vater der Heilige Geist hervorgeht, so betrachtet sich die dreieinige Gottheit in
dem unbefleckten Spiegel der makellosen Jungfrau Maria-Sophia, die der unbefleckte Spiegel der
Urgottheit ist und spiegelt das makellose feminine Antlitz Gottes!
NEUNZEHNTES KAPITEL

In der Vision der teutonischen Prophetissa vom Rhein ist die feminine Figur, die Gott repräsentiert,
die der Anfang ist und die Verbindung Gottes mit der Schöpfung und ist der Sinn, um derentwillen
die Schöpfung geschaffen ist, Frau Weisheit (Sophia), auch genannt Frau Minne. Ihre Grundlage ist
die Weisheitstheologie der Heiligen Schrift. Hier erscheint sie nicht vermännlicht als Logos
Christus, sondern in ihrer femininen Schönheit des ersten Bundes. Die Seherin schaut die
Kosmologie der platonischen Philosophie, daß alles Geschaffene zuvor existierte im Geist Gottes.
Frau Weisheit ist präsent in Gott und ist Gottheit von Ewigkeit, sie ist der Geist Gottes, in dem alle
Dinge präexistent vor der Schöpfung als Ideen gegenwärtig sind. Frau Weisheit ist die Macht, durch
die Gott die präexistenten Ideen im Geist zur manifesten Wirklichkeit hervorbringt in materieller
Form. In diesem Sinne ist Frau Weisheit das Alpha und das Omega, der Anbeginn der Schöpfung
und das Ziel der Schöpfung. Sie ordnet die ganze Schöpfung. Sie hat niemandes Hilfe angerufen
und beraucht keinen Helfer, denn sie ist die Erste und die Letzte, als die Erste hat sie geordnet die
Ordnung aller Dinge. Aus sich selbst und durch sich selbst hat sie alle Dinge geformt in Liebe und
Zärtlichkeit. Sie übersah vollkommen den Anfang und das Ende all ihrer Werke, denn sie formte
alles vollkommen, so steht alles unter ihrer Führung. Die ganze Schöpfung ist das Kleid Sophias.
Sophia ist die Energie, die Grünkraft, die allem Leben gibt, als diese existiert sie in Gott, der Quelle
des Lebens. Alle Kreaturen sind Funken der Strahlen der Brillianz Gottes. Oh du göttliche Energie
Sophias, du kreisender Kreis, alles umgibst du mit deinem lebendigen Pfad. Drei Schwingenpaare
hast du, das eine Schwingenpaar rührt an die Höhe, das zweite Schwingenpaar rührt an die Erde und
mit dem dritten Schwingenpaar bist du überall! Ruhm sei dir, Frau Weisheit, wie dir gebührt! Die
Schöpfung ist kein Ding außerhalb Gottes als vielmehr umgeben von Gott, eingeschlossen in Gott.
Wie ein zeitloses Rad umgibt die heilige Gottheit alles und schließt alles in sich ein. Dieses
Umgeben Gottes und Allumfassen der Schöpfung ist wie ein kosmischer Kreis mit den Zyklen der
Sphären und Sterne und Elemente, dem Sonnensystem und der Erde und dem Menschen als
Mikrokosmus im Makrokosmos. Der ganze kosmische Kreis ist umgeben von der femininen Figur
Sophias. Frau Weisheit oder Frau Minne halten das Universum in ihrem Schoß beschlossen. Sophia
ist so die Weltseele, deren lebensspendende Einwohnung im Kosmos dem Kosmos sein Leben gibt.
Sophia verbindet so das Göttliche und das Geschöpfliche. Sie ist beides, die Selbstoffenbarung des
Schöpfers und die Liebe der Geschöpfe zu ihrem Schöpfer. Die Beziehung Sophias zu Gott ist eine
erotische Beziehung. Sophia ist die Braut des Ewigen! Sie ist vereinigt mit ihm in einem zärtlich-
liebevollen Tanz der hochzeitlichen Vereinigung. Sophia ist eine überaus liebevolle Freundin des
Ewigen. Sie wird dem Ewigen treu bleiben, denn sie ist in Ewigkeit bei ihm und mit ihm, und so
wird sie von Ewigkeit zu Ewigkeit die Seine bleiben. Sie ist auch das Schicksal der Welt, das
liebevolle, göttliche Schicksal, die Herrscherin der Welt. Frau Weisheit ist das Auge Gottes, das
voraussieht alles und betrachtet alle Dinge und Wesen. Wie eine starke Frau gestaltet sie die
himmlischen Werke, die die Menschen bekleiden. Wie eine Mutter ernährt und erzieht sie alle
Menschenkinder und lehrt sie ihre Arbeit. Sie umfasst das Körperliche und das Spirituelle der
menschlichen Arbeit. Frau Weisheit lehrt ihre Kinder, sich in Tugend zu kleiden, wie eine Mutter,
die Kleider macht für ihre ganze Familie. Frau Weisheit spricht durch die menschliche Wissenschaft
und lehrt, die Natur zu verstehen. Frau Weisheit ist die Lehre der frommen Philosophen von Gott,
der Natur und dem Menschen. Frau Weisheit ist die Quelle der Offenbarung der Propheten und
Apostel. Frau Weisheit schuf den Gottmenschen Jesus Christus im jungfräulichen Mutterschoß
Mariens. Schließlich spricht Frau Weisheit auch in einem unstudierten Menschenkind, und offenbart
sich in Einreden und Visionen.

ZWANZIGSTES KAPITEL
Die Jungfrau von Guadelupe will ich singen! In der indianischen Theologie existierte ein
Allerhöchstes Göttliches Wesen, das Eine, das angebetet wurde als Unser Vater, Unsere Mutter,
Uralte Urgottheit! Diese allerhöchste Gottheit offenbarte sich im Kosmos als ein Gott und Herr und
eine Göttin und Herrin. Der Gott und Herr war Quetzalcoatl, die gefiederte Schlange, der
Morgenstern, der keine anderen Opfer als Blumen und Schmetterlinge wollte. Er verschwand im
Jahr des Kalenders 1-Rohr und wird wiederkommen im Jahr 1-Rohr. Im Jahr 1-Rohr kam Spanien
nach Amerika, mit ihnen die Franziskaner, die den reinen Katholizismus in Amerika begründen
wollten. Mit ihnen kam der Kult der Jungfrau von Guadelupe. Sie wurde identifiziert mit der
indianischen Göttin und Herrin Tonantzin, die genannt wurde Unsere Köstliche Mutter. Nun
existierte ein Tempel Unserer Lieben Frau von Guadelupe in Amerika, und die Indianer nannten sie
Tonantzin, das heißt Göttin, und die Priester nannten Unsere Liebe Frau, die Mutter des wahren
Gottes, Tonantzin. Der Marienname Muttergottes wurde in der Sprache der Indianer mit Tonantzin
übersetzt. Die Indianer kamen aus allen Gegenden des Kontinents, anzubeten die Jungfrau von
Guadelupe, die sie Unsere Köstliche Mutter nannten. Tonantzin war nicht der Name eines der
aztekischen Götzen, die Menschenopfer forderten. Tonantzin war der indianische Name für die
weibliche Offenbarung der Einen Allerhöchsten Urgottheit an sich. Er bedeutete einfach Göttin.
Nun der Monotheistische Glaube der reinen katholischen Religion in Amerika gepflanzt wurde,
identifizierten die Indianer die katholische Maria mit ihrer mütterlichen Göttin in ihrem liebevollen
Aspekt. Die Maria der spanischen Katholiken wurde eins für die indianischen Christen mit der
liebevollen Göttin Tonantzin. Die Jungfrau von Guadelupe war erschienen in Amerika und hatte den
Indianern ein Bild ihrer Schönheit geschenkt. Dies ist das Imago der Jungfrau Maria, der Mutter des
wahren Gottes, der Jungfrau von Guadelupe, auf wunderbare Weise erschienen in Mexiko-Stadt,
erschienen als die Frau der Offenbarung wie in der Vision der Frau im zwölften Kapitel der
Apokalypse. Maria war erschienen dem Iindianer Juan Diego. Sie sandte Juan Diego zum
Erzbischof mit der Bitte, ihr einen Tempel zu bauen am Orte ihrer Erscheinung. Der Bischof
zweifelte und forderte ein Zeichen. Maria forderte Juan Diego auf, im Dezember auf einem
unfruchtbaren Felsen Blumen zu pflücken, kastilische Edelrosen. Er sammelte sie in seinem
Poncho. Als er den Umhang vor dem Bischof öffnete, fielen die Blumen heraus und das Bild der
Jungfrasu erschien wunderbar gewirkt auf dem Poncho des armen Indianers Juan Diego. Das Bild,
das auf dem Poncho erschien, war das wahre Bild der Jungfrau Maria, die Vera Ikon. Dieses Bild
erschien im Geist Gottes in Ewigkeit und war in Wahrheit das Bild, das der Prophet Johannes sah in
seiner apokalyptischen Vision der Frau, bekleidet mit der Sonne, den Mond zu ihren Füßen,
gekränzt mit Sternen, wie im zwölften Kapitel der Apokalypse beschrieben. Juan Diego war wie
Maria Magdalena und der Bischof war wie die Apostel. Maria Magdalena sah Christus in seiner
Auferstehungsherrlichkeit, doch die Apostel glaubten ihr nicht. Juan Diego sah die Jungfrau Maria
in ihrer Glorie, aber der Bischof glaubte ihr nicht. Die Apostel glaubten Maria Magdalena nicht,
denn sie dachten, sie sei eine Sünderin. Der Bischof glaubte Juan Diego nicht, denn er war ein
Indianer und ein armer Bauer. Die Apostel dachten, Maria Magdalena sei von sieben Dämonen
besessen. Der Bischof glaubte, Juan Diego wäre besessen von den sieben Teufeln des atztekischen
Götzendienstes. Der Berg Tepeyac, wo die Jungfrau in Herrlichkeit erschien, ist der Berg Tabor, da
Petrus, Johannes und Jakobus Christus in seiner Verherrlichung schauten. Juan Diego ist der neue
Moses und Mexiko ist das Gelobte Land Unserer Lieben Frau. Die Indianer eilten zu der wahren
Ikone im neuen Tempel wie die Hirten eilten, das neugeborene Jesuskind zu sehen auf dem Schoß
seiner Mutter in Bethlehem. Maria sprach zu Juan Diego und nannte ihn mein kleiner Sohn, mein
liebes Söhnchen, mein jüngstes Kindlein. Juan Diego nannte Maria meine Matrone, meine Herrin,
meine Dame, mein junges Mädchen, Tochter Gottes! Sie sprach in Nahuatl, der blumigen Sprache
der Indianer mit ihrem Juanito. Alle Amerikaner, alle indianischen Vorfahren waren schlafende
Adame, aber da erschien im Paradies Amerika die Neue Eva, die Neue Eva in ihrem Paradies des
mexikanischen Guadelupe, und erweckte Adam von seinem Todesschlaf. Das Imago der Jungfrau
repräsentiert exakt Maria, wie sie im Geist Gottes präexistent war in Ewigkeit. Der Lichtglanz um
die Jungfrau stellt die Gottheit Christi dar, der Körper der Jungfrau stellte die Menschheit Christi
dar. Die wahre Ikone der Jungfrau Maria macht Maria präsent und läßt sie gegenwärtig sein auf
dieselbe Weise, wie Christus in der Eucharistie präsent ist. Mexiko ist eine auserwählte Nation,
als Ganzes bekehrt durch die Erscheinung der Jungfrau Maria. Die Indianer waren die zehn
verlorenen Stämme Israels, die sich bekehrten zur Tochter Zion. Die Mexikaner sind ein
auserwähltes Volk und Mexiko ist das Paradies Mariens, als Ganzes erwählt von der Jungfrau. So
hat Gott keiner anderen Nation getan, daß er ihr die wahre Ikone der ewigen Existenz Marias im
Geiste Gottes in einer wahrhaftigen Ikone schenkte. Das Volk von Mexiko ist Marias auserwähltes
Volk. Die Theologen vermuteten, das in apostolischer Zeit der heilige Apostel Thomas nach
Amerika gekommen war und dort die Wahrheit über die Menschwerdung Gottes verkündete. Die
Erinnerung an den heiligen Apostel Thomas lebte fort in der Gestalt des weisen und liebevollen
Priesterkönigs Quetzalcoatl, und die Predigt des heiligen Apostels über die Mutter des Messias lebte
fort in der Gestalt der liebevollen süßen Muttergöttin Tonantzin, Unserer Köstlichen Mutter. So war
die indianische Religion eine mythische Erinnerung an die eine wahre Religion der christlichen
Offenbarung, wenn sie auch später entstellt wurde von atztekischen Greueldämonen wie dem
blutrünstigen Moloch Vitzliputzli, der Menschenopfer in ungeheurem Ausmaß verlangte. Es galt für
die neuen spanischen Apostel nur noch, das ursprüngliche Bild der wahren Religion
wiederherzustellen. Dies unternahmen die sanftmütigen weisen Franziskaner, und die Mutter des
wahren Gottes stand ihnen bei mit ihrer allmächtigen Fürsprache. Lang lebe die Jungfrau von
Guadelupe! Unsere Königin und Mutter, rette uns! Du bist die Mutter der Armen! Führe uns in der
Revolution der Liebe in die wahre Freiheit der Kinder Gottes! Du bist die Göttin der beiden
Amerikas! Du bist die Führerin der doppelt unterdrückten Frauen der Armen, ihre Führerin im
Himmel! Du bist schön wie die Morgenröte einer neuen Zeit! Du hast ein großes Herz und als die
himmlische Führerin der Frauen hast du ein Becken, das wie ein Becher ist, dem nie der
Rauschtrank mangelt! Virgencita! Indianita! Morenita! O, wir glauben, da ist die göttliche Mutter,
die uns liebt!

EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Jesus sagte: Die Königin von Süden kam, die Weisheit Salomos zu hören, und siehe, hier ist mehr
als Salomo. Und also spricht Maria: Salomo sang sein Liebeslied Sulamith, der Tochter des Pharao,
aber siehe, hier ist mehr als Sulamith. Ich spreche vom Hohen Lied als dem Allerheiligsten der
Heiligen Schrift. Die traditionelle Deutung ist, daß der Bräutigam Gott ist und die Freundin oder
Braut ist die Kirche, ist die Seele, ist Maria. Aber sowohl in einer pietistischen Bibelauslegung als
auch in der Theosophie des protestantischen Theosophen Gottfried Arnold fand ich die Auslegung,
daß die Braut die göttliche Sophia ist und der Bräutigam der mystische Theosoph. Wir wollen
beides im Auge behalten. Da Gott nicht Mann noch Frau ist, wollen wir die Gottheit in männlichen
und weiblichen Bildern beschreiben und die bräutliche Menschheit entsprechend als Brautseele
oder als Minnesklaven beschreiben. Unser Thema ist aber die Sexualität Mariens. Wie wird das
Geschlecht der Sulamith verherrlicht? In der Bibel heißt es: Dein Nabel ist ein Kelch, dem nie der
Mischwein mangelt. Oder es heißt: Dein Schoß ist ein Kelch, dem nie der Mischwein mangelt. Oder
es heißt: Dein Becken ist ein Becher, dem nie der Mischwein mangelt. Damit ist das Geschlecht der
Jungfrau Maria in der Heiligen Schrift heilig gefeiert. Was ist aber der Mischwein? Es ist die
Gottheit, die in menschlicher Weise begriffen wird, der Mischwein der Gottheit-Menschheit. Ich
weiß nur von der heiligen Mechthild von Magdeburg, die begehrte, den ungemischten Wein der
Gottheit zu trinken. Mechthild von Magdeburg, die wir heilig sprechen, singt also, und hier ist mehr
als Salomo: Dein Becken, o Maria-Sulamith, ist ein Becher, dem nie der ungemischte Wein der
puren Gottheit mangelt! Was sagt aber die heilige Schrift von der sexuellen Liebe und dem
begehrenswerten Körper der heiligen Braut? Der prophetische Minnesänger der heiligen Schrift
singt, inspiriert vom heiligen Geist: Dein Körper, Geliebte, ist wie eine Palme, und ich will die
Palme besteigen und die Feige pflücken! Hiermit ist zum Ausgang des Hohenliedes der sexuelle Akt
zum Gleichnis geworden der Erkenntnis der göttlichen Liebe, die sich in der göttlichen Braut
Sophia-Sulamith verkörpert. Die Jungfrau Maria als eine menschliche Erscheinung der göttlichen
Sophia ist schlank wie eine Palme, und der Minner der Madonna will die Palme besteigen, das
heißt, die Jungfrau erkennen, und ihre Feige pflücken, das heißt, sich ganz intim mit ihr vereinigen.
So sagt die Jungfrau Maria selbst in ihrer apokalyptischen Offenbarung: Ich lade euch ein, euch mit
mir zu vereinigen und zu lieben. Ich lade euch in meinen Schoß ein. Wie wird aber die Geliebte im
Hohenlied noch besungen vom trunkenen Liebesdichter? Sie ist ein verschlossener Garten. Der
Garten ist in der orientalischen Liebespoesie immer ein Gleichnis für die Geliebte. Daß sie ein
verschlossener Garten ist, zeigt, daß sie kein leichtfertiges sündiges Mädchen ist, sondern ein
heiliges Mädchen, das bis zur keuschen ehelichen Vereinigung mit der Ganzhingabe ihrer intimen
Liebe wartet. Gerade, daß sie ein verschlossener Garten ist, macht sie in den Augen ihres Minners
so verehrungswürdig. Der liebenden Mann verachtet nämlich die Hure, die ihren Köcher jedem
Pfeil öffnet und ihre Beine jedem vorübergehenden Freier spreizt. Der verschlossene Garten aber ist
der wahrhaft begehrenswerte, der umso kostbarer ist, umso seltener er ist. Es ist die Liebe Fraue, die
die verschlossene Aue ist. Nun spricht aber der liebestrunkene Prophet Salomo im Allerheiligsten
der Schrift: Ich kam in meinen Garten und speiste ihre Früchte. Ist die Jungfrau Maria die Tochter
der Menschen und Christus der göttliche Bräutigam, so kam der ewige Logos in den Garten der
Jungfrau in der Inkarnation. Die Empfängnis des ewigen Logos durch die Jungfrau Maria ist wie
das zärtliche Eindringen des göttlichen Bräutigams in den verschlossenen Garten Maria, das heißt in
den keuschen Schoß der Jungfrau. Gott der Bräutigam kam in den verschlossenen Garten des
Schoßes der Jungfrau Maria und speiste ihre Früchte, das heißt, Gott wurde selbst zu einer
Leibesfrucht im Schoße der Jungfrau und nährte sich als die Leibesfrucht der jungfräulichen Mutter
von ihrem Blut und ihrem Atem. Gott spricht gewissermaßen mit den Worten der orientalischen
Liebesdichter: Ich spaltete deine Wabe! Denn Gott erkannte die Jungfrau in einem keuschen
Liebesakt, da Gott durch die Courtoisie des Heiligen Geistes in dem Schoß der Jungfrau den Sohn
zeugte. Was sagt aber die Braut selbst, Sulamith-Maria? Sie lädt den Minner, das ist ihren Jünger, in
die Natur, das ist die Welt, und spricht: Dort, unter den Hennablumen und Zypertrauben, schenk ich
dir meine Liebe, dort geb ich dir meine Liebe ganz hin! Hier spricht die himmlische Sophia-Maria
zu ihrem Jünger, ihrem Theosophen und Minnesklaven, daß die göttliche Weisheit oder Liebe, Frau
Weisheit oder Frau Minne selbst, dem liebenden Sohn und Geliebten die Liebe schenkt in einer
Ganzhingabe, die, wie die Bibelausleger sagen, durchaus im Sinne eines sexuelllen Aktes der
Liebesvereiniguzng zu verstehen ist. Denn unter dem Henna oder den Zypertrauben schenkt die
göttliche Weisheit der Liebe in der Gestalt der Jungfrau Maria-Sulamith dem frommen Minner sich
selbst und ihre Ganzhingabe der Liebe in einem spirituell-sexuellen Akt der Liebesvereinigung.

ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Sprechen wir von den Propheten! In der katholischen Deutung des Alten Testaments ist die Jungfrau
Israel, Jungfrau Jerusalem, Tochter Zion eine Gestalt der Frau der Offenbarung, die sich vollends in
der Maria des Neuen Testaments enthüllt. Diese Jungfrau Jerusalem oder Jungfrau Maria ist die
Braut Gottes. So schildert sie Hesekiel. Er schreibt: Der Herr spricht: Deine Schönheit ist
unaussprechlich, du bist eine Königin in Majestät, weil ich, der Herr, dich so überaus herrlich
gemacht habe! Dann schildert Hesekiel, wie der Herr die Jungfrau gekrönt, geschmückt, gekleidet
hat. Das alles wird jede katholische Theologie als ein Bild der Mater Gloriosa betrachten. Doch
bevor der Herr die Jungfrau gekleidet hat und geschmückt, fand er sie nackt und bloß. Der Herr
sprach zur Jungfrau: Du warest nackt und bloß! Deine Brüste wurde prall und dein Haar sproß!
Oder es sprach der Herr vielleicht in Wahrheit zur Jungfrau: Deine Brüste wurden prall und dein
Schamhaar sproß! Du warest nackt und bloß, und es war die Zeit der Liebe, da deckte ich dich mit
dem Zipfel meines Gewandes und schloß einen ewigen Bund der Liebe mit dir! Wir wagen es kaum
zu denken, aber in den kühnen Bildern des Propheten erwählt sich der Herr die Jungfrau als eine
nackte Geliebte, deren Nacktheit er beschreibt: Deine Brüste waren prall und dein Schamhaar
gesprossen! Und er erkennt sie als seine Geliebte und schließt den Ehebund mit ihr! Wer wagt es
und ist so kühn zu denken, daß dies ein prophetisches Bild der Jungfrau Maria ist! Auch der Prophet
Jesaja beschreibt die Brüste der Jungfrau Jerusalem, indem durch den Propheten der Herr spricht zu
seinen Kindern: Ihr werdet saugen an den Brüsten des Trostes! Ihr werdet saugen an dem Reichtum
der prallen Mutterbrüste die süße Milch des Trostes! Auf dem Schoß werdet ihr liebkost wie
Kinder! Ich, spricht der Herr, tröste euch wie eine Mutter! Hier sehen wir wieder die Muttergottes
als die Jungfrau Jerusalem, die der Herr selbst als Liebender besingt in seinem prophetischen
Liebesgedicht und besingt den prallen Reichtum und die Herrlichkeit ihrer Mutterbrüste! Wir sehen
also durch die Propheten Hesekiel und Jesaja die Vision des Herrn von den Brüsten und dem
Schoße seiner Braut und Geliebten, der Jungfrau Jerusalem oder der Jungfrau Maria, die der Herr
allein in ihrer Nacktheit geschaut und erkannt hat! Es ist auch allgemeine katholische Lehre, daß
das Osttor des Tempels, das der Prophet Hesekiel beschreibt, ein Gleichnis für den Schoß Mariens
ist. Denn der Prophet schreibt vom Osttor, das verschlossen wurde, durch das keiner hindurchziehen
durfte, weil der Herr selbst hindurchgezogen ist. Dies wird allgemein gedeutet als ein Beleg für die
immerwährende Jungfräulichkeit Mariens, die nach der Geburt des Herrn keinen Sohn und keine
Tochter mehr geboren hat. Der Herr, der im Heiligen Geist die Jungfrau erkannt und fruchtbar
gemacht hat mit dem Sohn, ist der einzige Gatte der Jungfrau Maria. Allerdings finde ich an der
selben Stelle den ergänzenden Hinweis des Propheten, daß allerdings der Fürst, das heißt der
Auserwählte, diesem verschlossenen Osttor nahen darf und das heilige Mahl dort halten darf.
Dieses heilige Mahl wird wohl das kultische Mahl sein, das Hochzeitsmahl des Lammes, das heilige
Abendmahl. Darüber bin ich nicht unterrichtet. Ich weiß nur, daß ich es als einen tröstlichen Akt der
Gnade und Liebe empfinde, als ein Fürst im Himmelreich vorgelassen zu werden zum
verschlossenen Osttor des Tempels, das dasselbe ist wie der verschlossene Garten des Hohenliedes,
nämlich der unverletzte Schoß der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria. Im übrigen will
ich mich wiederholen und die Worte Unserer Lieben Frau von Medjugorje zum zweitenmal zitieren,
die gesagt: Ich lade euch ein, euch mit mir zu vereinigen und zu lieben! Ich lade euch in meinen
Schoß ein! Wir wollen also kühn sein aus Liebe und in den verschlossenen Garten Unserer Lieben
Frau eintreten und dort das Hochzeitsmahl der himmlischen Liebe feiern!

DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Nun wollen wir vom Islam sprechen, bevor wir auf das Neue Testament kommen, denn ich meine,
der heilige Koran steht zwischen dem Alten Testament der Biblia Sacra und dem Neuen Testament
der Biblia Sacra. Mir scheint, auch der heilige Koran ist eine prophetische Offenbarung des Gottes
Abrahams, Isaaks und Jakobs. Im Koran wird den Gottergebenen das Paradies verheißen, da die
Jünglinge den Gläubigen den Wein einschenken und die Gläubigen von Gott mit den Huris
vermählt werden, den Paradiesjungfrauen. Die Jünglinge sind auch verherrlicht worden in der
islamischen Liebespoesie, die oft von tiefen mystischen Ideen durchdrungen ist. Dort ist es im
Idealfall der vierzehnjährige Jüngling von außerordentlicher Schönheit. Dies geht vermutlich auf
die platonische Knabenliebe zurück, die von Platon gerade für ihre unsinnliche, rein geistige Art der
Liebe gerühmt wurde. Aber in den Huris verkörpert sich die erotische Form der Liebe. Hier wird
das Paradies, das Reich der göttlichen Liebe, in Form einer erotisch-liebenden Frau geschildert.
Diese Liebe wird von Gott geheiligt, denn die Gläubigen werden rechtmäßig vor dem Angesicht
Gottes mit den Huris vermählt. Ihre Liebe ist eine geistig-seelische Liebe, was, denke ich, daran zu
erkennen ist, daß der Name Huri ein schönaugiges Mädchen bezeichnet oder ein großaugiges
Mädchen. Da die Augen bekanntlich der Spiegel der Seele sind, ist diese Liebe der Huris also eine
eheliche und seelenvolle. Man kann den Muslimen also nicht vorwerfen, daß sie animalische
Leidenschaften und wildeste Orgien mit Huren in das Paradies verpflanzen. Dennoch gibt es auch
eine Art und Weise in der islamischen Tradition, wenn mir auch nur weniges davon bekannt ist, von
den Huris und den Freuden des Paradieses in erotischen und auch sexuellen Bildern zu sprechen.
Das ist den Abendländern immer anstößig erschienen, ebenso wie die erotisch-sexuellen Metaphern
der Gottesvereinigung in den Liebesliedern des indischen Gottes Krishna und seiner mystischen
Braut die Abendländer meistens abgestoßen haben. Es scheint im Orient eine größere Freiheit zu
geben, die Sexualität unbefangen als einen Ausdruck der Liebe zu verherrlichen und sie sogar zu
einem Symbol für die göttliche Liebe zu verwenden. Das Abendland ist dagegen stark vom
Platonismus geprägt, dem der Körper als Kerker der Seele galt, und von den gnostischen
Strömungen, die auch in der Kirche fortwirkten, nämlich der asketischen Leibverachtung und
Schmähung der Dreifaltigkeit von Natur und Frau und Erotik. Dagegen hat die orientalische
Freigeistigkeit die Andeutungen des Koran ausgeschmückt. So erzählt ein armenischer Dichter von
seiner Vision des Paradieses, da die Huris den Gläubigen beiwohnen Nacht für Nacht in
wonnevollen Liebesvereinigungen, und daß sie am Morgen nach der Liebesvereinigung wieder wie
unberührte Jungfraun sind. Hier ist die Liebe in ewiger Jugend gesehen, fern von der irdischen
Fortpflanzung und fern von dem irdischen Altern. Die Huris sind von idealer Schönheit, schön wie
Mädchen, wenn sie voll erblüht sind, bevor sie zu welken beginnen. Dies ist eine Vision der
himmlischen Schönheit und ewigen Jugend des Paradieses. Die sexuelle Liebesvereinigung in aller
Wonne ist aber ein allerintimster Ausdruck oder ein wahrhaft köstliches Gleichnis für den überaus
beglückenden Genuß der göttlichen Liebe. In Wahrheit hat ja auch die christliche Brautmystik die
Vereinigung mit Gott in erotischer Sprache zum Ausdruck gebracht, nur sind sie dabei, anders als
die muslimische Tradition, vor sexuellen Bildern zurückgescheut. Aber ist nicht vielleicht die
göttliche Liebe in ihrer allumfassenden Größe im Eros auf sublime Weise zusammengezogen und
konzentriert und der Eros wiederum vollzieht seine Vereinigung in konzentriertester Form in der
sexuellen Vereinigung? So wird von dieser muslimischen Tradition auch die Sexualität wahrhaft
geadelt und geheiligt und zum konzentrierten und sublimen Ausdruck der allumfassenden göttlichen
Liebe verherrlicht. So las ich in den Kommentaren zu erotischen Liebesliedern eines deutschen
Dichters die Legende, nach der der Prophet Mohammed vom Erzengel Gabriel unterwiesen wurde
in der Bereitung einer Speise, die ihm die Manneskraft von vierzig Männern bescherte. Der Christ
wird vielleicht spöttisch lächeln, aber hier erscheint die Manneskraft als eine potenzierte
Lebensenergie, die Lendenkraft des Liebenden als eine übermenschliche, die verheißene Wollust
und ekstatische Seligkeit des Rausches der Liebesvereinigungen von einer alle Vorstellungen
übersteigenden Kraft und Schönheit. So wird die überaus gesteigerte Lendenkraft und die somit
überaus gesteigerte Lust zu einem Bild für den göttlichen Segen. Dieser göttliche Segen verheißt
die Freuden der Liebe und die alle Vorstellungskraft übersteigende Lust des Paradieses. So las ich in
einem Totenbuch des Islam die Verheißung an die Gläubigen des Paradieses, daß ihnen im Verkehr
mit den Huris ihre Latten nie ermatten werden. Wahrlich, nie ermattende Latten mit einer
vierzigfach gesteigerten Manneskraft und Huris, bereit zu immerwährenden Vereinigungen in
immergleichbleibender Jugendschönheit, das ist das Paradies des Eros. Wer den Eros aus der
Religion verbannt, wird dies eine gemeine animalische Wollustphantasie nennen. Wer allerdings
meint, daß der Eros ein überaus herrliches Gleichnis der göttlichen Liebe ist, ja, daß der Herr selbst
Eros ist, der wird, wenn er freien und kühnen Geistes ist, diese religiösen Vorstellungen ehren und
lieben. Weil unser Thema aber die Sexualität Mariens ist, wollen wir überliefern die muslimische
Tradition, die ein Wort des Propheten Mohammed anführt, daß er im Paradies vor allen anderen die
Jungfrau Maria, die jungfräuliche Mutter des Messias Jesus, zu heiraten wünscht. Wenn der Prophet
Mohammed auf seinem Flügelpferd ins Paradies geritten ist,. wenn er dort die ewige Schönheit der
Huris sah, wenn er ihre Bereitschaft zur Liebesvereinigung kannte und ihre ewige Jungfräulichkeit,
wenn er selbst im Paradies die Lendenkraft von vierzig Männern besaß, wenn er sich dann
entschied, nicht die Huris zu heiraten, derer ihrer zweiundsiebzig, wie manche sagen, für jeden
Gläubigen sind, sondern wenn dann der inspirierte Prophet sich entschied, die Jungfrau Maria zu
heiraten, ja, wenn er die Jungfrau Maria sein Paradies selbst nannte, dann sagt das dem
Nachsinnenden genug über die erotische Kraft der allerseligsten Jungfrau Maria. Das wird nur der
Christ als geschmacklos empfinden, der die Jungfrau Maria für ein asexuelles Wesen hält und der
Keuschheit mit Prüderie verwechselt und der nicht wahrhaft begriffen hat, daß Gott, der Herr, unser
aller Herr, der wahre allerhöchste Eros ist, und daß nächst ihm die allerselighste Jungfrau Maria von
allerhöchstem Eros ist! Hier passt dann das Wort, daß die Jungfrau Maria die höchste Devotion des
Eros ist, die bist zur Anbetung sublimierte Glut des Eros, die Glut des Eros, die noch über die Glut
der Anbetung hinausgeht zur Weißglut der ehelichen Verschmelzung!
VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Bevor wir zur Weisheit Jesus kommen, wollen wir zuvor die Weisheit der Heiden betrachten. Der
Papst der katholischen Kirche nennt sich Pontifex Maximus, und meine evangelischen Freunde
protestieren, das sei der Titel des heidnischen Oberpriesters des antiken Rom gewesen. Sie
vergessen dabei, daß in dem Neuen Testament selbst Jesus der Logos genannt wird, was ein Begriff
der heidnischen Philosophie war, besonders des Heraklit von Ephesos, der seine Philosophie der
Artemis von Ephesos weihte, und der Stoa und auch des jüdisch-hellenistischen Synkretismus des
Philo von Alexandrien. Ich meine, daraus kann man erkennen, daß das Neue Testament selbst
anerkennt, in den Heiden Propheten und Vorläufer des Christus gefunden zu haben, des Christus,
der Logos und Sophia und Dynamis ist. Aber es wurde auch von vielen darauf hingewiesen, daß die
Geschichte des Lukas-Evangeliums von der Verkündigung des Herrn an Maria, vom Englischen
Gruß und der Zeugung des göttlichen Sohnes durch den Heiligen Geist, die Taube, Vorschatten in
den heidnischen Mythen gefunden hat, da ein Gott eine irdische Nymphe geschwängert hat. Zwei
dieser Mythen will ich betrachten. Zeus als der Vater der Götter und Menschen ließ sich herab, in
Gestalt eines Schwanes die irdische Nymphe Leda zu befruchten. Hier wird von orthodoxen
Theologen verwiesen auf den Unterschied zwischen dem griechischen Mythos und dem historisch-
wunderbaren Bericht bei Lukas, in dem Lukas rein geistig oder spirituell berichte, dieweil der
Mythos alles in schwüler Sinnlichkeit ausbreite. Mir scheint in diesem Argument aber wieder die
weitverbreitete Entfremdung der Religion vom Eros sich zu offenbaren. Die sterbenden und
auferstehenden Götter wie Dionysos oder Adonis können solche Theologen als Prophetien auf
Christus anerkennen, aber die Zeugung einer Leibesfrucht durch Zeus den Schwan im Schoß der
Nymphe Leda können sie nicht anerkennen als Vorschatte auf die Inkarnation Christi im Schoß der
Jungfrau, weil sie die Sprache des Eros als unheilig empfinden. Der Schwan, in den sich Zeus dem
Mythos nach verwandelte, ist ein bedeutsames Tier. Bei den Indern ist der Schwan, der
Königshansa, das Reittier des Schöpfergottes Brahma. Bei den Chinesen heißt der Schwan Tian-Er,
das heißt himmlische Gans. Bei Platon singt der Singschwan vor seinem Tod, weil er sich auf die
Unsterblichkeit der Seele freut. Auch ist der Schwan bei den Indern der Saraswati heilig, der Göttin
der Sprache, der Braut des Schöpfergottes Brahma, weil er Symbol der höchsten Weisheit und
spirituellen Vollendung ist. Bei den Griechen war der Schwan der Venus heilig, die Schwäne zogen
den Triumphwagen der Göttin der Liebe und Schönheit. Auch gilt der Schwan wegen seines langes
Halses als ein Phallus-Symbol. So ist in dem Schwan die Einheit von Spiritualität und phallischer
Sexualität im Dienst der Venus vereinigt. Der Schwan ist also ein mythisches Symbol für die
Einheit von Spiritualität und Sexualität oder Mystik und Eros. Das ist in Wahrheit ein sehr weiser
Mythos. So meine ich, ist es nicht unerlaubt, auch in dem Vorgang der Befruchtung der Jungfrau
Maria durch den Heiligen Geist, der die Kraft Gottes und die Liebe Gottes ist, der das Feuer Gottes
und die Spiritualität Gottes ist, einen mystisch-erotischen Vorgang zu sehen, der gewissermaßen,
wenn man das so sagen darf, etwas von der Sexualität Gottes zum Ausdruck bringt. Kommen wir
zum zweiten Mythos. Damit meine ich den Mythos, in dem Zeus, der König der Götter, als
Goldregen den Schoß der Danae befruchtet, die in einem Turm eingeschlossen war. Bei dem Turm,
in dem Danae eingeschlossen war, kann ich nicht anders als an den Elfeinbeinturm Davids denken,
als der in der Lauretanischen Litanei die Jungfrau Maria bezeichnet wird. Die Verkündigung
Mariens wird ja oft in einer stillen kontemplativen Kammer als Ereignis dargestellt, da Maria in
Zurückgezogenheit und Einsamkeit den Psalter meditiert oder den Schleier für den Vorhang vor
dem Allerheiligsten webt. Es zeigt die Einsamkeit an und die Verschlossenheit vor dem Lärm der
Welt, in dem die Empfängnis Gottes sich ereignet. Daß Zeus sich als Goldregen ergoß, ist gewiß
nicht in dem töricht-weltlichen Sinn der späteren griechischen Dichter so zu verstehen, daß allein
das Geld dem Freier den Weg zum Schoß des Weibes eröffnet. Das ist eine fast schon
blasphemische Säkularisierung eines einst heiligen Mythos. Der Regen ist in allen heidnischen
Religionen die Fruchtbarkeit Gottes oder gewissermaßen der Samen des zeugenden Gottes
gewesen, der den Schoß der Mutter Erde oder Mutter Natur fruchtbar macht. Daß es ein goldener
Regen war, deutet auf seine geistige Reinheit, seine sublime Lauterkeit hin, ist doch das Gold das
Symbol für allerhöchste Reinheit und Edelkeit, wie etwa in der Alchemie das Gold der Prozeß einer
langwierigen Purgierung ist. Dieser Same Gottes, der ein goldener Same ist, ist nicht ein unreiner
Same, sondern ein Same von allerhöchster Lauterkeit und Reinheit. Auch in der katholischen
Theologie wird die Jungfrau Maria als die höchste Stellvertreterin der Menschheit, ja, der gesamten
Natur und Schöpfung gesehen, da sie gewissermaßen als Ideal der Schöpfung und Stellvertreterin
der Menschheit Ja gesagt hat zu dem Willen Gottes, in ihr den Sohn Gottes zu zeugen. Damit wird
Gott als das schöpferisch-befruchtende Element angesehen und Maria als die Mutter Erde oder
Mutter Natur oder als die Nymphe, die von Zeus in Gestalt eines goldenens Regen fruchtbar
gemacht wurde. Der griechische Mythos hat dabei die Ahnung eines Gotteszeugung und
Gottesgeburt in der Sprachmacht des Eros ausgedrückt, während die spätere Kirche dieses
Geschehen der Verkündigung und Inkarnation des Herrn in rationaler Logik rein geistig dargestellt
hat. Ich meine aber, daß der Kirche durch die Entfremdung vom Eros und seiner mythischen Bilder
ein Wärmestrom der Verkündigung verloren gegangen ist, der hätte zum Ausdruck bringen können,
daß Christus der von Dionysios Areopagita geheiligte Eros Gottes ist, der sich durch die
Offenbarungssphären und himmlischen Hierarchien ergießt bis in die irdisch-menschliche Seele, um
die irdisch-menschliche Seele durch die Liebeskraft seiner göttliche Erotik wieder in den Schoß
Gottes heimzuholen. Das ist meiner Meinung nach das Geheimnis der Menschwerdung Gottes in
Jesus, in der Sprache der Erotik ausgesprochen. Begeben wir uns von den Griechen nach Amerika
zu den primitiven Indianern. Ich berufe mich auf den katholischen Priester, Mystiker und Dichter
Ernesto Cardenal, der vom Hügel Unserer Lieben Frau Maria aus eine Einsicht hatte in die Mystik
eines Indianerstammes, der weltverloren in der Wüste Nevada lebte. Diese Volk hatte einen Gott,
der eine Frau war. Sie waren aus dem Uterus der Gott-Frau geboren, ihre Hängematten waren der
Uterus, ihre Decken waren die Plazenta der Gott-Frau. Ihre Philosophie war das Leben in Aluna,
das heißt, das Sein in der weiblich-göttlichen Weltseele, Leben oder Weisheit oder Liebe. Wenn sie
beerdigt wurden, wurden sie in Embryonalstellung beerdigt, denn im Tode kehrten sie heim in den
Schoß der Gott-Frau. Dieses Volk nun, berichtet der Dichter Cardenal, war besessen vom Sexus.
Phallus und Vulva waren ihnen heilige Symbole. Ich erwähne das, weil Ernesto Cardenal schrieb in
seiner poetischen Sprache, daß er dies Mysterium von Unserer Lieben Frau Maria aus verstand. Ich
muß dabei an die Gedanken des jüdischen Religionsphilosophen Walther Schubert denken, der
sagte, daß im weiblichen Weltzeitalter der Eros die Religion dominierte. So scheint mir auch, wie
manche sagen, das Wesen des Mannes mehr dem Logos verbunden, das Wesen der Frau mehr dem
Eros verbunden. In der Geschichte des christlichen Abendlandes sind die Frau, die Natur, die
Leiblichkeit und der Eros insgesamt als Instrumente des Teufels dämonisiert worden, dagegen die
Ratio, der Logos und die Männlichkeit vergöttert wurden. Ich meine aber, wenn, wie bei den
Indianern, das Gottesbild weiblich wird, kehrt der Eros zurück, oder umgekehrt, wenn der Eros
zurückkehrt in die Religion, erwachen die weiblichen Gottesbilder. Mir scheint das aber gerade ein
Bedürfnis dieser unserer Zeit zu sein, daß die Religion erotisiert wird und die Erotik spiritualisiert
und daß im Gefolge dieser Vereinigung von Religion und Eros die weiblichen Gottesbilder in den
Seelen der Menschen wieder erwachen. Da die Jungfrau Maria in der katholischen Religion ein
Spiegel dieses Göttlichweiblichen ist, ist es mir ein Bedürfnis, gerade diese Jungfrau Maria von
dem Vorwurf der eiskalten Asexualität zu befreien, die Jungfrau Maria in ihrer Erotik darzustellen
und damit zu einem glühenden weiblichen Gottesbild hinzuweisen. Da wir nun die männliche
Erotik Gottes in Zeus verherrlicht haben, die weibliche Erotik des Göttlichweiblichen in Aluna
gepriesen haben, wollen wir den Versuch einer Versöhnung oder innergöttlichen Hochzeit wagen,
und die Erotik des Götterpaares der indischen Religion behandeln. In der indischen Religion ist die
Sprache des Sexus geheiligt, wie vielleicht in keiner anderen Religion. Ein mächtiges
segensbringendes Amulett ist das Symbol des Phallus in der Vulva, oder, indisch gesprochen, des
Lingam in der Yoni. Die Yoni ist das Symbol der Göttin. Wenn der Hinduismus sich auch
durchgerungen hat zu einem heimlichen Monotheismus und von der einen absoluten Gottheit
spricht, so offenbart sich das eine absolute Göttliche doch in vielen personifizierten Göttinnen und
Göttern. Dabei herrscht der Gedanke vor, daß jeder Gott seine Göttin oder Shakti hat. Dieser
Gedanke lebt auch im Budhhismus fort, wo es eine Shakti für jeden Buddha oder Boddhisattwa
gibt. Die Bilder dieses Götterpaares von Gott und Göttin stellen das göttliche Paar in einer sexuellen
Liebesvereinigung dar. Konzentriert ist das Symbol dieser göttlichen Hochzeit eben das mächtige
Segenssymbol des Lingam in der Yoni. So ist im tibetanischen Buddhismusus das Mantra des
Boddhisattwa der Barmherzigkeit
das Om mani padme hum, das heißt, das Juwel ist in der Lotosblüte, spirituell gesprochen heiißt
das, daß das Göttliche iin der Seele wohnt, und tantrisch oder erotisch gesprochen ist das Juwel der
Phallus und die Lotosblüte die Vulva. In dem indischen Mythus stellen die Göttin und den Gott
Parvati und Shiva dar. Shiva ist dabei der Gott des Geistes und der Askese, oder, christlich
gesprochen, des Logos, der durch seine geistliche Askese den Kama, das heißt den Eros Indiens,
verbrannt hat, nämlich verbrannt durch die spirituelle Kraft seines dritten Auges, also seiner
asketischen Geistigkeit. Parvati dagegen ist die Natur, die Mutter Natur, die Göttin, die die Sprache
der Frauen und der Armen spricht, Prakriti, was die Sprache der Natur bedeutet, dagegen Shiva die
Sprache der Gelehrten spricht, das Sankskrit der Veden. Dieses Paar von Shiva und Parvati oder
Geist und Natur wird in einer sexuellen Liebesvereinigung dargestellt. Katholisch gesprochen ist
Shiva das Symbol für die Transzendenz Gottes und Parvati das Symbol für die Immanenz Gottes.
So spricht das Abendland auch von dem Wesen des Mannes als Verbundenheit mit der
Transzendenz und vom Wesen der Frau als Verbundenheit mit der Immanenz. So spricht auch der
katholische Katechismus davon, daß die Vaterschaft Gottes besonders die Transzendenz Gottes
betont, während die Mutterschaft Gottes mehr die Immanenz Gottes betont. In der mystisch-
erotischen oder spirituell-sexuellen Vereinigung des Lingam mit der Yoni drückt sich nun in einem
rein sexuellen Bild die heilige Vereinigung des Transzendenz und Immanenz Gottes aus, oder der
Einen heiligen Elternschaft Gottes.

FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Kommen wir nun zum Neuen Testament, dem Evangelium der Weisheit Jesus. Betrachten wir die
Verkündigung des Herrn an Maria. Der Engel grüßt Maria: Freue dich, Liebreizübergossene! Er
grüßt sie: Chaire, Kecharitomene! In Chaire und Kecharitomene ist die Wurzel Charis. Charis heißt
Liebe, Schönheit, Grazie, Anmut, Charme, und ist bei Homer ein Name der Aphrodite und auch des
Zaubergürtels der Aphrodite. Der Engel spricht: Du sollst Gottes Sohn empfangen und gebären!
Maria spricht: Wie soll das geschehen, ohne daß ich einen Mann erkenne? Denn die Tradition der
Kirche spricht von dem Entschluß der Jungfrau Maria, jungfräulich zu leben für Gott. Da spricht
der Engel: Der Heilige Geist wird dich überschatten, die Kraft des Höchsten wird über dich
kommen! Da spricht Maria: Ja, mir geschehe nach deinem Wort! Da empfängt Maria in ihrem
Schoß den Sohn Gottes durch die Schöpferkraft des Heiligen Geistes von Gott dem Ewigen. Der
Schoß Mariens ist das Offenbarungszelt, in das die Wolke der Herrlichkeit des Herrn hineinkommt.
Der Schoß Mariens ist der Tempel Jahwes, erfüllt von der Wolke der Herrlichkeit des Herrn. Die
Wolke der Herrlichkeit des Herrn erfüllt den Schoß Mariens und macht die Jungfrau fruchtbar, wie
es in dem Mythos von Zeus im goldenen Regen und der Nymphe Danae geweissagt war. Die
Tradition der Kirche und auch der Reformatoren lehrt, daß der Schoß Mariens vor der Geburt Jesu,
in der Geburt Jesu und nach der Geburt Jesu unverletzt jungfräulich war und ist. Maria ist die
Jungfrau Gottes, die ehelos für das Himmelreich lebt, das heißt, die in der Gottes-Ehe lebt. Sie lebt
in einer solchen dichten und intimen Form der Gottes-Ehe, daß sie von der Schöpferkraft Gottes
schwanger wird und Gott den gottmenschlichen Sohn gebiert und schenkt. Betrachten wir nun die
Offenbarung der Herrlichkeit des Sohnes Gottes und Mariens auf der Hochzeit von Kana. Es ist
eine Hochzeit in Galiläa, da Jesus und Maria anwesend sind. Es ist ein verborgener Hinweis, scheint
mir, auf die mystische Hochzeit Jesu und Mariens. Der Wein geht zuende, das heißt, die Freude der
Hochzeit und der Rausch der Liebe droht zu versiegen. Maria bittet Jesus um neuen Wein, das heißt,
sie bittet ihn um den Rausch der Liebe, um den Wein der Ekstase. Wer das Symbol des Weines
tiefer verstehen will, betrachte die Sufi-Mystik, da der Wein besungen wurde von den
Dichtermystikern, und zwar nicht der verbotene Wein der Welt, sondern der göttliche Wein des
Paradieses. Hier ist der Wein ein Symbol für die berauschende Liebe Gottes, für die
Selbstvergessenheit der mystischen Liebe und für die Ekstase der Vereinigung der Seele mit Gott.
Um diesen Wein der Sufi-Mystik, um diesen erlaubten Wein des Paradieses bittet Maria Jesus. Sie
bittet geradezu: Herr, die Liebe versiegt auf Erden, der Wein der menschlichen Liebe ist
ausgegangen, schenke nun göttliche Liebe, schenke den Wein der göttlichen Hochzeit! Und Jesus
spricht: Frau, was begehrst du von mir? Er nennt sie nicht Mutter, sondern Frau. Denn hier deutet
sich wieder das Geheimnis der mystischen Hochzeit Mariens und Jesu an, des Herrn und der Frau,
des Bräutigams und der Braut, des neuen Adam und der neuen Eva. Die neue Eva bittet um den
Wein der Ekstase, den Wein der berauschenden Liebe und das Sakrament der göttlichen
Vereinigung, und der Bräutigam schenkt den Wein, der den guten Wein der menschlichen Liebe
durch den besseren Wein der göttlichen Liebe ersetzt. Die irdisch-menschliche Hochzeit von Kana
wird erhöht durch ein Wunder und verklärt in die Offenbarung der Herrlichkeit des Herrn und
Unserer Lieben Frau als die wahren Hochzeitsleute der göttlichen Hochzeit! Betrachten wir
Bräutigam und Braut am Kreuz! Die Kirche spricht seit langem schon von dem Mitgekreuzigtsein
der Jungfrau Maria mit dem Herrn Jesus. In Amsterdam erschien Maria und nannte sich:
Miterlöserin. Dieser Titel ist in der Kirche schon lange im Umlauf, wenn er auch noch nicht
dogmatisch definiert ist. Johannes Paul II nannte Maria die Frau der Schmerzen, die mit dem Mann
der Schmerzen gelitten hat. Christus wurde am Körper gekreuzigt, Maria am Herzen gekreuzigt. Ich
will hier nicht die Theologie des Kreuzes entfalten und auch nicht die Theologie der Miterlöserin,
sondern ein Gemälde schildern, das ich sah in dem Sendschreiben der Kommunion Maria Königin
des Friedens. Dort schwebt über Jerusalem in der kosmischen Nacht schräg aufsteigend das Kreuz
in das All, und auf dem Kreuz wie auf einem Bett liegt Christus, nackt bis auf den Lendenschurz.
Der Lendenschurz ist aber nicht zu sehen, sondern allein seine männliche Nacktheit, denn sein
Körper wird bedeckt von Unserer Lieben Frau, die in seinen Armen liegt. Sie trägt ein Gewand aus
einer leichten feinen weißen Seide, die fast durchsichtig ist, ein fließendes Lichtgewand, das weht
durch die Nacht. Ihre zarten schlanken femininen Fingern verschlingt sie mit den angenagelten
Händen Christi, die ihre Hände zärtlich umschließen. An der Stelle, wo die Brust Mariens über der
Brust Jesu gebettet ist, erstrahlt als Zeichen der Vereinigung des heiligen Herzens Jesu und des
unbefleckten Herzens Mariens ein strahlender Lichtglanz, wie ein diamantener Morgenstern oder
die Quelle des Lichts selbst. Das Antlitz Unserer Lieben Frau ist dem Antlitz des Herrn liebevoll
zärtlich zugewandt, und sie scheinen einander Liebesworte zuzuflüstern, ja, mir scheint, ich höre,
wie Maria, die Braut, zu Christus, dem Bräutigam, die Worte des Allerheiligsten der Heiligen
Schrift flüstert, den Vers des Hohen Liedes: Küsse mich, Geliebter, denn deine Küsse sind
berauschender als der Wein! So schweben der Bräutigam und die Braut in ihrer mystischen
Liebesvereinigung in dem Bett des Kreuzes, wie Katharina von Siena den Ort der mystischen
Vereinigung nennt, als Erlöser und Miterlöserin durch die Nacht des Kosmos! (Liebe alte Mutter im
Karmel, Ihr habt mich ermahnt, dergleichen nicht zu schreiben. Aber hier stehe ich und kann nicht
anders. Immaculata sei mir gnädig!) Der Schluß des Evangeliums der Weisheit Jesus ist von
derselben Vision erleuchtet, nämlich von der Hochzeit des Lammes mit der Braut, der himmlischen
Jerusalem. Die himmlische Jerusalem ist die Braut und die Frau des Lammes, griechisch
gesprochen, die Nymphe des Lammes. Sie kommt in der apokalyptischen Endzeit aus dem Himmel
hernieder, geschmückt wie eine Braut für ihren Bräutigam. Ja, der Schluß der Bibel, der ganzen
Heiligen Schrift von A bis O, von Genesis zu Apokalypse, ist die Herniederkunft der himmlischen
Braut, der Nymphe des Lammes, die sich schön gemacht hat zur Hochzeit mit dem Lamm, dem
gekreuzigten und auferstandenen Christus Jesus. Die Jungfrau Maria ist die himmlische Jerusalem,
das Ideal der Ecclesia, der Inbegriff der erlösten Menschheit, und die letzte eschatologische
Offenbarung der heiligen Schrift ist die heilige und himmlische Hochzeit der Braut Maria mit dem
Bräutigam Jesus. O Maria, du Nymphe des Lammes, komm herab aus dem Himmel wie eine Braut!
Selig sind, die geladen sind zur Hochzeit des Lammes! Ja, Herr Jesus, komm bald!
SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Einige Mystiker wollen wir nun betrachten. Als erstes führen wir das Wort eines katholisch-
charismatischen Propheten der Königin des Friedens an, daß die rote Glut der menschlichen Liebe
nicht von dem Violett der Frömmigkeit, sondern allein von der Weißglut der göttlichen Liebe
überwunden wird. Die rote Rose der leidenschaftlichen Liebe zu einer sterblichen Frau wird nicht
ersetzt durch die blaue Lilie der Keuschheit, sondern durch die weiße Pfingstrose der
leidenschaftlichen Liebe zur himmlischen Braut Maria. Hier erwähnen wir den seelsorgerlichen Rat
eines Mönchs, der dem Ehelosen die Marienehe empfahl, da der Ehelose bestätigte, daß die
Madonna den Ehelosen leidenschaftlich und mystisch-erotisch liebe! Denn die Liebe zur Madonna
soll kein asexuelles, unerotisches, das heißt unvitales Liebesverhältnis sein, sondern die höchste
Sublimierung des Eros, die höchste Devotion des Eros sein, eben die Weißglut des Eros. Hieran
anknüpfend zitieren wir den jüdischen Religionsphilosophen Walther Schubert, der von der
Vereinigung des Eros und der Religion sprach und über den anbetenden Eros in der Religion den
umarmenden Eros in der Religion stellte, das heißt, heiliger als der Theismus ist die Mystik der
mystischen Union mit Gott. Maria wollen wir betrachten als den Inbegriff und das Ideal dieses
umarmenden Eros in der Religion, da sie wie keine andere die mystische Vereinigung mit Gott
erfahren hat. Diese mystisch-erotische Union hat auch Mechthild von Magdeburg ersehnt und
erfahren, da sie den göttlichen Bräutigam im Garten der Liebe traf, da sie zu ihm schrie: Herr, ich
bin eine nackte Seele in heißer Gier! Liebe mich oft und heftig und lange! Und der göttliche
Bräutigam sprach zu seiner mystischen Braut: Entkleide dich und komm in mein Brautgemach und
vereinige dich mit mir in Liebesumarmungen und Küssen und letzter Ganzhingabe! Die mystische
Erotik oder spirituelle Sexualität kann das Verhältnis zur Gottheit aber auch umgekehrt erfahren,
daß der Mensch der Minneritter ist, der um Frau Minne wirbt oder daß der Mensch der Mönch ist,
der als Minnediener die Frau Weisheit verehrt. Die göttliche Frau Weisheit war die göttliche
Geliebte des seligen Heinrich Seuse und war auch die mystische Braut des Theosophen Jakob
Böhme. Jakob Böhme nannte die Jungfrau Sophia seine göttliche Geliebte, die ihn innerlich heilige
und vervollkommne, so daß er das innere Gottesebenbild seiner Menschheit wiederfinde in der
ursprünglichen Ganzheit. Diese Jungfrau Sophia verhieß dem mystischen Theosophen, daß sie seine
Braut und Verlobte sei, daß sie ihn führen werde auf seiner Pilgerschaft auf Erden, und daß sie ihm
im Paradies ihr Perllein schenken werde. Offenbar scheint das die Verheißung zu sein, daß die
Jungfrau Sophia auf Erden die keusche Braut sei, die keusche Verlobte, die wahre Freundin ihres
Minners, aber daß sie ihn heiraten werde und die Hochzeit vollziehen werde im Himmel. Denn
wenn der Christ den irdischen Tod gestorben ist, ist er geladen, biblisch gesprochen, zur Hochzeit
des Lammes, mystisch gesprochen, zur Hochzeit mit der Jungfrau Sophia. Daß diese verheißt, ihr
Perllein zu schenken im Paradies, ist die Verheißung der ehelichen Vereinigung in der
Hochzeitsnacht, das heißt, die himmlische und ewige Gottesehe des Erlösten wird in dem sexuellen
Bild der ehelichen Vereinigung im Paradies zum Ausdruck gebracht. Diese Jungfrau Sophia ist das
göttliche Urbild der irdischen Jungfrau Maria, wie Jakob Böhme sagt, sie ist aber auch Jesus
Christus selbst. Es scheint also durchaus erlaubt, wenn man auf den Genius Böhmes vertraut, das
Paradies als die Ehe mit der Jungfrau Maria zu betrachten. Hier scheint die Hoffnung des Propheten
Mohammed nicht umsonst, der sich wünschte, im Paradies die Jungfrau Maria zu heiraten. Da
Maria Sophia ist (wie auch die päpstliche Begründung der dogmatischen Definition der
Unbeflecktheit Mariens die Schrift anführt über die Unbeflecktheit Sophias), da also Maria Sophia
ist, wird diese Maria-Sophia ihr Perllein, das heißt, ihre eheliche Ganzhingabe, im Paradiese ihrem
Bräutigam schenken. Dieser Schoß Mariens, den der Marienbräutigam im Paradies erkennen wird
und sich vereinigen mit der ewigen Jungfrau Maria-Sophia und verschmelzen mit der unbefleckten
Jungfrau in gegenseitiger Ganzhingabe, dieser Schoß Mariens wird vom heiligen Louis-Marie
Grignion de Montfort das Paradies selbst genannt. Ich werde nicht müde, diese Worte Grignions
weiterzusagen, daß der Schoß Mariens ein seligeres Paradies ist als der im Neuen Testament von
Jesus selbst verherrlichte Schoß Abrahams, daß der Schoß Mariens der Ruheort der Allerheiligsten
Dreifaltigkeit, der Lustort Gottes ist, daß der Schoß Mariens das Paradies Gottes ist. Dieser Schoß
der Jungfrau Sophia-Maria mit dem ehelichen Perllein der Ganzhingabe ist das Paradies selbst.
Diese eheliche Vereinigung mit der göttlichen Jungfrau Sophia-Maria und die Verschmelzung mit
ihrem erotisch-mystischen Perllein wirkt, wie Salomo in der Schrift sagt, keinen Kummer und
keinen Überdruß, ja, die Ehe mit der göttlichen Sophia bereitet nichts als Lust und Freude oder
Wollust und Wonne! Der heilige Augustinus beschreibt geradezu das Paradies mit den lustvollen
Worten eines ewigen Schmachtens und ewiger Befriedigung, einer ewigen Befriedigung und
ewigen Schmachtens!

SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Ich möchte einige Andeutungen aus meinem Gebetsleben geben. Mir gelten viel die Worte Unserer
Lieben Frau von Medjugorje. Sie sagte: Ich liebe dich mit einer grenzenlosen, brennenden und ganz
besonderen Liebe! Das, meine ich, ist die Sprache der himmlischen Leidenschaft. Grenzenlos ist
Mariens Liebe, weil sie die göttliche Liebe weiterschenkt, brennend ist ihre Liebe, weil sie den
göttlichen Eros ausgießt, ihre Liebe ist eine ganz besondere Liebe, meine ich, weil sie jeden ihrer
Minner auf eine einzigartige Weise liebt, keinem ein allgemeines Schema aufpresst, sondern jeden
als ein Original liebt. Darauf vertraue ich. So sagte Maria auch, daß, wer sich ihr hingibt, auf Erden
schon das Leben des Himmels beginnt, ja, wer sich ihr ganz hingibt, daß der den Übergang von
diesem Leben zu jenem Leben gar nicht bemerkt. So stimmt es, was Louis-Marie Grignion de
Montfort sagte, daß das Leben mit Maria Sophia eine geistliche, aber wirkliche Ehe ist! So bekenne
ich die leidenschaftliche Ganzhingabe Mariens, mit der sie meiner leidenschaftlichen Ganzhingabe
antwortet, beziehungsweise vorausliebend zuvorgekommen ist. Denn sie hat mich zuerst erwählt
zum Geliebten und mich so lange leidenschaftlich umworben, bis ich, überwältigt von ihrer
Schönheit und Liebe, mich ihr ganz ergeben habe – Totus tuus! Ich kann nur eine Vision berichten,
die ich intellektuell nicht beweisen kann, nicht biblisch, nicht theologisch, nicht philosophisch, aber
ich sah im Zentrum des Kosmos den Schoß Mariens! Teilhard de Chardin sah im Zentrum des
Kosmos das brennende Herz Jesu, und vielleicht ist beides dasselbe, denn es ist das kosmische
Zentralfeuer der göttlichen Liebe, das sich mir ganz persönlich im Schoß Mariens verkörpert. Als
ich einmal ruiniert an dem Herzen der menschlichen Liebe mich in der Zeit zwischen Weihnachten
und dem Fest der Heiligen Drei Könige zum Gebet in meine Kammer zurückzog, da war die
Jungfrau Maria unsichtbar, aber wirklich spürbar bei mir zu Besuch. Sie trauerte mit mir und
tröstete mich mit ihrer ganz besonderen Liebe. Sie tanzte mit mir zu traurigen Liebesliedern und
tröstete mich mit ihrer Umarmung. Ich betrachtete damals immer wieder ein Gemälde, das ich in
dem Sendschreiben der Kommunion Maria Königin des Friedens gesehen hatte. Es zeigte Maria im
Augenblick des Englischen Grußes. Die Madonna hatte einen himmelblauen Umhang, der leicht
wie Äther sie umfloß, der aber offen war und zeigte ihr Kleid, das wie feine weiße Seide war, ganz
leicht, ganz sanft, ganz zärtlich ihren Leib umfließend wie himmlisches Licht. Das fließende
Seidengewand aus himmlischem Licht umfloß ihren Körper so, daß sich die Form ihrer süßen
Brüste abzeichnete. Bevor ich einschlief, küsste ich die Brüste der Madonna. Als ich am Morgen
erwachte, schlug der Heilige Geist die Heilige Schrift auf und ich las: Jerusalem, ziehe wieder an
das Kleid der Herrlichkeit des Herrn! Und mir war (verzeihe mir die grausame Welt) als ob die
Madonna sich ihres Lichtkleides, das ihren pneumatischen Körper verhüllte, entkleidet hätte, um
mich zu trösten mit ihrer himmlischen Liebe, und nun, am Fest der Epiphanie, das Kleid der
Herrlichkeit des Herrn wieder anziehe. Unbesiegbar fühlte ich mich gestärkt durch die Ganzhingabe
der Madonna! (Immaculata, du weißt, das ich die Wahrheit bezeuge!) Ich will eine zweite Vision
berichten. Es war genau im Augenblick der Mitternacht vom Sylvestertag auf den Neujahrstag, der
ja das heilige Fest der Gottesmutter Maria ist, da ich nach einem stundenlangen Gebet plötzlich die
Nähe der Jungfrau Maria spürte. Ihr Name war: Die Liebe! Sie erschien in einem Lichtstrahl, ich
ahnte ihre schlanke Gestalt, die von solchem femininen Liebreiz und solcher jungfräulicher Grazie
war, daß sie mir ähnlich schien der Venus-Madonna, wie sie Botticelli gemalt hat als ein ewiges
Symbol der unbefleckten Anima. Ich spürte wirklich die himmlische Liebe der Jungfrau Maria in
einer gnädigen Heimsuchung nahe. Und ich trat an jener Stelle meiner Kammer, da das unsichtbare
Licht fast sichtbar war. Es war genau der Augenblick der Mitternacht des Jahreswechsels, da am
Himmel ein großes Feuerwerk explodierte. Und ich trat auf meinen Balkon und betrachtete in der
Nacht die explodierenden Kometen und den himmlischen Feuerregen, und mir war, ich betrachte
dies in dem Augenblick der Vereinigung mit Maria als den kosmischen Ausdruck unserer
Vereinigung, und es war ein kosmischer Liebesakt, da die Liebe der Madonna als Frau Liebe die
Nacht des Universums erfüllte mit dem brennenden Flammen der Ganzhingabe ihrer Liebe! (Die
Menschen werden mich für wahnsinniig halten, Liebe Frau, doch du weißt, daß ich es so erfahren
habe!) Eine dritte Vision will ich berichten. Ich stand an der Nordsee auf dem Deich und hatte am
Ostersonntag in der Mittagszeit den Rosenkranz meditiert in Einsamkeit. Da erschien mir über dem
rauschenden Meer in unsichtbarer Sichtbarkeit die Jungfrau Maria, die von der griechisch-
orthodoxen Kirche Panhagia Aphroditissa genannt wird, und ich betete zu Maria und nannte sie den
Ozean aller Gnaden Gottes. Und mir war in einem ozeanischen Gefühl, daß in dem Gebet zu Maria
meine Seele mit der Jungfrau Maria über dem Meer verschmolz. Und in meinen Geist kam der
Gedanke, daß das wahre Gebet wie eine sexuelle Vereinigung mit einer Frau ist, weil das wahre
lebendige Herzensgebet zur mystischen Union mit der göttlichen Liebe führt und zu der selben
Glückseligkeit führt, die der Ehemann in der Vereinigung mit seiner Ehefrau sucht (wenn nicht in
Wahrheit die Vereinigung mit der göttlichen Liebe die Vereinigung mit einer sterblichen Frau an
Glückseligkeit unaussprechlich übertrifft)! Zum Abschluß meiner Meditation, die aus dem
dreifachen platonischen Wahnsinn geboren ist, dem Wahnsinn des Dichters, der besessen ist von
seiner Muse, dem Wahnsinn des Minners, der besessen ist von seiner Geliebten, und dem Wahnsinn
des Propheten, der besessen ist von der göttlichen Liebe, zum Abschluß dieser Meditation will ich
einen Traum erzählen. Meine Seele träumte in der Weihnacht der Geburt Christi, daß ich in dem
Schoß Gottes war, in dem Uterus meiner mütterlichen Gottheit. Und meine Seele wie ein
himmlisches Kind schwamm und schwebte in dem Fruchtwasser meiner Gottheit-Mutter, und das
Fruchtwasser der barmherzigen Gebärmutter meiner göttlichen Mutter war ein unendliches,
uferloses Meer des Lichts, und meine Seele schwamm erlöst und glückselig in der See der
Seligkeit!

ZWEITER TEIL

ERSTES KAPITEL

Aus dem Schoß der Morgenröte floß und ergoß sich, welches Gott gezeugt hat, das Licht: der Tau,
Diamantgeglitzer, Diamantgefunkel und spektrale Schönheit, Emanation aus der rosichten Grotte,
aus der goldenen Pforte sozusagen hervorgetreten, Perlen des Orients, niedergeglitten von den
Pfingstrosenfingern der Morgenröte. Da die Sonne aufgeht, geht ihr voran ein Herold, welchen man
nennt den Morgenstern, oder, wie die Heiden das Gefunkel nennen, Venus, der Morgenstern
blinzelte köstlich glitzernd auf das Gebirge Hermon. Ja, auf den Hermon, auf den Hermon sank der
Tau, der flüssige Demant-Tau des Morgensternes, auf den Hermon floß das flüssige Licht des
Himmels nieder, da wo weidete mitten im Nebel, unter den sieben silbernen Schleiern des
Morgennebels, schwebend auf dem wallenden Weiß des Bodennebels: Joachim. Joachim war Hirte,
Lämmerhirte, wie eine Jungfrau von Nain ihn nannte. Ganz und gar naturhaft nun die Schafe,
tretend mit hornigen Hufen auf den Heidefels, das Moosgestein, da sie verstreuten olivenförmige
Hinterlassenschaften, nichtigen Kot der Zeit, und trotteten müßig mähend und schafsmäßig äugend,
um nicht glotzend zu sagen, durch die Frühe, die um ihre feuchten Schnauzen witterte duftend,
naturhaft herzig riechend. Aber was waren sie, die Schafsköpfe, so in ihres Hirten Aug und Sinn?
Wollige Vliese, wie sie Gideon breitete sich zum Gottesorakel; Erben jener Weidenden von dem
südlichen Lande Midian, die da verdrängt wurden von den gemeinen Hirtenburschen, rauhbeinigen
Kerlen, aber der Befreier der sieben Jungfrauen kam zur Hilfe den Töchtern des Priesters von
Midian, Priesters des Allerhöchsten, welcher thronte in Feuer und Stimme oben auf dem Sinai
herrlich, heilig und majestätisch: Jahwe; der auch ein Aug hatte wohl auf den Wanderer, welcher zu
freien ging und kam an ein Brunnenloch, darauf zuging die Hirtin, die Schöne, mit den schönen
Augen, o den blitzfunkelnd-schimmernden Tiefen, jene, die nach einem Siebenjahr des Dienstes
verheißen, aber erst kam die Ältere mit den blöden Augen, drauf aber die lebenslange Liebe der
wahren Geliebten des Gesegneten, welcher da viele Lämmer hatte. Das zog nun so durch den Geist
des Joachim, da er wandelte wallend durch den Schwall von schwellenden Nebelwellen und Fluten
flüssiger Wolken, ja, wer sich den Lämmern zuwendet, der kommt auf liebe Gedanken, die da sind
Liebesgedanken. Auch solcher pflegte Joachim sich zu erfreuen, aber davon baldig mehr, denn
Größeres nennen zuerst wir, als da ist die ewige Liebe, ewiger noch als lebenslange Liebe, eine Ur-
Liebe, Himmels-Liebe, Schöpfer-Liebe, eben Gott - die Liebe! Das war der Donnernde, das war der
Schreckliche, das war der Eifernde, Eifersüchtige, der da zornig war, der da Finsternis zum Zelte
hatte und auf den Stürmen einherflog, Blitze flogen von ihm aus wie Pfeile aus Feuer vom Bogen
aus elektrischem Edelstahl - Jahwe, der Herrliche! Jahwe, der Souveräne! Jahwe, der Majestätische!
Der war Liebe... O du höchst Unbegreiflicher, o du Unergründlicher, o du zutiefst Geheimnisvoller;
o du tiefer als jeder Abgrund Seiender, o du höher als alle Himmel Seiender, o du länger als die
Geschichte des Kosmos Seiender, o du breiter als der breite Euphrat Seiender - Gottheit! Groß,
gewaltig und prachtvoll ist Gott! "Ich bin", so hast Du Dich offenbart deinem bebenden, sich die
Augen verhüllenden, sich niederwerfendem Knecht, Du bist - lebendig, wahrhaftig und ewig!
Unaussagbarer, Du! Elohim, Zebaoth, Adonai, El Elyon, El Shaddai, Eloah, Jahwe! Gott, Du, o! wie
mit sieben Augen des Lammes!... Ja, Joachim glaubte, er war ein frommer Lämmerhirte, voller
heiliger Scheu vor dem echten Gott, dem wirklichen Herrn seines Lebens, den er suchte morgens in
seinem Sinn, die Quelle jeder Kraft seines Hirtenlebens, die Quelle jeder Freude seines
Manneslebens, die Quelle jedes Segens seines Geisteslebens. Da begann Joachim zu beten, zu
bitten, zu flehen, zu preisen, zu danken, zu loben, anzubeten, zu stammeln, zu seufzen, zu jubeln, zu
reden in der Zunge der Engel. Und Gott der Allmächtige (Er allein weiß, zu welchem heilsamen
Ausgang) sandte dem Hirtenmann eine Trübsal, die begann als kleine Traurigkeit, noch ganz
kindlich unschuldig, die sich fragte, warum denn gerade sie da sei und nicht eine andere Stimmung,
etwa eine Freude oder eine heitere Laune oder ein Vergnügen oder eine Ausgelassenheit oder ein
Übermut zur Tollheit oder ein überschäumendes Glück, nein, nur Traurigkeit, die zu seufzen
begann: Ach Herr, du kennst all mein Verlangen... und da dachte er doch an die Jungfrau von Nain,
die liebliche... und seufzte. Und da ward Nachmittag, da war Joachim umflort von Hauchen
wehmütiger Seufzer wie feuchter Lüfte, wie weinender Winde, die ihn umbliesen mit schnell
dämmernder Wehmut, ja mit Hingegossenheit in die Dämmerung, Hingeneigtheit in das Dunkle, in
die Tiefe der Seele, in den Abgrundsbrunnen des Gemütes, das da litt, und wem, wem sollt er es
klagen? welchem Engel aus den Ordnungen denn? da doch Gott der Herr es bescherte aus den
unerfindlichen Gründen, die nur Er alleine kennt, dem Joachim zu Ach und Weh-mir! So weine,
weine, Joachim, das ist die Salbe des Engels, das ist Raphaels Balsam, der von seinen Schwingen
traufft und träuffelt in heilsamen Tropfen, tröpfelnd, von bitterem Schluchzen zu immer getrosterem
Stillesein und dann, ja, durch den Schleier silbernblühender Wehmut hindurch, zu einem Frieden,
der eine Lindigkeit hat, eine wohlige Ruhe, ein Daheimsein in Gottes Mutterarmen, da zu trinken
wie ein Baby von der süßen Milch des Trostes, gesogen aus den Brüsten der Weisheit Gottes! Gott
schaut vom Himmel mit den Augensternen firmamentisch schimmernd, glorios und herrlich und
seine Größe zeigend und Weite und Herrlichkeit, und dort, dort in der Ferne: das Tor aus dem Feuer
der Liebe gebaut, hoch hineingestellt in den Himmel, das Tor zum goldenen Schloß (goldener als
Gold), der Burg Gottes, mit den Zinnen und Elfenbeintürmen des Neuen Jerusalems, himmlisch,
hochheilig, die Heimstatt aller trostdürstenden Seelen, die im Glauben schauen, reinen Herzens wie
Kinder, selig hungernd nach der Liebe Abbas - oh Gott! Du, Du!... Am folgenden Morgen, wieder
früh in der Frühe, da kam zu Joachim, der da schon ausgegangen war mit seiner Herde im
schlummernden Vlies der Träume, die ihn noch umflorten mit tiefen seelischen Bildern, da kam zu
ihm ein Wanderer, der kam aus Ai, der wanderte leise dahin durch die pastoralen Gefilde, stieg die
steinernen Stufen der Schräge des Hermon hinan und grüßte Joachim mit einem Segen: "Der Herr
segne dich von Zion her!" Und Joachim neigte sich bescheiden, demütig neigte er sich und dankte
für den empfangenen Segen. Da tat sich im geistlichen Inneren seines Herzens eine Vision auf und
er sah einen Menschen, welcher weinte und flehte im Staub und hatte vor sich stehen einen Kelch,
und Joachim sah hinein in den Kelch, da war er voll mit Wein, getrübt von bitterer Hefe, und der
Weinende nahm nach einem fragenden, flehenden Aufblick ergiebig jenen Kelch und leerte ihn; in
jenem Augenblick ging ein Gefühl der Befreiung wie eine Siegesfanfare triumphierender
Schofarhörner durch die Seele Joachim, so als wäre Gottes Zorn verflogen, Gottes inständiger
Ingrimm über die Sünde der Welt, die Gottabgewandtheit, ja, das lag nun weit von ihm entfernt im
tiefsten Meer. Siehe, dachte sich Joachim, dachte der Geist in seinem Herzen, so ist jener Mann (als
wär es für mich getan) am bitteren Wasser Mara vorbeigegangen und hat es für mich getrunken, für
mich, den so oft mit dem Herrn Hadernden, trank es und: ich, ja ich darf mich wiederfinden in Elim,
bei den zwölf Wasserquellen, ihrem kristallenen Überströmen, ihrem quecksilbrig-lebendigen
Wasserschwall aus der Fülle reiner Lebendigkeit, lieblich außerordentlich, und den siebzig
Palmenbäumen, den gerechten Stämmen mit den Wedeln der Heiligen, welche da Hosianna!
Hosianna! rufen, welche triumphieren im Land der Lebendigen, in der Versammlung der Väter, da
darf ich hinkommen, wo unser Vater Abraham sitzt auf seinem Patriarchen-Ehrenstuhl, oh, und ich
auf seinem Schoß wie ein närrisch-liebliches Kindlein? So dachte Joachim. Und der Wanderer -
sage mir, o Muse vom Sion, war es ein Engel? - sprach mit warmer und sanfter Stimme neben
Joachim, melodisch flüssig und voller Wohllaut: "Du, o Herr, stillest mir all meine Sehnsucht, du
erfüllst mein Verlangen mir, all mein tief-inniges Seelenverlangen, all mein Begehren des Herzens
bist du, o Herr, an dir allein hab ich höchste Lust, ja, ich hab Lust an dir und deinem Wort, nach
deinen himmlischen Wohnungen, Gott, da hab ich Verlangen, meine Seele schmachtet nach dir wie
eine weiße Hindin nach dem frischen Wasser, o nach dir dürst ich und nach deinem Messias, dem
Heiligen Israels, dem Sohne des Lieblings der Lieder Israels, Aarons Messias, dem König der
Juden... O mein Herr und mein Gott! Schau auf diesen Hirtenmann, sei ihm gnädig und gib ihm
Frieden! Du bist der Erlöser ja seiner Seele! Dir sei Ruhm in Ewigkeit! Amen!" Und der Wanderer
ging, er ging wie ein Nachtwandler, wie ein Tagträumer leise davon, silbrig gleitend wie der
Vogelflug im Anflug der grau-leuchtenden Dämmerung, durchschossen schräg wie ein
Linnengewebe mit goldenen Fäden, mit Fäden von roten Scharlach, auch das Band aus blauem
Scharlach wehte eben zu dieser Stunde am Horizont, denn der Tag erwachte, der in seiner
Jünglingshand den Schleier Eos' hielt, den rosichten, rosig wie Muschelschaum vom Großen Meer,
goldblutend wie ein Frühlingsheros, auferstehend ging die Sonne herauf, der triumphierende König,
er trat aus dem Zelt, da er nächtigte herrlich inmitten seiner Ritter, der Sterne, und trat hervor im
glänzenden Brustpanzer, aber sein Auge lohte, funkensprühend vor himmlischer Lust, denn er
schaute wie ein Bräutigam, Wonne im Herzen und ein sehnsüchtiges Herzensverlangen nach seiner
geliebten Braut, der Jungfrau Israel! O, er wird noch sein Feuer ausgießen, den Geist seiner
himmlischen
Liebe ausgießen über der Jungfrau Israel, sie zu erfüllen mit seiner hingebungsvollen Liebe (einer
Flamme Gottes!) und sie zu führen zu Gott, der da wartet auf ihre Umkehr, auf daß sie bei Ihm
Ruhe fände in den Zelten Seiner Ewigkeit, oh, unaussprechlicher Liebe Verheißung jenseits erfüllet
zu finden! - Mit wahnsinniger Müdigkeit schleppte sich träg Joachim durch die Zeit, zumindest bis
zum Mittag, da er im Schatten unter einer hohen und breiten Kastanie Ruhe hielt und Schlummer
sanft und milde beging, sehr edel und feierlich sich auf dem sattgrünen Moose bettend, umrollt von
Kastanienfrüchten, glänzend braun poliert, die aus ihrem Dornenmantel herausgetreten waren, nackt
wie Passionsfrüchte, bereit in die Tiefe der Erde einzugehen, wie kastanienbraune Blutstropfen dick
perlend, welche vom Holze da niedersanken; so umgeben war der Hirte von sterbender Natur, daß
es schien, als stürbe er den Tod der Natur in seinem Schlaf; aber er wachte auf, da war er frisch und
jung und erneuert an seinem inneren Leben. "Hei, he, holla-ho! Tandaradei, Tiralala!" rief er die
Schafe, die mähend zu ihm trotteten, wie trottende Wolken des Himmels, wie Kinder der zum
Frieden gekommnen Natur. Joachim führte die Herde, an seinem Stabe gehend, langsam die
Hermonhänge hinauf, denn er wollte zur Quelle, zur dreifachen Quelle, den drei Quellen des Jordan
auf dem Hermon oben, daß sie da schlürften Wasser der Erquickung, Wasser des Lebens, die
Schäflein, direkt an der Quelle oben. Da sah er sprudeln quecksilbrig und kristallen, frisch und
lebendig, jung und silbrig, klar und schäumend, sprudelnd und spritzend die Quellen: "O ihr Drei!
Ihr, die ihr in einer Emanation den Strom des Lebens ergießt, welcher von der Welt gesehen wird als
Scheidefluß, scheidend zwischen dem Lande der Toten und dem Lande der Lebendigen; o ihr Drei!
Gewiß, wer von eurem Wasser trinkt, der wird eingehn ins Land der Lebendigen, heraus aus diesem
Reich des Todesschattens! Der wird eingehn ins Land, wo Honig des Wortes Gottes und Milch des
Trostes Gottes überströmt in überreichen Maßen! wo Palmen für Überwinder stehn und wehn! wo
der geheimnisvolle Mannabaum zwischen weißen Steintafeln steht! wo die Bergamotten-Orange
wie der Bräutigam seines Volkes voller Frucht und blühend steht im vollen süßen Lichte der Liebe
Gottes!" Und Joachim kniete nieder, Wasser mit der hohlen Hand zu schöpfen aus der Quelle, der
mittleren jener drei Jordanquellen, die er (der Wissende wußte das wohl) nicht angebetet hatte als
Naturgottheiten, welche da in Wahrheit dämonische Kräfte sind, die sich zwischen die
geschöpfliche Sehnsucht des zum Religiösen geschaffenen Menschen und den wahrhaftigen Gott
stellen wie scheidende Schatten, nein, nicht so, sondern in der Dreiheit hatte er (nur anläßlich der
drei Jordanquellen) angebetet die drei-einige Gottheit (Elohim, der sich Wir nannte) – Jahwe,
Memra, Ruach: "Ich bin"... Gott! Halleluja, Gott! Dir sei Lob meiner Lippen, du Heil meines
Herzens, dir Sang meiner Seele, dir alle Gaben meines Geistes geopfert auf deinem Altar, dem
Ariel-Altar Jerusalems der Höhe, Zions des Himmels, mitten in Eden droben, da wo Du wohnst,
Allmächtiger du meiner Seele! Halleluja, Gott! – Da liefen von ferne am frühen Nachmittag Jungen
und Mädchen vorüber, aus der Thora-Schule entlassen, tanzten sie über die moosenen
Hermonhänge und sangen dem Höchsten heilige Lieder, sie sangen: "Groß bist du, o Herr, und groß
ist deine Liebe, deine Liebe für uns ist groß und heilig, du bist Vater und Mutter trostreich, Sanftmut
ist dein Wesen, deine Liebe ist so überströmend reich und überfließend gut, o Herr, dein Herz, das
ist die Quelle aller Liebe, danke, du Liebling Israels, daß du uns liebst!" Und da Joachim diese
Gesänge hörte und ihre jubelnden Melodien, hingebungsvoller Schwärmerei sich ans Herze Gottes
singend, da ward sein Herz so unsagbar gerührt und weich und schmolz und zerfloß wie Wachs
vorm Feuer der Liebe Gottes, und da weinte Joachim, herzerbarmendes Schluchzen erschütterte
seine Seele, sein Gemüt zerfloß in lauter Weinen, sein moosenen Lager überschwemmte Joachim da
mit fließenden Tränen, süß und bitter, weh und selig, verloren wie die Geister aus dem Totenreich
und doch bereit zum himmlischen Trost - und siehe, der kam, wie ein Seufzer, wie ein Hauch, wie
ein Gelispel aus den Auen des Lebens, wie des Hirten Sela: "Siehe, ich bin mit dir" und des Hirten
Amen: "Ich wische dir wie eine Mutter alle Tränen von deinen Augen ab am Tag des Messias!" O
Lob sei Gott! Mit einem erweichten und neu vom Schöpfer modellierten Herzen im Busen sah
Joachim auf seine Herde und ward gütig mit den Kleinen, herzlich zu den Meckernden, ihr Mäh-
Mäh verstand er als einen Anruf des Mutterschafs, da ward er ganz erbarmungsvoll über die
ächzende, seufzende, auf Erlösung harrende arme Kreatur und schaute mit den weichen und
warmen Augen, den ruhevollen und runden Augen eines Mutterschafs, wie man von den Augen
Rahels sagte, die den Jakob so betörten mit ihrem ruhigen Schimmer, ihrem runden Hof des
himmlischen Friedens, ihrem Blick in das Land der Träumenden, ihrem Abglanz von den
Augenschimmern des Schöpfers, o so sanft, o so selig, o so süß - wie eine Rahel müßte die Eine
ihm blicken, ja, wahrlich, sie tat es auch, jene Jungfrau von Nain, die da den Lobgesang der Mirjam
sang zur Pauke mit honiggoldener Salbungsstimme im Chor der Jungfrauen zum Preis des Retters
vom Himmel. Anna, so war ihr Name, die gnädige, gütige, gottbegeisterte Jungfrau von Nain, die
war seines Herzens Minnestern, seiner Seele Sonne und Seligkeit (Gott vergebe ihm!) und seines
Gemütes Mondschimmerbalsam, ja, sein Himmel, soweit auf der Erde Himmel sein kann, den
suchte er in den Armen Annas, ganz Mensch, Mann, Kreatur, Liebeshunger, daß Gott sich erbarme!

ZWEITES KAPITEL
Am samtenblauen, dunkeldämmernden Horizont über der hebräischen Stadt Nain glühte zärtlich,
rosa wie ein Lachs, die jugendliche Morgenröte, ein orangener Schleier, ein süßer Hauch von
himmlischer Glut. Die Bäume, angerührt vom leichten Morgenwind, klatschten leise in die Hände
und lobten, auch die Steine des Feldes raunten murmelnd Lobpreis in fremden Zungen, ebenso die
Lerchen des Orients, die zur goldenen Pforte des Äthers aufschwirrten, um dort zu preisen das
Licht, das den Kosmos erleuchtete, lobzusingen mit süßmelodischem Liebesgezwitscher,
himmlischen Schmeichel-Oden und Ehren-Hymnen zum Jubel dem König, der da triumphierend
antritt seine Herrschaft über den Tag, der von Gott gesalbte und eingesetzte Messias-König!
Halleluja! Da tat ihr zartbewimpertes Auge auf die schlummernde Jungfrau von Nain, die liebliche
Anna, die - aber das wollen wir zuerst sagen, wie hübsch ihr das verwirrte rötlichschwarze Haar
stand, von Schlaf und Schlummer und süßem Traum zerzaust wie das Gefieder eines Jungvögeleins
- die nun sich langsam erhob, vorsichtig und umsichtig, um nicht mit dem schwachen Blutkreislauf
wieder umzusinken und etwa auf dem persischen Teppich in ihrer ländlichen Hütte auszurutschen,
was hätte verletzende Folgen haben können; sie erhob sich gemessenen Tempos, eher langsam, und
begab sich zum Waschbecken. Da benetzte sie ihr Antlitz mit dem Tau der Frische, dem Naß des
Morgens, dem Wasser der Lebendigkeit, das da erfrischend wie Myrrhe und Narde salbte mit
Schlichtheit und Erquickung das Antlitz, die schlaftrunknen Augen zuvörderst, aber auch die
Wangen, sie mit süßer Röte bemalend, und die Lippen benetzend wie mit Küssen, elementaren
Küssen, als ob der Gott des Morgensterns als ein himmlischer Bräutigam mit Lippen von Wasser
des Lebens und Odem der Ewigkeit hinhaucht Küsse auf die geschöpflich-kusslichen Lippen der
Jungfrau. Ach, Anna, wie schön warst du! wir wollen dich die Schönste von Nain nennen. Gewiß
gabs die Tochter des Synagogenvorstehers, die war frömmer, die war belesener in den antiken
Rollen der mosaischen Tora; aber du warst hübscher. Nun denn, mein Geist, was sagst du dazu?
Gott, vergib mir, aber das Wort Salomos - Schönheit ist nichts - das ist mir fern und gar fremdartig;
mir ist Schönheit viel, sie ist mir der Zucker der Schöpfung, das Salz der Erde, der Honig Edens,
das Manna Jerusalems, der Morgenstern Gottes, schimmernd und funkelnd vor Verzückung und
Wonne, Liebreiz und Ebenbildlichkeit, siehe, mir scheint: Gott ist schön! Ja, wenn schon die
Schöpfung (vorzüglich Anna von Nain) so schön ist, um wieviel mehr ist schön dann der Schöpfer!
Welch einen Sinn für Schönheit hat der Schöpfer, der Erfinder dieser Schönheit! O, Gott ist ein
vollendeter Dichter, der ein vollkommnes Gedicht gedichtet: Anna, sie ist schön! Gott ist ein Poet,
Anna von Nain, sie ist sein Poem in vollem orientalischem Prunk und reichem Zierrat, sie ist schön!
Gott ist Lyriker, ja, ein Liebeslyriker, Anna aber ist sein hübschestes, sein sehr liebreizendes Stück
Liebeslyrik, eine Liebeslyrik an die versammelte Mannheit Zions, eine Liebeslyrik an die Augen
habende Menschheit, mit welchem lieblichem Reim er sagen wollte: Siehe, Ich bin wahre Schönheit
des Herzens, und Ich legte Anna von Nain, der Jungfrau, diesen Reiz in die grünen Augenblitze,
diesen Hauch von schamhaft-jungfräulicher Morgenröte auf die weichen Apfelwangen, diese
melodische Linie von schwellenden Lippen aus tauichten Rosenblättern schuf Ich, um euch zu
sagen: Kusslich ist Gott, Gott ist die Liebe! Halleluja! Gott ist Liebe! Amen! O Kinder, seht mir
nach diesen Lobpreis weiblicher Schönheit, das seht ihr gerne nach einem Dichter des Orients, denn
ihr wisst ja genau und präzis erkanntet ihr, wie schwärmerisch und lobhudelnd des Orients Poeten
sind, und ich bin derer ein hypertrophisch-lobpreisender allen Liebreizes, den der Allerhöchste auf
die Lippen und in die Augenblitze Anna gelegt hat, der Jungfrau von Nain. Aber wohin? O meine
Lieben, seht sie euch an, wie sie schwellenden Busens einer erwachenden Mädchennatur aus dem
Hause geht, sich in den inspirierenden Atem des Morgens, in den Anhauch des Himmels stellt,
mitten ins glitzernde Liebesgefunkel des Morgensternes und ausschaut, ausschaut nach wem?
Glücklicher! Anna schaut aus nach Joachim! Golden ist ihre Pforte, die Pforte eines bäurischen
Hauses, golden nicht von den Bäumen des Lebens, den hebräischen Eichen, golden nicht von den
Scharon-Rosen, eingepropft in den Mutterboden von Nain, golden aber vom Morgenstern! O
Morgenstern! Wie darf ich dich preisen? Wisst ihr nicht, meine Lieben, daß der Morgenstern war
der Abendstern? Ja, der Abendstern, angenagelt an das Kreuz des Himmels, sterbend in dem
blutgetränkten Abend, der litt da schmerzlich, dem ward von Blut des Abends getränkt seines
Sternes Vlies, seine Himmelhaftigkeit, recht kosmisch geworden, aus dem Reiche Gottes herab an
den Horizont niedergestiegen, der gab sich hin und goß seine Lichtflut nieder auf die Erde zu den
Menschen, die da offenen Herzens und guten Willens waren; starb, erstand; erstand als
Morgenstern, Erstgeborner der Sterne, Erstgeborner aus dem Reiche der Nacht, Erstgeborner der
Himmlischen, Licht des Kosmos, zur Erleuchtung der Herzen, der uns erwecken will vom
Schlummer in die wahre Erkenntnis der herrlichen Majestät und Liebe Gottes - o du Morgenstern in
meinem Herzen! Wie dank ich dir, daß du gnädig vergüldetest Annas Pforte, in der sie harrte auf
ihren Bäutigam, den irdischen Freund Joachim. Der kam, heute ohne Herde, denn es war Ruhetag,
da er seinen Wochenendstaat anzog, das blaue Linnen, arbeiterkleidsam und vornehm zugleich, zu
empfangen zu einem Wandelgang seiner Herzenskönigin, seine Liebesgöttin, seine Astarte... Fromm
sei und herzlich geliebt Anna, die schöne, die wahrlich schöne Tochter Gottes. Da stand sie, ganz
vollendete Linie, wie ein Violinzeichen, wie ein paradiesischer Notenschlüssel, wie ein
Wolkentraum, wie ein Schofar-Horn voller Neumondharmonie, wie ein Brauttanz nach der
siebenten Rauschnacht vor der Hochzeitsnacht, wie eine Tempeltänzerin heiliger Sabbathfeiern -
schwarz wie Mutter Nacht, wenn sie sich gekleidet in Sammet, bestickt von Ofirs Diamanten; diese
funkelnden Lichter waren (beinah konkurrierend mit dem Morgenstern) Annas Augenblitze, schräg
herauf in die sinnlich-berauschte Seele Joachims steigend, kitzelnd seines Mannesgemütes
Urabgrund - wo die Kreatürlichkeit schläft wie ein Wildstier. Zart war Anna, ein Traum, eine
Manna-Wolke, schlank wie eine Feuersäule, hingegossen wie Salböl von Myrrhe und Narde und
Kassia und Aloe aus dem Salbhorn eines Propheten. Gott begnade mich, von den Dimensionen des
Raumes hinüberzuschauen über den gekrümmten Rand in das Nichts, oder das Ichts - Himmel
sagen wir, Himmel der Himmel, der da Gottes Thron ist, der da Sitz des Allmächtigen ist, dem sei
Ruhm und Lob und Preis, Anbetung und Herrlichkeit, Majestät und meines Herzens Liebe!
Halleluja! Gott ist Liebe! Amen! Joachim, der Hirte, in schlichter Schüchternheit, hob seine eiserne
Stimme, knarrend wie eine Angel, ölte sie mit ein wenig schluckendem Speichel, schluckend vor
banger Verlegenheit, nahm sich den Mut zusammen, ermannte sich, fasste ein Herz sich, voller
Liebe zu Anna sprach er also diese Worte: "Geliebte mein, du, herzallerliebste Anna, meine süße
Anna, ich bitte dich, heirate mich!" Da wars heraus. "Du, du", stotterte weiter Joachim, da sie nicht
gleich Antwort gab, sondern staunte und starrte, sich wunderte, wartete, was da weiter käme, so
sprach er, "du, ich bin nur ein einfacher Hirte, nicht mal gehört mir die Herde, ich hüte sie aber treu
und gewissenhaft, aber wieviel mehr bist du als alle neunundneunzig Lämmer, du bist - eben du!
Meine Liebe! Mein Ein-und-Alles! Mein Augapfel! Mein Herzblut! Mein Lebensodem! Anna!"
Und da küsste sie ihn, umschlang seinen Hals mit ihren fraulichen Armen und schmiegte ihren
bebenden Mädchenkörper schlank und graziös an seinen Hirtenleib, da warf sie die ganze zitternde
Rose, den ganzen Pflaumenbaum Edens an den Felsen, wo Eden aufblühte, Liebe sproß und Lust
der Seele, Küsse über Küsse... Selig waren Joachim und Anna, sie aber hauchte aus ihrer Seligkeit
eins nur: "Ja..." - Wie war das Hochzeitsfest dieser Israeliten? Tirza feierte rauschend wie Juda,
Ephraim freute sich minder nicht als Zion, denn ob im Norden oder Süden, von Jakob kamen sie,
der gefreit hatte lange um Rahel, der gedient gar sieben Jahre um die mit den schönen Augen, und
die Jakobiner des Orients nun, nicht gar sieben Jahre, aber sieben Tage, ein Freuden-Sechstagewerk
tanzten und jauchzten sie, eingeladen vom Hirten Joachim, der seine Brautwahl verkündete all
umher in den Dörfern und Städten. Und man blies das Schofar-Horn, man ließ klingen und zittern
Zimbeln und Zithern, man tanzte zum Tamburin, man sang das heilige Hohelied Salomos zu der
Hochzeits-Harfe. O ein Loben und Preisen der Liebe: wundersamer als Wein, süßer als Manna; hei!
das war ein die-Liebe-Anbeten: Gott ist Liebe! Gott liebt Israel, wie ein Bräutigam seine Braut, die
Jungfrau Israel schmückt sich der gütige Gott zur schöngeschmückten Braut, mit Ohrgehängen und
Ringen, Nasenringen und Bauchnabelperlen, mit Armreifen, silbernen Fußkettchen, ja, mit dem
Edelsteindiadem und dem Onyx der Brust, schön und gar lieblich wählte sich Gott die Jungfrau
Juda, die Allerschönste aus den Nationen, er küsste sie und sagte sein Ja-Wort: Der Messias kommt
von der Tochter Juda.! Und nach der Idee, die da bei Gott zu finden ist, Liebe und Hochzeit und
süße Verschmelzung heilig-mystisch, nach dieser Idee nun feierten die Ebenbilder abbildmäßig das
Hochzeitsfest, sieben Tage lang. Was tranken sie, sieben Tage lang? Ich meine, sie tranken Wein aus
den Lederschläuchen, alten Wein von einer besonderen Rebsorte: Jener Weinstock war vom Herrn
aus Ägypten geholt worden, war auf den Gipfel des Libanon gebracht worden, wo der Weinstock
die stolzen Zedern noch überragte. Der Herr, er baute eine Mauer, stark wie Millo, um diesen
Weinstock, aber jeder Vorübergehende pflückte sich Trauben, da blutete rot der Weinstock, wie
geschlagen, und sein höchst edles Rebenblut benetzte die Erde, die wie trunken ihren Mund auftat -
ja, wie? öffnete sich der Schlund des Totenreiches? Aber halt ein, o Volk, denn die Verzückung des
Weines, das ist nicht immer Prophetenverzückung, wie sie Sauls war. Ja, so ging es auch Saul, er
suchte nach Eselinnen und stieß auf den Seher und auf die Schar von Propheten in Verzückung.
Joachim aber fand Anna und mehr noch, an ihrem Herzen empfing er den Segen Gottes, denn Jahwe
hatte geredet, prophetischen Mund sich erwählend in Salomo: Eine rechte Frau ist vom Herrn,
fromm und verständig und lieblich, ist sie dein, so berausche dich an ihren Brüsten, berausche dich
an dem Weib deiner Jugendlichkeit (denn wenn du liebst, so bist du innerlich immer jung), ja trinke
den Honigwein ihrer Küsse und werde trunken, trunken vor Liebe! Heißa! Eine Zeit, nicht zu
beziffern, verfloß, die hier übergangen wird, da gebar die schöne Anna, Ehefrau des Hirten gebar,
alles ging rechtlich und gesetzlich und natürlich zu, die menschliche Liebe hatte sich zur
menschlichen Liebe getan, die beiden hatten sich aneinander geleimt und gelötet, waren
verschmolzen, in die Tiefen der Erkenntnis vorgedrungen, hatten beiwohnend beieinander gewohnt
mit Küssen, alles zart und zärtlich, liebkosend, warm und herzlich. Und die Frucht dieser Liebe war
eine Tochter, die ganz zart lag auf dem Bauche der Mutter, so zart wie nicht sonst noch was andres,
ganz feingliedrig waren die krummen Fingerchen, Wunderwerke der Schöpfung, himmlisch gebaute
Mechanismen, die Augen, von innen verschleiert, schauten so seelenvoll unschuldig, denn noch war
sie nicht Sünderin ihrer Sünde, noch nicht Täterin ihrer Taten, noch nicht Denkerin etwa verworfner
Gedanken, noch ganz unschuldige Sünderin, ach! denn in Erbsünde ward sie gezeugt, in Erbsünde
empfangen, ein menschliches Schicksal in den Grenzen der abgefallenen Welt hatte sie ereilt, und
sie war in der Niederung, war im Tal des Todesschattens, faktisch, dennoch aber hatte Gott der
himmlische Vater sie nicht verlassen, er hielt bereit zu ihrer Erlösung Seinen Messias - den Ewigen!
Diese Tochter, nach einem Herzenstraum, nannte Joachim mit Namen Mitka, nach dem Ort, aus
dem seine Großmutter stammte, die er geliebt hatte über alles Irdische, Mitka hieß die Tochter
Annas, ihre Erstgeborene. Gott fand sie in Blut und Schleim geschlungen liegen, ja, als ob sie
abtrennen wollte ihre Nabelschnur, da lag sie so hilflos und bang und ängstlich und weinend und
zitternd innen und alles um sie so dunkel, ach, da lag sie und sah keinen Engel, keinen Schutzengel
aus den Hierarchien Raphaels, sah nichts als nur Inneres, nicht alles erbaulich, aber sah sie auch
nicht das Licht, das Licht des Kosmos segnete dennoch die da nur liegende Mitka, Gott sprach, der
Geist Gottes: "Ich beschloß bei Mir: du sollst leben! Der Heilige Geist sprach: Es ist nicht die Zeit,
zu sterben! Du sollst leben! Du sollst wachsen und schön werden wie eine Blütenzwiebel von
Sharon!" Und Mitka wuchs nach diesem Gedanken des Allerhöchsten heran, denn Seine Gedanken
werden unweigerlich Tat und Wirklichkeit, ja Sein Gedanke, spricht Er ihn aus, wird Wort, und
Wort wird Fleisch. Mitka, sie ward schön, ihre Brüste wölbten sich wie bei siebzehnjährigen
Mädchen, prall und rund, lieblich und aprikosenhaft, wie die Äpfel Evas, die erlaubten dem Adam,
wie die Bergamotten-Orangen Sulamiths, die erlaubten dem Salomo, Mitkas Aprikosen waren noch
dem Kosen keines Mannes zugewiesen durch das Gott untertänige Schicksal, sie war Jungfrau und
unverständlicherweise unumworben? o dabei war sie so schön! Die Haare flossen in wallenden
Locken schwarz an ihrer Schläfe entlang, verschleierten schräg das heimlich funkelnde glitzervolle
Frauenauge, Liebreiz selbst, inkarnierte Idee der Schönheit, Zauber der Schöpfung, die Augen
Tauben, welche ausschwärmen von den Felsritzen Zijons, schwärmenden Fluges überzusiedeln auf
die Zinnen des Elfenbeinturms von Damaskus, eines jungen Mannes Aug und Herz, da nisteten ihre
Blicke, wie Maienschwalben, süß zwitschernd, lachend wie Sperlinge Kanaans, fruchtbar und
furchtbar schön! Oh, du junger Mann, wie begann deine Seele zu tanzen auf leichten Freiersfüßen,
werberisch schmeichelnd mit dem tiefen Auge, das da durchschimmern lässt des Gemütes Glut,
einer Glut der Leidenschaft, heiß wie die Hölle, unwiderstehlich wie dem Kummervollen das
Totenreich, aber aus der Tiefe aufsteigend glühend wie Feuersäulen, wie Myrrheweihrauch aus der
Wüste, wie Feuergeier der Leidenschaft! Mitka! du Schöne! du Schönste unter den Sängerinnen von
Juda! In die Heimat Joachims war gezogen die junge Familie, denn Joachim, er war von Davids
Stamm, er war von Salomos Stamm, und sein Geschlecht, das kannte den Eifer der
Liebesleidenschaft hitzig und stürmisch, kannte sie, denn sie hatte Kunde vom allerhöchsten Kenner
jeglicher guten Liebe selbst: dem Schöpfer der Liebe, dem Schöpfer jedes Gemütes, dem Schöpfer
der Liebe, die da heißt eine Flamme Gottes! Halleluja! Die Liebe ist eine Flamme Gottes! Der
Glutgeier kreiste und stieß nieder auf das Lämmlein, das Zicklein, das Rehlein, das Kitzlein, Judäas
Gazelle: Mitka, die Schöne ward begehrt von Jimna, dem Zebaothjüngling, dem Dichterjünger aus
den Hainen der Myrtenkränze, da die hebräischen Sängerseelen, Gottes Poeten sich mühten um den
unsterblichen Myrtenkranz, einer derer war Jimna, welcher magischen Zaubers besessen ward von
der Schönheit und Anmut Mitkas, der Schönen, der Davidstochter, von Bathsebas Geschlecht,
welche selbst ausgesprochener Liebreiz gewesen war und ausgesprochen attraktiv auf den König
wirkte, daß sich der Gesalbte herabbegab zur Sünde... O, die Liebe schien dem Dichter Jimna ein
Fluch: er, der die schönsten Blüten des Geistes, die Verse der Weisheit, auswendig kannte, er ward
jetzt vom Wahnsinn gekettet, sein Speichel lief ihm in den Bart, er schlug den Schädel an die grüne
Wand seiner Zedernwohnung, er ward irre! O, die Liebe schien dem Poeten Jimna auch darum ein
Fluch: Er, der sich sehnte nach der Versammlung der Väter, hinauf in das, was in Wahrheit Mose
sah vom Berge Nebo, das Paradies Gottes, da er ruhen dürfe wie auf Abrahams Schoß; er, eben
dieser, er ward nun heiß wie die Hölle, angezogen von dem Abgrund, hart wie das Schicksal der
Bewohner Scheols, er ward geworfen in Gehenna, er verglühte, aber halt! die Religion der
Leidenschaft mag das so betrachten, der offenbarte Glaube an den Gott Salomos, der ließ das kaum
zu, denn Gott Selbst in Seiner unlöschbaren Liebe und Lust an Seiner Braut, Er schuf das
Liebesvermögen Seiner Geschöpfe - ich meine, mit all dem Wahnsinn sinnlos-sinnreicher
Verzückung. Gott vergebe mir die Sünde meiner Poesie!

DRITTES KAPITEL

Joachim, der Judäer, sah gern, wie seine Tochter Mitka umging mit dem Zebaothjüngling Jimna,
dem Poeten, den er ins Herz geschlossen hatte, aber er sah betrübt, wie betrübt der Dichter war, ja,
nah am Wasser gebaut hatte dessen Seele, beständig flossen seine Augen über von Tränen, wie seine
Lippen von Lobpreis, wie ein Erdbeben ward erschüttert ihm oft seine Seele, daß sie schmolz wie
Wachs vor der verzehrenden Flamme, da sagte Jimna: "Ein verzehrendes Feuer ist unser Herr! Ach,
ehrwürdiger Hirte, siehe, wäre ich wie der Dornbusch des Sinai, der da brannte und doch nicht
verbrannte! Gott ist gütig, aber warum mir all diese Wehmut? Woher das Leid? Das fragen doch
alle, die fromm sein wollen, die fragen Gott dies, die schreien zu ihm aus der Tiefe nach einer
Antwort, aus den Wassern rufen sie gurgelnd und hilferufend, gequält an ihrer Kehle greifen sie
nach einem Strohhalm, das mag Götzendienst sein, ob sie nun anbeten Wagen und Rosse Pharaos
oder die Göttinnen Kanaans oder, wie ich vielleicht, anbeten die Erdharztusche und das Schreibrohr
und die Blumenblätter der Papyrusstaude, das scheint töricht und ist es auch, das hilft auch nicht
gegen Trübsal. Gott helfe mir! Er richte meine Seele auf! Er ziehe mich aus tiefen Wassern, aus
großen Fluten ziehe Gott mich heraus und stell mich auf den Fels! Der Leviathan rührt die Urflut
nicht so auf, Rahab nicht die Gewässer des Tohuwabohu, wie mein Kummer mir die Tiefen meiner
Seele aufrührt, aufwühlt, daß die Fluten von den Wassern der Tiefe aufsteigen, wild und
ungebärdig, und sich ausschütten durch die sperrangelweiten Tore meiner Augen. O weh! Siehe,
meine Augen sind dunkle Grotten, von denen beständig tropft an den erzenen Wänden hinunter
goldenes Wasser der Wehmut der Seele, kostbar in Gottes Augen! O mein Gott! sende einen deiner
Engel, sei es vom Heereslager Mahanaim oder woher auch immer, sei es der Schutzengel Oberster
Raphael mit den balsamtriefenden Trösterschwingen, ein Engel deiner liebevollen Heerschar
pflücke mir küssend die Tränen von den schimmernden Wimpern und sammle sie emsig, wie
Bienen im Sommer den Honig, sammle sie emsig in ein Krüglein, ach das reichte nicht, in einen
Krug, ach gar in einen Schlauch und trage diesen tränenschwangeren Schlauch auf Engelhänden in
das himmlische Heiligtum vor die Augen des Trösters! Seine sieben Augen, die Augen der sieben
Geister Gottes, der da der Tröster ist, des Lammes Augen von silbernem Mitgefühle voll, sie
schauen barmherzig auf den, der diese Flut von Tränen geweint! Erbarm, erbarm, o mein Gott, du
mein Tröster, du meine Zuflucht, dahin meine Seele flieht und flüchtet, Herr du, laß mich geborgen
sein unter dem Schatten deiner flaumigen Taubenschwingen, die wie Wolken von Manna
barmherzig und trostreich meiner Seele Labsal und innere Herzensstärkung zukommen lassen, o
mein Vater und meine Mutter!" Da kniete Jimna nieder zur Anbetung Gottes. Joachim kniete ihm zu
Seiten und dankte dem Allerhöchsten, daß Er, der Tröster Israels, Erbarmen habe mit dem Poeten El
Shaddais, der da der Freund und Geliebte Mitkas war und sein sollte nach dem Wunsch des
sterblichen Vaters Joachim. Mitka aber, sie fühlte mit und blieb doch so, wie sie war, nämlich nicht
untröstlich, sondern Empfangende herzlicher Gottesbarmherzigkeit, Freundin der Dichterseele, fest
und freundlich, ihm eine Heiterung, ihm eine Hellung, ihm eine heilsame Hoffnung auf Güte, auf
Freude gar. Ja, denn das kannte er auch, die Freude, das Lachen des Herzens, den freudigen Sang
seiner Seele, das Rühmen des Mundes, die jubelnde Zunge, das heitre Gemüt, die Fröhlichkeit,
überschäumende Wonne gar, gesteigert bis an den untersten Rand der ewigen, himmlischen
Glückseligkeit, einen Sendboten, eine Freudenbotin aus Gottes Paradies der Gegenwart göttlicher
Liebe! Mitka liebte ihn. Und Anna, was meinte sie, Mitkas Mutter? Sie sagte zu der Tochter Mitka:
"Du, meine Tochter Judäas, du Zionitin, höre, was ich erkenne über die Seele dessen, der um dich
freit: Er ist sensibel wie ein rohes Ei, man darf kein Wort der Ermahnung sagen, er versteht es
falsch als ein Zorngericht Jehowahs, er legt jedes Wort auf die Goldwaage eines Salbenkrämers von
Saba oder eines ofirischen Goldhändlers. Eine Mohnblüte im lenzenen Hauch, und die Mauer Millo
stürzt ein; so ist jede ernste Ansprache an den empfindsamen Dichter, er stürzt in sich zusammen,
dann klagt er, wie neulich vor den Ohren deines Vaters. Nun, Vater ist gut und geduldig und hört es
sich gerne an, aber ich muß dich warnen aus Fürsorge um dein Seelchen, mein Täubchen, der
Freund ist mir nicht mannhaft genug. Du bist auch schon so ein Psyche-Vögelchen, Seelchen-Falter,
zart und zittrig, meinst du nicht, du bräuchtest einen ganzen Kerl, einen mit echten Manneshänden
und kerniger Seele aus Kraft, voll der Kraft Gottes? Ich meins gut um dich, mein Engelchen, nimm
dir einen Arbeiter, der da stark ist mit Erzengelkraft und fähig, das Schwert zu tragen in markiger
Faust, einen Großen Israels. Aber ach, ich weiß es ja, wohin die Liebe fällt... Was man so Liebe
nennt unter euch jungen Leuten, ein Feuer muß es sein, und sei es auch ein Strohfeuer, funkeln und
glühen muß es und von lauter Schönheit alles ganz verzaubert sein, ach, und von Vernunft will dann
keiner mehr was wissen, ja, fast fragtet ihr nicht nach dem Glauben, ob einer Pharisäer oder
Sadduzäer oder gar einer dieser Essener sei, schlimmer, einige meinen auch noch (ich hoffe du
nicht) er sei schon ein rechter Mann in Gottes Augen, wenn er nur zärtlich zu reden wüsste und
ernsthaft arbeite in der Welt, da könnt er auch Kanaaniter sein, über alle Gräuel der Jebusiter oder
Perisiter sieht so ein junges Ding, verliebt wie du, närrisch-flammend hinweg. Ich warne dich, mein
Kindchen, aus guter fürsorglicher Liebe, sieh du ins Herz des Mannes, zuerst tu dies, und schau, ob
Gottes Geist darinnen wohnt, die Einwohnung Gottes, ja ein rechter Kerl, der muß die Schechinah
kennen und in sich haben." Da lachte Mitka: "Mama, was redest du da? Siehe, so einer ist mein
Jimna nun eben ganz recht!" Da dachte Anna ein wenig nach und sagte: "Er mag wohl,
zugestanden, herrlich aussehn wie ein Schalak-Wasservogel, der aber zählt nun eben zu den
unreinen Tieren nach Drei-Mose, sieh selbst nach in der Tora, und was mein ich? Er ist wohl eine
gute Partie für dein Gefühl in diesem Mai, aber er ist nicht fest und beständig genug. Siehe, einer
der so auffliegt wie ein Kormoran zu den Höhen der Freude und Herzensbegeisterung, der könnte
dir Freude geben, denkst du, aber ist er beständig? wo er doch im nächsten Augenblick abstürzt und
in die Tiefe gurgelt wie ein tauchender Schwan, wenn er den Kopf ins Wasser steckt und nichts
Lichtes mehr sehen will, sondern nur noch untertauchen in Unterwelt, eines solchen Mannes
Liebesbegehren ist nach einer Leidenschaft, die unwiderstehlich ist wie das Totenreich. Hab acht,
daß er nicht gar noch in lauter überzärtelter Depression ein Ende mit sich macht, und du dann
dastehst mit siebzehn Jahren in praller Frauenschönheit als schwarzverhangene Witwe." Da turtelte
zärtlich das Zionstäubchen Mitka zur Mama: "Ach, Mama, mein Mamachen, laß gut sein, ich mein,
du erkennst ihn nicht, wie er ist und wohinaus es Gott mit ihm meint. Weißt, ich hab ihn einfach
schrecklich, schrecklich lieb!" - Oholiba kam vorbei, die Freundin Mitkas, und sprach an: "Welche
Scham befällt meine Seele, denk ich an mein Leben, das Sünde ist vorm Heiligen Israels, aber eines
ist mir gewiß doch zugesagt durch das eherne Wort des Allweisen: Gerechtigkeit wird mir
zugesprochen durch den Gesalbten des Höchsten, den Messias Jahwes, der da war (in ihm bin ich
geschaffen) und der da ist (und er küsset mir herzlich meine Seele) und der da kommt (ach das
begehr ich zu schauen und beuge meine Knie gewiß vor Ihm). Halleluja! Frei bin ich geworden und
fest und gesund, ich nenn mich Magd, das ist die rechte Demut, zu der ich nicht genügend demütig
bin, aber ich muß mich nicht häßlich verachten, schau, ich bin ein herrliches Gottesgeschöpf, über
die Sterne erhaben, schöner geschaffen vom Schöpfer als die sieben angeklebten Plejaden, schau
nur, meine liebe Mitka, mir sagte jüngst ein Hebräer, mein hebräischer Schleier vom Haupt mir
hinten in den Nacken fallend, er sei lieblich und hübscher Schmuck und ziere mein braunes Haar
ganz außerordentlich niedlich, aber ist das nicht mehr als die Nebelschleier der galaktischen
Andromeda? Welche verlorenen Geister tummeln allda sich in Nebelspiralen und schwarzen
Löchern, zuhause im Kosmos? Ich aber selbst ruhe lebenssatt und vollgeliebt am unmittelbaren
Herzen Gottes! Halleluja! Gott ist mein Vater, ein starker Helfer, ein Herausführer aus der Not, vor
Ihm will ich knien wie weiland Mirjam und Pauke schlagen mit pochendem Herzen und lobsingen
dem Mächtigen, der da Retter ist seines Volkes und der zu Ihm Gehörenden, die er Geliebte und
Kinder nennt, ich unter ihnen! Freude über Freude! Ich unter seinen Geliebten! So sagen die
verzückten Propheten, welche Tamburin schlagen und tanzen vom Berge Sion herunter, singen:
Oholiba auch unter den Gottesgeliebten? Halleluja, das ist die Gnade Gottes, daß mein Herz (hätte
mein Herz einen Mund!) geküsst wird vom Honigmunde Jahwes, von den Zuckerlippen Zebaoths,
des Gottjünglings Himmlischer Heerscharen, Halleluja, ich sage: der Messias ist meines Geistes
Bräutigam!" Sie sprang von ihrem Hocker auf und klatschte froh und fröhlich in die Hände,
überschäumend von Jubel und Jauchzen, als sähe sie, wie Mose vom Berge Nebo, das verheißene
Land, mehr noch, als sähe sie, wie Elischa, den Vater inmitten vieltausender Wagen und Gespanne
Israels, als flöge sie, wie Elijahu, auf feurigen Rossen hinauf an des Höchsten Herz, entrückt mit
entzückender Herzensverzückung wie Henoch, als ginge sie gar von Angesicht zu Angesicht mit
dem Herrn um, oder sie wallte im Garten zur Abenddämmrung wie Eva mit Ihm, Elohim, dem
Unaussagbaren, Gott! Halleluja! Gott ist so gütig, so gnädig, so herzlich barmherzig, so liebevoll,
Gott ist Liebe! Dann tanzte Oholiba davon. Aber vor all den Herzensangelegenheiten, Gott und die
Männer betreffend oder die Sorge der Eltern um die schöne Mitka, da geschah doch (gedenke!)
eines, was ein Fest war der Seele: Anna war schwanger. Kinder sind ein Segen des Herrn! ja, das ist
sicher wahr und vollgültig richtig! jeder mit Seele kanns fühlen, welch Segen ein Kind! Und nun
ein zweites Kind! Anna war glücklich, sie träumte, sie wäre so glücklich wie Mirjam, die ältere
Schwester des Neugebornen, als sie am Ufer des gelben Lotusstroms, des Nils, des Vaters Ägyptens
stand und schaute, wie eine Pharaonenprinzessin, mit köstlichem Kopfschmuck und Edelschlangen
gekrönt, das Baby herauszog aus den Wassern: Moscheh hieß er darum, aus den Wassern
herausgezogen. Da war Mirjam glücklich und eilte zu Jochebed, ihrer Mutter, und sagte: "Mama,
ich bin glücklich! Ich danke Gott für mein Glück!" Das träumte Anna und dachte am Morgen:
Mirjam solle die Tochter heißen oder moderner, wie im römischen Weltreich üblich: Maria. Die war
also auf dem Weg, von Anfang an prophetisch-vorhergeträumt als Tochter auf dem Wege, Gottes
Segen vorher, und so wuchs sie. Siehe, das Wort des Herrn sagt, er sah das Kind im Mutterleib.
Weicht von mir, ihr Übeltäter, die ihr nennt das Ungeborne seelenlosen Fleischklumpen! Sicher,
bereitet wards im Schoß der Materie, aber Gott hats geliebt! Liebt er Totes? Er ist nicht ein Gott des
Toten, sondern des Lebendigen! Er hat schon eingehaucht den Atem des Lebens, den Geist vom
Geiste! Ich seh nicht die Augen des Kleinsten, Gott sieht den seelenvollen Schimmer des
Kindesauges, wohlgeborgen in Fruchtwasser, saugend am Mutterkuchen, heimelig in Mutters
Schoß, ach fast wie in Abrahams Schoß, ach und ach! fast wie in Gottes Schoß! So wohl! Darum
wollte auch der Prophet im Mutterschoße bleiben und wehklagte, da ihn wehes Leid befiel und
schwarze finstere Trauer: Wär ich im Schoß meiner Mutter geblieben! Da muß zuhause sein das
Menschenkind, ich kanns mir nicht denken, daß da schon das Treiben und Unruhigsein ist, es denkt
ja nicht, es kennt ja die Feinde noch nicht, nein, Gott der himmlische Vater hält ganz gewiß seine
schützende hütende Hand übers Ungeborne, daß der Feind der Menschheit und Gottes nicht angreift
das Ungeborne, schon Gezeugt- und Empfangene. Kindlein, was träumst du von Gott? Wie schaust
und ahnest du Abba? Oh du Seelchen, der Allmächtige, Er bewahre dich vorm Bösen, der die Frau
zur Hexe schickt, zur Teufelin, die sich Seligmacherin nennt und mordet das Süßeste, was da der
Schöpfer je sich erdachte: ein Kind! Oh! ihr, die ihr Kinder liebt, euch will ich Menschen nennen,
euch will ich sagen: ihr habt ein Herz, das beten kann! Will nicht Gott ein Kind werden?... Bin ich
nicht selbst ein Kind, und will ich nicht sein behütet im Schoße Gottes? in Gottes Schoß sein, oh
unaussprechliche Wonne meiner zarten Glieder, meines zuckenden Herzens, meiner träumenden
Seele, meines Gott erahnenden Geistes... Wachstum ist viel, ich meine, zum äußeren Wachstum gibt
es auch inneren Wachstum, aber wer hat je von den Weisen diesen Reichtum ergründet? Komm,
Kind, das Licht, das den Kosmos erleuchtet, es wartet so süß und selig auf dich, komm du ans
Licht, sei nur frohgemut und hoffnungswonnig, komm und siehe, denn Er, Er wartet auf dich, daß
du wiedergeboren wirst, ein Leben, das lebendig wird, ein Dasein, das Ewigkeit annimmt, aufnimmt
in den Menschengeist, Kind, siehe, alle sollen nach Gottes Willen auf dich schauen und von dir
lernen, keiner darf dir wehren, der Herr heißt dich herzlich willkommen! Halleluja! so freuen wir
uns! Halleluja! Gott hat dich lieb, mein Kind! Da, da: das Kind ward geboren, nach der bestimmten
Zeit mit Schreien und Blindheit trats ein in die Welt. Das Wie war ein wenig wunderbar. Anna hatte
mit ihrer Freundin Noomi, der Alten des Dorfes, gebetet zu Jahwe Elohim Zebaoth, gebetet um
Schutz und Fürsorge für das Kleine, da hatte sie am Herzen den Gedanken, einen Wunsch vielleicht,
daß das Kind möge kommen zur Welt am Siebenten des Monats Marcheschwan. Und es verging die
Zeit nach ordentlicher Reihe der Monde, da geschah es so, wie ihr Herzenswunsch und Traum ihrer
Seele gewesen, Noomi betete: Heute geschiehts! Da ging die Anna zur Hebamme Salome, die ihr
half mit heißgewaschenen Händen, aufpasste, daß wo möglich kein Riß entstand am Damm, und
das war der Tag: der Siebente des Mondes Marcheschwan, an dem das Mädchen Maria kam, wie
man so sagt, zur Welt, eigentlich aber in den Blick der Mutter, ins sichtbare Leben, nicht mehr
verborgen, dennoch geborgen auf dem Bauch der Gütigen. Gott allein ist gütig, aber ein wenig hat
er von seinem Wesen mitgeteilt der ebenbildlichen Frau, der Mutter, die da fürsorgt fürs Kleine, und
gütig ist. Ja, wenn schon ihr, die ihr böse seid, Werke der Güte tun könnt, wieviel mehr dann Er, der
gut ist, allein gut, Gott! Der bestimmte zur Mutter Marias eben jene Anna, die da im Kreise ihrer
alten Freundinnen betete täglich für Maria, und Noomi betete an und betete fürbittend: "Herr, unser
Gott, laß Du dies Kind Maria zum Segen werden deinem Stamm Juda, deinem Volk Israel, deiner
ganzen Menschheit, allen deinen Geliebten! Ja, wir fassens kaum, segne sie, wir können kaum
segnen, du aber, der Klang deines Namens ist Segen schon, o du Segen, Jahwe, o du Segen,
Zebaoth, o du Segen, Elohim! segne Maria, segne dies Kind und alle Kinder dieser Erde, auf daß sie
in dir sehen den, der du bist: Abba!" Anna hatte es gar nicht so schwer bei der Geburt gehabt, wie
sie es sich gewünscht hatte, denn sie hatte gebetet: "Herr, laß es mir schwer werden, laß es mir
schwer angehn bei der Geburt, und in Wehen laß es mir wehtun, damit ich in der Not und Qual eine
große Gotteserfahrung mache, denn siehe, mein Gott, sind die Glücklichen dir so nah wie jene, die
im Unglück liegen und schreien zu dir?" Gott hatte ihr Gebet so erhört, daß er ihr eine leichte
Geburt sandte und sie ihm dankbar war für Hilfe und Gottessegen. Nun hatte sie das Kind an der
prallen Brust, und es saugte und nuckelte, so süß, wie sie strahlte aus blauen Augen, als sei der
lichte Himmel heilig verschleiert. Mama Anna wards schwer, die ständige Beanspruchung, dazu die
Fragen Mitkas, die Sorgen um Jimna, die Diskussionen über den Levitikus mit Noomi, das Essen
und Trinken mit Joachim, alles ward ihr schwer, und sie brannte aus, ausgebrannt wie soetwas: wie
ein Lederschlauch, in dem der Nordwind verschlossen vom König der Winde, da nun der Nordwind
herausgelassen ward auf dem Großen Meer, da fiel der Schlauch in sich zusammen und war leer: so
eben fühlte sich Anna. Mitka sah es und besprach sich mit dem sorgenvollen Joachim, da
beschlossen sie, ein Fest zu machen zur Freude der Mutter. Nun gut, die allein hatte Milch genug
vom Himmel bekommen, das Kindlein zu nähren, alles weitere aber sollte in Händen der ersten
Tochter und des Vaters liegen, natürlich unter Gottes Segen, so kams zum Fest. Da tanzte Mitka mit
der Freundin Oholiba einen hebräischen Schleiertanz, da sie graziös und anmutig jene Arme hoben,
die sonst die Ähren bündelten, hoben die Arme wie Prinzessinen Pharaos, ein wenig kuschitisch, ein
wenig sidonitisch, ein wenig wie Damaskusrosen, ein wenig wie Sabäer Weihrauch, mit dem
weißen Schleier schwingend wie wilde Tuteltauben von den Felsbergen Zijons, wunderschön und
ein Kitzel den Männern Israels, den gottfrommen Mannen, die noch einmal Bewunderung
zusprachen ihrem Schöpfer, dem Schöpfer der Frauen, dem Erfinder jeglicher Schönheit, der die
Glieder so anmutig machte wie Lilien im Wind, wie Narzissen im Zephyr, der den Phönixtanz selbst
sich ausgedacht zur Freude der ersten Schöpfung. O Dank dem Himmel für den Liebreiz Mitkas, für
die freundliche Eleganz Oholibas! Schwestern beide des Retters Zijons, des Messias' Schwestern im
Geiste, zwei tanzende Fackeln und Flammen, zwei Plejaden, verschleierte Galaxien, Milchstraßen,
welche kreisen und wirbeln elliptisch zum Ruhm und Lob des Allerhöchsten, des Schöpfers! Man
konnte vergessen, daß es Sünde gab. Heiliger Israels, daß war Dein Trost, deine Stärkung den
Seelen und zagenden Herzen, den schwachen Gemütern und das war die Kraft Gottes: Der
Harfentanz, der Schleierjubel Mitkas, der Tochter Juda, die da begrüßte den Bräutigam, wen? Den
Kommenden, Gottes Messias! Aber an einem der Tage anderen, da der Lenz schon nahe vor der Tür
schien zu stehen, anklopfend mit Lenzgepoche, da nahte auch Jimna wieder dem Hause Mitkas, das
das Haus Joachims war, in welchem Joachims Zweite, die kleine Maria, in ihrer Wiege lag und
döste wie ein Lämmlein auf der Aue des Lebens. Jimna fand sie so süß, der braune Flaum auf dem
Haupt so traumvoll und hanfsanft, so zart und zärtlich wie Engelschwingen, ein Hauch von Haar,
und er fand die Augen so goldig, so groß und naiv, in ihrer Tiefe und Ur-Unergründlichkeit, die
zarten Fingerlein, ein wenig krumm und immer noch babyweich, die sie an die schwalbensüßen
Lippen presste wie zum Ersatz für Mamas Busen, alles allerliebst und gar niedlich. Er nahm sie auf
die Arme und schaukelte sie ein wenig, wie einst das Mosebaby geschaukelt ward zwischen
Lotosblüten auf der Flut des Nil, und Jimna schaute mit Augen wie reine Lotosblüten staunend und
voll Wunderns das Baby an, das ganz still war und voller innerer Ruhe und seligem Gottesfrieden
zu genießen schien die angetane Freundlichkeit; und Maria verlangte nach Anna. Die aber war
draußen bei den Zicklein, den dreien, die sie da für die Milch zum Käse hatten, und hörte nicht das
Baby, das sie ja in Obhut des Zebaothjünglings wusste, des kinderliebenden Jimna, der mit einem
ganz seltsamen Gebrabbel und Geplapper anfing vor dem Kinde zu beten - Abla zabla - und dankte
Gott und pries den Heiland Israels, den Schöpfer dieser kleinen Maria, ihren himmlischen Vater
pries er mit der Zunge der Engel, was kein Mensch hätte ohne Sonderbegabung verstanden, außer,
es sei denn, es wäre ein Kleinkind, denn (das dachte sich Jimna so) alle Kinder, bis sie drei Jahr alt
würden, verständen die Zunge der Engel außerordentlich, jedenfalls verständen sie, daß es eine gute
Rede sei und ein Wohlgefallen und ein Liebes, so empfand in ihrem Kinderfrieden auch Baby Maria
und lachte, oh ja, sie lachte so aus vollem Herzen und voller Freude über diesen
zungenrednerischen Lobgesang, der da lautete: "Abba! Dir sei Lob und Ruhm und Preis und Dank
und Anbetung, daß du schufest wunderbar im Schoß der Mutter dieses reine süße Baby so
kunstreich! Dank dir, Abba, daß du bestimmtest ein Los diesem Baby, daß es groß werde und schön
und dich kenne und dir diene als Magd! Dank dir, für alles, was du durch sie zum Segen wirken
willst, segne sie, du Segen Israels, segne sie, du Gott, mit dem Segen Aarons, laß sie zum Segen
werden, und muß sie auch leiden, laß sie mit einer Frucht ihres Leibes zum Segen werden deinen
Geliebten, den Kindern Jakobs, aber auch den Heiden, die da in Finsternis und Todesschatten sitzen,
laß sie mit goldenem Licht wie von sieben Schwertern erleuchtet werden! Oh! und Gott, du Retter
Israels! sende bald, o sende gar bald deinen Messias in diese Welt, denn sie dürstet nach dir, wie ein
Baby nach der Mutterbrust schreit, so dürstet die Jungfrau Israel nach Gottes Weisheit, dem
Messias! Dir sei Lob und Preis, du Menschensohn auf türkisenem Thron, licht wie Kupfer und
Feuer, angebetet von den vier Gottesgestalten auf den Rädern der Cherubim, du Messias, der du
thronst inmitten deiner Gemeinde! Dir sei Lob und Preis, o Messias, und dir, JHWH!"

VIERTES KAPITEL

Mit einem Jahr trug die kleine Maria einen niedlichen Flaum auf dem Kopf, flaumige braune Haare,
weich wie Taubendaunen. Ihr Gesicht war rund und voll Lachens. Sie war ein angenehmes Kind,
zur Freude der Mutter, die sich zumeist mit Maria beschäftigte, sie lange gestillt hatte und ihr die
ersten Worte beibrachte: "Abba, Abba!" Das vernahm Maria gern, und lachend stand sie in der Tür
der Hütte, eben hatte sie Stehen gelernt, und da brabbelte sie lachend nach: "Abba, Abba!" Ja, wer
weiß, was sie wußte? Anna dachte dabei an Jahwe, den Vater in den Himmeln, das war Marias
erstes artikuliertes Wort in echtem gutem Aramäisch. Vorher hatte sie das gesprochen, was man
Baby-Zungenrede nennen könnte, eine Feuersprache neugeborenen Geistes, ein Gelall und
Gestammel von hohen Dingen, unmittelbar das Herz aussagend ohne die Mittlerfunktion eines
geschulten Verstandes. Anna war die einzige, die die Gabe der Auslegung zu der Zungenrede
Marias besaß, wenn diese "O so si qma" redete, so gab Anna das den Eindruck, es verherrliche
Jahwe als die Sonne, herrlich im Mittag, majestätisch im Zenit, triumphierend über dem Land auf
dem Thron, licht und voller Glanz und Pracht. Dies Kind, dachte sich Anna, hat einen Engel, der
mit ihr redet in eben so einer Sprache, die den Normalsterblichen kaum zugänglich ist, ja, dies Kind
sieht womöglich den Kinder-Engel täglich und freut sich mit ihm über Abba! Sie liebte es, den
kleinen Pharaonenprinzessinnen, das heißt den ägyptischen Katzen nachzujagen. Ja, eine große
Jägerin vor dem Herrn war klein Maria, auf ihren wackelnden Füßen, watschelnd, mit den Armen
rudernd und paddelnd in der blauen Luft, schoß sie mit aller Energie und Lachens voll den Katzen
nach, die sich überall versteckten vor dieser Jägerin, keusch und rein wie Diana von Ephesos, und
manchmal sprang eine Katze auf Joachims Schoß, wenn er von der Weide kommend zur Ruhe saß
auf seinem Lager. Es gab dazumal verschiedene Sekten unter den Religiösen in Juda, die einen
meinten, Kinder seien böse wie alles Fleisch und kämen ins Totenreich, die andern aber schwärmten
von der großen Güte Jehowahs, der die Kinder (so sie sterben) direkt von seinen Kinder-Engeln
tragen läßt ins schöne Eden droben, wo sie spielen können in großer Harmonie und in ewigem
Frieden mit dem Löwen von Juda. Sicher, man sollte zu letzterer Meinung neigen, sie stammt von
Leuten, die in Gottes Herz geschaut haben. Maria starb aber nicht, sondern wuchs wie ein
Pflänzchen im Garten Gottes, von dem Tau Annas und der Sonne Joachims gleichermaßen genährt,
aber Gott gab das Wachstum, so kam alles zusammen und tat das notwendige, dass Maria ins dritte
Lebensjahr ging. Sie liebte zu jener Zeit die Milch von der Kamelstute, warm und süß, und immer
sagte ihr Anna: "Das ist Chalab", das heißt Milch, aber immer sagte Marie: "Gala" und Anna
meinte, das sei wohl die berühmte Kindersprache, in Wahrheit war es aber ein Wort für Milch aus
dem Griechischen, welches sie aufgeschnappt hatte von dem Onkel Minjamin von Mizpe, einem
Freunde Joachims, der das eine oder andere Mal zu Besuch kam in die Hirtenhütte in Juda, da
besprachen sie, Joachim und Minjamin, besondere Fragen aus den alten Schriftrollen. Maria bekam
davon nichts mit, denn Minjamin folgte Joachim immer in die Einöde, wo sie geistlich und geistig
redeten, männlich und erwachsen. Wir wissen aber, daß folgende Fragen auf der Tagesordnung
standen bei dem Priestersohn und dem Hirten: Welche Rolle spielt der Vorhang vor dem
Allerheiligsten im Zusammenhang mit der täglichen Taufe der Essener, voll des Geistes des Herrn
reinigten sich die Essener, und Minjamin meinte, das sei wie ein Auftun jenes Vorhangs, auf daß
man schauen könne die Bundeslade und den darauf Thronenden, was er Taufe des Geistes nannte.
Auch fragten sie sich, ob nicht das Becken im Heiligsten ein Symbol sei für die tägliche Heiligung
des Lebens oder aber für die Buße, wie bestimmte Sekten sie lehrten. Eine Prophezeiung auf eine
messianische Geschichte, sei das etwa auch der Stab Aarons, der damals bekanntlich grünte? Sei
denn etwa die Blüte an dem Stab des ersten Priesters der Hebräer der aaronitische Messias, welcher
andererseits ja vielmehr der Messias nach der Ordnung Melchisedeks sei, wie die späteren Psalmen
ihn priesen. Mehr noch als die Großsekten der Juden gingen in den kleinen Kreisen geisterfüllter
Männer die Erwartungen auf den Messias um, den man dann bei Jesaja und Sacharja wiederfand als
Geschundenen wie als Friedefürsten, was manchmal etwas schwer zusammenzudenken war. Aber
diese Diskussionen liebte Minjamin, der auf seinem schwarzen, kurzen Haar immer ein wenig Wind
wehen fühlte, als tanze eine Flamme des unsichtbaren Geistes des Herrn auf seinem Scheitel, der
mit seinen kastanienbraunen Rundaugen schaute voll der Liebe, die ein oberstes Gebot war Jahwes.
Und in diesen frommen Gesprächen fand auch Joachim den Geist der Liebe, der vom Himmel
gekommen war, um zwischen den beiden Männern dieses göttliche Band zu knüpfen, das rührte
Joachim an, so daß er lachend wieder zu Frau und Töchtern kehrte, und zu dieser Zeit war (er
gestand es sich kaum ein) Maria sein absoluter Liebling. Hinreißend schön war Anna in ihrer
kräftigen Gestalt und mit ihren mütterlichen Brüsten und dem vollen Mund und den warmen
Kuhaugen, die Joachim manchmal schauern ließen; süß war auch Mitka, wie sie so lachte voller
Übermut und Zuversicht, wenn sie an ihren Zebaothischen Dichter dachte, den töricht-weisen
Jimna, wenn sie dann sprang und sang und lustig klang voll Freude, das war herzerfreuend dem
Vater, der stolz war auf seine liebliche Tochter, deren hüpfende Aprikosenbrüste mehr als ein
Jüngling bewunderte, aber mehr als beide zusammen war seine Gotteswonne (gleich nach dem
Ewigen) Maria: Zu süß für einen Mann, dies Kind, wie sie lallte, als stammle sie Engelsgebete, zu
rein und heilig diese Augen, die himmlischer schienen als Wetterhimmel, zu selig die Seele, wenn
Maria lachte, mit dem Vater spielend, auf seinen Schultergebirgen kletternd wie ein Zicklein auf den
Triften von Gilead, und der Vater träumte: So schön war nimmer Tamar in ihrer Kindheit, da sah
man schon den leicht lüsternen Schleier vor dem reizenden Antlitz, welches in Juda Begier
geweckt; so lieblich war nicht Rahab in ihrer Kindheit, da man schon sah ein wenig Frechheit und
Koketterie, die dann später in ihrem so weit verbreiteten und doch so sündigen Beruf sich äußerte;
so süß war auch Ruth wohl nicht in ihrer Kindheit, da sie ja nicht verklärt ward vom Worte des
Herrn, sondern immer Lästerungen aufsog wie mit der Muttermilch und die Götzenbilder anschaute
und umspielte; so kostbar-köstlich war auch die hinreißende Bathseba nicht in ihrer Kindheit, die
sich zu sehr gehen ließ und ein wenig Untreue schon früh an sich hatte, welche sie später sich
hingeben ließ dem Verführer; aber Maria (obwohl in dieser hebräisch-messianischen Linie, wie
noch keiner wußte) war reiner, sie war, ja, wie soll man sagen, sie hatte das evamäßige nicht, dies
Urweib der Sünde und Mannesverlockung. Tugend sah ihr aus dem Auge, Reinheit, keusche
Schönheit, Engelsaugen, Jungfrauenglieder, so etwa dachte sich Joachim die kleinste Tochter in
seinen müßigsten Träumen. Wie sah aber Gott dies Kind an? Er hatte Mitleid mit ihr, denn sie litt
unter unbestimmten Ängsten. Manchmal ging ein großer Hund auf dem sandigen Weg, ein Hund,
der größer war als Maria, ein Hund, den die Ägypter, das Volk von Mizraim, zum Gott der
Totenwelt erklärten, Anubis, ein Hund mit der Aura von Hölle und Tod, Untergang und Gefahr für
Leib und Leben, ein Hund, der aus dem Maul Gestank verströmte wie Schwefel und Kot und Pest,
der die Zähne fletschte wie die Schwerter der Skythen scharf, welcher grausamer waren als die
Hethiter, kurz, ein Kerberus, ein Götze der Hölle, ein Satan, ein Drache. Maria ward angegriffen
von dem dunklen und kalten Geist der Angst, einem unheimlichen Dämon, der so gern die Kinder
angriff, besonders die Dreijährigen, daß die Seelenheiler schon meinte, es sei natürlich, daß
Dreijährige Angst hätten, aber die Priester erklärten, es sei eben jener Dämon, der da anhauche mit
dem Frosthauch der Unterwelt jene zarten und zartbesaiteten Seelen der Kleinen, wie auch Maria,
der er auch anderes vorgaukelte. Da gab es die kleinen Statuetten von Sphinx oder Astarte,
wirkungsloser Stein oder totes Holz, ohne Macht und Kraft, aber diese Figuren, die bei einigen
Israeliten in der Hütte standen, die umwehte der dämonische Geist, der als Geist der Angst mit
klirrendem Winterhauch und brennenden Waffen angriff das junge, ungeschützte Herz Mariens, der
verzärtelten Tochter Zion. Aber sie hatte Glauben, den lobesamen Kinderglauben, den wunderbaren
Glauben an den Himmel, der so wunderbar ist, daß manche Priester ihn magisch nennen, aber er ist
nicht magisch, sondern Gnade, und aus diesem Gnadenglauben an Jahwe, den Herrn, gebot Marie
dem Schatten der Angst: "Jahwe-Rapha! Der Herr ist mein Arzt! Er heilt mit seinem Geist der
Gnade mich von dem seelenkrankmachenden Angriff des Furchtdämons; seine Liebe ist mir beste
Medizin." Anna merkte, wie das Kind ward versucht und gepeinigt, merkte wohl, welche Kämpfe
da das junge Gemüt zu bestehen hatte, und darum betete die Mutter Mariens, betete mit dem Vater
Mariens, Zeuger und Empfängerin flehten zu Jahwe-Rapha, dem Arzt in allem Geistlichen, beteten
zu Adonai-Zedek, dem Herrn der Gerechtigkeit, flehten zu Jahwe-Hoschua, dem Retter, daß er mit
Macht und Herrlichkeit komme, komm im messianischen Geist der Hilfe, komm als Heiland mit
Heil und helfe und heile und rette Maria, die Ohnmächtige, welche allein aus Gnade Gottes nicht
starb an dieser Angst. - Es ging vorüber. Und vom Freunde des Vaters Joachim, von Minjamin der
Sohn, der hieß Joschua und war drei Jahre alt, die Familie wohnte nebenan, nachdem sie aus dem
Norden zugezogen war, die Mutter hieß Merom. Joschua kam nun zum Spielen oftmals herüber zur
Maria, ja es verging kaum ein Tag, daß sie sich nicht sahen und miteinander tollten und tobten, ihre
Sehnsucht war schon so groß wie in einem Liebesroman, so wars: Maria rief: "Oh Joschua, ich
komme!" Und Joschua wartete ganz geduldig auf sie, wie sie angerannt kam mit fliegenden Haaren
(sie trug sie schulterlang) und ausgebreiteten Armen und dann stürzte in die Arme dem kleinen
Joschua, der Maria liebte, und sie umschlang ihn, ihn, den sie liebte mit ganzem klopfendem
Kinderherzen, und dann küsste sie ihn, dann küsste sie Joschua einen Kinderkuß, einen
Mädchenkuß auf den kühlen Nacken, einen Kuß, der brannte wie die Sonne in der Wüste von Juda,
einen Kuß, der kühlte wie eine Dattelpalmenfrucht in der Oase der Wüste. So begrüßt, begannen sie
zu lachen und zu scherzen, indem sie nachmachten die Ziererei ihrer Eltern, die abgestandenen
Redewendungen Minjamins und Meroms oder Joachims und Annas, was die Kinder nur so
ablauschen konnten, und jene alltäglichen Handgriffe ihrer Mütter in den Hütten, die spielten sie
ebenfalls nach, naives Theater war das, und buken Brot aus dem feinen Sand Judäas, statt
Kamelmilch dazu ein wenig Wasser aus einer alten Zisterne nehmend, und dann zum Schein, nur
so, den Sand teilend wie ein Hirtenfladenbrot, und es zum Himmel haltend, zum Vater, der von der
Höhe segnete, was die Kinder dann, wie als ob, aßen (wirklich, sie waren aus dem Alter heraus, da
sie noch Sand aßen, sie schoben ihn jetzt verschmitzt lächelnd heimlich am Mund vorbei und ließen
ihn neben der Schulter wieder auf den Boden fallen, Sand zu Sand und Staub zu Staub). Dann ward
Joschua kriegerisch und spielte Krieg, auch davon hatte er doch irgendetwas vernommen, war da
nicht David, so hieß er doch? und hatte der nicht gegen die Pelischtäer gekämpft mit fliegenden
Steinen und hauenden Schwertern, ja ihnen auch etwas für seine Geliebte vom Penis abgeschnitten,
das wollte Joschua nun ebenfalls tun im Kampfe gegen seine imaginären Feinde, ausgedacht
stehend als Front in der Luftspiegelung vor ihm, daß er draufschlug und dreinhaute mit wildem
Arm, siegreich wie Mose zwischen Hur und Aaron, stark wie Simson, mächtig wie König David,
ein echter Gottheld aus dem israelitischen Heereslager Mahanajim. Zebaoth, wenn er sie aufziehen
wollte, so wollte er sie reif und dennoch kindersanft und urnaiv in Herzensdingen, groß und
staunend sollte sein das Herz, empfangend und alles-erhoffend, trauend und glaubend und über alles
liebend! Und plötzlich lachte Maria und rief: "Oho, Joschua, Joschua, ho! Friede, mein Geliebter!"
Und da umschlangen sie sich, und nun auf zärtliche Art und Weise, und küssten einander so richtig
vollgültig von Lippe zu Lippe, schmatzend und feucht von Genuß. Aber öfter war Maria jetzt auch
allein im Spiel begriffen, da hatte sie entdeckt das Malen für sich. Später würde sie sehen
ägyptische Wandmalerei, aber nun war ihre Kunst noch ganz naiv; noch war sie nicht gebildet und
inspiriert durch die Meister der säkularen oder heidnischen Malerei aus dem Süden oder Osten,
auch die griechischen Vasen oder Tonkrüge mit den Ornamenten oder mythologischen Bildern
hatten sie noch nicht beeinflusst, aber die Tiere dafür, die Pflanzen und Sonne und Mond, das, was
sie sah von Gottes Schöpfung. Sie hatte von Anna bekommen ein Schreibrohr und etwas
Erdharztusche, sowie ägyptischen Papyrus, wenig später zum Fest des Passah als Geschenk ein
wenig kostbaren Pergament aus Pergamon. Minjamin aber, etwas wohlhabender, schenkte der
kleinen Künstlerin diesen allerfeinsten weißen Stoff aus dem Land der Serer, östlich vom Indus
gelegen, da sie woben aus den Fäden des Seidenwurms, der mit Maulbeerblättern gefüttert worden,
einen herrlichen Stoff, auf den man hennafarbene Bilder malen konnte, und sie hatte dazu eine
schöne Begabung, und hatte auch schon schreiben gelernt, daß sie aus dem Schatz von Aleph bis
Taw die Zeichen ordnete zu einigen Lieblingswörtern von Bibelhebräisch, was sie so aufschnappte,
wenn sie dabei war, wo Joachim und Minjamin sich trafen zum Frühgebet, dann saß sie oftmals
dem Vater auf dem Schoß und lauschte Worte ab Minjamin, der betete: "Herr, du sagtest: Jehi Or!
am Anfang der Welt, da du schufest, nun lässest du Licht werden auch diesen Morgen, so erleuchte
auch unsern Geist mit dem Licht und Feuer deines Geistes, ja segne uns mit deinem Geiste, salbe
uns mit deinem Geiste, auf daß wir preisen können deine Gnade und Barmherzigkeit an diesem Tag,
den du, Gott, werden lässt! Halleluja!" Da hatte Maria gehört das fremdartige und so schöne "Jehi
Or", das klang noch feierlicher als das tagtägliche Aramäisch der normalen Menschen, das klang so
göttlich-hohepriesterlich, so feierlich-ewig, so uranfänglich-heilig-geistvoll; das schrieb sie dann
hin und malte eine strahlende Sonne dazu, die eben überm Horizont aufging, etwas kindlich
gedacht, denn dies: Es werde Licht! das war ja gesagt, bevor selbst Sonne und Mond und die Sterne
geschaffen worden waren, eine etwas rätselhafte Aussage, über die weder Minjamin noch Joachim
eine ganz und gar befriedigende Auslegung von einem der religiösen Lehrer gehört hatten. Aber als
das Licht da war, da war auch das Meer da, das malte Maria auch, mit einem echten mineralischen
Blau, Kobalt, etwas zwischen Aquamarin, Saphir und Lapislazuli, und dann, wie geschrieben steht,
kamen die Pflanzen, derer sie auch einige malte, Bäume und Gras, in Smaragdgrün von lebendiger
Farbkraft, und Tiere kamen aus des Schöpfers Wortgewalt hervor, die Maria malte, Vögel am
liebsten, die am Himmel flogen, die Möwen von Gat und Aschkelon, philistäische Lachmöwen, und
die Tauben Zijons, die sanftmütig-ruhevollen, die Gurrus Judäas, die Ruckediguh der Töchter
Israels, und sie malte versuchsweise eine Katze, nicht als ägyptische Göttin, als Isis-Götze und Tier
Ägyptens, sondern als Kreatur, welche harrt auf die endgültige Stunde der vollkommnen Erlösung
durch Gottes Messias, den kommenden König aller Schöpfung, den Wiederbringer Edens, den
Letzten Adam, den Herrn! Und Menschen? Ja, Mütter und Väter und Kinder malte Maria in
einfachen Strichen und Kreisen, naiv wie Höhlenmalerei der Urvölker, etwa der Iberer oder Kelten,
in musischer Geistesverwandtschaft ohne kulturelle Bekanntschaft, einfach und doch stark
aussagekräftig. Und da sie so malte, trat die schöne Mitka zu Maria, mit ihrem reizenden Lächeln
und dem schillernden Silberblick junger Frauenschönheit sah sie zu dem naiven Kinde und sagte:
"Du malst da so schöne Tiere, ja, weißt du denn auch, was der Prophet Mose darüber sagt? Was ist
uns Hebräern gesagt über die Tiere? Da will ich dir ein wenig zu sagen. Der Klippdachs, der
Schaphan, der Procavia syriaca, lebt gesellig in den Felsspalten, so gründe auch du dein Leben auf
den Fels, der da ist unser Gott. Er gilt als Wiederkäuer, ebenso wie der Hase, der Arnäbät, der ist
aber kein Wiederkäuer im genauen Sinn, sondern im anschaulich-so-scheinenden Sinn, denn er
macht solche Kaubewegungen, sei es nun der syrische, der europäische oder der ägyptische Hase,
die alle in unserm kanaanäischen Pelischtäa leben, man darf sie nicht essen, ebenso wie die
Schweine, die ein Bild sind für Schmutz, Sünde und Abtrünnigkeit. Schweinefleisch opfern und
essen ist Götzendienst. Und was kann tiefer stehen, als Schweinehirte zu sein? Nur oben im Gebiet
der Zehn Städte, weiß ich, da gibt es eine Schweineherde. Sie ist nicht reiner als eine Behausung für
Dämonen. Aber schön in den Lüften, wenn man sie auch nicht essen soll, sind der Adler, der eine
apokalyptische Kreatur ist, der Geier, der sich sammelt, wo das Aas ist, die Raben, die Elijahu
Nahrung brachten, die Eule, die in den Trümmern heult als ein Ruf zur Buße, der Schwan, der
eigentlich ein Kormoran ist, die Fledermaus, von der die Serer sagen, daß sie Glück bringe, was ein
abscheulicher Aberglaube ist, und die Schwalbe, die der himmlische Vater ernährt. Von dem, was
vier Füße und Flügel hat, kann man essen den Arbe, den Solam, den Hargol und den Hagab. Unrein
aber auf der Erde kriechen Wiesel, Kröte und Maus; ich meine mit der Maus, der Akebar, alle die
Nagetiere, die der Feldmaus Microtus syriacus ähneln, außer den eigentlichen Mäusen eben auch
die Wüstenspringmaus, auf daß wir sie nicht essen, während die götzendienerischen Araber gerne
solche essen, die da Jaculus jaculus heißen. Und nun, Maria, sag ich dir, was nicht im Gesetz steht,
aber was mir Naturrecht zu sein scheint: Unrein ist ebenso die Ratte, man sollte sie nicht essen,
wenn auch ganz verkommene Subjekte im Süden des Landes der Serer sie essen, aber mir ist sie ein
Tier, ein Viech, eine Plage, ein Ekel, eine Abscheu." Da verzog Maria das Gesicht: "Ich mag sie
nicht, ebensowenig wie Spinnen und Schlangen. Wenn Mose den Teufel nicht eine Schlange
genannt hätte, dann hätte er ihn genausogut eine Ratte nennen können." Da bedachte sich Mitka,
wie unschön ihr Gespräch geworden war, da fing sie an zu dichten von schönem Wesen der
Schöpfung: "Siehe die Schoschannim, wie sie blühen, schöner gewandet als selbst Salomos Töchter,
wenn sie Männern gefallen wollten, ja Basemat und Tafat waren nie so schön wie Gottes
Lieblingsblume, die Lilie im Tal, prächtiger selbst als der Fürst der Liebe gekleidet, denn Gott hat
sie gekleidet! Und der lieblich zwitschernde Steinsperling, weißt du, Petronia petronia, ach für den
sorgt doch der himmlische Vater, der fällt nicht vom Himmel, wenn Gott es nicht zuläßt, kein Isis-
Tier fällt den süßen Petronia petronia an, denn Gott der Gerechte, Gott der Hort, Gott der Schild,
Gott der Schirmer, Gott der Heilige, Gott die Liebe schützt das kleine Vögelchen, das Er Selbst Sich
zu Seiner Freude geschaffen, denn Gottes Lieblingsvögelchen mittags im Maien ist der jugendlich-
törichte Vogel der Liebe, Petronia petronia." Mitka schien närrisch, aber man muß wissen, daß
Jimna, ihr Liebling, solch einen Vogel im Käfig zuhause hielt, und oftmals saßen sie zwitschernd
Liebesworte sagend vor dem Vogel der Liebe.
FÜNFTES KAPITEL

Als Wanderarbeiter kam nach Judäa Josef, geboren in Bethlehem, der dort auch groß geworden war,
dann nach Nazareth gezogen war, um dort eine Werkstatt aufzumachen, denn er war Zimmermann,
und als solcher kam er nun von Nazareth hinunter nach Juda und machte auf in Bethlehem eine
kleine Tischlerei, vorübergehend Arbeiten zu erledigen für die Leute von Juda. Er stand in dieser
kleinen Zimmerei und sprach mit sich selbst, das tat er öfter, weil er allein war, er hatte noch keine
Gefährtin und Gehilfin gefunden, wenn er sich auch immer wieder das Gotteswort aus der Genesis
vorhielt: "Ich will dir eine Hilfe schaffen". Nichtsdestotrotz war der Junggeselle nicht verweichlicht
und erbärmlich vor Einsamkeit, sondern ein kräftiger Mann mit guten Arbeiterhänden und
männlichen Freunden. Einer seiner Freunde, ein Freund ihm von seiner bethlehemitischen
Jugendzeit an, war Jorah, bei dem Josef wohnte in Bethlehem, vorübergehend. Josef war ein großer
Mann mit braunen Locken und einem vliesigen braunen Bart, er hatte aber fast schwarze
Augenbrauen, die ihn etwas finsterblickend-grüblerisch aussehen ließen, zwischen den beiden
Brauen außerdem lagen zwei vertikale Falten, die ebenfalls denkerisch aussahen, obwohl er alles
andere als ein hellenistischer Philosoph war, die Philosophie vielmehr rundweg für Torheit erklärte
und echter Arbeiter (aber unterrichtet in der Tora). Sein Gesicht war markant, scharf geschnitten,
aber nicht adlermäßig, sondern noch immer freundlich, seine gekerbte, geschnittene Männlichkeit
war gottgewollt, aber nicht herrisch-grob und lieblos, sondern er war freundlich, gütig, hilfsbereit,
offen für Gäste, immer bereit, Traurige aufzuheitern, am liebsten in dem er komisch schilderte, wie
der Riese Goliath groß wie ein Weberbaum war und doch niedergeschmettert ward von einem
kleinen Steinchen aus der Steinschleuder eines jugendlichen Schafhirten, das ließ noch so große
Probleme auf einmal lösbar erscheinen. Das war so einfach seine Menschlichkeit, er brauchte nicht
Seelsorger oder Priester zu sein oder Frau mit mütterlichem Herzen, er mußte nur menschlich sein
und auf Gott horchen, der den Menschen wollte zu einem Helfer für seine Nächsten. Josef war
fromm. Er hatte einige Kernsprüche aus dem Gesetz und den Propheten, die sich immer auf den
kommenden König bezogen, die hielt er allen heuchlerischen Tempelgängern vor, er sagte dann
etwas wie: "Aber des Weibes Sproß wird der Schlange den Nacken zertreten, und das wird der
kommende König sein! Und eine Jungfrau wird gebären, den Messias wird die Jungfrau gebären,
und sie werden ihn Immanuel nennen, das ist: Gott mitten unter uns!" Er war einer der
überzeugtesten messianischen Juden, kein Gesetzeslehrer konnte ihn abbringen von dieser nahen
Heilserwartung. Aber er dachte auch manchesmal an das Wort Salomos: "Sei nicht zu fromm, mein
Sohn", und bemühte sich, nicht frömmelnd zu sein, nicht weltfremd zu werden, nicht Minze und
Kümmel und Dill zu verzehnten und dabei einem Leidenden nicht zu helfen, alles
Gesetzlichgeordnete und Vorgeschriebene der hebräischen Religion war ihm zu eng, er wollte vom
Herzen her Gott verstehen, er wußte, daß Gott einen Neuen Bund schließen wolle mit der
Menschheit, und er wollte sich verstehen als (in Hoffnung) ein Sohn des Neuen Bundes. Ebenso
Jorah, wenn der auch anderes Temperament hatte. Das war nun ein eiliger Denker, scharfsinniger
Schnellredner, dieser Gastgeber Josefs war ein Rascher, einer, der schneller reden kann, als sein
sehr schnelles Denken dachte, auch sein Denken war so schnell, daß es nicht mitkam und er sich oft
verwirrte und verirrte im Irrgarten scheinbarer Logik, denkbar scheinender Gedanken, die aber in
Wahrheit undenkbar und unlogisch waren, aber im Gewande des geheiligten Rationalismus
gesetzlicher Folgerichtigkeit daherkamen, so daß er sagte: „Viele jüdische Sekten gibt es, fromme
Parteien, die einen in der einen Frage fromm, die andern in der andern, aber eine Wahrheit gibt es
nur, so kann nur eine Partei die Wahrheit vertreten, die andern aber scheinen in scheinwahrhaftiger
Lüge sich zu gefallen mit dem frommen Mäntelchen, bemäntelnd heuchlerisch den Irrsinn des
Widerparts, Zerstreuers und Anklägers, des Ersten der Göttersöhne, der schon den armen Ijob so
sehr geplagt, der eine Armee hat von Geistern, die sich als Geister des Lichts ausgeben, und dann
neue Gesetze erfinden oder seltsam von der Auferstehung reden. Ach, ich weiß nicht, ich bin darob
gar sehr verwirrt." Und da sah auch Josef nicht mehr durch, er berief sich dann auf die Einfalt
frommer Gedanken: "Ich, der Herr, bin dein Gott!" Halleluja! mehr mußte Josef nicht wissen, und
wer das mit ihm bekannte, der war sein Freund, ja sein Bruder, und Jorah, trotz aller Zerstreutheit,
war ein solcher, denn er schaute auch auf den Tempel, in dem Gott sein Allerheiligstes hatte, das
Herz Judas, da der Gott Israels seine Herrlichkeit wollte wohnen lassen und seinen heiligen Namen,
der unaussprechlich war, aber in dem beschlossen lag ein heiliges: Gott rettet! Halleluja! Das war
alles, was wir wissen müssen, sagte sich Josef, und verharrte in naiver und gottseliger Einfalt. Das
schien dem Jorah ein wenig mädchenhaft und fraulich zu sein, so unreflektiert einfach zu glauben,
er wollte die Fülle der Erkenntnis und heiligen Weisheit aufsaugen von dem Geiste des Herrn, und
Josef sagte: "Der Anfang aller Weisheit ist Ehrfurcht vor dem heiligen Herrn der Herren, dem Gott
unserer Väter Abraham, Isaak und Jakob." Und Josef ging aus dem Haus, ging von Bethlehem fort,
durch die nächsten Dörfer, da er die Armen, Kranken, Geplagten, Besessenen, Rautesüchtigen,
Weinsäufer, Hurer und Hunde sah. An den Ecken Prostituierte. Eine sah ihn an und rief ihm zu mit
herber Stimme: "Komm zu deiner Eva, ich will dich Sünde schmecken lassen, süße, süße Sünde,
eine Stunde süße Sünde, komm in diesen Unterschlupf, da ich dich tun lassen will nach der
Menschen Weise an einem hingebungsvollen Weibe, ha, das hat noch keinem nicht gefallen, ganz
Israel ist so eine Hure, wie ich eine bin, ja, ich bin eine Hure! Israel bin ich, und du sei mein
Halbgott, mein Fruchtbarkeitsgott, mein junger Tammuz, mein regnender Baal, du, das laß ich mir
lohnen mit einem Schoß voll Schekel." Josef wandt sich stillschweigend ab und sah an ihr vorbei,
aber sie streifte als Erscheinung sein Auge rechts ein wenig aufdringlich: Lange schwarze Locken
und ein bleiches Gesicht, den Mund aber dick geschminkt mit ägyptischer Röte, die Augen schwarz
umrändert mit dem Zwielichtschatten Sodoms, an den Ohren Geklimper und Geklingel, wie Israel
nie geschmückt war für den Ehebrecher Kemosch, den falschen Gatten der Jungfrau Gottes, sie trug
das Silber Äthiopiens, das Gold von Ofir in vielen Ohrgehängen, welche Männer mit ihrer rasch
zerstäubenden Lust ihr bezahlt, auf daß sie weiter locken und klingeln könne mit dem irritierenden
Geläut zur Messe der Wollust in Sünde. Und das Haar fiel auf die Schultern, von denen herabhing
ein Gewand aus schwarzem Schlangenleder, bis auf die Hüften, da sich ein Gürtel um die Lenden
wand, der ebenfalls aus geflochtenem Schlangenleder war, ein kurzgeschürzter Rock im Stil der
Ascherapriesterinnen im Lusthain, und Sandalen einer Römerin, denn man trieb zu jener Zeit
Hurerei mit Rom, dem Romus, dem Sohn der Wölfin, Abstammung Venus, der Aschera von Kittim.
O Schuld und Verbrechen und Schandtat in Gottes heiligen, reinen Augen, ein Schmerz seinem
unbefleckten Herzen, eine Last und ein Weh seiner untadeligen Seele, ein Grund ihm zu Gotteszorn
- Gotteszorn nicht über jene Hure, die so arm war, ärmer als sie selber wußte, ein Gotteszorn über
den Geist der Hurerei, den Geist von Sodom und Gomorrha, Ägypten und Babylon, dem der
Engelfürst Griechenlands und die Götter Roms untertan waren, die alte Schlange Satan -
Dreimalverfluchter! Gott wird ihn werfen in den Scheol und mit dem Scheol tiefer als Sodom ins
Feuer! Halleluja, Gott der Retter ist Sieger, der Allmächtige mächtiger noch in seiner tiefsten
Niedrigkeit, als Satan auf dem Höhepunkt seiner Macht! Gott ist ewig, Satan schon vernichtet, er
liegt nur noch in den letzten Zuckungen, Gott aber wird in ewiger Zeit der Zeiten feiern seiner
Liebe und Allmacht Triumph! Nicht mehr lange, nur noch kurze Zeit, wenige Tage, dann ists
vollbracht, und Not und Elend ist nicht mehr, bis dahin aber müßt ihr noch tragen euer Kreuz. Und
Josef kehrte zurück nach Nazareth. (Auch Maria war mit ihrer Familie nach Nazareth gezogen, wie
geschrieben steht in der Chronik der Mütter des Messias.) Und in seiner ersten Nacht in Nazareth
wieder, in seiner eigenen Hütte, da hatte er einen Traum. Er sah ein Bild, ein Bild von Eva, der
ersten Frau, der Mutter aller Lebenden. Fünf Kiefern standen in einer Gruppe, ihre Wipfel
vereinigten sich, das waren die fünf Schöpfungstage, da der Mensch noch nicht geschaffen war,
herrenlose Natur, wild und erst in Vorbereitung auf die Krone hin und seinen König, und dahinter
eine weite Aussicht auf bewaldete Hügel und Senken, Täler und Berge, bebuscht und steinig und
sandig, mit einem Streifen orangener Dämmerung am Horizont, nach oben hin zu milchigblau
bewölktem Himmel übergehend, dessen schaumweiße Wolken an der tiefblauen Kuppel des Zenits
sich wölbten über einem besonderen Baum. Heiden würden ihn Weltenbaum nennen, aber die
Gottbegeisteten nannten ihn Baum der Erkenntnis. Nein, nicht einfach Baum der Erkenntnis, wer
könnte etwas gegen Erkenntnis haben? Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen hieß er, aber:
Wer kann etwas gegen diese Erkenntnis haben? Gott. Denn er wollte nicht, daß die Menschen
Erkenntnis des Bösen hätten auch, sondern allein des Guten. Darum liegt die Betonung auf dem
"und": Der Baum der Erkenntnis von gut "und" böse! Der war tabu dem ersten Menschenpaar,
wovon nun Josef die Eva anschaute in seinem Traum. Sie stand in der Nähe dieses Baumes, der in
der Mitte des Gartens in Eden stand, da floß ein kleines Bächlein vorüber mit grünkristallenem
Wasser, ein wenig milchiges Blau hineingemischt, aber nur ganz zart, aber schöner noch von Farbe
war das Gold da, welches? Das Gold eines Evafußes, schlank und sehr wohlgeformt, der in dem
Wasser schimmerte, ein wenig gebrochen von der Lichtbrechung der Wasseroberfläche, ein wenig
umkreist von den Wasserkreisen der Unruhe, aber immer noch ganz goldgedichtet wie von
Bedolachharz oder dem Edelgold Schoham, aber bestimmt nicht nur ein vereinzelter Fuß, wie das
am Leib des Herrn nicht üblich ist, sondern ein Bein dazu, ein Frauenbein, in schönster Unschuld
ein kindlicher Knöchel, eine weibliche Wade, eine zarte Linie von Unterschenkel, ein frommes
Knie, denn sie kniete oft vor Adonai Elohim zum Gebet, dem Jahwe Zebaoth, ihrem Herrn und
Gott, und der Oberschenkel mächtiger als der Unterschenkel, passend zur fraulichen Hüfte mit der
unverborgenen Scham, denn sie schämte sich nicht, da sie nicht erkannte, daß sie nackt war, und da
war keine Schande, da war süßeste Unschuld, und drüber äugte der Nabel (eine Seltsamkeit, da Eva
nie an der Nabelschnur einer Mutter hing, sondern gemacht worden war aus der Flanke Adams, des
Mannes, dennoch hatte Gott ihr einen Bauchnabel gegeben, denn das gehört wohl zur kreatürlichen
Schönheit dazu), umgürtet von einer schlanken Taille, kein Ring zuviel, Ebenmaß und Proportion,
maßvoll wie das Bild eines Renaissancekünstlers, wohlgestaltet wie eine griechische Göttin, und
ganz entzückend die Brüste, Glocken oder Magnolienblüten, Blütenkelche, hohle Hände, halbe
Äpfel, indische Pagodenkuppeln, was man sich nur ersinnen kann, nichts gibt ein Bild von der
weichen Festigkeit, runden Perfektion dieses Insigniums lieblicher Weiblichkeit, schön zu schauen
und eine Köstlichkeit allen dürstenden Kindern, verschleiert beinah, aber immer noch bloß, von den
goldenen Locken, gold vom Morgenlicht, sie hielt diese goldenen Locken mit der Linken hinter das
weichgemuschelte Ohr zurück, um besser lauschen zu können (wem, das müssen wir leider gleich
bekennen), und schaute mit mädchenhaftem, jungfräulichem, kindfraulichem, liebseligem,
gottfrohem und doch halb auch schon eigensinnigem Blick halb in das klare Wasser des Lebens und
halb zu, ja, jetzt müssen wir es sagen: zu jener Schlange, die sich da umschlang grüngold und
schwarz schillernd in ihrer listigen Glätte um den Baum der Erkenntnis des Bösen und zischte über
das Wässerchen hin (der Drache liebte das Element des Wassers), und da schäumte ein wenig das
Wässerchen (wie Rahab Meeresgischt aufpeitscht und Leviathan Gischt zu Silber schlägt) und
zischte und lispelte halb lockend halb listig: "Iß, mein kluges Mädchen, iß, du wirst eine Göttin
sein, vollkommen und allwissend", sagte Satan, und Eva ward betört von dem listigsten aller Tiere,
dem Tier an sich, dem Übel im Gewand schön schillernder Lüge, verkleidet als Licht und
Erkenntnis, mit dem Angebot der Erkenntnis, der Gnosis, und des Gottwerdens: "Erkenne deine
Gottnatur in dir und vervollkommne sie, und du wirst sein ein Gott", so lispelt Satan seitdem in
viele Ohren hinein, und Evas Hand, die noch nicht geschilderte, die griff mit ihren Fingern, die
eigentlich zu schön zum Sündigen waren, die griff nach der verbotenen Frucht. So kam die Sünde in
die Welt. Auch Adam aß. Die Menschheit war verloren. Gott zürnte. Aber Gottes Gnade triumphiert
über den Zorn, denn er wird senden Seinen Messias, durch eine Jungfrau, so, wie durch Eva die
Sünde in die Welt kam, so wird durch eine Jungfrau Immanuel in die Welt kommen, dachte sich
Josef und fragte sich, ob dieser Gedanke gottwohlgefällig sei, und mit dieser guten Frage erwachte
er am Morgen frisch in Nazareth, ein wenig traurig, ein wenig hoffnungsfroh, und betete Gott an.
Da gedachte Josef aber der seligen Vorzeit, da die Welt noch heil, da Welt noch nicht Welt war, da
Welt noch Paradies hieß, die Gefühle noch stabil, tief und froh in einem, der Geist erleuchtet und
Gott nah, der Körper unsterblich, oh, die Zeit! Da Adam geschaffen ward von der Hand Gottes,
Jahwes Hand unmittelbar formte den ersten Menschen aus irdischer Materie und hauchte ihm den
Geist ein, Odem vom Odem Gottes, es heißt, er hauchte ihn in die Nase ein, und Adam lebte im
Paradies, da waren seine Freunde Monarch und Admiral, die Schmetterlinge, und Cygnus, der
Schwan, der weiße und der schwarze, und die Tauben, Waldtauben, Turteltauben, Ringeltauben, und
auch ebenso die Wildhunde, stürmisch und treu, herrlich wie Heroen aus den Augen schauend, aber
da fehlte Adam etwas, das sagte er Gott, der wußte davon schon, und Gott hatte bei sich selbst eine
glorreiche Idee, wir meinen, das war Gottes beste Idee: Er schuf die Frau! Er versetzte Adam in
einen süßen Schlaf, da träumte Adam allerlei Liebliches von herrlicher Schönheit kostbar und
köstlich, dieweil nahm Elohim aus des Mannes Flanke, und machte Bein von seinem Bein,
Knochen vom Knochen, Mark vom Mark, und baute eine Gestalt und machte ihr Fleisch, kunstvoll
geformt, Sehnen und Muskeln und Nerven, machte ihr schöne Augen, Sterne! und schöne Lippen,
Rosen! und Haare, Kaskade! und Brüste, Orangen! und einen Schoß, eine geteilte Feige! und bettete
diese lebendige Schönheit neben dem schlummernden Menschen ins Moos, da gebot der Herr den
beiden: "Erwacht!" und sie sahen, o welche Seligkeit, einander Aug in Auge und küssten einander, o
süßestes Glück, küssten einander Rosenlippe an Honiglippe und sagten: "Ewig in alle Ewigkeit
werd ich dich lieben, o du meine Braut, alles will ich dir geben, mein Leben opfere ich dir auf!" und
sie: "O Himmel mein, du Glück mein, du Bräutigam, ich liebe, ich liebe dich mit allen meinen
Sinnen und meinem ganzen inneren Sinn, mein Alles geb ich dir hin, Geliebter! Sag ein Ja zu mir!"
und er sagte: "Ja, du!" und sie: "Oh, ja!" und da gab Gott seinen Lächelsegen, seinen
Lieblingssegen, und Adam und Eva (so hieß sie ja), sie wurden eins, sie wurden mit wachsendem
Sturm und reifender Leidenschaft und anschwellender Hingabe in süßer Koserei und himmlischer
Raserei ein Fleisch, Geist verschmolz in Geist, Seele floß in Seele über, Leib drang in Leib, und
eins und nicht zwei war der Mensch, ein Ebenbild Gottes, der die Liebe ist. Josef schüttelte seinen
Kopf, um wach zu werden, diesen Morgentraum zu verkraften, das war nicht so einfach. Er hielt
seine tägliche Waschung ab und kleidete sich sauber in einfaches grobes Linnen dunkelblauer
Färbung und trat nach einem Morgenmahl, bestehend aus Gerstenbrot und Honig sowie einem
tönernen Becher voll warmer Ziegenmilch, auf die Straße, um zum Brunnen zu gehen, der
wesentlichen Wasserquelle des Ortes Nazareth, oder En-Nazira, da blieb er in einiger Entfernung
der wenigen Stufen stehen und staunte, denn er sah eine wunderschöne Erscheinung. War das nun
die wiedergekommene Eva aus dem Paradiese vor dem Sündenfall? Am Fuße der Treppe stand ein
Mädchen, in einen langen hellroten Rock gekleidet, der bis zu den bloßen Füßen herunterreichte,
und was waren das für zierliche Füße, wie Tanz, wie Schweben; und über den roten Rock hing den
Rücken hinunter von den Schultern herab ein heller, himmelblauer Umhang, dessen Ende auf den
Fuß der steinernen Treppe fiel. Auf dem Haupt trug das Mädchen eine Macht, eine Art Schleier, der
das Gesicht frei ließ, ein wenig ihres Haares schaute dunkel hervor, aber weich war das Gesicht, mit
großen Augen, um die Lippen ein mildes Lächeln, so schaute sie zurück zu einem Paar von jungen
Frauen, älter als sie, und nicht ganz so hübsch und liebreizend, aber immer noch angenehme
Erscheinungen. Wer waren diese Frauen? „Mitka, kommst du?" rief das junge Mädchen. "Ja,
Maria", rief Mitka zurück und kam mit der anderen jungen Frau, Arm in Arm untergehakt wie
Schwestern, dabei sahen sie einander gar nicht ähnlich und waren eben auch nur gute Freundinnen,
die junge Frau hieß Asuba und hatte ein braune Haare, vorne in der Stirne kurz, hinten im Nacken
lang gehalten, ihre Augen waren wie rasche Augen eines Häschens, kindlich und hübsch, ihr
Gesicht fein, man täusche sich aber nicht, Asuba war eine Denkerin, während Mitka Gefühlsmensch
war. Mitka auf und ab in ihren Wallungen, Asuba geradeaus in ihren logischen Linien, ergaben sie
zusammen eine hübsche Freundschaft. Sie mochten Maria gern und gingen gern mit ihr durch En-
Nazira zum Brunnen, den sie Marias wegen schon Marienbrunnen nannten, Wasser zu holen für
Annas Küche. Und nun schöpften sie Wasser. Josef trat näher. Er sah in Marias Augen (ein wenig
forschend) und sah warme Mutteraugen, wie wohl Rahel sie gehabt haben muß, daß sie Jakob
fesselte vierzehn Jahre bis zur Hochzeit, solche Augen tun gut, man fühlt sich wohl im Abglanz
solchen Schimmers aus solchen schimmernden Edelsteinen, Spenderinnen himmelblauer Freude,
dunklen Müttern aus ururalten Zeiten, ja, in ihrer jungräulichen Mädchenhaftigkeit lag doch schon
ein mütterlicher Blick auf Josef aus diesen nachdenklich-besinnlichen Höhlen von heiligen
Eremiten: den Sternen von Augäpfeln, voller Zauber und wie süße Äpfel gereift zur romantischen
Liebe spielenden Blickwechsel. Josef war ganz hin und weg von diesem Blick, und sie blickte ihm
ja auch direkt in die Augen, naiv und kindlich-offen. „Du heißt Maria?" fragte er. Sie wurde warm
im Gesicht. "Ja, Maria, nach Miriam." Und er ermannte sich, weiterzufragen: "Und wer sind deine
Eltern? Wo wohnst du, darf ich das fragen?" Und darauf gab sie die Antwort: "Ich bin die Tochter
Joachims, des Sohnes Eli, des Hirten an den Füßen des Tabor und weiter in der Jesreel-Ebene, und
Annas, der Frau des Joachim, und wir wohnen drüben am Südhang des Hügels." Da war es
Joachim, als hätte in diesem Augenblick, mit dieser bereitwillig-ausführlichen Antwort, Gott ihm
eine Pforte aufgetan, eine Pforte in das Eden der Engel und heiligen Vorfahren, da Eva lebte, die
Mutter des Lebens, und Eva war ebenso auf Erden, die Mutter des Lebens, und schöner noch als er
sie geträumt hatte, tausendmal schöner Maria als Eva, überwältigend, hinreißend, atemberaubend!
O dies Lächeln! O dieser Honig im Blick, dieser Taubenflug von weißen Tauben Zijons aus diesen
Lächelblicken! O dies Lächeln um die Lippen, zuckersüß, himmlisch! Josef sagte seinem älteren
Vater Bescheid, dem Manne Jaakob, auf daß er rede und sich unterrede mit Joachim, dem Vater
Mariens, betreffs einer Verlobung, woraufhin dieser sich zu jenem begab und redete von den
Vorzügen seines fleißigen Sohnes, des arbeitstreuen und pflichtbewußten Josef. Dazu kam das
Brautwerbegeschenk von mosaischem Ausmaß. Jaakob sagte: "Lege mir viel auf als Heiratsgeld
und Brautgeschenk, ich will es zahlen (schließlich bin ich Kaufmann), aber ich will dies Mädchen
haben für meinen lieben Sohn, denn er hat unwiderruflich sein Auge auf sie geworfen
wohlwollend." Und Joachim willigte ein unter der Voraussetzung, daß Maria einverstanden sei.
"Vater, er scheint mir ein gerechter Mann zu sein", sagte Maria schlicht, bescheiden und demütig
und verheimlichte hier, daß sie schon von diesem Josef süß geträumt hatte. Da brachte Jaakob wie
eine Kriegsbeute heim das Einverständnis, ließ Geld und Kamele da, die dann zur Aussteuer
Mariens gerechnet wurden. Da ward sie sein, da ward Maria die Verlobte Josefs, da ward sie sein
eigen, da ward er ihr Baal, ihr Herr und Ehemann, nun war sie verpflichtet zur Treue und er zur
Fürsorge. Aber er nahm sie noch nicht gleich in sein Haus. Maria gewann den Josef lieb und hatte
frohe Hoffnung, schon bald nach der Hochzeit ein Kind zu bekommen, denn sie war ganz närrisch,
was Kinder betraf, ja, Maria war ganz närrisch kinderlieb... Da kniete sie hin des Morgens nach
dem Tage der Verlobung und dankte Gott: "Eloy, Eloy (sprach sie aramäisch) ich will nicht bitten,
Mutter des Messias zu werden, sondern laß mich nur sein die geringste Magd der Mutter des
Messias! Amen.“

SECHSTES KAPITEL

Herr, wie wunderbar ist dein Tun, das sehen wir an deinem geliebten Mädchen Maria, der schönen
Mirjam, die da in ihrem Zimmer alleine saß und sann und erkannte deine Barmherzigkeit. "Da
fließen mir wie damaskenische Flüsse Tränen, wie Abana und Parpar Trauertränen aus den Augen,
welche Quellen gleichen, und ihre Wasser sind Buße für die Menschen, ihre Ströme Reue und Bitte
um Vergebung für die Menschen. O Gott, Du, du bist ja ein gnädiger Gott, ein barmherziger Gott,
langmütig, langsam zum Zorn, rasch zum Vergeben, von Herzen sanftmütig bist du, Herr, also
erbarm dich über deine Menschheit, und sieh, wir glauben, aber hilf unserm Kleinglauben." Da
betete sie noch, allein mit dem Stöhnen ihres Herzens, dem Seufzen ihres Geistes, still und
unaussprechlich flehte sie um Gnade für die Welt und ihre Tränen versiegten, denn Gott der Herr
trocknete ihr die Tränen, küsste ihr die letzte Träne mit dem Munde seines Heiligen Geistes langsam
von der schwarzseidigen Wimper, daß ihr Herz erschauerte, so ward sie getröstet. Oh Maria! Und in
jener Abendstunde der Erbarmung trat in der Jungfrau Kammer, der Verlobten Zimmer ein
überirdisches Wesen, das erkannte sie wohl, wenn auch der Engel ganz wie ein Mensch erschien,
aber wie war er denn sonst hineingekommen in das verschlossene Zimmer, wenn nicht
übernatürlich? Sicher, hereingeschwebt auf einer Flut von Licht und einer Woge von schimmernder
Strahlung war er, der da ein sanft violettes langes Gewand trug, die Lenden weiß gegürtet, eine
lange Anmut, gebogen und geschwungen wie Musik der graziöse Leib, weiß die Haut, wie nie dem
Brand der judäischen Wüstensonne ausgesetzt, sondern wie von Milch, reingewaschen von Ysop,
wie Schnee, pure Unschuld versinnbildlichend, aber ein Hauch von Lebensröte, von Blutschimmer
auf die Wange gemalt, menschlich, lebendig, anmutig, lieblich, und umrahmt das alles von Locken,
die aus Licht gewoben waren oder aus goldener Schafswolle gesponnen von Himmlischen, denn er
war ja nicht geboren von einer Frau, sondern geschaffen vom Schöpfer, entsprungen Seinem
kostbaren Wort und geformt vom Wink Seines Fingers, gemalt vom Creator, gedichtet vom
Erzpoeten: Gott selbst! Und die Augen, grüngoldene Augen gewendet zum Himmel (wie Gebete
durch die Zimmerdecke hindurchdringend hinauf zum Himmel der Himmel) und wie grüne
Lilienblätter schwimmend auf einem Teich von Milch, das Weiß seiner Augen rein wie die Milch
eines Mutterschafs, wenn sie ihre Milch aufspart für das hohepriesterliche Opferlamm, heilig und
glänzend, schimmernd und fromm in seiner Innigkeit, und darüber schmal wie Weidenblätter und
golden wie Weidengezweig die Brauen, jedes einzelne Haar ein Zeichen des Glücks, und darum aus
himmlischem Gold gesponnen, fein und schlank gebogen wie eine Frage, mehr wie ein gläubiges
Staunen vor der Erwählung des Herrn, denn die Engel, sie staunen nie aus, sie wundern sich
stündlich über die Gnadenerwählung Elohims, die er seinen sündigen Menschen zuwendet, ja, so
über alle Maßen, denn der Mensch, nicht der Engel ist Ebenbild Gottes, aber gefallen ist der
Mensch, alle Menschen sind gefallen, nicht aber alle Engel, und die treuen Gottesboten sind nun
Vorbilder, an denen die Menschen sich orientieren können: So gehorsam, so geradlinig auf Gott hin,
so himmlisch in der Gesinnung, so anbetend und lobpreisend in allen Werken und Worten wie die
Engel Gottes, so soll der Mensch werden, mehr noch: lauter Menschensöhne, dem einzigen Messias
Gottes gleich, oh Größe und Erhabenheit der Erwählung durch Gott, Macht und Herrlichkeit Seiner
Gnade! Halleluja! Das erfuhr Maria, die Jungfrau, das schöne Mädchen, die da schaute auf den
Engel und ihre Augen nicht wenden konnte von seiner Herrlichkeit (Abglanz von Gottes
Herrlichkeit) und schaute durch die Blume auf den Engel: denn er hielt eine weißblühende Lilie
Scharons in seiner Hand und reichte sie Maria hin: "Braut Gottes, siehe, Gott hat dich auserwählt",
sprach der Engel. "Oh, ich bin die Geringste seiner Dienerinnen, seine Sklavin bin ich, bereit mein
Leben hinzugeben, mein unwürdiges, alles zu geben dem Allerhöchsten", stöhnte Maria. Und der
Engel lächelte: "Gabriel bin ich geheißen und war mit dem Engel des Herrn und einem Mitknecht
bei Abraham, als Sara lachte im Hain Mamre und konnt es nicht glauben, daß sie den Erben der
Verheißung solle gebären. Wundere dich, staune, Maria, aber du bist tausendmal mehr gesegnet,
denn du wirst gebären..." Maria sprach in heller Aufregung: "Ich bin mit keinem Mann einig nach
der Weise der Erkenntnis, wie sollt ich da gebären?" Aber der Engel ließ sich nicht beirren: "Tochter
Gottes, gesegnet bist du von Jahwe, dem Allerhöchsten, der durch dich zur Welt bringen will den
Heiland, den Retter der Menschen, den verheißnen Messias Gottes!" Da schlug Maria die Augen
nieder und senkte die bewimperten Lider über ihre Sterne in den Teichen, und Röte schoß ihr durch
die weiße Wange: "Mir, mir soll das geschehen? Ich unbedeutendes Mädchen soll...?" Und der
Engel sprach: "Damit Gottes Gnade ersichtlich ist, wirst du begnadet und erwählt durch die
Barmherzigkeit und Erlösungsgesinnung des Ewigen!" Maria lehnte sich, einer verzückten
Ohnmacht nahe, mit einem Schulterbein an die Wand, den Pfeiler der Wand, mit dem linken
Schulterbein, übers rechte fiel ihr schöner Umhang, die Brust war umgürtet, über Bauch und Schoß
und Knie fiel ihr ein nachtblaues Tuch, ihre Füße steckten in dunkelbraunen geschlossnen Sandalen,
ihre Arme breitete sie betend aus, nicht direkt vorm Engel (das hätte der Erzengel gewiß sich
verbeten), aber vorm Ewigen, dessen unsichtbare Gegenwart sie vermutete, sich gewiß war und
spürte davon den Hauch, lenzlich-lieblich. Aber vom Mund des Allmächtigen ausging das Wort im
Geist Gottes. Der Geist Gottes schwebte voller Liebe wie tanzend schwärmerisch in süßer
Verzückung an der Gottgeliebten darnieder unsichtbar und doch gewiß wahrhaftig wie Gott
wahrhaft lebt! Der Geist ist Gott! Halleluja, und Gott der Geist kam nahe Marias Zimmer, Er, der
Heilige Geist, überschattete die Jungfrau und gebot, siehe, er sprach das Wort: Es werde! siehe, da
zeugte Er, der Schöpfer, den Sohn, das Wort, den ewigen Sohn, in Ewigkeit gezeugt aus dem Geiste
und Schoße des Vaters, Logos schuf der Geist in dem Schoß, der Sinn und Gedanke und Wille des
Vaters nahm Gestalt an, das Wort Gottes nahm Fleisch an, denn der Heilige Geist hatte geschaffen
den Menschensohn, Ihm, dem Gottessohn, an-erschaffen das Fleisch aus dem Fleisch Mariens, ihn
gesät im Geiste in das Fleisch Mariens zur Erlösung, Heiliges unternahm der Heilige Geist, Gott
unternahm die Menschwerdung, eine Gnadenschöpfung vollzog der Vater durch seinen Geist mit
seinem Sohn, Wunder über Wunder, denn eine Jungfrau ward schwanger, Halleluja, Gott ist ein
Gott der Wunder und der Gnadenerbarmungen! Die Jungfrau aber merkte nichts davon an ihrem
Fleische, aber in ihrem Geist war eine heilige Frömmigkeit und ein herzensfrohes Dankgebet: "Aus
dem Staube ruf ich zum Ewigen: Halleluja! Halleluja meinem Gott, dem Gott Israels, der mein
Gebet erhört! Halleluja dem Allmächtigen, dem kein Wort meines Herzens verlorengeht, der jede
Silbe zählt und aufbewahrt in seinen heiligen Herzenskammern, Halleluja dem Preisungswürdigen,
meinem Vater! Dank sei dir, o mein Gott, für diese frohe Herzensregung, Gott, du Geliebter, Preis
dir für meine Freude, für diese Sekunde heiliger Schönheit, Gerechter, Gnadengott, Vater im
Himmel! Halleluja, Lob und Anbetung dir für deine Schöpfung, du wirst schaffen das Werk der
Erlösung vollkommen, Gnade über mir, mein Gott, Gerechtigkeit mein, mein Gott, an den ich
glaube, komm du selbst in deinem Messias zu deinem Volk, das dich anfleht, komm, ja Herr Jahwe,
Gott Retter, komm bald! Amen! Amen!" Maria ward schwanger, ihre Linie wölbte sich vor, ganz
lieblich offenbarte sich ihr Zustand, ihre Umstände machten sich hübsch deutlich, Josef hätte das
geliebt von Anfang an, das Werden seines Sohnes, wär es sein Sohn gewesen, dann aber hätte er ja
mit ihr sein müssen im Ehestand. Denn das ist sicher, das gabs nicht unter gesitteten Menschen, die
Buhlerei zweier, die nicht Anvertraute sind, also wenn der Mann die Frau noch nicht heimgeholt in
sein Haus, dann gabs da nichts von Liebesspielen zwischen Wolke und Regen, die Erkenntnis sparte
man auf, das Beiwohnen geschah erst in gemeinsamer Ehewohnung, das Tun nach der Menschen
Weise hatte einen Rahmen: den Bund zwischen Mann und Frau, wie ihn erstmals der Priester Gott
gestiftet zwischen Adam und Eva, wie er nun gestiftet ward von den Priestern der Synagogen und
besiegelt mit sieben Tagen rauschendem Feste vor allem Volke, offenbarend den Bund zwischen
Bräutigam und Braut, den unauflöslichen Treuebund, den Gott so wert schätzte, daß er ihn zum
Vorbild nahm für sein Verhältnis zu Israel: unauflöslicher Liebesbund der Erwählung zwischen Gott
Bräutigam und seinem Volk, der Braut; und so wars ja noch nicht zwischen Josef und Maria, sie
wohnte ja noch nicht bei ihm, die Segnung war da noch nicht, und dennoch - sie war schwanger!
Ehebruch, Unzucht, Hurerei - was sollte das anders sein? O Scham und Schande! Diese süße Frau,
dies hübsche Mädchen, "meine Verlobte, die liebe Maria, die soll nun, ganz und gar unlieb und
völlig unhold die Ehe gebrochen haben? Todsünde, Grund zur Steinigung! O meine liebe Maria,
nein, nein, das kann nicht wahr sein, das darf es nicht, unmöglich, ich wags nicht zu denken! Aber
es ist doch so offensichtlich, da ist sie nun einmal unleugbar schwanger, sicher nicht nur von einem
Traum, oder? Da war doch Einer und hat sich herangemacht an meine so sehr Liebliche, oh weh
mir! Diese zarte Jungfrau - nein! nein! nun nicht mehr Jungfrau? Völlig dem Glauben zuwider hat
sie sich zusammengetan mit einem, der nicht der Ihre war, sicher ein Römer, ein Gottloser! Diese
Süße, ach, wie hat sie nicht gestern nachgemacht, wie eine Katze mit einer Schneeflocke spielt,
welche Anmut lag da in ihren Jungfraungliedern - weh mir! Sie ist keine Jungfrau mehr? Wann
begreif ich das Unbegreifliche? Schande liegt auf ihr, sie hat die Schande angezogen wie ein
Brennesselhemd, sie hat sich in die Sünde wie in eine See von Feuer gebettet, unauslöschliches
Feuer aus schwefligen Würmern, in Übel und Schande und Sünde hat sie sich ehebrecherisch
gebettet? Nein, doch meine Reine, meine Eine, meine Feine nicht, die süße Maria, wie könnten
denn da so leuchten die Äugelein der Hübschen, und wie glänzen wie Taubenmilch die
Lächellippen, ja, wie könnte sie so kindfraulich lächeln, rein und holdselig? O ich liebe sie, o ja,
was auch geschehen ist, ich, ich liebe Maria! Sie allein lieb ich nächst dem Höchsten! Aber Gott ist
heilig, Maria aber eine abscheuliche Sünderin in des Heiligen Augen? Ich aber liebe sie! Die mich
hintergangen und buhlte mit einem andern Fleisch, das ihr nicht verheißen war? Weh! Nun muß sie
getötet werden, denn der Tod ist der Sünde Lohn! Meine Allerliebste - getötet werden! Keiner darf
es wissen! Ich schick sie heimlich weg! Sie wird müssen allein leben mit der Schande und Buße
und Reue und Scham bis zum Jüngsten Tage, ich muß sie sich selbst überlassen, nein, ich darf sie
nicht mehr heiraten, ich würde ja selbst Unzucht begehen und Ehebruch. O Maria! Wie ich dich
liebe! Du triffst mein Herz mit giftigen, brennenden Pfeilen, mitten ins Herz triffst du und schlägst
eine unheilbare Wunde, unheilbare Wunde schlägst du mir mit deinen himmlischen Blicken, du
Jungfrau, die keine Jungfrau mehr ist? O wie bitter wirst du mir, du Süßeste, wie weh tust du mir,
Holdselige, wie mußt du mich hassen, daß tu so an mir tust, wie mußt du mich verachten, meine
Geliebte! Allerliebste, Maria, weh mir, wehe, wehe!" Er zerriß seine Kleider, warf sich in den Staub
und warf sich immer wieder "wehe" rufend Staub auf das Haupt, und erst zwei Tage später schlief
er vor Übermüdung ein. Da träumte Josef. Vor ihm war ein Chaos von flutenden Wolken fetter
Schwärze, da von oben ein Goldstrahl hineinfiel, der breiter und breiter ward und eine lichte Ebene
ward, eine Landschaft ward sichtbar, wie als wenn einer nach der Blendung durch mittägliches
Sonnenlicht die Landschaft erkennt, und mitten in der Landschaft stand ein Engel, seine Haare
waren von feurigem Rot und sein Gewand von schneeigem Weiß, mit seinen beiden Händen hielt er
ein himmelblaues Tuch von Linnen, das er ausbreitete, und da war auf dem himmelblauen Linnen
ein Bild zu sehen, und da sprach der Engel: "Siehe, ich bin der Engel des Herrn und will dir zeigen,
was kommen muß. Dieser, den du siehst, ist der Sohn Mariens, den sie nicht empfing als Sünderin
einer Sünde, sondern jungfräulich, denn sie ward überschattet von den Schwingen der Taube des
Heiligen Geistes, und der geschaffen ward in ihrem jungfräulichen Mutterschoß, der ist dieser -"
und der Engel zeigte einen jungen Mann auf dem Tuch, einen nackten Mann, der im Gesicht sehr
blaß und bleich war, die Augen nach innen gedreht, seine Haare hingen ihm verschwitzt auf die
Schulter, an der Schläfe rann ihm ein Blutrinnsal hinunter, sein Mund war schmerzverzerrt! Es war
nur ein Augenblick, in dem Josef ihn sah, da rollte der Engel das Tuch zusammen und barg es in
seinen leuchtend weißen Schwingen und sagte: "Diesen sollst du Jesus nennen, denn er wird heißen
Jahwe-ist-Retter, Je-Hoschua, weil er Heil und Rettung seines Volkes ist, der Seligmacher der
Sünder. Ihn wird Maria gebären, und du sollst sie zu dir nehmen, denn sie betrog dich nicht,
sondern Gott war ihr gnädig." Und der Engel verlosch mit langsam verlöschendem Schimmer in
himmlischer Dämmerung, mild und lind der Seele des Träumenden, daß er mit sonderbarer Ruhe
und lauterem Frieden erwachte und voll war der Liebe: "O mein Gott, du wunderbarer Rat! Gott,
mein Retter und Seligmacher! Segne Maria in meinem Hause die Tage ihrer Schwangerschaft mit
deinem mächtigen Segen vom Himmel der Himmel her! Segne und begnade auch deinen geringsten
Diener, den törichten Zimmermann Josef, der dich braucht wie nichts sonst auf der Welt, der dich
liebt von ganzem Herzen, o mein Gott!" Und da nahm Josef Maria zu sich. Er ging ihr, in
Begleitung seiner lieben Mutter Jeruscha, mit einem Myrtenkranz geziert, in Begleitung von Jorah
und seinen Freunden und den Zither- und Zimbelspielern, entgegen; Maria ward begleitet von
Mitka und Asuba unter antwortendem Harfespiel; Anna und Joachim, Jaakob und viele Nachbarn
aus Nazareths Gassen waren dabei am ersten Festabend, Fackeln und Lampione erleuchteten die
Hochzeitsfreude, und ein Sänger sang den fünfundvierzigsten Psalm: "Schön geschmückt bist du, o
Tochter, mit Gold von Ofir, schön vor allen Menschen ist dein Bräutigam, höre, o Tochter, liebe
Braut, geh nun aus von deinem Vaterhaus und kehre in die Gemächer deines Bräutigams, der dein
Herr und eures Hauses König sein soll", sang der Sänger, während unter Essen und Weintrinken und
Lachen und Tanz die Gäste sich freuten auf dem Sechstagewerk von Fest, von Hochzeitswonne,
man spielte Tanzspiele und riet Rätsel, wie Saba sie Salomo stellte oder die Prinzessin der Serer
ihren Freiern. Maria ward verschleiert zu Josef geführt, Josef warf einen Zipfel seines
Festgewandes über sie: "Komm, mit deinen vierzehn Jahren, komm in meine Zimmermannshütte,
ich will für dich sorgen, dein Priester des Hauses sein, dein Herr, dessen Herr der Herr ist, Halleluja,
Gott, der die Liebe ist, der dich zu mir geführt, der bestimmte: Der Herr soll ein Diener sein seiner
Braut, oh, Maria, unaussprechlich verlangt mich nach dir, komm, o komm in meine Arme!" Und
Maria küsste ihn mit unaussprechlich süßem Liebreiz. Und Nazareth freute sich, Mitka freute sich,
Mitkas Katze freute sich, Asuba freute sich und legte zur Freude des Tages eine weiße Perlenkette
um den Hals, Joachim freute sich und war so dankbar dem Herrn gegenüber, wie schon lange nicht
mehr, und Anna freute sich mit Jeruscha, und die beiden Frauen schlossen einander gleich ins Herz,
und Jaakob lachte mit Joachim vor kräftiger Freude beim Freudenwein des Abends; aber am
meisten freute sich Maria mit Josef, am meisten freute sich Josef mit Maria, sie, daß sie nun
schwanger aufgenommen worden, er, daß er alle Zweifel überwunden; und so hat Gott alles zum
Guten und Besten geschickt, er, der Höchste, hat so seinen Plan begonnen zu verwirklichen,
nämlich den Heilsplan seines Sohnes, des Gottessohnes, des Retters der Welt, Je-Hoschua, den man
Jesus nennen wird. Wie dem es aber erging, das kann kein Menschengeist ersinnen, und keine
Zunge kann es bezeugen, wie dem Herrn Jesus es erging in seiner lieben Mutter Maria Mutterschoß.
Immerhin: Heilig, heilig, heilig war der Herr von Anfang an und wird es sein bis in die Zeiten der
Zeiten ewiglich, Halleluja!
SIEBENTES KAPITEL

Josef zog mit der schwangeren Maria nach Bethlehem, denn sie mußten wegen einer Volkszählung
in Davids Vaterstadt, die nun einmal Efrata war, jene kleinste Stadt in Juda, da Rahels Grab war, da
eines Tages (er sei nah!) der Messias würde geboren werden, da schoß es mit einem Mal Maria
durch den Sinn: "Heiliger Gott! Jetzt erst erkenn ich! Was hast du nicht meinem Anvertrauten, dem
lieben Josef gesagt? Er, den ich gebäre, er wird der Retter heißen? Ja, dann ists der Messias gar?
Der Heiland, der Menschensohn, den Daniel prophezeite, welcher kommt mit den Wolken? Der
König von Davids Stamm? Oh, das kann nicht wahr sein, daß ich allergeringste Magd des Herrn
den Messias gebäre! Aber andrerseits, da frag ich mich: Hat je einer etwas von Davids Mutter
gehört? Sie war und blieb namenlos, unbedeutend in den Augen der inspirierten Chronisten, und
dennoch brachte sie David zur Welt, den besten König, den größten Dichter Judäas (wenn nicht
Salomo besser dichtete, das weiß ich jetzt nicht zu entscheiden), eine ungenannte Mutter, ein Nichts
brachte den gesalbten König hervor, der ein Prophet war; und sollte sich das gar wiederholen in
diesen Tagen? Was denk ich? Ich wag das nicht zu denken, nein, es wird ein kleiner Hebräer, ein
Zimmermann nach seines Vaters Weise... seines Vaters? Ja, sag mir, Gott, wer ist denn sein Vater?
Zu wunderbar, was mit mir geschah, viel zu wunderbar für einer Frau Vernunft, das erkennen
vielleicht die Engel nur vollkommen, denn meine Schwangerschaft, gewiß, sie ist ja himmlisch (ich
weiß von keinem Mann, und doch steh ich kurz vorm Gebären), mein Kind ist ein Wunderkind, ein
himmlisches Zeichen, gewiß ein Prophet, vielleicht Jeremia, oder gar Elia kommt wieder? Dann ist
der Tag des Herrn nah! O Gott! Gott! Laß mich nicht mehr denken über das, was ich nie verstehen
werde, ich will einfach leben, ich will einfach Leben hervorbringen und gebären, was der Himmel
in meinen Schoß pflanzte, das, was ich nicht verstehe, das werd ich tun, ich werde Gott gehorchen
und gebären, was ich soll. Dir sei Lobpreis dargebracht mit meinem Leibe, o Herr!“ Und Josef
klopfte an die Pforte des Jorah, ob sie dort unterkommen könnten für wenige Nächte, denn die
Herbergen Bethlehems waren alle belegt, so viele Bethlehemiter kamen wegen der Volkszählung
daher, aber Jorah hatte eine neue Frau sich genommen, die nichts wissen wollte von Jorahs
Vergangenheit und seinen alten Freunden, da ließ Jorah dem Josef durch einen dreisten Knecht
sagen: Nein, er solle woanders nächtigen, überhaupt, mit der Freundschaft wär es jetzt ganz aus. Da
mußte Josef sich denken, warum, und fand den Grund nicht, da war Josef betrübt, aber als er die
Wölbung des Marienschoßes sah, den Mutterbauch, da fühlte er sich wieder getröstet und
himmlisch dankbar dem Allerhöchsten für das kommende Wunderkind, ihren kleinen Jesus. Sie
klopften an die letzte Herbergstür, da der Wirt heraustrat, ein freundlicher dicker Mann mit roten
Haaren bis auf die Schultern und einem wilden Bart, der sagte: "Ein Lager hab ich in der Herberge
nicht mehr, wegen der Volkszählung des Augustus, wisst ihr, aber wenn ihr bescheiden sein wollt,
dann dürft ihr euch in den Stall legen, das Stroh hält euch warm in dieser Winternacht, auch die
Kühe geben euch wohlige Wärme, und die Esel tun euch bestimmt nichts, sind ja einfältige und
harmlose Kreaturen, also, gilts?" Und Josef sagte zu. Was war das nun für eine Zuflucht vor der
Winterkälte? Ein Stall, roh gezimmert, ein Stall, mit Stroh ausgelegt, Stall, Zuflucht eigentlich den
Kühen des Dorfes. So empfing Gemuh die Wanderer, Gemuh den Zimmermann und die
Hochschwangere. Sie ließen sich auf dem Dachboden nieder, sich bettend ins warme goldene Stroh,
nein, nicht goldene Stroh, es war nämlich einfach gelbes Stroh, ein wenig angebräunt, aber weil es
warm und geschützt war und weicher Grund zum Ruhen, darum schien es Maria goldenes Stroh zu
sein. Sie legte sich nieder, denn sie wußte, es ist nun gleich soweit, da stieß sie zwischen ihren
Zähnen hervor prophetisches Wort: "Josef, höre, der Herr sprach zu mir, der ewige Gott: Nimm dir
Linnen, nimms zum Umschlag für ein Kind, schreib drauf die Worte, die ich dir sage: Für Maher-
Schalal-Hasch-Bas. Siehe, eine Gottbegeisterte wurde schwanger, sie wird einen Sohn gebären, des
Namen sollst du (spricht der Ewige) Maher-Schalal-Hasch-Bas nennen, das ist: Er wird bald zur
Beute, rasch zum Raub. Und der Herr spricht: Ehe der Sohn Mama sagen lernt, wird man tragen
Schatz der Serer und vom Indus und aus der Perser Land vor den König der Juden." So stöhnte
Maria, selbst nicht alles ganz verstehend, was sie da lallte wie Zawlazaw und Kawlakaw, Gelall wie
von trunknen Propheten. Und Josef ließ es sinken in seine Seele und bewahrte die Worte. Zu der
Zeit aber in der Herberge saß die Tochter des Herbergsvaters, des rothaarigen Bartmenschen, an
einem warmen Getränk und dachte an den Mann, den sie kennengelernt hatte und der mehr und
mehr ihr Herz beschäftigte: "Er sagte zu mir: Atalja, was bist du freundlich, feinfühlig und hübsch
im Gesicht, du dein Gesicht ist so hasenartig, weich und klug und niedlich, kindlich verspielt, du
siehst so rein und einfältig-weise aus, zart fraulich, ach, was soll ich sagen? so sagte er zu mir und
wandte sich ab, um keinen Ansturm zärtlicher Gefühle zuzulassen. Darüber sprachen wir doch, daß
man Liebe nicht zu närrischer Verliebtheit werden lassen muß, das tun immer jene, die auf die
Fabeln der Leidenschaft hören, von den Toren, der Jugend und den lüsternen Weibern dargebracht,
welche sich Gassenlieder aus Tyrus anhören: O du Schöne, ich vergeh vor Sehnsucht! Solche Töne
und Texte machen die Jugend närrisch. Ich aber bin (wie er sagt) ein kluges Mädchen und will
lieben wie der weise Salomo seine Sulamith liebte, tief und gehaltvoll, dauerhaft und ernst,
nüchtern, naiv und nötebestehend, fest und treu und nicht ohne Vernunft. So besprachen wir die
Angelegenheit, damit war er einverstanden, ganz ruhig wollten wir uns kennenlernen und nach und
nach die Tiefen der Seele mehr und mehr aufdecken, Freunde werden und die Liebe leben, die uns
der Herr Zebaoth geboten, ja, der Herr Zebaoth..." – Ich bin", sprach eine Stimme da in ihr, sanft
und leis säuselnd, dabei hatte sie das Bild einer fliegenden Taube, sie selbst im Schatten der Flügel
stehend und aufschauend zu einem dämmernden Himmel. "Bist du es, Herr?" fragte Atalja ganz
überrascht, denn noch nie hatte sie eine himmlische Stimme vernommen, sondern immer Gottes
Willen ergründet nach den Heiligen Schriften, jetzt aber sprach eine Stimme, vom Himmel? in
ihrem Herzen: "Ich bin's, Atalja. Atalja., ich sage dir, gehe hin in die Zuflucht, denn dort will ich
dich brauchen. Gehe hin in Frieden." und die Stimme verlosch mit hallendem Echo in ihrem Innern
auffliegend wie Taubenflug gen Himmel. Atalja wunderte sich, was das denn nun gewesen sei, ob
sie denn nun irre sei und wie die Irren einst von Achisch angebunden werden müsse oder, ja, oder
ob sie gar eines Engel Gebot vernommen, immerhin sei sie jetzt erfüllt von einem übernatürlichen
Frieden, dessen Sanftmut und Stille himmlisch genannt werden könne, das spräche doch für den
Himmel als Ratgeber; was hatte er geraten? "Gehe hin in die Zuflucht", damit meine man doch
gewiß den Stall nebenan, der heute nacht einer Schwangeren Zuflucht geworden war dank des
Vaters Güte. Also ging Atalja, die von ihrer verstorbenen Mutter gelernt hatte, Kinder zu entbinden,
denn in diesem Sinne wollte der Himmel sie gebrauchen; Gottes Segen ruhte auf ihr, da sie ging.
Atalja trat in den Stall, da ein gelassnes Gemuhe sie empfing. "Hallo?... He?" rief sie flüsternd in
das Dunkel, das nur wenig erhellt wurde von ihrer Kerze. "Hier oben sind wir", hauchte Josef
zurück, mit zitternder Stimme allerdings, denn Maria war schon nahe am Gebären. So ging Atalja
die Leiter hinauf auf den strohbedeckten Dachboden, begrüßte die beiden so: "Wer mich gesandt,
weiß ich nicht genau zu sagen, meine aber, daß übernatürliche Kraft von oben mich ausgesandt,
beizustehen der Schwangeren in ihrer Geburt", worauf Josef leis und zart jubelte: "Halleluja, Gott
hat mein Gebet erhört! Sei gegrüßt, junge Frau, und sage mir eins: Hast du schon mal gesehen, wie
eine Frau niederkommt?" - "Oh, ich bin recht geschickt darin, habs gelernt von meiner Mama, den
Niederkommenden beizustehn und helfend sehr sanft zuzugreifen, wenns denn kommt, was da
kommen soll. Mein Name ist Atalja. Wie, darf ich fragen, heißen denn du und deine Frau?" - "Ich
will für sie antworten", sprach der frohe Josef, "ich heiße Josef, meine liebe und gottgeliebte Frau
heißt Maria, das heißt die Beleibte, denn eben ist sie beleibt von Gott..." - "Oh, ich versteh nicht
ganz, aber helfen will ich gern. Maria... Hörst du mich? Wir wollen nun das Kind zur Welt bringen,
Maria, du und ich. Hörst du?" Und so half Atalja der heldenhaften Maria, gottgezeugte Kind zu
gebären, und sie liebte ihren Sohn in die Welt, bis er kam, der kleine Sohn, das zerknitterte, feuchte
Jesuskind. In den Himmeln knieten die Cherubim (die manche Juden auch Branddrachen nannten)
und die Seraphim (von manchen Feuerschlangen geheißen), knieten die Gottesboten und heiligen
Engel, himmlischen Scharen, Gotteslöwen und Morgensterne nieder, zu preisen mit den Erzengeln
unter Gabriels Leitung Jahwe, den Herrn, der sich offenbart hat der Menschheit auf eigenartigste
Weise: "Halleluja, Halleluja, Preis dem Herrn, dem Retter, Lob und Ruhm und Ehre dem
Menschensohn, Anbetung dem Jahwe-rettet, der seine Glorie und seinen Ruhm und seine
Herrlichkeit und Majestät nicht festgehalten hat wie ein Räuber seinen Raub, sondern hat ihn
gelassen in den himmlischen Hainen, den Gottesstand, und ist geworden der Menschensohn, ja, in
niedrigster Niedrigkeit er, der Herrlichste aller Herrlichen, kleiner als der geringste Knecht ist der
König aller Könige, die Majestät über allen majestätischen Herrn, Gott der Herr ward ein
hilfsbedürftiges Kindlein, liegend auf dem Bauch einer menschlichen Mutter, groß ist Gott, so groß,
daß seine Gnade unermeßlich ist, die Gnadenzugewandtheit zur hilfsbedürftigen Menschheit, daß
Er, der Herr, einer von ihnen ward, ein Kind wie die Menschenkinder, Preis dem Herrn, das Wort
Gottes ward Fleisch durch eine Frau, angekommen auf Erden inmitten der Sünder ist der Sündelose,
Halleluja, Gottes Sohn ist da! Kyrie Eleison! Gloria in excelsis Deo! Halleluja! Amen!" So riefen
die Engel in himmlischen Chören Lobgesang in süßesten Verzückungsmelodien und warfen sich
Palmenblätter schwingen dreimal nieder aufs Angesicht, Gott lobend mit ihren himmlischen
Leibern. Gott der Vater aber in seiner Unergründlichkeit und Unsichtbarkeit im allerheiligsten
Inneren seines Geheimnisses freute sich über seinen Gott Sohn, in dem Gott Vater sich offenbarte,
den er gezeugt durch Gott Geist, alle Heiligkeit der dreieinigen Gottheit war vollkommen befriedigt
über den himmlischen Ratschluß, daß da weinte das Baby Jesus auf dem Bauch seiner beleibten
Mutter Maria, die das Unaussagbare ahnte und dennoch nicht ganz erfasste, aber erfüllt ward von
dem Frieden Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft. Als der Morgen dämmerte, traten
in den Stall drei Hirten, die ein Engel vom Felde herbeigeschickt hatte. Gott selbst war ja der Hirte,
darum ehrte er das Hirtenamt, indem er Hirten sandte, den Hirten anzuschauen, solche, die es kaum
begriffen, ja, die gar nichts begriffen hätten, wenn nicht der Engel gesagt hätte: "Der Heiland ist
da!" und mehr noch, was er da lobte und pries, nämlich Gottes Ehre und den Frieden für viele
Menschen durch den Retter, der da geboren ist in Bethlehem; also nahebei, so gingen die Hirten hin
und fanden das Kindlein bei der Mutter. Die Hirten hießen Tahat, Nahat und Libni und grüßten die
Mutter so (denn Josef war ausgegangen, Brot und Milch zu besorgen zum Frühstück):
"Heilandsmutter, so wollen wir dich selig preisen, du seiest gegrüßt: Freude sei dir und ist dir, denn
du hast geboren den Retter, den da erwartet ganz Judäas ganze Hirtenschar, da sie glauben dem
Wort der Propheten vom kommenden Jungfraunsohn, der ists nun vor uns? ist das alles wirklich
wahr?" Und die Mutter antwortete: "Ganz so, wie die Propheten angekündigt, ists gekommen, Er ist
wahrlich der Sohn einer Jungfrau (ich kanns immer noch nicht erfassen, lieben Leute), nennt ihn
aber mit Namen: Jehoschua, nennt ihn Jesus, den Retter." Und die Hirten riefen: "Jesus, Jesus,
Halleluja, unser Retter!" und kriegten sich gar nicht wieder ein vor närrischer Freude, die ein
Ausfluß war der Weisheit Gottes, welche Jesus war. Tatsächlich, dies Baby hier, das war Gottes
ganze Weisheit. Die Mutter schlug die Lindenwickel zur Seite, sie kniete zur einen Seite des Babys,
das gerade schlief (Gott, der nie schlummert, der schlief) und sah, Maria, sah sanft und
schwärmerisch zwischen ihren säumenden Wimpern verliebt auf das ihre, ihr Gottesgeschenk, da
war sie froh über Gottes Gnade und sagte: "Seht ihn euch an, ihr Hirten, ja, wie heißt ihr denn?"
Und die Hirten sagten reihum: "Tahat, Nahat, Libni." Und da lächelte Maria: "Tahat und Nahat, das
ist recht, daß ihr kniet vor dem Gottesliebling (o ja, so will ich ihn immer nennen in meinem
Herzen, den Gottesliebling) und das ist auch so recht, Libni, daß du deinen Hut ziehst vor dem
Kleinsten, der der Größte ist." Und Libni staunte und stöhnte vor Staunen: "Mama, so ein
Prachtkind, ganz die Mutter...", worüber Maria lächelte, und sagte: „Es gibt keinen Vater für dies
Kind, er ist ganz und gar ein Muttersohn, ein Mariensohn, eben der Menschensohn, sein Vater ist
ein Geheimnis, vielleicht der Schatten einer Taube, vielleicht das Wort des Engels des Herrn,
mysteriös über alle Maßen ist sein Vater, tief und unergründlich, aber er ist Liebe, sonst würde er
nicht zeugen solch liebes Kind, das da verlangt, genannt zu werden: der Gottesliebling!" Tahat und
Nahat aber fingen beinahe an zu tanzen, der eine fasste mit seinem roten Ärmel unter den grünen
Ärmel des Bruders, der eine fasste mit der freien Hand in seinen braunen Bart, der andre mit der
freien Hand hielt seinen gelben Strohhut, der Dritte aber, Freund der beiden Brüder, pfiff ganz leise
ein Wiegenlied, ein gar niedliches, ganz entzückendes süßes Melodiechen vor Mariechen:
"Lalalalala, dideldei, bumfiderei, fidel-hei!" Da freute sich Marias Herz über diese Freude, die da
ausquoll vom Gottesliebling und ließ fließen die Freude in Strömen durch die Herzen einfacher
Hirten, holdgewordener Männer, sanftgewordener Arbeiter, die sonst die Gestirne betrachteten,
nun aber ihn, der größer war als alle Summe der Gestirne, Unfaßbares bestaunten die Hirten, sahen
ein Baby an, ein fremdes, und liebten es schon mehr als wär es ihr eigenes Baby, fanden es schöner
als die Schönheit ihrer Frauen zuhaus, schön wie... so schön mußte Gott sein, denn... da! er tat die
Augen auf, die Spiegel seiner Seele! Solche Blicke! himmlisch! einfach göttlich! dreimal heilig!
Halleluja, oh Jesus! Solcher Bewunderung voll waren denn auch die Drei, die da kamen von Osten
her, in Folge eines neuen Sternes, des Bethlehemsternes, der sie an Herodes vorüberführte direkt
zum neuen König der Juden, Messias Jeschua, der da - ein Baby war. "Den suchten wir? Für dies
Baby sind wir aufgebrochen aus Sererland, Indien, Persien? Einen König der Könige, heiliger als
alle unsere heiligen Schriften, suchten wir, und finden - ein Baby?" staunte Arjuna aus Indienland,
der Magier, und Chia I, der Magier aus dem Land der Serer, sagte: "Mutter, hast du geboren den
ewigen Himmelssohn? Wie das, kam ein Einhorn zu dir? Wurdest du überschattet vom
Phönixmännchen? Der mächtiger ist als alle Drachen, dieser Himmelssohn, der ist dies Baby hier,
der ist doch der erstgeborene Sohn des Vaters?" Und Maria lächelte leis: "Ja, der erstgeborene Sohn
des Vaters ist dieser Jesus." Und der Perser Kavi Usan, der dritte Magier, sagte: "Für ihn entstehen
Sterne am Himmel, jener, der uns führte, der ward geschaffen von der höchsten Gottheit zum Lobe
dieses Jungfraunsohnes. Ich frage mich, wenn ich das sagen darf im Angesicht dieses Königs aller
Könige, ob er der Jungfrauensohn ist, den Zarathustra uns prophezeite? Wie dem auch sei, das lasen
wir aus den enormen Revolutionen am Firmament, daß Außerordentliches geschah in diesem
Winter, und der Stern, der führte uns hierher in dies kleine Beth-Lechem im Lande Juda, zwischen
Wüste und Meer ein Hort des Lebens, da wir finden den Quell des Lebens, diesen noch so kleinen
Großen, den noch so hilflosen König aller Könige, den bedürftigen Herrscher über alle Völker, den
ohnmächtigen Allmächtigen, den menschgewordenen Gott!" Da begann das kleine Baby zu
schreien, daß die Magier erschraken, in all ihrer Weisheit der Welt doch reine Toren, denn sie
dachten, sie hätten etwas Falsches gesagt, daß der König der Könige weine, aber Maria wusste, das
Muttermädchen, die jungfräuliche Gebärerin, und nahm das Baby an ihre jungen Brüste, die
geschwollen waren von süßer Muttermilch, nahrhaft und lecker dem stillewerdenden Baby, und
Jeschua nuckelte, die linke Brust Mariens mit einem seiner Patschehändchen haltend, beim Nuckeln
schmatzend, mit einem Auge von seiner Bedürftigkeit wegschauend, gnadespendenden Blickes zu
den drei Zauberern, die von seiner Anmut im Aug bezaubert waren, daß sie knieten und griffen in
ihre Manteltaschen, ihre speziellen Geschenke für den Himmelssohn, den Königekönig, den
Jungfrauensohn hervorzuholen. Chia I aus Sererland reichte Jade, Nephrit und Feingold, das sollte
symbolisieren die Himmelsstadt, die man in Serien sich dachte aus diesen Materialien, und als
Herrscher der Himmelsstadt galt dem Magier dies süßes Baby, der Himmelssohn. Arjuna von India
schenkte Myrrhe und Narde und Aloe, Öle, mit denen in Indien sich salbt der Bräutigam, wenn er
sich zuwenden will schönen Prinzessinnen, wenn sie schön wie Liebesgöttinnen kommen aus den
Bädern der Reinheit, auf daß er mit Wohlgeruch der Liebe sie liebkose; das sollte symbolisieren,
daß dieser niedlich-schöne König der Könige Bräutigam sei und ein Fürst der Liebe seinem Volke,
seiner Braut. Und Kavi Usan aus Perserland reichte des Perserlandes Weihrauch mit den
ruhespendenden Düften, welche ausdrückten, daß der Jungfraunsohn, der vorhergesagte, der
Spender von Ruhe sei, daß er solchen Frieden gebe, daß man sagen könne: Wir werden sein wie die
Träumenden, wenn wir vorm Jungfraunsohne stehn. Daraufhin vereinten sich die Weisen des
Morgenlandes zu einem einstimmigen Anbetungsgebet, wobei sie in verschiedenen Zungen
sprachen, serisch, persisch, indisch, aber zusammen stimmte das Loblied, die Preisung, der ewige
Dank, der übersetzt in des Dichters Muttersprache lautete etwa: "Herr! Dir sei Lob und Preis,
Anbetung dir mit unserm Leben, du bist rühmungswürdig, o König der Könige, allmächtiger
Herrscher, Anbetung dir, o Messias Jeschua, Sohn des Himmlischen Vaters, erfüllt vom Geist der
Weisheit bist du, rechtmäßiger Herr über alle Völker, alle Zungen der Nationen und Stämme sollen
dich preisen und loben für deine Liebe, die du uns erwiesen dadurch, daß du von deinem ewigen
Thron, dem Schoß des Vaters, gekommen bist in das kreatürliche Fleisch der Menschheit, uns zu
begegnen. Lob ewig dir, o Herr!" Und Maria sang: "Amen, Amen." Da verneigten sich die Weisen
und zogen wieder in ihre Heimatländer, dort zu erzählen wenigen Freunden von diesem
auserlesenen Baby, das da ist Gottes Liebe zu den Menschen.
ACHTES KAPITEL

"Josef, Josef, höre! Der König will Mariens Sohn ermorden, viele, viele Kinder werden sterben;
rette du dein Weib und ihren Sohn und fliehe aus Bethlehem, fliehe nach Mizraim und warte dort,
bis ich meinen Sohn aus Ägypten rufe", hauchte sanft der Engel des Herrn in das innere Ohr der
Seele des Ziehvaters Jesu, der erschrocken erwachte und sein geliebtes Mädchen an der Schulter
rüttelte: "Maria, Maria, Liebe! Schüttle deinen Traum ab und werde wach, höre, was ich dir zu
sagen habe, Geliebte, unser Kind ist in Gefahr! Ein Engel hat es mir offenbart, er muß sterben,
wenn wir hier bleiben. Laß uns auf der Stelle fliehen!" Maria sah erschrocken drein, kein Wunder,
und warf sich Josef an die Brust, der sie männlich barg in seinen Armen und tröstete: "Schatz, wenn
schon ein Engel uns warnt, dann ist wohl Zebaoth, der Herr, auf unserer Seite und wird uns helfen,
also, wirf alle Sorgen auf ihn, er wirds wohl richten." Und Maria schlug das bewimperte Lid auf
und sah aus ihren warmen erschrockenen Augen auf zum Mannesangesicht Josefs und stöhnte: "Jo,
mein Bester, ich habe Angst! Ach, ich will glauben, hat doch der Herr schon so großes Wunder an
mir getan, wie sollt ich nicht alles glauben? Und doch: Ich hab Angst und bange um meinen liebsten
Sohn. Oh Josef, wohin sollen wir? Und wie? Wann denn, jetzt gleich? Oh Josef, sag du!" Da stand
er schon und packte die Taschen und rief: "Komm, nimm den Sohn, willst du ihn noch stillen? Ich
werde den Esel packen, gleich ziehen wir los, ja, jetzt auf der Stelle, und zwar nach Mizraim, dahin
hat uns Zebaoth beordert, da wird ein Ort für uns sein, wo es uns gut gehen wird, besser als hier, wo
uns drohen die Schwerter des Königs." Da erschrak Maria ein drittes Mal: "Die Schwerter des
Königs? Ja, wird denn Krieg sein?" Josef erwiderte: "Mädchen, sei tapfer! Herodes will unsern
kleinen Jeschua töten, aber Gott will ihm sein Leben schützen, darum ziehen wir jetzt los. Frau, ich
kann dir nicht mehr Mut machen, wende dich, wenns dir an Tapferkeit mangelt, direkt an den
Herrn, der ist gut, der macht dir Mut." Maria gehorchte, weil sie einsah: "Herr! Du siehst, der
Morgen geht herauf über Bethlehem, wir müssen fliehen, du hast es meinem Josef gesagt. Schütz
uns auf der Flucht, vor allem schütz den lieben Jeschua. Oh Gott, ja, du wirst sein Leben bewahren,
denn du hast ein Großes mit ihm vor, ja, darum werd ich jetzt ruhig. Auch Josef und mich wirst du
schützen, auf daß wir weiter sorgen können für den kleinen Jeschua, ja, ich spüre deine allmächtige
Hand über uns, ich fühle mich geborgen im Schatten deiner Flügel, Vater! Und fliehen wir auch ins
ferne Mizraim, du bist da, allgegenwärtiger Herr und Gott, du bist da, bist bei uns auf dem Wege,
wartest auf uns am Ziele, darum, Vater, bin ich getrost, ich danke dir, daß du mein Zufluchtsort bist,
wenn mein Herz in Ängsten pocht, ich danke dir, daß du in Not unser Hort bist, eine Burg, ein
Schild, ein fester Fels und Grund, ein Schirm und Schutz, o Gott, ich preise dich für deine
Bewahrung! Halleluja, Amen!" Und die Drei brachen auf. Sie ritten zwischen den bräunlichen
Büschen des Weges, die unterbrochen waren in ihrer buschigen Linie von einigen ragenden
Bäumen, grünen Pinien, die im leichten Lüftchen des Morgens standen und schauten auf einen
stillen Teich, welcher hellblau und silbrig glänzte, angehaucht von einem zarten Orange-Rosa,
welches vom Horizont aus die Hügel überzog, welche wie sandfarbene Felsen in den kaum
bewölkten Himmel ragten. Diese ganze Szenerie ward durchzogen von einem festgetretenen Wege,
auf welchem die heilige Familie zog: Josef ging neben dem Esel, ihn am Zügel führend, Maria saß
mit Jesus auf dem Reittier. Sie trug ihr gelbes Kleid und den meerblauen Umhang, mit dem sie auch
das Haupt bedeckte und der in ihrem Schoß sich melodisch-gelassen zusammenfaltete; eben ordnete
die Jesusmutter mit der rechten Hand die Kopfbedeckung, die ihr das Lüftchen durcheinander
gebracht hatte, mit dem linken Arm aber hielt sie fest und sicher umschlungen den Gottessohn,
welcher sich schlummernd an ihrer Mutterschulter lehnte, nah am Busen gebettet. Sie schaute so
sanft und mild auf ihren Sohn und bot ihm mit dem blauen Tuch, von der Rechten gehalten, ein
wenig Schatten dar. Josef aber ging stur des Weges, den Esel mit der Rechten führend, mit der
linken den Sack über der linken Schulter haltend; ein anderer Sack lag noch hinter Maria über den
Esel hin. Und da sie um die Kurve kamen, sahen sie schlummern am Wege zwei nackte Kinder,
Simeon und Midda, etwa im Jesusalter, aneinander gekuschelt; diese beiden überlebten den
Kindermord des grausam-gewaltigen Herodes von Bethlehem, der den König der Juden morden
wollte, den Messias Israels, welcher aber in dieser friedlich-idyllischen Szene schlafend
hinübergetragen wurde von der Fürsorge Gottes des Vaters. Dieser, der Herr, Zebaoth Jahwe, sorgte
mit der sturen Wanderschaft Josefs und der sanften Mutterschaft Mariens für den heiligen
Gottessohn; der aber, jüngst noch in Pracht und Macht, Herrschaft und Majestät prunkend thronend
inmitten der Gotteslöwen und Erzengel-Adler, der Cherubim und gewaltigen Stiere, herrschend als
Gott der Herr inmitten des Hofstaates droben im Himmel der Himmel, er, der Sohn, Gott gleich, er
war jetzt ein bedürftiges Kindlein, ein hilfloser Säugling, der getragen ward von der Gnade Gottes,
und doch war er so herrlich, Maria mußte ihn nur heimlich ansehn, und ihr Herz ging über:
"Jeschua, Allerliebster! Bist mein Kind und doch mein König, o du Geliebter, von Gott und von
Gottes Magd Geliebter, du, wie soll ich sagen? Ich will zu den Füßen dir fallen, fühl ich mein Herz
überwallen, aber muß mich zusammennehmen und stark sein und dich halten, weil Gott der Herr
seinen Sohn mir anvertraut, daß ich ihm eine rechte Mutter sei, welch ein Wundersegen! Gott
machte seinen Sohn zu meinem Sohn, so bin ich Gottes Braut, von Ewigkeit für ihn auserwählt und
ihm anvertraut, und dies alles allein durch die Mittlerschaft dies süßen Jeschua, dies unsres Babys,
das so göttlich ist, wie ich sonst nichts je sah, oh dieser Einzigartige, der schlummert mir an
meinem Mutterbusen, der voll ist süßer Milch für Ihn, ja, ja, ich darf den Sohn Gottes mit meiner
Milch stillen! Heiligste Lippen küssen meine Brüste, solche Lust und Wonne erlebte keine sonst,
das ist: Ich bin eine Begnadete, Gott hat mich gebenedeit über alle Maßen, er hat angesehn meine
magdhafte Niedrigkeit und hat mich erwählt aus seiner Gnade heraus zu einem Segenswerk
sondermaßen. Daß ich das erleben darf! Wunderbar! Wunderbar bist du, mein Jeschua, Jeschua du!"
Schließlich kamen sie an in Mizraim, im Ägypterlande, dem Gruft- und Krypten- und Totenland, da
selbst die Götter noch Tote im Mumienwickel waren, da selbst die Sonne täglich durch das Land der
Toten reiste mit Gefahr fürs Leben, in diesem Lande voller Schönheit mit einer abscheulichen
Religion siedelten Josef und Maria an, mit dem Kleinen, und zwar im mittelmeernahen Alexandria,
da inmitten der Scharen Ägypter einige jüdische Essener wohnten. Sie hatten eine kleine einfache
Hütte, und Josef suchte sich eine Arbeit als Zimmermann. Maria nahm Kontakt auf mit den beiden
Nachbarn, dem Mann Mesetet und seiner Frau Mesetetef. Das war nun eine schöne Frau, mit
weicher Haut und eleganten Lippen, breitem Munde und prachtvoll-weißen Zähnen, ihre Augen
waren offen und braun, warm wie Augen von Mutterkühen, mit einem heimlichen, stillverborgenen
Leuchten, Gott weiß woher. Diese Frau nun hatte einen geheimnisvollen Glauben, den keiner
definieren konnte, denn er stimmte nicht zusammen mit irgendeinem offiziellen oder halboffiziellen
Staatskult der großen Staats- und Todesgötter (Skorpione, Affen, Falken, Kühe, Katzen und so
weiter, ja, Frösche und Nilpferde gaben die Köpfe her für diese abscheulich-greulichen Götzen und
Götzinnen), Mesetetef aber hielt an dem Höchsten fest, der Licht war und über allen Göttern
unsichtbar thronte. Voller Grauen sprach sie, heimlich, versteht sich, zu dieser Hebräerin, die da
glaubte auch an einen unsichtbaren Schöpfer, dessen Namen die Jüdin immerhin kannte, aber nicht
aussprach, insgeheim also sprach sie mit Widerwillen über die Totenreise des Staatsgottes, des
Sonnengottes Re. Ihr Mann, der Bauer Mesetet war ein fleißiger und staatstreuer Götzendiener,
allabendlich pries er die Höllenfahrt des Lichtgottes, daher kannte Mesetetef die Höllenbilder alle
auswendig, und ihr graute davor, daß sie selbst eines Tages hinabmüsse zwischen die
Pharaonenratten. Nun sprach sie zu Maria, der Lauscherin mit der Taubenseele, von der Höllenfahrt
des Gottes des Lichts: „Unter dem Namen Fleisch trat der Gott seine Reise durch die Hölle an. Re
setzte sich nieder in die schwarze Todesgondel, mit den zwölf Seeleuten, Todespiraten, seinen
Höllengesellen und nachtschwarzen Dienern. Die Dame der Lust, Mizraims Göttin mit dem Gehörn
der warmen Mutterkuh, sie spielte die hehre Dame der Barke, auf den Armen der Kindsgott, Horus
der Anbeter, dem die Zwölf Anbetung und Lobpreis sangen zu Sistrum und Zimbel: Preis Ra, denn
er ist schrecklich! Der Opferstier der Wahrheit stand am Steuer, die Affen aus Schwarzafrika
öffneten uralte Pforten des Tempels der Unterwelt, kreischenden Gesanges des Re Eintritt
begleitend inmitten zischend-züngelnder Schlangen, die mit ihren geilen Augen die Finsternis
rotleuchtend noch mehr verdüsterten. Re sprach Recht (oder Unrecht) den Vegetationsgöttern zu,
die im Korn dialektisch erstanden in alljährlichen Auferstehungen, sogenannten, primitiven
Scheinauferstehungen, und säten ihren vergänglichen Samen in Mutter Erde in geiler Wollust wie
Kanaans Baal. Dann befahl der Re dem Totenrichter Osiris aufzuwachen, indem er ihn anhauchte
mit Wille, Gefühl und Intellekt, er gab ihm seine verfluchte und rachgierige Seele wieder, um ihn
auf ewig auf einen Feuerthron in der Unterwelt zu setzen inmitten dämonischer Schöffen.
Geflügelte Schlangen glitschten in einem weiteren Gang, der sich immer tiefer hinabwand in neun
Windungen. Da war einer, der hieß: Der sich vom Hauch seines Mundes nährt; das war der Dichter
der Hölle, inspiriert vom Todesgötzen und Höllenbeelzebul, eine Schande für seine Zunft. Da war
ein weiterer, der hieß: Der von den Stimmen der Wächter der Wege lebt; das war ein Machtmensch,
redegewandt in Formulierungen aus allerlei Unheil und Übel, Lüge, Verleumdung und geistigem
Mord; ein typischer Mann seines Fachs aus der gefallenen Schöpfung, die da Oberwelt sich nennt
und doch so verwandt ist mit der Unterwelt. Der Weg führte, zwischendurch scheinbar gefahrlos, in
das Grab des Osiris, den Sitz des Gottes der Nekropolis, sein Name tut nichts zur Sache, er stinkt
abscheulich nach Verwesung und immernagenden Wurmes Ausscheidungen. Die Sonnenbarke Res
fährt auf den Katzenkopfhügel der toten Isis zu, dessen Inneres überwacht wird wie Todesgrenzen
von feuerspeienden Drachenhäuptern; Re fährt hinein und sieht den Erdgott, der umhergeht wie ein
brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann, ein personifiziertes Grab, da kommt der
falkenköpfige Götze Sokar hervor, auf dem Rücken einer satanischen Schlange mit listig
glotzendem Menschenkopf; über dessen Hügel, über dem Sokarhügel befindet sich ein mythischer
Mistkäfer, Mistpillen drehend, der nach dem Zugseil der Todesgondel greift, der die Barke
hinüberzieht durch glitschigen Mist der Sonnenfinsternis, hinüber zum Wüstengrab des
Totenrichters, des Schattenfürsten der Unterwelt, dessen Grab bewacht wird von zwei
Sperberweibchen, welche die Mythologen als Göttinnen ansehen; neben diesem Wüstengrab steigt
aus dem Hügel mit dem Namen Nacht ein Skarabäus, ein Geist steigt aus der Unterwelt, ein
Abaddon aus dem Abyssus. Die Barke aber in diesen Regionen kommt vor den Affengeist, den ein
Theologe als den Affen Gottes bezeichnete, der Thot heißt, und der den Tod in Händen hält, er
beabsichtigte eine Stadt für die Götter Ober- und Unterägyptens zu bauen, denn die Götter waren
seine Freunde, besonders nahe stand ihm jener, den er Chepre nannte, der ein leichenförmiger Götze
war, von einer fünfköpfigen Schlange umwunden. In diesen Räumen der Finsternis kam auf den
Gott des Lichtes zugerannt eine katzenohrige Gestalt, Messer schwingend, welche Gestalten
enthauptete bei dem schlangenumwundenen Fleisch des Osiris, während der Strafende (so hieß er)
Rebellen fesselte und zerrte zur Apophisschlange des Chaos, deren Schwanz gehalten ward von der
Skorpionengöttin und der Göttin Führerin-der-Klingen. Re aber zieht weiter in die Nischen, da die
Pharaonenratten wimmeln mit abscheulich-greulichem Piepsen und flüsterndem Wispern in
schriller Pfeiftonlage, eine Qual für schöne Ohren, und aus den schwarzen Gewässern tauchen
Leviathane und Behemote, die aussehen wie Krokodile und Flußpferde, aber satanischen Charakters
und Temperamentes sind; von ihnen getragen kommt die große Kobra hervor, die wie ein auf den
Schwanz getretener Kater schreit; auf diesen Schrei hin erscheinen zwölf feuerspeiende Kobras,
Wächterinnen des Schattenfürsten, die vom Blute der Toten leben, wie Lilim und die Vampire vom
Roten Meer. Re ruft: Straft meine Feinde, die durch die Pforte der Finsternis kommen! Diese
Gestalten werden in Feuergruben geworfen, in welche Göttinnen mit zänkischen Zungen Flammen
speien, in anderen Gruben schmoren Verdammte mit den Köpfen nach unten, daneben Kopflose,
Schatten, verdammte Seele in urewigem Schrei der unendlichen Todesqual. Über diesem Abgrund
steht die Todesgöttin mit dem Kindsgötzen, welche hinhaucht: In die Feuergruben seid ihr gestürzt
und werdet in Ewigkeit nimmermehr entfliehen, sondern die Göttin Führerin-der-Klingen wird euch
in die Äone der Äone hinein immer wieder die Eingeweide aufschlitzen, euch zerstückeln und
schlachten für Satan auf dem Opferaltar der Hölle! Re aber, die Strahlen schießende Sonne, erglänzt
zwischen den Schenkeln Nuts, der Göttin der Nacht, und wühlt sich und fühlt sich hinein in die
abgrundtiefe schweinische Wollust der Hölle, denn er war ein Engel des Todes, verkleidet als Engel
des Lichts. Der wahre Gott aber, der Allerhöchste, thront in Herrlichkeit und warmem Licht droben
im Himmel, siegreich über alle Götter. Was sollen wir ihm anderes opfern als allein die Liebe
unserer Herzen!?" So sprach Mesetetef. Josef sah in die sinkende Sonne, sah bald in die linde Bläue
der frühen Dämmerung, da der Abendstern in kristallener Klarheit funkelte, silbern und weiß
schimmerte oben am Firmamente wie ein Diadem. Bald tauchte auch auf das Kreuz des Südens, wie
feurige Diamanten am Busen der Nacht, ein Kreuzkettchen am Halse der Göttin der Nacht. Josef
war schon ein wenig beeinflußt vom ägyptischen Götzendienst, leider, und Jahwe war eifersüchtig.
Und dann dachte Josef an die Maria jener Zeit zurück, da sie das Jesusbaby hatte auf dem Schoße
liegen, schöner tausendmal als das steinerne Idol der Mutter Isis mit dem abgöttischen Horusknaben
auf den Knien: ein Totenbild, abscheulich. Nein, sie war keine Göttin, Maria, keine Magna Mater
Asiens, keine Katze oder Kuh aus Mizraims Olymp, sondern eine echte leibhaftige Frau, das
schönste Geschöpf Gottes, wenn sie lang lag und sich ausruhte; dann war ihr Gesicht so weich und
weiblich, klar und kindlich, süß und zum Küssen. Wenn Maria ruhte, dann rollte sie sich zusammen
und deckte sich zu mit violettem Leinen, und auf ihre Hüfte hingelümmelt ruhte Thyrza, die junge
Katze, die so anhänglich war wie nicht der Sohn: der war nämlich brav und gehorsam, aber von
eigenartiger Souveränität. Josef nun dachte mit schmelzendem Herz an Maria und überlegte sich,
was er ihr Liebes wollte sagen: "Du, Mariechen, laß mal riechen, oh, Myrrhe duftet nicht so gut und
Narde, wie du! Dein Atem duftet wie die Minzbeete aus Mizraims Lustgärten! Und deine Augen,
Maria, deine Augen! Die Hasen, die Wiederkäuer zu sein scheinen, sie schauen nicht so sanft und
lebendig-jung wie deine Augen. Mädchen, wenn du schmollst, nur so tust als ob, dann sind deine
feinen Lippen wie aufgerollte Weinblätter, wenn der Morgentau auf ihnen schimmert im Glanz der
Morgenröte. Wann seh ich dich wieder tanzen, Maria? Oh du, Miriam in Mizraim, du, wenn du
Jahwes sanftes Wirken mir erklärst, sein heilendes Handeln an deinem Herzen, wie sanft melodisch
malst du dann mit deinen feinen milchweichen Mädchenhänden die Innigkeit Gottes vor meine
Augen! O du sensible Künstlerin! Und, Maria! Oh du, wenn du dir Gedanken machst, über die
Vollkommenheit des Vaters, seine Güte und Liebe, über seinen Geist und die Freiheit, die er bringt,
und dann sinnierst über den Bräutigam, den Messias! wenn du von ihm schwärmst und umarmst
dann unsern über alles geliebten Jeschua - Jeschua liebt dich, Maria, und ich, der Josef, ich hab dich
auch lieb, ich kanns nicht alles sagen, wie ichs meine, ich bin nur ein herber Zimmermann", so
dachte Josef über sich, da sah er aber Jeschuas Augen im Geiste, wie liebevoll er den Arbeiter
anblickte, da ward dem Josef ganz warm und weich und dankbar ums Herz. Maria kam mit Jesus,
da stand Josef da und schnürte das Reisepäckchen. Josef hatte gescheiteltes Haar und einen reichen
Bart, er trug ein weißes Hemd, die Ärmel aufgerollt, und eine knielange braunrote Hose. Seinen
Fuß in der Sandale stellte er auf das Bündel und zog mit beiden kräftigen Armen den Gurt fest.
Jeschua hatte braunes Haar, das ihm auf die Schultern fiel. Er war vielleicht fünf Jahre alt. Sein
rosenrotes Obergewand fiel ihm bis auf die Lenden, darunter er eine rote Hose trug, die in braunen
Stiefeletten steckte. Über die Schulter gehängt trug auch er sein Päckchen. Mit sensiblen Augen sah
er liebevoll seinen Ziehvater an. Neben ihm ging Miriam, Josef fand, in einem heute sehr schönen
Gewand, das Mesetetef ihr zum Abschied geschenkt hatte. Sie trug ein rosenrotes Oberkleid mit
halblangen Ärmeln, darunter mit langen Ärmeln ein blauviolettes feines Hemd, das farblich mit
ihrem Schleier harmonierte, der Macht auf dem Haar, der ihr frisches Gesundheitsgesicht freiließ.
Umgeworfen trug sie einen braunen Umhang, der in langen Wellen und weichen Falten an ihrem
prächtigen Körper hinunterfloß, ein Genuß für ihres Mannes Auge, der sich an ihrer weiblichen
Figur berauschte. Es war soweit: die heilige Familie zog aus aus Ägypten, denn - Gott rief seinen
Weinstock aus Mizraim, ihn einzupflanzen im Gelobten Lande, daß seine Wurzeln wurzeln auf dem
Berge Zion, daß seine Reben wachsen von der Wüste im Süden zu den Zedernbergen im Norden,
vom Meer bis zum großen Strom, daß die Gottlosen seinen Taumelwein bis zur bitteren Hefe leeren
am letzten Tage der Erde, daß die Auserkorenen zur Freude ihrer Herzen sich berauschen an den
Traubenbrüsten des Weines, den Gott ihnen einschenkt, der ihnen nicht nur das Wasser des
irdischen Lebens einschenkt, sondern auch den Wonnewein der himmlischen Liebe; aber wehe ihm,
dem Weinstock, denn seine Zweige werden zerrissen, seine Trauben zerquetscht, daß das Rebenblut
zur Erde tropft, denn er ist bereitet als ein Trankopfer auf dem Berge Moria, zur Versöhnung und
zur Erlösung.

NEUNTES KAPITEL
Maria sann und sprach mit Gott im Gebet und ergründete mit dem Geiste Gottes ihr Herz, ihre Seele
mit ihrem Verstand und ihrem Gefühl und ihrem Willen, und betend bedachte sie sich selbst mit
Gott also: "O Gott, laß mich verstehen, wer ich bin. Siehe, ich bin ein Geschöpf Gottes, ein
einzigartiges Geschöpf Gottes. Keinen hast du gemacht wie mich. Wie hast du mich gemacht, mein
Schöpfer? Du kennst mich, ob ich träume oder denke, du weißt es und siehst es alles, Herr,
offenbare meinem Geiste durch deinen Geist, wie du mich siehst. Ich bin bei dir, Maria, sagst du,
Herr, und ich liebe dich von Anfang an bis in alle Ewigkeit, Amen! Das sei Grund und Fundament
meines Betrachtens, daß du mich liebst, Gott. Ich sah in den schönen Frühling hinaus, und mir
schien, ich sah aus einem dunklen Zimmer, durch das Fenster meiner Augen, in den lichten Lenz
von Gottes schöner Natur hinaus. Warum ists so düster in meiner Seele gewesen? Wie der schwarze
Samt der Nacht, wie der schwarze Asphalt vom Toten Meer, so ist manche traurige Stunde mein
Gemüt, und nur wenige goldene Sterne blinken drauf, das sind die Tränen, die zu weinen mir meine
Tröstung ist. Gut, himmlischer Vater, daß du mir den lieben Josef gegeben hast, daß ich dann an
seinen Busen mich schmiegen kann, daß ich den starken Zimmermann um mich wissen darf und in
der Geborgenheit an meines Mannes Seite weinen, weinen darf und unter Schluchzen mein Herz
ausschütten. Und da nahm er meinen Kopf in seine breiten und doch so sanften Händen und hob
mein armes Köpfchen und küsste mir die salzige Träne von der Wimper. Und dann wards wieder
helle in meinem Herzen. Ich hatte die Knoten meiner Gedanken und die Dunkelheiten meiner
labyrinthischen Fragen mit den heißen Tränen hinausgeschwemmt, ja, meine Melancholie war wie
ein Pharao in dem Roten Meere meiner Tränen ersoffen, aber der Trost meines Herzens ging hervor
wie ein siegreicher Mose. So geht es auf und ab wie eine Kinderschaukel, die Josef dem kleinen
Simon machte, drüben hinter der Hütte, Gott, du weißt, so ist meine Seele. Aber ich bin nicht nur
dies melancholische Gefühl, ich bin dazu auch noch gedankenreich in meinem Temperament. Ich
sehe den Katalog meiner Leidenschaften deutlich vor mir, ich sehe, wie du, Geist Gottes, an
meinem Herzen modellierend gearbeitet hast, ja, Herr, ich sehe, wie meine Trauer den Ton meines
Herzens feuchtet, daß deine Schöpferhände, deine Töpferhände, Vater, mich gestalten können. Ich
sehe, wie ich als Kind immer einsam war, auch wenn ich mit meinem Kinderfreund spielte, bei
allem Liebesspiel, im Herzen war ich einsam; und wenn meine liebe Schwester Mitka (danke, daß
sie jetzt auch bei uns ist, Gott), wenn meine liebe Mitka mir beim Zeichnen zuschaute und von
ihrem Steinsperling mir erzählte, ach, wie seltsam einsam war ich dann dabei, weil sie so süß
zwitschernd vom Vögelein schwatzte, ich aber ernst sinnend mit zärtlicher Traurigkeit war; einsam
war ich, Gott, und du bist gekommen in mein Herz in früher Jugend, und da hast du als ein
Bräutigam diesen Mangel ausgefüllt, da hast du mehr und mehr mein Herz mit Jubel und Wonne
geküsst. Gott, ich seh es, weil dein Geist mir die Augen geöffnet, weil es wie ein Schleier von
meinen Augen schwindet und wird Licht und Licht umher durch deine Gnade, himmlischer Vater!
Und dann hast du mir den Josef gegeben, Gott, diesen schlichten und gerechten Mann, der so reif
und erwachsen ist, mit den Händen so geschickt, geschickt zu Hammer und Hobel, geschickt zu
zierlicher Schnitzerei, geschickt zuzupacken und geschickt, zu streicheln mit sanfter Zärtlichkeit,
wunderbar, Gott, ganz wunderbar hast du mir den lieben und allerliebsten Josef gemacht. Er ist so
einfach, von heiliger Einfalt, und ich bin in den verschlungenen Windungen meines Gemütes, Vater,
da kann mich Josefs heiterer Spruch nicht befreien, da kann nur dein heiliger Geist mich in die
Freiheit erlösen, und das ist er zu tun stets und immer wieder bereit, dafür hab Dank, allgütiger
Gott. O ich preise dich, Jahwe Elohim, mein Adonai Zebaoth, du Gott des Messias, Vater des
Messias Israels, Heiliger! Dich will ich preisen, weil du es so gut mit mir meinst, wie ich immer
wieder dankbar erfahren darf. O Gott, ich preise dich, daß ich dich kennen darf, daß du aus deiner
Gnade heraus dich mir offenbart hast, auf daß ich mich mit deinen Augen betrachten darf, Gott,
denn so: Ob ich melancholisch bin, du hast mein Temperament geschaffen und sagst mir: Du bist
tiefsinnig, du bist einfühlsam und sensibel, du bist gründlich in deinen Gedanken, du fühlst Meine
Nähe, o Meine Tochter, und Ich, Ich hab dich je und je geliebt!" Da warf sich Miriam mit dem
Angesicht ins grüne Mariengras, das duftende Honiggras des nazarethischen Frühlings und dankte
Gott von ganzem, heißklopfendem Herzen. Maria schaute aus der Hütte und sah Jedida kommen,
die Nachbarin. Hinter der Hütte in seiner Werkstatt hämmerte Josef, schaute eben aus der Hütte und
sah ebenfalls Jedida kommen. Sicher war es ihm klar, dem Josef, daß er über alles Maria liebte, ihr
Gemüt, ihren Geist, ihre Wange, aber da rührte ihn merkwürdig auch Jedida an, ob er es wollte oder
nicht, er konnte sich nicht dagegen wehren, er konnte es sich auch nicht erklären, was es war, ob es
das war, was man Agape nennen könnte, oder gar verborgener Eros? Verheiratet war ja Josef mit der
guten Miriam, vermählt war ebenfalls Jedida mit dem gutherzigen Reuben, der ein
Synagogenvorsteher werden wollte und in eine entsprechende Schule ging, auch wohl sehr gut mit
Kindern umgehen konnte, denn er hatte ein reines kindliches Gemüt und leuchtende Augen von
entwaffnender Offenheit, Josef mochte ihn, auch wenn sie wenig Kontakt miteinander hatten (der
einzige Kontakt war der gewesen, daß Josef dem Reuben ein griechisches Lied vorgesungen hatte,
das er irgendwo gehört und schön gefunden hatte, aber dem Reuben hatte es nicht gefallen, er
mochte lieber das Paukenspiel der Töchter Galiläas). Jedida kam also. Herrlich! Und wie aufgeregt
ward Josef! Das war ein Prachtweib! Ein andres Wort fand er nicht. Ja, besonders wenn er sie
singen hörte, wenn er sie dabei beobachtete, da ging ihm sein Herz auf wie eine Magnolienblüte, da
wurde es warm wie das klopfende Herz eines Hasenjungen. Er schaute dann auf ihre melodisch
geschwungenen Linien von Prachtlippen, kindlich süß, wie zwei Spatzenschwingen geschwungen,
von denen floß es Wohllaut und herrlichen Stimmenton, so goldig und kraftvoll, so rein und
holdselig, das erfüllte dem Josef die Seele mit Freude. Und dann sah er auch noch ihre rotbraunen
Locken, die so neckisch verspielt, ja vertobt an den kurzsichtigen braunen Augen sich
vorbeikringelten, die Augen, die von einer Ecke in die andere spielerisch rollten, in Wahrheit aber
während der Preislieder nach innen schauten in die Seele, die so weiblich und mütterlich war, so in
sich ruhend und dynamisch zugleich, eine beeindruckende Erscheinung, und ihre Ausstrahlung,
irritierend und ermutigend, da war Josef einmal so froh gewesen, als sie ihn ansprach. O diese Frau,
die hätt er gern als Mutter gehabt, auch wenn sie sieben Jahre jünger war als er, diesem Weibsbild
hätt er gern mal was Nettes gesagt, vielleicht sollt er ihrem gutherzigen Mann was Nettes über seine
Frau sagen? Wohin mit seinen Gefühlen? Einmal wäre Josef gar bei den beiden vorbeigegangen und
hätte geklopft und ein Glas Wein mit den beiden getrunken, aber bei dem planenden Gedanken war
ihn so ein schweres und heftiges Klopfen des Herzens angegangen, daß er es denn doch hatte sein
lassen. Wenn er aus Überschwang und Überfluß Maria irgendwelche Gefühle andeutete (denn er
war eine offne Natur), dann bezog sie es gern auf sich und hielt es dem Lenz zugute. Der ehemalige
Freund Jorah war weit weg, und hätt er es verstanden? Es war doch so ein feines Gefühl, so
zwischen allen Worten, es war nicht Liebe und nicht Gleichgültigkeit, nicht einmal richtige
Verliebtheit, ein wenig Bewunderung vielleicht und ehrfürchtige Scheu, aber nichts traf es so recht
und echt, vielleicht kann er es nur dem Gott des Himmels, seinem Schöpfer, ganz und gar sagen,
was er empfand für diese wunderbare Wonnefrau, diese prächtige Sängerin der guten Nachricht von
Gott, die einmal mit jubilierendem Glanz in der Frauenstimme sang: "O glücklich der Tag, o
glücklich der Tag, wenn Gott kommt und mir meine Sünde abnimmt!" Da war Jedida aus Josefs
Blickwinkel verschwunden und zu Maria in die Hütte gegangen. Maria sah Jedida kommen und
freute sich und sah noch eben über der schönen Frau schöne Schulter hinweg in den Garten (es war
Frühling in Nazareth), da sah sie ihre Ziehkinder spielen, Jesu Vettern und Basen, nur Jesus nicht
unter ihnen. Da spielten die beiden Basen Jesu, Para (die Kuh) und Milka (die Frau eines Königs),
mit ihnen spielten Simon, Joses, Jakobus und Judas. Sie waren jüdisch erzogen und hebräisch
gesinnt, aber im Spiel kann man ja einmal etwas anderes ausprobieren, oder? Denn sie hatten auch
etwas mitbekommen von der hellenistischen Kultur, die mit den Römern nach Galiläa
hineingekommen war. So spielten sie ein Spiel, das hieß: Hirten in Arkadien. Para war Daphne und
Milka war Phyllis, Simon war Daphnis, Joses war Philemon, Judas Alexis und Jakobus Menelaos.
Und so riefen sie einander fröhlich lachend die Worte zu: "Bei der goldenen Leier Apollons und den
tiefgeschoßten Musen! Wer ist jener hübsche Hirte dort? - Das ist Daphnis, der aus Athena
gekommen, wo er Philosophie getrieben, aber der hohlen Nüsse und leeren Sophistereien müd und
überdrüssig aufs Land ging, wo er herzhaft wahre Natur erkunden wollte und wahre Prachtmädchen
küssen, bis ihm die Eine begegnet, deren Blicke ihm Amors Pfeile, Cupidos Brandgeschosse, des
Eros Fackeln in sein Herze werfen! - Und wer ist jene Schäferin da, die da an den Zitzen des
buntscheckigen Zickleins hängt? Goldene Locken fließen ihr hin wie vom Zephyr gepflückte
Ginsterblüten durch die Lenzlüfte fluten. - Das ist Daphne, die auch Phöbus Apollon begehrte, aber
sie sparte sich auf als keusche Jungfrau, keusch wie eine Vestalin Romas, sparte sich auf
jungfräulich für ihren Bräutigam, der ein wahrer Adonis müsse sein, ein Halbgott an Schönheit und
mit einer Herzenseinfalt, wie nur Hirten sie haben. - Dann wird es Philemon sein, der sie kriegt. -
Alexis hat ihr auch schon einen Kuß gestohlen. - Ich dachte, Alexis küsste gestern noch die süße
Phyllis? Kann eine begehrenswerter sein als die liebreizende Phyllis? Ihre Mutter Amaryllis soll
schön gewesen sein wie Helena, aber Phyllis ist schöner als selbst Aphrodite auf der Muschel. - Nur
Menelaos ist traurig und allein. Früher liebte er Knaben, aber als er einsah, daß der Venus das gar
nicht gefällt, da schwor er aller Liebe ab. - Wen denn liebte er in seiner Jugend? - Er nannte Alexis
seine liebliche Silberzwiebel. Aber wir wollen solch einen platonischen Unsinn nicht weiter
pflegen. Legen sich doch auch die Widder zu den Schafen, Lämmer zu zeugen, und keiner sah je
Bock zum Bocke gehn. - Ich will Daphne Granatäpfel pflücken, daß der Saft ihre Lippen noch röter
färbt. - Noch röter? Sind doch Daphnes Lippen schon so rot wie eine Rose im Maien. - Was gehen
dich Daphnes Lippen an? Ich allein bin berufen, mein Prachtmädchen im Mondenscheine zu
küssen. Und sie wird auch nur mich allein wiederküssen, wie Diana Endymion küsste, aber nie
hörte man, daß Diana auch Hyperion küsste. - Aber Kinder, meine lieben Schäfchen, was machen
wir mit Menelaos? Wo finden wir ein Hirtenmädchen, das den trauervollen Schäfer Menelaos
küsst? Seht doch, er ist solch ein Träumer, wir müssen ihm eine Braut suchen. - Ich will ihn
küsssen! - Du, Phyllis? - Seht doch, Daphnis und Daphne küssen sich!" – Jeschua ging einsam
abseits und sann. Jesus sprach mit Gott in seinem Herzen: "Abba, ich fühl mich wie ein Spatz, auf
den kleine Jungen mit Steinschleudern schießen. Vater, ich bin arglos, sie aber Sünder von Jugend
an. Sie tragen die Mäntel aus Schafspelz, aber inwendig sind sie reißende Wölfe. Sie verkaufen
Korallen und Perlen, aber ihre Seele ist so arm, ihr Geist so geizig, nichts wollen sie dir geben,
Abba, alles wollen sie für sich selbst behalten. Sie sind wie Tongeschirr, das den Töpfer verleugnet.
Sie sind wie Kerzen ohne Flamme und leuchten nicht. Zerstoße sie wie Mais mit dem Mörser
deines Zornes in der Schale deines jüngsten Gerichtes. Abba, ich preise deine Kunstfertigkeit und
deinen Phantasiereichtum, wenn ich den gelben und rosanen Flachs in den Feldern sehe, die
feuerroten Mohnblüten, die Hügel mit Myrrhe und Erdbeerbäumen und Steineichen, du meinst es so
gut mit den Menschen, daß du sie in eine so herrliche Schöpfung setztest, Abba, wenn es möglich
ist, laß deinen Zorn nicht die Menschen treffen, laß dein Gericht an ihnen vorübergehen, nimm
mich als Sündenbock, Abba. Du hast zu Adam in der linden Abenddämmerung gesprochen, wenn
eine frische Brise durch die Lüfte säuselte und Adam die vom Tage noch warme Stirne küsste mit
linder Frische, da war es dein heiliger Odem, Abba, und so redest du nun auch mit mir, mein Abba,
als wär ich ein neuer Adam. Ich liebe den Wind auf den Gipfeln der Hügel so sehr, er ist mir
Sinnbild für deine unsichtbare Lebendigkeit, Abba. O welchen Reichtum gabst du den Menschen
mit Olivenhainen und Weingärten, schlanken Zypressen, Feigenbäumen und Maisfeldern, und doch
wollen sie dirs nicht danken, Abba, und das ist ihre Sünde. Laß mich im Sommergetreide des
Lebens die Zarzur-Grille sein, die Kündigung zirpt von deiner Schöpfungskraft und Gnade, Abba,
Schaffender und Erhaltender und Vollendender. Siehe, du bist ewig, ewiger noch als der ewige
Schnee auf den Gipfeln des Hermon, der auch im Sommer noch da ist. Unerschöpflich bist du, eine
Quelle des Wassers des Lebens, unerschöpflich wie nicht die drei Jordanquellen auf dem Hermon,
deren Wasser als der Jordanstrom ins Tote Meer fließen, aber deine Ströme lebendigen Wassers
fließen ins ewige Leben. Seht doch, ihr Menschen, die Ebene von Esdrälon, die herrlicher ist als
selbst das bunte Gewand des Träumers Josef; wenn diese Ebene schon so herrlich ist, wieviel
herrlicher bist dann du, o Schöpfer, Abba. Du bist erhabener als die Eichen auf dem Tafelberg
Tabor, du bist fruchtbarer als daselbst die Johannisbrotbäume, du bist schöner und herrlicher als
daselbst die Iris in Purpur und Weiß. O mein lieber Abba, ich erlebe einen Moment der Freude, wie
ihn wohl nur Kinder erleben können, du hast mir solch ein süßes Glück beschert, einfach, Abba,
indem du die Nachtigall singen machtest. Die Nachtigall ist eine Prophetin, die künden muß von
Gottes Herrlichkeit, denn wenn sie nicht kündete, so erstickte sie an ihrem übervollen Herzen, die
Nachtigall ist eine Poetin hebräischer Poesie und Weisheitsliteratur, so süß, so sinnig, so selig, weil
sie ein Herz hat, erfüllt von deinem Geiste, Abba. Und drüben im Westen das Karmelgebirge,
Elijahus Tanzplatz, wie tanzen da die Mustangs, und schnauben und riechen gegen den Wind und
halten schräg den Kopf, zu erforschen, was da kommt, wie lauschende Propheten, wenn sie Gottes
Stimme nahen fühlen, und stürmen dann los wie Gideon, Josua und König Saul in die Schlacht,
Stürme, unaufhaltsam wie der Zorn Gottes, und doch so rein und hold aus dem großen warmen
Auge sind die Pferde schauend, wie die Liebe Gottes, barmherzig, warmherzig und groß. Wie
erbärmlich scheint mir angesichts der Herrlichkeit deiner Schöpfung, o Schöpfer, das Gezänk der
beiden Füchse, die ihre Rivalität in die Nacht hinausschreien, Sünder, die mir so unendlich leid tun,
verlorene Geisterfüchse, die den Donner des Himmels fürchten, Lüstlinge, welche den Weinberg
Sulamiths oftmals verwüstet, aber auch sie liebtest du, als du sie schufest, Abba, und nun, was wird
mit ihnen? O ich fühle die Verlorenheit so elend und ewiglich-wehe, da ich eben den Ruf der Eule
über den Trümmern höre, den Todeston, langgezogenes Heulen der Weheklage und Notsirene der
drohenden Verdammnis. Abba, rette die Sünder, Abba, tu dein Werk, Abba, gieße den Wein deiner
Gnade aus! Abba!" Aus der Hüttentür heraus sah Maria Jeschua wandeln und rief ihm zu: "Sohn!
Wenn ich dich so sehe, so umflort von traurigschönem Einsamkeitszauber, da wallt mir mein Herze
über, und ich denke, du bist ein ganz Besonderer, du bist ein Einzigartiger, du in deiner
Seelenhoheit und Geistesreinheit, Sohn. Wie mir scheint, will Gott dich besonders gebrauchen, fast
dünkt mich, du wüsstest auch, wofür. Warum denn wandelt dich diese schwarzseidige Schwermut
an? Und bist doch gleichzeitig so ein Schwärmer von dem Schöpfer der Schöpfung? Hältst dich
fern von den kleinen Heideneitelkeiten und Götzenpoesien deiner Vettern und Basen, aber keinen
unter ihnen sah ich je so voller Liebe zu meinen Kindern. Keiner von ihnen ist so gehorsam seinem
Vater, wie du dem deinen. Mir scheint, lieber Sohn, während Simon und Judas und Jakobus und
Joses, Para und Milka spielten Hellenistisches, antik Römisches, da hast du was getan, mein Sohn?
Ich meine, ja, mir scheint, du hast gebetet zu Gott, und darum seh ich solch ein Licht um dich
schimmern, lieber Jeschua, weil Gottes heiliger Geist dich erfüllt, weil Gott seinen Geist
ausgegossen hat wie flüssiges Licht von feurigem Züngelfeuer, wie Salbe, und sei es nur für den
Augenblick einer Stunde, darum bist du so leuchtend, ja, du bist Licht, Jesus. Nun komm zu deiner
Mutter, sie will dich herzen, herzlieber Jesus."

ZEHNTES KAPITEL:

"Ihr Lieben", sagte Asuba zu ihren Freundinnen, unter denen Mitka sich befand, Marias Schwester,
"wisset, daß mein Freund ein Salbenzubereiter ist, und was er mir so erzählte über das Duftende,
das ist mir höchst interessant gewesen." - "So sag uns was davon", bettelte Mitka, die gut gesalbte
Männer schon immer gern riechen mochte. Asuba holte aus: "Gott lebt in der Stadt der Düfte, denn
die Gebete der Heiligen steigen auf wie Weihrauch. Und weil der Herr es gern mag, wenns gut
riecht, so sprach er von einem Wohlgeruch des Lebens zum Leben, im Gegensatz zum Stank des
Todes zum Tode. Ein Duft des Lebens ist vor allem die heilige Salbe, mit der gesalbt ward der
Priester und der König. Da sprach der Herr mit Mose und sagte: Nimm dir vom besten
Parfümgrundstoff, edelste Myrrhe (die wie bitteres Lakritz riecht) und Zimt, davon halbsoviel, und
Kalmus, das in den Sümpfen Ägyptens wächst und duftet süßer als Lotus, und Kassia, zimtig und
süß duftend, davon soviel wie von der lakritzigen Myrrhe, nach dem Gewicht des Heiligtums
fünfhundert Lot, und eine Kanne Olivenöl. - Wisst ihr, Kinder, wenn das Olivenöl mit Zimt und
Kassia, Kalmus und Myrrhe in den Mantel des Propheten eingedrungen war, so hielt sich der
Wohlgeruch des Lebens wochenlang. Kein Wunder, daß die Gemeinde vom Gesalbten des Herrn
sprach. Auch Räucherwerk befahl der Herr dem Mose zu bereiten aus der harzigen Substanz
Balsam, der süß-zimtigen Styrax Resin und dem duftig-grün-frisch nach Blättern riechenden
Galbanum; ich sag euch, der Weihrauch riecht harzig-süßlich, ja, narkotisch. Marot, dein indischer
Opiumduft, der kommt dem schon nah, der ist auch so süß-narkotisch. Ihr Frauen, nicht nur die
Propheten und Priester und Könige wurden gesalbt, auch die Frauen. So badete Ruth und salbte sich
für ihren Löser Boas, den sie ja bezirzen wollte im frischgemähten Kornfeld unterm hebräischen
Vollmond, da sie zu seinen Füßen unter die Decke schlüpfte, nicht wahr? Und Esther erst, die
badete ein Jahr lang in kostbaren Salben, um dem König Xerxes, dem launischen Obersten aller
Perser und Meder, ein Wohlgeruch und Wohlgefallen zu sein. Sulamith, Salomos Geliebte, die ward
vom Fürsten der Liebe verglichen mit einem Würzbeet im Lustgarten, einer Säule von Weihrauch
verglichen und einem Bündel Myrrhe. Ja, der König nannte die Pharaostochter kostbare Narde. Und
ich sag euch, die Narde ist so kostbar, das kann man nicht ermessen, nicht einmal mein Freund Rafa
ist so reich, daß er daraus eine Salbe bereiten könne, die Narde kommt ja auch ganz vom Himalaya,
fern am Indus dem Riesengebirge. Ich wollte wohl dem Geliebten die Füße salben mit einem
ganzen Alabasterflakon voll herbfrisch-krautig duftender Narde, denn er, mein Geliebter, er ist
bereit für mich zu sterben." So sprach Asuba, Mitkas Lieblingsfreundin. Es kam die Zeit, da
Ziehvater Josef seinen Sohn Jeschua (und die Vettern Jesu gleich mit) unterrichtete über das Passah,
wie geboten: "Söhne, als der Herr sein Volk Israel befreien wollte aus Ägypten, ließ er dem Pharao
durch Mose sagen, daß er alle Erstgeburt Ägyptens töten werde, wenn der Pharao Israel nicht gehen
lasse. Den Israeliten aber gebot der Herr, daß sie Lämmer schlachten sollten am 14. Abib zwischen
den Abenden, zwischen Sonnenuntergang und Dämmerung, und das Lammesblut mit einem
Büschel Ysop streichen sollten an Türpfosten und Oberschwelle, daraufhin die Häuser nicht
verlassen sollten, die Lämmer braten, keinen Knochen durften sie brechen, und speisten dazu
ungesäuerte Brote des Elends und der Eile des Aufbruchs und bittere Kräuter zum Gedenken an die
bittere Sklaverei unter Ägypten. Israel blieb verschont, als der Todesengel durch Ägypten ging, um
der Passalämmer willen, die für die Erstgeborenen gestorben waren. Am Sinai feierte Israel Passah,
Israel feierte Passah, als es nach Kanaan einzog, nämlich in Gilgal, wo das Manna aufhörte. Die
Könige Hiskia und Josia ließen Passah feiern, und nach der babylonischen Gefangenschaft beging
man es im Anschluß an die Einweihung des Tempels. Auch dies Jahr wollen wir zum Passah nach
Jerusalem, Söhne, denn wer es ohne zwingenden Grund nicht feiert, der ist des Todes, spricht das
Gesetz." Jeschua freute sich mit seiner ganzen kindlichen Jugendlichkeit, ihm wars so licht und
froh, so aufregend und abenteuerlich, er atmete ein den verwegenen Hauch von Freiheit und Reife,
er sah das Licht der Freude schweben um sein jauchzendes Haupt, denn er durfte nun zu ihr, zur
Stadt des Herrn, der Braut Gottes, der Tochter Jerusalem! Jerusalem, Jerusalem! so tanzte wie ein
Gesang in seinem Sinn der Name: Stadt des Friedens, Davidsstadt, du Zion Gottes, des Tempels
Umfriedung, liebe Jerusalem, liebe Braut Gottes, liebe Jerusalem, oh du Schöne, ich darf dich
sehen, und darf deine Schwelle küssen, deinen Staub lecken, Königin! freute sich Jeschua, und er
rief: "Mama, Mama! Josef sagt, ich darf mit nach Jerusalem!" Und Maria lachte: "O du mein
Lieber, das ist schön, nicht wahr? Du bist nun bald ein Mann und mußt zum Opfer des Lammes, das
stirbt für die Sünde des Volkes. Oh schön dich in der Freude zu sehn, deine reine Seele, Jesus, sie
scheint mir Zionitin zu sein." Und so zog die Familie, was von ihr schon reif war, gen Jerusalem die
staubigen Straßen durch die Welt, mit vielen Pilgern aus Nazareth und den anderen Dörfern und
Örtern Galiläas. Schließlich sahen sie Jerusalem, so schön, so herrlich, daß da hüpfte dem Jeschua
freudig sein Jungenherz. Zehntausende von Lämmern waren am 14. Nisan nachmittags geschlachtet
worden im Tempel. Eine Wolke Lammesblutes deckte Jerusalem, Ströme Lammeslebens flossen
durch Zion, der Stadt Gottes. Die Priester hatten das Blut in Schalen aufgefangen und diese Schalen
weitergereicht zu einem besonderen Priester, der sie ausgoß, der das Lammesblut ausgoß am Fuße
des Brandopferaltares. Halleluja, Halleluja! sangen die vielen Leviten, die Chöre sangen das Hallel,
und die Pilgergemeinschaften nahmen das gebratene Lammfleisch zu sich und beteten Gott an:
"Vergib uns unsere Schuld!" - In dem ganzen Gewirre, in den Gängen und Gassen der
labyrinthischen Innenstadt, in dem Gedränge und Gewoge der Menschenmengen, unzähliger Pilger
und Jerusalemeinwohner, da verloren Maria und Josef den jungen Jesus aus den Augen. Als Maria
das bemerkte, da klopfte ihr Herz ihr heiß und heftig hoch bis zum Hals und sie rief immer wieder:
"Jesus, Jesus, Liebling, wo bist du?" und dann fragte sie jeden Pilger, die geduldigen wie die
ungeduldigen, ob sie einen zwölfjährigen Jungen gesehen hätten, welcher ein weißes Feiertagskleid
angehabt hätte, dunkle und leicht lockige Haare und leuchtende Augen, unglaublich hell leuchtende
Augen? Und die Pilger, die geduldigen wie die ungeduldigen, verneinten immer, bis ein alter Pilger
riet: "Suchen Sie ihn doch beim Tempel, gnädige Frau, denn da ist doch die Hauptattraktion, die
Staatsaktion, da wird seine jungenhafte Neugierde ihn wohl hingezogen haben, und wenns die nicht
war, so war es der Strom der Pilgernden, welche doch alle ein Ziel haben: Alle Wege in Jerusalem
führen zum Tempel." Plötzlich durchschoß es Maria wie Licht, wie Blitz und Feuer und Freude: Ja,
das wars! Dahin mußte sie. "Josef, komm!" Und so eilten die beiden in gemeinsamer Sorge und
gemeinsamer Hoffnung eilig (so eilig, wie es nur irgend ging im dichten Gedränge) Richtung
Tempel. Da sahen sie Jesus, denn von weitem traf sein blitzfunkelndes Auge in Marias Sucherblick,
daß sie getrost ward: "Ich hab ihn gefunden, Josef, ich hab Jesus gefunden! Halleluja, Lob sei
Gott!" rief sie ihrem Manne zu, der sich mit ihr freute: "Gott der Herr paßt schon auf ihn auf, daß er
nicht verloren geht, des sei gewiß, Maria." Sie kamen näher. Da hörten sie auch, was Jesus redete in
dem Kreis der Priester, die ihn da umringten, wie Mädchen einen Brunnen umringen. Wie er da den
Lehrer machte vor den Schriftgelehrten, den Priestern! "Wahrlich, in der heiligen Schrift steht vom
Messias geschrieben, sage ich, an jener Stelle, als des Weibes Sproß wird angekündigt, daß er dem
Satan den Schädel zertrete, der Schlange und ihren Nachkommen, welche die Engel des Teufels
sind, des Weibes Sproß aber ist der Sieger über Tod und Teufel und ist kein anderer als der Messias.
Ebenso ist der Messias in Boas, welcher Ruth ein Löser war. Wenn Samuel prophezeit ein Wort
Gottes: Ich werde sein Vater sein, und er wird mein Sohn sein, wahrlich, so ist das auf den Messias
bezogen. Wenn Jesaja prophezeit den Sohn einer Jungfrau, welcher da heißt Gott-ist-mit-uns, so ists
der Messias, eben jener, welcher da der Gottesknecht ist, von allen verachtet, dessen Wunden heil
machen das Volk der Sünder. Das ist gewißlich wahr." Und ein Priester warf ein: "Und vor dem
Tage des Messias muß kommen der Geist Elias?" Und Jesus lächelte: "Das wird wohl so sein, denn
Gottes Wort hat es vorausgesagt, und so ists schon vorbereitet. Mir Jungen, der ich anfing, das
Hebräisch zu studieren, mir scheint das Wort Gottes Gottes Weisheit zu sein, eine Kraft Gottes ist
Gottes Wort." Da hielt Maria nicht mehr an sich: "Sohn! Wieso bist du einfach fortgelaufen und hast
deinen Vater und deine Mutter allein stehen gelassen im Gewoge der Leute? Stattdessen bist du
hergekommen, zu belehren die Lehrer, zu predigen ehrwürdigen Priestern? O du, wohinaus soll das
noch mit dir, auf was zu soll das führen, was du da unternimmst und im Schilde führst mit deiner
frühreifen Frömmigkeit?" Jesus sah sie freundlich und ernst an, mit einem Blick, der so weit war, so
weit weg, von so weit her, und sagte mit fester, weicher Stimme: "Mama, weißt du nicht, daß ich im
Hause meines Abbas sein muß?" Was Maria nicht verstand, wie also und was? Aber sie dachte
darüber nach. Immerhin hatte sie ihn wieder, und da trat er auch zu ihr, und sie umschloß ihn mit
ihren fraulichen Armen und presste ihn an ihr warmpochendes Herz und weinte, weinte vor Freude:
"Hab ich dich, Jesus, doch noch gefunden, und bin so selig darüber, mein Lieber!" Und Jesus
schaute auf zu ihr und sah ihr ins mütterliche Auge, das da schimmerte von Freudentränen, und
sagte: "Mutter, sei nur ohne Sorge und freu dich deines Lebens, denn du bist gesegnet unter den
Frauen." Wieder soetwas, was zuviel war, als daß man es verstehen könne, wie sollte das Baby die
Worte des Engels der Verkündigung kennen? Ach, es war ja einfach gut, ihn am Herzen zu haben,
ihn ans pochende Herz zu pressen und ihn umschlungen zu halten, den Erstgeborenen, der... ja, er
sollte doch der Messias sein? Nach all den Aufregungen, emotionalen Flut-und-Ebbe-Bewegungen,
war Maria froh, einfach im Sonnenschein beim Brunnen zu stehn inmitten anderer holder Weiber
und zu lauschen Mitkas Mann, dem Zebaothdichter Jimna, wie er eine Liebesgeschichte erzählte
von Josef dem Träumer und Asenat, der Ägypterin: "In Heliopolis lebte Pentephres mit seiner
liebreichen Tochter Asenat, welche schöner war als die ägyptische Rasse, welche schlank war wie
Sara, blühend wie Rebekka, schön wie Rahel. Der Ruhm ihrer Schönheit ging durch alle Gauen
Ägyptens, sie aber lehnte jeden Freier, auch des Pharaos Erstgeborenen ab. Sie saß in ihrem
Purpurteppichzimmer, mit Edelsteinen ausgelegt, da goldene, silberne und steinerne Götzenbilder
waren von Isis und Osiris, Hathor, Thot, Maat und Anubis und Nephtys, den Göttern und Göttinnen
Mizraims. Silber und Gold und goldgewirkte Kleider, kostbare Edelsteine, feine Leinengewänder
und herrlichster Jungfrauenschmuck befanden sich im Zimmer. Vor dem Fenster befand sich im
Innenhofe ein Brunnen, in dem klares kristallenes Wasser war, und drumherum die fruchtreichsten
Bäume. Herrlicher als das alles aber fand Asenat Josef, der der Höchste nach dem Pharao war. Der
Gottheld kam mit zwölf Männern, den Priester von Heliopolis zu besuchen. Gepriesen sei der Gott
Josefs! rief Pentephres, da eilte Asenat in ihr Zimmer und zog ein feines Linnenkleid an, mit Gold
und Scharlach durchwirkt, legte einen goldenen Keuschheitsgürtel an, an die Arme Spangen, an die
Beine goldene Binden, um den Hals edelsten Schmuck und seltene Steine, rein geschliffen, und
Silber, in das eingraviert waren die Namen der Obersten Neunheit Unter- und Oberägyptens, der
höchsten Götzen. Sie setzte sich einen Turban auf, band sich um die Schläfen ein Diadem und
verhüllte ihr Haupt mit einem Schleier. Pentephres, als er seine schöne Tochter kommen sah, pries
ihr den Gottheld Josef, indem er ihn als schön und klug, reich und mächtig und weise pries, über
alle Maßen begehrenswert und rein und erhaben, in ihm sei der Geist des Gottes Josefs. Asenat aber
fragte, ob Josef nicht einfach ein Fremdling sei, der Sohn eines kanaanitischen Viehzüchters?
Zudem sei er ein Traumdeuter wie die alten Weiber Ägyptens? Zudem munkle man was von einer
Liaison zwischen ihm und dem geilen Weibe Potiphars? Aber Josef zog ein auf einem Wagen, den
vier schneeweiße Rosse zogen, auf einem Wagen aus purem Golde, blinkend und schimmernd wie
die herrliche Sonne. Er trug einen seltenen Rock, sein Umhang war Purpur und golddurchwirktes
Linnen. Auf dem Haupte trug er einen goldenen Kranz, zwölf auserlesene Steine um den Kranz und
goldene Strahlen auf den Steinen. In seiner Rechten trug er einen Regierungsstab und einen
Ölzweig mit vielen Oliven. Da mußte Asenat seufzen und sprach sich Weh mir Unseligen, sagte sie,
was habe sie so schlimm von dem Herrlichen nur gesprochen? Er sei ja so licht des herrlichen
Lichtes wegen, was in ihm sei, was hätte sie ihn einen Hirtensohn gescholten, da er doch herrlich
sei wie die Himmelssonne? Wo auf Erden hätte es je solche Schönheit gegeben, welches Weibes
Schoß hätte je solch ein Prachtkind geboren? Unselig und töricht hätte sie, Asenat, sich verhalten,
nun wolle sie nichts, als Josef Sklavin zu sein und ihm die Füße zu salben mit Zimt und Stakte. Da
sagte Pentephres, seine Tochter Asenat solle den Gotthelden Josef küssen, da spitzte die Tochter
gehorsam wie begierig die Lippen, aber Josef, der Keusche, sagte: Er küsse unmöglich einen Mund,
der Anbetung eitler Götzen wahnwitzig murmle, er küsse mit seinen gottgeweihten Lippen nicht
einer Götzendienerin noch so süße Lippen, denn sie seien zwar honigsüß der Erscheinung nach,
aber aufgrund des sündigen Frevels bitter wie Wermut. Er wolle nicht trinken vom Kelch des
Truges und sich nicht salben lassen mit der Salbe des Verderbens. Er würde nur das Lager teilen mit
einem Weibe, die den lebendigen Gott verherrliche, an ihren Brüsten würde er sich dann liebselig
berauschen. Daraufhin legte Josef seine Rechte der beschämten Asenat aufs Haupt und betete Gott
an, indem er Gott bat, Asenat zu segnen, diese Jungfrau, und sie zu befreien aus Wahn und Irrtum
des Götzendienstes, und er bat den Allmächtigen, daß er sich dieser Tochter Mizraims wunderbar
offenbare und ihr die Augen des Geistes erleuchte, damit sie den Herrn der Heerscharen sehe mit
frommem Blick. Gott möge Asenat erneuern durch seinen heiligen Geist, sie das Manna der Engel
genießen lassen und sie salben mit der Salbe der Auserwählung und sie trinken lassen aus dem
Kelche der Segnung, Gott möge sie leben lassen ewiges Leben, Amen, sagte Josef. Das alles
berührte Asenat ihr Herz, sie ward erschüttert durch den Segen des Gotthelden. Sie schwitzte
Schweiß und sank kraftlos auf ihr Lager. Dann erhob sie sich matt und warf alle Götzenbilder und
den Weihrauch des Frevels aus dem Fenster vor die Hunde. Schließlich bereute sie ihren
Götzendienst an den Hunden des Todes, den Katzen des Frevels und den Affen und Nilpferden und
Kühen der Lästerung und den Ratten der Hölle; allem dem schwor sie ab und bat den Gott Josefs,
ihre Reue zu sehen und sie zu erneuern durch seinen Geist. Amen dazu, sagte Asenat nach dem
Vorbilde Josefs. In jenem Augenblick ging nach siebentägigem Fasten und Sitzen in Asche und
bußfertigem Gebete der Morgenstern auf, und am lichten Himmel tat sich eine noch lichtere Pforte
auf, aus der der Engel des Herrn trat und grüßte Asenat: Asenat, Asenat, sagte er, ich bin der Engel
des Herrn, du bist nun erneuert durch den heiligen Geist des Gottes Josefs, sagte er. Er war sehr,
sehr schön, von himmlischer Anmut, sein Antlitz glich einem Blitz, seine Augen waren wie
Sonnenglanz, sein Haupthaar wie Feuerfackelbrand, seine Hände und Füße wie glühendes Eisen,
dieweil Funken von Händen und Füßen stoben. Fürchte dich nicht, sagte der Engel des Herrn,
Asenat, ich will dich mit Josef vermählen. Sie solle ihr schwarzes Bußgewand aus Sacktuch ablegen
und ein weißes, unberührtes Kleid anlegen, dazu den Jungfrauengürtel von reinem Golde, den
doppelten, einen um die Hüfte, den anderen um den Busen. Sie wusch ihre Hände mit klarstem
Wasser und nahm einen feinen, ausgesprochen schönen Schleier, ihr Haupt damit verhüllend. Der
Engel hatte ihr gesagt, sie sei vom Herrn eingetragen in das Buch des Lebens und würde in
Ewigkeit nicht mehr daraus getilgt, sie könne essen gesegnetes Brot der Engel und trinken den
Becher der Unsterblichkeit, gesalbt würde sie mit unverweslichem Salböl der Ewigkeit, geweihter
Narde des ewigen Lebens, schließlich solle der Gottheld ihr Bräutigam sein. Da reichte er ihr eine
Honigwabe, weiß wie Schnee, und der Honig war wie Himmelstau. Diese Wabe sei der Geist des
Lebens, gefertigt von des Wonneparadieses Bienen aus dem Tau der Lebensrosen des
Wonneparadieses Gottes; es sei Brot des Lebens, wenn sie davon speise, vom Honig der Worte
Gottes, dann sprieße ihr Fleisch unverwelkliche Lebensblume, genährt mit dem lebendigen Wasser
aus dem Born des Höchsten, ihr Gebein werde ewig sein wie die mächtigen Zedern auf den heiligen
Bergen in Gottes ewigem Freudenparadies des Himmels. Da tauchte der Engel seinen Finger in den
Honig, da ward es Blut, und er sprach, dies sei das Blut des Messias Israels, gegeben zur Erlösung
der Vielen, vergossen zur Erlösung der Braut des Gotthelden." Maria liebte solche romantischen
Liebesgeschichten. Sie fühlte sich verherrlicht durch diesen Lobpreis der Herrlichkeit Gottes. Mit
goldenen Honigbienen summend wie Sommer im Herzen ging sie zu Jeschua hin und küsste ihn.

ELFTES KAPITEL

Josef, Jesu Ziehvater, Marias Liebster, war still und friedlich heimgegangen zur Versammlung
seiner Väter im Schatten, mit getreuer Hoffnung auf den kommenden Tag des Herrn. Maria hatte
geweint und sich nicht halten können, und hatte gebetet und gefleht zum Allmächtigen, daß er
Seinen Trost sende, denn die Welt, sie konnte nicht trösten, auch nicht mit frommen Sprüchen, denn
sehr hatte Maria den Josef geliebt, und Liebe ist Wunsch nach Nähe, dann aber war Josef
geschieden von ihr durch den geistlichen Jordan, indem er weilte auf der anderen Seite des
Scheideflusses, und war kein Hinüberkommen für die Lebende, als daß sie schiede aus dem Stande
der Lebenden, was zu forcieren ihr Glaube ihr verbat. Jesus betete frühmorgens zu Gott, er möge
trösten seine liebe Tochter Maria, und schließlich erhörte der Vater das Gebet seines Sohnes und
Maria ward getrost und wandte sich zu dem Erstgeborenen, seinen Vettern und Basen. Enger schloß
sie sich mit der Zeit ihrer Cousine Elisabeth an, die auch schon Witwe war, denn der Priester
Zacharias, ihr Mann, war auch schon heimgegangen zur Versammlung der Väter. Elisabeth und
Maria wohnten nahe bei nahe. Am stärksten stärkte aber der Mann gewordene Jesus seiner Mutter
die Seele, ein Wort von ihm tat ihrer Seele so gut, das war nicht ganz zu fassen, welche Seelsorge er
an ihr betrieb von ganzem, lauterem, zärtlichen Herzen, denn Jesus liebte Maria. Was aber geschah
mit Jesus? Er hatte in seiner Jugend mit Josef als Zimmermann gearbeitet, dann als Wanderarbeiter
war er umhergezogen, schließlich aber hatte er das Werkzeug seines Ziehvaters liegengelassen und
war an den Jordan gegangen, wo Johannes zur Umkehr taufte, auf daß sich der Sohn Gottes unter
die Taufe zur Buße der Sünder stellte, sich zu solidarisieren mit den Sündern seines Volkes. Das war
so (Maria war mit ihm gegangen, nachdem er ihr gesagt hatte, was geschehen solle, und sie wollte
sehen, wie sich Jesus taufen ließ von dem berühmten Prediger, dem Sohn ihrer Base Elisabeth):
Jesus kam an den Jordan, wo Johannes in der goldenen Morgenröte schon wartete mit drei anderen
seiner Jünger. Johannes war nicht der Prophet, den Mose angekündigt hatte, er war nicht der
Christus, den die Propheten angekündigt hatten, er war die Stimme eines Predigers in der Wüste,
die da ruft, man solle die Wege ebnen für den Kommenden, für den Herrn. Der kam, da sah ihn
Johannes, da sah er nicht den Sohn der Base seiner Mutter, da sah er: das Lamm Gottes, das da trägt
die Sünde der Welt, unschuldig und rein, perfekt geeignet zum alles versöhnenden Opfer auf dem
Altar vor Gott, makellos, tadellos, fehlerlos. "Ich soll dich taufen, Herr? Wie mir? Wie das? Ich bins
nicht wert! Ich bin ein armer Sünder! In Wahrheit müsstest du mich taufen, denn du bist doch der
Ewige, der da lange vor mir schon war, du, der nach mir gekommen ist, du, der du in Ewigkeit
warst vor Abraham schon bei Gott, du Sohn Gottes, du, der du nach mir kamest von der Base
meiner Mutter, der Jungfrau Maria, Menschensohn! Und dich soll ich nun taufen?" Worauf der Herr
Jesus lächelte und verdeutlichte, daß er sich unter die Sünder stelle, die da zur Umkehr von der
Sünde sich taufen ließen (obwohl der Herr Jesus ohne jede Sünde war in Herz und Gedanke und
Tat), allein, damit er offenbar werde Gottes Volk, in den Landen umher, denn Gott wollte Großes
tun. Da trat der Herr Jesus ins Wasser, Johannes stand schon bis zum Bauchnabel darin, die frühe
Sonne wärmte es schon ein wenig, aber am meisten wärmte das innere Feuer der Begeisterung,
denn Jesus war voller Freude, das nun die Zeit seines Wirkens beginne, das nun sich offenbaren
werde vor Israel, wer er sei, er, der gekommen ist, die Menschheit zu erlösen, er, der sich begab in
die Hände eines Menschen, Johannes' Hände, der ihn untertauchte unter die Flut des Jordan bei
Änon bei Salim, wo viel Wasser war, und hob ihn wieder auf, da pustete Jesus das Wasser aus der
Nase und schüttelte sein schulterlanges Haar, da floß der Jordan zu Seiten Jesu hinab, aber Größeres
floß von oben: nämlich das Feuer des Heiligen Geistes, denn Gott goß seinen Geist aus, er goß
seine Liebe aus, sanftmütig floß es vom Herzen des Vaters, sanftmütig flog es, da flogen die
Schwingen des Vaters, unter dessen Schatten aus lindem Feuer Jesus stand und schaute gen
Himmel, denn da kam der Geist Gottes in Gestalt wie eine Taube Zions, eine reine, friedliche,
sanfte, keusche, zarte Taube, der Heilige Geist, so sanft, so weich, so lind, so lieb, der Geist Gottes
kam auf Jesus, den Sohn Gottes, und Gott bezeugte, der Vater: "Dies ist mein geliebter Sohn, an
dem ich Wohlgefallen habe!" Halleluja! Da knieten am Ufer der Johannesjünger Johannes, der
Johannesjünger Andreas und der Johannesjünger, den Jesus schon liebte, sie knieten und beteten
Gott den Himmlischen Vater an, der liebte seinen Sohn, den Messias, das Lamm! Und der Täufer
Johannes hob seine Hände auf zum Himmel, zum Vater im Himmel und lobpries den Herrn!
Halleluja! Und oben, im Galiläischen Lande, an dem See von Tiberias, dem Galiläischen Meere
Genezareth, da sah der Herr Jesus jenen einen Jünger Johannes', den Jünger Andreas wieder,
welcher da bei Jesu Taufe hatte gekniet wie ein leibhaftiges Gebet, voll Inbrunst und Innigkeit, nun
aber anders, bei alltäglicher Arbeit, Netze flickend, im Fischeramt, mit seinem Bruder, dem
begeisterungsfähigen Simon, den Jesus liebte, denn er war Kraft und Treue, ein echter Mann und
doch kindlichrein in der Seele; und neben Andreas und Petrus im Boot der andere Johannesjünger,
Johannes, der Sohn des Zebedäus, und sein Bruder Jakobus. Da sah Jesus auf das silberne Zittern
des Wassers, da die Fische schlüpften und hüpften in keuscher Kühle, und sah zu den Männern, die
da fingen die Geschöpfe Gottes, und er rief: "Kommt her zu mir! Laßt alles stehen und liegen, steigt
aus den Booten, geht nicht zuerst zu euren Frauen, Simon und Jakobus, kommt in meine Nähe und
werdet neu, werdet Jünger, werdet Menschenfischer! Lernt von mir, schaut auf mich, laßt euch
küssen von mir! Du, Simon, du sollst ein neuer Mensch werden! Ich will dir ein neues Herz geben,
daß du kein steinernes Herz mehr hast, sondern ein lebendiges, von zuckendem Blut des Lebens
erfülltes, fleischernes Herz! Ich will dich zu einer neuen Kreatur machen, siehe, ich rufe dich bei
deinem neuen Namen: Kephas, der Fels! Und du, Johannes, was soll ich zu dir sagen? Ich weiß, du
magst die frommen Lieder, du liebst die heiligen Schriften, sie sind dir das Wort Gottes, ich weiß,
du kannst denken, bist sehr gründlich im Denken und fromm im Denken, du bist anständig in diesen
römischen Zeiten geblieben, laß dir deine beredsamen Lippen küssen, laß dir deine Rührungsträne
vom knabenhaften Milchgesichte wischen, du Bartloser, laß mich meine heilenden Hände auf deine
kurzsichtigen Augen legen, komm mit mir, ich will dir süßen Wein aus Elischa geben: mein Wort!"
Und weitere Jünger berief sich der Herr Jesus, und einer von ihnen war Nathanael von Kana, der
das Mädchen Chawa heiraten wollte. Maria ward eingeladen zur Hochzeitsfeier, und mit ihr kam
Jesus und mit ihr kamen die Vettern und Basen Jesu, Jakobus und Judas und Joses und Simon und
Para und Milka, und alle freuten sich auf ein schönes Fest, einen Tanz, eine Freude, einen Umtrunk,
ein Gelächter, eine Augenweide, einen traumhaften Abend, und mit Maria kam ihre Schwester
Mitka und deren Mann, der Dichter Judäas in Galilee, der immer noch in Mitka verliebte Jimna, der
ein Hochzeitslied gedichtet, ein Prosagedicht, angelehnt an die Verskunst Salomos, eine biblische
Liebeschronik, die er zum Besten geben durfte, denn Nathanael wusste, daß Chawa Poesie,
romantische Schwärmerei, hebräischen Sturm und Drang über alles liebte, nur Nathanael stellte sie
darüber und selbstverständlich den Herrn. Jimna also rezitierte: "Mein lieber Nathanael, wer ist
schön wie Chawa? Siehe, der König Israels, der Gottgeliebte, der Hirte David, er bekam
versprochen die Prinzessin Michal. Die war ihm lieber als Merab, und Michal war schöner, oh ja,
sie war viel schöner und liebreizender. Nett war auch Merab, wenn sie auch zur Lüge neigte, aber
sonst war sie ja recht freundlich, aber Michal, die war sanft und still in ihrem Herzen, eine echte
geistliche Prinzessin. Aber was David einfach überwältigte, das waren ihre Haare, die ein
Gesamtkunstwerk waren an Aussehn, Gefühl und Geruch. O, ein Turm, wie er in Damaskus steht,
errichtet ganz aus Ebenholz von Kusch, schwarz und duftend nach Elefantenküssen, und dieser
Turm umflochten von blühenden Rosenranken, in diesen Rosenranken-Ebenholzturm gebohrt wie
goldene Dolche aus Damaskus eine Spange, die Spange von Gold aus Ofir, mit zwei Knöpfen wie
goldenen Taubenaugen im schwarzroten Gehölz. David dachte: Läg ich gefangen in diesen
Schlangenlocken, gefesselt in diesem Haar, in diesem schwarzen Verließ, gebettet in den
nächtlichen Rosengarten, atmete ein den Duft von Äthiopien, den Geruch der Nacht über
Elefantensavannen, den Geschmack des Morgentaus, wenn er hervorquillt aus den jungfräulichen
Rosenknospen. Ein himmlisches Eden duftet mir lieblich aus diesem Frauenhaar, Michal, Geliebte!
Und David schlachtete zweihundert Gottesfeinde hin für diese Braut, nahm deren Vorhäute ab für
König Saul, zu erkaufen mit sexuellem Brautpreis die Schönste unter den Jungfrauen Israels. O
mein lieber Nathanael, sag, ist sie nicht schön wie deine geliebte Chawa, ist sie nicht
begehrenswert, wie sie? Und ist nicht begehrenswert mit aller Lust eines Mannes, wie Chawa, die
schöne Witwe Nabals, die prachtvolle Abigail? Nabal, von dem gibts nicht viel Gutes zu sagen. Er
war ein Pilzekauer, unterkühlt, gedankenarm, aber reich an schnödem Silber. Ein Frevler vor Gott
war er und starb drum auch frühen Todes. Abigail aber warf sich David zu Füßen. David hob sie auf
und hielt sie da in seinen Armen. Welch eine Wonne für den Gottesgeliebten! Ja, das war ihm wie
ein Geschenk von Gott, das er klopfen fühlen durfte an seinem Herzen ihr pochendes
Nachtigallherz, warm und blutend vor stöhnender Liebe und fraulicher Hingabe, dieser Busen in
ihrem Busen, diese Seele aus Aufopferung und liebevollem Dienst! Abigail, dein Temperament, es
formte deinen hingabevollen Leib, der zerfloß wie weibliche Linie und Hirschkuhform, wenn sie
atmet mit schwerer Brust, mit fliegendem Stöhnen, mit einem Werfen der Brust an den
heißflutenden Wind, der sie küsst. Aber was sinn ich Ungeheures? Was sinn ich, zu sagen, wie ihr
Busen war? Glocken aus mütterlichem Mehl, Brüste aus weißem Brot, milchige Rosen,
Paradiesäpfel, Schneebälle, Hindinneneuter, Zuckerstücke, und gekrönt mit Weinbeeren,
Blutstropfen, aufgerollten Rosenblättern, Morgensternen, Frauenlippen, gespitzt zum Kusse;
Abigail! Und die Hüfte, begehrenswert! Davids Arm zog es, wie ein Schiff auf den Meeresgrund,
um diese Hüfte, er wollte sie umfassen und tragen zum Tanz, er wollt sie ziehen an seine Seite, zu
wandeln mit ihr über die frühlingsduftenden Grastriften am Karmelhang, zu ruhen mit ihr im Gras,
zwischen den muhenden Lämmern, zu betten sich mit dem Haupt auf eines Mutterschafs
hingelagertes Fell, und dann zu haben die ganze gegossne Gestalt von Abigail, die er gefreit hat, die
Witwe, zu seiner rechtmäßigen Frau, daß er sich freuen durfte an ihr, und sie sich freute an ihm, am
Geliebten, an Gottes Geliebtem, daß sie spielten Kampf und Versöhnung, Rückzug und Eroberung,
Hingabe und Aufgabe, Ruhe und Fest, Wahnsinn und zärtliches Lied, Kuß und Erkenntnis, da er
aufdeckte ihre Scham, daß der Beschnittene beiwohnte der rechtmäßigen Ehegattin. O Nathanel,
frag ich dich, ist sie nicht so begehrenswert wie Chawa? Deine Chawa? Und ist Begierde nicht ein
reizendes Gottesgeschenk? Wir wollen den Schöpfer loben, den heiligen Gott, für diese große und
wunderbare Gnade der Sinnenfreude! O Nathanael, siehe, ist nicht lieblich anzusehen, wie Chawa,
Gottesliebling Davids Frau, die Frau Batseba? O wie ein Mond, wie eine Sichel von Mond in
milchigem Schimmer glänzte der Frau Gesicht herüber, da sie aus dem Bade kam, und der Tau der
Reinheit an ihr herniederperlte, wie himmlischer Gesang an der Himmelsleiter herniederträufelt zu
den schlummernden Hirten auf den Triften. Und der Hirte, der da David hieß, der sah diesen Mond
von Antlitz, und Gefühl quoll in ihm auf, Gefühl von Verzückung und schöner Sympathie, und da,
da sah er sie lächeln. Ha! wie war der Mundwinkel schräg hinaufgezogen, das fand David
allerliebst, lässig und reizend. Und die Zähne, weiß! Frischgewaschene Schafe sind nicht so weiß
wie Batsebas Zähne, Soldatenreihen sind nicht so geradlinig, wie Batsebas Zähne, nur Gottes Wort
ist vollkommen, aber fast wären es auch Batsebas Zähne, mit einem Schmelz von Schnee und
Lammesmilch, und die Zunge küsste die Lippe rasch, die Lippen zu befeuchten. Und die Augen:
Weibliche Wasser des Mondes und der Fruchtbarkeit, in denen Liliensterne und himmlische
Regenbögen sich baden, Augen, sanft wie Engel, wenn sie zur Harfe zupfen Lieder der Stille,
Pupillen wie Kamelmilch, Irisse wie die blauen Blumen aus dem verlorenen Garten Eden. Und
Wangen, Bäckchen, so allerliebst, braun und weiß und rot, kußliche Bäckchen. Und das Ohr, das
sagte: Oh, du David! als er ihr Liebkosung sagte, denn sie hörte wohl den Liebreiz seiner Stimme
und das Begehren seines Tones und die Herzlichkeit seiner Stimme, denn ein feines Ohr eines
feinen Weibes, das waren die beiden schaumbraunen Muscheln der schönen Batseba. O Nathanael,
ist nicht Batseba schön wie Chawa? Siehe, schön ist deine Chawa, Nathanael, darum willst du sie
freien, siehe, sie ist eine Gottgeliebte, die auch liebt den heiligen Gott, Israels Gott! Darum freie sie,
küsse sie, berausche dich an den Brüsten deiner jugendlichen Frau und lobe dafür jeden Morgen
heiß und innig Gott, den Schöpfer Chawas!" Also verstieg sich Jimna, ein wenig über die Grenzen
des Anstandes dringend, da Maria ihn ansah. Jimna war, wenn er nicht poetische Ergüsse von sich
gab, schüchtern und wich dem Blicke der keuschen Maria aus. Er akzeptierte die natürliche und
sanfte Autorität Jeschuas, aber er traute sich in diesem Augenblick nicht ganz, Jeschua in die Augen
zu schauen, denn ihm ging es heiß die Seele durch mit Schamfeuers Hitze, daß er in Abigails Lob
zu offen vom sexuellen Reiz der Frauen gesungen, und er wußte nicht, was der heilige Rabbi
Jeschua, jener reine Meister, dazu wohl sagen würde. Jimna war schon im Rausch der Poesie, ein
wenig ernüchtert durch die bittere Hefe der Scham, aber die ganze Hochzeitsgesellschaft war im
Rausch des Weines, noch recht sittsam, da ging der Gesellschaft der Wein aus. Es hatte süßen Wein
aus Chios gegeben, gelbgolden wie Bienenhonig, nun aber sah Maria, die einen Kelch probiert hatte
(Maria nippte nur manchmal am Kelche), daß der Freudenwein, der Rauschetrunk, der Jubelkelch
und Gnadenbecher leer war, und das auf einem rauschenden Fest der Liebe, einem Hochzeitsmahl,
einem hebräischen Symposium! "Jeschua, siehst du, sie haben keinen Wein mehr. Du, da kannst du
doch sicher etwas tun, oder? Wenn du nicht, wer dann? Tu doch bitte was, Jesus, sie dauern mich."
Und Jesus sah still in sich hinein, wie als wenn er spräche mit Gott, was zu tun sei, und sagte:
"Frau, was bittest du von mir?" Jesus liebte Maria, Jesus liebte die Hochzeitsgesellschaft, seinen
Schüler Nathanael und die reizende Chawa liebte er auch, drum tat er, was er den gütigen Gott der
Gnade, den großen Schenkenden, tun sah, er machte Wein aus den vierzig Litern Wasser, und das
war besserer Wein als der gelbgoldne Honigwein aus Chios, das war kein griechischer Wein, das
war fruchtreicher, gaumenliebkosender, schmeichelnder, spielender Wein aus Galiläa, Judenwein,
Wein wie aus hebräischen Beeren, mehr noch: Wein aus dem Geist des Wunderrats, Wein aus dem
Willen des Ewigvaters, Wein der Gnade! Nathanael sah, was Jesus getan hatte, da sah er Jesus so
überaus dankbar und liebevoll an: "Jesus, ich will dir danken mit meinem ganzen Leben für deine
Gnade! Du, sieh doch, Meister, sieh doch die schöne Chawa an, willst du nicht tanzen einen Tanz
mit Chawa, mein Meister? Zeige dich ihr als der du bist, Jesus!" Und Jesus freute sich an jenem
Tage.

ZWÖLFTES KAPITEL

Als Maria mit Jesus und der Sippe von Nazareth nach Kapernaum gezogen war, ihm nach, der der
Führer der Familie ward, der Familienrat, der mit einer ganz besonderen Autorität, die der Himmel
ihm verliehen, sagte, wo es lang ging, und er führte die marianische Familie an den See Genezareth.
Eine seiner Basen liebte seine Nähe, sie fing immer an zu singen, wenn er vom Himmelreich redete.
Sie spielte sehr schön die sechssaitige Gittit, einige ihrer Freunde und Freundinnen mochten sie ab
und an begleiten auf Tamburinen und Pauken und anderen Saitenspielen und Flöten, sie musizierten
wie galiläische Synagogenspatzen, wie Nachtigallen in den Kapernbüschen am See von Tiberius.
Para leitete ihre kleine Gruppe, sie gab die Lieder vor, sagte den Kehrreim an und bestimmte das
Tempo, in welchem mit treibendem oder ruhigem Rhythmus der Psalm zur Ehre des Ewigen sollte
gesungen und gepfiffen und gestrichen und getrommelt werden. Sie sah Jesus an und sagte: "Vetter,
wie du den Gott des Himmels mir wieder einmal nahe gebracht! Daß ich Gott vertrauen kann, daß
das besser ist als alles Selbstvertrauen! Ich forsche in der Heiligen Schrift, ob es sich so verhält, wie
du sagt, und ja, wirklich, ich finde das Psalmwort: Ich sage, du bist mein Gott und dir vertraue ich!
Darum will ich lobpreisen, und im Lobpreis anschaun den Ewigen, den Gewaltigen, den Herrlichen,
den so sehr Großartigen, Vielfältigen, den schönen Gott des Himmels, den du Abba nennst, den
lieben Vater. Also, meine Lieben, ich streiche den ersten Vers vor auf meiner Gittit, ist sie
gestimmt? ja, gut, dann streich ich die Saiten einmal vor, so habt ihr den Rhythmus und findet den
Einstieg", sagte sie und schlug die Saiten und hob an zu singen: "Wer zu Gott, dem Allmächtigen,
sagt: Du bist mein Gott! der findet bei ihm Zuflucht und Ruhe, dem ist Gott ein Fels und eine
sichere Burg!" Sie sang es mit einer so jubilierenden, glanzvollen Stimme, einer solchen
kraftgeladenen und seelenvollen Stimme, daß der Blaufärber To'i ein süßes Kitzeln am Zwerchfell
fühlte, ein lenznes Jubeln in den Eingeweiden, als wenn die Nachtigallen aus den Kapernbüschen
geflogen wären in To'i seine Seele und stimmten den Lobreis an und hymnisches Jauchzen zu
Gottes des Schöpfers Ehre: Gott, Schöpfer! Gott, der Schöpfer, hatte geschaffen diese
stimmgewaltige Seele Paras, daß sie lobpreisen konnte mit aller geschenkten Schönheit
melodischen Atmens Gott, den Schöpfer, dessen Geist inspiriert hatte Psalm und Psalmlied, mit
dem die Kreatur den Kreativen pries, es war eine Musikerliebe, ein melodischer Kuß, ja, Noten
rollten in ihren Augen, silberne Saiten waren ihre Blicke, ein Instrument ihr Leib, ihre Stimme wie
die Cherubharfe, ihr Lobpreis die Posaune des Jüngsten Tages, der Leben verkündet, Leben in
Schönheit und Herrlichkeit und ewiger Lust des Genusses am Gott der Liebe! Halleluja! Und Jesus
freute sich an diesem Lobpreis seiner Base, er freute sich, daß ihre melodiöse Seele in aller
Frömmigkeit die Kraft des Glaubens transportierte in die einfache Blaufärberseele des Mannes To'i,
daß er fühlte in seiner ganzen Seele, bis in den Leib hinein, die Schönheit und Pracht und Stärke
Gottes, des Schöpfers, dessen Geist lebendig wirkte in der Base Jesu, wenn Jesus neben ihr stand.
Dieser nun ging, Jesus, der Herr, sich seine Apostel zu berufen. "Wer ist in Wahrheit meine Mutter?
Meine Mutter und meine Brüder, das sind jene da:" und damit wies Jesus auf Jakobus Zebedäus, der
ebenfalls die Lieder Israels liebhatte, und den Liebling der Lieder Israels liebte er der Liebeslieder
an Gott wegen. Jakobus war ein nüchterner Mensch, der genau war, wenn er las in der Heiligen
Schrift, er studierte die heiligen Silben andachtsvoll, das Gesetz war ihm Gesetz, ein Gebot war ihm
auch Gebot, die Propheten erforschte er nach Prophetien auf den Messias hin, für welchen er
Jeschua hielt, den Rabbi; er war nüchtern, aber er konnte ins Schwärmen kommen; er kam ins
Schwärmen, wie To'i, wenn Para ihre Psalmen intonierte, dann lobte er ihre goldene Stimme, rein
wie himmlischer Honig, aber er lehrte auch die Base Jesu, daß Gott sie liebe, weil er sie geschaffen
habe zur Geliebten, und nicht etwa, weil sie so singe; und schwärmen konnte Jakobus auch von
seiner eignen Begeisterung, dann war er ein wenig selbstgefällig, denn wenn er gut geschwärmt
hatte von der Inspiration, die Jesus ihm weitergegeben hatte, dann konnte er sich noch entzünden an
dieser Liebe Jesu, die durch ihn, Jakobus, zum galiläischen Volk weitergeströmt war, und war in
Verzückung. Das war wie der Honig zu seinem sonst nüchternen Leben, einfachem Brote, das aber
kräftig und nährreich war, so daß To'i sich freute, als Jakobus der Fischer den Blaufärber einmal
zum Purpurrebensaft am Abend einlud. Da war auch Johannes, der Zebedäussohn, der in der
Jesusstadt Kapernaum seine Hütte hatte, nicht weit vom Ufer der Fischer am See Genezareth.
Johannes war ein Jüngling noch, sein Gesicht schien wie reine Milch und glatt wie der See in einer
linden Mondnacht des Sommers, seine Augen waren grau wie das Wasser des Meeres Galiläas, und
sie blickten einem Gegenüber frisch und offen in Antlitz. Er war ein tiefsinniger Denker, in früher
Jugend schon gesinnt wie ein hebräischer Philosoph, der mit tiefen Einblicken in das Wesen des
Himmlischen Vaters und seines Messias gesegnet und begnadet war: "Schöpfer ist Gott", sagte
Johannes, "der Schöpfer des Anfangs ist Gott für mich, geschaffen ist es alles durch den Herrn, den
Messias, geschaffen für den Messias, der es alles übergeben wird dem Schöpfer, Gott, der durch
seinen Heiligen Geist den König David singen ließ: Der Herr sagte zu meinem Herrn: Setze dich zu
meiner Rechten; König David, der sang, inspiriert durch den Heiligen Geist Gottes: Darum hat dich,
o Gott, dein Gott gesalbt mit Freudenöl und Öl des Jubels! Halleluja! Gott der Herr ist der
Herrliche, Gottes Messias, der König Israels, der ist die Ausstrahlung dieser Herrlichkeit! Licht und
Überfluß und Überfülle an strahlendem Licht und Glanz und Schimmer und Funkelglut und
Feuerflamme und glühender Zungen Tanz! Gottes Geist ist der Geist des Messias, der da der Erbe
ist, Erbe aller geschaffenen Dinge, die Gott ihm zugeeignet und vermacht hat in seinem Testament,
das da alle Macht und Ehre und Herrlichkeit zuspricht dem Messias, du, Christus", sprach Johannes,
"bist der Sohn Gottes, das Wort Gottes, was bei Gott war und Gott ist! Halleluja! Gott, ich liebe
dich, Herr, ich liebe dich! Amen!" Das hörte gerne Vater Zebedäus, dessen Augen grau waren wie
das Grau in seinem Barte, mit einem lichten Schimmer wie der Spiegel seiner kopfigen Kahlheit
glänzte, und drinnen ward es helle, da er gesehen hatte und gehört, wie der Herr Jesus seine beiden
Söhne gerufen hatte zu Jüngern, und die hatten ihm vom Himmelreich erzählt, daß er fand, es sei
ein gar freudig Geschrei über Gott da im Gange in den neuen Zeiten mit dem neuen Meister, von
Liebe sei da die Rede und vom Vater Zebaoth. Vater Zebedäus sah sich diesen Jesus einmal näher
an, er fand, der Mann ginge gar liebevoll um mit seinem Kleinen, dem Johannes, wenn der
Johannes auch seine Eigenarten hatte, seine Überklugheit, seine selbstgefälligen Eitelkeiten nicht
minder als der Große, der Jakob doch auch, und sich beide manchmal nicht schlecht was einbildeten
auf ihr Unterrichtetsein in den Heiligen Schriften, und das nicht als Leviten, sondern als einfache
Fischer. Ja, auch er war ein einfacher Fischer, der Vater Zebedäus, der mit anpacken konnte, und das
gefiel ihm an dem neuen Meister, der konnte auch mit anpacken, mit seinen Zimmermannsarmen,
wenn Not am Mann war, aber was der Jesus noch besser konnte, das war Gottes Wort predigen. Ja,
das vom Geiste, das verstand Vater Zebedäus nicht so ganz, aber daß der Herr Jesus, ja, so wollte er
ihn nennen, daß der Herr Jesus die Schriften so herrlich prophetisch und vollmächtig auslegen
konnte! "Das ist heute erfüllt", so drückte sich der Meister oftmals aus, wenn er wieder eine
prophetische Rede auslegte und auf sich bezog. Vater Zebedäus war ein Mensch, der sich gern ans
Geschriebene hielt, wenns um Fragen der Religion ging, darum mochte er auch nicht so sehr die
Pharisäer mit ihren Sondergesetzen, Sondergeboten, Sonderregeln und Sondervorschriften, denn
allein die Heilige Schrift, Gesetz und Propheten, galt dem Vater Zebedäus als heilig geschriebenes
Wort Gottes, ja, er war streng schriftgläubig, denn er meinte, getrieben vom Geiste hätte die
Propheten geweissagt, und das alles sei bis auf diese Zeit überliefert worden, um nun von dem
herrlichen Rabbi Jeschua so großmächtig, vollmächtig und allmächtig ausgelegt zu werden: "Ich
bin, der ich bin, das Leben und der Weg und die Wahrheit", so hatte Jesus sich geoffenbart als der,
der im Dornbusch brannte mit dem Feuer des Heiligen Geistes, der, der zu Gottes Volk geredet: "Ich
werde sein", und nun ist er da, Halleluja, und so liebenswert, ein echtes und rechtes Abbild seines
Vaters, Zebaoths, Abdruck seines Wesens, zu dem der Meister immer wieder hinwies: "Gott nenn
ich Abba, lieber Vater! Er ist die Liebe, eine aufopfernde, blutende Liebe, der sich selbstlos hingibt!
Er will euch verändern, daß ihr ähnlich werdet dem Sohne, durch den ihr versöhnt werdet mit dem
Vater, Abba, der das Ziel des Glaubens ist, denn das ist das Ziel des Glaubens: das Leben mit dem
himmlischen Vater in innigster und intimster Liebesgemeinschaft für alle ewigen Ewigkeiten des
ewigen Lebens in nie sterbender Liebe!" Ach, so ganz begreifen konnte Vater Zebedäus den Vater
Zebaoth nicht, denn er stellte sich immer seinen Vater Zebedäus vor, und schon allein diese
Wortähnlichkeit... Vielleicht sollte Vater Zebedäus den Gott des Himmels Abba Elohim nennen, um
zu begreifen, daß Gott vollkommen ist, zehntausendmal vollkommener und liebevoller als jeder
irdische Vater, der ein sündig gewordenes Ebenbild Gottes ist, aber das Urbild, wie das nun ist, das
müsste Zebedäus den Herrn Jesus noch einmal genauer fragen, daß er ihm den Vater offenbare, und
daß der Vater Zebedäus dann eine Liebe zu Gott bekäme, wie Gottes Sohn, der lebendige Herr,
dieser Meister Jesus seinen Vater liebte, über alle Maßen! Und wie war der dritte Jünger aus dem
engeren Kreis der Jüngerschaft, dieser Simon, den Jesus Kefa nannte, Petrus? Er hatte schon eine
Frau, eine schöne Frau, die fromm war, und einen kleinen Sohn von zwei Jahren, mit dem er durch
den Garten um seine Hütte spazieren ging. Auch ihn zählte Jesus zu denen, von denen er sagte, sie
seien seine Mutter und seine Brüder. Petrus war ein liebevoller Vater, der seinem Sohne gut
zuredete: "Jonatan, mein Liebster, weißt du nicht, wie lieb ich dich hab? Ich bin doch dein Vater. Ich
will dir sagen, was mein Herz bewegt: Ich rase vor Liebe, ich habe ein klopfendes und
beklommenes Herz vor Eifersucht, daß du jemand anders mehr schätzen könntest denn mich,
deinen Papa. Siehe, ich bin dir gut, und das für ewig, für alle Zeiten bist du mein, mein Kleiner, ich
hab dich rasend und schrecklich gern, ich bin eifersüchtig, daß du zu Göttern greifen könntest, statt
den himmlischen Vater lieb zu haben, der allein dein Schöpfer ist. Und sieh doch diese Blumen.
Sind sie nicht lieblich und gar allerliebst und zierlich? Diese kleinen hellblauen Vergißmeinnicht, so
schön wie meiner lieben Timna Augen, schimmernd und blühend und strahlend, und da, die kleinen
grünen Blätter der Süßkartoffeln. Ich will da einen breiten Streifen Buschwerk um den kleinen
Gemüsegarten anlegen, mit einem kleinen Pfad dazwischen, einem einzigen Weg dahin, so wie
Jesus der einzige Weg zu Gott dem himmlischen Vater ist. Du, was denk ich da, wo ich eben die
liebe Mama seh? Meine Schwester ist ein verschlossener Lustgarten, sagt Salomo über seine
Geliebte, das hat Timna nicht verstanden, nicht wahr Timna, was ich da meinte. Du, Timna, du mußt
dein Herz auch noch auftun, daß der Gärtner hineinkommt, der liebe Rabbi Jeschua, daß er deinen
Garten zum blühen bringt, daß er ein Lobpreis ist für den Schöpfer, zu Gottes Freude da. Siehe,
Jonatan, der himmlische Vater, der die Süßkartoffeln und die Kapern gemacht und dich auch, der
lebt droben über den Wolken in einer himmlischen Stadt, wo David, der Geliebte, und Salomo, der
Fürst der Liebe, und die heiligen Königinnen, und die Patriarchen all mit ihren Frauen leben in
wonnesamer Ruh und ewigem Frieden, und küssen einander wie Friede und Gerechtigkeit, weil sie
Gottes Liebe in sich haben, der mit ihnen lebt inmitten der Versammlung der Väter und thront über
den Lobgesängen der Lieblinge Gottes, als der Ewig-Vollkommene-Vater, er ist unsre Sonne, er ist
unser Leben, er ist unsre Freude, er ist unsres Herzens innerstes Herz, er, Gott, ist mein Gott!" Oh,
wie war in Galilee am See die Nacht vorübergegangen für den liebreichen Herrn Jesus in
andachtsreicher Stille. Nun hatte sich der Mond an den äußersten Rand verzogen, bereit
unterzugehen oder weiterzuwandern zu den Menschen, die nun schlafen gingen. Nun waren die
goldenen und silbernen Sternentropfen dahin. Die schwarze Nacht wurde aufgehellt von einer von
ferne nahenden Sonne. Ein aufgeschäumtes, lindtrunkenes Blau, romantischen Fernwehs
schwanger, wölbte sich bleich-samten über den Zenit von Horizont zu Horizont. In dieser linden
Dunkelbläue, von einem milchigen Schaum anschwellenden Tages sanft durchschossen, begannen
Gesänge aufzuperlen in hymnischen Reihen, wie silbrige Friedensflöten, Triller und süßmelodische
Lobeslieder, Liebeslieder der himmlischen Sänger, der Gefiederten, der Sängerfreunde des
Himmels, Gottes erwachender Poeten. Es fand unter den Vögeln eine schöne Erweckung statt, die
Meisen und Amseln und Spatzen und Sperlinge und die Lerchen fingen an, miteinander in geistiger
Einheit zu lobpreisen. Die dumpfen und müden Frösche nannten es Lobhudelei, die schwarzen
trägen Katzen nannten es überschäumende Gefühlswallung oder Sektiererei, denn die Vögel
sonderten sich ab und schwärmten in die linde Dämmerbläue hinein, in den rauschfarbenen
Himmel, ihre Entzückungen auszusingen und hinüberzujubeln in die himmlischen Höhen der
goldenen Frühe, die sich von weit, sehr weit sehr zart andeutete, wie ein kommender Heiland klein
und zart komme, um zu triumphieren als Sonne, welche stirbt in blutrotem Untergang, bis Gott sie
wieder heraufholt in rosigen Auferstehungen, in lindem Goldschimmer wandelt die Frühe dann über
den dämmrig-grünen Garten Galiläas, mit silbrigem Schritt und Tritt in zarten Füßen, wie einer
Jungfrau Tanz, wie das Schweben eines Engels, wie die Gegenwart Gottes in sieben Schleiern von
Morgendunst, herrlich, lieblich, unaussagbar schön! O diese Wonne, die Jesus empfand, als er
spürte den lindmilden Hauch der Frühe, als der Friede von Gott, Sein atmendes Schweigen, sein
geruhiger Anhauch, sein tiefer Friede und seine innere Ruhe den betenden Sohn erreichten: Durch
Ruhe werdet ihr gerettet, in Stille ist eure Stärke, wendet euch Gott zu und vertraut eurem lieben
himmlischen Vater, er wird für euch sorgen, wie er auch für die Spatzen und Sperlinge sorgt, seht
doch, denn keines fällt zu Boden ohne den Willen Gottes, und alle versorgt er, die Mühelosen, die
Müßiggänger, die Tagträumer, Gottes goldene Dichter des Himmels, Gottes gefiederte
Lieblingspoeten, und die verliebte Nachtigall im Kapernbusch am See von Galilee, sie begab sich in
ihr Nest zur Ruhe, da Jesus leis wie ein heiliger Himmel vorüberwandelte. Friede sei mit dir!
hauchte sein ganzes liebeatmendes Wesen aus. Am Tage ging er wieder in den grünen Hainen am
See von Galilee, da empfand er die Vielfalt des Schöpfers, der die Weiden so zart und jungfräulich
und schleierhaft gestaltet, wie sie sich hold anmutig neigen in fließenden Zweigen über den
silbernen Spiegel des Galiläischen Meeres, da einzelne Blätter treiben, getrieben vom Wind, der
streicht, wie eines Psalmisten Hand über die Harfe, über die leichten Wellen, welche spielen bis an
die Wurzel der Weide. Lindgrün ist der Hain, da in den Buchen der Sonnenschein, der goldene,
spielt wie goldene Putti im grünen Arkadien lächeln zwischen den Nymphen in den hellblau
ätherischen Schleiern, denn der Himmel ist so strahlend, so heiter, so jugendlich, so frisch, so
lebendig, so neu, so klar, so rein, und der Hain ist eine lebendige Antwort, ein Empfangendes, ein
Entgegenblühendes, ein Hinanstrebendes. Und die Sonne - unser Gott ist uns unsere Sonne - sie ist
ein goldener Schild, sie ist ein Auge wie glühende Kohle, sie ist ein Feuerball, sie regiert königlich
wie eine Kaiserin im gelben Mantel, sie wandelt herrschaftlich durch ihr Reich, den grünen Hain
des galiläischen Arkadien, der Sonnenjüngling mit goldenem Pfeil und Bogen und goldblonden
Locken reitet auf seinem Roß aus Feuer durch den grünen Garten, ein bewehrter Friedensfürst, ein
Schöner, ein Herrlicher, herrlicher ist aber der Herr, Jesus, das Licht dieser Welt, die Sanftmut
selbst, sanfter als Trauerweidenzweige, sanfter als säuselnde Lenzlüfte in linden Bewegungen,
sanfter als das goldne Malen der Sonnenwellen, sanfter als das silberne Gleiten der
Schleiergewänder des Meeres, sanfter als die sensiblen Gräser, die sich neigen dem Lüftchen,
sanfter als alles in der Schöpfung ist der, durch den alles geschaffen worden: Logos, inkarniert in
Sanftmut. Dieser, der liebreiche Jesus, ging aus dem Hain zum Wege, da er einen blinden Bettler
sitzen sah, Bartimäus, der seine Hand ausstreckte. Jesus warf seinen Schatten auf den Bettler, der
spürte, daß da einer vor ihm stand, und er merkte, welche gewaltige Strömung von Ausstrahlung,
machtvoll und warm, von Jesus ausging, der zu Bartimäus sagte: "Du, siehst du das Vöglein da?"
Worauf der Blinde entgegnete: "Herr, willst du meiner spotten? Das Vöglein seh ich nicht, allein
dich erkenn ich an der Stimme, der Heiland bist du. Kannst mich sehend machen, ich wills glauben,
drum will ich dich bitten, von Herzen, Herr, auf Knien, Herr, mach den armen Bartimäus sehend,
auf daß er einmal dir in deine Augen sehen kann, Jesus, dir in deine herrlichen Heilandsaugen sehen
kann!" Und Jesus nahm ein wenig von dem guten Mutterboden, den Gott geschaffen hatte, nahm
ein wenig Speichel, den er spie in seine hohle Hand, und mengte eine Salbe daraus, die er
Bartimäus auf die Augen legte und sprach: "Sei sehend!" Da sah Bartimäus, zuerst sah er das
Vöglein, nach dem Jesus ihn gefragt hatte. Es saß auf einem Weidenzweig, der leichte Lenzwind
spielte plusternd in seinem graubraunen Gefieder, das Vöglein schüttelte neckisch den kleinen
Kopf, wie um einen unschönen Traum oder sündigen Gedanken herauszuschütteln, und neigte
seinen Schnabel auf seine rubinrote Kehle, seinen Purpurbusen, den er vorstreckte, tief Luft holte,
und ausholte zu goldnem Jubilieren, echtem Sopran, mit dem er Arien sang wie ein verzärtelter
Ziervogel, allein, weil er sich freute an seinem Leben und dieser Freude Ausdruck verleihen wollte,
ein unaussprechliches Danken dem Schöpfer, ein unbewußter Lobpreis der erlösungsharrenden
Kreatur, steigend und steigend zu den neunstimmigen Chören der neun Engelshierarchien, die alle
lobpriesen den Heiland: "Halleluja, Jesus, du tust den Blinden die Augen auf, daß sie sehen die
Taten und Werke des Schöpfers, des Vaters, der bis auf den heutigen Tag noch wirkt mit
segensreichen Wirkungen!" klang der Engelsgesang; und Bartimäus, angerührt von einer geistvollen
Emotion, er sah dem Messias in die Augen - seine Augen wie eine Feuerflamme, voll Liebe!

DREIZEHNTES KAPITEL

Jesus ward gekreuzigt! - Da schauten zu mit Mitleiden, Staunen und Lieben Maria, die Mutter Jesu,
Maria, die auch Magdalena genannt ward, da sie aus Magdala stammte, und der Jünger, den Jesus
liebhatte. – Magdalena, die Jüngerin, welche Jesus liebhatte, die Jesus liebte, die Jüngerin, aus der
er sieben Dämonen ausgetrieben, gebietend im Namen Gottes, des Lebendigen, die Jüngerin, die
ihm gefolgt war aus Magdala in Galiläa, aus dem Blaufärberweg, durch ganz Galiläa und Samaria
und durch Judäa, all seine staubigen Wege mitgemacht, die sah jetzt den, der da Wunder getan und
wunderbar gelehrt, den Sohn Gottes, den Christus Gottes, den Verheißenen, den Herrlichen, den
Retter, den sah sie nun leiden, leiden, leiden am Kreuz, am Fluchholz, am Marterpfahl der Römer,
verraten von Judas Ischkariot, überliefert von den Hohen Räten der Juden, angeschlagen von den
römischen Soldaten, begafft vom gottlosen Pöbel, verzweifelt angestarrt von den Jüngern Jesu.
Maria Magdalena, sie kniete, da sie Jesus schreien hörte, mit beiden Knien auf dem staubigen Fels,
dem Schädelfelsen Golgota, und rang die Hände, rang sie verzweifelt. Ihr langes hellrotes Kleid
floß auf den kargen Felsen, die Flut ihrer goldenen Locken floß ihr über Schulter und Rücken, zum
Beten hatte sie einen hellblauen Schleier auf dem Haupthaar, die Arme streckte sie zum Himmel
und faltete die Hände, händeringend wollte sie ihr Leid aus ihrem Leib pressen, wollte sie den
Schrei zurückhalten, um Jesus nicht zu belasten in seinem Leid, und betete leise, betete Jesus an:
"Bräutigam! Mein Liebster, mein Geliebter, mein lieber, lieber Herr Jesus! Dich bet ich an, seh ich
dich auch in deinem Leiden, dir will ich mich zuwenden mit aller Liebe, die ich gelernt hab in
meinem sündigen Leben, mit aller Bußliebe, die mich dein heiliger Geist gelehrt hat, mit aller
Gottesliebe, die dein Geist in mein Herz gegossen hat, mit allem Feuer und aller Leidenschaft will
ich mich zu deinen blutenden Füßen niederwerfen, o mein Heiland, o mein Erlöser, o mein Retter
und Herr! Nimm mich an in deiner letzten Stunde als deine Braut, als deine von dir Gerettete, als
die von dir Erlöste, die für dich Erlöste, die zur Gemeinschaft mit dir Erlöste, die nichts will als
deine Füße zu küssen mit einem Kuß meiner Liebe, aber ach! meine Küsse sind wie Nesseln und
Dornen und Gift für deine Wunden, denn mein Mund küsste schon andere Männer, die nicht meine
Männer waren, und ich hob mich nicht auf für den Einen, den Meinen, der da kommen sollte,
darum lieb ich nun nicht mit reiner heiliger Liebe, sondern mit reuiger Bußliebe, darum küss ich
nicht deine aufgeplatzten Lippen mit einem erfrischenden Kuß einer reinen Jungfrau, sondern
winde mich zu deinen durchbohrten Füßen, denn du lehrtest mich Demut! Herr! Ja, du lehrtest
mich, mich klein anzusehen und dennoch in deinen Augen geliebt, in Gottes Augen groß, gar ein
Ebenbild des Allmächtigen und Dreimalheiligen Vaters! Ich bin eine Sünderin, und meinethalben
mußt du dies Blut vergießen, das du mit Schmerzen ausschüttest aus deinem so holden, so
liebenswerten schönen Mannesleib, o Jesus, mein Geliebter! Ach dürft ich dich einmal halten, wie
eine Frau einen Mann hält, der der Einzige, der Ihre ist, aber du hast dich enthoben einer sündigen
Frauenliebe, und mit vollkommener Liebe hast du alle geliebt, auch Susanna und Johanna und
Maria Kleopas, und ich, weh mir! ich bin eifersüchtig, daß du mit gleicher Liebe liebst die andern
Frauen, die deine Jüngerinnen auch waren, aber die nie dies Feuer und diese Leidenschaft für dich
zeigten, Jesus, sag mir jetzt in der Stunde deines Wehes, ist denn deine Liebe gleichgültig und
allgemein? Gilt sie denn nicht mir ganz persönlich und mir zuerst und an vorderster Stelle? Oh mein
Messias! Wie ich dich liebe, wie ich deine Liebe begehre und wie ich... Jesus! dein Blick wandt sich
mir zu, dein Auge drang durch das halbgesenkte lebensmüde Lid und blitzte herüber mit einem
Gnadenfeuer Liebeserleuchtung in meine Seele, und oh! Messias Jesus, mein geliebter Adonai
Jeschua, Jeschua du, du liebst mich! nun bin ichs gewiß und weiß mir sicher, du liebst mich, als
wenn ich die Einzige wäre auf Erden, wenn es nie andere Evastöchter gegeben, wenn Magdalena
wäre allein auf der Welt, so wärest du gekommen von des Vaters Schoß und hättest deinen Thron
nicht festgehalten, sondern wärest gebeugt gegangen unter der Kreuzlast und hättest dich geißeln
lassen, mich zu erlösen mit deinen Striemen, mich zu liebkosen mit deinen Wunden, mich zu herzen
mit deinem Blutvergießen, mich zu küssen mit deinem Kreuzestod! Jesus! Ich kanns nicht fassen,
dich darf ich lieben? Vor dir darf ich knien und sehen wie du leidest, sehen dein Sterben, dein, der
du heiliger Sohn Gottes bist? Und alle Propheten und Mirjam und Rahel und Abigajil, sie begehrten
den Messias zu sehen und sahn ihn nicht, und ich, ich darf dich sehen, den lebendigen Christus, den
gerechten Gesalbten, den Eiferer für die Seinen, den Göttlichen, den Rechtsprecher, den Befreier
und Erlöser, den Einzigen, den Liebenswerten, den Liebling Gottes, den Kuß des Geistes! Ja, das
bist du mir, der Kuß des Geistes Gottes, den er küsst auf meinen Sünderinnenmund in diesem
Augenblick, und die Umarmung des Vaters, in diesem Augenblick, da du deine Arme ausbreitest
voller Schmerz und Wehe, Wehe, am Kreuz in deinen Leiden, o Vater, da umarmst du mich, o Jesus,
und presst mich an dein Herz, mit letztem Schlage Leben, Leben in mich hinüberzubluten,
hinüberzuatmen, mit letzter Liebe mich zu erlösen für die Ewigkeit, Gott! Allmächtiger du nun in
deiner Ohnmacht! Unbegreiflicher! Gott der Liebe, dem Haß ausgeliefert! Segen Gottes, in Fluch
ausgegossen! Gehasste Liebe, verfluchter Segen, du Menschensohn und Gottessohn, du Logos in
Fleischgestalt, dich will ich lieben über deinen Tod hinaus, dich will ich lieben in Ewigkeit! Ja,
Jesus, wenn du nicht wärst in Ewigkeit, wär mir die Ewigkeit Kot und Nichts, aber da du, ich
glaubs, in Ewigkeit bist beim Vater und Geiste der Liebe, darum lieb ich dich in Ewigkeit, und das,
das dich küssen, Jesus, das ist das wahre Paradies, das dich herzen ist Eden, das mit dir kosen ist
Himmel, das mit dir turteln in Ewigkeit, das ist Erlösung, Freude ist dein Angesicht ewig zu sehen,
Glück ist dich immer wieder zu küssen auf Stirn und Wangen und Lippen, ja! Jetzt darf ich nur mit
heißer Bußliebe deine blutenden Füße umfangen, dann aber, wenns vollbracht ist, Herr Jesus, dann
darf ich deine gottgeküssten Lippen küssen mit heiliger und erlöster Schwesterliebe, mit heiliger
engelhafter Frauenliebe dich, den Bräutigam meiner Seele, mit der ganzen gerechtfertigten
Leidenschaft meiner erlösten Seele in Ewigkeit dich umfangen und nie, nie mehr lassen, meine
Taube! Jetzt will ich mit dir sterben und mit dir ins Paradies, Jesus, jetzt, in diesem Tod am Kreuz
stirbst du meinen Tod, und in dir ist mein Tod ein Liebestod, Jesus, Jesus!" So schrie sie und ward
nicht stille, bis sie in eine Ohnmacht fiel. Und der Jünger, den Jesus liebhatte, der vernahm des
Meisters Gebot, er solle die Mutter Jesu an Mutter statt annehmen, dafür sei die Mutter Jesu dann
beschenkt mit einem neuen Sohn, der solle Stellvertreter Jesu sein, so gab der Messias Johannes
und Mirjam zusammen zu einem Paar, und so standen sie da auch: Johannes in seinem blutroten
Mantel, mit dem dunkelblond-braunen Haaren, der offenen Stirn, dem spitzen Gesicht, ein wenig
wie Mädchengesicht, ein wenig wie Milch, dem kurzsichtigen Blinzeln in den klugen und hellen
Augen, und schloß die Lider, um das Leid nicht sehen zu müssen, und stützte mit seinen Armen die
Mutter Jesu. Innerlich aber betete Jochanaan: "Meister und Herr, wie leidest du in dieser Stunde
Leiden der Sünde und Strafe des Todes, des Lohns der Sünde, für alle Welt, die gesamte
Menschheit, für alle leidest du Sündenstrafe, Pein und Tod, auf daß jeder Sünder frei werden kann
von seiner Sünde und von der daraufliegenden Strafe, denn du, Herr, trugest sie an seiner statt,
deine Striemen hätten des Sünders Striemen sein müssen, deine Wunden sind eigentlich des Sünders
Wunden, und du stirbst des Sünders Tod, und nicht eines einzigen Sünders Tod stirbst du, Jesus,
sondern aller Sünder Tod stirbst du, myriadenfachen Tod, oh! Unfaßbar sind deine Leiden, Herr,
obwohl ich auch wohl Leiden kenne, Traurigkeit und Depression und Todessehnsucht und die
schwärzesten Augenblicke, da es mir ging wie Elijahu unterm Ginsterstrauch, aber du, Herr, leidest
schwereres Leiden, ein Leiden leidest du, wie kein Mensch je tragen mußte auf Erden, denn von
Anbeginn der Zeiten und vom ersten Schöpfungstage an trug Gott den Plan mit sich, dies Leiden
aller Welt und Menschheit auf seinen ewigen Sohn, den Gottsohn zu legen, auf daß seiner
Gerechtigkeit Genüge getan werde und der Sünde Lohn ausbezahlt werde, der Tod gezahlt werde
als Strafe und Preis der grausamen Gottlosigkeit seiner ganzen Menschheit, aber gezahlt werde
nicht an die Menschheit, sondern an den Sohn, der muß den ganzen Lohn haben, und ist todesreich
mit bitterem Blutgeld und Peinzoll, auf daß frei werden kann vom Tod und aller ewigen Strafe
derjenige, der sich zu dir begibt, o Jesus, denn du bist sein Schirm vor dem Regen des Zornes
Gottes, denn bei dir ist Schutz und Schirm, und du bist der Blitzableiter, daß der Blitz nicht den
Frevler treffe, der Blitz des gerechten Zornes Gottes über tausend Freveltaten, sondern treffe tötend
den Heiligen Sohn Gottes, den einzig Sündelosen, dich, o Jesus, in dieser Stunde! Dieser Plan ist so
schwer zu fassen mit des Menschen kleinem Verstand, wie schwer zu fassen ist, daß allein
Blutvergießen kann die Gerechtigkeit Gottes befriedigen, und daß Gott nicht vergeben kann, ohne
seine Rache niederzulassen auf ein Opfer, schwer zu begreifen ist dies, und doch ists so einfach:
Ich, ich darf leben, weil Jesus meinen Tod starb! Weil die Strafe für meine Sünde ergangen ist (an
den gekreuzigten Christus), darum kann mir Gott meine tägliche Sünde täglich von Herzen
vergeben, und ist kein Gedenken meiner Sünde mehr bei dem gerechten Gott! Seh ich da des Vaters
Liebe? Daß er meiner Seele ein ruhsam Gewissen will schenken? Daß er gar meinen Tod nicht will,
obwohl er den Tod des Sünders fordert, aber will den Tod des Sünders dulden lassen den Sündlosen,
seinen eigenen, heiß und innigst geliebten Sohn der Ewigkeit, Jesus Christus, auf daß ich leben darf,
leben in Ewigkeit mit Gott versöhnt! Das ist des Vaters Liebe! Daß er das Liebste, seinen ewigen
Sohn, seinen liebsten Herzensgedanken, den Logos zum Opferlamm machte, auf daß ich nicht
geopfert werden muß auf dem Altar der Gerechtigkeit, ja, Gottes Herz gab Gott dahin, um mich zu
erlösen vom Tod, sein Liebstes, seinen Liebling riß er sich vom Munde und gab seinen eigenen
Geist dahin ans Kreuz, daß sein Geist starb, sein Geist des Lebens den Tod erlitt, auf daß ich leben,
leben, leben darf! So sehr liebt mich Gott, der Vater, der kein Vater wie andere Väter ist, sondern
der Ewig-Vater, der Erzvater, der Vater aller Vaterschaft, der kein geiziger oder ungerechter oder
böser Vater ist, sondern ein hingebungsvoll liebender und ein reich beschenkender und ein heiliger
und gerechter und ein vollkommen guter Vater ist, der Vater im Himmel, der alles unternahm, was
getan werden mußte, um mich mit ihm zu versöhnen, um mich in das Land der Lebendigen, in die
Gemeinschaft mit Ihm zu berufen! Der Vater ging in den Tod für mich, in Gestalt des Christus
Jesus, den Er durch Seinen Heiligen Geist von den Toten auferwecken wird und ihn machen wird
zum Erstgeborenen aus dem Schoß des Todes! Halleluja! Vater, Vater, laß mich ganz und gar
ergriffen sein von dieser Liebe und alle Tage meines Lebens leben für diese Liebe und dieser Liebe
würdig, Vater! Amen." Und Maria lehnte sich, einer Ohnmacht nah, zurück in den sie
umschlingenden rechten Arm des Johannes, lehnte den Kopf in den Nacken, das weiße bleiche
Gesicht aufhebend zum erhöhten Christus, die Augen schließend, die Hände händeringend ebenfalls
aufhebend zum erhöhten Christus, die Arme von der linken Hand des Johannes gestützt, der Mund,
die Lippen fast blau, der Schleier tief in die Stirn gezogen, die ganze Gestalt eingemummt in ein
weißes Gewand aus reinem Linnen, stand sie, schwebte sie fast hinter der in sich
zusammengesunknen Magdalena, und war stumm, brachte kaum ein unhörbares Gebet hervor, denn
der, zu dem sie beten wollte, Gott, der hatte Seinen Sohn ja verlassen, denn Sein Sohn, der schrie ja:
"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich aufgegeben?" Und da war sie allein mit den Schmerzen
ihres Sohnes, des gepeinigten Menschensohnes, der dem Tode nah war, und da schienen ihr alle
großen Hoffnungen zugrunde zu gehen: Er der Retter Israels, der Messias aus Juda, der König der
Hebräer? Nun so gottverlassen und todesnah am Kreuze verreckt durch die Streckung hängend:
"Wehe, Wehe! Wie soll eine Mutter diese Schmerzen tragen, wie soll eine Magd Jahweh's diese
Peinigung ertragen, da der Allerhöchste sich verbirgt hinter schwarzen Wolken und macht
Finsternisse zu seinem Zelt, und blitzt herab die verheißenen sieben Schwerter in meine Seele! Ein
Schwert, das ist ein Wehe, ein Schwert, das ist ein Mitleiden, ein Schwert, das ist ein Verzweifeln,
ein Schwert, das ist ein Ohnmächtigwerden, ein Schwert, das ist Nichtmehrbetenkönnen, ein
Schwert, das ist den Tod schmecken in all seiner Bitterkeit, ein Schwert, das ist letzte
Hoffnungslosigkeit und Einatmen der Finsternis! Diese durchbohren nicht einzeln meine Seele, daß
sie sich vorbereiten und wehren könnte, sondern alle gemeinsam fressen sich in mich herein wie ein
gefräßiger Drache und fressen meine Eingeweide auf, zerfetzen mir Herz und Nieren, Verstand und
Gefühl werden durchbohrt von diesen sieben Peinigungen, die Gott mir zugemessen hat! Warum,
Gott, warum hast du dies einer Mutter zugemessen? Warum läßt du sie erst erfahren Mutterglück
und Mutterstolz und Freude am Menschensohn, um sie dann zu berauben ihres Liebsten, ihres
ganzen Stolzes, ihrer höchsten Freude? Gott, du nahmst mir den Mann, da hatte ich ja noch den
Erstgeborenen, nun nimmst du mir Ihn, der da ein Wunder des Himmels ist, Ihn, den du so
wunderbar in mir geschaffen durch das Wort des Engels des Herrn, durch die Überschattung vom
Geiste des Allerhöchsten, da waren wir, die Mutter und der göttliche Sohn, geborgen unter den
Schwingen des Vaters, da warst du sanft und hold, o Vater, aber nun? O Vater! Vater! Wo bist du
nun? Du sagtest, wir sollten uns aufmachen, ob wir dich finden und fühlen könnten; ich finde dich
nicht in dieser Stunde, da du meinen Sohn verlassen hast, den Deinen, Gott! Und ich fühle dich
nicht mehr, Gott, ich fühle nicht mehr deine verkündete Liebe, ich fühle nur noch Gottverlassenheit,
Ohnmacht, Nacht und Schmerz! Solltest du dich zurückgezogen haben? Solltest du deine Magd in
der Finsternis zurücklassen, nachdem du sie in ihrer Demut angesehn und gebenedeit mit
wunderbarem Segen, die Magd mit auserlesener Segnung geküsst hast, o Geist? Aber nun, wehe!
Mein Sohn schreit, ihm platzen die Lippen, er verschmäht den Myrrhenwein, er wird gepeinigt mit
Essig, er spürt noch die Geißelstriemen, die Dornen der neunschwänzigen Peitsche, noch dringt die
Galle ihres Spottes durch sein zartes Gemüt, ihm bohren sich Dornen in seine Stirn, da rinnt das
Rinnsal Blutes herab, ihm zerreißen sich schier die gestreckten Arme, ihm schreien die Wunden, da
sie Nägel durch seine Hände geschlagen, und Nägel durch seine Füße geschlagen, Gott! Wie soll Er
das tragen, wie soll er den Schmerz ertragen, da er ja die Sünde der ganzen Welt zu tragen scheint,
wie soll er, der geschaffen ist für die Herrlichkeit Gottes, er, dessen Seele fähig ist und rein genug,
in Gottes Gemeinschaft paradiesisch zu leben, herrlich und ewig, wie soll er die Schmerzen tragen,
die ihm der Haß der gesamten Menschheit zuträgt, wenn, Vater, wenn Du ihm nicht beistehst, Gott,
wenn du dich nun auch noch abwendest! Er in seiner Menschheit, er hat seinen Gottesstand bei dir
gelassen, und du, du läßt ihn nun und hilfst ihm nicht durch deinen Heiligen Geist mit Trost und
Kraft aus der Höhe, sondern lässt ihn im Blut und in Marter verrecken an dem gesammelten Haß
der Sünder? Wieso, Gott, wieso mißt du ihm diesen Rachebecher, diesen Taumelkelch des Zornes
zu, wo er doch Sündeloser war und ist und sein wird? Warum, Gott!?..." Da sank sie zusammen und
ward ohnmächtig, Johannes ließ sie gleiten auf den Schädelfels, hob das Haupt und sah Mitka
kommen. Diese trug ihr dunkelblondes Haar bis auf die Schulter, da es sich in Wellen legte, und
weiterfloß, ihre Augen waren dunkelblau und von einem sonderbaren Blitzen erleuchtet, ihre
Lippen waren fein und schmal und etwas schimmernd von feuchter Röte. Sie hatte einen zierlichen
Körperbau und trug sich nun etwas bedrückt zu der Familie der Freunde. Ja, sie war auch eine
Jüngerin Jesu, die unten durch das Gedränge nicht eher gekommen war, und nun sah sie Maria und
Magdalena in Ohnmacht liegen und wandte sich ernst an Johannes, die Brauen etwas bewölkend
über den schönen Augen zusammenziehend, sagte sie: "Mir nahte der Erzbösewicht, der Feind
Gottes und der Menschen, Christi Versucher, die alte Schlange, der dreimalverfluchte Satan mit
Pestgestank und in einem Schillern, Libellen am Abend ähnlich, und flüsterte albernes Zeug über
die Kreuzigung. Ich verstand nicht recht, was der Böse damit sagen wollte, er wollte wohl nur
spotten, aber der Spott gelang ihm nicht, denn vielleicht wußte er, daß der Heiland in seiner größten
Schwäche noch mächtiger ist als der gefallene Engelfürst auf der Höhe seiner Macht, denn er ist
geschaffen, aber Gottes Wort ist Schöpfer! Darum zitterte Satan und wußte wohl, ihm bleibt nur
mehr wenig Zeit. Aber da er nicht rastet und ruht, weil er nur ein Ziel kennt, die Seelen von Gott
abzubringen, darum trieb ihn unselige Unrast zu mir. Mir ging es gar nicht gut, denn ich hatte an all
meiner Verzweiflung nicht weniger zu tragen als an Kefas Verzweiflung auch, der mir seine
Leugnung bitter beklagte, und auch Jimna wußte nicht im geringsten zu trösten und zu erklären,
warum der Herr ans Kreuz gekommen? Diese Verzweiflung und dies Unwissen sah der Böse und
nutzte es aus, wollte es jedenfalls, und nahte mir, indem er sich lustig machen wollte über den
heiligen Schmerz des dreimalheiligen Herrn! Weiche von mir, Spötter, rief ich, und flehte den
verborgenen Gott des Himmels um Beistand an, und sagte, wie Michael, der Erzengel sagte: Der
Herr schelte dich, Satan, der Herr strafe dich und werfe dich ins ewige Feuer des schrecklichen
Verderbens! Ich merkte nicht, daß Satan wich, sondern er versuchte, mich zu irritieren, indem er
seine Lästerungen aussehn ließ wie meine Gedanken, aber da kam mir der Heilige Geist zu Hilfe
und sagte: Satan, deine Stunde ist gekommen, heute, da Jesus Christus am Kreuze stirbt, da wird
dein Todesurteil unterschrieben, nun hinweg im Namen Gottes! Und Satan wich, und ich lachte ihm
hinterher: Du Affe Gottes und Erznarr, gottloses Biest, deine Bemühungen sind umsonst, denn wer
in Gottes Hand ist, den kann niemand aus des Herrn Hand reißen!" Johannes stimmte grimmig zu,
sah dann zum Kreuz. Jesus sah zu den Seinen herüber, sah zum Himmel, und schrie: "Abba, Abba!
Meinen Geist in Deine Hände!" und verschied. Die Bestürzung bei den Heiligen war sehr groß.

VIERZEHNTES KAPITEL

Und sie nahmen Ihn ab vom Kreuz, denn dazu hatte Josef von Arimathia die Erlaubnis bekommen
vom Gouverneur Pilatus. Josef hatte rotbraune Haare und ein bartloses Gesicht, bleich und mit einer
langen flachen Nase, er trug einen scharlachfarbenen Mantel und hielt in seinen Armen den bloßen
Christus, der verwundet war am ganzen Körper: Ihm war das Blut von der Dornenkrone her auf den
ganzen Leib gelaufen, seine Hände waren wund und seine Füße, und seine Seite hatte ein römischer
Hauptmann aufgestochen. Er war nackt bis auf einen Lendenschurz, sein Gesicht sah schwer und
ernst und tiefsinnig aus, da er in Leiden und doch im Bewußtsein Gottes gestorben war, da war
nicht nur Lächelfriede, da war ernste Ruhe, von Leiden gezeichnetes Antlitz, ein entseelter Leib,
kein Hauch entwich der Nase mehr, kein Zucken zierte mehr Nasenflügel und Augenlider, seine
Lippen waren blaß und kalt - er war tot! Er, der gesagt hat: Ich bin das Leben! Er war nun tot!
Maria kniete zu seinen Füßen, der Schleier tief über die Augen gezogen, unter den Augen schwarze
Schatten und Spuren von Tränen, mit einem stummen Pressen ihres Mundes, verbittert durch das
schwere Schicksal, ergeben in das von Gott ihr zugeteilte Los, saß sie und sah sie Josef zu, wie er
mit dreien seiner Diener den Leichnam Jesu trug auf einer Bahre zu dem nahgelegenen
Grabhöhlenplatz, da er, Josef von Arimathia, sich eine eigene Grabhöhle schon gekauft hatte, die
noch nie benutzt worden, die er nun zur Verfügung stellte dem Heiland der Welt in seinem toten
Leib. Er war ja nicht mehr darinnen, sein Geist war ja wandern gegangen in die unteren Regionen,
die tiefen Örter der Finsternis, anzuklopfen an uralte Pforten, eherne Tore der Unterwelt,
anzuherrschen den Hades, daß er freigebe Adam und die Propheten. Und Josef von Arimathia und
Maria, die Mutter von Joses und Jakobus, und Maria, die aus Magdale, sie beteten vor der
Grabhöhle, da sie Jesus im Linnengewand des Todes, mit dem Schweißtuch der Stirn, hineingelegt
hatten, beteten nun den unverstandenen Gott an: "Herr! Deine Wege sind uns unverständlich, dein
Schicksal, daß du über den Menschensohn Jeschua beschlossen hast, können wir nicht ergründen.
Du hast ihn uns doch zum Retter gegeben, das haben wir doch geglaubt, als er das von sich
bezeugte, und du ihn zu bestätigen schienst mit Zeichen und Wundern und einer Donnerstimme
vom Himmel her: Das ist mein geliebter Sohn, an ihn sollt ihr glauben! - Und nun, wo ist er hin?
Wem predigt er noch, wie könnt er uns lehren, wie kann der Tote uns heilen? Wir haben Sehnsucht
nach seiner Sanftheit, seiner heilsamen Rede, seinen liebreichen Blicken, seinem guten Gemüt,
seiner feinen Seele, seiner Schönheit der lichten Augen, seiner tiefsinnigen Stirn, seinem geduldigen
Zuhören, seinem Verständnis, seinem Einfühlungsvermögen, seinem guten Zureden, seinem Raten,
seinem Gebieten, seinem Weisen, seinen Visionen und Eindrücken vom Heiligen Geist; sein Wissen
von dir, o Vater, seine Offenbarungen deines Wesens vermissen wir, und ohne ihn, deinen Sohn,
wissen wir dich nicht mehr zu verstehen, Gott!" – „Siehe, der Menschensohn war wie ein Baum, an
den fließenden Bächen gegründet, der seine Bergamotten-Orangen uns zur Labsal gab, als es an der
Zeit war, die der Herr für ihn bestimmt hatte, seine Blätter waren heilsam wie die Blätter vom Baum
des Lebens, sie boten Schatten vor der judäischen Sommersonne und rauschten, wenn der Odem des
Himmels ihn anrührte, rauschten und zitterten. Alles, was er tat, ob es Heilungen waren oder
Lehrpredigt, Wunderwirkungen des Heiligen Geistes oder prophetisch des Vaters Wort uns sagen,
ermutigen Niedergedrückte oder ermahnen Sünder, alles, was er tat, gelang ihm; und nun, nun soll
sein Lebensentwurf ihm mißlungen sein, sein Lebensstil soll zum Tode geführt haben? Er ist doch
nicht nur ein dürrer Baum! Hat denn Gott unsere Hoffnung zerspalten, wie der Blitz Jehowahs einen
Baum zerspaltet? Siehe, für einen Baum gibts noch Hoffnung, wenn er abgehauen wird, so treibts
Gezweig aus seinem Rumpf, seine Wurzel mag altern, so treibt sie doch noch Grünlinge neu hervor,
vom Duft des Wassers lebt die Wurzel auf und treibt neue Zweige wie frische grüne Pflanzen; aber
da der Menschensohn gestorben ist, da soll er hingestreckt bleiben? Da er verschieden ist, der
Menschensohn, sag mir, wo ist er? Der Tod achtet Eisenmänner für Stroh und Erzmenschen für
wurmstichiges Holz! Der Mensch ist gleich einem Splitter auf der Fläche des Wassers. Aber wenn
die Terebinthe Baschans und die Eiche vom Eichgrund gefällt werden, ihr Stumpf wird ein heiliger
Same sein, und solls nicht so auch sein mit dem Überrest des Messias? Er war doch auserlesen wie
die Zedern des Libanon, er war eine Zeder inmitten von Stechdornen, er war der Gerechte! Denn so
sprach der Herr Jahwe: Er würde nehmen vom hohen Wipfel der Zeder und wirds einsetzen auf
einem erhabenen Berge Israels, er soll Zweige treiben und Frucht bringen und zu einer prachtvollen
Zeder werden, daß unter ihr alle Töchter des Gesanges treiben und singen mit Stimmen, dünn wie
müde Mühlräder am Abend, im Schatten der Zedernzweige werden sie wohnen und preisen ihren
Schöpfer! sagt das Wort Gottes, und nun, wohin ist diese Zeder? All unsre Hoffnungen in ihm,
wohin? Nimmermehr, nimmermehr? Diese Zeder auf dem Libanon, diese Prachtzeder, sie ward
nicht verdunkelt von andern Bäumen im Garten Gottes, Zypressen glichen ihr nicht mit ihren
traurigen Zweigen, Platanen kamen ihr nicht gleich mit ihrem breiten Geäst, kein Baum im Garten
Gottes glich ihr an Schönheit. Schön hat der Herr Jahwe sie gemacht in der Fülle ihrer Zweige, es
beneideten sie alle Bäume Edens, die im Garten Gottes wuchsen. Aber sie ward dem Tode
preisgegeben inmitten der Menschenkinder. Darum spricht der Herr Jahwe: An dem Tage, da sie
hinunterstieg in die Unterwelt, da verursachte ich Trauer, ließ fließen die Fluten trauriger Wasser; in
Schwarz hüllte sich ihretwegen der Libanon, alle Bäume des Feldes verschmachteten ihretwegen.
Aber wie herrlich wird Israel sein, wie eine herrliche Zeder, gepflanzt am Wasser, wie
Cardamomen, die Jahwe gepflanzt hat, denn der Gerechte ist ein grünender Ölbaum im Hause
Gottes, prangend mit stattlicher Frucht, und viele Völker werden abklopfen die reichlichen Beeren
aus seinen Wipfeln und Gezweigen und sich nähren mit seinen Beeren, gleich dem Weinstock, von
dessen Beeren sie Freude trinken werden. Ausgegossenes Öl ist sein Name, trunken wie Wein
macht seine Liebe. Ja, er wird sprossen wie eine Palme, der Gerechte, der wie eine Bergamotten-
Orange inmitten von Judasbäumen ist, und goldene Bergamotten-Orangen auf silbernen Schalen, so
sind seine Worte, und das Wort aus seinem Munde duftet wie der Duft von süßen Äpfeln, sein Mund
gleicht einer Frucht vom Baum des Lebens, denn er, er ist der Baum des Lebens, und seine Worte
sind Worte des Lebens." Und da stand ein Engel vor dem offenen Grab, das... leer war! Und da
stand der Engel, weiß wie ein Blitz und ebenso leuchtend (so ein Weiß sah man damals nirgendswo,
ja nicht einmal der Schnee auf dem Hermon war so weiß, erst recht kein Linnen gabs von solcher
Reinheit), und der Engel rauschte mit seiner Stimme, die wie Meeresrauschen klang: "Jubelt, o
Himmel, denn vollführt hat es Jahwe! Jauchze, o leeres Felsengrab! Brecht in Jubel aus, Morijah
und Zion, Hermon und Baschan! Du Wald des Libanon und du Palme Jerusalems, jubelt und
jauchzt! Freuen soll sich der Himmel, freuen soll sich die Erde, es brause das Mittelmeer und das
Rote Meer, es jauchze das Milch- und Honig-Land von Kanaan, jauchzen sollen alle Cardamom-
Bäume Palästinas, denn Jahwe hat es vollbracht! Rühmet, ihr Himmlischen, rühmet, ihr Heiligen,
Jahwe in den Himmeln, Jahwe in der Höhe! Rühmen sollen ihn Plejaden und Orion, die astrale
Jungfrau und der Mond! Die Sonne und die Gewässer an den Himmelsgestaden sollen loben den
Höchsten, der droben wohnt im Himmel der Himmel: Jahwe! Er, er hat es vollbracht! Weit wie die
Himmel reicht seine Gnade, weit wie die Wolken seine Treue, ja, hoch über die Himmel hinaus ist
seine Gnade und dauerhafter als Wolken seine Treue! Denn Jahwes Same wird ewig währen, sein
Thron scheint mir gleich der Sonne zu sein, so unermeßlich von Bestand, und länger während, und
länger bestehend als der Mond, der schon dauert in die Zeiten der Zeiten, aber ewig, ewig dauert die
Herrschaft des Sohnes Gottes! Schön wie der Mond, schön wie die Sonne sein Antlitz! Blicket, ihr
Heiligen, blicket gen Himmel und zählt die Myriaden Sterne, zählt ihr sie zuende? So zahlreich
sollen Jahwes Kinder sein, die er alle gegeben Adonai Jeschua! Dem gegeben sind die
Auserwählten, ihr seine Erstgeborenen, die Erstgeborener seiner... Auferstehung! Die Geschwister
Jesu werden leuchten wie die Himmelsbläue, die Auserwählten werden schimmern wie die schönen
Sterne droben! Wie bist du aus der Nacht wieder auferstanden, o du leuchtender Morgenstern?! Ja,
du bist der Stern, der hervortrat aus Jakob! Wo wohntest du, Licht, die vergangene Nacht? Wo ist
der Ort der Finsternis, daß du ihre Grenze durchbrachest, kanntest die Pfade zu ihren schwarzen
Hütten und kamest aus den Toren des Feuerpalastes drunten hervor mit siegreichem
Morgensternglanz, o du Herrlicher! Dein Glanz ist gleich dem Lichte Gottes, und ein Strahlen wird
zu deiner Seite sein, als da ist das Strahlen und Schimmern deiner Geschwister im Geiste! Da du
über die Menschen herrscht in Gerechtigkeit und der heiligen Ehrfurcht vor Gott dem Herrn, da bist
du wie das Licht des Morgens, wenn die Sonne aufstrahlt, am Morgen wolkenlos, wenn vom
Morgenglanze nach dem dunklen Regen junges Grün aus der Erde sproßt. Ja, du bist das
siebenfache Licht der Sonne, du machst den Heiligen ihre Dunkelheit zu einem strahlenden Mittag,
ihre Lebenszeit wird durch dich und das von dir gespendete Glück heller als die Mittagszeit, und
mag es melancholisch-dunkel sein, so wird es immer noch wie ein zarter Morgen sein. Laßt uns
erkennen, o ihr Heiligen all, laßt uns erkennen Jahwe in Jeschua, denn gleich der Morgenröte wird
er hervortreten! Wer ist er, der blicket wie die Morgenröte, mit Wimpern der Morgenröte? Der Herr
Zebaoth ist es, der Herr der Himmlischen Scharen, der allmächtige Gott, der euch begegnet in
Jeschua. Was sucht ihr ihn bei den Toten, den so Herrlichen? Er ist... auferstanden! Auferstanden!
Feiert Jesus, denn er ist auferstanden! Halleluja!" rief der Engel mit einer Stimme wie
Meeresrauschen, einer Stimme, die Zedern spalten kann und Hirschkühe kalben machen, und
schwand in die unsichtbare Welt Gottes. Die beiden Marien standen still und starr und staunten.
Und Magdalena ging in dem Garten bei den Felsengräbern, zwischen den Cardamomen, den Zedern
und Zypressen, den Eichen und Buchen, den Öl- und Feigenbäumen, den Wacholder- und
Ginstersträuchern, den Narzissen und Lilien, Anemonen und Pfingstrosen, den Alraunen und
Liebesäpfeln, zwischen den Gräsern ging sie mit bloßen Füßen in goldnen Sandalen. Sie trug ein
helles rotes langes Gewand, das gut ihre langen goldenen Locken hervorhob. Sie schritt hin und her,
in seliger Unruh, holder Verwirrtheit, denn die Worte des Engels machten sie in einer langen Reihe
von Fragen staunen: War Er nicht zuende und für immer fort und tot? Inwiefern war er
auferstanden? Wie sieht so eine Auferstehung aus? Haben die Pharisäer doch recht gehabt und die
Sadduzäer unrecht? Ist Jesus jetzt ein Engel, ist er im Himmel, ist er unsichtbar, wo ist er? Wie geht
es ihm jetzt? Erinnert er sich noch an seine geliebte Magdalena? Denkt er noch an seine Freundin
Maria Magdalee? Oder hat er alles vergessen, was irdisch ist? Ist er jetzt ein Herr der Sterne? Ruht
er jetzt in Abrahams Schoß? Hat er noch einen Leib? Und was der Fragen mehr noch waren. Da
ging in dem Augenblick ein Mensch vorüber: "Guten Tag, Herr Gärtner dieses Gartens! Haben Sie
den Leichnam meines Herrn aus diesem Felsengrab herausgenommen? Wie haben Sie den
Felsenblock davor wegbekommen? Wo haben Sie den Herrn meiner Seele hingelegt, daß ich ihn
salben kann? Oder haben Sie ihn auferstehen sehen und gen Himmel fahren?" Der Gärtner trug ein
weißes Gewand, und sagte zu ihr: "Maria..." und wie er es sagte, da, da fühlte sie in ihrem Innern:
Gott ists! Ja, der Herr ists, der sie bei ihrem Namen ruft, denn sie ist Seine Freundin! Das war doch
die Stimme Jesu, die Stimme, die Berge beben macht und Meere anschwellen, die Stimme, die die
Einhornweibchen erregt, die Stimme, die Donner erzeugt und den Sirjon hüpfen läßt wie einen
Farren! Diese Stimme, die so sanft war wie Sommermondnacht, so sanft wie
Nachtigallenschluchzen, so weich wie Meeressand, so rauschend wie Rauschen in Muscheln, so
rieselnd wie klare Bergquellen, so süß wie Engeltrost, so fein wie Morgengold, so rein wie
Schöpfungslicht: Jesus säuselte: "Maria... Maria..." Und sie kniete hin, vorm leeren Felsengrab, ihm
zugewandt und streckte die Hand aus, seine Hand zu fassen. Jeschua wandte sich ein wenig zur
Seite, er schulterte die Axt des Gärtners, und wandte sich, zu gehen, und sagte:"Bald begeb ich
mich zu meinem lieben himmlischen Vater, an seine Ehrenseite mich zu setzen. Du, sag du meinen
Jüngern, daß ich nicht mehr tot bin, daß stattdessen der liebe himmlische Vater mich auferweckt hat
von den Toten, daß erfüllt worden ist, was geschrieben steht: Am dritten Tage werde ich
auferstehen; und siehe, ich bins! Nun laß mich, denn ich gehe, dir eine Wohnung zu bereiten im
Reich meines lieben himmlischen Vaters, denn ich gehe, zu kehren heim zu meinem Thron, dem
Schoß meines lieben himmlischen Vaters, o Magdalee, meine liebe Freundin, von wo ich
wiederkehren werde, der Menschensohn mit seinen heiligen Engeln auf den Wolken, am Tage der
Auferstehung aller, am Tage des Jüngsten Gerichts, am Tage meiner Wiederkunft wirst du mich
anrühren dürfen mit deinen verklärten Händen und kosen deinen Heiland, denn ich weiß, daß du
mich liebst, o Magdalee, aber dich lieb ich mehr noch, denn ich liebe dich mit der Liebe deines
Schöpfers, mit der Liebe Gottes, meines lieben himmlischen Vaters und deines lieben himmlischen
Vaters!" Und damit schwand Jesus aus dieser lichten Morgenszene und hinterließ einen
Wohlgeruch, das war der Odem des Heiligen Geistes, ein spirituelles Aroma, ein Weihrauch
göttlicher Gnade, ein Wohlgeruch wie Öl von Rosen, denn Gottes Geist umsäuselte, von Jesus
ausgehend, zu ihrem Troste Magdalee, denn sie war ein wenig traurig, daß Er gegangen war, aber
durch die Segensarbeit des Heiligen Geistes ging ihr durch eine Erleuchtung die Wahrheit auf:
Freude über die Auferstehung Jesu! Und so ging Magdalee mit einem Schweben wie Morgen, wie
Lerchentanz auf Wonnegezweig, wie Tanz von goldenen Stäubchen im Mittagslicht, wie Beben von
Lindenblättern, wenn Bienen ihre süßen Blüten umwerben, erfüllt mit dem innerlichen Kuß des
Geistes Jesu, zu Maria, der Mutter des Geliebten, die da am Rande des Gartens schon ungeduldig
wartete auf die jüngere Freundin, die ihren Sohn so sehr geliebt, ja, wie Maria geliebt den Herrn, so
hat Maria geliebt den Sohn, ihren Herrn, die eine mit Frauen-, die andere mit Mutterliebe, aber
beide mit gläubiger Liebe, denn sie sahen beide in Jesus, dem Freund, dem Sohn, den wahrhaftigen
Sohn des lebendigen Gottes, den Messias, ihren Herrn und Gott! Mirjam, die Mutter, sie bettete sich
mit einiger Aufregung und bat, um Ruhe zum Schlaf zu finden, den Vater: "Vater, du weißt, was
Magdalee heut erlebt hat, daß sie den Sohn gesehen, auferstanden, und ich, was soll ich sagen? Ob
es das Wirken deines Geistes war? Ich bin sehr erschöpft, Vater, ich bitte dich, daß du mir deinen
Geist der Wahrheit sendest, daß er mich leite in die Wahrheit über Jesus, auferstanden, aber wie?
Vater, und nun möchte ich meine Gedanken in deine lieben und guten und sanften Vaterhände legen
und will dich bitten, daß du mir einen inneren Frieden gibst, wie die Welt ihn nicht geben kann.
Amen." Und Maria legte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter ihrem Nacken, um
einfach auf den Schlaf der Nacht zu warten. Bald bemächtigte sich der holde Schlaf ihrer Glieder,
der gliederlösende, und sie wandte sich auf die Seite und zog die Kniee an, da sank sie von
Schlafphase tiefer in Schlafphase, bis sie in der Traumschlafphase mit den rasant sich bewegenden
Augen ankam, da sie träumte: Herrlich! Sie sah eine Nacht, da wenige Sterne funkelten, die
plötzlich wie zu erlöschen schienen vor einem großen herrlichen Offenbarungslicht: denn sie sah
Jesus! Aber anders irgendwie, als sie ihn kannte, denn er war fast mehr aus Licht als aus Fleisch,
aber dennoch nicht wie ein Engel des Himmels Schimmer, sondern Mensch, aber ein Mensch im
Geistleib, irgendwie nicht recht zu fassen und doch konkret, zu seltsam für ihren Sinn! Er schien
aus einem Fels zu schweben, in die Höhe zu schweben, und zu seinen Füßen lagen ganz und gar
irdische römische Soldaten, lagen umgeworfen und zerstreut auf dem Boden, zwischen Steinplatten,
die umgeworfen worden waren, und drüber schwebte triumphierend der Herr! Er schien bloß zu
sein unter seinem herrlichen Mantelumwurf, der war rot, aber mehr rot als Purpur oder Scharlach,
rot wie Feuer und Glut und Rose und Morgen und Liebe! Ein herrliches Feuerrot umfloß ihn, an den
Säumen zu einer goldenen Glut zerfließend, in seinem Rücken aber zu einem Violett, das sich bis
ins Bleiche, ja bis ins Lichte, ins strahlend Lichte umfärbte und niederfloß. Jesu Haare waren von
einem himmlischen Gold, von einem strahlenden Licht, denn es war die Glorie, die seine Gestalt
und sein Haupt umgab, die zurückstrahlte auf sein Haupthaar, und diese Glorie war eine große
Feuersonne, nicht die natürliche Sonne, sondern Jesus war Sonne und Gottes Schild aus goldenem
Feuer! Und der Herr sah sehr mild und ruhig aus, voll inneres Friedens, und hob seine Hände, an
denen Wunden zu sehen waren, echte Wunden an seinen verklärten Händen. Und Maria schauerte,
und ihre Glieder zuckten, und in ihrem Traumbewußtsein hörte sie den Propheten reden: "Ich bin
es" und dieser Satz hallte in ihrem frommen Innern wieder, so daß es klang wie "Ich bin, der ich
bin", und er war tatsächlich, ja er ist, er ist lebendig und da, und er wird sein in alle Ewigkeit, er, der
Ich-Bin! Und am nächsten Tage, da saßen Mutter Mirjam und zehn Apostel zusammen, zehn
Apostel, denn der Sohn des Verderbens hatte sich erhängt, und Thomas war außer Hauses, darum
waren da Simon mit dem Beinamen Petrus, und Jakobus, der des Zebedäus einer war, und Johannes,
Jakobi Bruder, der mit der hohen Stirn und dem milchigen Mausgesicht, der liebe, der den
Beinamen Boanerges trug, ein Jünger, den Jesus liebhatte, und Andreas und Philippus und
Bartholomäus und Matthäus der Zöllner und Jakobus, der des Alphäus, und Thaddäus und Simon,
der Zelot und Kanaanäer; und diese saßen einmütig beieinander und beteten: "Kyrie eleison! Wir
sind so arm dran in diesen Stunden, denn wir wissens nicht, was uns geschehen oder nicht
geschehen. Denn der Herr sei, sagte Magdalee, ihr erschienen im Garten zwischen Cardamom-
Bäumen, nahe des Felsengrabes, da Petrus und Johannes hinliefen, ja rannten, und kamen außer
Atem und schwitzen vom Lauf, und sahen aber nichts im Grab, es war leer! Wo, sag es uns, o Geist
Gottes, ist der Herr? Sollen wir nun hoffen oder verzweifeln? Wir wissen gar nicht mehr zu beten,
Vater, uns fehlen die Worte, denn wir wissen nicht, was recht ist und wie es recht ist dich zu
lobpreisen? Bist du nun der Vater der Auferstehung? Oder war alles mit dem Sohn Illusion und du
allein bist Gott, der Herrgott? Herr Herr, gib Antwort unserm fragenden Sinn, was ist mit dem
Kyrios Jesous?" Und im selben Augenblick stand Er da, im Raum (obwohl Türen und Fenster
richtig verschlossen waren) und nicht in eines Engels, sondern in eines Menschen Gestalt. Und
einige erkannten ihn und einige nicht, aber die ihn erkannten, sagten: "Der Herr ists!" Und die
andern glaubten, denn da erkannten sie ihn auch, und sie glaubten, da sie sahen und riefen: "Der
Herr lebt! Jesus, der Herr, ist lebendig!" und andere: "Christus ist erstanden!" und wieder andere:
"Er ist wahrlich auferstanden!" Und Maria: "Herr, mein Gott, ich preise dich, denn du bist nicht ein
Gott der Toten, sondern der Gott und Vater meines lieben Jeschua! Jeschua, du bist lebendig, du bist
nicht bei den Toten geblieben, bist wahrlich Gottes Sohn, Gott gleich an Lebendigkeit, Gott gleich
an Ewigkeit, Gott gleich an Herrlichkeit und - Liebe zu mir, ich fühls, mein Herr und mein Gott!"
Und Jesus, der Auferstandene, er zeigte sich noch dem Thomas, und weiterhin den Seinen am See
Kinneret, und stieg dann in der Hülle einer Wolke in die unsichtbare Welt Gottes, an die Ehrenseite
des Vaters, der ihm gab Macht und Herrschaft, ihm, der seinen Jüngern gesagt: "Macht zu Jüngern
die Völker und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und
siehe, ich bin bei euch alle Tage mit meiner Liebe bis an das Ende aller Äone!"

FÜNFZEHNTES KAPITEL

Preist den Geliebten, denn seine Gnade - ewig! Preist den Gott aller Schönheit, denn seine Gnade -
ewig! Preist den Gott, den Geist, denn seine Gnade - ewig! Preist den Kommenden, denn seine
Gnade - ewig! Preist den Gott aller Wahrheit, denn seine Gnade - ewig! Preist den Trost der Seinen,
den Tröster, denn seine Gnade - ewig! Preist den Balsam auf alle Wunden unsrer Herzen, denn seine
Gnade - ewig! Preist das Öl und die Salbe Gottes, denn Gottes Gnade - ewig! Preist den Gesalbten
und den Geist der Salbung, denn seine Gnade - ewig! Preist die Liebe, die eine Flamme ist Jahwes,
denn seine Gnade - ewig! Preist das Feuer Gottes, das die Liebe ist, die er in unsre Herzen gießen
will, denn seine Gnade - ewig! Preist den Gekreuzigten, Auferstanden, denn seine Gnade - ewig!
Preist den Herrn, Halleluja, preist den Herrn, denn seine Gnade - ewig! Amen. Amen. Und in
Jerusalem saßen sie beieinander, die gekommen waren vom Ölberg der Himmelfahrt, durch das
Kidrontal den Weg in die Stadt hinein, sich dort zu versammeln im oberen Raum eines Hauses, das
einem Jünger gehörte, der es zur Verfügung stellte der Apostelversammlung, da sich nun die
Apostel, einige Jünger und einige Frauen, die Jesus gefolgt waren, um die Mutter Jesu
versammelten. Und sie saßen da betend, in lauter Einmut und innerer Geschlossenheit, in
hervorragender Atmosphäre, frommer Stimmung. Da stand Johanna, die aus Mizpe gekommen mit
ihrer Schwester Susanna in die Gefolgschaft des Meisters. Johanna (Jahwe ist gnädig) war die Frau
des Herodesverwalters Chuza, der ihren Glauben tolerierte, ja, der so großzügig war, daß er es
zuließ, daß Johanna viel zum Lebensunterhalt des Meisters und seiner Wanderjünger beitrug, bis
sich Chuza selbst bekehrte, der Schwager Susannas, der Lilie, die Jesus geheilt hatte. Johanna war
eine etwas füllige Frau mit braunen Locken auf ihre Schultern fallend. Sie hatte normalerweise ein
heiteres Temperament und lachte viel und gern. Ihr Lieblingsvers war der, daß Gott ihr den Mund
voll Jubels machen wolle und ihre Zunge lachen. Sie trank keinen Wein, und dennoch war ihr Herz
ein Fest, und mit wem sie ging, den heiterte sie auf mit ihrem freien herzhaften Lachen. Sie lachte
nicht über die Schwächen der Menschen, sie war keine Spötterin, sie konnte aber herzhaft lachen,
wenn sie eine Ente watscheln sah oder wenn sie ein schönes Wortspiel hörte, wie das von Schem
und Schemen, dem Namen und der Salbe, denn der Name des Bräutigams war ihr der Name des
Gesalbten und ein Odem und Wohlgeruch des Heiligen Geistes. Da freute sie sich am Hohenliede
Salomoni, denn sie bezog es geistlich auf den Heiland; das hatte sie gelernt von ihrer Schwester
Susanna. Diese hatte eine geistliche Leidenschaft für Jesus, die ans Liebhaben einer Frau zum
Manne grenzte, und nannte Jesus immer ihre Hennablüte und Zypertraube und sagte, seine Worte
seien lieblicher als der Wein der Freude, denn es seien Worte des Heiligen Geistes, und so weiter,
was man so schwärmerisch nur so in lauter Entzückung sagen und dichten kann. Susanna hatte
hellblaue Augen, etwas vorstehend, hellblau wie hellblaue Lilien, passend zum Namen, und helle
Haare. Sie war zweiundzwanzig Jahre jung gewesen, als Jesus sie in Mizpe getroffen, da kam er
gerade von Maria und Martha und Lazarus, und er sah sie an, und sie fühlte seine Ausstrahlung als
eine Ausstrahlung reiner Liebe und war angetan und fühlte sich geliebt: Sie hatte solch einen
Liebeshunger und dachte, bei Jesus, da könnte der Liebeshunger gestillt werden. Und nun taten sich
Johanna und Susanna zusammen zum Gebet, und Martha und Magdalena, Philippus und Nathanael
sagten Amen dazu, und schließlich betete die Frau des Kleopas und dann die Jüngerin Salome, und
Johannes und Thomas sagten Amen dazu, sie beteten alle in Einmütigkeit und geistlichem
Zusammenhalt, und ihre Gebete lauteten: "Herr! Lehre uns, o Vater, durch deinen guten Heiligen
Geist, dich zu loben und preisen und anzubeten! Herr Jesus, der du jetzt beim Vater bist im
unsichtbaren Reich, sende du uns, wie du uns verheißen, deinen Geist der Wahrheit, den Parakleten
und göttlichen Propheten, der uns lehrt, in deinem Namen, Jesus, Gott den Vater anzubeten:
Schöpfer, Gott Israels, Vater Jesu Christi! Dich wollen wir lieben wie Kinder, in Herzensreinheit
dich schauen, o Gott, und die Kraftwirkungen deines Heiligen Geistes sehen, und küssen, küssen
den Sohn! Halleluja, Amen!" Und am Tage des Wochenfestes, des Festes der Ernte oder der
Erstlinge, sieben Wochen nach der Darbringung der Erstlingsgarbe am Fest des Ungesäuerten
Brote, dem Passah, da versammelten sich wieder die Jünger an Einem Ort. Und Nathanael, welcher
schön singen konnte, sang ein Stück jüdische Poesie: "O wie schön und lieblich ists, wenn Brüder
in Eintracht beisammen sind, 's ist wie's Salböl im Barte Aharons, welches fließet darnieder an den
Saum seins Gewandes, und wie Öl vom Hermon und Tau. Siehe, die Einmut ists, die uns getragen
zum Feste Gottes dahin, siehe die Bruderliebe ists, die uns Erweis, daß wir liebhaben Zevaot, den
Gott vom Berge Tsyon, oh Ihn, Preis sei oh Ihm!" Und die Zuständigen brachten ein Speiseopfer
vom neuen Korn, zwei Schwingopfer von Feinmehl, und Brandopfer (zwei Farren, einen Widder
und sieben einjährige Schafe), einen Bock als Sündopfer und zwei einjährige Schafe als Dankopfer.
Außer diesem Pflichtteil sollte Israel noch eine freiwillige Gabe darbringen, ein jeder Israelit nach
dem Maß seines Gedeihens, so viel er entbehren konnte, als Ausdruck seiner Liebe für Jahweh, und
sollte fröhlich sein vorm Herrn mit Mägden und Sklaven in Freiheit. Und während aber an ihrem
Ort die Jünger beisammen waren, Matthias unter ihnen, der neue Zwölfte, da kams wie
Feuerrauschen und Morgenröte und lauter Rosenzungen, wie goldener Regen, wie Sprachen vom
Himmel, lauter Begeisterungsflammen, lauter Wohllaut und seltsame Rede, lauter Ablazabla und
Zawlazaw und Kawlakaw, Gelall wie von Trunkenen, als seien sie voll des süßen Weines aus der
Smyrnatraube oder zyprischen Nektars, aber waren nicht trunken, da sie so ungebärdig sich
verhielten, nämlich sprachen eine neue Sprache, welche keiner bisher gehört, und sprachen mit
Begeisterung in dieser Wunderzunge und Geheimnissprache von den großen Taten Gottes allen
Juden, die, Wunder über Wunder, verstanden, die einen verstanden und priesen den Gott der
Wundertaten, die andern verstanden nicht und blieben verstockt und meinten, das sei ein
menschliches Phänomen, nicht wunderbar, sondern ekstatische Trunkenheit von Smyrnatrauben.
Aber die es verstanden, die aus Kappadokien und Asien, Phrygien und Ägypten und auch die
Kreter, dicke Bäuche, aber gottesfürchtige Juden, die verstanden, was da wie Feuergesang und
Zungenfall, Gelispel und Geraune war vom großen Wirken Gottes, welcher prophetische Rede hielt
durch den Geist und Mund von Simon Kephas, dem Apostel der Juden, dem einfachen Fischer,
dem, der vordem ein verzagter Leugner war gewesen und nun, nach dieser großartigen Taufe mit
dem und in den Heiligen Geist und nach dieser Taufe mit Feuer zur Läuterung und Heiligung, da
war dieser Petrus ein Menschenfischer, ein tapferer Leu, welcher brüllte: Kommet und sehet die
Wundertaten Gottes und glaubt! Und redete geisterfüllt, denn nicht sein Verstand lehrte ihn also zu
reden, sondern Gottes Geist unterwies ihn, Parakletos sprach zu Petrus und Petrus zu den
gottesfürchtigen Männern Israels: "Brüder! Heute ist etwas geschehen, was nicht eine Trunkenheit
ist von süßem Wein und sinnloses Lallen und Wanken, unkontrolliertes Lachen und seltsames
Reden, das alles ist ein Wirken des Heiligen Geistes, der der Geist Gottes ist. In alten Zeiten kam
der Geist Gottes auf einzelne Männer Gottes zeitweilig herab, so auf David bei der Salbung, auf
diesen David, der sagte: Gott, nimm nicht deinen Heiligen Geist von mir! Aber nun hat Gott die
Weissagung Joels erfüllt, durch den er sagt: Ich werde meinen Geist ausgießen auf alles Fleisch;
denn heute hat Gott seinen Geist ausgegossen auf alles Fleisch dieser heiligen Männer, welche
Sünder sind wie ihr, aber gottesfürchtige Männer und glauben an den Herrn Jesus, auf ihr Fleisch
hat Gott den Geist ausgegossen, und hat ihn nicht nur ausgegossen auf des Menschen Geist, auch
nicht allein auf des Menschen Verstand, sondern auf alles Fleisch, daß da durchgeistet ist der Wille,
das Denken und das Fühlen, der Glaube und der ganze Leib, daß der Geist Gottes nicht allein auf
dem Menschen ruht und mit ihm ist wie zu der Väter Zeiten, sondern ist in den Herzen
ausgegossen, denn Gott hat seinen Geist der Liebe ausgegossen in die Herzen seiner Auserwählten,
daß der Geist ihnen in ihrem Herzen Zeugnis gibt, daß sie Gottes Kinder sind. Ich selbst bin unter
ihnen und hab erfahren die große Gnade Gottes, der mich mit seinem Heiligen Geist versiegelt hat
und hat damit den Freibrief seiner Erlösung für vollgültig erklärt. Ja, der uns erlöst hat, der Herr
Jesus Christus, ist aufgestiegen zum Vater, dem Gott Israels und Schöpfer des Weltalls, und hat von
seinem Vater empfangen den Heiligen Geist, den er gesandt hat auf die Erde, den er ausgegossen
hat, der er uns getauft hat am heutigen Tage mit dem Heiligen Geist und uns erfüllt mit demselben,
der uns lehrt, Christi Zeugen zu sein in Jerusalem, dann auch in Samaria und später bis an die
Enden der Erde, sei es das Land der Serer oder das Land der Germanen, sei es in Mohrenland oder
jenseits des Meeres, wir werden mutige Zeugen sein, denn der Herr wird uns begleiten, der Heilige
Geist, mit Kraftwirkungen und Prophetien, als da sind Gesichte und Träume, Visionen und
Eindrücke und das deutliche Reden und Handeln Gottes durch seine geisterfüllten Kinder. Was aber
wird der Heilige Geist zu allen Zeiten dieser letzten Tage bezeugen? Er wird bezeugen, daß dieser
Jesus von Nazareth der Messias Gottes ist, Gottes Sohn von Ewigkeit, in menschlicher Gestalt ist er
mit uns gegangen, wir haben ihn betastet und mit Augen gesehen, und dann habt ihr ihn ausgeliefert
an die Römer, die ihn gekreuzigt haben. Er aber ist auferweckt worden von Gott, und ist somit der
Erstgeborene von den Toten, und garantiert, daß alle, die ihm nachfolgen, auch vom Tode zum
Leben hinübertreten werden und werden nicht schmecken den zweiten Tod, sondern ewig leben, in
ewiger Glückseligkeit, in Gemeinschaft mit Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Das
bezeugt der Heilige Geist, daß Jesus als das Lamm Gottes gestorben ist zur Sühne für der Menschen
Sünden, auf daß, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden haben und Versöhnung mit Gott, auf
daß sie rein und gerecht und heilig vor dem heiligen Gott stehen und Gemeinschaft mit ihm haben
in Ewigkeit, in ewiger Glückseligkeit, welche in Wahrheit die Liebesgemeinschaft mit dem Vater
und dem Sohn und dem Heiligen Geiste ist, denn das ist das Paradies, daß Gott mit uns wandelt
durch die von ihm für uns geschaffene Welt, und kein Tod mehr ist, denn in Jesus (und wir sind in
ihm) ist lauter Leben, das bezeugt der Heilige Geist den Kindern Gottes." Und an jenem Tage
gingen mit Mirjam, der Mutter Jesu, einige Frauen im Kidrontal spazieren und fragten sie, ob sie
wüsste, was der heutige Tage zu bedeuten habe mit seinen Feuererscheinungen und Sprachwundern,
den Sprech- und Hörwundern? Und Maria besann sich und betete: "Herr! Lehre mich verstehen,
was am heutigen Tage geschehen ist, Amen. Ihr lieben Schwestern, das ist vorausgesagt, daß die
Propheten wie Trunkene erscheinen werden und Zawlazaw und Kawlakaw lallen werden, und
einige werden denken, es heiße Breikind an Breikind und Speikind an Speikind... Hat aber nicht
Jesus, unser Herr, zahlreiche Wunder getan, zu denen Gott ihm den Auftrag gegeben hat? Und sollte
er nicht heute das Wunder getan haben, daß er den Heiligen Geist ausgegossen hat, den Parakleten,
den Tröster und Beistand und Geist der Wahrheit, der uns leiten wird und lehren wird und der es
alles von Jesus nehmen wird, was er uns sagen wird, er, der da ist Gottes Geist, er, der für unsere
Erlösung hingegeben worden ist, der blutende Geist, der Geist der Auferstehung, der Geist der
Auferstehungskraft und der Geist der Heiligung des Lebens, der uns umgestalten wird in eine
heilige Christusähnlichkeit? Ja, der ists, von dem David meinte, er begehre seine Gegenwart so sehr
und brauche so sehr die Salbung Gottes, daß er sagte: Nimm deinen Geist nicht von mir! Und dieser
Geist ist, der der Geist aller wahren Prophetien ist, deren Echtheit und Gottesinspiriertheit sich in
diesen Tagen erwiesen hat, denn David hat gesagt: Der Heilige wird die Grube nicht sehen und
nicht verwesen, und ebenso ist Christus nicht in der Grabhöhle geblieben und ist nicht verwest,
sondern Gott hat ihn auferweckt und zu sich heimgeholt, was David vorhersah (der Geist gab ihm
die Vision und Rede ein): Der HERR sprach zu meinem HErrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis
ich deine Feinde zum Schemel für deine Füße gemacht hab! So wird Gott die Feinde Jesu
unterwerfen, und Jesus wird die unterworfene Welt dem Herrn, unserm Gotte, zurückgeben, alle
die, die Er Ihm gegeben hat, damit am Ende aller Äone Gott alles in allem sei, und jedes Knie sich
beuge vor Gott und dem Lamm! Gott hat diesen Christus mit Freude erfüllt vor seinem Angesicht,
wie der Geist David prophezeite, und sagte: Du hast den Herrn, o Gott, gesalbt mit Freudenöl! Denn
das ist Gottes und des Herrn Freude, daß der Geist neu geboren hat heilige Kinder Gottes, welche
durch das Opfer Jesu versöhnt sind mit dem Vater und mit dem Blut Christi reingewaschen von aller
Sünde und sind so ein lauteres Wohlgefallen unserm allerheiligsten Gotte! Ja, Jahwe jubelt! Zebaoth
jauchzt! Adonai Elohim jubiliert über die Erretteten, über die Auserwählten, durch Christus
Geheiligten, vom Geiste Neugeborenen, denn es ist eine Freude im Himmel bei den Himmlischen
Heerscharen über die bekehrten Sünder, und mit den Himmelsscharen freut sich der Herr der
Heerscharen, Zebaoth, unser Gott, der Vater Jesu Christi! Ja, das weiß ich, ihr lieben Frauen, daß an
dem Tage, da ich erkannte, daß Jeschua nicht nur mein Sohn ist (das war der Menschensohn auch),
sondern Gottes Sohn und als solcher mein Herr! Halleluja, da freuten sich die tausend mal tausend
Scharen himmlischer Engel und jauchzten und brachen das Manna und tranken vom Gewächs des
Weinstocks, wie Engel trinken, und riefen meinen Namen aus, denn ich war im Reich des Lichts, in
Gottes Reich durch die Herrschaft meines Sohnes Jesus!" Und diese Begeisterung drückte sich in
der Taufe aus, in den Taufen von fast dreitausend Männern und Frauen, welche sich für Jesus
entschieden hatten. "Ihr Lieben! Ihr wisst, daß durch seine große Gnade Gott mich ausersehen hat,
seinen eingeborenen Sohn Jesus, unsern Heiland, zur Welt zu bringen. Dieser großen Gnade kann
ich mich anders nicht würdig erweisen, als nur, in dem ich mein Leben in Gottes Hände lege und
meinen Geist in den Dienst Jesu und Ihm nachfolge, der mein Herr ist. Ihr wisst es vielleicht nicht,
aber es gab eine Zeit, da hab ich zwar im Herzen getragen die Worte der Verkündigung, daß Jeschua
der Heiland sei, aber verstanden hab ichs nicht, was es zu bedeuten habe. Aber vollends berührte
mich sein Geist bei der Kreuzigung Jesu. Als ich sein Blut fließen sah, da war mir so unendlich weh
und zugleich so unendlich liebend zumute, das war eine Erfahrung, die ich in meinem sterblichen
Dasein nie werd in Worte fassen können, es war einfach viel zu überirdisch, obwohl seine
Schmerzen und sein Tod so überaus irdisch waren. Aber ich hab es verstanden, daß Jesus das Lamm
ist, für der Welt Sünde geopfert. Nun aber, zu Pfingsten, ward auch ich, wie Simon Bar Jona,
angetan von der Kraft aus der Höhe und getauft mit dem Heiligen Geist, daß Jesus jetzt in mir lebt
durch den Heiligen Geist, und so daß ich nun seine Zeugin sein kann vor euch dreitausend Jüngern,
Zeugin seiner Herrlichkeit, einer Herrlichkeit als des ewigen Sohnes Gottes, der in mir wohnt durch
den Heiligen Geist, welcher zur Rechten Gottes ist und fürbittet, bis er wiederkommt in Herrlichkeit
mit den Scharen seiner Himmlischen, uns zu sich zu nehmen ins Paradies!"

SECHZEHNTES KAPITEL

Mittag. Zur Versammlung jerusalemitischer Gottesgeliebter (unter ihnen Maria) trat Mitka, Mariens
Schwester. Sie lächelte ihr bezauberndes Lächeln, ließ blitzen ihre schneeig-schimmernden Zähne
(wobei zwischen Eckzahn und Schneidezahn ein Kümmelkrümel saß) und ließ funkeln ihre
dunkelblauen Augen unter den feinen Brauen und sagte mit ihrer sanften Flüsterstimme: "Maria, ich
geh nach Damaskus. Schon hat Jimna ein schönes Haus für uns gefunden, mit einem kleinen
Balsambeet und schönem Südblick. Jimna wurde gefragt von syrischen Schriftgelehrten, ob er
helfen könne, einen syrischen Kommentar zum aramäischen Hohenlied zu verfassen, der die Poesie
Salomons betrachtet. Da Jimna die syrische Zunge gut beherrscht, hat er zugesagt. Siehst du, hier ist
eine uralte Liebhaberausgabe des Liedes der Lieder in aramäischer Übersetzung, eine sehr liebliche
Übersetzung, die dem Original in keiner Hinsicht nachsteht, sondern ihr in jeder Hinsicht das
lyrische Wasser reichen kann (das Wasser vom kastalischen Quell der Griechen). In einem halben
Mond reise ich mit Jimna nach Damaskus. Vielleicht kann mir jemand aus dem diakonischen
Umfeld vom Mittagstisch der Gemeinde helfen, meinen Haushalt aufzulösen?" Der Blaufärber,
welcher Jesu Base Para so gerne singen hörte, der sah Mitkas Augenblitze gerne blitzen, und er
hatte ein Herz für ihre zarte Seele, der erklärte sich nun bereit, ihr zu helfen. Die Gemeinde half
sich gegenseitig auch in praktischen Dingen. Und in der Gemeinde veranstaltete Jimna, der nach
Syrien gehen wollte, einen Abschiedsabend, auf dem er eine Poesie vortrug, eine Poesie zum Lobe
Jerusalems: "Salem, du Friedliche! Tochter Jeruschalajim, du schöne Frau Gottes! Hierosolyma, du
Mutter der Völker! Wie schön liegst du auf der Höhe des Gebirges Juda und glänzest! Wie senkst du
dich ins Tal der Käsemacher zu dem Volke Gottes und erhebst dich zum Tempelberg, Gott nah zu
sein! Die Berge bringt dir das Hinnomtal nahe, du Näheliebende, die heilige Ölbergkette trägst du
um den Hals des Kidrontales, denn der Herr hat dich so geschmückt, denn der Herr, er hat dich
erwählt: Mein Name soll in dir wohnen! Urusalimmu! Quelle lebendigen Wassers ist in dir der
Gihon im Kidrontal, ich will ihn heut der schönen Mutter zuliebe Marienquell nennen. Sie fließt ins
schöne Jebus durch den Tunnel Hiskias, bis in den Teich Siloah. Urusalimmu, auch in den Zisternen
sammelst du stilles Wasser, das des Winterregens, der am Ölberg niedergeht mit silbrigem Dunst.
Und von unten quillt herauf der Drachenbrunnen, den wir Bir Eijub nennen wollen, den
Hiobsbrunnen, denn es quillt die Klage herauf wie fließende Wasser, wie Tränen aus den Augen der
Mutter Erde, wie aus den Teichen Salomos die Quelle sprießt lebendigen Wassers bei Bethlehem,
fließend bis zum Tempel Gottes. An der Gihonsquelle ruht die Stadt Davids, die holde Tochter Zion,
die Salomo erweiterte gottgewollt um den Tempel- und Palastbezirk. Schließlich wurde die
Mörserstadt der Neuzeit im Äon der Könige schön errichtet in deinem Gefilde, Ierousaläm!
Nebukadnezar, der Wahnsinnige, er nahm dich zweimal ein, du Frau Gottes, und zerstörte dich.
Wehe! Jerusalem! Wehe! Aber Nehemia reihte Stein auf Stein nach dem Wiederaufbau zu
schützenden Mauern. Da kanntest du dennoch Offenheit, denn du solltest Mutter der Völker
werden, Urusalimmu, darum kanntest du Schaftor mit Mea und Hananel, den Türmen, Fischtor und
Jesanator, Ephraimtor und Ofenturm, Tal-, Scherben- und Quelltor mit dem Teich im Kidrontal,
Roß- und Wassertor und weitere Innentore als Wachtore vor dem Tempel Gottes. Alexander nannte
dich, Jeruschalajim, von seiner persischen Zeit an Ierousaläm, die griechische Tochter des Gottes
der Völker. Pompejus aber machte dich römisch, und Herodes machte dich groß, der er baute Burg
Antonia und den Palast, da Pilatus richtete, und er sprach auf Gabbata: Jesus solle ans Kreuz! O
Jeruschalajim, gabest du den Deinen, deinen Herrn und Gott, ans Kreuz der Römer? Er kam in seine
Stadt, und sie, sie lieferte ihn an die Heiden, an den Tod aus? Wehe, Jerusalem, du sollst zerstreut
werden in viele Länder, auf deinen Trümmern soll Jupiter thronen, der Abgott, und dein Volk darf
deine Tore nicht mehr betreten, statt dessen kommen die wilden Völker Kedars hinein, die sie
leugnen, daß Isa, wie sie Jesus nennen, Gottes Sohn ist. Aber Gott wird sein Volk heimholen nach
Zion, Gott wird Jerusalem bauen, Gott wird den Tempel bauen, Gott wird wiederkehren, denn Jesus
hat uns verheißen, daß er wiederkommt, in Zion zu herrschen als der Messias über die Völker wohl
tausend Jahre im Reiche des Friedens, da Lamm und Löwe liegen beinander in seliger Eintracht und
Einmütigkeit, denn Israel wird gerettet, hundertvierundvierzigtausend messianische Juden! O
Jerusalem, o Jeruschalajim, dann wirst du, die himmlische, dich zu uns senken, und wir werden in
dir wohnen, schöner als Eva in Eden war! Halleluja!" Ungefähr zu jener Zeit war es, daß Philippus
vom Heiligen Geiste geleitet ward, so daß er auf den Finanzminister der Königin Kandake traf, der
in einer Jesajarolle las: "Wer kein Geld hat, der kommt und schafft an, kauft euch Korn ohne Geld
und ohne Zahlung Wein; das les ich zwar, mir jedoch fehlt jedes Verständnis, obzwar ich selbst mit
Geld viel zu tun hab. Was hat das zu sagen?" fragte der Kämmerer, und Philippus sagte: "Zuerst das
Kernige aus Jesaja 53: Ein Mann der Schmerzen, von uns verachtet, der unsere Krankheit trug, der
unsre Schmerzen gelitten. Er ward durchbohrt ob unserer Frevel, zermalmt um unsere Sünden. Die
Strafe für unser Wohl lag auf ihm, durch seine Striemen ward uns Heil. Der Ewige sandte ihm, ihm
unser aller Schuld. Das sagt Jesaja prophetisch über Jesus Christus", sprach Philippus. "Wie kann
ich das verstehen? Ich bin kein Mann, der große Kenntnis von religiösen Dingen hat, ich komme
aus Äthiopien und weiß nicht, was euer Gott unter Sünde versteht, und warum diese Striemen uns
heil machen sollen. Ich kenn mich nur mit einer Sache aus, und das ist das Geld, das ich
erwirtschafte über die Steuern und Zölle für meine liebreiche Königin Kandake." Da half der
Heilige Geist dem Evangelisten: "Siehe, der Tod ist der Lohn für die Sünde, die Sünde, ohne Gott
zu leben und unrein in seinen heiligen Augen zu sein, diese Sünde wird bezahlt mit dem Tod, wie
ein Arbeiter seinen Lohn bekommt. Der Tod ist ein Geist, der durch unsere Sünde ein Anrecht auf
uns hat, in der geistigen Welt hat er einen Vertrag, wir sind die Leibeigenen des Todes. Stell dir vor,
du seiest ein Sklave, und du bist es auch, nämlich ein Sklave des Todes. Was ist dein Leben wert,
wenn man dich freikaufen wollte? Kämmerer, dein Leben ist mit Schekel nicht zu bezahlen, Silber
und Gold können dein Leben nicht aufwägen. An den Tod müsste ein Leben gezahlt werden, um
dich freizukaufen; und das hat Jesu getan: Er hat sein Blut vergossen, um dich mit dem Preis seines
kostbaren Blutes (dem Blut des Sohnes Gottes!) freizukaufen aus der Leibeigenschaft des Todes,
auf daß du, wenn du dich von Jesus erwerben lassen willst, leben kannst für immer. Du mußt nur zu
Jesus sagen: Ja, Herr, du hast mich freigekauft, dir gehöre ich, denn du hast den Preis für mich
bezahlt. Und wenn ich dir gehöre, bin ich wirklich frei, denn ich bin frei von Frevel und Tod,
freigekauft zu Leben und Glückseligkeit, daher will ich dir gerne gehören, Herr Jesus!" Da staunte
der Kämmerer nicht wenig und sagte: "Jetzt, wo du das in einer Sprache erklärst, die ich verstehen
kann, da möcht ich das annehmen, und spreche eben jenes Gebet. Und nun? Ja, in das Wasser da
will ich gleich steigen und mich taufen lassen, was soll ichs lang aufheben! Zum Glauben
gekommen und taufen lassen, das ists, was jetzt mehr wert ist als der ganze Staatssäckel der
Königin Kandake." Und Philippus taufte den Kämmerer, tauchte ihn unter und hob ihn herauf und
tat dies im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Daraufhin sprach der
Kämmerer noch mit Philippus ein wenig über die Königin Kandake, und er erzählte: "Weißt du, sie
ist eine sehr hübsche Frau. Ihre Haut ist so braun wie eine Kaffeebohne aus Kusch, das bringt ihre
Pupillen wie ihre Elfenbeinzähne sehr gut zur Wirkung. Ihre Nase hat breite Nasenflügel, die
manchmal recht anmutig zittern, wie auch ihre Lippen so niedlich zittern, wenn sie singt (und sie
singt gerne). Sie sang neulich ein altes äthiopisches Lied, das mir nun ganz neu aufgeht (wo ich nun
geistgetauft bin): Wenn am letzten Tage der Welt die Gottheit mich fragt, was ich mit meinem
Leben getan, dann will ich sagen: Geist, ich verbrachte mein Leben mit dir! sang sie, und dann die
dritte Strophe lautete: Und wenn ich in der Wüste übernachten müsste, und könnte unter dem
Schatten deiner Schwingen ruhen, o Geist, so wär ich zufrieden! Das sang sie mit ihrem hübschen
Lippenzittern zur Trommel. Sie hat ja einige schwarze Trommler in ihrer Hofkapelle, die den
Rhythmus im Blut haben." Und der Kämmerer reiste weiter nach Äthiopien, nachdem Philippus
ihm die ganze Thorarolle, die er dabei hatte, zum Lesen mitgab, denn auf die Dauer sollte der
Finanzminister nicht nur die evangelischen Jesajakapitel lesen, sondern das gesamte Alte Testament
studieren auf Gottes Wesen und Willen hin. Und am christlichen Mittagstisch zu Jerusalem trafen
sich nicht nur die Diakone und Jüngerinnen, manchmal auch die Apostel, Johannes, und die Mutter
Jesu, sondern auch interessierte Juden, unter ihnen Armoni, ein Sandalen- und Stiefelmacher,
welcher einwandt: "Sagt mir nur eins: Wieso dieser Jeschua? Lange Zeit sprach Israel mit dem
Ewigen - gelobt sei sein Name - auch ohne diesen Jeschua, und nun sollen plötzlich alle an ihn
glauben? Ich bete zum Ewigen - gepriesen sei sein Name - auch ohne diesen Jeschua. Ich kenne den
Ewigen - verherrlicht werde sein Name - als den Schöpfer, wenn ich die schöne Herbstnatur
anschau, den silbernen Regen, die rotbraunen und goldnen Blätter, die duftenden Pilze, die Rehe in
den schweigenden Wäldern, die Spätblumen und den ersten, noch gärenden Wein, wenn ich all das
betrachte, erkenn ich den Schöpfer, was brauch ich dazu einen Jeschua? Und wenn ich halte das
Gesetz, das der Ewige - gesegnet sei sein Name - unserm Volk gab, wenn ich halte, sag ich, das
Gesetz Mosis, so werd ich, wie geschrieben steht, leben, was brauch ich dann das ewige Leben im
Jeschua? Viele Wege gibt es zu Gott, mag sein, der Weg des Jeschua, der Weg des Glaubens, sei ein
Weg, aber das Halten des Gesetzes ist auch ein Weg, und das Reinhalten des Gewissens ist auch ein
Weg, und was mit den Römern und Griechen und Pelischtäern ist, wer weiß das? Und mit den
Engelanbetern, wer weiß das? Wir haben alle Hoffnung auf etwas, was wir Gott nennen, wie wir ihn
verstehen, und erst drüben wird man sehen, wer Recht gehabt hat, dann wird sich herausstellen, was
Wahrheit ist, denn was ist Wahrheit? Ich für meinen Fall glaube an den Ewigen - ewig währe sein
Name - ohne euren Jeschua." Johannes sagte heute nichts, denn er wollte zuerst die Beziehung
pflegen zu dem Mann, aber am nächsten Tag, als Armoni im Grunde das selbe wieder sagte, da
sagte Johannes nur eins: "Aber Jeschua ist der Messias, von Gott gesandt, uns die Wahrheit über
Gott zu sagen." Armoni stutzte über dieses Kurz und Knapp der Aussage, dies Unbeirrbare des
Glaubenden, und wußte nichts zu entgegnen, dachte aber auch immerhin darüber nach, was der
Apostel ihm gesagt. Und daraufhin sagte er am dritten Tage: "Wir Juden glauben aber, daß erst Elia
wiederkommt, bevor der Messias kommt. Und wieso, wenn Jeschua der Messias ist (was ich nicht
glaube), wieso muß dann das Volk Israel noch leiden unter der Herrschaft der Römer? Wieso ist das
Messianische Friedensreich noch nicht errichtet? Wo ist denn der König der Juden, warum hat er
uns denn verlassen? Und wieso sollte Jeschua Gottes Sohn sein, wenn er doch am Kreuz gestorben
ist!" Worauf Maria sagte: "Ach mein lieber Armoni, siehe doch, Jesus ist auferstanden, ich hab ihn
selbst gesehen! Er hat sich mir gezeigt, und in meinem Herzen weiß ich, er regiert als ein König nun
an Gottes rechter Seite, denn der Herr hat meinem Herrn alle Herrschaft übergeben, das weiß ich,
gewiß bin ich mir dessen, und zwar durch den Heiligen Geist in meinem Herzen. Ach mein lieber
Armoni, wenn du doch auch nur dich entschließen würdest, dem Messias Jeschua zu vertrauen, dem
Herrn Jesus zu glauben, denn alle, die an ihn glauben, haben das ewige Leben! Und wärs nicht
schön, wenn wir zwei im ewigen Leben Psalmen singen könnten?" Maria übte sich gerade darin, die
ewige Herrlichkeit zu rühmen, sich ihrer Hoffnung auf dieselbe zu rühmen, und vom Himmel zu
reden, vom Paradies zu sprechen, zu dem ihr Herr sie bringen wird. Immerhin, auch wenn Armoni
sich nicht bekehrte (wie man das nannte), so blieb er doch zu eifrigen Diskussionen am Mittagstisch
(heute gab es, von Susanna bereitet, eine herrliche Olivenpaste zum salzigen Weißbrot als
Nachtisch). Und da Maria, die schöne Mirjam, in ihrem Bett lag und schlief, da träumte sie Traum,
denn sie war eine von denen, von denen Joel geweissagt, der Herr werde seinen Geist auf ihr
Fleisch ausgießen und sie werde Träume und Visionen haben, eine Magd Gottes von Anfang an,
begabt nun mit der geistlichen Gabe, nach der wir zumeist eifern sollen, nämlich der Gabe der
Weissagung oder der Prophetie. Sie vernahm Gottes Stimme, und schon einmal hatte der Herr zu ihr
gesagt: "Wahrlich, ich sage dir...", und des Tages hatte sie Visionen und Eindrücke, und des Nachts
hatte sie auf dem Lager ihres Hauptes desselben Gesichte, und einmal hatte der Herr ihr gesagt:
"Nimm Pergament und Menschengriffel, und schreibe auf, was ich, der Herr, dir sage, nämlich
dies..." Aber in dieser Nacht kam ihr ein Nachtgesicht, und das kam solcherart zu ihr: Sie sah sich
aufgehoben von ihrem Lager und schwebend, und es winkte ihr vom Mittelmeere her eine weiße
Hand, die über dem Meere schwebte, als wäre sie aus Gischt des Mittelmeeres. Aber es war nicht
die sündig-lockende Hand der Liebesgöttin Aphrodite, welche (wie die Griechen sagten) aus dem
Schaum des Mittelmeeres geboren worden, sondern es war ein Wink des Heiligen Geistes, Gottes
selbst, der ihr winkte und sie lockte zu Wundertaten, und sie folgte, wie eine Eisenspäne dem
Magneten folgt, und sie flog über das Mittelmeer wie eine Morgenwolke und sah die Insel Zypern,
sah Salamis und sah Paphos, und sie schwebte nach Griechenland, und kam an den Berg Athos, da
Gott ihr hieß, den Fuß auf den Fels zu setzen. Da huschten Hindinnen vondannen, da sprangen
Katzenmütter zur Seite, da flohen Nachtigallenweibchen und schwiegen Lerchenweibchen, als sie
in der Morgenröte spazieren ging am Berge Athos. Wahrlich, dachte sie noch im Traume, ein
seltsamer und merkwürdiger Traum, denn daselbst war sie noch nie gewesen. Aber nun war es ganz
real, und sie ging zu einigen Eremiten, die in Höhlen hausten, und vor ihnen begann sie, Zeugnis
abzulegen von der Hoffnung auf die Herrlichkeit, die in ihr lebendig war durch den Geist, den Gott
ihr gegeben hatte. Und einige dieser Männer bekehrten sich auf ihr Zeugnis hin und priesen den
Herrn: Kyrios, Kyrios, Kyrios eleison! riefen sie immer wieder und warfen sich auf den Boden,
legten sich ganz flach hin und beteten an: Theos, Theos, Theos eleison! riefen sie immer wieder und
hoben die Arme aus dem Staube auf zum Himmel. Und Maria fühlte sich hinweggenommen und
sah ganz Griechenland unter sich liegen, und der Geist nannte ihr die Namen der Stätte: Beröa, wo
sie forschen werden in der Heiligen Schrift, und Thessaloniki, und sie sah Korinth, wo sie die
Geistesgaben praktizieren werden und von der Liebe lernen werden, in Liebe zu leben, und sie sah
Asia, sah die Stadt Ephesos, und da schlug ihr das Herz bis in den Hals heiß und laut: Ephesos, du
Schöne, wie lieb ich dich, wie traurig bin ich über den Götzendienst in deinen Mauern, wie heiß und
innig lieb ich die Jungfrauen, Frauen und Männer in deinen Mauern, und wie sehr begehr ich, das
Evangelium weiterzusagen in deinen Auen und Hainen, auf deinen Hügeln und Höhen, das
Evangelium vom Sohne Gottes, Jesus Christus! Da sah sie Johannes wandeln in Ephesos, am Fuße
des Nachtigallenberges, und sie wußte, er würde mit ihr nach Ephesos gehen, zur Evangelisation
der Heiden, und Gott, der Vater, er hatte schon vorbereitet ihren Aufenthalt auf dem
Nachtigallenberge, und dann würde sie heimgehen.

SIEBZEHNTES KAPITEL

Maria lernte in Ephesos eine Heidin kennen, welche Pirena hieß und mit ihr ins Gespräch über den
Glauben kam. Zuerst, um den Ansatz zu finden und Pirena Wertschätzung auszudrücken, fragte
Mirjam die Freundin nach ihrem Glauben, und Pirena fing an, in einem langen Atem zu erzählen
vom Anfang der Dinge nach ihrer Weltanschauung: "Am Anfang ward Uranus geschaffen, der
Himmel, und Gäa, die Erde. Gäa ward umgeben von Okeanos, dem Gürtel des Meeres um die Hüfte
der Mutter Erde. Uranus zeugte die Liebe, denn himmlische Liebe war zuerst, aber er zeugte auch
Geistwesen, welche man melische Nymphen nannte, und süße Engel. Aber die Titanen rebellierten,
und im Kampfe gegen den Vater der Götter, Zeus, wurden die Titanen hinabgeschleudert. Zeus
versammelte sich inmitten seiner Götter auf dem Berg der Götterversammlung und hielt Ratschluß,
denn er gedachte, den Sproß der Götter zu senden, welcher ein sterbender und erstehender Halbgott
in Syrien sein werde. Über die Fluten des Okeanos herrschte die Nacht, da blies der Wind, der große
Wind, und flog wie ein Vogel, der befruchtete das Ei der Welt. Manche sagen, es legte sich gleich
eine Schlange um das Ei der Welt, eine Schlange, die ihren Schwanz ins Maul nahm, und so zum
Geist der Welt wurde, zum Gott des Kosmos, aber andere sagen auch, es wäre der Pythondrache
gewesen, der aus der nächtlichen Flut des Okeanos aufgetaucht sei. Zeus aber gebot, daß Arkadien
werde die Heimat des Hirtengottes, Pan (neulich rief man: O Pan ist tot, o Pan ist tot!), der dort mit
der schönen Nymphe Echo lebte. Aus jener Zeit begründet sich auch der Mythos, daß der Prinz
Paris der Frau Weisheit und der Himmelskönigin und der Frau Liebe begegnete, und begehrte, die
Frau Liebe zu haben, da tauschten sie einen Apfel, der ein Zankapfel wurde. Homer verlegte diese
Geschichte in neuere Zeiten, in Wahrheit ist sie ein uralter Mythos. Zu der Zeit war es auch, daß der
Halbgott Prometheus den Göttern das Feuer stehlen wollte, wofür die Erde gestraft ward mit einem
Fluch, nämlich der Büchse der Pandora, aus der alle Sünden der Welt stiegen, und an den guten
Dingen war nur die Hoffnung da, denn die Menschen jener Zeit lebten allein aus Hoffnung, aus
Hoffnung auf den Sproß der Götter. Auf diesen hoffte auch Prometheus, denn Zeus kettete ihn an
den Gipfel des Kaukasus und ließ einen Geier ihm die Leber täglich zerreißen, und sein Leid werde
erst ein Ende haben, verhieß das Orakel, wenn ein Halbgott käme und an Stelle des Prometheus
seine Leiden leide. Die Gemeinschaft der Himmlischen mit den Menschen, die auf Atlantis
existierte, ward unterbrochen, denn Zeus zürnte, der Vater der Götter, und gebot eine Überflutung
des Kontinents, die ganze riesige Insel ging in den Fluten unter. Anfangs hatte dort eine ideale
Harmonie existiert, aber im Laufe der Zeit waren die Menschen hochmütig geworden und wollten
selbst Götter sein. Überlebende dieser Flut waren nur Deukalion und Pyrrha, die in einem
kastenförmigen Boot bis an die Sterne fuhren und dann landeten auf einem hohen Berg, wo sie ein
neues Menschengeschlecht begründeten, indem ein göttliches Wesen sich aus Steinen Menschen
erweckte. Die Menschheit breitete sich in ganz Griechenland aus, von Tyrus und Sidon über Zypern
bis zum jawanischen Archipel und Athen, ja bis nach Mazedonien und Thrakien, wo Orpheus zur
Harfe Hymnen dem Höchsten sang, dem König der Götter. Zu jener Zeit war Theseus König von
Athen und herrschte eine gerechte Herrschaft, er reinigte das Land von den Feinden der Götter und
Griechenlands. Zu jener Zeit entstand auch der Mythos von der Liebesgeschichte zwischen einem
göttlichen Bräutigam und einer menschlichen Braut, nämlich Vater Bacchus liebte die verlassene
Ariadne. Da sang Ariade: Komm, und küsse meinen Mund mit deinen Feuerküssen, und Dionysos
sagte zu Ariadne: Dein Lieben ist toller als der süßeste Rauschwein! Und Ariadne sang: Du bist eine
Weintraube unter Epheupflanzen! Und Dionysos sang: Fliehe mit mir auf den Olymp zu den
Nektar- und Ambrosia-Beeten! Zu jener Zeiten wanderten Weise durch Hellas, die vom Volk für
Wahnsinnige gehalten wurden, denn sie prophezeiten das Kommen eines neuen Gottes, den sie
Adonis nannten und sagten: Seine Mutter Myrrha wird eine Jungfrau sein, er wird sterben und
erstehen wie der Frühling. Er wird der Wollustgöttin der Phönizier eine Absage erteilen, die Frauen
Griechenlands werden ihn verehren, denn er, er ist der verheißene Sproß der Götter, der Arkadien
wieder herstellen wird, der Atlantis aus der Meerestiefe heraufholen wird und den Pythondrachen in
den Hades auf ewig sperren! Wer ihn liebt, den Adon, der wird in Elysium leben wie auf Inseln der
Glückseligkeit, der wird ihn preisen mit sapphischen Oden und pindarischen Hymnen, der wird
vom Gewächs des Weinstocks mit ihm trinken, der wird sokratische Weisheit schmecken wie eine
Veilchenblüte, Evoe, oh Adon!" rief Pirena ekstatisch und schüttelte wild ihre braunen Locken.
Mirjam, soeben überlegte sie, wie sie reagieren solle auf diesen heidnischen Hymnus. Sie schüttelte
ihre Haare aus der Stirn und überlegte: Lehnt sie nun alles ab als Dämonenblendwerk und
Entstellung der Wahrheit, als Verfinsterung des Verstandes und Geistes der Pirena, als Wahnsinn
und Lüge aus dem Geiste des Vaters der Lüge? Oder suche sie nach Anknüpfungspunkten, nach
letzten Resten von göttlicher Ur-Offenbarung, nach Vorschattungen und Ahnungen göttlicher
Wahrheit, nach echten Sehnsüchten des religiösen Menschen? Und für letzteres entschied sie sich,
die immer schöne Mirjam, die Pirena herzlich lieb hatte und sie nicht verfluchen wollte, sondern
sanft zur Wahrheit führen, und sagte: „Eben jener Adon, das heißt: Herr! den deine heidnischen
Propheten verkünden als den Sproß der Götter, welcher im Nahen Osten zur Welt kommen solle,
sterben und auferstehen, daß ist der Christos, der in Bethlehem zur Welt gekommen ist. Und ich, ich
rühme mich der Gnade Gottes, daß ich den Christos, den Retter, zur Welt bringen durfte und ihn
meinen Herrn nennen. Er, er starb am Kreuz der Römer, nach der Auslieferung durch die Juden, und
erstand, denn Gott erweckte ihn durch seinen Geist vom Tode und holte ihn heim in seine göttliche
Welt, wo Jesous nun herrscht an Gottes des Vaters Seite. Dieser Herr der Herren, dieser, der da ist
der Sohn des lebendigen Gottes, welcher ist Gott der Götter, dieser Sohn Gottes ist der Herr, und er
will, Pirena, auch dein Herr sein, daß du ihn liebst von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit aller
Kraft und Leidenschaft, Pirena, denn er ist der, den Sokrates ersehnt hat, der Logos, der Sinn der
Weltgeschichte, der die Gemeinschaft Gottes mit den Menschen wieder herstellt, das Wort der
Liebe, das Gott zu uns gesprochen hat." Pirena rollte mit den Augen vor Erstaunen und meinte, das
wäre dann jener, von dem sie in einem anderen, weniger bekannten Mythos vernommen, den ihr
ihre Großmutter Eusebia erzählt (jene lebe übrigens noch und wolle gewiß ebenfalls von dem Eu-
Angelion hören). Und Pirena erzählte: "Um die schöne Helena, welche die Venus dem Paris
zugeführt, ward in Troja Krieg geführt mit den Griechen, welchen Krieg die Griechen durch des
Odysseus List mit dem berühmten Trojanischen Pferd gewannen. Bei der Verteilung der Beute unter
Agamemnons Leuten erhielt Eurypylus ein Kästchen. Dieser Eurypylus war ein Sohn des Mannes
Euämon und der schönen Griechin Ops, er führte in vierzig Schiffen die Streiter um die Ehre
Griechenlands aus Ormenium in Thessalien gegen Troja und kämpfte tapfer, ja, er erbot sich zum
Kampfe gegen den schrecklicher Trojer Hektor, den gewaltigen Prinzen und Haudegen, der auf dem
Schlachtfelde und Walplatze blieb im Blute seines Lebens schwimmend. Nun, jenes Kästchen,
welches Eurypylus bekam bei der Verteilung der Kriegsbeute, des trojanischen Schatzes, war ein
Kästchen mit einem vom Vulcan gearbeiteten Bilde. Vulcan war ja der Gatte der Venus, was seltsam
ist, denn obwohl sie die Göttin der Schönheit und lüsternen Liebe ist, ist er ein hinkender Schmied,
der immer an der rauchigen Feueresse steht. Aber er ist der Schmied der Götter, der den
unsterblichen Göttern ihre siegstrahlenden Waffen schmiedet, so dem Zeus den Donnerkeil und dem
Apollon den Sonnenbogen und die Sonnenpfeile, mit denen Apollon den Pythondrachen erledigte
(aber ich schweife ab). Vulcan also hatte das Bild geschmiedet, und was stellte es dar? Ein Bild des
Vater Bacchus und eines unbekannten Gottes. Vater Bacchus war ja der Gott, der aus dem Orient
gekommen war mit Friedenshymnen und Opfergesängen, welches die ekstatischen Menschen
sangen: Heil dir, du Opferbock! und aßen Brot und tranken Wein in den Mysterienkulten dem
Geopferten, welcher starb und wiederkehrte; aber wer war der unbekannte Gott, der da neben Vater
Bacchus abgebildet war? Eurypylus kannte ihn nicht, aber als der die beiden neben einander sah,
ward er wahnsinnig. Woran lag das nun? Dies Kästchen gehörte vorher dem Trojer Dardanus, dem
es Jupiter einst geschenkt, und die trojanische Prinzessin Cassandra, die eine Seherin war, hatte dies
Kästchen aus dem Schatz des Dardanus hervorgekramt und mit einem Fluch belegt (einem Fluch,
wie ihn die Hexen fluchten in Eurypylus seiner thessalischen Heimat), einem Fluch, daß derjenige
Grieche, dem dies Kästchen in die Hände fallen sollte, wahnsinnig werden müsse. Eurypylus reiste
nun in seiner wahnsinnigen Umnachtung nach Delphi, wo er die Priesterin im Tempel des
Göttersohnes um Rat und Weisung fragte, was zu tun sei mit und gegen seinen Wahnsinn. Und die
Weissagung lautete, er würde seinen Wahnsinn verlieren, wenn er an einen neuen Ort käme, wo
man gräulichen Kulte vollzöge. Er solle diese greulichen Kulte abschaffen und einen reinen Dienst
dem neuen, unbekannten Gott (von dem Bildnis jenes Kästleins) einführen. Als er nun bei Aroe in
Achaja ans Land ging, sah er, wie eine Jungfrau im halbdurchsichtigen Gewand einen Knaben zum
Altar führte, um ihn auf dem Opferaltar der Mondgöttin zu opfern, der Fruchtbarkeitsgöttin, welche
sie daselbst Diana Triclaria nannten. Er fühlte Schauer des Grauens vor dem Gräuel und sah, hier
war das Ziel seines Elends, denn jenen Gräuelkult solle er abschaffen und reinen Gottesdienst
einführen. Er fing an zu reden von den abscheulichen Gräueln, welche dem Vater der Götter nicht
gefallen könnten, und da erfuhr er, daß den Bewohnern von Aroe ein Spruch der Weissagung
bekannt war, nach dem ein fremder König kommen und einen unbekannten neuen Gott verkündigen
werde. So ließen sie sich seine Anordnungen ohne Widerspruch gefallen, wandten sich ab von den
Menschenopfern und der Diana Triclaris und wandten sich zu dem reinen Gottesdienst für den
unbekannten Gott, welcher in uralten Gesängen bestand, dunklen Orakelsprüchen und
Weisheitslehren und dem Mahl von Gerstenbrot und blutrotem Wein, ohne daß man ganz den Sinn
desselben Kultes zu ergründen wusste." Soweit erzählte Pirena den Mythos von Eurypylus und fuhr
dann fort: "Und du meinst, daß du diesen unbekannten Gott kennst?" Und Maria ließ die Worte
ihrer suchenden Freundin tief in Seele und Geist sinken und sann und bewegte die Worte des
Sohnes Gottes im Herzen, alle, die sie vernommen hatte und alle, die die Apostel ihr weitergesagt
hatten, und hörte auf die leise innere Stimme des Heiligen Geistes, und dann sagte sie: "Ja, der
unbekannte Gott, der ist mir bekannt, denn als er auf der Erde wandelte, war er mein eigen Fleisch
und Blut, und war doch gleichzeitig Sohn Gottes und Gott selbst (in einem, was den
Menschenverstand fürwahr übersteigt). Oh, Pirena, ich liebe ihn von ganzem Herzen, meinen lieben
Herrn Jesus, und das ist der reinste Gottesdienst, den man tun kann, denn vor allem ist ihm an
unseren Herzen gelegen, vor allem schaut er auf unseres Herzens Haltung, ob wir ihm zugewandt
sind, uns voller Vertrauen ihm in die Arme werfen, ihm trauen (das heißt, an ihn glauben), denn so
verspricht er uns, daß wir ewig leben werden in ewiger Glückseligkeit, wie das schon Platon ersehnt
hat, jenseits ewig zu leben in Gemeinschaft mit ihm, unsterblich an Seele, aber auch unsterblich an
einem neuen Leib, denn, höre nur gut zu: denn wir werden alle vom Tode auferstehen und vor ihn
treten, wo er uns richten wird nach dem Maß der Liebe, denn die Gott liebten, die werden in
Ewigkeit mit ihm zusammen sein, die aber Gott hassten, werden in der Gottesferne werden sie sein,
im Hades, im Feuersee, und Wehe rufen, Wehe, hätten wir doch Gott geliebt! rufen sie in Ewigkeit.
Aber nun, Pirena, laß deine leeren Götzenbilder hinter dir und wirf dich dem einzigen wahren
lebendigen Gott in die Arme, unserm Herrn Jesus!" Und Pirena kniete nieder und sagte: "Jesous
Christos, wenn du der bist, den die Alten ersehnten, der unbekannte Sohn des Allerhöchsten, wenn
du der bist und ich dich kennen lernen kann, dann wag ichs jetzt, zu dir zu reden. Ich hoffe, du lebst
und hörst mich, und in Hoffnung darauf rede ich, ja, ich hoffe, darum rede ich. Ich habe gegen alle
Ideale wahrer Tugend und himmlischer Liebe gefehlt und kann vor dir, wenn du der einzig wahre
Gott bist, sicher nicht bestehen, weil du schrecklich und heilig sein mußt. Wie kann ich aber vor dir
bestehen? Maria sagte gestern, für alle meine Übertretungen hättest du die Strafe selbst bezahlt, und
deshalb würdest du mir vergeben und mich rein und frei sprechen, daß ich dir nahen dürfe, heiliger
Gott, ja, Jesus, ich will dich anbeten, denn du scheinst mir wahrlich ein Prophet Gottes zu sein,
darum kann ich den Gott anbeten, den du geoffenbart hast, den Vater im Himmel, der ein liebender
Vater ist und mich, ja mich liebt, denn er ist der Gott der Liebe, er ist der Gott, der da Licht ist, er ist
ein weiser und ein guter Gott, du, Gott, bist ein heiliger und gerechter Gott, ein guter und
allmächtiger Gott bist du, ein Gott der Liebe, und in der Person Jesous begegnest du mir, ja...
Jesous... ja, Kyrios!" Und sie warf sich mit dem Angesicht auf den Boden von Ephesos und zitterte
an allen Gliedern, denn Jesus taufte sie just mit dem Heiligen Geiste und erfüllte sie mit demselben
und versiegelte sie und goß die Liebe Gottes in ihrem Herzen aus, und der Heilige Geist bezeugte
ihr, daß sie jetzt ein Kind Gottes war. Da lief sie und holte ihre Großmutter Eusebia, welche neben
ihrem Elternhaus wohnte, wo Aurophite, ihre Mutter, lebte mit dem Sohne Cygnus, welcher Pirenas
Bruder war. Aber Aurophite und Cygnus waren bei der Arbeit, immerhin kam Eusebia mit Pirena zu
Maria und war bereit, diesen wundersamen Mythos, wie sie es nannte, dieses Euangelion (Pirenas
Wort) zu hören von dieser herbeigewanderten Jüdin Maria. Von seinen Evangelisations-Streifzügen
war aber inzwischen Johannes wiedergekommen, der mit Maria wohnte wie Mutter und Sohn in
ihrem Haus auf dem Nachtigallenberg, er war den Ziegentrampelpfad hinaufgestiegen und saß vor
der Hütte bei einem Becher abendlichen Rotweins (er genoß täglich einen kleinen Becher voll, denn
ein Arzt hatte ihm das für sein Herz empfohlen, so könne er alt werden und die Tage seines Lebens
zahlreich machen). Da erschien Eusebia, und Johannes fragte sie: "Was denkst du über das
Göttliche, ehrwürdige Alte?" Und sie holte tief Atem, froh, jetzt einmal wieder ihren
Lieblingsmythos erzählen zu können von ihrem Lieblingsgotte und sagte: "Liebe ist der mächtigste
der Götter, der oberste, der Schöpfer aller Götter und Menschen. Liebe hat gesagt: Ihr seid Götter!
Liebe will der Herrscher aller Menschen sein, wie schon Sophokles sagte. Einst kam Liebe zur Welt
aus dem Schoße seiner schönen Mutter, da war er wahrlich der Schönste aller Götter. Ich nenne ihn
den Lösenden, der allen Menschen den Sinn und Verstand überwältigen kann. Letztendlich ist Liebe
der die Götter und Menschen alle Besiegende. Den Menschen war er Hymen, der Bundesstifter.
Den willigen Menschen sandte er ins Herz Himeros, der die Sehnsucht an Liebe wachhielt im
Menschenherzen. Sappho pries ihn, denn sie war seine Psyche, seine Braut, denn Liebe hat sich
eine Braut erwählt. In seinem Reiche dienen viele geflügelte Genien, welche die Menschen
Amoretten nennen, sie sind dienstbare Geister, welche in reiner Liebe der Liebe und den liebenden
Menschen dienen. Liebe ist der uralte Gott, Liebe ist der schöpferische Gott, der älter als der
Himmel ist. Und was weiß du über ihn, junger Mann?" Da stand dem guten Johannes ganz klar der
Herr Jesus Christus vor Augen, und er wußte, daß wichtiger als Mythologie von Liebe, wichtiger als
Reste von Uroffenbarung die Verkündigung des Namens Jesu war, denn nicht mit Resten der
Uroffenbarung konnte Eusebia gerettet werden vor Tod und Hades, sondern nur durch das Heils-
und Erlösungswerk Christi, darum verkündigte er ihr die Person Jesu: "Gott ist die Liebe, das ist
wahr, er ist der Schöpfer, das ist wahr, aber er ist auch heilig und duldet keine Sünde. Und wahrlich,
ihr Heiden habt gesündigt mit euren erotischen Götzendiensten, euren Tempelhuren und
Lustknaben, und Eusebia, Sünde ist auch jede Lüge, jedes Götzenopfer, jede Männerliebe, jeder
Diebstahl, jeder Ehebruch (auch in Gedanken nur vollzogen), Eusebia, keiner ist heilig und rein in
Gottes Augen, auch du bist eine Sünderin in seinen heiligen Augen. Und Gott ist ein Gott, dessen
Gesetz heißt: Der Tod ist der Lohn für die Sünde. Und jeder Sünder hat den Tod, den ewigen Tod
verdient. Du erschrickst vorm Fangarm des Thanatos und den ewigen Finsternissen des Hades mit
seinen Schlangen und Hunden? Siehe, Gott will dich davor retten, darum sandte er sein Liebstes,
seinen geliebten Sohn, daß er die Todesstrafe erleide an deiner Statt, an der Stelle aller Menschen
erlitt er die Strafe für die Sünde, und starb am Kreuz; aber Gott erweckte ihn von den Toten und
machte ihn zum Herrscher im Himmel über alle Geister und Menschen. Wer an ihn glaubt, den
Sohn Gottes, der muß nicht mehr den Tod sterben, sondern kann ewig leben, vereint mit dem Gott
der Liebe in Ewigkeit. Glaube nur an den Sohn Gottes, er ist der Christus Jesus! Er will dein Herr
und Retter sein!" Und Eusebia begann zu weinen vor seliger Rührung und sagte unter süßem
Schluchzen: "Jetzt erkenn ich erst, was Liebe heißt! Es ist kein unpersönlicher Gott, den es einmal
am Anfang gab und der dann nicht mehr auftrat, es ist auch nicht einer, der sich erschöpft in den
Lüsten der Menschen, sondern es ist der Heilige, der sich mir hingab in eben dem vergangenen
Augenblick und küsste mich, küsste mich (zwar unsichtbar) so lebensecht, daß ich den feuchten
Kuß noch auf meiner Lippe spüre... Und plötzlich weht in meinem Herzen ein Fackelbrand,
plötzlich wallt und wogt mein Herz zum Himmel hin, und in meiner Seele jubelt lauter Lobpreis
und heilige Verehrung und etwas ist das Süßeste in meinem inwendigen Menschen, das ist der süße
Name Jesus!" In dem Augenblick kam Cygnus mit einem Arbeitskollegen, denn Cygnus suchte
seine Schwester und fand sie vor dem Hause Mirjams, und er fand auch seine Großmutter, fand sie
auf einer Bank mit Johannes, und hörte die letzten Worte. Cygnus war ein Suchender, sein Freund
dagegen war einer, der meinte gefunden zu haben, und zwar in der Philosophie. Und als Johannes
ihm, dem Gamelius, beweisen wollte, daß Jesus der Logos sei, das Wort Gottes, und daß Theos
(Gott) von Anfang an beschlossen hatte, den Logos (Jesus) in die Welt zu senden, daß er ins Fleisch
komme, und daß er sterbe zur Erlösung von Sünde und Tod, und daß er herrsche durch die
Auferstehung von den Toten, da lachte Gamelius nur und meinte: "Logos ein Mensch? Logos ist
Sinn und Gedanke und Idee und Wort und Ideal und Vernunft, aber kein Mensch von Fleisch und
Blut, keine gefangene Seele im Gefängnis des Leibes wie wir. Logos ist Weisheit, und Erkenntnis
der Weisheit befreit aus der Sklaverei des Materiellen, denn Erkenntnis heißt Vergeistigung in
himmlischen Stufen hinauf in die unsichtbare Welt, die höheren Welten befreiter Geister und
unsterblicher Seelen. Aber euer Kinderglaube an einen Menschen, der von sich behauptet, ein Gott
zu sein, daß ist nicht klüger als die ganzen Ammenmärchen der Mythologie. Nein, bleibt mir mit
dem Glauben vom Halse, denn ich will - wissen!" Aber Maria gab nicht auf und betete für ihn. Sie
betete auch für Cygnus, dem sie eine Mutter im Glauben werden sollte. Für diesen ersten Erntetag
dankte Maria Gott.

ACHTZEHNTES KAPITEL

Johannes kam immer so in die Gemeinde: "Kinder, liebet einander" sagend, und so evangelisierte er
auch, indem er den Asiaten und Griechen in Ephesos und römischen Soldaten sagte: "Gott ist die
Liebe" und das erläuterte mit dem Opfer, das Gott mit seinem Liebling Jesus brachte: "Weil die
Menschen den Weg gegen Gottes Willen gingen und frevelten, traf sie die Strafe des Todes nach
dem Gesetz der Gerechtigkeit. Aber Gottes Sohn selbst erlitt diesen Tod, damit ich nicht mehr
sterben muß und ewiges Leben habe, weil ich an seinen Kreuzestod glaube, an den Namen Jesu. Tu
du dies auch, vertraue dem Herrn, der auch dein Erlöser heißen will, Soldat!" Da entgegnete der
ältere Soldat: "Wie kann ich an die Liebe Gottes glauben, wenn meine Tochter Drusina gestorben
ist, die im blühender Alter und voller Schönheit vom Tode hinweggerafft ward?" Es war die Zeit der
Geschichte der Apostel, da Gott durch die Wunder und Zeichen des Heiligen Geistes Glauben
wirken wollte und tat, da trat der Apostel Johannes, geführt vom Heiligen Geist, an die Bahre der
schönen Drusina (noch in ihrem Tode von einer Schönheit) und sagte in der Vollmacht des Heiligen
Geistes: "Jungfrau Drusina, in Jesu Namen sage ich dir: Steh auf!" Und da zitterten die weißen
Lider der Jungfrau, ihre Nasenflügel bebten, Odem strömte aus der Nase, sie öffnete ihren Mund
mit fliegenden Lippen, Odem strömte heraus und herein, und mit einem Lächeln um die Lippen und
großen tiefleuchtenden Augen schaute Drusina Johannes an und sagte: "Mein Herr, ich danke dem
Sohn Gottes, der mich ins Leben zurückgerufen hat, für seine Gnade und bekenne, ich glaube an
seine Heilstat am Kreuz bei Jerusalem, denn ich erkenne seine Macht über Leben und Tod an und
weiß, er ist der Richter über die Lebenden und Toten, und ich weiß auch, man kann Gott nur durch
den Glauben an den Logos gefallen, den inkarnierten und aufgefahrenen Logos, der da heißet..." -
"Jesus!" sagte Johannes, und sein Herze klopfte. "Du hast für mich gebetet im Glauben an meine
Erweckung?" fragte Drusina und schaute ihn an mit tiefdunklen blauen Augen, hervorblitzend aus
tiefen Höhlen in einem blassen Gesicht, umrahmt von braunen Locken, ein leichtes Lächeln der
Liebe im ernsten und reifen Gesicht, und sagte: "Ich danke dir und hoffe, deinen Glauben von dir zu
erfahren bis in die letzten und tiefsten Geheimnisse der Dinge hinein." Und Johannes mit
Begeisterung seiner sprühenden Gedanken, begeistert von der Ernsthaftigkeit und würdigen
Schönheit Drusinas: "Du, wir haben eine Heilige Schrift, wir können sie auf griechisch lesen, wir
sagen Septuaginta dazu, es sind die Worte der Propheten über Gott und seinen Christos, und wenn
du die Septuaginta kennengelernt hast, dann will ich mit dir jedes Jota der hebräischen Bibel
studieren, denn wir wollen so dicht wie möglich an den Lippen Gottes hängen", sagte Johannes, und
eben da durchzuckte ihn der Gedanke, er möge auch an den schmalen Lippen Drusinas hängen und
Küsse trinken, denn er fühlte Liebe für sie. Maria zu jener Zeit wandelte im Tal der Mandelbäume,
zwischen den duftend rosigen Blüten, setzte ihre Füße, nackt in den Ledersandalen, auf das
taufeuchte Gras und ließ die Sonne spielen auf ihren weichen Armen. In der Hand hielt sie einen
Brief, den sie von Jimna bekommen hatte, dem Mann ihrer Schwester Mitka. Sie sah Jimna vor
Augen: Ein großer blonder Mann mit einem lockigen blonden Bart, muskulös und gerade gebaut,
ein freundliches helles Gesicht, männlich aber weich, und dann sah sie Mitka vor Augen: die
Wangen wie Schnee und Rosen, wie Milch und Morgenröte, sanft und golden, die Lippen wie Blut
und Tautropfen, weich geschwollen, die Augen glänzend wie von feuchtem Schimmer der
Herbstwelle, funkelnd wie Diamantensterne, die Brauen fein und weiblich-zierlich, die Haare
dunkelblond und fließend. Und dann las sie den Brief: "Jimna, der Dichter Gottes in Syrien, an
seine Schwägerin Mirjam, Mutter und Jüngerin unsres gemeinsamen Herrn Jesus. Die Gnade Gottes
und des Lammes sei mit dir! Viel Grüße zuvor, liebe Mirjam, aber ich habe dir eine Hiobsbotschaft
zu bringen! Ich bete zu Gott, daß er dir in diesem schweren Augenblick beisteht, denn ich muß dir
sagen, daß Mitka nicht mehr auf Erden ist! Gestern ist sie gegangen, sie ist gegangen nach einem
Jahr währender Krankheit, da wir einsam waren, nur wenige Christen zu uns standen, eigentlich nur
unsere kleine Hauskirche, und Mitka immer schwächer wurde. Sie nahm Tag für Tag ab und wurde
immer schlanker. Du, erst gefiel mir das ganz gut, aber bald machte ich mir Sorgen. Schließlich
verlor sie ihre Lebenskräfte und lag von Morgen bis Abend auf ihrem Lager, auf den Schaffellen.
Schließlich starb sie vor Schwäche. Nun bin ich gewiß, daß sie aus der irdischen Stadt (Damaskus)
in eine weitaus herrlichere Stadt gezogen ist, wo sie ihr Bräutigam erwartet, unser Herr! Ja, Mitka
ist gegangen in die ewige Stadt, dort ihre Heimat einzunehmen, dort in die bereitete Wohnung
einzuziehen, wo sie in der Gemeinschaft der Heiligen lobpreisen wird mit erhobenen Händen vor
dem Angesicht dessen, des Name unaussprechlich ist! Gott segne sie, Gott segne aber auch uns
Hinterbliebene, die wir auch wünschen, schon beim Herrn zu sein, aber hier noch eine Aufgabe
haben. So soll ich eine syrische Poetik schreiben, die sich an biblischer Ästhetik orientiert, ich
arbeite gerade über Bezalel Bar Hur, den Künstler der Stiftshütte, den Gott berufen und mit
Einsicht, Weisheit und Geist begabt hat zur Vollführung ästhetischer Aufgaben, welches
prophetische Aufgaben waren, christologische Typen künstlerisch zu fertigen. Maria, Gott segne
auch dich und deinen Sohn Johannes in der Mission zu Ephesos. Ich hoffe, von dir (und auch von
deinem Sohn Johannes) zu hören, was eure Ernte macht und welche Machttaten der Geist Gottes
unter euch schon gewirkt hat. Ich bin nun allein auf der Welt, aber da ist ja noch meine kleine
Hauskirche, und wir werden mehr hier in Damaskus, und da ist ja der Stellvertreter Jesu auf Erden,
der Paraklete Heiliger Geist, der mich tröstet in diesen schweren Tagen, da ich meine so, so süße
Mitka entbehren muß, denn sie ist fortgezogen in die Stadt der Städte vor Gottes Antlitz. Halleluja,
sag ich und danke Gott für sein Erbarmen über Mitka, danke Gott für jede Stunde, da ich Mitka in
die Augen sehen durfte, und danke dem Erlöser, daß er ihr ewiges Leben schenkte. Ich würde dir
noch mehr schreiben, aber der Schmerz läßt mich verstummen. Segne dich Gott, liebe Mirjam!"
Mirjam weinte, sie weinte, weil Mitka nun so weit fort war, daß das große Wasser der Scheidung
zwischen ihnen floß, der Jordan, die Lethe, das Meer des Todes, denn Mitka war eingegangen in das
Meer des Todes, darum weinte Maria Todestränen, aber (Erleuchtung durch den Heiligen Geist) das
Meer des Todes war ja durch Jesu Wunder ein Meer des ewigen Lebens, und Mitka war
eingegangen in das Meer des ewigen Lebens, aufgelöst in ewige Glückseligkeit; was kann man
einer lieben Schwester Schöneres wünschen? Darum tröstete sich Mirjam, denn der Heilige Geist,
er hatte sie so getröstet mit dem Troste des ewigen Lebens ihrer Schwester, das war Gottes Trost,
und Jesus wischte Maria ihre Tränen ab. Cygnus traf sich mit den Christen gerne zur Mittagstafel, er
war interessiert an der neuen Religion und diskutierte gerne mit seiner Mutter Aurophite und seinem
spöttischen Freund Gamelius über das Christentum. Illisiades, der Mann der Aurophite, und
dieselbe, sie saßen mit ihrer nun Christin gewordenen Tochter Pirena zusammen. Aurophite war
eine Anhängerin Sapphos, sie sang deren Oden sehr gerne zur Laute, auch die Oden des Alkäus
sang sie gerne, und an Feiertagen besonders gern die erhabenen Hymnen Pindars. Sie kannte daher
die Mythen Griechenlands, sie dachte, Apollon wäre der Gottessohn, weil er der Sohn des Königs
der Götter, Jovis, sei. Illisiades dagegen, ein Kämmerer am Hofe des Statthalters von Ephesos, er
war ein Anhänger der materialistischen Philosophie. Er lehnte die Unsterblichkeit der Seele ab, die
Idee einer schöpferischen Gottheit ebenso. Seine Lebensmaxime war die, höchstmögliches
Vergnügen aus dem irdischen Dasein herauszusaugen, um sein eigenes Wohl besorgt zu sein, den
Tag zu pflücken und dann als Staub im Nichts zu verwehen. Seine Tochter Pirena fragte nun der
Vater Illisiades, was das für eine Gemeinschaft sei, der sie nun angehöre, die da einen Halbgott aus
Palästina verehrten? Und Pirena gab Antwort, es sei kein Halbgott, sondern Jesus Christus, der da
sei wahr Mensch und wahr Gott, Gott von Ewigkeit und Mensch geworden (im übrigen durch eben
jene Maria, die da auf dem Nachtigallenberge lebte, was die Glaubwürdigkeit der ganzen
Geschichte erheblich erhöhe). Er sei also, sie meine Jesus, er sei also der schöpferische Gott, der
Logos (der Sinn Gottes, um es einmal so zu sagen), der ins Fleisch gekommen sei und auferstanden
von den Toten. Ha, rief Illisiades, was seine Tochter ihm da erzähle! Er sei schon immer Zweifler
gewesen, wenn er solcherlei Mythen gehört, auch seine Mutter Marpe hätte ihm immer von dem
vorderorientalischen Halbgott Adon erzählt, welcher jeden Lenz erstehe, aber er sei Zweifler genug
und Denker nüchterner Gedanken, als daß er das (beim besten Willen nicht) glauben könne. Im
übrigen sei er dagegen, Dinge nur zu glauben, sondern er wolle sie mit der rationalen Wissenschaft
diesseitiger Philosophie wissen und verstehen. Aber was Pirena ihm da verkaufen wolle, das sei ihm
zu billig, und woher denn käme das Leid, wenn da ein guter und vollkommener Gott sei? Warum
denn seine Mutter Marpe gestorben, als er, Illisiades, erst vierzehn Jahre alt war, da sein Vater schon
längst tot, und so weiter, was doch wirklich ein Elend und eine göttliche Ungerechtigkeit sei. Aber
Pirena sagte etwas vom Sündenfall und vom Tode, der in die Welt gekommen, sagte etwas vom
Weizen und Unkraut und der Geduld Gottes, und sagte dann noch etwas sehr persönliches vom
Troste (denn sie kannte Traurigkeit und Melancholie), und vom Troste des Trösters besonders,
welcher ein heiliger Trost und heiliger Tröster und Heiliger Geist sei, der da Gott ist, der Geist eben
jenes Jesu. Da lauschte ihre Mutter auf, die Aurophite, und sagte: "Mein Kind, wenn du uns so die
Religion deiner Gemeinschaft in Worten erklärst, die auch wir verstehen können, dann möchte man
fast annehmen, daß dein Jesus auferstanden sei von den Toten und lebe, und daß, wer an ihn glaubt,
das ewige Leben erhält. Aber was ist denn sonst mit uns? Ist es nichts mit Hades und Schattenreich
jenseits der Lethe und den Gefilden Acherusiens und dem Elysium der Glückseligen Inseln, wo
Helena und Menelaos beim Hochzeitsmahl reinen, geläuterten und uralten Rotwein aus Syrien
trinken?" Und Pirena wollte auch hier die Hoffnung nicht verschweigen und der Mahnung nicht
stumm sein, als sie sagte: "Wer glaubt, der lebt in Ewigkeit, wer nicht glaubt, der wird sterben den
ewigen Tod - o Qual, fern zu sein vom Gott der Liebe ewiglich! Aber komm doch mit zu unsern
Versammlungen und höre die Zeugnisse Mirjams und die Lehre von der Liebe, die Jochanaan
austeilt mit lieblichen Worten, Mutter, komm und höre, und fasse Mut und glaube, wirf dein
Vertrauen auf den Gottmenschen, den Christos Jesous!" Aber Aurophite zögerte noch, da auch ihr
Mann ablehnend dem Glauben gegenüberstand, er hatte weiterhin nichts übrig für Religionen, und
seine Frau war ihm zu sehr untertan, als daß sie allein solch eine weitreichende Entscheidung
getroffen hätte. Cygnus, den Mirjam liebgewonnen hatte, ging mit der mütterlichen Freundin Seite
an Seite durch den blühenden Mandelwald beim Nachtigallenberg, den Ziegenpfad hinunter an der
Quelle des Bächleins vorbei, und Cygnus hob zu sagen an: "Mütterliche Freundin, Mirjam, mir
träumte heute Nacht ein merkwürdiger, aber lieblicher Traum. Ich sah ein Zimmer, dessen Wände
von Myrten bewachsen waren, der Raum war voller Licht, voller Duft, voller leiser und zarter
Musik, voller Schönheit und Seltsamkeit. Auf einem seidenen Bett in rosiger Pracht lag eine junge
Schöne in lauterster Reinheit. Ihre Schönheit war vollkommener, als Seufzer je bestöhnen können,
und von einer Vollendung, die keine Zufriedenheit je sich erträumen könnte. Ihre Überdecke floß in
tausend Falten, golden wie der Flaum eines Pfirsichs, an ihr herab, verdeckte aber nicht die
apollonische Locke aus Gold auf Nacken und Schulter. Ihr Gesicht ruhte auf einem weißen Arm,
zart und ungeschlossen atmete ein schlummernder Mund, just wie Morgensüdwind eine taulippige
Rose teilt. In ihrem Haar waren viele Lilien wie Kronen, um sie herum war wildes Grün jeder Art
und Wein und Efeu und äthiopische Beeren, ineinander geschlungen. Nahebei standen ernste
Eroten, leisend wachend. Einer kniete auf einem Knie vor einer Lyra und rührte die Seiten, mit
seinen Flügeln ein tödliches Pathos erregend und immer wieder zur schönen Jugend schauend. Ein
anderer Erote nahm einen Weidenzweig, duftenden Tau destillierend und ihn auf ihr goldenes Haar
schüttelnd. Ein dritter flog herein durch den Vorhang aus feinem gezwirntem Byssus, und
flatternderweise regneten Veilchenblüten ihr auf die schlummernden Lider. Sie erwachte und schlug
die Augen auf... und da erwachte ich." Maria lächelte und schwieg.

NEUNZEHNTES KAPITEL

"Höre, Volk der Provinz Asien und Volk von Hellas und Volk der Römer, was ich durch meinen
honigstimmigen Mund künde mit Wahrheit weissagend, nicht eines Lügengottes Hellseherin,
sondern Magd des großen Gottes, den Hände nicht gebildet von Menschen, sondern der von
Ewigkeit Geist ist. Sein Haus ist auch kein Marmortempel mit korinthischen und dorischen Säulen,
sondern sein Haus ist unsichtbar im Himmel droben, und ich hab es noch nicht messen können. Er
ist der, der alle sieht und doch von keinem gesehen werden kann, denn Gott wohnt in einem
unzugänglichen Lichte. Ihm gehören die schöne Nacht und der milde Mond, die wimmelnde Flut
der Sterne und das fischereiche Meer, die Mündungen immer rinnender Quellen, die Weinstöcke
und die Olivenbäume und die ganze korntragende Erde. Glückselig werden alle jene sein auf der
neuen Erde, die den großen Gott loben und preisen, sie werden sehen die große Herrlichkeit des
großen Gottes. Alle die sich von Befleckung frei hielten, alle die nicht lästerten, alle die nicht hurten
ihren Göttinnen nach, alle die nicht opferten Sterngeistern ihre Kinder, alle die sich rein hielten an
Leib und Seele und Geist, werden, wenn sie glauben an den Sohn Gottes, bestehen im Gericht,
welches der große Herr selbst veranstalten wird. Dann werden die Gottlosen ihre Gottlosigkeit, die
Sünder ihre Sünde, die Frevler ihre Freveltaten erkennen; die Frommen aber werden bleiben, denn
Gott gibt ihnen Gnade und Leben. Merder und Perser, die vom Euphrat, die vom Hellespont, die
von Phrygien und die Asiaten, die am Ähren-nährenden Nil, Hellenen, die am Fuße des Ätna,
Sizilianer, Makedonier, Karier, die von Tyrus, die von Theben, die von Samos, die von Delos,
Babylonier, die von Baktra und Susa, die von Sybaris und Kyzikos, Rhodier, Italiener, Volk von
Karthago, Laodikeia, Korinth, Myra in Lykien, Patars Getümmel, Armeniens Knechte, Römer,
Syrer, die aus dem Tempel von Solyma, Salamis und Paphos und Kypros... ach ihr Sterblichen,
ändert euer Leben und erzürnt nicht den großen, heiligen Gott, sondern lasset fallen Männermord
und Sündenfrevel; badet den Leib in den immerfließenden Flüssen des Wassers des Lebens und im
Blut des Lammes eure Seelen, sühnt euer Leben mit Leiden, mit Opfer eure Gottlosigkeit, ja,
wendet euch dem Herrn zu. So wird Gott sich erbarmen und wird euch nicht verderben, denn die
Strafe trug der Gottessohn, dem zuliebe ihr nun Frömmigkeit und Preisung tragen mögt in euren
Gliedern und in eurem Geiste. Wenn dann alles zu Asche geworden sein wird nach dem Feuer, das
die Elemente zum Schmelzen bringt, und Gott das unsägliche Feuer stillt, er, der es angezündet in
seinem Zorn, des Lammes Zorn, dann wird Gottes Geist wiederum aus dem Staub heraufrufen die
Gebeine der Sterblichen, und sie werden vor Gott stehen. Die Gottlosen wird man finden im
Tartaros, in den Tiefen der stygischen Gehenna und des acherusischen Scheol; aber glückselig der
Mensch, der mit Gottes Sohn gelebt die Tage seines Daseins und nun schauen wird die
Glückseligkeit. Und siehe, ich sah, und was ich sah, war eine große Erwartung des Hirten! Er wird
euch eure Ruhe geben, denn er ist nahe (Ja, komm, Herr Jesus!) und wird am Ende der Welt
kommen, uns aus der Ewigkeit euch entgegen. Seid bereit für die Löhnungen seines Reiches,
welches da sind die Kronen des Lebens und der Gerechtigkeit und der Herrlichkeit, sie sind aus
dem immerwährenden Licht gemacht, welches euch für immer leuchten wird, dem Licht des
Lammes. Fliehet die Finsternisse dieser Welt und kommt zum Lichte Gottes und des Lammes, und
empfangt die Freude der Herrlichkeit. Ja, ich bezeuge euch offen meinen Heiland, der da heißet
Jesus Christus. Was er euch anbietet, nämlich das ewige Leben in ewiger Glückseligkeit, das nehmt
doch an mit Dankbarkeit und Lobpreis, dem dankend, der euch zum himmlischen Reich, dem Reich
Gottes berufen. Siehe, die Versiegelten beim Hochzeitsmahl des Lammes! Das sind die, die sich
vom Schatten der Welt abgewandt haben und haben glänzende Gewänder vom Herrn empfangen.
Zion empfängt seine vollkommene Zahl, seine Mauern aus Jaspis umschließen die
Weißgewandeten, die lebten nach den Geboten Jesu, so ihre Liebe beweisend dem, der sie aus
Gnade errettet. Zion, die Zahl deiner Kinder, du Mutter der Völker, ist vollkommen, denn es ist
gekommen das Reich der Himmel mit dem geheiligten Volk, welches berufen war von Anfang an.
Ich sah auf dem Berge Zion eine Schar von Heiligen Jesu, die ich nicht zählen konnte, und alle
lobten Christus, das Lamm, mit Lobgesängen. Und in der Mitte stand der Sohn Gottes, und das
Lamm setzte jedem einzelnen Heiligen eine Krone auf, jedem seine, und alle diese legten ihre
Kronen wieder dem Herrn zu anbetungswürdigen Füßen. Das waren jene, die das Sterbliche
ausgezogen und das Unverwesliche angezogen und den Namen Gottes und des Lammes bekannt
haben: ICH BIN... JESUS! Und sie trugen ihre Kronen und ihre Palmen in den Händen, und gingen
mit dem Lamm in den Garten Gottes, und ich stand und pries und pries den Herrn. Und eines
Engels Stimme erklang zu mir und sagte: Siehe, er wird seinen Erwählten geben das Heil und sie
taufen mit ewigem Leben und leben lassen im Gefilde Aneslasleja (Elysium). Mit Blumen
geschmückt werden die Gerechten, und er geht, ihnen ihre Wohnungen zu bereiten, und er geht, sich
mit ihnen ewig zu erfreuen im Reich des himmlischen Vaters. Gehe also in die Stadt bei den
Weinbergen, und laß uns auf den heiligen Weinberg Gottes gehen. Und wir beteten, indem wir Gott
und das Lamm priesen mit einem neuen Lied. Und der Engel zeigte mir einen geöffneten Garten,
der voll war schöner Bäume und reifer Früchte, voll von Duft und Wohlgerüchen, wie Räucherwerk
aus Saba und heiliger Weihrauch der Stiftshütte. Der Duft war schön, und war schöner als
Ambrosia, und sein Duft reichte zu uns. Und der Engel sagte: Hast du gesehen die Scharen der
Heiligen aus den Nationen? Wie ihre Ruhe ist, so ist die Ehre der Märtyrer, und wer um des
Namens Jesu willen verachtet wird, der wird sein gesegnet mit der Krone des Lebens! Und ich ward
froh und glaubte, was geschrieben steht in den Pergamenten Gottes. Und der Himmel öffnete sich,
und Menschen in Geistleibern gingen dem Herrn entgegen, ihn begrüßend mit einem neuen Lied
des Lammes, das Mose mit ihnen sang. Und die Engel scharten sich zusammen und öffneten die
Tore. Und der Herr erschien mir wie eine Feuerflamme und sagte: Siehe, ich komme bald! Und es
schloß sich der Himmel, und ich fiel auf mein Angesicht und betete an den allmächtigen Gott und
den Herrn Jesus." Das erzählte Maria nach einem Traum, da sie ging mit ihrem jungen Freunde
Cygnus, der nun wie ihr einziger Sohn war, da Johannes verbannt worden nach Patmos. Er hatte zu
eifrig und offen bekannt, daß allein der Sohn Gottes, Jesus Christus, Anbetung verdiene und der
himmlische Vater; aber keineswegs der römische Kaiser, der sich einen Gott und einen Herrn
nennen ließ in großer Sünde und zur Verleitung und Aufforderung zum Götzendienst. Nun diente
man nicht mehr der Schlange des Asklepios, nicht mehr dem Phallus des Dionysos, nicht mehr der
Hurengöttin Aphrodite, nun diente man einem Menschen, der sich für Gott ausgab, dem
antichristlichen Kaiser, und das Volk betete ihn an und seine Statuen; aber Johannes hatte dagegen
geeifert wie ein alttestamentlicher Prophet; darum war er verbannt worden aus dem schönen
Mandelgarten am Nachtigallenberg fort auf die steinige Gefängnisinsel Patmos in die Kargheit der
Einsamkeit. Maria dachte an Jakobus, der der Vetter Jesu gewesen war, vor allem aber sein Diener,
nachdem er zu Lebzeiten Jesu ein großer Zweifler an Christi Sendung gewesen war, nach seiner
Auferstehung aber bekehrte sich Jakobus und wurde "der" Jakobus (obwohl jeder dritte Hebräer
Jakobus hieß), und man nannte ihn: Jakobus der Gerechte, denn er vertrat die Auffassung, daß ein
bekehrter Christ ein anderes Leben leben müsse als die Kinder der Welt, gerechter, reiner, mehr der
Heiligung hingegeben; und Jakobus vertrat dies theoretische Auffassung, seine Theologie, mit
seinem ganzen Leben, ja, er lebte, was er sagte. Schließlich wurden die Oberen der Hebräer zornig
auf Jakobus, die Polizei führte den Gerechten auf die Zinne des Tempels, zwanzig, dreißig Meter
hoch und ließ ihn in den Abgrund schauen und sagte: "Widerrufe, daß Jesus der Messias und Gottes
Sohn ist, dann lassen wir dich gehen! Hältst du aber daran fest, daß dieser Jesus Gott gleich ist,
dann kommt jetzt dein Ende, denn wir werden dich in die Tiefe stürzen!" Jakobus war nicht
schwindelfrei, er bekam in eben jenem Augenblick große Angst, da betete er zum Herrn Jesus:
"Herr, du siehst, wie mir bangt vor dem Tode, du siehst, wie meine Seele sich windet und möchte
leugnen, und will es doch nicht, denn meine Ewigkeit will ich nicht leugnen, und dich, den Herrn
meiner Ewigkeit, die Quelle meines ewigen Lebens, will ich nicht leugnen, sondern bekennen, Herr,
aber gib du mir den Mut, den Todesmut, den Glauben an das ewige Leben in dir!" Und in eben
jenem Augenblick erfüllte der Heilige Geist Jakobus mit einem solchen übernatürlichen Frieden,
daß er keine Angst mehr hatte, weder vor den Schmerzen noch vor dem Tod, und er sagte mit fester
Stimme: "Ich glaube an den Herrn, den Herrn Jesus!" Und im selben Augenblick stürzte die Polizei
den Gerechten hinunter, er flog in die Tiefe und fiel mit voller Stärke auf den steinigen Boden, war
aber noch nicht tot, sondern atmete noch schwer und scheinbar unter Schmerzen (in Wirklichkeit
aber wars ihm schmerzlich-süß im Innern) und zuckte ein wenig. Um ihn standen aufgebrachte
Juden, die sich schon immer von Jakobus und seiner Heiligkeit hatten provoziert gefühlt, und
besonders voll Zorn war ein Schmied, ein kräftiger Bulle, der von Jakobus auf seinen Ehebruch
hingewiesen worden war, und er hob einen schweren Holzblock und schmetterte ihn dem Jakobus
auf den Kopf, und zerschmetterte ihm den Kopf und das Leben. Aber Jakobus ging ein in die
Herrlichkeit Gottes! Maria dachte das, da flog um sie ein zarter Falter, seine Flügel zart bestrichen
mit orangenem Schnee, Purpur-Puder und schwarzem Samtstaub und bedeckt mit rund
geschnittenen Blättchen aus weißem Schaum. Er flog zu einem Schmetterlingsbaum, dessen violette
Blütenstangen schwer und voller Süße dufteten. Maria ward verzaubert, wie von einem Märchen
aus uralten Tagen. In eben jenem Augenblick ward Johannes auf Patmos angerührt, aber mit der
Inspiration des Heiligen Geistes. Johannes saß zu der Zeit im kargen Felsensand und betete, da
ward es um ihn wie lebendig quillender Garten Eden: Bäume schossen neben ihm in die Höhe,
Palmen bewegten sich im süßen Winde, Datteln und Kokosnüsse wogten zwischen den fruchtbar-
grünen Blättern. Vögel mit hellblauem Gefieder und purpurnem Busen und goldenen Stimmen
sangen hüpfend himmlische Arien in den Zweigen, Papageien plapperten Pompöses, ein schwarzer
Adler saß neben Johannes und schaute zu ihm auf, als ob er ihn anreden wollte. Schöne Kröten mit
verzauberten Augen sprangen quakend um ihn, und eine unschuldige Schlange ohne Gift wand sich
zu seinen Füßen. Eine hellrote Muschel rollte im goldenen Sande, bestreut der Sand mit
schneeweißen Kieselsteinen. Der Himmel war von einem strahlenden Hellblau, aber plötzlich
tauchte aus dem Himmel, dem sichtbaren Himmel, eine Erscheinung von großem Lichte auf: Das
war der, der da kommt, der Sohn der Dreieinigkeit, der Friede bringt und Ruhe, die es den
Verfolgten, den bekennenden Christen ermöglicht, Verfolgung zu tragen, der Verheißende, der das
ewige Leben und die Kronen der Gerechtigkeit und des Lebens verheißt den Duldern, den Treuen,
den Bekennern, denen, die ihn erwarten, der da A und O ist, Alpha und Omega, Anfang und Ende:
Friede! sein Gruß, die Zeit des Endes ist nahe, denn bald kommt er, der da ist der Wahrhaftige, der
auf dem Thron ist, der Kommende, der da ist und war vor Grundsteinlegung der Welt, denn in ihm
ist alles geschaffen: Jesus Christus! Halleluja! Das Lamm Gottes, herrlich und gekrönt! Der Zeuge
Gottes, der Erstgeborene von den Toten, auferstanden und in Ehre und Herrlichkeit droben, er ist
der Fürst des Lebens, der König der Könige und Herr der Herren, der Heiland, der uns liebt! Er hat
uns schon geliebt, denn er hat uns von Schuld und Sünde reingewaschen durch sein Lammesblut, er
liebt uns, denn er bereitet uns die heiligen Wohnungen in der Stadt Zion droben, er liebt uns, denn
er wird kommen bald, uns zu entrücken in die Gegenwart Gottes! Halleluja! Wir wollen ihm
bringen unser Leben, unser Sein und Haben, unser Leiden und Dienen als Opfer dar, dem Herrn!
Anbetung dem Allmächtigen! Siehe, und vernimm, was der Geist Gottes den Gemeinden in der
Drangsal zu sagen hat, denn er ist bei euch, der da zwischen den Leuchtern der Gemeinde steht, der
da Herr ist über die Engel der Gemeinde, er, von dem ausgehen die sieben Geister Gottes! Sein
Gewand eine lange Richterrobe, der Gürtel um seine Brust ist Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit
seines Richterspruches. Sein Haupt und seine Haare waren weiß wie Wolle, denn er hatte das Alter
des Alten der Tage, denn er war ewig, uralt in seiner Weisheit, und rein sind seine Richtersprüche.
Seine Augen wie Feuerflammen schmelzen alles auf den Kern der Wahrheit zusammen, sein Licht
aus glühenden Augen durchdringt die Menschen bis ins Innerste ihrer Herzen, da die Wahrheit zu
finden über ihren inwendigen Menschen. O diese tiefe Einsicht, o diese unbestechliche
Genauigkeit! Die Füße des Herrn glänzten wie Erz im Ofen, das Erz des Gerichtes. Seine Stimme
brausend wie ein Wasserfall in den Bergen, o majestätisch den Kindern Gottes! o furchteinflößend
den Ungerechten! Aus seinem Munde kam das Wort Gottes, scharf wie ein zweischneidiges
Schwert, und sein Wort war ein heiliges Urteil über die sieben Gemeinden. Sein Angesicht leuchtete
wie die Sonne zur Mittagszeit und zeigte den wunderbarsten Glanz und die Herrlichkeit seiner
vollenden Gottheit! Als Johannes Ihn sah, den Herrlichen, brach er wie tot zu seinen Füßen
zusammen.

ZWANZIGSTES KAPITEL

Maria war, da sie schon an die siebzig Jahre zählte, nach Jerusalem zurückgereist, denn sie hatte
Heimweh nach Israel. Ihre Gemeinde, die Paulus gegründet hatte und groß geworden war und
Vorbild in der ganzen Provinz Asia, ließ sie zurück und machte sich auf, die Stätten zu sehen, an
denen ihr Sohn gewirkt hatte. Sie machte das, was man eine Wallfahrt, eine Pilgerreise nennt.
Damals war es zum Tempel gegangen. Nun war der Tempel zerstört. Aber Galiläa war noch Galiläa,
Nazareth noch Nazareth, Kapernaum noch Kapernaum und der See Genezareth noch immer das
Meer von Tiberias. Und sie dachte in der Jesreel-Ebene an Jesus. Und sie dachte in Samarien an den
barmherzigen Samariter, den Herrn Jesus. Und sie dachte an den Propheten Jesus, der der
Samariterin geweissagt, daß sie in vorehelicher Unreinheit mit mehreren Männern gelebt hatte, der
er aber dennoch das Wasser des Lebens anbot, ja gerade weil sie in Sünde lebte, brauchte sie den
Trank des Messias dringend. Und sie ging an den Jordan, wo Johannes der Täufer, ihrer Cousine
Elisabeth einziger Sohn, den Herrn Jesus getauft hatte. Und sie reiste nach Bethanien, wo sie mit
den Jüngerinnen des Herrn, Maria und Martha, gespeist hatte einmal zum Feste des einjährigen
Wiederkehrens des Tages, da der Herr den Lazarus aus den Toten gerufen. Und: Sie reiste nach
Bethlehem, und da klopfte ihr Herz besonders, ja ihr Puls pochte in der Schläfe, und ihr wurde
schwindelig, wenn sie nur daran dachte, daß sie, die Magd Jahwes, dort ihn, den Herrn, den
Allmächtigen, den Heiland und Retter der Menschheit, Jesus geboren hatte im warmen Stroh, im
Stalle zwischen Ochs und Esel. Und wie hatten die Chöre in ihrer Seele gejubelt: Er ist Freude dir
und Jubel dir! dachte sich Maria. Und sie reiste nach Jerusalem, wo sie bei ihren Freunden und
Freundinnen, mit denen sie immer in brieflichem Kontakt gestanden hatte, Aufnahme fand. Und
dort begrüßten sie die vier jüdisch-christlichen Ehepaare, die Haus an Haus wie in einer kleinen
Kommune zusammen wohnten: Miklot mit seiner Frau Haikal, Elaza mit seiner Frau Kelimat,
Asmawet mit seiner Frau Lebuda, und Bächer mit seiner Frau Ballha. Miklot war ein
charismatischer Gnadenverkündiger, welcher gut mit Kindern spielen und sprechen konnte und jede
Versammlung zu einer großen Feier des Gotteslobes machte. Wenn er predigte, kam er so in Fahrt,
daß er ein eigenartiges Zucken um die Oberlippe sichtbar werden ließ. Seine Frau Haikal war eine
mütterliche, runde Frau, deren Augen klar wie blaues Wasser waren, ihr Gesicht hell und eine liebe
Freundlichkeit ausstrahlend. Elaza war ein Freund der Musik, er hörte gerne das Harfenspiel der
hebräischen Musiker, die alten Töne, außerdem forschte er sehr gewissenhaft in den heiligen
Schriften der Thora und in den Briefen, die man in Abschriften von paulinischen Briefen hatte.
Seine Frau Kelimat war eine begeisterte Sängerin vor dem Herrn, mit täglichem Lobpreis pries und
lobte sie den Allmächtigen ihrer Seele, ansonsten war sie ein wenig reizbar und zum Nervösen
neigend, was sie zu disziplinieren suchte. Asmawet war ein Lehrer der kleinen Kommune, einer der
sehr klar Verbindungen sah zwischen der Thora und den paulinischen und johanneischen Briefen
und dem Evangelium nach Johannes Markus. Ansonsten bewegte er sich auch gerne und lief täglich
morgens durchs Kidrontal, um seinen Leib (den Tempel des Heiligen Geistes) zu pflegen. Seine
Frau Lebuda war eine zierliche Frau, ein wenig melancholisch, ohne sehr schwermütig zu sein,
einfach sensibel und mit großen fraulich-träumerischen Augen. Sie diente der Hauskirche mit ihren
praktischen Gaben. Bächer war ein sehr großer Mann, der ebenfalls sehr darauf achtete, daß keine
Lehre entwickelt wurde, die dem Wort Gottes und der apostolischen Lehre widersprach. Er
unterrichtete die Jugendlichen in den Geboten Gottes und im Wort vom Kreuz Christi, um sie zum
Messias Yeschua zu führen. Seine Frau Ballha war eine Phönizerin mit langen schwarzen Haaren
und einer langen krummen Nase. Sie versuchte, Anbetungstänze zu entwickeln, denn sie wollte den
alten davidischen Reigentanz nicht untergehen lassen. Eines Tages nun entbrannte seltsam und
wundersam zärtlich das Herz der Mutter Jesu, glühte heftig in Sehnsucht und Verlangen nach ihrem
Herrn, dem Christus Jesus. Ihr Geist geriet in Ekstase, angerührt vom Heiligen Geiste, und sie
mußte weinen und weinen, ohne aufhören zu können. Da der Herr nicht mehr auf Erden war, wollte
sie zu ihm in den Himmel. Wie hatte doch Paulus einmal geschrieben? Auch er hatte großes
Verlangen, schon beim Herrn zu sein; aber er hatte auch eine evangelistische und missionarische
Aufgabe in der Welt. Maria aber dachte, sie hätte ihre Aufgabe erfüllt, und nun sei es Zeit, daß Jesus
ihren Wunsch erfüllen könne, denn ihr Wünschen war es, heimzugehen. Da sie so träumte und ein
wenig Zawlazaw-Gebete lispelte, erschien ihr der Engel des Herrn, in einem großen übernatürlichen
Licht, und er zeigte ihr einen Palmenzweig des Paradieses und sagte: "Dein Herr erwartet dich, o
Maria!" Und Maria begann zu beten mit dem Verstande zu Gott dem Herrn und sagte: "Herr, eines
bitt ich dich inständig: Halte alles Böse ferne von meiner Todesstunde, verweise jeglichen Dämon
und laß mich geleitet werden von deinen heiligen Engeln in das Reich deines Sohnes, meines Herrn
Jesus Christus!" Da sagte der Engel, der wie ein Prophet die Rede führen konnte und sagte ihr zu
ein Wort des Herrn: "Fürchte dich nicht, Maria, denn der Herr mit seinen heiligen Engeln ist bei dir,
dir wird kein Dämon nahen in der Stunde deines Todes. Sei gewiß: Messias, er wird mit dir sein in
der Stunde deines Heimgangs. Du bist ja die Begnadete, und der Herr ist mit dir! Du bist die, die
dem Wort Gottes geglaubt hat! Du bist die, die Glauben und die Taufe der Gläubigen hat! Du bist
ein Kind Gottes! Du bist Mutter und Schwester und Tochter des Herrn! Du bist ein Gefäß des
Heiligen Geistes! Du bist gerettet durch den Kreuzestod Jesu, an den du glaubst, und an seine
Auferstehung! Halleluja, Magd Gottes!" sprach der Engel und fuhr in großem Lichte wieder in den
Himmel hinüber, den Palmzweig des Paradieses in seinen Händen, der leuchtete wie der
Morgenstern. Da sagte Bächer zu den andern Brüdern und Schwestern in Christus: "Geschwister,
seht zu, daß keiner von euch große Klage schreit, wenn Maria stirbt, denn die Juden sollen nicht
denken, daß wir, die wir die Auferstehung von den Toten und das ewige Leben verkünden, uns nicht
mit Maria freuen könnten, wenn sie eintritt in das Paradies unseres Gottes!" Maria setzte sich auf
ihrem Lager auf, inmitten von Öllampen und Kerzen, inmitten ihrer Freunde, der kleinen
Hauskirche, da sagte die Phönizerin Ballha: "Maria, du seiest hochgelobt, wenn du nun in den
Himmel aufgenommen wirst, dann werd ich dich meine Himmelskönigin nennen und die Mutter
meines Gottes. Wenn ich dann sterbe, dann sei du in der Stunde meines Todes bei mir und bete für
mich zum Herrn." Maria wurde müde. In der Nacht aber wachte sie aus ihrem Schlaf auf, tat die
Augen auf, voller Wundern und Staunen, denn sie sah Jesus... herrlich! inmitten von jubilierenden
Engelchören, Patriarchen und Bekennern, Märtyrern und klugen Jungfrauen, und sie hörte
ununterbrochen zu süße und zu liebliche Gesänge und Harfen mit Zimbeln, überirdisch schön. Und
sie hörte Jesus zu ihr sprechen mit der Stimme des Heiligen Geistes und in der Vollmacht des
Vaters: "Meine Tochter, meine Mutter, meine Braut! O Maria, komm her zu mir, ich will dich auf
deinen Thron inmitten der Throne der Erlösten setzen. Komm, o meine Liebe, denn ich will dich
krönen mit der Krone des ewigen Lebens! Komm, o meine Braut (veni electa mea), Geliebte des
Heiligen Geistes, denn Gott begehrt nach deiner Schönheit!" Und Maria seufzte vor lauter
Seligkeit: "Herr! O Herr! Mein Gott! Mein Herz ist bereit!" Und die Engel sangen: "Herr, durch
deine Gnade wird sie die Frucht vom Baum des Lebens, zur Erquickung erlöster Seelen, erlangen
aus deiner Hand!" Und Maria stöhnte auf ihrem Lager noch einmal die Worte ihres Magnificates:
"Selig werden mich preisen die Kinder und Kindeskinder, denn Großes hat an mir getan der Herr,
der Herr! Ja, er ist mächtig, und heilig ist sein Namen, Amen!" Und der Engel sang: "Komm, o
Braut Christi, vom Berge Libanon und empfange die Krone der Gerechtigkeit, einer rechten Liebe
zu Gott!" Und Maria sang mit zitternder Stimme: "In dir, o Gott, ist mein Heil, in dir, o Jesus,
jubilieret meine Seele und frohlockt! Hallelujah!" Und die Seele der Magd Gottes flog dem Herrn in
die Arme, und Maria gab ihren Geist in Gottes Hände. Und Christus nahm sie aus reiner Gnade mit
verwandeltem Leib und heiliger Seele in den Himmel der Himmel auf. Und in jener Nacht träumte
die schöne Lebuda, ihre zitternden schneeweißen Lider zuckend auf den tiefen fraulichen Augen,
und sie sah einen großen Berg, der inmitten einer großen Kette von Bergen stand, welche sich
schlossen zu einem Ring von blauen Felsenbergen. Und in dem Tal, umgeben von mächtigen
Gottesbergen, lebte ein Tal von auserlesener Schönheit: Palmen und Datteln und Feigen, Zypressen
und ewige Zedern lebten in diesem Tal, und Früchte hingen in den Palmen von süßer Reife und
prachtvoller Pracht! Und inmitten des Tales entsproß eine Quelle, und der Bach ward ein Fluß, und
der Fluß teilte sich in vier Ströme, die in die vier Himmelsrichtungen flossen. Und an den Ufern
dieser Ströme standen die herrlichsten Pfirsichbäume. Und vor ihr erhob sich ein sanfter und
verträumter Hügel, bedeckt mit dem frischesten Gras, auf dessen sich wiegenden Halmen
Tautropfen funkelten, daß es aussah wie Diamanten oder durchsichtiges Gold. Und auf dem Hügel
stand eine Burg, und die Burg war breit wie lang, und sie hatte vier Türme, die rund waren, und
zwölf Tore, über denen sich Torbögen wölbten, die oben jeweils von einem Eckstein zusammen
gehalten wurden. Und oben auf dem Rundgang wehte eine Fahne, und die Fahne war blau,
und auf der Fahne war zu sehen die Jungfrau im weißen Kleid. Und die Fahne wehte im Winde, der
lebendig war, denn es war der Geist Gottes. Und Gott wohnte in Seiner Burg.

DRITTER TEIL

ERSTES KAPITEL

Die Madonna lebte mit anderen Schwestern im Heiligtum. Fromme Matronen wiesen sie ein in die
Mysterien der Offenbarung. Die jungen Frauen beschäftigten sich mit Teppichknüpfen und
Reinigung von Tempelkelchen. Sie hatten kleine Zellen, von wo aus sie durch ein Fenster in den
Tempel schauen konnten. Die Vertraute der Madonna war die selige Eva, die von den Schwestern
zärtlich Evelin genannt wurde, von der Madonna aber Evi genannt wurde. Der Madonna ward
verkündigt, dass sie heiraten solle. Da sah ich die Madonna sehr bewegt, als wäre ein Feuersturm in
ihrem Herzen. Sie erklärte den Priestern, sie wolle allein Gottes Braut sein. Sie ward aber
unterrichtet, dass sie die Ehe schließen möge. Da sah ich die Madonna in ihrer Kammer
leidenschaftlich zu Gott beten. Sie war im Gebet ganz vor Durst verschmachtet. Als sie Wasser
schöpfte, hörte sie die Stimme eines Engels, der ihr Trost und Stärke verlieh. Da willigte sie in die
Ehe ein. Ich sah einen sehr alten Priester, der war der Hoherpriester jener Zeit. Er konnte nicht mehr
gehen, seine Hände zitterten fortwährend und er konnte nur noch undeutlich sprechen, manchmal
versagte seine Stimme ganz. Der ward in einem Thronsessel vor das Allerheiligste getragen.
Während der Weihrauch dampfte, las er in einem alten Buch. Im Geiste verzückt, hatte er eine
Vision, da fiel der Finger seiner rechten Hand auf die Stelle des Buches, wo es hieß: Es wird eine
Rose aufgehn, die Blume, die ich meine, ist Maria, die reine! Es wurden die ledigen Männer aus
Davids Stamm vor den Tempel bestellt. Ihnen ward die Madonna vorgestellt. Ich sah einen schönen
jungen Mann mit schwarzem Lockenhaar und schwarzem Bart und erkannte in seinem Herzen eine
Lust, die Madonna zu heiraten. Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Vater der Madonna in
dessen Jugend. Der Name jenes jungen Mannes wird mir wieder einfallen. Er brach in heiße Tränen
aus, als das Los bestimmte, er dürfe die Madonna nicht heiraten. Da zerbrach er zornig den Stab des
Losorakels über seinem Knie. Die Männer waren alle nicht erwählt, sie wurden alle entlassen, auch
der Mann, ik weet nee meer wo de Kerl heet, wurde entlassen, er ging dann in die Wüste zum
Gebet. Die Priester aber forschten nach einem ganz bestimmten Sohn Davids. Auf Befehl des
greisen zittrigen Hohenpriesters kam der auserwählte Sohn Davids in den Tempel. Er hielt bei
Gebet und Opfer einen Mandelzweig in der Hand. Als er den Mandelzweig vor das Allerheiligste
niederlegen wollte, kam eine mystische Blüte zum Vorschein und ein Schwarm von sieben weißen
Turteltauben rauschte über ihn hinweg, das war der heilige Geist der Liebe! Dieser Sohn Davids
ward von der Vorsehung auserwählt zum Bräutigam und Gatten der Madonna. Da ward er ihr
vorgestellt. Die Madonna nahm ihn, ergeben dem Plan der ewigen Vorsehung, willig zum
Bräutigam. Sie wusste im Innern, dass der Herr ihr Gemahl war und sie als Braut Gottes
angenommen hatte. Ich sah ein Bild von der Hochzeit der Madonna und ihres Bräutigams. Vor
allem aber sah ich die Kleidung der Madonna. Die frommen Frauen werden sich an dieser
Schilderung sicher entzücken. Die Hochzeit der Madonna mit ihrem Bräutigam ward sieben Tage
lang in einem festlichen Hochzeitshaus gefeiert, das in Jerusalem am Berg der Tochter Zion gelegen
war. Es waren außer der Mutter der Madonna und der seligen Evi noch andere Freundinnen der
Madonna anwesend. Ich habe die Madonna in ihrem Brautkleid deutlich vor den inneren Augen
meines Geistes. Sie trug ein ärmelloses Unterkleid. Die Arme waren umwickelt mit farbigen
Bändern. Über den Brüsten hatte sie um den Hals ein zauberhaftes Geschmeide von orientalischer
Meisterarbeit. Sie trug einen weiten Leibrock, der vorne offen war. Er umfloß sie mit weiten
Faltenwürfen und bauschenden Ärmeln. Der Leibrock war von weißer Seide und es waren weiße
und rote und goldene Rosen eingestickt. Über diesen Leibrock hatte sie einen Umhang von
allerfeinster weißer Seide geworfen, fast Gaze, mit goldenen Stickereien durchwirkt. Es fiel ihr über
die Brüste, zwischen deren vollen Hügeln eine Perlenkette hing. An den Ohren trug sie Ohrringe
mit Mondstein. An den Säumen ihres weißen Umhangs hingen kleine Silberringe mit Lapislazuli.
Über die bloßen Schultern hingen schwarze Bänder, die wohl ihr Brusttuch zusammenhielten. Der
weiße Stoff vor ihren Brüsten spannte sich so straff, dass die Brustspitzen der Madonna sich in der
feinen Seide abzeichneten. Die bloßen Oberarme waren von goldenen Spangen umschlossen, die
die Gestalt von Schlangen hatten, welche den eigenen Schwanz in den Mund nahmen, was ein
Symbol der Ewigkeit darstellte. Über alles dies trug sie einen langen feuerroten Mantel. Der Mantel
war über den vollen Brüsten der Madonna von einer goldenen Brosche zusammen gehalten, die
einen Talisman darstellte. Der feuerrote Mantel war am Saum mit goldenen Fransen durchwoben.
Die schwarzen Haare der Madonna waren unglaublich kunstvoll frisiert. Die Madonna hatte langes
schwarzes Haar, das sie hinaufgeknotet hatte zu einem Knoten auf dem Haupt, der von einer
goldenen Haarspange zusammengehalten wurde und von einem silbernen Haarpfeil der
Heiratsmündigkeit durchbohrt, in der goldenen Haarspange war eine rosane Muschelperle eingelegt.
Aber aus dem Haarknoten auf dem Haupt lösten sich einzelne Strähnen, die an ihrer Schläfe und
Wange entlang sich ringelten in lässigen Locken. In das seidige Schwarz der Haarpracht war ein
Hauch von Henna getönt. Über dem ganzen Haarkunstwerk trug sie einen feinen transparenten
Schleier, der wie ein goldenes Netz wirkte, in welches rosane Süßwasserperlen eingewoben waren.
Alles war unglaublich kunstvoll frisiert und doch zugleich von einer schier unglaublich lässigen
Bequemlichkeit. In der linken Hand trug sie einen Kranz von lachsfarbenen Rosen, in der rechten
Hand hielt sie wie einen Zepter einen Pinienzweig mit einer Pinienfrucht an der Spitze. Die Schuhe
der Madonna waren von schwarzem Leder, die Absätze waren erhöht. Die Riemen der Sandalen
ließen die nackten Füße sichtbar, deren Zehnägel mit roter Schminke bemalt waren. Die Jungfrau
hatte lange vor dem Spiegel gestanden und sich so kunstvoll verschönert. Sie hatte prüfend ihr
eigenes Spiegelbild betrachtet, und erst da sie das Spiegelbild für vollendet hielt, schöpfte sie das
Spiegelbild in ihr eigenes Wesen zurück. Nur ein Dichter aus Jerusalem hatte sie bei ihrer Toilette
heimlich beobachtet. Die allerschönste Madonna hatte sehr lange seidenglatte schwarze Haare. Sie
hatte schwarze Augenbrauen, die oft staunend und fragend hochgehoben waren, sie waren gebogen
wie die Waage der Wahrheit im Weltgericht. Die Madonna hatte Mandelaugen von himmlischer
Form und Augen wie Venussterne, die zauberhafte Blitze entsandten. Über die Mandelaugen
wölbten sich lange schwarze Wimpern, die sehr keusch und schüchtern sich senken konnten. Sie
hatte ein starke Nase, die auf den souveränen Charakter der starken und freien Frau deutete. Sie
hatte einen wunderschön lieblichen Mund, sehr volle schöngeschwungene Lippen, einen zum
Küssen stets bereiten Mund. Wenn sie wandelte, war es von der Majestät einer wandelnden
Schwanin. Sie legte kurz vor ihrer Hochzeit noch ein schwarzes Kleidungsstück an, das von
schwarzer Seidenspitze war, das trug sie vor den Blicken verborgen. Dies ist es, was ich als
Reliquie besitze. Der Bräutigam trug ein Beinkleid von dunkelblauem Linnen und einen Oberrock
aus himmelblauem Linnen. So standen die Madonna und ihr Bräutigam nebeneinander wie die
feuerrote Madonna und der meeresblaue Bräutigam der Madonna. Der Bräutigam trug am Hals ein
gewisses Zeichen, das von priesterlicher Art war, denn er verstand die Vermählung mit der
Madonna als seinen priesterlichen Gottesdienst. Ich habe von der Hochzeit der Madonna mit ihrem
Bräutigam noch manches gesehen, aber ich bin so krank vor Liebe, das ich nicht weitersprechen
kann. Ich hörte nur immer, wie die Madonna ihren Bräutigam: Mein Dodo! nannte, das ist hebräisch
und heißt: Mein Geliebter! Ich sah auch den Trauring der allerschönsten Madonna. Er war von
dunkler Farbe und schillerte. Es war ein Dreieck in ihn eingezeichnet, in welchem vier Buchstaben
standen. Der Ring war mit dem Tetragramm bezeichnet. Ich sah in einer Vision auch ein Fest in
einem Tempel Unserer Lieben Frau, in dem sich der Trauring der allerschönsten Madonna als
Reliquie befindet. Der Ring ward ausgestellt in einer goldenen Monstranz auf dem steinernen Altar.
Ich sah auch, wie zweitausend Jahre nach der Hochzeit der Madonna ein Dichter den Trauring der
Madonna in der Monstranz auf dem Altar berührte. Da leuchtete der Ring auf und schien sich von
selbst zu bewegen. Ich sah links und rechts von dem Altar mit der Monstranz des Traurings zwei
Altäre. Auf dem rechten Altar war ein silbernes Kreuz, an dem eine goldene Schlange gekreuzigt
war. Auf dem linken Altar stand auf der Mondsichel die himmlische Jungfrau mit der Schlange zu
ihren angebeteten bloßen Füßen. Als die Hochzeitsfeier der Madonna beendet war, zog die
Madonna mit der seligen Evi und den andern Freundinnen in einem jubelnden Zug nach Nazareth in
ein schönes Haus mit einem herrlichen Paradiesgarten. Da sah ich die Madonna mit ihrem Gemahl
an einem runden Tisch, auf welchem Kelche standen mit Schaumwein. Die Madonna trug einen
schwarzen Mantel und schwarzen Rock, über ihrer bloßen Schulter trug sie einen Schleier, der
schwarz, aber durchsichtig war. In ihrer schwarzen Schönheit erinnert sie mich an das Gemälde der
Donna Laura von Giorgione, das ich einmal sah, da die Bella Donna von himmlischer Keuschheit
und göttlichem Eros zugleich durchglüht schien! Um die Kniee der allerschönsten schwarzen
Madonna wimmelten aber kleine und große Knaben ihrer Freundin und freuten sich daran, die
süßen Feigen zu speisen, die ihnen die Madonna hingab! Sie spielten am liebsten mit Stäben,
angeschwollenen Pinienzweigen. Dieses Bild, das ich in einer Vision sah, schien auch noch zur
Hochzeitsfeier
zu gehören.

ZWEITES KAPITEL

Meine Muse führte mich in das Haus der Madonna. Josef war zur Arbeit fortgezogen. Die Madonna
war mit der seligen Evi und der Mutter Anna allein im Haus. Ich sah die drei Frauen im Hause
arbeiten und im Garten lustwandeln. Abends sah ich sie in das Haus einkehren und an einem runden
Tisch zu Abend essen, Brot und Käse, sie tranken Wasser dazu. Dann gingen die selige Evi und die
Mutter Anna in ihre Schlafgemächer, und die Madonna zog sich in ihr verschlossenes Schlafgemach
zurück. Das Zimmer der Madonna lag am Ende der Wohnung und war für alle anderen
verschlossen. Der Eingang war in der Nähe der Küche. Die Tür war in der Mitte des Zimmers, das
Zimmer war länglich, zur rechten Seite befand sich hinter einem herabhängenden himmelblauen
Seidenschleier das Bett der Madonna. An der Decke des Zimmers befanden sich Sternbilder. Als die
Madonna in ihr Zimmer trat, legte sie hinter dem himmelblauen Seidenvorhang vor dem Bett ein
langes weißes Gewand an mit einem goldenen Gürtel. Die Madonna nahm einen kleinen Tisch mit
drei Beinen. Der Tisch war mit einer roten und blauen Decke überzogen. In der Mitte war eine
geheimnisvolle Figur gestickt, ich meine, es war die Vereinigung von zwei Dreiecken, wobei das
eine Dreieck die Spitze nach oben hatte, und das andere Dreieck die Spitze nach unten, und sie
waren in eins geschlungen wie zu seinem Stern. Die Heilige Schrift lag auf dem Tisch. Die
Madonna setzte sich vor das Tischchen mit den drei Beinen und las aufmerksam und besinnlich in
der Heiligen Schrift. Das Bett lag hinter ihr. Sie flehte um die Erleuchtung aller Geister und die
Befreiung aller Menschen, sie flehte, dass ihr Lieben und Leiden einen Anteil an der Vollendung der
Welt in Gott habe. Da ergoß sich wie vom oberen Fenster aus ein schräger Lichtstrahl durch das
dunkle Zimmer, es kam vom Fenster ein solcher Lichtglanz, dass ich überwältigt war, als ich es im
Geiste sah. Das Licht war auch von einem überaus süßem und lieblichen Duft. Da sah ich einen
strahlenden Jüngling mit fließenden Locken vor ihr schweben. Es war der Erzengel Gabriel – Kraft
Gottes! Er sprach mit der Madonna, während er die Arme offen vor ihr ausbreitete. Ich sah seine
Worte wie Buchstaben aus seinem Munde hervorgehen, Buchstaben, die wie Harfen aussahen, die
aus Sternen gebildet sind. Ich las die Schrift und hörte sie wie leisen Gesang im Raum. Die
Madonna wandte ihr Gesicht vor diesem Überschwall der göttlichen Liebe zur Seite und schaute
schüchtern aus ihren blitzenden Augen durch den Schleier ihrer schwarzen Wimpern auf. Der Engel
sprach aber weiter und die Madonna erhob ihr leuchtendes Antlitz zu ihm und gab ihm kluge
Antwort. Der Engel sprach wieder und die Madonna blickte ihn mit klaren Blitzen aus ihren
Mandelaugen verstehend an. Da sprach sie die heiligen Worte: Ja, ich will! Die Madonna war in
Verzückung! Süßes Licht durchdrang die Kammer. Ich sah die Decke des Zimmers nicht mehr, der
Himmel war über der Madonna offen. Eine lichte Himmelstreppe führte mich über die Madonna
hinaus, bis ich an der obersten Spitze der lichten Himmelstreppe eine Gestalt der Allerheiligsten
Dreifaltigkeit schaute, wie drei Regenbögen, in eins geschlungen, und ich schaute darin die drei
göttlichen Personen, die göttliche Person der Allmacht, die göttliche Person der Weisheit, die
göttliche Person der Liebe, und ich schaute nur die Eine Urgottheit! Die Ewige Schönheit der
Urgottheit der Urschönheit, der Reiz der göttlichen Natur ist unaussprechlich! Da aber die
allerschönste Madonna gesprochen: Ja, ich will – Da sah ich den Heiligen Geist, aber nicht als
Taube, sondern mit einem Menschenantlitz, mit Flügeln an der Seite der Gestalt, und aus dem
Zentrum der Gestalt ergoß sich ein glühender Lichtstrahl, den ich in die Madonna eindringen sah
und sich ihr in göttlichem Eros vereinigen! Die allerschönste Madonna ward durch das geistige
Eindringen dieses göttlichen Überwesens so von innerem Licht erfüllt, dass sie ganz erleuchtet und
wie reiner Kristall war. Die dunkle Nacht war in diesem seligen Augenblick so von Lichtglut
durchgossen, dass die Madonna eine Flamme in ihrer schönen Gestalt zu sein schien! Nach dieser
göttlichen Erkenntnis der Madonna sah ich aber den Engel der Kraft Gottes verschwinden, er stieg
die lichte Himmelstreppe in den Himmel zurück, woher er gekommen war, als werde er vom
Munde Gottes wieder eingeatmet. Da schienen mir viele orangenglühende Rosenblüten auf die
allerschönste Madonna niederzusinken und sie zu betten in einem glühenden Meer aus Rosen!
Während ich dies in dem Schlafgemach der Madonna schaute, hatte ich eine sonderbare
Empfindung. Ich sah die schillernde Schlange des Paradieses dort schleichen und züngeln. Nach
dem Heimgang des seligen Engels sah ich die Madonna in glückseliger Wonne der Verzückung auf
ihrem Bette liegen. Ich sah, dass sie die Menschwerdung des Sohnes Gottes in ihrem Inneren sah
und den inneren Christus anbetete. Im Tempel darf nur der Hohepriester vor das Allerheiligste
treten, aber hier ist die allerschönste Madonna der Tempel selbst und in dem Allerheiligsten ihres
Schoßes lebt im Dunkel die unsichtbare Gottheit und ist gegenwärtig. Die einige Gottheit hat ihr
Zelt aufgeschlagen und ist in ihr drinnen, so wird sie nicht überwunden werden! Es war
Mitternacht, als ich dieses Mysterium schaute. Nach einiger Zeit trat die selige Evi herein. Denn
ihre Katze war aufgewacht von der Erscheinung des Engels und hatte sie mit einem süßen Laut
geweckt. Es war eine silberne Wolke über dem Haus der Madonna erschienen. Als die selige Evi
aber die allerheiligste Madonna in ihrer Verzückung in ihrem Bette sah, zog sie sich still und leise
wieder in ihr Schlafgemach zurück. Erst gegen Morgen sah ich, wie die Madonna einschlief. Ich
aber ward von meiner Muse in der Garten der Madonna geführt und sah dort wieder die schillernde
Schlange des Paradieses ihr Haupt erheben und züngeln und zischen. Sie drang auf mich zu, als
wollte sie mich umschlingen. Die Madonna wusste, dass sie den Sohn Gottes in ihrem Schoß
empfangen hatte. Ihr ganzes Inneres war vor den inneren Augen ihres Geistes erschlossen. Die
Ewige Weisheit wollte offensichtlich die Empfängnis und die Geburt aus einer Mutter heiligen und
weihen. Darum hat sich die Ewige Weisheit die allerschönste Madonna zur Mutter erwählt. Die
allerschönste Madonna war die einzige reine Rose der Menschheit, erblüht in der Mitternacht, als
die allmächtige Weisheit vom Himmel kam. Sie war allein das ganz reine Fleisch der Menschheit.
Sie war von der Vorsehung schon in der Ewigkeit auserwählt und ist allezeit als Mutter des Ewigen
durch die Geschichte gewandelt. Da sang ein Dichter in der Nacht das Lob der allerschönsten
Madonna, da sprach der Heilige Geist durch den Mund des Dichters die Selbstvorstellung der
allerschönsten Madonna: Der Ewige hat mich besessen im Urprinzip seines Weges, ehe etwas
geschaffen wurde, im Anfang. Ich bin inthronisiert in meinem Thron von Ewigkeit her, von
Anbeginn, von Ur-Zeit her, ehe Himmel und Erde geworden. Die Tiefen des Meeres waren noch
nicht, ich war schon empfangen im Geist des Ewigen, die Quellen quollen noch nicht, die Berge
hatten sich noch nicht aufgefaltet, vor den Gipfeln und Tälern ward ich gezeugt vom Ewigen in dem
Geist der Liebe. Noch war die Erde nicht geformt, noch strömten die Ströme nicht, noch lag das
Fundament der Erde nicht in die Tiefe eingesenkt. Als der Ewige dem Firmament seine Ordnung
gab, war ich seine Mitschöpferin, als er das Maß und die Kraft der Sterne geordnet, als er die Kreise
der Sphären bestimmte und den Lichtern über den Abgründen ihren Bahnen wies, als er dem Meer
den Deich entgegensetzte und als er die Schildkröte schuf als Fundament der Erde, da war ich bei
ihm, da war ich die Architektin des Kosmos, die Meisterin seiner Werke, die Mitschöpferin des
Schöpfers, die Throngenossin, die Lieblingin des Ewigen und seine verhätschelte Tochter! Ich
ergötzte ihn jeden Tag mit meiner Schönheit und scherzte mit dem Ewigen in ewiger Liebe! Meine
Wonne ist es, auf der Erde zu sein und den Menschensöhnen beizuwohnen! Ja, wahrlich, den
Menschensöhnen beizuwohnen auf Erden, ist meine göttliche Lust und ewige Wollust!

DRITTES KAPITEL

Maria und Josef kamen nach Bethlehem. Sie hielten vor dem Tor. Maria blieb bei dem Esel, Josef
suchte eine Unterkunft. Josef kehrte aber zu Maria zurück und sagte: Die Leute hier nehmen uns
nicht auf. Josef zog den Esel, der Maria auf dem Rücken trug. Wieder blieb Maria ganz ruhig bei
dem Esel, Josef suchte wieder ein Unterkommen. Vergebens! Dann kamen sie an ein weites Feld.
Da war eine heilige Einsamkeit. Es stand dort eine große Kastanie, die ihre Zweige ausbreitete.
Unter dem Kastanienbaum bereitete Josef für Maria einen bequemen Sitz auf Lammwolldecken und
weichen Kissen. Maria lehnte sich an den Baum. Es war, als ob die Jungfrau gekreuzigt würde an
dem Holz des Lebens! Sie trug einen schwarzen Leibrock und einen weißen Umhang darüber und
blaue linnene Beinkleider. Um den Hals trug sie einen Talisman mit dem Namen Gottes und um das
Handgelenk eine Gebetsschnur, an der Hand aber der Ehering mit dem Namen Gottes. Ihr Haupt
war unverschleiert, aber ihre langen schwarzen Haare waren ihr Schleier. Viele Menschen schauten
Maria, aber keiner von ihnen ahnte, dass das Himmelreich in ihr nahegekommen war. Maria ließ
sich auf dem Teppich nieder und legte sich bequem auf das Vlies und betrachtete schweigend den
Himmel, die große Ruhe des Himmels über ihr. Josef kehrte traurig zu Maria zurück. Er hatte zu
seinen Jugendfreunden von Maria gesprochen, aber sie wollten von Maria nichts wissen und taten
auch so, als ob sie Josef nicht mehr kennen würden. Josef weinte wie ein kleines Kind, Maria
tröstete ihn wie eine Große Mutter. Josef sprach, er kenne noch draußen auf dem Felde eine Weide
der Hirten, da seien auch Ställe und Höhlen. In seiner Kindheit sei er oft dahin geflüchtet, wenn sein
großer Bruder ihn gequält habe, und habe dort einsam zu Gott gebetet. Sie kamen zu einem
hügeligen Ort, zu einem schönen Platz mit Bäumen, Zedern und Zypressen. Dann wandten sie sich
zu den Auen der Hirten, wo Josef für Maria eine Unterkunft in einer Höhle suchte. Sie traten durch
einen engen Eingang in die Felshöhle, aber im Inneren erweiterte sich die Höhle zu einer
geräumigen Wohnung aus natürlichem Stein. Drang man noch tiefer in die Höhle ein, kam man
durch einen engen Durchgang in einer Höhlenraum, da eine Krippe stand. Noch tiefer eindringend
in den Schoß der Felsenhöhle kam man aber in den allertiefsten Raum, da das Lager der Jungfrau
bereitet war von weichem Schafsfell. Hier in der allertiefsten Verborgenheit schlief die Jungfrau
allein. Vor der Krippenhöhle waren Bäume und Büsche und Gärten. Wenn man durch das Gras
schritt und an den klaren Wassern der Quelle wandelte, kam man zu einer Höhle, das war die
Grabhöhle der heiligen Mara, der seligen Amme des Stammvaters Abraham. Diese Grabhöhle der
heiligen Mara ward auch die Milchhöhle genannt. In dieser Milchhöhle verweilte Maria andächtig.
Abraham hatte seine Amme Mara sehr verehrt. Sie erreichte das hohe Alter von über neunzig
Jahren. Er führte sie auf all seinen Zügen von Ur aus auf einem Kamele mit sich. In Skythopolis,
wo auch die Heiden die Amme des Bacchus verehrten, hat sie lange Zeit mit ihm gelebt. Später
lebte sie mit Abraham in diesen Auen der Hirten, da er seine Zelte in der Nähe dieser Felsenhöhle
hatte. Da sie dreiundneunzigjährig ihren Tod nahen hörte, bat sie Abraham, in dieser Felsenhöhle
begraben zu werden, denn sie wollte in ihrem Tode begraben werden in der Nähe der Höhle, da das
Heil der Welt geboren würde. Darum nannte sie ihre eigne Grabhöhle auch Milchhöhle, weil hier
Maria das göttliche Kind an ihren prallen bloßen Brüsten stillen würde mit der Milch des Trostes.
So wollte selbst die selige Amme Abrahams in der Milchhöhle fortleben in geistiger Fortexistenz in
dem Geheimnis der Muttermilch Mariens und dem heiligen Mysterium der göttlichen Mutterliebe.
Auch hat Maria das göttliche Kind gestillt, als sie von den Kindermördern verfolgt wurden und sie
sich nach Ägypten flüchteten. Auch Abraham war in seiner Kindheit gehetzt und gequält worden.
Seine Amme hat ihm aber die Seele gerettet. Die Geburt Abrahams war bedroht, aber er kam durch
Gottes Gnade dennoch zur Welt. Seine Amme versteckte ihn in einer Höhle in der Wildnis und
stillte ihn mit ihrer benedeiten Mutterliebe. Er galt in seiner Kindheit schon als ein weiser
Gottesmann und Prediger der Wege des Ewigen. Er ward dennoch als Knabe von allen Seiten
bedrängt und flüchtete sich oft zu seiner lieben Amme in verborgene Höhlen in der Wildnis. Sie
versteckte ihn unter ihrem großen himmelblauen Rock mit der weißen Schürze und trug ihn von den
Verfolgern fort. Es wurden damals viele Kinder ermordet. Lange Zeiten wurde die Milchhöhle von
Müttern innig und andächtig verehrt. Man ehrte in der Amme Abrahams den prophetischen
Vorschatten Unsrer Lieben Frau Maria, die mit ihrer Milch den Sohn Gottes gestillt hat. Die Milch
der Amme Abrahams nährte den Stammvater des auserwählten Gottesvolkes, sein Same ist der
Messias. Ich sah die Milch der Amme Abrahams wie in einer Quelle fließen, dazukam die Milch
Sarahs, die Isaak stillte, Rebekkas, mit der sie Jakob nährte, und die Milch Rahels, mit der sie Josef
nährte, dazukam die Milch der Noomi, mit der sie Obed nährte, dazukam die Milch Bath-Shevas,
mit der sie Salomo nährte, und so quoll die ewige Quelle der Muttermilch in einem fort, in einem
ewigen prophetischen Strom, bis sie hervorquoll als die benedeite Muttermilch der
hochgebenedeiten Brüste Marias, mit der sie den Sohn Gottes großzog! Der Baum, der vor der
Höhle der Amme Abrahams stand, der Milchhöhle Marias, war eine alte breite Kastanie. Ich hörte
Engel in den Lüften jubeln: Unter dem Schatten deiner Flügel will ich frohlocken! Hier hat später
die heilige Helena von Griechenland einen Tempel erbaut. Auch verehrten die Kinder der Gegend
hier den Nikolaus in einer kleinen Kapelle. Josef bereitete Maria ein Ruhelager von persischem
Teppich und Lammvließ, darauf Maria sich bequem niederließ. Josef machte Licht. Dann öffnete er
die Tür und trat in die Höhle. Josef räumte auf in der Höhle, er räumte eben soviel heraus, als nötig
war, um Maria eine schöne Wohnung zu bereiten, in der sie sich wohlfühlte. Er bereitete ihr im
östlichen Punkt der Höhle ein weiches Lager. Er brachte die Lampe an der düsteren Höhlenwand an
und führte Maria in die Höhle hinein. Sie legte sich auf das Lammvließ und den persischen Teppich.
Josef entschuldigte sich bei Maria, dass er ihr nur solch eine schlechte Behausung anbieten könnte,
aber Maria war zufrieden und mit großer Innigkeit überirdisch freudig. Nun machte Josef ein Feuer.
Die Flammen leckten an den Latten hinauf. Dann bereitete Josef Speise. Ich weiß nur noch, dass
Granatapfelkerne Bestandteil der Speise waren. Auch geröstete Körner waren dabei und flache
weiße Fladenbrote, die rund waren wie eine riesige Hostie. Nachdem sie gegessen hatten und dem
Ewigen Lob und Dank gesagt und die Bitte angeschlossen, ihnen in der Ewigkeit beim heiligen
Festmahl des Herrn am Tisch des ewigen Sabbath den Leviathan zur Speise zu geben – machte
Josef für Maria das gemütliche Bett. Maria hüllte sich in ihr Nachthemd, um sich zur Ruhe zu
legen. Maria lag auf ihrem Bett auf der Seite, ihre beiden Hände lagen gefaltet unter ihrer Wange,
die wie die Spalte eines Granatapfels war, und so betete sie innig versunken in stiller Andacht und
versank in ihrem Gebet in der ewigen Ruhe. Den Sabbath verbrachte Maria in der Höhle mit Gebet
und Betrachtung in tiefer Innerlichkeit. Am Nachmittag führte Josef Maria zur Grabhöhle der
heiligen Mara, der Amme Abrahams. Maria und Josef verweilten andächtig in der Höhle, Maria
dankte dem Ewigen für die Gnade, dass Gott die heilige Amme Mara dem Abraham zur wahren
Mutter gegeben hat und so den Patriarchen Abraham schon in der Kindheit mit der süßen
Trostmilch der barmherzigen Mutterliebe Gottes gestillt. Josef bereitete Maria einen kleinen Thron
unter dem alten Kastanienbaum vor der Grabhöhle der Amme. Dort ergab Maria sich dem Gebet
und der Beschauung Gottes. Maria hatte Josef gesagt, dass um Mitternacht das Kind geboren
würde. Josef frug Maria, ob sie andere Frauen an ihrer Seite haben wolle, ihr bei der Geburt des
Kindes zu helfen. Aber Maria sagte, nein, es bräuchten keine anderen Frauen dabei zu sein, sondern
sie allein, Maria, werde das Heil gebären, mit keiner anderen Hilfe als der göttlichen Liebe selbst.
Josef ging am Abend des Sabbath in die Krippenhöhle und bereitete einen kleinen Tisch und zwei
Schemel davor, auf den Tisch stellte er karamellisierte Datteln und geröstete Nüsse. Dann lief er zur
Grabhöhle der seligen Amme zurück und führte von dort Maria in die bereitete Krippenhöhle zum
Abendmahl. Im östlichsten Winkel der Höhle ließ sich Maria auf einem schneeweißen Teppich
nieder und bedachte die Wege der Vorsehung. Maria sprach nun zu Josef, es nahe die Stunde der
Gottesgeburt, Josef möge sich zurückziehen und in Einsamkeit den Ewigen suchen im
Herzensgebet. Josef ward gestört von Geräuschen vor der Höhle, er ging hinaus und fand eine
schwarze Katze gar süß miauen. Er sprach einige väterliche Worte zu der Katze und trat wieder in
die Höhle. Da sah Josef Maria am Eingang seiner Schlafkammer. Sie thronte auf dem schneeweißen
Teppich und schaute gen Orient und betete Gott an. Er sah die schöne Maria von einem
goldenglühenden Lichtglanz umgossen. Die ganze dunkle Höhle war von dem Feuer der göttlichen
Liebe durchflutet. Er war in diesem Augenblick Moses, der zum brennenden Dornbusch trat, in dem
das Feuer der göttlichen Liebe brannte und doch den Dornbusch nicht verzehrte, die Liebe, die
Flamme Jahwes, brannte unaussprechlich heiß in Maria! Da warf sich Josef in tiefster Scheu und
Ehrfurcht anbetend nieder vor diesem Allerheiligsten, da die Gegenwart der Gottheit, der Lichtglanz
der ewigen Herrlichkeit, die Schechinah Jahwes in Maria so liebevoll glühte! Maria war ganz wie
eine rote Rose des Herzens Gottes! Ich sah einen goldenen Lichtglanz um Maria. Sie lag auf dem
weißen Teppich mit dem Angesicht auf der Erde und betete an. Sie trug ein weißes Gewand mit
goldenen Stickereien, welches ihren Leib zärtlich umfloß. Sie lag mit dem Scheitel gen Osten auf
ihrem Gebetsteppich. Um Mitternacht ward sie verzückt. Ich sah sie über der Erde schweben. Sie
hatte die Hände zum Himmel anbetend erhoben. Es war ein unaussprechlicher Lichtglanz um sie
wie glühende Liebe, eine Aura von allerreinstem Gold. Alles um sie her freute sich, selbst die Steine
jubelten, jauchzten und frohlockten. Ich sah die Steine wie lebendig, wie Universen, in denen die
Sterne tanzten und sangen. Ich sah aber über Maria die Höhle offen und eine strahlende
Himmelstreppe gen Himmel steigen, immer lichter und strahlender werdend. Auf dieser
Himmelstreppe, die einem göttlichen Lebensbaum glich, sah ich die Sphären der Selbstoffenbarung
Gottes. Von der göttlichen Krone stieg das fließende Licht der Gottheit zur göttlichen Weisheit und
zur göttlichen Vernunft, zur göttlichen Liebe und zur göttlichen Gerechtigkeit, zur göttlichen
Barmherzigkeit, zur göttlichen Schönheit und zur göttlichen Macht und zur göttlichen Grundlage
und zur göttlichen Himmelswelt, die das Königreich der Himmel ist, das Himmelreich Gottes, in
welchem sich die strahlende Gegenwart des Höchsten offenbarte, die Schechinah Jahwes, die
Herrlichkeit des Herrn! Maria aber entzückt in die höchste göttliche Weisheit schwebte in der
oberen Krone der Selbstoffenbarung Gottes und schaute vom Himmel als gekrönte Himmelskönigin
zur Erde huldvoll herab und sah auf der Erde liegen das Menschenkind, den Menschensohn, den
Sohn Gottes! O Jesus, Schönstes aller Menschenkinder, schönstes Kind, Gottes und Marias Sohn, in
dir offenbart sich die göttliche Schönheit, in dir ist alle Schönheit wesentlich ins Eins
zusammengefasst! Maria war noch einige überaus glückselige Momente in der göttlichen Weisheit
verzückt, dann deckte sie ein weißes Linnentuch über das geliebte Menschenkind. Im nächsten
Augenblick hörte ich das Kind weinen, da hob Maria das Kind vom Boden auf und nahm es auf die
Arme und barg es an ihren tröstenden Brüsten. Sie verschleierte nun das Menschenkind mit dem
Schleier ihrer langen schwarzen Haare. Dann öffnete sie ihr weißes Kleid und legte die makellose
Brust frei, legte das Menschenkind an den prallen Mutterbusen und stillte den Heiland! O Mutter
des Schöpfers, du säugtest die Quelle des Lebens! Du stilltest und befriedigtest Jesus, die Quelle der
ewigen Liebe! Eine Stunde später rief Maria Josef, der noch anbetend auf seinem Angesicht auf
dem Boden seiner abgetrennten Kammer lag. Als Josef Maria nahte, warf er sich in tiefster Demut
vor ihr in den Staub. Aber Maria voll der Gnade bat ihn huldvoll lächelnd, doch ihr Kind als ihr
Gnadengeschenk und als Zeichen der bedingungslosen Liebe Gottes auf den Arm zu nehmen und
das Jesuskind freudig und dankbar an sein Herz zu schließen! Da erhob sich Josef und empfing von
Maria das Jesuskind und schloß es in seine Arme und weinte vor Glück! Nun wickelte Maria das
Jesuskind mit einer Linnenwindel. Maria war dabei voll schweigender Andacht und Josef schaute
ihr stumm beseligt zu. Voller Ehrfurcht, mehr noch, voller unaussprechlicher Liebe staunten sie das
Jesuskind an, das strahlend und wie blitzend in seiner weißen Linnenwindel vor ihnen lag, so rein
und so fein und so klein war Gottes Liebling! Dann legte Maria das Jesuskind in die Krippe. Da
sangen Maria und Josef weinend vor Rührung ein Wiegenlied dem kindlichen Gott! Maria schlief in
dieser Nacht neben dem Jesuskind in der Krippe. Sie trug immer ihr himmlisches weißes
Lichtgewand. Erst als die ersten Besucher kamen, verhüllte sie sich mehr und dichter. Da Maria da
war, freuten sich alle Menschen guten Willens, selbst Ungläubige mit einem ehrlichen Herzen
freuten sich durch Maria. Aber die bösen Menschen, die vom Satan besessen waren, schrieen: Ich
hasse die ganze Menschheit, ich will die ganze Menschheit töten, denn alle Weiber sind Huren!
Aber ich sah die Katzen sich freuen und die Bäume aufatmen, als Maria gebar. Ich sah, wie im
Winter die Rosen zu duften begannen. Ich sah einen Wasserfall rauschen und stürzen auf einen Fels
mit gespaltenem Haupt und niederstürzen auf diesen Fels und mit Schaumspritzern den Fels
umrauschend an ihm niederströmen, da war eine große Lust in der Natur! So entsprang auch in der
Grabhöhle der Amme Abrahams, wo Marien Fuß gestanden hatte, eine Quelle mit heilsamem
Wasser, in welchem eine alte Frau gesund ward, die wie Hiob mit Geschwüren am ganzen Leib
bedeckt war und bei lebendigem Leib zu verwesen schien. Sie hatte auch schon den Verstand
verloren vor Schmerz, aber die Quelle der Gottesgeburt durch Maria brachte ihr neues Leben und
Lächeln des Heils. Über Bethlehem war es in der Nacht dunkel, aber über der Grotte Marias war ein
roter Feuerschein, durchblitzt mit Regenbogenstrahlen. Im Tal der Hirten sah ich aber drei Hirten,
und über ihnen nahte die Wolke der Herrlichkeit und senkte sich gnädig nieder. Ich sah die Wolke
sich verwandeln und sah sich verwandeln in Löwen und Stiere und Adler und Menschenaffen und
hörte einen süßen Gesang, ein schmelzendes, schmachtendes Liebesingen, der immer freudiger
wurde und sich zu einem kindlichreinen Jubel steigerte. Die Hirten waren voller banger Scheu vor
der Herrlichkeit und den himmlischen Scharen, aber es trat ein Engel zu ihnen, ganz in langem
Lichtgewand, mit goldenem Gürtel um die Lenden, mit großen weißen Flügeln und fließenden
goldenen Locken um das Haupt, und lächelte und sprach: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich
verkündige euch eine große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der
Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt ihr zum Zeichen:
Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ Da der schöne Engel
dies sprach, wurden offenbar die himmlischen Heerscharen, es war ein wunderbarer Lichtglanz vom
Ewigen her, und ich sah sieben mächtige Engelsgestalten vor den Hirten stehen, die sangen ein
großes Hallelujah in schönsten Tönen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den
Menschen des Wohlgefallens.“ Und einer der sieben Engelsgestalten hielt ein Blatt in der Hand, auf
dem etwas geschrieben stand, und überreichte es einem Hirten, es stand auf dem Blatt geschrieben,
dass in Christus alle Weisheit und Erkenntnis verborgen ist und die Fülle der Gottheit. In der Nacht
der Gottesgeburt sah ich auf Zypern im Heiligtum von Alt-Paphos die Statue der Aphrodite
zerfallen. Die Priesterin der Aphrodite im Heiligtum von Alt-Paphos hieß Kyrene, aber mir schien
immer, sie hieße Corinna, sie hatte den Zyprioten verkündigt: Wenn die Jungfrau ohne sexuellen
Akt einen wirklichen Gottmenschen gebiert, dann wird die Statue der Aphrodite zerfallen. Die
Menschen hatten sie nicht verstanden und ihr auch nicht geglaubt, aber als in der Nacht der
Gottesgeburt die Marmor-Aphrodite zerfiel, gründete Corinna den Kult der allerheiligsten Jungfrau
Aphroditissa in einem kleinen Tempel in Kouklia auf Zypern, in der die Mutter des Mittlers als die
Mutter der schönen Liebe verehrt wurde. Kaiser Augustus aber ging in der Nacht der Gottesgeburt
auf einem der sieben Hügel Roms spazieren und sah im Gesicht eine Jungfrau auf einem
Regenbogen, aus der ein Kind als Lichtgestalt hervorging. Und er ließ wegen dieser Vision eine
Sibylle befragen, die sprach: Der Sohn der Jungfrau ist der König aller Könige und der Herr aller
Herrn und der Gott aller Götter! Alle Kaiser werden ihre Kronen niederwerfen vor diesem
göttlichen Kind! Dann verstummte die Sibylle. In Ägypten sah ich aber Frauen abgöttisch knieen
vor den steinernem Bilde der Göttin Isis mit dem Horusknaben. Sie befragten ein Orakel, ich meine
sie warfen das Los. Aber Gott, der allein weise Gott, fügte es so, dass das Orakel bekundete, dass
die Jungfrau Gottes Sohn geboren habe, dem allein Anbetung gebühre. Da verehrten die Frauen den
Sohn der Jungfrau, aber so, dass sie weiter ihre abergläubischen Orakel der Isis-Religion
beibehielten und den göttlichen Sohn der allerheiligsten Jungfrau auf abergläubische Art und Weise
verehrten. Die Magier des Morgenlandes aber sahen in der Nacht der Gottesgeburt in einer Vision
die Jungfrau auf dem Sichelmond, im Kleid des Sonnenlichtes, und als Krone trug sie den Zodiak
als einen Kranz geflochten in ihrem langen schwarzen Haar. Zur Linken der Jungfrau wogte ein
goldenes Weizenfeld, umsteckt mit Mohnblumen und blauen Kornblumen und weißer Schafgarbe,
zur Rechten der Jungfrau breitete sich ein Weinberg aus mit vielen Weinstöcken, die fruchtbar
waren mit prallen dunklen Trauben. Ich sah den Schoß der Jungfrau gleich einem Kelch, dem nie
der Wein der Vereinigung fehlt, es war ihr Schoß der Kelch der Kommunion, es war der Schoß der
Jungfrau der Becher der Hingabe! Ich sah über diesem Kelch eine Schlange, es war dies aber nicht
die alte Schlange, der alte Satan, sondern es war die eherne Schlange, die Moses an der Stange
erhöht hatte, nämlich der gekreuzigte Christus, der die erhöhte Schlange an der Stange ist. Ich sah
die Schlange sich verwandeln in eine himmlische Speise, die jedem anders schmeckte, allen alles
war, und so sah ich diese himmlische Speise an als das Fleisch der ewigen Weisheit, die in einem
goldenen Strahlenkranz aufstrahlte und war die Schönheit Gottes. Die ewige Weisheit hielt aber in
der rechten Hand eine Blume, es war eine dunkelrote Rose, in deren Kelch sah ich die Gestalt eines
Tempels, ganz gleich gestaltet der Hagia Sophia von Byzanz. Da sah ich den Tempel der Hagia
Sophia so groß, dass es mir das himmlische Jerusalem zu sein schien. Und ich hörte, dass Christus
sei der Gottkaiser des himmlischen Jerusalem, und ich war im himmlischen Jerusalem bei Christus.
Aber dann musste ich zur Erde hinab und seufzte sehr in der Verbannung, fern der himmlischen
Heimat, und betete nur noch: Nimm nun, Herr, meine Seele, es ist genug, Herr, mich verdrießt es zu
leben, Herr, ich habe Sehnsucht abzuscheiden und bei dir zu sein, Herr, laß deinen Knecht fahren,
denn ich habe meinen Heiland gesehen. Aber in der Nacht entblößte die Jungfrau ihren makellosen
Busen vor mir und stärkte mich mit der Milch des Trostes für meine irdische Pilgerschaft.
Gebenedeite Brüste der allgebenedeiten Jungfrau! Am Tag nach der Gottesgeburt im Menschen
kamen die Hirten zur Krippe. Sie schenkten dem Jesuskind einen Hasen. Die Madonna saß neben
der Krippe auf einem Stuhl, das göttliche Kind auf ihrem Schoße thronend als die Ewige Weisheit
im Sesselthron der Weisheit. Die Hirten hielten ihre Pinienstäbe, die mit dem Pinienzapfen an der
Spitze wie Zepter waren, von Efeu umschlungen, und warfen sich vor der Mutter der schönen Liebe
und der Schönen Liebe selbst anbetend nieder. Sie weinten vor Freude und hatten eine Süßigkeit in
ihrer Seele wie von Akazienhonig. Dann sangen sie eine Hymne an die Schöne Liebe und den
Psalm, da der Psalmist sagt: Meine Seele ist ruhig wie ein gestilltes Kind in den Armen seiner
Mutter, ja, wie ein gestilltes Kind in den Armen seiner Mutter ist meine Seele bei der ewigen
Gottheit! Als die Hirten den Abschied nahmen, gab die Madonna noch ihren kleinen Jesus den
Hirten der Reihe nach in die Arme und auf den Schoß. Der kleine Jesus liebkoste die Hirten mit
seiner kindlichen Liebe und küsste die Hirten auf die bärtigen Wangen. Weinend gaben die Hirten
den kleinen Jesus der schönen Madonna zurück und gingen wieder in ihre Einsamkeit. Dann aber
kamen einige kleine Kinder aus der Gegend um Bethlehem, das Jesuskind und die Mutter Maria zu
beschenken. Sie brachten Singvögel und bemalte Eier und Akazienhonig und Seidenblumen und
Granatäpfel. Sie nahten scheu der Krippe, wo die Mutter Maria saß, das Schönste aller Mädchen.
Sie begrüßten die Schönste aller Frauen und das himmlische Kind. Einer der kleinen Knaben, er
hieß Midda, sang: Mein Herz ist klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus
allein. Ich erinnere mich, dass ein siebenjähriger Knabe, er hieß Jedidja, sagte: Jesus, du bist wie ein
Sonnenritter, der am Morgen aus seinem goldenen Schloß tritt in seiner strahlenden Rüstung, den
finsteren Drachen zu besiegen und die schönste Jungfrau zu befreien und zu heiraten! Als die
Knaben und Mädchen Abschied nahmen vom Christuskind, küssten sie alle die Mutter Maria, das
Schönste aller Mädchen, auf den Mund. Ich sah auch eine fromme Frau bei der heiligen Jungfrau,
die ihr diente. Sie war aus der Sekte der Essener und wohnte nicht weit von Bethlehem in ihrem
Tulpengarten, ich meine, sie hieß Susanna. Susanna wohnte dort in einer reinlichen Hütte inmitten
ihrer Tulpenbeete und unterrichtete mit ihrem Mann Johannes Markus die Kinder in der Weisheit
der Heiligen Schrift. Josef hatte Susanna und Johannes Markus gerufen. Er hatte von Kindheit an
eine freundschaftliche Verbindung zu der Sekte der Essener, denn diese Sektierer waren redliche,
aufrichtige Gottsucher und warteten auf den Messias. Josef war in seiner Kindheit oft zu ihnen
geflohen, wenn er von seinem großen Bruder wieder geschlagen worden war. Susanna kam nun oft
zu der allerheiligsten Jungfrau und brachte ihr eine Gemüsesuppe und geröstete Körner und weißes
Fladenbrot mit, auch wusch sie die Windeln des Jesuskindes, denn die Madonna hatte nur vier
Windeln bei sich. Am achten Tage sollte das Jesuskind beschnitten werden. Die Beschneidung
begann in der Morgenröte. Die Madonna war traurig und bang. Sie hatte Pflaster, das Kind zu
verbinden, bei sich. Die Madonna saß in der Tiefe der Höhle im Schleier ihrer langen schwarzen
Haare und hielt das göttliche Kind auf dem heiligen Schoß. Dann reichte sie das Jesuskind einer
Dienerin. Diese Dienerin übergab das Jesuskind dem Ziehvater Josef. Josef übergab das Jesuskind
einer alten frommen Großmutter, die mit dem Priester gekommen war. Die fromme alte Großmutter
legte das Jesuskind auf ein reines weißes Linnentuch auf dem Boden. Alle beteten. Dann reichte die
alte fromme Großmutter das in das Linnen gewickelte Jesuskind dem Priester. Josef beugte sich
neben dem Priester und hielt das Jesuskind fest. Der Priester kniete vor dem göttlichen Kind. Dosen
mit Wundsalbe standen bereit. Der Schnitt geschah mit der scharfen Schneide des Messers. Die
abgetrennte Vorhaut legte der Priester in eine kleine weiße Dose und reichte die Dose der Madonna.
Ich sah auch in der Vesperstunde des vierzehnten März in Lüttich die Rekluse, die selige Evi von
Lüttich, nur durch ein Fenster mit der Kirche von Lüttich verbunden, die sich auf Lebzeit
eingeschlossen hatte, um einzig und allein Christus im Allerheiligsten anzubeten. Sie hatte
mystische Visionen von der Kommunion mit der ewigen Weisheit. Eine ihrer Visionen war, dass sie
in der Eucharistie die Vorhaut Jesu in den Mund nahm und verschluckte. Jesus blutete! Jesus weinte
vor Schmerz und Trauer! Maria nahm ihren Sohn in die Arme, selbst mitleidend das Leid ihres
Sohnes, löste sie erschüttert ihre schöne vollkommene Brust aus dem Kleid und legte ihren Sohn an
die reine schöne Brust, so fanden Maria und ihr Sohn Trost und Frieden. In der Nacht hörte ich noch
öfters das Jesuskind weinen. Maria wachte in der Nacht, sie schlief und schlummerte nicht, und
immer lag ihr Sohn in ihren Armen und barg sich an ihrem himmlischen Bussen, und so war die
Madonna mit den bloßen Brüsten quasi die Trösterin Gottes!

VIERTES KAPITEL

In den zwölf heiligen Nächten vom Heiligen Abend bis zum Fest Epiphania wanderten die Magier
aus Osten zum Jesuskind. Schon in der Weihnacht ward den Magiern die Geburt Jesu
verkündet. Der Magier Mensor und der braune Magier Sair sahen im Lande Mensors nach den
Sternen. Sie saßen auf einem Sternturm, der einer Pyramide glich, und schauten nach dem Stern
Jakobs. Sie schauten durch Fernrohre und sahen den Stern Jakobs mit einem feurigen Schweif. Der
Stern tat sich auf und die Lichtjungfrau erschien in astralem Glanz, in ihrer Aura schwebte vor dem
brennenden Herzen ein göttliches Kind in blauem Licht. Aus der Seite des Kindes wuchs ein Zweig
mit einer Blüte. Aus der Blüte erhob sich ein elfenbeinerner Turm mit vielen Perlentoren, der zu
einer himmlischen Phönix-Stadt am Ende der Milchstraße wurde. Gleich nach dieser Vision
machten sich Mensor und der braune Sair auf die Wallfahrt zur Lichtjungfrau und dem göttlichen
Kind vom Sterne. Theokeno, der dritte Magier, wohnte weiter im Osten. Er sah dieselbe Vision zur
selben Zeit und reiste auch sofort los, um seine Freunde, die Magier Mensor und Sair, rasch
einzuholen. Ich aber schlief ein mit einem glühenden Verlangen, die Madonna in der Grotte zu
schauen und aus ihren Armen das Jesuskind zu empfangen, um es an mein Herz zu drücken. Ich
kam in der Nacht zur Grotte der Madonna. Madonna wachte an der Krippe ihres Kindes und hatte
das göttliche Kind in ihren Armen. Ihr Schleier floß so lang wie ihr langes schwarzes Haar und
hüllte das göttliche Kind ein. Sie barg das Jesuskind an ihren bloßen Brüsten. Ich lag auf meinem
Angesicht auf dem Boden und betete an. Mein Verlangen war sehr groß, von der Madonna das Kind
zu empfangen. Ah, sie wusste wohl, was ich wollte, sie weiß ja alles und nimmt einen so liebevoll
an, wenn man feurig betet. Sie war so still und so innig. Aber sie gab mir das Kind nicht, denn sie
stillte das göttliche Kind und säugte es an ihrer schönen bloßen Brust! Meine Sehnsucht aber wurde
immer glühender und strömte zusammen mit aller glühenden Sehnsucht aller Liebenden, die sich
nach dem göttlichen Kinde sehnen. So groß war auch die fromme Begierde in den Herzen der
Magier aus dem Osten. Ich vollendete meine Anbetung und zog mich dann leise aus der Grotte der
Madonna zurück. Ich wollte die Madonna nicht stören bei ihrer süßen Mutterpflicht, das göttliche
Kind zu säugen. Ich wurde dann in einer Vision zu den Magiern des Ostens entrückt. Ich ward in
den Osten geführt vom Geist, in eine Gegend, da unfruchtbare Wüste war. Dorrt lebten Menschen,
die wenig bekleidet waren. Die Männer trugen vorn vom Gürtel abwärts Lendenschurze. Der
Oberkörper war bis zum Gürtel nackt. Auf dem Haupt trugen sie ihren Turban mit einer rubinenen
Rose vor der Stirn. Die Frauen trugen kurze Röckchen, die auf die Oberschenkel reichten. Die
Brüste und den Bauch hatten sie mit leichten Hemdchen bedeckt, die beim prachtvollen Gürtel
endeten. Die Hemdchen über den Brüsten der Frauen waren mit bunten Mustern verziert. Die
bloßen Oberarme aber hatten die Frauen mit goldnen Spangen geschmückt, die goldene Schlangen
darstellten. Unter den Bäumen hatten diese Menschen Götterbilder in Gestalt von geflügelten
Schlangen aufgestellt. Dann stieg mein Weg immer steiler an, ich stieg über den Rücken eines
Berges und kam in eine Gegend, da viele Bäume standen. Da waren Bäume mit starken Stämmen
und großen Blättern, Bäume auch wie Pyramiden gewachsen, mit sehr schönen Blumen, auch
Bäume mit herzförmigen Blättern. Dann kam ich in eine Gegend, da Herden weideten. Auf den
Höhen der Hügel wuchsen Weinstöcke, gepflegt in Reihen auf den Weinterrassen. Die Hirten der
Herden wohnten in Zelten. Ich sah Schafe mit zottiger Wolle wie geflochtene Zöpfe und langen
Schwänzen, ich sah flüchtige Tiere mit Hörnern wie Böcke, die groß waren wie springende
Mastkälber, ich sah Herden von Kamelen und Dromedaren, auch spuckende Lamas, schließlich
auch einige weiße zahme Elefanten. Die Herden und Weinberge schienen mir Mensor, dem Magier,
zu gehören. In der Nacht auf der Weide war eine ungeheure Stille. Die Hirten schliefen in ihren
Zelten, nur wenige Hirten wachten über die Herde. Es war schön und herrlich, die unendliche
Weide mit den Herden zu sehen und darüber die unermessliche Weide des Himmels mit den
unzähligen Sternen, den Schafen Gottes, dessen Hirtenstimme sie alle zusammenruft. Ich sah auch,
wie die wachenden Hirten mehr zu den Herden der Sterne sahen als zu den Herden der Schafe. Ja,
sie schauten dahin, woher seit Jahrtausenden ihre Ahnen den Guten Hirten erwarteten, der die
verlorenen Schafe heimführen wollte zur Quelle des Lebens und zur Aue der Ruhe. Ja, der Schöpfer
des Himmels sendet seinen Sohn als Guten Hirten, das verlorene Schäfchen heimzuführen zur
Quelle des lebendigen Wassers und zur Weide des Friedens. Ja, der Gute Hirte wird selbst das
Lamm, das geschlachtet ward, das die Trennung der Welt vom Schöpfer überwindet durch seine
Liebe bis zum Tod und über den Tod hinaus! Diese Ankunft des Erlösers ist jetzt geschehen in
dieser Weihnacht. Und darum sind die Magier des Ostens auch aufgebrochen und folgten dem
Stern, den sie gesehen, um ihrem neugebornen Erlöser zu huldigen. Darum auch schauten die
wachenden Hirten in die Sternwelt, denn der Hirte aller Herden ist von dort gekommen. Plötzlich
hörte ich in der Stille der Nacht den Hufschlag der Kamele, reitende Männer nahten. Die ruhenden
Kamele rührten sich im Schlaf und reckten ihre langen Hälse, die Lämmer blökten. Die Männer
sprangen von den Kamelen und weckten die schlafenden Hirten in den Hirtenzelten. Man
schaute und deutete nach den Sternen. Man sprach von einem Stern, von einer Erscheinung am
Himmel. Das war Theokeno, der dritte Magier, der am weitesten im Osten wohnte, der den Stern
Jakobs gesehen hatte und gleich aufgebrochen war. Er fragte, wo Mensor und Sair wohl seien. Hier
war die Gegend, wo die drei Magier gewöhnlich gemeinsam der Betrachtung des Firmaments sich
hingaben. Sie stiegen dazu auf einen Sternturm, der einer Pyramide glich, und betrachteten durch
lange Fernrohre all die Sterne. Theokeno aber wohnte weiter im Osten, in jener Gegend um Ur im
Fruchtbaren Halbmond, wo Abraham in die Sterne geschaut hatte. Ich sah Theokeno im
Morgengrauen Mensor und Sair einholen in einer verwüsteten Stadt. Dort standen hohen Säulen. An
den Toren standen schöne Bildsäulen, schöner und lebendiger als die Obelisken von Ägypten. Die
Gegend war eine Wüste. Mir scheint, ich bin schon einmal in jener Gegend gewesen, als ich im
Geist zum Prophetenberg des Orients entrückt ward und als ich im Geist zur Mutter Ganga
gewallfahrt bin. Von hier aus zogen nun Mensor, der braune Sair und Theokeno weiter. Nun waren
die drei Magier beisammen. Theokeno war von goldener Gesichtsfarbe. Sie hatten eine Schar von
Kameltreibern und Knechten bei sich. Die Knaben des Gefolges waren bis zum Gürtel nackt und
sprangen geschickt umher. Mensors Name bedeutete: Er geht mit Liebe! Sairs Name bedeutet: Er
schweift schmeichelnd umher und nähert sich so sanft! Theokenos Name bedeutet: Er greift mit
göttlichem Willen rasch zu! Die Magier reisten weiter. Nun traf ich erst mit ihnen zusammen in
einer fruchtbaren Gegend. Hier und da waren Hirtenwohnungen. Die Magier nahten einem Brunnen
und ruhten dort. Die Edlen saßen auf ihren beladenen Kamelen zwischen Bündeln, über welche
Teppiche gebreitet waren. Sie hielten magische Stäbe in der Hand. Auf Pferden und Eseln folgten
ihnen die Diener. Sie gaben den Tieren am Brunnen zu trinken. Die Kamele standen vor Eimern, in
denen Erbsen oder Bohnen lagen. An den Kamelen hingen noch Käfige mit Vögeln zur Nahrung,
Tauben oder Hühnern. Da waren auch Brote in den Taschen. Die Magier hatten auch kostbare
Gefäße bei sich, wie die Kelche in den Tempeln, von Gold und mit roten Edelsteinen am Rand
verziert, aus welchen sie den alleredelsten Wein tranken. Als die Tiere getränkt und gesättigt waren,
ließen sich die Magier nieder und schichteten ein Feuer und zündeten das Holz an, ich weiß nicht
wie, doch sehr geschickt. Da brieten sie nun die Hühner und aßen sie. O wie schön ist doch die
kindliche Einfalt der Magier! Sie gaben denen, die dazugekommen waren, alles was sie hatten und
hielten ihnen noch die Becher an den Mund und ließen sie wie Kinder daraus trinken. Mensor war
ein Chaldäer, seine Stadt hieß Achajacula, war eine Burg auf einer Insel des Euphrat. Er war aber
immer auf dem Feld bei seinen Herden. Seir, der Braune, kam aus seiner Landschaft Parthamaspe.
Er und sein Stramm waren von brauner Haut, aber mit roten Lippen. Theokeno mit der goldenen
Haut stammte aus Medien. Seine Stadt lag zwischen zwei Meeren. Der Stern, der sie führte, war
wie ein runder Ball. Wie aus dem Munde des Herrn Licht strömt, so strömte Licht aus dem Munde
dieses Sternes. Der Ball schien an einem Lichtfaden zu hängen und von einer Erscheinung eines
lichten Engels geführt. Am Tag war der Lichtkörper heller als der Tag selbst. Abends brachen die
Magier auf. Der Stern sah aus wie ein roter Mond im Sturm. Der Lichtschweif war lang und
glühend. Sie gingen eine Zeit barhäuptig neben ihren Tieren und beteten. Dann sangen sie alle
ungeheuer schön durch die dunkle Nacht ihre Hymnen an den Stern! Wir zogen die Nacht hindurch
dem Sterne nach, der dort mit seinem feurigen Schweif an die Erde rührte. Die edlen Männer
schauten so freudig zum Stern und sprachen von ihren Kamelen aus herrlich mit dem Stern.
Zuweilen sangen sie auch gereimte Verse. Es klang so schön durch die Nacht, wie sie ihre Lieder
sangen, und ich fühlte alle Geheimnisse ihres Glaubens. Es geschah alles so still und süß wie ein
unaussprechlich schöner Traum von der Liebe! Nun sah ich die Magier in der Nähe einer Stadt, die
Causur hieß und auf festen Fundamenten erbaut war. Dort ruhten sie bei einem Fürsten, dessen
Zeltschloß vor der Stadt lag. Sie erzählten dem Fürsten von Causur alles, was sie in den Sternen
gesehen. Er staunte sehr und schaute durch ein langes Fernrohr in die Sterne und sah im astralischen
Bereich ein göttliches Kind mit einem Kreuz spielen. Er bat daraufhin die Magier, ihm nach ihrer
Rückkehr alles von dem göttlichen Kind zu berichten. Ich war nur gespannt, ob er dem Kinde wie
versprochen einen Altar bauen würde. Die Ahnen der Magier stammten von Hiob ab, der auf dem
Kaukasus lebte. Der heidnische Prophet Balaam war auch aus jener Gegend. Einer seiner Schüler
verbreitete seine Prophezeiung: Es werde ein Stern aus Jakob aufgehen! Darüber lehrte er. Die
Leute bauten Sternwarten auf Bergen, viele weise Männer und Sternkundige wohnten in den
Türmen auf den Bergen. Alles, was sie in den Sternen sahen, wurde von Mund zu Mund
weitererzählt. Die Sternkunde geriet aber in Verfall. Aber es bestand die Weisheit der
Sternweissagung fort in einem Geschlecht, da drei Töchter prophetische Gaben von Gott erhalten
hatten. Sie wandelten in langen Kleidern durch das Land und weissagten von dem Stern aus Jakob
und dem astralen Kind. Da ward das Verlangen nach der Sternkunde und dem himmlischen Kind
wieder erneuert. Von diesen drei prophetischen Töchtern stammten die drei Magier aus dem Osten
ab. Alle besonders merkwürdigen Zeichen in den Sternen, die auf die Ankunft des Heilands
deuteten, wurden aufgeschrieben. Viele wunderbare Visionen in dem Sternenhimmel wurden
verzeichnet. Schon bei der makellosen Empfängnis der Madonna wurden die Visionen immer klarer
und deuteten auf die Ankunft des göttlichen Kindes. Schließlich sahen sie in den Sternen auch
Bilder, die auf die Passion Jesu hindeuteten. Sie konnten die Ankunft des Sternes aus Jakob, den
Balaam prophezeit hatte, aus den Sternen gut berechnen, denn sie sahen die Himmelsleiter Jakobs.
Sie sahen die Stufen der Himmelsleiter und sahen Visionen auf jeder Stufe. Danach konnten sie wie
nach einem Kalender die Stunde der Ankunft des Heils berechnen. Das Ende der Leiter führte zu
dem Stern Jakobs. Zur Stunde der Empfängnis der Madonna hatten sie in den Sternen Visionen, da
sie die Lichtjungfrau mit der Waage der Wahrheit und dem Zepter der Weisheit sahen, in der Waage
der Gerechtigkeit aber Trauben und Weizen. Sie sahen die Lichtjungfrau mit dem astralischen
Kinde. Sie sahen Bethlehem als ein Schloß voll Segen. Sie sahen die Lichtjungfrau und das
blauleuchtende Kind vom Himmel in einer Glorie der Herrlichkeit und alle Könige der Erde das
Kind anbeten. Sie sahen auch das himmlische Jerusalem, die Kubusstadt des Himmels, und dahin
führen einen Weg aus Blut und Dornen. Sie meinten, der König aller Völker werde in Herrlichkeit
geboren und alle Völker werden sich vor ihm verneigen. Darum zogen sie auch mit reichen Gaben
dem König entgegen. Sie hielten das himmlische Jerusalem für ein irdisches Reich und glaubten, in
das irdische Paradies zu gelangen. Sie sahen auf den Stufen der Himmelsleiter Jakobs viele
Visionen, in denen die Jungfrau verherrlicht wurde als verschlossener Garten, verschlossenes
Osttor, Kelch der Ganzhingabe, Mutter der schönen Liebe! Sie sahen König und Königin, die sich
nur mit dem Szepter berührten. Sie sahen Menschen, die einander Palmenzweige reichten. Als sie
die Vision hatten, wie die Könige aller Völker dem neugeborenen göttlichen Kinde opferten,
machten sie sich auf den Weg zum König aller Könige, dem göttlichen Kind, um es anzubeten. Der
Stern, der ihnen voranzog, war kein Komet, sondern ein leuchtender Glanz, den ein Engel in den
Händen trug. Bei Tage folgten sie dem Engel. Als sie aber nach Bethlehem kamen und statt einem
herrlichen Schloß eine dunkle Grotte fanden, zweifelten sie. Aber sie blieben dennoch bei ihrem
Glauben an die Lichtjungfrau und den astralischen Knaben und schauten beim Anblick der
Madonna und des Jesuskindes alles wieder, was sie zuvor in den Sternen geschaut hatten. Ihre
Betrachtungen des Firmament war mit Fasten und Gebet und Reinigungen und Gottesdienst
verbunden gewesen. Ihre Visionen entstanden nicht aus der Betrachtung eines einzelnen Sternes,
sondern durch die Betrachtung der Sternenordnungen in ihren Häusern und Konjunktionen. Die
Sternverehrung wird bei bösen Menschen immer Böses bewirken, aber bei den heiligen Magiern
wurde die Anbetung immer süßer und inniger und sie selbst wurden immer besser und gläubiger. Im
Herzen des Sterns oder des Lichtballs, der vor den Magiern herzog, sah ich die Gestalt des
göttlichen Kindes, das mit dem Kreuz spielte. Die Madonna hatte von dem Kommen der Magier
eine Vision gehabt. Sie sah auch, dass die Magier dem göttlichen Kinde einen Altar errichten
wollten. Es war ruhig in der Grotte. Die heilige Familie war still unter sich. Nur die Magd Marias,
eine ernste und demütige Frau von vierzig Jahren, war bei der heiligen Familie. Ihr verschiedener
Mann war sehr hart gegen sie gewesen, weil sie oft zu den Auserwählten ging, denn sie war sehr
fromm und hoffte auf das Heil. Darüber war ihr verschiedener Mann sehr ärgerlich gewesen. Josef
feierte mit der Madonna und der Magd Marias den Sabbath unter der Lampe in der Grotte. Am
Abend des Samstag begann aber das Tempelweihfest, das Lichterfest. Josef hatte sieben Lampen
angebracht in der Grotte. Das Jesuskind wurde wie andere Kinder zwar drei Jahre lang gesäugt,
empfing aber schon bald nach der Geburt auch schon andere Nahrung als die süße Muttermilch der
Madonna, denn die Madonna fütterte das Jesuskind mit einem Brei, der süß und nahrhaft war. Nun
kam auch ein Diener der heiligen Mutter Anna, der Mutter der Madonna und Großmutter Jesu. Er
brachte der Madonna Materialien für die Arbeit zu einem reizenden Gürtel und einen schönen
Weidenkorb mit Rosen. Die Rosen waren nicht wie gewöhnliche Rosen, sie waren orangen, nicht
weiß oder rot, sondern glühend wie der Neue Morgen der Morgenröte der Neuen Schöpfung oder
des Neuen Paradieses. Die Madonna freute sich sehr über die orangenen Rosen, mehr als sie sich
über scharlachrote oder weiße Rosen gefreut hätte. Die Madonna freute sich über die orangenen
Rosen und stellte das Weidenkörbchen mit den frischen Knospen neben sich auf ein Tischchen.
Josef hatte Lust, nach der rituellen Reinigung Mariens mit ihr in Bethlehem wohnen zu bleiben. Mir
scheint, er hat sich schon nach einer gemeinsamen Wohnung mit ihr umgesehen. Ich sah auch einen
alten weisen Priester mit Josef aus einer Schriftrolle beten in der Grotte. Sie beteten zusammen,
denn es war das Neumondfest herangekommen. Die Grotte war sehr still in jenen Tagen. Die
Madonna war schön wie der Neumond. Die Magier waren in einem kleinen Ort angekommen. Viele
Häuser waren mit Zäunen umgeben, an denen Rosen wuchsen. Dies war der erste jüdische Ort. Von
hier ging es in gerade Linie nach Bethlehem. Sie sangen schön und waren voller Freude. Der Stern
schien ungeheuer hell, es war wie klarer Mondschein. Die Einwohner begleiteten die Magier mit
Palmenzweigen. Der Stern schien heller, wo gute Menschen lebten, und verdunkelte sich, wo böse
Menschen lebten. Wenn der Stern aber besonders hell schien, meinten die Magier, da müsse wohl
der Messias sein. Der Name der Stadt klang wie Metanea. Ich sah die Magier ruhen, aber sie waren
traurig, weil hier keiner etwas vom neugebornen Messias wusste. Die Verheißung des kommenden
Messias war im Stamm der Magier schon alt. Sie stammte von Hiob: Ich weiß, dass mein Erlöser
lebt und sich als letzter über dem Staub erheben wird! Sie stammte von Abraham, zu dem Gott
sprach: In deinem Samen werden alle Kinder gesegnet werden! Es zog einmal eine Schar von
Menschen aus dem Lande Hiobs nach Ägypten. Sie kamen, zu helfen. In der Gegend von
Heliopolis, der Sonnenstadt, hatten einige Menschen aus der Schar die Offenbarung eines Engels,
der ihnen den Messias verkündete, der aus der Jungfrau geboren werde. Sie sollte nach Hause
ziehen und die Sterne betrachten. Ich sah die Menschen in Ägypten Freudenfeste feiern,
Triumphbögen errichten und Altäre mit Blumen schmücken, dann zogen sie nach Hause, in die
Heimat Hiobs. Diese Menschen brachten aus Ägypten die Verehrung der Sterne. Aber der Sternkult
verfiel bald zu finsterem Aberglauben. Die Schüler Bileams aber, des heidnischen Propheten, der
die Stimme des Herrn hörte und eine Vision des Ewigen hatte, erneuerten den wahren Kult der
Sterne. Später hätten drei prophetische Töchter den Kult des göttlichen Sternkindes wieder erweckt.
Nun aber, sprachen die Magier, sei der Stern aus Jakob erschienen, sie zu führen zum Messias.
Maria hatte die Ankunft der Magier vorhergesehen. Josef richtete die Grotte her. Josef und Maria
mit dem Jesuskind zogen sich in einen hinteren Raum der Grotte zurück. Es waren Menschen von
Bethlehem gekommen, das Kind zu beschauen. Von einigen Menschen ließ sich das göttliche Kind
auf die Arme nehmen, von anderen wandte es sich weinend ab. Ich sah die allerseligste Madonna
innerlich ganz ruhig in ihrem Raum in der Grotte. Ihr Lager war sehr bequem eingerichtet und die
Decken dufteten nach dem süßen Duft der Madonna. Das Jesuskind lag neben ihr und schmiegte
sich an sie, sie aber wandte mütterlich ihre Arme und ihre Brüste segnend dem Kinde zu. Ihr Lager
war von der Grotte durch eine Wand abgetrennt. Am Tage aber, wenn sie nicht allein sein wollte,
saß sie vor der Wand, dann saß das Jesuskind neben ihr. Die Mutter der Madonna, die heilige Anna,
war mit ihrem zweiten Mann und Marias Schwester gekommen. Ich habe gesehen, wie die
Madonna das göttliche Kind ihrer Mutter in die Arme legte. Das Jesuskind war ganz still und ruhig
und Anna war tief bewegt. Die Dienerin Annas hatte lange Haarflechten, die ihr wie ein schwarzes
Netz bis zu den Hüften herabhingen. Um ihre Hüften trug sie einen zauberhaften Gürtel. Ihr kurzer
Rock reichte nur zu den Oberschenkeln. Ihr Unterkleid schloß sich eng um die Hüften und war
straff über den schönen Brüsten gespannt. Die Mutter Anna weinte mit der schönen Madonna, aber
die Tränen wurden immer wieder von Zärtlichkeiten des göttlichen Kindes unterbrochen. Ich sah
die schöne Madonna heute wieder in der Grotte und das Jesuskind auf ihrem Schoß. Wenn Josef
und die Madonna mit dem heiligen Kind allein waren, neigten sie sich oft zärtlich dem göttlichen
Kinde zu und sprachen Worte des Segens und der Ehrerbietung vor der heiligen Seele des Kindes.
Dann sah ich die heilige Mutter Anna mit ihrer reizenden Dienerin wieder fortreisen von der
schönen Madonna. Die Magier zogen von Metanea weiter durch die Nacht. Sie zogen durch kleine
Gehöfte, wo später der Messias als erwachsener Mann die Kinder gesegnet hat, indem er sie
liebkoste. In der Nähe des Ortes Bethabara überquerten sie dann den Jordan. Nun waren sie in
gerader Richtung gen Bethlehem, aber sie zogen erst nach Jerusalem. Die Stadt Jerusalem lag hoch
aufgetürmt gen Himmel. Hier war der Stern ganz verschwunden. Die Pilger waren ganz verzagt und
kleinmütig, denn der Stern war nicht mehr zu sehen. Sie erwarteten in ganz Israel ein große Freude
über die Geburt des Messias, aber nirgends fanden sie eine Spur von Freude über die Geburt des
himmlischen Königs auf Erden. So wurden sie ganz traurig und zweifelten fast an ihrer Verheißung.
Sie sprachen zu den Menschen zwar von dem Stern und dem göttlichen Kind, aber keiner von den
Leuten verstand, was sie sagten. Sie fanden nicht einen einzigen Menschen, der etwas verstand vom
Heil. Die Leute begriffen einfach nicht, was die Magier suchten. Einige hatten etwas von einer
Geburt in Bethlehem gehört, aber sie wussten nichts von einem himmlischen König, denn die Eltern
des Kindes in Bethlehem seien arme Leute. Andere lachten die Magier aus und meinten, es könne
nicht weit her sein mit dem himmlischen König, wenn der König Herodes nichts von solch einem
Kinde wüsste. Da wurden die Magier noch verzagter und wurden sehr von Zweifeln geplagt. In
ihrer Trauer beteten sie, da wurden sie vom Geiste wieder aufgebaut, wurden getrost und mit neuer
Hoffnung erfüllt. Sie dachten: Der Stern hat uns so weit geführt, er wird uns auch nach Hause
führen. Einige Leute führten den Zug der Magier in einen Hof, wo sie die Nacht verbrachten. In der
Nacht ging der Magier Theokeno in das Schloß des Königs Herodes. Es war nach zehn Uhr in der
Nacht. Der Magier wurde von einem Hofmann des Königs Herodes ausgefragt und brachte die
Mitteilungen des Magiers zum König. Der König war zwar entsetzt, aber er beherrschte sich selbst
und versprach scheinheilig, er werde die Schriftgelehrten befragen. Als Theokeno zu den andern
Magiern zurückkam, konnte er ihnen keinen wahren Trost bringen. Sie schliefen in der Nacht nicht,
sondern hielten immer Ausschau nach dem Stern. Herodes aber ließ die Schriftgelehrten kommen.
Sie kamen noch vor Mitternacht mit Schriftrollen. Er fragte sie, wo der Messias geboren werden
solle. Sie sprachen: Es steht geschrieben in den Propheten, dass der Messias in Bethlehem geboren
werden solle. Herodes war voller Unruhe und suchte nach dem Stern, aber er sah keinen Stern. Die
Schriftgelehrten sprachen: Die Magier aus dem Osten seien schon immer abergläubische
Sternanbeter gewesen, wenn der Messias aber kommt, dann kommt er sicher in den Tempel von
Jerusalem. Die Magier aber seien Phantasten. Herodes aber ließ sich nicht beruhigen. Morgens ließ
Herodes die drei Magier rufen. Ihnen wurden einige Erquickungen gereicht. Sie verneigten sich vor
dem König von Israel und fragten ihn nach dem neugebornen Messias. Herodes heuchelte große
Freude. Der Magier Mensor erzählte ihm von der Vision, wie sie die Lichtjungfrau in den Sternen
gesehen und das astralische Kind bei ihr, und wie das Kind eine Krone getragen hätte. Nun seien sie
gekommen, dieses himmlische Kind anzubeten. Herodes sprach, sie sollten nur nach Bethlehem in
Ephrata ziehen, wenn sie das Kind gefunden hätten, sollten sie zurückkehren und ihm berichten,
damit er auch komme und das heilige Kind anbete. Es gab zwar Gerüchte von der Geburt des
Kindes in Bethlehem, aber die Leute waren viel zu weltförmig und geldgierig, als dass sie an einen
himmlischen König glauben könnten, der von einer armen Frau geboren war. Herodes aber dachte
über die reichen Magier aus dem Osten nach und war doch sehr erschrocken, ob ihm das
neugeborne Kind den Königsthron streitig machen könne. Als die Gerüchte aber wieder
eingeschlafen waren, dachte nur noch Herodes an den kindlichen König und befahl darum, alle
kleinen Kinder in der Gegend umzubringen! Die Magier aber kamen nach Bethlehem. Hirten
wiesen ihnen das Hirtental als einen Lagerplatz für ihre Karawane an. Da sahen die Magier den
Stern wieder hell erstrahlen. Ein senkrechter Strahl ergoß sich aus dem Stern und wies auf einen
Hügel. Plötzlich wurden sie voller Freude, denn sie sahen in dem Lichtstrahl die Lichtjungfrau mit
dem Sternenkind. Da entblößten sie ihre Häupter und beteten an. Sie schritten zu dem Hügel und
kamen an den Eingang der Grotte. Mensor sah als Erster in die Grotte und sah die Grotte erfüllt von
himmlischem Licht und sah im Hintergrund der Hütte die allerschönste Madonna mit dem seligen
Kinde sitzen, gerade so, wie die Magier sie in Visionen in den Sternen gesehen. Die Magier legten
ihre großen weißen Priestermäntel an. Sie hatten an ihren Gürteln viele kleine Beutel und Döschen
hängen. Ein jeder der drei Magier stellte einige goldene Döschen auf den blauen Teppich in der
Grotte. Dies waren ihre gemeinschaftlichen Geschenke. Mensor und die anderen Magier zogen ihre
Schuhe aus, wie Gott zu Mose einst gesprochen: Zieh deine Schuhe aus und nahe barfuß, denn dies
ist heiliger Boden! Auf einem Brett trugen sie nun andere Geschenke herein und trugen sie zur
allerschönsten Madonna, sie fielen auf die Kniee zu Füßen der allerschönsten Madonna und
huldigten ihr ehrerbietig. Als sie eintraten, waren sie trunken vor seliger Freude und himmlischer
Frömmigkeit und selbst wie erleuchtet von einem überirdischen Licht, das den ganzen Raum wie
ein süßer Duft erfüllte. Madonna saß in einem Korbstuhl. Beim Eintritt der Magier aber richtete die
Madonna den Oberkörper auf, der bequem im Korbstuhl gelegen hatte. Sie verschleierte sich mit
ihren langen schwarzen Haaren und bedeckte auch das heilige Kind mit dem zärtlichen Schleier
ihrer seidigen Haare. Das Kind saß auf dem Schoß der Madonna und schmiegte sich zärtlich an die
Brüste der Madonna. Als Mensor niederkniete vor der allerschönsten Madonna und dem süßen
Kinde und die Geschenke überreichte, sprach er Worte der Verehrung und Huldigung, erfüllt von
tiefer Ehrerbietung, er neigte demütig sein Haupt vor dem überirdischen Glanz, der die Madonna
mit dem Kinde umfloß. Die Madonna aber hatte dem Kinde den Oberkörper entblößt, da sah das
nackte göttliche Kind so liebevoll aus seinen strahlenden Augen, das Licht der Liebe floß zwischen
dem Schleier der schwarzen Haarflut der allerschönsten Madonna hervor, das alle bezaubert waren
von dem seligen Glanz. Mit der einen Hand und ihren schlanken weißen Fingern streichelte sie die
Locken des Kindes und mit dem andern Arm hielt sie es warm und zärtlich umschlungen. Das
himmlische Kind leuchtete vor seliger Liebe und griff wie scherzend um sich und spielte mit dem
Haar der Madonna und rührte an ihre wundervollen Brüste. O wie selig waren die Magier aus dem
Osten! Es war ihnen, als seien sie auf Erden schon im Paradies und schauten die Schönheit Gottes
von Angesicht zu Angesicht! Mensor legte der allerschönsten Madonna seine Gabe in den Schoß.
Sie nahm das Gold liebevoll und dankbar an und lächelte ihn süß aus ihren Mandelaugen an.
Mensor gab das Gold, weil er voll treuer Liebe war und in unerschütterlicher Andacht nach der
ewigen Weisheit suchte. Mensor zog sich zurück. Nun kam der braune Sair und sank in seine Kniee.
Zitternd sanken seine Kniee in sich zusammen. Die Schönheit der Madonna mit dem Kinde riß ihn
mächtig in die Knie! Dann bot er mit liebkosenden Worten der Huldigung sein Geschenk an, ein
Weihrauchfaß mit grünen Blättern und Samenkörnern. Er gab den Weihrauch, weil er ergeben war.
Er kniete lange in glühender Innigkeit, ehe er sich fortbegab. Nach ihm kam Theokeno, der älteste
Magier. Er konnte nicht knieen, er stand ehrfurchtsvoll geneigt und stellte ein Goldgefäß mit grünen
Kräutern nieder. Es schien eine lichtgrüne Pflanze, die auf überwundene Leidenschaft deutete, er
hatte die berauschende Leidenschaft überwunden und innerlich zur Schönheit geordnet. Der Mann
hatte starke Versuchung zum Götzendienst der Astarte und zu Vielweiberei mit großer Kraft
bekämpft und gesiegt. Er blieb lange voller Ehrfurcht und Andacht von dem kleinen Jesus stehen.
Die Magier waren selig und dankten der Madonna und dem Kinde in einem kindlich-reinen und
gleichzeitig liebestrunknen Gebet. Sie weihten dem makellosen Herz der schönen Madonna und
dem heiligen Herzen des kleinen Jesus ihre Familien, ihr Volk und ihr Land und die ganze Erde und
den ganzen Kosmos und vor allem ihre Allerliebsten, der kleine Jesus möge die Seelen ihrer
Allerliebsten doch ins Paradies führen und ihnen schon auf Erden die große Liebe schenken! Bei
dem Gebet glühten die Magier in schöner Liebe, und Tränen des Trostes und der unaussprechlichen
Freude rollten wie blutige Tränen über ihre glühenden Wangen. Sie waren ganz selig, und meinten,
schon auf dem verheißenen Stern angekommen zu sein. Die allerschönste Madonna nahm alles mit
süßer Sanftmut und frommer Demut an und schwieg lange. Eine schöne Bewegung ihrer Schulter
allein drückte die innige Bewegung aus, und es schob sich ihr Kleid von der schönen Schulter. Das
nackte Kind sah so schön hervor aus dem schwarzen Schleier der langen Haare der schönen
Madonna. Schließlich sprach die Madonna noch leise einige liebevolle und weise Worte und ließ
die Magier tiefe Blicke tun in das allerheiligste Mysterium ihrer schönen Seele, in welcher Mensor
den Thron Gottes schaute. Dabei war aber das Kleid von der Schulter verrutscht und die schöne
bloße Schulter der Madonna entzückte Mensor zugleich mit einem frommen und seligen Entzücken
wie ein Blick ins Paradies der Schönheit Gottes! Die Magier zogen sich zurück und nur noch die
Kinder aus dem großen Pilgerzuge der Magier blieben in der Grotte und beteten still das göttliche
Jesuskind an. Dann zogen sie sich alle voller stiller Freude und tiefer Dankbarkeit zurück. Am
nächsten Abend nahmen die Magier Abschied. Mensor ging zuerst allein in die Grotte. Die
allerlieblichste Madonna legte ihr heiliges Kind in seine Arme und er liebkoste das göttliche Kind
der allerschönsten Madonna, das seine Schönheit von der Schönheit der Madonna hatte, und
drückte es an sein Herz und küsste es auf die süßen Lippen! Da leuchteten die himmlischen Augen
des heiligen Kindes vor großer Seligkeit! Dann kamen auch die andern Magier in die Grotte,
Abschied zu nehmen. Sie schenkten noch viele Geschenke, alte Priesterhandschriften, duftende
Kräuter, orangene Rosen und der Madonna ein weißes Kleid von allerfeinster Seide, so fein
gewoben wie ein Frühlingslüftchen, mit eingewobenen Mustern von Paradiesblumen. Sie weinten
alle vor seliger Trauer, als sie Abschied nahmen von der allerschönsten Madonna mit dem
göttlichen Kinde! Ich sah die allerschönste Madonna vor ihnen stehen, die schwarzen Haare
aufgebunden zum Knoten, drehte sie den Oberkörper und spannte ihre schönen Brüste. Sie hatte das
Jesuskind in einen Weidenkorb gelegt und begleitete Mensor einige Schritte bis zum Ausgang der
Grotte. Da stand sie still und geheimnisvoll schweigend und reichte dem geliebten Magier ein Stück
von ihrer Kleidung, ein Stück schwarzer Spitzenseide, das sie selbst am Körper getragen hatte. Dies
reichte sie liebevoll lächelnd dem geliebten Magier. Der nahm es zitternd vor gläubiger Liebe und
liebender Andacht entgegen und roch den berauschenden Duft der allerheiligsten Madonna und war
ganz verzückt vor Liebesseligkeit! Er sank in seine Knie, als er die Madonna in solcher Schönheit
vor sich sah, dass er die göttliche Weisheit selbst in Fleischgestalt vor sich erscheinen sah, sank auf
die Erde und betete an! Dabei weinte er solche Tränen des Trostes aller Trauer und der
unaussprechlichen Wonne des Paradieses, dass er fast vor Wonne der Schönheit zu sterben meinte!
Wahrlich, die schwarze Madonna ist so unaussprechlich schön, dass wer sie erschaut auf Erden,
sterben will, um ewig die Schönheit Gottes zu schauen! Aber die schwarze Seide bewahrte der
Magier als seine allerkostbarste Reliquie zum Zeugnis und Bekenntnis der Fleischwerdung der
Ewigen Weisheit!

FÜNFTES KAPITEL

Am Anfang schuf Gott Eva im Paradies. Es sah der Seher, dass Gott seinen Knecht Jakob, seinen
Geliebten Israel segnen wollte. Da sprach der Seher, als der Geist auf seine Locken kam: Also
spricht der Seher, dem die Augen des Herzen geöffnet sind, der die göttlichen Worte kennt, der die
Offenbarung des Ewigen schaut, der schaut, wenn er niederkniet zum Gebet, also spricht der Seher:
Wie schön ist deine Wohnung, Israel! Deine Wohnung ist wie ein blühender Garten, da die
Feigenbäume wachsen und die Zypressen rauschen. Gott ist für dich wie das Horn des wilden
Stieres. Du liegst wie ein Löwe, du erhebst dich wie ein junger Löwe und brüllst! Gesegnet ist, wer
dich segnet! Verflucht ist, wer dir flucht! Siehe, ich schaue, aber in der Ferne, ich schaue, ich schaue
den Stern aus Jakob! Und aus dem Stern aus Jakob hervorkommen wird der Herrscher, der Israel
und die Völker alle weiden wird mit dem Zepter der göttlichen Gerechtigkeit! Ich schaue die Frau,
ihr Name wird sein: Die Beleibte, das bedeutet: Die Schöne! Sie wird sich neigen mit ihren
barmherzigen Mutterbrüsten und stillen mit der Milch des Trostes und säugen mit der Milch der
Weisheit den Messias, den Kind-Messias, der an ihren Brüsten ruht und spielt mit ihren Brüsten.
Und der Kind-Messias schaut mit den Augen eines Gottes in meine Seele! Und der Stern aus Jakob
steht über der Mutter des Messias, der Mutter, der Beleibten, der Schönen, der Schwester Aarons!
Und die Mutter sitzt unter dem Feigenbaum des Paradieses, denn sie wird mit dem Kind-Messias
das Paradies erneut eröffnen. Dann werden die letzte Eva und der letzte Adam Königin sein und
König im Paradiese, das die beleibte Mutter und der Kind-Messias uns schenken, Israel und allen
Völkern! Heil der Beleibten, Heil der Mutter des Kind-Messias, Heil dem Messias aus dem
Geschlecht Israels! Und der Seher zog wieder gen Osten in seine Heimat. Siehe, der Seher sah, und
was er sah, das war: Der Herr! Er, der lebendige Gott, war im Tempel, sein Saum rauschte durch
den Tempel! Seraphim umschwebten den lebendigen Gott, feurige Flügelschlangen der göttlichen
Liebe, englische Chöre der brennenden Liebe Gottes! Jeder Seraph hatte vier Flügel: Zwei Flügel
verhüllten das Antlitz und zwei Flügel verhüllten das Geschlecht vor Gott! Und der Chor der
Seraphim sang diesen himmlischen Choral zur Musik des Himmels, zum Orgelspiel des Himmels:
Kadosch, kadosch, kadosch, Jahwe Elohim Zevaoth! Hosianna, Hosianna! Gepriesen sei der
Messias, der kommt im Namen des Seienden! Und die Schwellen des Tempels schwollen an vom
Sang der feurigen Schlangen und der Tempel war voll von berauschendem Weihrauch! Da sprach
der Seher: Ah weh mir, ah weh mir, ich verschmachte! Ich habe eine sündige Zunge und wohne
unter Weibern mit sündigen Zungen! Und ich habe den Herrn gesehen! Da flog ein Seraph zu ihm
und hatte in den weißen Schwingen Glut vom Altar des Himmels und mit der Glut berührte er des
Sehers Zunge und sprach: Nun bist du purgiert! Und er hörte die Stimme Gottes: Ich will dich
senden! Geh und sprich zu diesen närrischen Leuten. Sie werden dich hören und doch nicht
verstehen, sie werden deine Zeichen sehen und doch nichts erkennen. Sie sind taub wie Ottern, die
die Stimme des Beschwörers nicht hören, der gut beschwören kann. Sie sind blind wie Maulwürfe.
Sie hören mit ihren Ohren und verstehen doch nichts. Und ihr Herz will sich nicht bekehren! Und
dann sprach Gottes Wort zum König: Erbitte dir ein Zeichen von Gott! Da sprach der König: Ich
will kein Zeichen erbitten. Da sprach der Seher: Du ermüdest die Menschen! Willst du auch Gott
ermüden? Gott wird dir dies Zeichen geben: Die Jungfrau ist schwanger! Die Jungfrau wird den
Sohn gebären! Er ist Immanuel, das heißt: Gott ist mit uns! Er wird Butter und Honig essen, Butter
und Honig wird die Jungfrau ihm geben, und er wird lernen, das Böse zu verwerfen und das Gute zu
erwählen. Dann wird ein Mann eine junge Kuh und zwei Mutterschafe haben und wird soviel
melken, dass er Butter essen wird. Butter und Honig werden die zu essen haben, die übriggeblieben
sind vom Gericht. Aber wo vorher die fruchtbaren Gärten waren, werden nur noch Nesseln stehen.
Und Gottes Stimme sprach zum Seher: Nimm dir eine Tafel von Ton und ritze mit einem Griffel
hinein den Namen deines Sohnes, denn es wird ein prophetischer Name sein. Und der Seher ward
Vater eines Sohnes. Und bevor der Sohn Abba sagen konnte, kam Gottes Gericht. Und der Seher
sprach: Ich soll das Buch meiner Weissagungen verschließen, meine Enkel werden es öffnen und
darin forschen und viel Weisheit finden. Siehe, hier bin ich und die Söhne meiner Einsamkeit, die
Gott mir geschenkt. Sie sind ein prophetisches Zeichen in dieser Zeit vom Herrn, der in der Tochter
Zion wohnt. Sie werden zu dir sagen: Laßt uns die Sterne befragen, lasst uns die heiligen Bäume
befragen, lasst uns die Spalten der Mutter Erde befragen, lasst uns die Toten befragen. Aber der
Seher sprach: Ihr sollt lieber sagen: Hin zur Offenbarung des Wortes Gottes! Wenn ihr euch nicht
wendet zur Offenbarung des Wortes Gottes, werdet ihr nicht neugeboren wie Tau aus dem Schoß
der Morgenröte und wird euch die Sonne der Gerechtigkeit nicht anblicken mit den Wimpern der
Morgenröte, sondern ihr werdet in Finsternis und Todesschatten zittern vor Angst! Aber es wird
nicht finster bleiben über denen, die in Todesangst sind. Denn das Volk, das in der Finsternis
umherirrt, wird ein Licht sehen. Die Sonne der Gerechtigkeit weckt lauten Jubel, Freudengeschrei
wie von glücklichen Kindern! Der Krieg, die Geißel der Menschheit, wird verdammt! Denn uns ist
ein Kind geboren! Uns ist der Sohn gegeben! Er ist der Herr und sein Name ist: Göttlicher Held!
König des Friedens! Wundertäter! Siehe, ich sehe die Tochter Zion, die den Messias gebiert, ich
sehe die Freudenbotin kommen von dem Berg der Tochter Zion mit lieblichen Füßen und bringen
uns den König des Friedens. Und sie wird uns trösten wie eine Mutter, sie wird uns tragen in ihren
Armen. Wir werden ruhen auf ihrem Schoß. Wir werden saugen an ihren Brüsten die Milch des
Trostes, schlürfen den Wein der Weisheit. Denn Gott wird uns durch die Mutter des Messias trösten!
Gott wird uns durch die Tochter Zion trösten wie eine Mutter. Und wir werden der Mutter des
Messias in den Armen liegen und saugen an ihren Brüsten. Und bei ihr wird der Friede wie ein
Strom sein, denn sie ist die Königin des Friedens, die uns den König des Friedens bringt. Sie ist die
Freudenbotin mit den lieblichen Füßen, die kommt und die Botschaft verkündet: Der Messias allein
ist der König des Friedens! Wenn das Friedensreich des Messias kommt, dann werdet ihr sitzen jede
unter ihrem Feigenbaum und jeder unter seinem Weinstock!
SECHSTES KAPITEL

Ich, Jakobus, Stiefbruder des Herrn Jesu aus des heiligen Josef erster Ehe, will nun berichten von
der Empfängnis Unserer Frau. Viele haben davon schon gesungen, liebe Philathea, aber nun will ich
es im Geist der Weisheit überliefern, wie es würdig ist. Die heilige Prophetin Anna war achtzig
Jahre alt und war unfruchtbar. Sie sah das Nachtigallweibchen im Rosenbusch die Nachtigallküken
füttern, da betrübte sie sich und seufzte: Ach dass ich doch Mutter der Mutter des Messias würde!
Da trat der Engel Gabriel zu ihr und sagte: Anna, du auserwählte Frau, du wirst die Ur-Form der Ur-
Materie empfangen, du wirst die Idea Gottes empfangen, im makelloser Konzeption wirst du die
Frau empfangen, die Mutter des Messias! Da sagte Anna: Wie soll das geschehen, da ich doch
unfruchtbar bin? Da sagte der Erzengel Gabriel: Bei Gott ist nichts unmöglich. Gott wird seinen
Geist senden, um die Mutter des Messias als Meisterwerk des Heiligen Geistes in makelloser
Konzeption in deinem gesegneten Mutterschoß zu schaffen. Gehe nur zu Joachim, deinem Mann, er
wartet in dem Goldenen Tor von Jerusalem auf dich. Und Anna zog zum Goldenen Tor von
Jerusalem. Es war das Osttor des Tempels. Die Makellose Konzeption selbst ist das Osttor des
Tempels. Und Gott sprach: Das Osttor des Tempels soll verschlossen bleiben, denn Gott selbst wird
durch dieses Tor hindurchgehen. Es soll aber für alle Zeit verschlossen und versiegelt bleiben. Denn
meine fleckenlose Freundin ist ein verschlossener Lustgarten und ein versiegelter Bronnen. Nur der
Auserwählte soll sitzen vor dem verschlossenen Osttor des Tempels und im Goldenen Tor
Jerusalems das kultische Opfermahl feiern, dessen Speise jedem anders schmeckt. Da begegnete die
alte Prophetin Anna dem heiligen Joachim und küsste ihn in dem Goldenen Osttor des Tempels von
Jerusalem. Und da zeugte der Heilige Geist sein Meisterwerk, die Makellose Konzeption. Und die
alte Prophetin Anna sang ihren Lobgesang, als die Makellose Konzeption in ihren auserwählten
Mutterschoß als Meisterwerk des Heiligen Geistes geschaffen worden war, die Frau, die Idea
Gottes, also sang Anna: Mein Herz ist fröhlich in Gott, mein Haupt ist erhoben in Gott! Mein Mund
tut sich weit auf wider die Feinde des Heils, denn ich freue mich des Heils! Gott ist die Quelle aller
Heiligkeit und Gott ist treu wie ein Berg! Laßt doch, ihr Gottlosen, euer Prahlen und Rühmen und
Trotzen, lasst eure frechen Reden gegen Gott und euer Lästern gegen Gott! Denn Gott kennt jedes
eurer Worte und von Gott werden eure Werke gewogen auf der Waage der Wahrheit. Die Waffen der
Gewaltigen werden zerbrochen, aber die Schwachen werden gegürtet mit dem Gürtel der Gnade!
Deren Bauch satt ist vom Fressen, die Fetten, sie werden hungern nach Liebe in Ewigkeit, aber die
hungern nach Gerechtigkeit, die werden satt werden an den Brüsten des Trostes! Die Kinderlose hat
mehr Kinder als die, die Kinder geboren hat. Gott allein tötet, aber Gott macht auch lebendig und
führt aus dem Tod ins ewige Leben! Von Gottes Vorsehung kommen Reichtum und Armut. Aber die
Demütigen werden von Gott gekrönt, die Elenden werden neben den Fürsten im Reiche Gottes
thronen! Gott gibt dem Armen Asche zu Speise und Tränen zu Trank, aber im Reiche Gottes wird er
liegen mit dem Messias zu Tische und der Messias wird sich gürten und dem Armen einschenken
uralten Wein von Kana und ihn nähren mit dem Brot der Engel! Gott wird die Gerechten führen auf
ihren Wegen, aber die Gottlosen stürzen in der Finsternis und fallen in den Abgrund. Die irdische
Macht wird keinen retten. Die gegen Gott die Waffen erheben, werden in die Hölle gestürzt! Der
Allerhöchste wird die Tyrannen zerschmettern, Gottes Liebe allein ist die Richterin aller Seelen!
Gott gibt die Macht dem Messias und wird krönen das Haupt der Mutter des Messias! - Wer ist die
Makellose Konzeption? Sie ist: Die Frau! Am Anfang ist sie die Neue Eva, am Ende ist sie die
Apokalyptische Frau! Siehe, der Seher sah die Apokalyptische Frau am Himmel, ihr Name war:
Magnum Signum! Die Frau war mit der Sonne bekleidet, der Mond war unter ihren Füßen, und sie
trug eine Krone aus zwölf Sternen auf ihrem Haupt. Sie war schwanger und schrie in Qualen, denn
sie sollte in der Endzeit das Heil gebären. Und es kam der scharlachrote Drache mit sieben
Häuptern und zehn Hörnern und sieben Kronen. Und sein Skorpionenschwanz fegte den dritten Teil
der Sterne vom Himmel. Luzifer riß bei seinem Fall ein Drittel der Engel aus dem Himmel mit
herab in die Hölle. Der scharlachrote Drache bedrängte die schwangere Jungfrau, das Kind, wenn es
möglich wäre, schon im Mutterschoße auszukratzen und fortzuwerfen in den Kot! Aber die Frau
gebar den Hirten, den König. Und das Kind fuhr auf zu Gott im Himmel. Aber die Apokalyptische
Frau verbarg sich in der Wüste. Gott ernährte sie dort und gebot den Raben, ihr Fleisch und Brot am
Morgen und am Abend zu bringen. Aber der Erzengel Michael warf den Drachen aus dem Himmel.
Und die Söhne der Frau stritten mit den Söhnen Satans. Aber als der Erzengel Michael, der Diener
Unserer Frau, den Drachen und seine Sklaven aus dem Himmel geworfen, da entbrannte auf Erden
ein Kampf. Die Söhne Satans stritten mit den Söhnen der Frau. Und da der Drache der Frau und
ihrem Kinde nichts anhaben konnte, kämpfte er gegen die Samen der Frau, die Söhne der Frau.
Aber die Söhne der Frau siegten über den Drachen durch ihr Glaubenszeugnis und das Kostbare
Blut des Christus Jesus. Wer ist diese Apokalyptische Frau? Sie ist die Neue Eva des Evangeliums
in dem Buche Genesis. Denn als die listige Schlange Eva zum Ungehorsam gegen Gottes Wort
verführt hatte und durch Evas Nein zu Gott die Sünde und als Lohn der Sünde der Tod in die Welt
gekommen war, da sprach Gott: Gott hat den Tod nicht geschaffen, sondern durch die List des
Teufels ist der Tod in die Welt gekommen, und die beim Teufel schwören, sind es wert, dem ewigen
Tode anzugehören. Aber, du Teufel, du listige Schlange, ich setze Feindschaft zwischen dich und
die Frau! Die Neue Eva wird dir den Schädel zertreten! Die Frau und ihr Nachkomme wird dir das
Haupt zertreten, du wirst dem Nachkommen in die Ferse stechen, aber er wird dir den Schädel
zertrümmern! Diese Frau, die Neue Eva, wird die alte Schlange besiegen, das ist der Teufel, das ist
der scharlachrote Drache, das ist der Satan, der vom Himmel gefallen ist wie ein Blitz! Die
Apokalyptische Frau wird mit der Kraft des Erzengels Michael und dem Zeugnis ihrer Söhne und
mit dem kostbaren Blut des Lammes den Satan besiegen am Ende der Zeiten! Siehe, dann wird der
Feind in das Zelt der benedeiten Frau Jahel schleichen und um Wasser bitten, und sie wird ihm im
Becher Milch reichen, aber wenn er schläft, dann nimmt die Benedeite unter den Frauen den
Hammer, das ist das Wort Gottes, und treibt mit dem Hammer den Pflock durch des Feindes
Schläfe, dann wird er zusammenbrechen und niederstürzen und zu ihren Füßen verenden! Siehe, der
Feind wird betrunken in seinem Zelte liegen, betrunken vom Wein der Wollust und der Begierde
nach der Benedeiten, der reinen Judith, die sich schön geschmückt hatte aus Liebe zu Gott, und sie
wird zu ihm treten und mit seinem eigenen Schwert ihm das Haupt vom Rumpfe trennen, und so
wird sie das auserwählte Gottesvolk befreien von der großen Drangsal durch den Anführer der
Feinde und die Heerschar der Feinde Gottes und des auserwählten Gottesvolkes. Das wird eine
größere Demütigung des Feindes sein, dass ihn eine demütige Frau besiegt hat, als wenn der
Allmächtige ihn allein durch den Hauch seines Mundes vernichtete, das wird zur größeren Ehre
Gottes geschehen, dass die demütige Frau den Feind besiegt, sie, die allein auf Gottes Allmacht
vertraut! Sie ist die Benedeite unter den Frauen und die Schönste der Frauen in den Zelten des
Gottesvolkes! Und ein armer Bauer, frisch bekehrt zu Christus, schaute die Apokalyptische Frau.
Sie stand auf dem Berg der Schlangengöttin und des Abgottes der geflügelten Schlange, und sie
zertrat den Schlangengöttern den Schädel. Die Schlangengötter waren gefräßig wie Drachen, sie
verschlangen Menschen wie der Moloch! Unzählbar waren die Menschenopfer, die die Herrscher
des Aberglaubens den Schlangengöttern brachten! Sie zerstückelten die Kinder, sie rissen den
Jungfrauen das Herz aus dem Busen bei lebendigem Leibe und sie führten Männerkrieg, um die
Gefangenen den Schlangengöttern zum Fraße vorzuwerfen! Aber die Apokalyptische Frau
triumphierte über die blutrünstigen Schlangengötter! Sie trat auf in ihrer Schönheit, den Sichelmond
zu ihren Füßen, umgeben von den Strahlen der Sonne, ihr grüner Mantel bestickt mit goldenen
Sternen, der Sternenkonstellation am Tag der Makellosen Konzeption! Sie ist die Apokalyptische
Frau, die Makellose Konzeption, die Siegerin in allen Schlachten Gottes, die Hilfe der Christen, die
Schlangenzertreterin, die Neue Eva des Paradieses, die Mutter des wahren Gottes und die Mutter
aller Menschenkinder! Ein Mennonit aus Westfriesland hatte in einer lebensbedrohlichen Krankheit
eine Vision. Er war in Rom zum Franziskaner geworden und erzählte seinem Freunde, einem
Mennoniten in Westfriesland, von seiner römischen Vision auf dem Krankenbett, einer Vision der
Immaculata. Maria trug einen Kranz von zwölf Sternen, den Mond zu ihren Füßen, umleuchtet von
reinem weißen Sonnenlicht. In ihren Armen trug sie das nackte Jesuskind, das trug die Weltkugel
mit dem Kreuz darauf in der linken Hand und segnete die Menschen mit der rechten Hand. Zu
Füßen der Immaculata, zu den bloßen Füßen der Madonna öffnete sich die Hölle. Ein Pestgestank
wie von Schwefel oder verfaulten Eiern drang aus dem Abgrund herauf. In der Hölle wimmelte es
von Skorpionen mit Gift in den Schwänzen, von feurigen Schlangen, die den Schwanz ins eigene
Maul nahmen, von Giftspinnen, die überall ihre Netze spannen, von Würmern und Nacktschnecken,
Kröten und Maulwürfen, Fledermäusen und Mäusen. Und das Biest auf dem Thron war eine
gekrönte Ratte. In Feuerflammen schrieen gekrönte Häupter, Tyrannen der Rasse und Tyrannen der
Klasse, Totengerippe lagen überall verstreut herum, Selbstmörder seufzten zu totem Gestrüpp
verwandelt in den schauerlichen Nebeln über den stinkenden Sümpfen, im Abgrund schrie Judas
Iskariot, der Jesus um dreißig Taler verriet und in dem untersten Abgrund starrte der Phallus Satans.
Aber über der Immaculata öffnete sich der Himmel. Da strahlten Engel wie kleine glückliche
Kinder mit Flügeln an den Schultern und den Füßen, himmlische Frauen in englischer Schönheit,
Scharen von glückseligen Geistern in einer großen Gemeinde, Maria Magdalena in den
Orangenhainen des Morgensternes auf einem Bette liegend, in lauter Gold der Haarflut gekleidet,
David mit seiner Harfe sang Lobpreis dem Abba Jahwe, dem Maschiach und der Ruach ha kadosch!
Und die Immaculata mit dem kleinen nackten Jesuskinde triumphierte wie der Himmel über die
Hölle. Es war der Triumph der Immaculata, die die Hölle verschloß und den Himmel öffnete. (Aber
der Mennonit erklärte: Maria ist die göttliche Versöhnerin des Himmels und der Hölle, denn sie
brachte die Allversöhnung.) O der Franziskaner sah den Triumph der Unbefleckten, und wenn er
von seiner Vision sprach, war es die Apotheose der Jungfrau, die einst Maria war, nun aber die
Himmelskönigin und geheime Göttin des Christentums! Ja, sie war die geheime Göttin des
Christentums, denn sie hat mit ihrem Sohn, dem göttlichen Kinde, die ganze Menschheit erlöst!
Aber am nächtlichen Firmament am achten Dezember fand ein Treffen statt von glückseligen
Geistern. Drei Männer sah ich am Himmel wie leuchtende Sterne. In der Mitte stand der heilige
Papst Pius der Neunte, zu seiner Linken stand der selige Franziskaner Duns Scotus und zu seiner
Rechten der Marterzeuge Pater Maximilian Kolbe. Und die beiden Männer zur Rechten und Linken
riefen: Viva il Papa! Und über den drei Sternmänner leuchtete die Madonna, und die beiden Männer
zur Rechten und Linken riefen: Viva Madonna del Papa! Und Duns Scotus erklärte: Maria ist ganz
rein vom Augenblick der Empfängnis an. Aber Christus, der später von ihr geboren worden ist, hat
das ganze Menschengeschlecht erlöst. Aber er musste Maria nicht von der Sünde erlösen, denn sie
war ganz rein. Aber wenn Christus nicht Maria erlöste, die doch ganz Mensch ist, dann wäre er
nicht der Erlöser des ganzen Menschengeschlechts. Darum sage ich, dass Maria von Christus in
einer einzigartigen Weise erlöst worden ist, nämlich so, dass Maria als Meisterwerk des Heiligen
Geistes von dem Logos im Hinblick auf das Versöhnungsopfer am Kreuz im Vorhinein erlöst
worden ist so, dass sie bewahrt wurde vor allem Makel der Erbsünde und bewahrt vor jeder
persönlichen Schuld und Sünde, ja, bewahrt vor jeder geheimen Neigung zur Sünde. Ich weise
damit die Ansicht eines Kirchenvaters zurück, der sagte: Maria war eine Frau, folglich besaß sie die
Sünde der Eitelkeit. Nein, Maria wurde vom Logos erlöst, indem der Sohn Gottes Maria vor aller
Sünde bewahrte. Und Maximilian Kolbe sprach: Alles für die Immaculata, alles mit der
Immaculata, alles durch die Immaculata und alles in der Immaculata! Der Kranz der
Jungfräulichkeit empfangen will ich von der Immaculata und den Kranz des Martyriums will ich
empfangen einzig von der Hand der Immaculata! Ich will überall Städte der Immaculata gründen
und will die Medien der Neuzeit durchdringen mit der Verherrlichung der Immaculata! Ich will die
Immaculata preisen, wie noch nie ein Mensch die Immaculata gepriesen hat, und ich bitte die
Immaculata um die besondere Gnade, dass ich einen Menschen finde, der die Immaculata noch
mehr preist, so dass ich in einem heiligen Wettbewerb mit diesem Menschen streiten kann um die
höchste Ehre der Immaculata! Und der heilige Papst Pius der Neunte sprach: Wir, Petrus,
cäsaropapistischer Alleinherrscher von Gottes Gnaden im alleinseligmachenden Gottesstaat erklären
kraft der Erleuchtung des Heiligen Geistes in unfehlbarer Weisheit: Die Jungfrau Maria blieb vom
ersten Augenblick der Empfängnis im Mutterschoße an durch die einzigartige Gnade Gottes im
Hinblick auf das Kreuzesopfer Jesu von jedem Makel der vererbten Sünde Evas rein bewahrt! O die
Renaissance! Da zogen die Künstler und die schönen Musen durch Rom und riefen : Der alte Papst
stand im Dienst der Venus! Der neue Papst steht im Dienst der Minerva! Und sie errichteten eine
Säule in Rom, einen Säulenschaft, strebend ragend in den Himmel. Die Gelehrten stritten sich: War
es der Sonnenstrahl, der Pfeil Apollons, oder war es der Phallus, der Thyrsosstab des Bacchus? Und
oben auf dem Säulenschaft thronte eine himmlische Frau? Wer war die Göttin? War es die Göttin
Pax? War es die Göttin Pax Romana? War es die Göttin Pax Christi? Es war die Immaculata
Conceptio! Vier alte bärtige Seher warfen sich der Immaculata Conceptio huldigend sklavisch zu
Füßen! Tiefer noch als Sklaven erniedrigten sie sich wie Würmer in den Staub zu Füßen der
glorreichen Frau! Da rief Moses zur Frau: Feindschaft setzt Gott der Ewige zwischen den Satan und
dich, o Fraue! Und da sang David zur Harfe: Gebenedeit hat der Ewige Seine Wohnung! Und da
sprach leise Hesekiel: Das Osttor des Tempels soll für immer verschlossen bleiben, denn Gott der
Herr ging durch dieses Tor ein! Da jubelte Jesaja, der Evangelist: Die Immaculata ist schwanger mit
dem Immanuel, die Jungfrau wird gebären den Friedefürsten! Und über die rufenden, singenden,
flüsternden und jubelnden Propheten erhob sich die glorreiche Frau, Sie, die Göttin Roms, die
Immaculata Conceptio! Sie, die makellose Idea Gottes, die ewigweibliche Throngenossin des
Herrn!

SIEBENTES KAPITEL

Mit der Geburt Mariens ging die Morgenröte des Heils auf! Sie ist die Aurora des theosophischen
Äons! Im Jahre Sechzehn vor Christi Geburt, am fünften des Augustus, ward Maria geboren. Sie
wurde geboren in einem wohlhabenden Bürgerhaus. Ihre Mutter Anna, die alte Prophetin, stammte
aus der Wurzel Jesse, aus dem Königshaus Davids, von der Linie Salomos. Joachim war ein
Eigentümer von großen Herden Großvieh und Kleinvieh. Anna lag müde im Bett, auf einem
weichen Schafsfell. Das neugeborene Kind wurde gebadet. Eine arabische Sklavin prüfte mit der
schlanken Hand die Temperatur des Badewassers. Persische Sklavinnen bereiteten einen Essteppich
für Anna vor. Ein Fell wurde auf den Boden gelegt, darauf stellten sie Käse und Eier und Oliven
und weißes Fladenbrot. Das Wochenbett der alten Anna war ein wahres Himmelsbett, ein
durchsichtiger Schleier hing als Mückennetz rings um das Bett und ein himmelblauer Schleier hing
oben gewoben über den weißen Kissen, weiß wie Schaum des Meeres. Die Säulen waren aus Gold
von Ofir und aus Parwajim-Gold, die Latten aus Almuggimholz von Kusch. Die Säulen hatten
Knäufe in Mandelblütenform. Die weißen Decken waren mit roten Rosenblüten bestickt. Die
Nachbarin Eva half bei der Versorgung der Mutter Anna und die orientalischen Sklavinnen dienten.
Die kleinen geflügelten Engelskinder kamen herbeigeschwebt und brachten der Mutter Anna Feigen
und Mandeln. Maria begann ihr Leben in dem Wickelkorb und in der Badewanne. Erst hatte sie eine
kupferne Badewanne, aber dann schenkte ein reicher Verwandter ihr eine goldene und silberne
Badewanne mit Mäander-Mustern. Eine arabische Sklavin nahm der kleinen Maria die
Linnenwindel ab, um sie zu waschen, und badete das Kind Maria. In dem Wasser war Rosenöl und
rote Rosenblütenblätter schwammen in dem Wasser um die nackte Maria. Dieweil die nackte Maria
in dem Schaumbad von Kamelstutenmilch und Honigschaum badete, spielte vor dem Haus in einem
Apfelbaum ein kleiner geflügelter Amor-Engel mit einer weißen Taube der Liebe. Die Scharen der
geflügelten Kinder-Engel aber lachten und sangen: Hosianna, Tochter Davids! Kommt alle und
jauchzt und jubelt und schreit vor Entzücken, denn die Königin des Friedens ist euch geboren! Die
Jungfrau des Goldenen Zeitalters ist wiedergekommen!

ACHTES KAPITEL

Die alte Mutter Anna hatte Gott gelobt, wenn sie auf ihre alten Tage in ihrer Unfruchtbarkeit noch
Mutter eines Kindes werden sollte, dann sollte dieses Kind Gott geweiht im Tempel leben. Ganz
genauso hatte es ihre Namenspatronin die Mutter Hanna mit ihren erbetenen Knaben Samuel
gemacht, der schon als Knabe im Tempel Gottes Stimme hörte: Samuel, Samuel! – Rede, Herr, dein
Knecht hört! – Als nun Maria drei Jahre alt war, wurde sie zum Salomonischen Tempel gebracht,
um als Tempeljungfrau unberührt von der Welt erzogen zu werden, dass ihr ganzes Leben
Gottesdienst sei. Maria aber sollte nach dem Liebeswillen der göttlichen Vorsehung im
Salomonischen Tempel gottgeweiht leben, weil sie ja der lebendige Tempel Salomos war. Salomo
hatte nach einer Vision den Tempel in Form eines Mutterschoßes gebildet. An der Schwelle erhoben
sich die beiden Säulenschafte Boas und Jachin. Durch die Vorhalle führte der Weg ins Heiligtum,
und vor dort ins Allerheiligste, dass von einem Schleier verschleiert war, und dort im Dunkel wollte
der Ewige wohnen. So sollte der menschgewordene Gottessohn im Schoß Marias wohnen. Der
Salomonische Tempel war in Wahrheit Marias Mutterschoß. Der Salomonische Tempel als
Mutterschoß Mariens war die Gebärmutter, in der die Barmherzigkeit Gottes wohnte. Darum zog
Maria gewissermaßen als die Seele in den körperlichen Tempel Salomos. Anna und Joachim und die
Verwandten brachten das kleine Mädchen Maria an den Fuß der Treppe. Ohne sich nach ihren
leiblichen Eltern umzusehen, ging sie der Kirche Gottes entgegen, sie schritt aufrecht wie eine
Königin die steile Treppe hinan. Und auf der obersten Schwelle übergoß sie der gnädige Gott mit
solchem Lichtglanz und solcher Grazie, dass sie in ihrem bezaubernden Lächeln allen ganz
entzückend und bezaubernd erschien. Jeder wollte dies Mädchen herzen, liebkosen und küssen, so
süß war sie, so goldig und so rein! Das ganze Volk Israel liebte die kleine Prinzessin Maria! Und
selbst vor großer Freude in ihrem Herzen begann die kleine Prinzessin Maria mit ihren nackten
Füßchen zu tanzen, dass die silbernen Kettchen mit den kleinen Glöckchen an ihren Fußknöcheln
zu klingen begannen. Sie tanzte entzückend, und so war sie die große Lobpreistänzerin vor dem
Herrn! Maria wurde im Tempel von der jungfräulichen Aufseherin der Tempeljungfrauen
empfangen, die hieß Naomi. Diese hütete Maria wie eine kleine Taube, sie nannte sie immer: Mein
liebes Turteltäubchen, mein liebstes Weibchen! Am Tage einmal empfing Maria aus der Hand eines
Engels aus der Heeresschar von Mahanajim Speise, nämlich die Engelsspeise, die wie Eis leicht
schmolz, weiß war, nach Koriandersamen schmeckte einmal, ein anderes Mal ganz anders
schmeckte, denn dieses Man-hu schmeckt immer anders. Der Hohepriester in dem vornehmen Rock
und Mantel Aarons mit den zwölf Edelsteinen und den Orakeltaschen empfing die kleine Prinzessin
Maria mit den Worten: Gegrüßet seiest du, Einwohnung Gottes in seinem Heiligtum! Gegrüßet
seiest du, Herrlichkeit des Herrn, die den Tempel erfüllt wie eine goldene Wolke! Gegrüßet seiest
du, Gegenwart Gottes in jungfräulicher Gestalt auf Erden! Gegrüßet seiest du, unsre Königin, du
Tochter des ewigen Königs im Himmel! Gegrüßet seiest du, Matronita des Himmelreichs! Gegrüßet
seiest du, Prinzessin Schechinah, dass du einziehst in das Haus des Herrn! Die Prophetin Anna
staunte über diese Worte des Hohenpriesters und beuge sich in ihrem langen orangefarbenen Kleid
zu der kleinen Prinzessin Maria. Diese trug ein rosafarbenes Kleid, ein rosafarbenes Röckchen und
einen schaumweißen Unterrock von allerfeinster Seide. Ihre Füße steckten nackt in goldenen
Sandalen, so dass die Prophetin Anna sang: Wie herrlich sind deine Schritte in den Sandalen, du
Prinzessin! In ihrem Haar, dass von der Sonne ganz vergoldet schien, trug sie ein hübsches Diadem
mit fünfzehn Perlen. Sie war wirklich die Prinzessin Israels, die Prinzessin des auserwählten
Gottesvolkes, die auserwählte Tochter und Lieblingsprinzessin des himmlischen Vaters! Ihr zur
Seite betete eine junge Frau, eine Freundin der Mutter Anna, die Jungfrau Salomith. Die trug einen
blauen Umhang und einen feuerroten Rock. Der blaue Umhang hatte sich verschoben, so dass ihre
elfenbeinweiße Schulter entblößt war. Ihre Brüste drängten sich vor Freude vor und innig bewegt
drückte sie eine weiße Turteltaube der Liebe an ihre schwellenden Brüste. Der Vater Joachim
murmelte vor Freude etwas heimlich in seinen dichten Vollbart. Über der Prinzessin Maria im
rosanen Kleide aber jauchzte der Himmel. Der präexistente Jesus erschien als ein himmlischer
Jüngling von göttlicher Schönheit, nur mit einem Lendenschurz bekleidet! Ihm zur Seite schwebte
als nacktes geflügeltes Kind der kleine Metatron, der Engel des Herrn! Weiter abseits schwebten die
Schutzengel von Jedidja, das war Salomon, und die Schutzengel der künftigen Apostel Simon
Petrus und Thomas. Der göttliche Jüngling Jesus und der Erste aller kleinen Engel, der kleine
Metatron, sowie die drei kleinen Schutzengel sangen Lobpreis und jauchzten vor Wonne! Maria
aber sagte nur: Wißt ihr nicht, dass ich in dem Hause meiner Mutter sein muß? Dieses Haus soll ein
Bethaus sein. Hier will ich beten, dass bald der Friedefürst herabkommt!
NEUNTES KAPITEL

Was wissen wir vom Verlöbnis der Jungfrau Maria mit dem heiligen Josef? Sie gaben sich das
Eheversprechen, aber zogen noch nicht in ein und dieselbe Wohnung. Maria war vierzehn Jahre alt,
blutjung! Josef war zweiundvierzig Jahre alt. Es hatten sich auf Geheiß des Hohenpriesters vom
Tempel in Jerusalem zwölf Helden aus dem Geschlecht Davids versammelt. Der Heilige Geist sollte
aus den zwölf Helden Davids den wahren Heros der Jungfrau erwählen. Als Aaron zum
Hohenpriester erwählt wurde, da blühte sein Mandelzweig. Den Mandelzweig Aarons tat Mose mit
einem Krug Manna in die Bundeslade. Als die zwölf Daviden vor der Jungfrau Maria standen,
hielten sie alle ihre Stäbe in den Händen. Aber einzig Josefs Stab blühte, es sproß aus der Spitze des
Stabes eine Mandelblüte. Da sprach Josef: Gegrüßet seiest du, Maria! Da rauschte der Himmel und
ein Wind blies einher und auf den Flügeln des Windes flog die Taube der Liebe herbei und ließ sich
nieder mit gespreizten Flügeln auf dem erblühten Stab in der Hand Josefs. So war sein Opfer
angenommen, so war er erwählt. Aber der verschmähte Davide Agabus zerbrach verbittert seinen
Stab. Er ging auf den Berg Karmel und wurde Eremit. Später war er Prophet in der Urgemeinde von
Jerusalem und prophezeite dem heiligen Paulus. Ich weiß aber nicht, ob einst ein Sänger erstehen
wird und das Lied singen wird von den Leiden des jungen Agabus. Denn es könnte ein Dichter
denken, der junge Agabus, der Verschmähte, hätte nicht aufgehört, die Madonna zu lieben. Und
dieweil die Jungfrau Maria in keuscher Josefsehe mit dem Zimmermann und dem kleinen Kindlein
zusammenlebte, in getrennten Betten schlafend, hätte der junge Agabus die schöne Madonna fast
täglich in ihrem Rosengarten besucht und ihr leidenschaftlich gehuldigt und sie besungen als die
Matronita Schechinah und hätte für sie geschwärmt und gestammelt: Madonna, in deinem Licht seh
ich das Licht Gottes! Auf deinem Antlitz strahlt die Herrlichkeit des Herrn! Du bist der fleckenlose
Spiegel der Gott-Natur! Aber die schöne Madonna hätte geschwiegen eine Zeit und schließlich
geflüstert: Aber ich gehöre dem heiligen Josef. Da brach das Herz des jungen Agabus erneut, sein
Herz blutete im Martyrium der Minne. Er ginge nun in die Einsamkeit der Karmel-Spiritualen und
wurde ein Prophet. Aber im Traum und in Visionen auf dem Lager suchte ihn die Madonna heim als
seine mystische Braut. Das könnte ein Sänger sich einmal ersinnen. Aber der heilige Josef war
Witwer und hatte vier Söhne, unter ihnen den großen Jakobus, der später Kirchenfürst der
Urgemeinde von Jerusalem werden sollte. Seine erste Frau war jung an einer schweren Krankheit
gestorben. Aber der heilige Josef hatte auch Töchter aus der ersten Ehe. Und da hören wir die greise
Sheherezade murmeln: Ja, ja, die Herren Evangelisten wissen viel von den Brüdern Jesu, wie viel
ihrer waren und wie ihre Namen waren. Aber von den Schwestern Jesu wissen sie uns nichts zu
sagen, nicht wie viel ihrer waren und nicht wie ihre Namen waren. Aber die Töchter Zelofhads sind
berühmt in Israel, es waren fünf und ihre Namen waren: Machla, Tirza, Hogla, Milka und Noah.
Aber die Töchter Hiobs sind berühmt in Israel, es gab keine so schönen Mädchen im Morgenland
wie die Töchter Hiobs, und es waren ihrer drei und ihre Namen waren Salbhörnchen, Zimtblüte und
Täubchen. Aber die Töchter Salomos sind berühmt in Israel und es sind ihrer zwei und ihre Namen
sind: Baschemat, das heißt verdolmetscht Salbentröpfchen, und Tafath, das heißt verdolmetscht
Wohlgeruch. Und es waren alle diese Töchter Israels, Nomen est Omen, Bräute des Heiligen
Geistes. Aber, so murmelt bitter die greise Sheherezade: Von den Schwestern Jesu schweigen die
Herren Evangelisten. Aber wir wissen, dass die Jungfrau Maria schon als Mädchen im Tempel dem
Ewigen Jungfräulichkeit für das Himmelreich gelobte. Da der Ewige aber dennoch einen Mann für
Maria wollte, erfand der kreative Geist die keusche Josefsehe. Josef ward erwählt nicht zum
leiblichen Vater des göttlichen Kindes, sondern zum Nährvater, Pflegevater, Ziehvater des
Immanuel. Und du, mein Freund, bist du auch ein Nährvater und ein Pflegevater und ein Ziehvater?
So denke jederzeit, dass dein Kind, das dir das Schicksal anvertraut hat, der Immanuel ist, der
Messias der ganzen Welt, der Liebling Gottes! Und nährst du dein Kindlein, so nährst du Jesus, und
kleidest du dein Kindlein, so kleidest du Jesus! Und erziehst du dein Kindlein, so erziehst du Gott!
Und führst du dein Kindlein in die Freiheit, so befreist du und erlöst du Gott! Aber Maria wurde
erhört vom Ewigen, als sie die Jungfräulichkeit für das Himmelreich gelobte, und der Heilige Geist
ließ sie Mutter des Messias werden, ohne ihre Jungfräulichkeit zu verlieren. Wahrlich, vor der
Geburt und in der Geburt und nach der Geburt war Maria Jungfrau, Verlobte Gottes, intakte
Jungfrau. Hört doch auf die Schelte Martin Luthers, mit der er den Ketzer Helvetius schalt, der
behauptete, durch das Osttor des Tempels, den Schoß Mariens, durch den Gott gezogen war, sei
noch ein sterblicher Mann nach der Menschen Weise hindurchgegangen und hätte Maria noch
andere Kinder gebären lassen als den Sohn Gottes allein, wie Luther den schalt, den Ketzer! Hört
doch, wie Calvin und Zwingli die Immerwährende Jungfrau und reine Magd des Herrn priesen!
Kommt mit uns in die Kirche Sankt Josef der Zimmermänner! Schaut den Salomonischen Tempel!
Schaut die antike Architektur der Thermen! Schaut die Geomantie von Babylon! Schaut das Osttor,
da der göttliche Funke verehrt wird! Schaut die Säule, die Himmel und Erde verbindet! O Jerusalem
ist der Nabel der Erde! O der Tempel Gottes ist der Nabel der Erde! O meine Braut, dein Nabel ist
ein Kelch, dem nie der Mischwein mangelt! Schaut die Scharen der frommen Männer und Frauen,
Greise und Kinder in der Kirche des heiligen Zimmermannes! Seht die Prozessionen der Tischler,
aller Handwerker und Handarbeiter und Kunsthandwerker und Architekten! Hört die
Selbstoffenbarung der göttlichen Weisheit: Ich bin die Architektin Jahwes, die Architektin des
Kosmos! Also wird Jesus sprechen, die göttliche Weisheit in Menschengestalt: Ich gehe hin, euch
im Himmel eure Wohnungen zu bauen! Also war Jesus, Ziehsohn seines Ziehvaters Josef, auch
Zimmermann nach der Berufung Gottes, Architekt nach der Berufung Gottes, denn Jesus ist die
Ewige Weisheit, die Architektin des Kosmos! Ich sehe Josef, den Mann von zweiundvierzig Jahren.
Es heißt, er sei von melancholischem Temperament und habe darum gern vom Wein des Libanon
getrunken. Sagten die Ungläubigen doch auch über Gottes Sohn: Seht diesen Säufer! Offenbarte der
Menschensohn seine Herrlichkeit durch sein erstes Wunder doch durch die Verwandlung von sechs
Fässern Wasser in sechs Fässer allerbesten Weines! Josef hatte volles dunkelblondes Haar und einen
dichten dunkelblonden Vollbart. In der Hand hielt er immer den Stab, der an der Spitze sprosste und
aufging als Mandelblüte. Schaut die Madonna, blutjung, vierzehn Jahre, von himmlischer Anmut,
ganz fein, eine Dame von makelloser Grazie! Jugendliche Brüste! Keusche Blicke! Die
Kirchenlehrer irren sich, wie wir schon oben gesagt, die meinten, Maria sei eine Frau, folglich
erlegen der Sünde der Eitelkeit! Nichts von Eitelkeit, alles an ihr Demut! Die Demut eines
Geschöpfes vor dem Schöpfer! Gottesfurcht! Ehrfurcht vor dem Heiligen! Demut eines Geschöpfes,
zwar des ersten aller Geschöpfe, zwar des makellosen Geschöpfes, zwar des Meisterwerkes des
Schöpfers, aber Demut eines Geschöpfes vor der Einen Absoluten Gottheit! Anbetung dir, o
Gottheit! Halleluja, Amen! Schaut den Hohenpriester, den Heiligen Vater, der die Brautleute traute.
Vom Geist der Weisheit erfüllte Menschen wirkten sein Kleid. Brusttasche, Schurz, Obergewand,
Untergewand, Turban und Gürtel. Gold, blauer und roter Purpur, Scharlach und feines Linnen.
Onyxteine mit den zwölf Namen der zwölf Stämme. Steinschneiderarbeit nach Weise der
Siegelstecher. Goldgeflechte, Ketten von allerfeinstem Golde und gedrehte Schnüre und geflochtene
Ketten. Brusttaschen für die Losorakel Tummim und Urim. Zwölf Steine. Sarder, Topas, Smaragd,
Rubin, Saphir, Diamant, Lynkurer, Achat, Amethyst, Türkis, Onyx und Jaspis. Zwei goldene Ringe,
vorn am Schurz. Weberarbeit wie bei einem Panzerhemd. Granatäpfel aus Purpur und Scharlach
und goldene Schellen. Goldene Schelle, purpurner Granatapfel, goldene Schelle, purpurner
Granatapfel. Das man seinen Klang höre, wenn er in den Tempel tritt. Stirnblatt aus feinem
goldenem Blatt, eingraviert das Wort: Kadosch, kadosch, kadosch, Jahwe Elohim Zevaoth! Fein
gewirktes Untergewand und goldener Gürtel. Hoher Turban, herrlich und schön. Beinkleider von
blauem Linnen, um die Blöße der Scham zu bedecken, von den Hüften bis an die Oberschenkel.
Und der Heilige Vater sprach: Wo du hingehst, da will auch ich hingehen, wo du bleibst, da bleibe
ich auch. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch.
Keine Macht, kein Engel, kein Geschöpf kann mich trennen von der Liebe zu dir! Schaut, wie sich
Maria und Josef die Ringe stecken an die Finger. In der Ringen eingraviert der Trauspruch: Ich, ich
will mich mit dir verloben in Gnade und Treue, ich will mich dir verloben und dir den Brautpreis
des Glaubens und der Gerechtigkeit geben, und du wirst erkennen JHWH!
ZEHNTES KAPITEL

Schau! Ich sah, und siehe, was ich sah, das war ein Licht, die Leuchtkraft Gottes, ein Lichtkreis,
vollkommen rund, drei Lichtkreise, die drei Lichtkreise der einen Gottheit, der Allmacht, der
Weisheit, der Schönen Liebe! Und in dem dreifaltigen Lichtkreis erschien die Frau! Ihr Name war:
Die Beleibte, das heißt verdolmetscht: Die Schöne! Sie saß wie eine erhabene Majestät imposant
und imperial auf ihrem Thronsessel. Da trat zu ihr ein junger Mann, ein Engelgleicher, der brachte
ihr eine fröhliche Botschaft. Er streckte seine Hand ihr entgegen und sprach sie an und grüßte sie,
wie ein Galan die Minneherrin grüßt. Und ich hörte es rauschen wie Meeresrauschen, als ich den
engelgleichen Mann mit der fröhlichen Botschaft die imperiale Fraue grüßen hörte auf griechisch:
Chaire, Kecharitomene! Und einen Augenblick war im Himmel tiefe Stille. Dann hörte ich die
Fraue reden, mit sanfter liebevoller Stimme sprach sie auf lateinisch: Fiat! Dann verlosch die
Vision. Ich wurde wie vom Blitz getroffen und stürzte zur Erde. Auf Erden lallte ich, geblendet vom
himmlischen Licht, nur dieses Lied: Ubi Caritas et Amor, Deus ibi est! Schau! Ich sah, und siehe,
was ich sah, das war die femina clarissima! Schönheit ist der Glanz der Klarheit! Mein marianischer
Feminismus bekennt: Das ist das himmlische Mädchen, vierzehnjährig, feminin, liebreizend,
entzückend, holdselig, fein, klar, rein, einzigartig, anmutig, holdselig, jugendlich, blutjung,
himmlisch, eine Mädchengöttin von Gottes Gnaden! Gekleidet nach der Mode der Zeit in lauter
Prunk und Pracht! Luxuriös! Mondäne Mädchenkaiserin! Imperialer Reichtum an Schönheit und
Glanz! Perlen am hohen Kragen des Kleides! Nadeln der Heiratsmündigkeit in dem braunen
Haarknoten! Ohrringe von Diamanten, durchbohrend das muschelförmige Ohrläppchen mit spitzem
Dorn! Ein Diadem von Diamanten und Perlen im langen Haar! Prinzessin! Ein Schemel zu ihren
Füßen, die Kaiserin spricht: Die Erde ist mein Fußschemel! Neben ihr steht ein Nähkorb mit
purpurroten Fäden. Sie webt den roten Faden der Ariadne, Theseus aus dem Labyrinth des
Minotaurus zu befreien! Sie ist die Göttin von Kreta, es kommt, es kommt der Löser, der
Kummerbrecher, der Sorgenlöser, sie zu entzücken und zu entrücken auf den Olymp des Himmels!
Sie ist die Fürstin des Friedens, Herzogin der himmlischen Heerscharen, Gräfin Gottes! Sie webt
den roten Schleier vor der allerheiligsten Lade! Zu ihrer Seite stehen vier himmlische Jünglinge in
weißen Linnengewändern, zu ihrer Rechten Raphael und Ariel, zu ihrer Linken Michael und
Gabriel. Gabriel reicht ihr die Hand, in höfischer Manier reicht er der Holdseligen die Hand. Wird
der Engel die Hand der Prinzessin erfassen und ihr geben den himmlischen Handkuß? Über der
Prinzessin schwebt Metatron, der Fürst der Engel, der Engel des Herrn, der Engel des Antlitzes
Gottes. Und Metatron weist auf die Taube der Liebe. Es rauscht in den Hainen, es rauscht wie
Meeresrauschen, der Wind bläst von Gott, es kommt der Geist der Liebe, es kommt die Schöne
Liebe, Gott naht auf den Flügeln des Sturmes, Gott der Herr geht spazieren auf den Schwingen des
Sturmes! Meeresrauschen, Donnerdröhnen! O und die Morgenröte senkt sich auf die goldene
Prinzessin! Goldene Aurora Gottes senkt sich auf die Goldprinzessin Maria! Der Engel von
Mahanjim wendet sich zum heiligen Josef, dem keuschen Bräutigam, der schwermütig und
weinestrunken an seine Braut denkt, sein himmlisches Mädchen. Die Jungfrau ist ein versiegelter
Bronnen, ein verschlossener Lustgarten, intakt ist ihr Hymen! Schau! Als es tiefste Mitternacht auf
Erden war und Finsternis lag auf dem Jammertal, da stieg das allmächtige Wort herab auf die Erde.
Maria saß in ihrem Sesselthron, ein Buch der Weisheit auf ihrem Schoß lag offen aufgeschlagen da.
Sie trug einen Mantel dunkelblau wie die Nacht und darunter ein Kleid, glitzernd und funkelnd wie
die Sterne. Und es rauschte ein Engel herein. Seine Flügel waren schwarz mit feurigen Rändern. Es
war der Engel der Mitternacht, gekommen mit einer Botschaft an die Königin der Nacht. Du wirst
ein Kind empfangen, sprach der Engel. Aber wie soll das geschehen, sprach Maria. Du wirst von
der Weisheit erleuchtet werden und der Geist des Ewigen wird in dir das Kind zeugen. Mir
geschehe, wie du sagst, sprach die Königin der Nacht. Und der Engel berührte sie mit dem
Lilienzepter, und die Jungfrau empfing in ihrem Muschelohr. Und es war in der tiefsten Mitternacht,
da der Keim des göttlichen Samens empfangen wurde. Schau! Ich sah, und siehe, was ich sah, das
war die Königin der Schönheit und Liebe! Sie sah aus wie die Venus-Madonna der italienischen
Renaissance! Das Antlitz ganz weiß, ein schmales Oval, die Nase lang und fein und schlank, die
Lippen süß und rosig, süße Lippen! Die Augenlider weiß und schwer auf blauen Augen hängend,
mit Wimpern der Morgenröte! Die Haare wie das Morgenrot, rotblonde Ringellocken, lang flutend,
kunstvoll geflochten und gebunden, fallen sie auf ihre Brüste und bis zu den Lenden! Ihr Hals
schneeweiß, der lange schlanke Hals einer Schwanin. Die Hände weiß, von keiner Arbeit
verbraucht, lange schlanke Finger, zum Segen erhoben. Die jugendlichen Brüste straffen das
feurigrote Kleid, die rote Rose des Leibes, das fällt zu den bloßen Füßen. Umrauscht der ganze Leib
von einem meeresblauen Umhang, der fließt wie fließende Wasser des Himmels! Himmlische
Aphrodite Gottes! Urania Maria! Sie lehnt sich an einen Säulenschaft von Gold, in den
eingearbeitet ist das Muster eines Lilienstengels mit der mystischen Lilienblüte der göttlichen
Weisheit! Zu ihr kommt der Engel Gabriel und schenkt ihr eine Blume, die Blume der Reinheit, die
mystische Blüte! Er kniet vor ihr und grüßt sie: Liebreizübergossene, Grazie Gottes, die du bist die
Charis in den Augen Gottes! Ja? flüstert die Madonna und lächelt lieblich! Ich bin ganz bereit zur
Empfängnis, flüstert sie. Ich bin die Unbefleckte Empfängnis, flüstert sie. Da fliegt herbei die weiße
Taube des neuen Geistes der Schönen Liebe! Gott gurrt wie eine Taube, Gott gurrt Mutterworte: Du
sollst gebären, Maria! Ich, Gott, ich mache fruchtbar deinen Mutterschoß, ich bereite die Frucht
deines Mutterschoßes im Innern der Materie, ich lasse dich auch gebären ohne Wehen! Die weiße
Taube des neuen Geistes der schönen Liebe brachte die Botschaft zu der Königin der Schönheit und
Liebe und sie empfing die fleischgewordene Liebe in ihrem auserwählten Schoß! Siehe, da kniete
ein Gottesmann vor dem benedeiten Schoß Mariens und weihte sich dem benedeiten Schoß
Mariens! Trotz der Hässlichkeit seines Gesichtes und der Hässlichkeit seines Körpers kniete er vor
der Frau Schönheit! Aber trotz seiner Hässlichkeit trug er den Prophetenmantel, den Purpur des
Weisen! Auf seiner Schulter lag beschützend die Hand des heiligen Thomas, des engelgleichen
Lehrers der Philosophie! Der engelgleiche Thomas grüßte die Königin der Schönheit und Liebe: Sei
gegrüßt, du Begnadete, denn du trägst in deinem Schoß das Sein in Person, das Wesen aller Wesen!
Die Himmel der Himmel können das absolute Wesen nicht umfassen, aber dein Schoß umfasst das
Sein in Person! In dem Tabernakel deines benedeiten Schoßes bete ich an das Höchste Wesen! Siehe
hier meinen Freund, den Gottesmann, den Propheten und Weisen, o Königin der Schönheit und
Liebe! Wende ihm die Liebesflamme deines makellosen Herzens zu und nimm ihn an als deinen
Sohn und Geliebten! Wir weihen uns gemeinsam deinem benedeiten Schoß, in dem die göttliche
Weisheit wohnt! Offenbare uns die göttliche Weisheit, die fleischgeworden ist in deinem benedeiten
Schoß! Amen.

ELFTES KAPITEL

Mach eine Bundeslade aus Akazienholz. Du sollst sie meit feinem Gold überziehen innen und
außen und ihr einen goldenen Kranz machen. Gieße vier goldene Ringe, zwei Ringe tu an die eine
Seite, zwei Ringe an die andere Seite. Trage die Lade mit Stangen von Akazienholz, die du mit
Gold überziehen sollst. Die Stangen sollen in den Ringen bleiben und nicht mehr herausgezogen
werden. In die Bundeslade sollst du die Torah tun, die ich dir vermacht habe. Bilde den
Gnadenthron aus feinem Gold. Und bilde zwei Cherubim aus Gold zu beiden Seiten des
Gnadenthrons. Und die Cherubim sollen ihre Flügel nach oben erheben und mit den Flügeln den
Gnadenthron bedecken und sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Der Gnadenthron
soll auf der Bundeslade sein und in der Bundeslade soll die Torah sein, die ich dir vermacht habe.
Und dort will ich dir begegnen und von dem Gnadenthon auf der Bundeslade mit der Torah will ich
mit dir reden. Da, die Madonna in einem purpurnen Mantel, bestickt mit weißen Perlen,
durchwoben der Purpur mit goldenen Fäden. Auf dem kastanienbraunen Haar trägt sie eine Krone
von Diamanden, Rubinen und Perlen, und an den Seiten hängen lange Perlenschnüre herunter, viele
weiße Perlenschnüre bilden den Schleier ihrer Schläfen und Wangen. Und zu Seiten der Madonna
stehen zwei heilige Schwestern und neigen ihr Haupt demütig vor der Madonna. Und die heiligen
Schwestern ehren die Madonna als die Jungfrau der Jungfrauen und die Mutter aller Mütter. Denn
die Madonna ist Jungfrau, intakte Jungfrau, und dennoch ist sie schwanger mit einer Leibesfrucht.
Und der Bauch der Madonna wölbt sich. Sie ist guter Hoffnung, gesegneten Leibes. Die Weiber
rufen: Gesegnet ist der Schoß, der den Menschensohn in sich trägt! Die Madonna in ihrer
Schwangerschaft ist bewunderungswürdig! O der gebendeite Bauch, der Becher aller Fruchtbarkeit!
O Maria in deiner göttlichen Mutterschaft! O Madonna in deiner göttlichen Mutterschaft! So
überwältigend ist deine Mutterschaft, so mächtig deine Mütterlichkeit, ich meine, ich schaue in dir
Gott-Mutter – und bin überwältigt und sprachlos! Allmächtige Mutter in deiner göttlichen
Mutterschaft, ich preise dich als Schöpferin und Erlöserin und Trösterin! Und die schwangere
Madonna trägt mir den gewölbten Bauch entgegen, schaut mich an aus ihrem entzückend lieblichen
Antlitz, dem Antlitz voller Liebreiz einer Renaissance-Venus, und spricht: Ich lade dich, mein Peter
Torstein Schwanke, in meinen Schoß ein! Denn so, wie ich Jesus in meinem Schoß getragen habe,
will ich dich, geliebter Sohn, mein Peter Torstein Schwanke, in meinem Schoß zur Heiligkeit
tragen. So sprach die Madonna, und Peter Torstein Schwanke sprach: Mein Leben lang bin ich
geborgen in deinem Schoß, und in meiner Todesstunde wirst du mich gebären ins ewige Leben! Ich
bin ganz deinem makellosen Schoß geweiht! Ich bin ganz dein! Ich bin in dir, Maria!

ZWÖLTES KAPITEL

Höret, ihr Himmel, und höre, du Erde! Ich habe Söhne großgezogen und sie sind von mir
abgefallen! Eine Kuh und ein Esel kennen die Krippe ihres Herrn, aber meine Söhne wollen den
Herrn nicht kennen? Wehe den abgefallenen Söhnen, den verzogenen Kindern, die lästern und
fluchen! Wohin soll ich sie noch schlagen? Übrig geblieben ist allein die Tochter Zion wie eine
Hütte im Weinberg, wie ein Zelt im Gurkenfeld! Aber der Herr Zebaoth hat uns einen geläuterten
Rest übergelassen. Was sollen eure Opfer dem Herrn? Vor allem tut Gutes, helft den Unterdrückten,
rettet die Waisenkinder und tröstet die Witwen! Siehe, als die Madonna mit dem göttlichen Kinde
schwanger war, nahte die Dämonin Lilith, die babylonische Todesgöttin. Sie hasst die Kinder,
besonders die Ungeborenen, und sucht die Kinder aus dem Mutterschoß zu kratzen und die
gemordete Leibesfrucht in den Kot zu schmeißen! Aber der Erzengel Michael trat der Dämonin
Lilith entgegen und sprach: Der Herr schelte dich, Lilith! Da floh Lilith in die ägyptische Wüste zu
Asmodäus, dem Teufel der Unzucht, ihrem Gatten. Aber das heilige Kind des Höchsten im Schoße
Mariens war gerettet. Schaut doch die Felsenhöhle, da die Madonna das göttliche Kind geboren!
Dieser Hügel ist heilig wie der Sinai! In der offenen Höhle liegt die Madonna auf einem weißen
Teppich, sie trägt einen blauen Mantel und ein goldenes Kleid und liegt da in aller Ruhe. Sie hat
ohne Wehen und Schmerzen geboren und ist nach der Geburt nicht erschöpft. Sie ist schlank und
perfekt gestaltet. Um ihr Antlitz leuchtet die Glorie Gottes wie ein Vollmond. An ihren Arm lehnt
sich das Köpfchen des göttlichen Kindes, das in seiner Linnenwindel gewickelt in der Futterkrippe
ruht. Die Kuh, das reine Tier, und der Esel, das unreine Tier, wärmen das göttliche Kind mit ihrem
Odem. Alles was Odem hat, lobe den Herrn! Der Esel brüllt I-Ah! Der alte Josef sitzt einsam vor
der Höhle und träumt oder denkt, schaut versonnen sinnend in sich. Er ist ja nicht der Zeuger des
Kindes, er tat nicht nach des Menschen Weise und ging nicht den Weg des Mannes in der Frau. Und
dennoch, in seinen Gedanken gerade jetzt nimmt er das Kind nicht seines Samens als Sohn seiner
Seele an, als Sohn seines Herzens. Er denkt: Mein Kind, ich will dir ein Vater nach dem Vaterherzen
Gottes sein! Die Schafe weiden auf dem Hügelgefilde. Einsam ruht der Widder mit den stolzen
Hörnern seiner Kraft erhaben über den Schafen und Lämmern. Ihn ruft der Hirtenknabe mit dem
Horn. Der junge Hirte singt: Helft mir, ihr Musen des ländlichen Hains, zu singen den Sohn! Ein
neues Zeitalter kommt, es kommt das goldene Zeitalter der Gerechtigkeit zurück! Nun wird der
Wolf beim Lamme liegen und der Panther beim Rind! Nun wird ein Kindlein am Loch der Otter
spielen und der Säugling spielt mit der schlüpfenden Schlange! Und ein Kindlein wird alle
Kreaturen weiden! Denn es kommt der Friede, wahre Pax Romana! Der Retter kommt! Ein Kind ist
uns geboren! So grüßet alle die Mutter, dann werdet ihr mit den Göttern zu Tische sitzen und mit
den Göttinnen das Lager teilen! Ave! Da traten aber zu den Hirten die himmlischen Scharen. Die
Himmlischen mit den blauen und roten Flügeln rauschten über der Weide und sangen den Hirten
ihren Weihnachtschoral: Gloria, Gloria, Gloria in excelsis Deo! Siehe, ein Kind ist uns geboren, ein
Sohn ist uns geschenkt! Wir verkünden euch die große Gaudi! Ihr werdet den Gott von Gott als
Kindlein finden in die Windel gewickelt in der Krippe liegen! Was für eine Gaudi! Und siehe, wie
eine Fata Morgana erschien zu Füßen der Madonna eine Kirche, aus der eine heilkräftige Quelle
floß. Heil der Kranken, bitte für uns! Ich bin in Upsala geboren, dem Hauptheiligtum aller
germanischen Völker, und meine Großmutter weihte mich bei meiner Taufe in dem Dom von
Upsala der Fraue aller Völker. Ich entschied mich für das gottgeweihte Leben und machte eine
Wallfahrt nach Bethlehem. Vor der Grotte von Bethlehem kniete ich nieder und betete: Schelam lich
Mirjam... Da sah ich, und siehe, was ich sah, war die Jungfrau im roten Mantel und mit roten
Schuhen, die in die Grotte trat. Der alte Josef, der schon graue Haare in seinem Barthaar hatte, band
den heidnischen Esel und die jüdische Kuh an und ging dann hinaus aus der Grotte. Die Jungfrau
war gesegneten Leibes. Sie ließ den roten Mantel fallen, er rauschte wie ein Kleid aus roten
Rosenblättern zur Erde. Dann zog sie die roten Schuhe aus und stand da in bloßen Füßen. Sie trug
nur ein weißes Lichtgewand, das ihren Leib wie Sonne umfloß, mitten in der Nacht. Ihre Haare
waren rotblond, lange Locken, die ihr auf die milchstrotzenden Brüste fielen und bis zu den Lenden
fluteten. Sie kniete nieder in der Grotte, wendete das Antlitz gen Osten. Ex oriente lux! Sie war
umgeben von der Herrlichkeit des Herrn, der Gloria Gottes, die wie eine orangenfarbene Mandorla
oder eine feurige Muschel ihren ganzen weißen Leib umgab. Um Mitternacht gebar sie das göttliche
Kind. Sie gebar ohne Wehen, ohne Schmerzen. Ich weiß nicht, ob das Kind aus ihrem Schoße
austrat oder ob es aus dem ganzen Leib austrat. Das Kind lag plötzlich im Stroh vor der Jungfrau,
ganz nackt, aber von solch einem Glanz umgeben, das die Nacht hell war wie der Sommermittag.
Auch das göttliche Kind lag in der feurigen Muschel der Gloria Gottes. Die Jungfrau faltete ihre
schlanken weißen Hände und betete vor dem göttlichen Kinde: Gebenedeit seiest du, Frucht meines
Leibes, gebenedeit seiest du, mein Jesuskind! Über der Grotte schwebten vier Cherubim in
Gewändern von rotem und blauem Purpur, jeder Cherub mit sechs Flügeln, die sangen: Kadosch,
kadosch, kadosch, Jahwe Elohim Zebaoth! Hosianna! Hosianna! Am Himmel strahlten die Scharen
der himmlischen Hierarchie, alle in reinstem Goldglanz, die Gewänder von Gold, die Flügel von
Gold, die Locken von Gold, die Harfen von Gold, und alle sangen: Hallelujah! Hallelujah! Lobt
Jah, Alles was Odem hat, lobe Jah! Im übrigen war die Jungfrau, nachdem sie das Kind geboren
hatte, wieder schlank, als wäre sie nie schwanger gewesen, schlank wie ein Lichtstrahl Gottes! Ihre
Brüste aber waren strotzend von Milch und mir war, als hörte ich eine Stimme vom Himmel: Ihr
werdet saugen an ihren Brüsten die Milch des Trostes, denn ich, Jahwe, ich tröste euch wie eine
Mutter! Maria, Maria, was schaust du so melancholisch, still schwermütig? Geht ein Schwert durch
deine Seele, weil dein kleines Kind schon mit dem Holz des Kreuzes in der Grotte spielt? Hörst du
schon den Psalm: Eli, Eli, lema sabachthani? Und erinnert dich die weiße Windel deines Kindes
schon an das Totenlinnen, das Grabtuch? Und bist du voller Gram und Kummer, weil dein Schoß, o
Theotokos, der das Kind geboren hat, o Pieta, dem Gekreuzigten einst zur Grabeshöhle wird?

DREIZEHNTES KAPITEL

Der König machte einen großen Thron von Elfenbein und überzog ihn mit reinem Gold. Sechs
Stufen hatte der Thron und einen goldenen Fußschemel am Thronsockel, Lehnen auf beiden Seiten
des Sitzes, zwei Löwen standen neben den Lehnen. Zwölf Löwen standen an den sechs Stufen.
Dergleichen Königsthron gab es in keinem anderen Königreich. Und der König war reicher an
Weisheit als alle Weisen des Ostens. Und alle Weisen und Könige auf Erden begehrten, den König
der Weisheit zu schauen und zu hören. Und sie brachte ihm Gefäße von Gold und Silber, Spezerei
und Affen. Und in dem Thron der Weisheit saß Maria, und auf dem Thron ihres Mutterschoßes saß
das göttliche Kind, der Liebling Gottes. Ich, die Ewige Weisheit, bin der Liebling des Ewigen, und
meine Wonne ist es, bei den Menschenkindern zu sein. Und es kamen die Magier vom Orient.
Jupiter stand im Saturn. Sie folgten dem Kometen und fanden das göttliche Kind auf dem Schoß der
heiligen Mutter. Und die Mutter streckte den Magiern vom Orient die Hand entgegen. Haben die
Weisen aus Asien das Kind alleine angebetet? Oder haben sie die Mutter und den Sohn angebetet?
Welche Weisheit beteten sie an? Die Weisheit, die Fleisch geworden in dem Kinde Jesus? Oder die
göttliche Weisheit, die sich offenbart in der Jungfrau Maria, im Menschensohn Jesus und in der
Kirche aus Juden und Heiden? Die Magier aus dem Orient trugen die phrygischen Mützen. Kamen
sie aus Phrygien? Kannten sie den Kult der phrygischen Göttin, der Großen Mutter? Sahen sie in
Maria nun wirklich leibhaftig in Fleisch und Blut vor sich die wahre Magna Mater? Die Magier aus
dem Orient opferten dem Kinde auf dem Schoße der Mutter Gold für sein Königtum, Weihrauch für
seine Gottheit und Myrrhe für seine Passion. Weil sie Gold, Weihrauch und Myrrhe brachten, diese
Drei, heißt es, es waren drei Magier. Und wo liegt das geheimnisvolle Morgenland? Ist es nicht die
gesamte Völkerwelt der Heiden? Kam der eine aus Europa, ein Römer oder Kelte oder Germane,
kam der Andere aus Asien, ein Serer oder Inder oder Perser, kam der Dritte aus Afrika, aus Ägypten
oder Äthiopien oder Ofir? Die Heiden sind bisher den Sternen gefolgt und den okkulten
Geheimwissenschaften der babylonischen Astrologie. Aber es hat ein Stern auf Gottes Befehl hin
sie zu dem göttlichen Kinde auf dem Schoße der allerseligsten Jungfrau-Mutter geführt. Bisher sind
sie dem Sterngott Räfän gefolgt, haben dem Glücksgott Gad und der Schicksalsgöttin Meni den
Opfertisch gedeckt. Nun aber sehen sie Maria, den Morgenstern, und Jesus, die Sonne der
Gerechtigkeit! Kommt, ihr Heiden allesamt, kommt zum Morgenstern, die Madonna vom
Morgenstern wird euch zur Siegreichen Sonne führen! Unter den goldenen Flügeln der Sonne der
Gerechtigkeit könnt ihr hüpfen wie Kälber, weiden wie Lämmer! Ach Josef, dein Leiden war deine
unbesiegbare Schwermut, deine mystische Braut war Madonna Melencolia! Du musst dich schon
auf deinen Wanderstab stützen, denn sonst sinkst du vor Schwäche zusammen, die Traurigkeit raubt
dir die Kraft. Und doch, auf dem Grunde deiner Trauer schaust du die Schönheit strahlender als
andere, du erkennst Maria wie kein anderer! Hier ist die Gottesmutter mit dem himmlischen Kinde!
Blauer Mantel, rotes Kleid! Bloße Füße, immer wie auf Wolken schwebend! Dunkelblonde Haare
mit goldenem Schleier, wehend im Winde! Drei Könige kommen, anzubeten. Der Greis legt seine
Krone zu den bloßen Füßen der Madonna nieder! Der erwachsene Mann kniet vor der Madonna!
Und der Jüngling, fast scheint er zu tanzen, Anbetungstanz vor der Bundeslade wie weiland David
im Lendenschurz! Ob David auch verachtet ward von der stolzen Frau: So erniedrigst du dich und
entkleidest dich bis auf den Lendenschurz und tanzt wie ein Narr und wie ein Wüstling vor der
heiligen Bundeslade fast nackt? Was werden die Mägde denken? Aber der junge David sprach mit
heiligem Stolz seiner Demut: Ich werde mich noch tiefer erniedrigen, mehr noch entblößen vor der
heiligen Lade des Herrn! Aber die Mägde werden mich achten und ehren! Siehe, drei Pferde waren
da. Ich fragte den Engel, der bei mir war: O Mahanajim, was bedeuten die Pferde? Und Mahanajim
sprach: Das rote Pferd zieht mit der Freudenbotschaft nach Süden, das scheckige Pferd zieht mit der
Freudenbotschaft gen Westen, das schwarze Pferd zieht mit der Freudenbotschaft nach Norden.
Wenn das schwarze Pferd in Norden angekommen ist, dann ist die Heilsbotschaft auch nach Norden
gekommen! Und die Madonna mit dem nackten Knaben saß in der östlichen Pforte eines
begonnenen Palastbaus. Dieser Palast heißt Malkuth. Christus ist der König von Malkuth! Christus
baut nun den Palast von Malkuth auf Erden! Wir aber sind lebendige Steine (Petra) und bilden Stein
an Stein den Palast von Malkuth! Maria aber ist die Königin von Malkuth! Malkuth aber ist
Sulamith und Jah ist Salomo, und Malkuth spricht: Ich bin meines Geliebten und mein Geliebter ist
mein!

VIERZEHNTES KAPITEL

Maria und Josef lebten treu nach der Tora. Sie brachten das Armenopfer der Erstgeburt zum
Tempel. Josef hielt in der Hand zwei Tauben und betrachtete sie lange. Ihr schönen Tauben, wie
habe ich von Kindheit an euer Gurren geliebt! Euer Gurren war mir so süß wie die frommen
Psalmen meiner Großmutter! Wie schön euer Hals ist, meine Tauben, wie der Regenbogen Gottes!
Ihr Tauben des Friedens mit dem Regenbogen des Friedens, ihr erinnert uns daran, dass Gott nicht
noch einmal solch eine Sintflut über die Menschheit bringt! Und dennoch ist es heute wie in den
Tagen Noahs, die Menschen fressen und saufen und buhlen miteinander und lassen sich lieben, aber
wenn Gottes Gericht kommt, fällt Feuer vom Himmel! Wir aber wollen in die Arche gehen, in dem
Bauch der Arche uns bergen, in dem Schoß des Tempels uns bergen vor dem Gericht des Zornes
Gottes, ich und Maria, meine liebe Frau! So murmelte Josef in seinen Bart und sprach dann zu den
Tauben: Ihr meine beiden kleinen Täubchen, wie Zwillingstäubchen und ganz wie die süßen Brüste
Mariens, ihr meine beiden kleinen Zwillingstäubchen, ihr arbeitet nicht und sammelt keinen Vorrat
in Vorratskammern und der himmlische Vater ernährt euch doch! Und ihr werdet nicht zur Erde
fallen, es sei denn durch den Willen des Allmächtigen, denn der Wille des Allmächtigen regiert das
ganze Weltall und die ganze Natur der Erde! So sprach Josef und brachte die beiden
Zwillingstäubchen Gott dem Ewigen dar zum Lobpreis! Und Maria trug ein langes Kleid. Die
Ägypterinnen tragen kurze Röckchen, die kaum die Oberschenkel bedecken, und ihr Obergewand
ist aus durchsichtigen Spinnweben geflochten. Sie sind Lustdirnen und reizen auf allen Wegen zur
Begierde. Aber die Mode der Madonna war heilig, rein und edel, dennoch voll der weiblichen
Anmut! Ihr langes goldenes Kleid schloß oben am Hals und fiel zu den Füßen, die in roten Schuhen
steckten, ihre Arme waren bedeckt und nur die schmalen Hände mit den schlanken Fingern waren
bloß. Über dem goldenen Kleid trug sie einen Umhang von himmelblauer Farbe, der von ihrem
Haupt als Schleier der Brautschaft herabfloß und sie wie ein Himmel selbst umhüllte! Ja, Maria trug
als Kleid den Himmel! Ja, Maria trug allezeit den Schleier, denn sie war Braut Gottes! Sie trug
allezeit den Schleier der Brautschaft, denn sie war die Jungfrau Jerusalem, sie war die Braut Gottes,
die Tochter Zion, und der Ewige sprach zu ihr: Gekommen ist die Zeit der Liebe, da bedeckte ich
dich mit meinem Mantel und schloß den Bund der Gottesehe mit dir! Und Maria legte das heilige
Kind dem alten Propheten in die Arme. Der alte Prophet wurde allezeit vom Heiligen Geist geführt.
Er war allezeit im Tempel und betete zu Gott, daß Gott dem Volke Israel und der ganzen
Menschheit das Heil sende herab vom Himmel! Und der Heilige Geist hatte dem Propheten in
einem Traum gesagt, er werde nicht sterben, bevor er den Heiland geschaut. Und nun stand hier der
Greis, Simeon sein Name, und sprach: Ich habe den Herrn geschaut! Nun kann ich in Frieden
sterben! Mein Herz und Geist ist fröhlich! Seid auch ihr, meine Kinder, allezeit fröhlich und freut
euch allezeit an der Liebe der Jungfrau Maria! Und es war im Tempel eine alte Witwe, Hanna war
ihr Name. Sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt, aber vierundachtzig Jahre in der
Witwenschaft, und nun lebte sie allezeit im Heiligtum Gottes. Sie stand an der Schönen Pforte zum
Vorhof der Frauen im Tempel und diente Gott mit Beten und Fasten. Als diese Maria sah, sprach
sie: Dein Kind ist ein Zeichen, dem widersprochen wird! Siehe, dir wird ein Schwert durch das
Herz gehen, damit die Gedanken der Menschen offenbar werden! Und ich sah die Madonna dei
Sette Dolori! Sieben Schwerter steckten in ihrem Herzen! Sieben Schmerzen mit der Schärfe des
Schwerts lassen sie die Leiden Christi mitleiden, der ein Zeichen ist, dem widersprochen wird, der
die Liebe Gottes offenbart und dennoch verworfen und verschmäht wird! Und sieben Schmerzen
opfert Maria auf dem Altar des Tempels von Jerusalem zum Heil der ganzen Menschheit auf und
wird durch die Befruchtung des Schwertes in ihrer Seele zur himmlischen Mutter aller
Menschenkinder! O Madonna dei Sette Dolori, du stehst droben auf dem Gipfel des Berges Moria
und opferst deinen Sohn, den Erstgebornen, dem Ewigen auf! So bist du die Mutter des Glaubens
geworden! So versammle du die Menschenkinder alle in deinem Mutterschoß, du Mutter des
Glaubens, denn in deinem Mutterschoß ist mehr Glückseligkeit als selbst im Schoß des heiligen
Vaters Abraham! O Madonna dei Sette Dolori, wie eine himmlische Göttin thronst du auf dem Berg
Moria, ich weihe dir das kleine Kindlein nach meinem Herzen! Siehe, das Kindlein sprach:
Geliebter, was spricht Gott zu dir? Ich sprach: Mein Liebling, Gott spricht zu mir: Deine Seele ist
die Ehefrau des Ewigen! Der Knabe spricht: O Geliebter, wenn du mit Gott verheiratet bist, dann
bin ich dein Kind! O Madonna dei Sette Dolori, bei den sieben Schwertern in deinem Herzen, ich
weihe dieses Kindleins Heil deinem makellosen Mutterherzen! Nimm das Herz dieses lieben
Kindleins in deine Hände, drücke es fest an deinen benedeiten Busen und bewahre es oben im
Himmel bei dir! Sela!
FÜNFZEHNTES KAPITEL

Göttin Isis auf dem göttlichen Thron, wie hältst du den göttlichen Sohn an deinen kosmischen
Brüsten und stillst ihn mit der himmlischen Milch! Himmelskönigin Hera, wie birgst du den
Gotthelden Herakles an der Brust! Er saugt so stark, es spritzt die Milch aus den Brüsten der
Himmelskönigin, spritzt an den Himmel und bildet die Milchstraße! Galaktotrophousa,
milchstillende Gottesgebärerin! Galaktotrouphousa der Galaxie! Maria lactans, milchspendende
Madonna von Rom, wie stillst du den Sohn! Der menschgewordne Gott saugt an den Brüsten der
Menschenmutter! Die Menschenmutter des menschgewordenen Gottes säugt nicht nur den Gott in
Menschengestalt, sie säugt als Mutter des Lebens die ganze Schöpfung, sie säugt als Amme der
Gläubigen alle Christen! Die Amme der Christen säugt auch mich, Maria lactans! Da rief eine Frau
aus dem jüdischen Volk zu Jesus: Selig ist die Frau, deren Schoß dich getragen und deren Brüste
dich gestillt! Ja, sagte Jesus, selig ist die Frau! Fürwahr, meine Seele ist still wie ein gestilltes Kind
in den Armen der Mutter, so ist meine Seele bei Gott! Maria lactans thront im Goldbrokatgewand
auf einem göttlichen Thron und holt ihre milchweiße Brust aus dem Kleid und steckt sie dem
göttlichen Kind in den Mund! Der Gottessohn saugt die Milch der Trostes aus dem Busen der
Gottesmutter! Zur Rechten der stillenden Gottesmutter stehen die weisen Jungfrauen mit den
brennenden Öllampen und zur linken der Gottesmutter stehen die törichten Jungfrauen mit den
erloschenen Lampen! Schmücken wir die Madonna in jedem Winkel der Straße mit Blumen, denn
alle Blumen preisen die Madonna delle Grazie! O Madonna der Grazien, wir preisen deine Brüste!
Wahrlich, wahrlich, Jesus, glücklich die Brüste, die dich gestillt haben, glücklich die Brüste! Die
Brüste hüpfen wie Zwillingskitze der Gazellen, die in dem Lilienschnee baden! Selig die Brüste der
ruhigen Gottesmutter, nach denen das lebhafte Jesuskind greift! Siehe, deine Brüste sind wie
Trauben am Weinstock, deine Gestalt ist gleich dem Palmbaum, ich will den Palmbaum besteigen
und seine Dattelfeigen pflücken! Und ich sah, und siehe, was ich sah, das war eine schwarze
Madonna, eine Madonna der Melancholie, sie lebte im hohen Norden in der Dunkelheit der
Schwermut! Alle Schreie der gequälten Seelen und alle Küsse der Gottsucher drängten sich zu der
Madonna! Ich sah den Fötus des Gottessohnes, den Logos Spermatikos, und ich sah die Madonna,
ihr Haupt war unbedeckt, sie trug ihr Haar offen, das lange schwarze Haar, glatt wie Seide, floß
lang hinab. Die Madonna öffnete ihr Oberkleid und entblößte ihren Oberkörper und wies ihre
beiden Brüste dem ewigen Gott und rief: Gott, mein Herr, bei diesen bloßen Brüsten, zwischen
denen du gebettet lagst wie ein Büschel Myrrhe, bei diesen bloßen Brüsten beschwöre ich dich, laß
die Seele meines geliebten Sohnes und vielgeliebten Bräutigams Peter Torstein Schwanke saugen
an den Brüsten des Trostes, an den Mutterbrüsten Gottes!

SECHZEHNTES KAPITEL

Madonna, an dem Glanz deines Leibes zünd ich meine Himmel an! Madonna dell’Anima –
Magnificat Anima mea Dominum! O deine rotblonden Locken, Madonna delle Grazie, die hast du
heute aufgesteckt und geflochten um deinen hoheitvollen Kopf, nur eine lose Strähne fällt lässig an
deiner Granatapfelschläfe vorbei! O dein hoheitvoller Kopf, eine Sonne der Schönheit, ein
schimmernder Vollmond in der Finsternis der Erde, dein Mondgesicht schwebt am Himmel der
Nacht und erleuchtet die Finsternis, du machst meine Finsternis licht! Dein bezauberndes Lächeln,
Madonna, spricht Bände, deine Lippen will ich küssen, küssen will ich, küssen! Ich gebe dir mit
jedem Ave einen Kuß, Madonna, einen keuschen Kuß! Dein Hals ist bewundernswert, Madonna,
dein schlanker, langer Schwanenhals, weiß wie ein Elfenbeinturm! Aber Madonna, deine Brüste
sind all mein Entzücken, deine makellosen Jugendbrüste, deine perfekten Mädchenbrüste! Wie
strafft sich dein rotes Seidenkleid über den makellosen Brüsten! Zwillingskitze der Gazelle deine
Brüste, Trauben vom Weinstock deine Brüste! Magnolienblüten deine Brüste, Zwillingstauben
deine Brüste! O und wie spitzen sich die Jadeknospen deiner Jadeberge unter dem straffen Gewand,
Madonna, mein Entzücken! Mit Rosinen labst du deinen Geliebten! Ich bette mich zwischen deine
Brüste wie ein Büschel Myrrhe! O und deine Schenkel, Madonna, glänzen im Licht, deine Schenkel
sind goldene Säulen, deine Beine sind Marmorsäulen auf goldenen Sockeln, deine nackten Füße
sind schlank und weiß und die Zehen deiner Perlmutternägel sind geschminkt mit ägyptischer
Hennafarbe! Madonna, an dem seligen Glanz deines Leibes zünde ich meine Paradiese an! Du
hältst im Arm den nackten Jesusknaben, den himmlischen Knaben, der lächelt so lieb und vertraut
zum heiligen Josef! Josef, Josef, mein Ziehvater, Pflegevater, Josef, was stehst du da in der dunklen
Nacht deiner Seele, voller Schwermut gebeugt, gebeugt von der Last der Melancholie, müde von
der Trauer das Haupt gebeugt auf die Faust? Nun, in der dunklen Nacht der Schwermut schaust du
um so begieriger auf den strahlenden Glanz deiner guten Frau! Die Frau der Schönen Liebe ist all
dein Verlangen in der dunklen Nacht deiner Seele! Aber ich sehe auch den kleinen Prophetenknaben
Johannes, der auf das göttliche Kindlein Jesus weist. Wer meinst du, dass ich bin? fragt das
Jesuskindlein und lächelt. Und der Prophetenknabe spricht: Du bist das Lämmlein Gottes, das
hinwegträgt die Sünde der Welt! Und der Prophetenknabe hält die Hand des heiligen Evangelisten
Markus, der von der Mutter mit dem Kinde eben das Evangelium hört. Evangelische Mutter Gottes
und evangelischer Jesusknabe, lehrt den Evangelisten die Wahrheit, dass er sie auf seinem
Bischofssitz in Alexandrien verkünde! Lehrt auch seinen zwanzigsten Nachfolger im Bischofsamt
von Alexandrien, Athanasius, den Kanon den Neuen Testaments! Madonna, sag dem weisen
Athanasius, ob der Clemensbrief, der Hirte des Hermes, der Brief des Barnabas ins Neue Testament
gehören, sage ihm, ob die Apokalypse des Johannes ins Neue Testament gehört. Ist denn die
Apokalypse des Johannes vom Apostel und Evangelisten Johannes geschrieben? Ist denn die
Apokalypse geschrieben im Geist der heiligen, apostolischen und katholischen Kirche? Petrus möge
das entscheiden, denn Petrus kniet vor dir Madonna! Petrus der Erste, Papst von Rom! Er hält die
Schlüssel des Reiches, die Macht der Kirche in den Händen und hat die Gewalt, zu binden und zu
lösen, zu lösen von den Sünden und zu binden die Dämonen und zu entscheiden in der Lehre! Möge
der heilige Petrus den Papst Johannes Paul den Ersten segnen. Denn als aus dem Heiligen Lande
und seinen Bruderkriegen die Juden und Christen und Muslime zu Papst Johannes Paul dem Ersten
kamen, da klagten die Gottsucher: Mein Gott, mein Gott, warum hast du uns verlassen? Da sagte
der Nachfolger Petri: Gott ist ein Abba, das ist wahr, aber Gott ist auch eine Mutter und spricht:
Und wenn eine Frau ihr Kindlein vergäße, die Frucht ihres Leibes, ich vergesse dich nicht! Schau
ich aber, Madonna dell’Anima, auf zum Himmel, sehe ich über deinem Haupte drei Amoretti,
nackte Putti, Engel der Liebe! Da schweben die nackten Knaben mit Flügeln an den Schultern und
Flügeln an den Füßen! Wer sind die nackten Amoretti? Dort ist der Schutzengel des heiligen
Thomas von Aquin, dort ist der Schutzengel des heiligen Simon Stock, des Karmeliters, dort ist der
Schutzengel des heiligen Ambrosius von Milan, der dem Kirchenvater einst die Hymne an den
Schlaf diktierte! Und siehe, der kleine Amor-Engel der himmlischen Liebe, der Schutzengel des
heiligen Ambrosius von Milan, hält einen Kranz von geflochtenen Gänseblümchen über deinem
Haupt und kränzt dich als die Blumenkönigin des Paradieses, die Blumenkönigin des neuen
Völkerfrühlings! Gnädige Heimsuchung der Madonna um Mitternacht! Die Madonna saß um
Mitternacht an meinem Schreibtisch und studierte meine Schriften. Sie sprach sanft und leise: Daß
du anders von der Frau sprichst, als gemeinhin in der Kirche üblich, das gefällt mir. Dein
Frauenbild, gespeist aus der Religion der Minne und dem christlichen Platonismus, gefällt mir.
Vision der Demutsmadonna. Die Demutsmadonna thront nicht auf einer Mondsichel, die
Demutsmadonna wandelt nicht mit bloßen Füßen auf den weißen Wolken, die Demutsmadonna sitzt
auf einem grünen Rasen. Humilitas, weil sie auf dem Humus thront. Sie ist ganz von Blumen
umgeben, die Flora Roms. Fuchs und Eule und Fledermaus sind friedlich um sie vereint, Käfer und
Schnecken krabbeln und kriechen umher, Amseln, Elstern, Schwalben und Tauben fliegen umher,
Schmetterlinge tanzen in den Lüften. Schwäne schwimmen majestätisch auf den Seen, Laufenten
und Stockenten schwimmen auf den Teichen. Hündchen bellen fröhlich. Kühe weiden ruhig auf den
Weiden. Hirsche röhren und Rehe stehen still auf den Weiden. Pferde weiden schweigend. Die
Schöpfung singt einen Psalm, eine Hymne, eine spirituelle Ode an die schöpferische Gottheit! Der
Fuchs, der listenreiche, voller Schlauheit, liegt zahm zu Füßen der Madonna. Die Wölfe liegen bei
den Lämmern, die Pantherweibchen lagern bei den Böcken. Ein kleiner Knabe weidet die Kälber
und die jungen Löwen. Kühe und Bären weiden zusammen auf derselben Weide, Kälber und
Bärenjunge liegen beieinander im Gras. Löwen fressen Gras wie die Kühe. Der Säugling spielt am
Schlupfloch der Strumpfbandnatter! Das gestillte Kind steckt seine Hand in das Loch der Schlange.
Seit Gottes Wort im Schoß Mariens Fleisch geworden ist, ist der paradiesische Urzustand wieder
hergestellt. Maria sitzt in einem üppigen Garten. Ein Holzzaun grenzt den Garten ab. Die
Holzpforte ist von Heckenrosen umrankt. Ein verschlossener Garten ist meine Schwester, meine
Braut, ein Lustgarten ist sie! Ich sehe den Paradiesgarten, allerdings in Germanien. Maria ist der
reine Mensch im Urzustand, Eva vor dem Fall. Sie ist in seidene Gewänder und einen
durchsichtigen Schleier gehüllt, denn Gott offenbart sich in ihr. Sie hält in der rechten Hand den
Talmud und in der linken Hand das nackte blonde Jesuskind, das mit der Erdbeerpflanze spielt. Es
ist die Erdbeere des Goldenen Zeitalters, die Erdbeere als Speise der Seligen, eine Paradiesfrucht.
Die Blüte der Erdbeere ist die Jungfrau, die Frucht der Erdbeere ist die Mutter Gottes und der
Menschen. Die Pfingstrose blüht, die Pfingstrose des Goldenen Zeitalters, sie ist wie Maria die
Rose ohne Dornen. Überall blühen Marias Rosen, weiße Rosen der Freuden Mariens, rote Rosen
der Leiden Mariens, gelbe Rosen der Glorie der Madonna. Die himmelblauen Vergissmeinnicht
duften zu den bloßen Füßen der Madonna, keusch und rein wie ihre himmlische Seele.
Schneeglöckchen läuten den Menschheitsfrühling ein, so wie Maria der Anbeginn der neuen
Schöpfung ist. Josef ist ein gebeugter Mann und stützt sich auf seinen Stab. Sankt Michael spricht
vom Evangelium. Der Davidstern reißt den Himmel auf und am Himmel erscheint die Frau des
Lammes, sie, die himmlische Jerusalem. Allerseligste Großmutter Gottes, Santa Anna! Wenn ich
dich sehe, du heilige Greisin, dann muß ich an die alte Sibylle denken, denn sie erbat sich das ewige
Leben und erlangte es, doch hatte sie vergessen, ach, sich die ewige Jugend zu erbitten! Aber wie
liebe ich jede deiner Falten! Wie liebe ich jedes deiner silbergrauen Haare! Wie liebe ich deine
gefalteten Hände, die müßig feiern im Schoß! Aber nun wende ich, liebste Greisin, meinen Blick zu
dem jungen schönen Weibe! Maria, das Überweib, die Superfrau! Ich kann mich nicht satt sehen an
dieser ewigweiblichen Frauengestalt! Die Frau an sich! Die Frau! Ich liebe ihr schwarzes Haar, das
sie gebunden und geflochten trägt auf dem schönen Kopf, ein Diadem, eine goldene Spange im
schwarzen Haar! Und wie liebevoll und sanft senkt sich ihr Blick! Demutsmadonna! Du bist von
Herzen demütig und sanftmütig, meine Jesusa, meine Christa! Die Perser sagen, am Anfang der
Menschheit lebten im Paradiese zwei Menschen, die Urmenschen, das Urmenschenpaar, die hießen
aber nicht Adam und Eva, sondern Maschiach und Maschiana! O Maria, du neue Eva, du bist meine
Maschiana! Aber welche Gnade, welches Frohlocken, welches Entzücken, welche Herabneigung,
meine mystische Frau! Wie neigst du dich vor und ich schaue deinen großen Busen, der wallt und
wogt mir entgegen! Welche Wonne verheißt dein Busen, welches Paradies ist mir dein Leib! Du bist
ein Magnetberg, Madonna, und du ziehst das eiserne Schiff meines Lebens magnetisch an! O wie
wogt und wallt mir dein Wonnebusen entgegen! Mütterlich gütig und liebevoll sanft neigst du dich
zu deinem Kinde, meinem Liebling! Siehe, ganz nackt ist der! Mein kleines Jesuskind, ich habe
eine Frage an dich: So oft ich die kleinen Knaben in ihrer heiligen Unschuld betrachtete, sah ich sie
selbstvergessen und traumversunken gern mit der Hand an ihrem Penis spielen, es schaffte ihnen ein
Wohlgefühl. War das auch deine Wonne in deiner göttlichen Unschuld, mein Jesuskind
in deiner paradiesischen Nacktheit? „Was tat ich denn? Ich habe ja nur gefragt“, heißt es in der
Bibel. Aber was diskutieren die Theologen? Sie streiten über die richtige Bibelübersetzung. Heißt
es: Feindschaft setze ich zwischen die Schlange und die Frau, zwischen den Nachwuchs der
Schlange und den Nachwuchs der Frau. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse? Oder
heißt es: Feindschaft setze ich zwischen die Schlange und die Frau, zwischen den Nachwuchs der
Schlange und den Nachwuchs der Frau. Sie trifft dich am Kopf und du triffst sie an der Ferse? Ist
Maria die Schlangenzertreterin oder Jesus der Schlangenzertreter? Meine Geliebte, mein Schatz,
meine Lust ist die schwarze Madonna von Guadelupe, die sprach: Ich bin die Schlangenzertreterin!
Und meine Hoffnung ist Jesus, der gekommen ist, die Werke des Teufels zu zerstören! Ja, die
Erlösung kommt durch das vereinigte Herz von Jesus und Maria! Der Erlöser und die Miterlöserin
triumphieren am Ende über Satan, die alte Schlange! Ich sehe das mystische Erlöserpaar! Jesus
Christus ist der Erlöser und Maria Sophia ist die Miterlöserin! Ich sehe meine Madonna, die runde
Matrone mit dem bloßen Wonnebusen, und ich sehe das Jesusknäblein nackt wie ein kleiner Adam,
und auf den nackten Füßen der Madonna stehen die nackten Füße des Jesusknaben, und so zertreten
sie der Schlange das giftgeschwollne Haupt! Maschiach und Maschiana, sie stellen gemeinsam die
Unschuld des Paradieses wieder her!

SIEBZEHNTES KAPITEL

Ich sah eine Wallfahrt zum Heiligtum. Alle tanzten, sangen, klatschten in die Hände und jauchzten
Halleluja! Maria, die Mutter Gottes, zog mit Jesus und einer großen Gruppe von Gläubigen zum
Heiligtum auf dem heiligen Berg. Jesus war zwölf Jahre alt, er zog zu seiner Bar-Mizwa nach
Jerusalem. Durch die Beschneidung am achten Tag war Jesus, der Menschensohn, aufgenommen
worden in die Gemeinde Israels. Nun mit zwölf Jahren, wurde er mündiges Mitglied der Gemeinde
Israel. Maria und Josef zogen wieder nach Hause. Erst auf dem Weg merkten sie, dass Jesus nicht in
der Sippe mitwanderte. Sie kehrten nach Jerusalem um und suchten Jesus und fanden ihn im
Tempel. Maria sprach: Mein Sohn, wir haben dich mit Schmerzen gesucht! Da sagte Jesus: O Frau,
du weißt doch, dass ich in dem Hause von ABBA sein muß! Dort war Jesus unter den Rabbis, den
Rabbinen und Rabbanen, den Rabs und Abbas, den Sadduzäern und Pharisäern und Chaldäern, den
Talmudisten, Zionisten und Kabbalisten, den Chassidim und Sephardim, den Sabäern und Judäern,
den Essenern und den Juden aus der Diaspora, Schriftgelehrten, Gesetzeskundigen, unter den
Weisen und Meistern, unter den Propheten und Hohenpriestern und fragte sie alle. Und er erforschte
ihre Weisheit, aber die außergewöhnliche Weisheit seiner Fragestellungen verwunderte sie alle. Sie
wunderten sich sehr über diesen zwölfjährigen Knaben, der an Weisheit reich war und an Gnade bei
Gott und den Menschen. Woher hat der Knabe diese Weisheit? Er ist doch der Sohn des
Zimmermannes! Damals kam der Spruch auf: Wer Weisheit begehrt, frage nicht die Rabbis, sondern
den Sohn des Zimmermannes, den Zimmermann!

ACHTZEHNTES KAPITEL

Sankt Josef war ein Zimmermann, ein Architekt, und der Sohn erlernte das Handwerk des Vaters, so
wurde Jesus ein Zimmermann, ein Architekt. Wenn Josef in seiner Werkstatt arbeitete, war der
Jüngling Jesus bei ihm. Josef hobelte, sägte, maß und hämmerte. Wenn Josef sich vermessen und
ein Brett zu kurz gesägt, zog Jesus es durch ein Wunder genau auf die richtige Länge. Jesus baute
ein Kreuz aus Zedernholz. Josef und Jesus waren Meister im Bauen von Jochen. Ein Joch, das Jesus
gebaut, das kannte noch Justin der Märtyrer zweihundert Jahre später. Maria trat in die Werkstatt
und schaute auf Jesus: Mein Sohn, wie hübsch du bist! Voller Stolz schau ich auf dich, ganz verliebt
schau ich dich an! Dann kehrte Maria ins Haus zurück, spülte die Schüsseln, bereitete das Essen,
melkte die Kühe, fegte den Raum und wusch die Wäsche. Sie bildete sich gar nichts ein auf ihre
außerordentliche Begnadung, Sitz der göttlichen Weisheit zu sein, sondern lebte ein einfaches,
schlichtes, demütiges und verborgenes Leben. Allein Gott erkannte ihre Herrlichkeit. Als Jesus aber
dreißig Jahre alt war, starb Sankt Josef. Er starb in seinem Haus in Nazareth. Er lag auf seinem
Sterbebett, Maria umarmte ihn und hielt den Sterbenden in ihren Armen, gepresst an ihren Busen!
Jesus stand bei seinem Herzen und schaute voller Gnade auf diesen heiligen und gerechten
Pflegevater Gottes. Maria brachte ihm noch ein Stück Brot und Jesus reichte ihm zum letzten Mal
den Becher mit Wein vom Libanon. Dann entschlief Sankt Josef. Gott setzte ihn ein zum
Schutzpatron der Zimmerleute und Architekten und zum strahlenden Vorbild aller keuschen
Bräutigame Mariens.

NEUNZEHNTES KAPITEL
Sechs Wasserkrüge standen da, sie symbolisierten die sechs Weltzeitalter, vom goldenen Zeitalter
an, bis am Ende der Zeiten das goldene Zeitalter wiederkehrt. Es war eine Hochzeit, Johannes
Markus und Susanna heirateten am dritten Tage. Warum am dritten Tage? Am ersten Tage der
Schöpfung sprach Gott: Siehe es ist gut. Am zweiten Tag der Schöpfung sprach Gott: Siehe es ist
gut. Am dritten Tag der Schöpfung sprach Gott: Siehe es ist gut, es ist gut! Der dritte Tag hat zwei
Seligpreisungen, eine für den Bräutigam und eine für die Braut. Johannes Markus hatte viel Wein
gekauft für seine Hochzeit mit der schönen Gazelle Susanna. Aber wer weiß, warum der Wein
zuende ging? Weil die Apostel dabei waren! Siehe, Petrus, der war der beste Freund von Jesus, und
wenn man schon von Jesus sagte: Dieser Fresser und Weinsäufer! Dann galt das auch für Petrus,
denn der Jünger ist nicht mehr als der Meister, im besten Falle ist er wie der Meister. Der Wein war
alle. Wer bemerkte das? Maria! Mit ihrem mütterlichen Blick bemerkte sie all die kleinen Sorgen
und Nöte ihrer Kinder. Nichts war ihr zu gering, nichts zu unbedeutend, alles machte sie zu einem
Gebet, zu einer Fürsprache. Mein Sohn, sie haben keinen Wein mehr, sagte Maria zu Jesus. Und
Jesus sagte: Frau, meine Stunde ist noch nicht gekommen. Frau, was ist das zwischen dir und mir?
Und Maria sagte zu den Dienern: Was Jesus euch sagt, das tut. Und die Diener stellten die sechs
Krüge der sechs Weltzeitalter vor Jesus und Maria. Und Jesus segnete das Wasser mit dem Zeichen
des Kreuzes, rief den Heiligen Geist, da verwandelte sich das Wasser der Welt in den Wein Gottes!
Die Rabbis hatten schon prophezeit, dass das Reich des Messias sein wird wie eine Rebe, deren
Weinbeeren so groß sind, das sieben Männer an einer Beere tragen müssen. Wenn der Messias
kommt, dann wird der Weinstock so fruchtbar sein, dann werden die Reben wie schwangere Weiber
sein, wenn dann ein Sohn des Lichts eine Traube pflückt, dann seufzt die andere Traube: Pflücke
auch mich! Ich sehe Jesus in einem blutroten Kleid und einem himmelblauen Mantel. Seine langen
braunen Haare sind in der Mitte gescheitelt und fließen an den Seiten seines Antlitzes bis auf die
Schultern. Um seinen Mund trägt er einen vollen braunen Bart. Seine Stirn strahlt. Um sein Haupt
glänzt die Herrlichkeit des Herrn. Seine Augenlider sind gesenkt, denn er ist versunken in Gott,
allezeit versunken in Gott. Seine Hände sind segnende Hände. Es sind die Hände, die Kinder
gesegnet, indem er den Kindern die Hände auflegte und sie liebkoste. Es sind die Hände, die Wasser
in Wein verwandeln, dieselben Hände, die Wein in Blut verwandeln. Neben ihm steht Madonna.
Blaß wie der Vollmond, eine Madonna aus Schnee, ein schlanker Lichtstrahl, gehüllt in eine
schaumweiße Wolke, einen Schleier aus Sonnenlicht. Schlank und anmutig wie ein Reh, zierlich
wie eine Antilope! Ihr weißes Oval ganz lieblich, ganz entzückend, ganz zärtlich! Inbegriff des
Femininen! Ikone des katholischen Feminismus! Ein süßer Mund, ganz schmal und rosig, eine feine
schlanke Nase, weiße Augenlider mit braunen Wimpern, langen Wimpern über liebevollen Augen,
Das Haar verborgen vom weißen Schleier, weiten weißwallenden Schleier. Eine einzige
Verschleierung die schleierhafte Madonna! Ja, wer ist denn hier das Brautpaar? Alle sagen, der
Jünger und die Jüngerin, Johannes Markus und Susanna, seien hier in einer Hochzeitsfeier vereint.
Aber ich schaue und schau, was ich schaue, das ist die mystische Hochzeit Unserer Frau und
Unseres Herrn. Ich höre Mechthild von Magdeburg in ekstatischer Verzückung prophezeien: Unser
Herr ist Gott und Unsere Frau ist Göttin! Heilige Hochzeit des Gottmenschen und der
Menschengöttin! Heilige Hochzeit von Gottheit und Menschheit, von Himmel und Erde, von Gott
und Seele, von Gottes Eros und Gottes Psyche! Halleluja, das goldene Zeitalter kehrt zurück! Aber
da ist auch der Mundschenk. Er trat zum König. Der König sprach: Was schaust du so
schwermütig? Du bist doch nicht krank! Nein, das ist es nicht. Du bist schwermütig. Der
Mundschenk aber schenkte sonst fröhlich dem König den Wein ein. Neben dem König saß die
Königin. Der Mundschenk wandte sich an die Königin und sprach: Königin, ich will zu den
Gräbern meiner Ahnen, es greift mich große Wehmut von Heimweh! Da sprach die Königin: Wie
lang wird deine Reise dauern? Er sprach: Sieben Tage. Da gab die Königin dem Schenken Urlaub.
Wahrlich, das ideale Brautpaar! Messias und Maria! Maschiach und Maschiana an der
Hochzeitstafel! Maschiach verwandelt Wasser in Wein und Maschiana verwandelt fünf Brote in
Speise für fünftausend Menschen! Zu Füßen Jesu liegt das Hündchen und kläfft, zu Füßen der
Madonna liegt die Katze und schnurrt. Im Hintergrunde antike Paläste, Philosophenhallen oder der
Tempel Salomos. Dort sehe ich den heiligen Salomo und die heilige Sulamith wandeln in
mystischer Umarmung! Dort sehe ich den Märtyrer Sokrates und die Hohepriesterin Diotima im
Gespräch am Bach Cephissus wandeln. Salomo und Sulamith singen vom Eros Gottes, Sokrates
und Diotima philosophieren über den Mittler Eros, den heiligen Dämon, der zur Idee der Schönheit
führt. Mädchen in durchsichtigen Schleiern lassen beim Tanz ihre Becken preisen und Musiker
spielen die Saiteninstrumente und schlagen die Cymbeln! Sieben Tage dauert das Fest und es wird
ein rauschendes Fest, denn der Wein, den Messias geschaffen, ist ein himmlischer Tropfen! Evoe,
die Hochzeit von Venus und Bacchus! Bacchanalien sing ich, die Hochzeit des dionysischen
Messias mit der aphrodisischen Madonna! Auch die kleinen Kinder jauchzen, die nackten Knaben
tanzen auf den Wolken! Alle kleinen nackten Knaben wollen später Maria heiraten! Aber wer steht
da im schwarzen Mantel abseits, schweigend, schwermütig, einsam? Es ist Agabus, der
verschmähte Freier! Voller Trauer und Entsagung, voller Herzschmerz schaut er die Madonna, seine
Göttin! Ah, weh mir, seufzt er, nur im Tode werde ich Liebe finden! Ich will mich lebendig
begraben in den Eremitenhöhlen des Berges Karmel und tausend Tode sterben, ob mir Gott der Herr
im Paradiese Maria zur Paradiesfrau schenkt!

ZWANZIGSTES KAPITEL

Jesus steht am Lebensbaum! Der Gekreuzigte steht an der Axis Mundi! Und er spricht sein
Testament: Mein lieber Jünger, du den ich liebe, schau auf Maria, deine Mutter! Und er sprach zu
Maria: O Liebe Frau, schau auf den Jünger, den ich liebe, deinen Sohn! Und da nahm ich Maria zu
mir, ich nahm Sie in mein ganzes Leben auf. Jesus hauchte seinen Geist aus...

EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Du bist so schön, Pieta, da? man es nicht sagen kann mit menschlichen Zungen und nicht sagen
kann mit Engelszungen! Der heilige Erzengel Michael hat mit dem Meißel dich aus dem Marmor
von Carrara geschlagen, vatikanische Venus! Perfekte Marmorgöttin des Katholizismus! Der heilige
Erzengel Michael kam zu mir und sagte: Die Jungfrau ist die Makellose Konzeption der Frau, das
Meisterwerk des Heiligen Geistes, die Idee der Schönheit! Alle Cherubim jauchzen vor ihrer
Königin, alle Seraphim singen ihr glühende Liebeslieder, die Throne, die Götter, preisen sie als ihre
Göttin der Götter! Weil sie die makellose Konzeption ist, ist sie von den Makeln der Töchter Evas
befreit, von der Sünde, vom Alter und vom Tod! Sie ist die Braut Christi, die Sankt Paulus geschaut,
die Braut ohne Makel, ohne Fleck und Falten, ohne Runzeln des Alters! Sie ist die schneeweiße
Göttin! Sie ist unendlich schöner als die Venus der Griechen! Sie ist die Frau nach dem Herzen
Gottes! Sie ist die ewige Jungfrau, die immerwährende Jungfrau! Sie ist die Auferstandene von den
Toten, ewig siebzehnjährige Schönheitskönigin! Sie ist immer jung, immer rein, immer frisch wie
frisch gefallener Blütenschnee, immer klar wie der Morgentau, transparent wie das kristallene Meer
am Throne Gottes! Sie ist unbefleckt und makellos, ein Abglanz Gottes, ein Lichtstrahl des Ewigen,
ein Ausfluß der göttlichen Kraft! Ich aber bin ihr allergeringster Sklave und bitte Sie nur um Eine
Gnade, dass Sie mir einen Befehl erteilt, Ihr zu dienen, zu Ihrem Ruhm und zu Ihrer
Verherrlichung! Sie ist klar wie ein Jaspis, transparent wie ein kristallener Edelstein, sie ist die
Gloria Gottes! Sie ist die Perfektion in Person! Tota pulchra perfecctissima! O pia, o clemens, o
dulce virgo Maria! Salve, Maria, Salve! Und ich frug mich auch, wie mein heiliger Dichtervater
Klopstock, ob Maria von der Erde stamme oder ob sie vom Himmel zu uns herabgekommen sei?
Und ich sang ihr auch, wie der Spirituale Poet der Herrin Liebe: Bei den Leiden deiner Mutter,
Christus, beschwöre ich dich, gewähre mir die Gnade, im himmlischen Paradies von Ewigkeit zu
Ewigkeit deiner süßen Mutter zu singen! Nein, ich schaue keine buntbemalten Gipsfiguren mit
sieben Schwertern im blutenden Herzen, heute nichts vom blutrünstigen Christentum heute! Ich
sehe Frau Todin, die Schönheit des christlichen Todes! Ich schaue Frau Todin, die Schönheit eines
Heimgangs in der Gnade! Ich schaue Frau Todin, deren Schmerzen zu himmlischer Güte geworden
sind, deren Leiden zu einem mütterlichen Lächeln geworden sind, deren Tränen zu einem zärtlichen
Blick geworden sind. Ich schaue Frau Todin, weiß wie die Reinheit, weiß wie Marmor und Schnee,
weiß wie das Totenlinnen, weiß wie das Linnen der Seligen an dem Throne Gottes! Ich schaue Frau
Todin, und sie erwartet den Toten in ihrem Mutterschoß! Ich sterbe hinein in den Mutterschoß der
Mutter Gottes, ich sterbe hinein in den mütterlichen Schoß Gottes! Ich sterbe und versinke in einem
Milchmeer der Liebe! Pieta, du bist so schön, das sagt kein deutscher Dichter! Ein provencalischer
Troubadour will ich werden, Midons Marie, Ma Dame d’Amour, dir das Hohelied Salomos zu
singen! Wer kann dich preisen als der Heilige Geist allein, dein göttlicher Bräutigam! Wer kennst so
die intimsten Geheimnisse deiner jungfräulichen Schönheit und deines urbildlichen Liebreizes wie
der göttliche Gemahl, der Spiritus Sanctus! Komm, o Heilig Geist, und preise die Pieta! Preise die
Miterlöserin! Und ich sah und siehe was ich sah, das war der Mund der Pieta! Nein, den lauen
Christen will ich die Vision nicht schildern. Wenn sie sagen: Sind das Lippen und Nase der
Muttergottes? Dann bin ich gekränkt in meiner Liebesekstase! Mund der Madonna, du Rose! Mund
der Madonna, du Rubin ! Mund der Madonna, du Scharlachlinie! Mund der Madonna, du
Rosinenschnur! Mund der Madonna, du Perlenkette! Mund der Madonna, du Lächeln des
Morgensterns! Mund der Madonna, du Kuß des Blutes Christi! Mund der Madonna, du Kuß des
Heiligen Geistes! Mund der Madonna, du Kuß der Ewigen Liebe! Mund der Madonna, du
Muttermund! Mund der Madonna, du bräutliches Lippenpaar! Mund der Madonna, mein
Entzücken! Mund der Madonna, meine Begeisterung! Mund der Madonna, meine Ekstase! Mund
der Madonna, mein göttlicher Wahnsinn! Ich küsse dich, Madonna, deine Küsse sind berauschender
als Wein! Opium sind deine Küsse, Madonna! Wenn ich sterbe, Madonna, pflücke meine Seele mit
einem Kusse deines Mundes aus dem Totenbett meiner Agonie! Küsse mich mit den Küssen deines
Mundes, dann bin ich glückselig im Paradies!

ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Das ist auch Pfingsten, Maria, das Pfingsten unserer Zeit: Eine kosmische Explosion! Ströme
kosmischer Energie der göttlichen Weisheit schütten sich aus und durchströmen wie Feuerschlangen
das ganzen Universum und schütten sich über der Erde aus und wir sind wie Irrsinnige! Ja, wie
betrunken vom blutroten Wein lallen wir mit Feuerzungen des Herzens und stehen im Feuer der
Liebe, im Feuer der Liebe Gottes, den Feuerflammen Jahwes, wie du, Maria, der brennende
Dornbusch, brennend und doch nicht verzehrt! Wahrlich, wahrlich, unser Gott ist ein verzehrendes
Feuer! Komm, Geist!

DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Als meine selige Großmutter Paula Margarethe heimging zu Gott, dem Herrn, ihrem Hirten, da
offenbarte sich mir Christus. Christus überreichte mir, dem Dichter, das Evangelium des seligen
Meliton, eines Jüngers des Lieblingsjüngers des Herrn. Christus bedeutete mir damit, dass ich, der
ich ein heidnischer Musenpriester gewesen war, nun Maria zum Inhalt meiner Gesänge machen
sollte. Und so begann ich mein christliches Gotteslob mit einer Hymne an den Heimgang der
allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria. Zwölf Jahre lebte Maria noch nach der Kreuzigung
ihres Sohnes. Sie starb in Jerusalem. Wo anders könnte die Mutter Gottes sterben als in Jerusalem?
Drei Tage vor ihrem Tod erschien ihr der Engel Gabriel mit dem Palmenzweig ihres himmlischen
Triumphes, der Palmenzweig aus dem Paradies verkündete ihr die Himmelfahrt zu ihrem Sohn und
Gott. Da erbat sich Maria von Gott noch eine Gnade: Ich möchte noch einmal alle meine Kinder
sehen und dann in ihrer Gegenwart meinen Geist in die Hände des Herrn befehlen. Der Herr
gewährte ihr die Bitte und brachte alle ihre Kinder aus der ganzen Welt an ihr Sterbebett. Dann kam
Jesus vom Himmel, begleitet von himmlischen Sängern, die Psalmen, Hymnen und spirituelle Oden
zum Lobe Christi und der Mutter Christi sangen. Die ganze Gegend war von der Himmelsmusik
erfüllt. Maria selbst starb singend, stehend, ohne Schmerzen, strahlenden Antlitzes. Sie wurde im
Tale Joschaphat begraben, zwischen Tempelberg und Ölberg, dem Tal des Jüngsten Gerichts.
Christus kehrte in den Himmel zurück, in den Armen die Psyche der Madonna. Da riefen Marien
Kinder ihr nach: Wer ist sie, die aus der Wüste aufsteigt, angelehnt an ihren Geliebten? Da sangen
die Tempelsänger des Himmels: Das ist die Schöne, die Schönste unter den Töchtern Gottes, voller
Gnade und Liebe! Mit Freuden wurde Maria im Himmel empfangen, wo sie sich zur Rechten des
Herrn in den Thron der Himmelskönigin setzte. Die Kinder auf Erden weinten nicht, damit die
Heiden nicht lästern, denn Christen glauben ja an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben.
Seraphim und Cherubim, Abraham und Sara, Isaak und Rebekka, Jakob und Rahel priesen Maria,
David und Salomo sangen ihr zu den Harfen und Saitenspielen des Ewigen. Im Augenblick des
Heimgangs der Madonna bekehrte sich in Rom der Dichter erotischer Liebeselegien, Porta Petri
Cygnus, zur Gottesmutter und dem Gottessohn und stellte seine lateinische Poesie ganz in den
Dienst der Verherrlichung der Himmelskönigin Maria. Drei Tage wachten die Kinder Mariens an
ihrem Grab. Am dritten Tage erschien Jesus und sprach zu Sankt Peter: Mein Papst, was meinst du,
was mit Maria geschehen soll? Da sprach der Papst Sankt Peter der Erste: Herr, mein Gott, da Maria
auf besondere Weise erlöst ist, indem sie im Hinblick auf deine Verdienste am Kreuze schon vom
Augenblick der Empfängnis an von allem Makel der Erbsünde befreit und vor aller persönlichen
Sünde bewahrt worden ist, so bitte ich dich, dass es, weil es würdig ist, geschehen möge, dass du sie
nun mit unsterblicher Seele und verklärtem Auferstehungsleibe in deine himmlische Herrlichkeit
aufnimmst, damit sie der pilgernden Kirche als sicheres Unterpfand der Hoffnung am Ziel der
Weltvollendung strahle! Und Jesus tat so, wie der Papst es von ihm erbat. Der Erzengel Michael,
der besondere Ritter seiner Dame, der Apokalyptischen Frau, führte die Psyche der Madonna zu
Christus, dem Herrn. Jesus sprach zur Madonna: Steh auf, meine Taube, meine Reine, meine Eine,
du Herrlichkeit des Herrn, du Tempel Gottes, du Becher der Ganzhingabe, du Paradies der Liebe, du
Lustort Gottes! Wie du die Unbefleckte Empfängnis bist, so bist du auch mit Leib und Seele in den
Himmel aufgenommen. Das definiere ich und so ist es von allen Christen zu glauben. Da zog die
Psyche der Madonna in den Leib der Madonna, der Leib stand auf von den Toten, ward verwandelt
von Christus und ging ein in das himmlische Brautgemach Gottes, ihres Ehegemahls in Ewigkeit.

VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Im Jahre des Zweiten Vatikanischen Konzils empfing in Marienhave im Osten des freien Frieslands
die junge Frau Hildegard am fünfundzwanzigsten März ein Kind. Es gerann aus Blut und Samen
und der Lust im Beischlaf. Es gerann, wie Milch zu Käse gerinnt. Es wurde bereitet im Schoß der
Erde, im Finstern bereitet. Wer weiß den Weg des werdenden Kindes im Schoß der Mutter, wer
weiß den Weg des Windes? Gott aber hat das Kind erwählt, bevor es im Mutterschoß empfangen
wurde. Gott hat das Kind berufen, als es im Mutterschoß lebte. Das war so. In der Osternacht sah
Hildegard im Traum die Mutter Maria, ganz wie sie in der Kirche dargestellt wird. Die Mutter
Maria legte im Traum der Mutter Hildegard einen goldenen Ehering in die Hand und sagte mit
mütterlicher Stimme zu der Mutter Hildegard: Die Frucht deines Leibes, dein Kind, das du nun im
Schoße trägst, soll einst mein Bräutigam werden. Die Mutter Hildegard schrieb den Traum in ihr
Schwangerschaftstagebuch. Sie hatte gehört, dass die chinesischen Weisen sagten, die Erziehung
des Kindes beginne schon im Mutterschoß. So begann sie, ihren Sohn im Mutterschoß von Anfang
an zum Bräutigam der Madonna zu erziehen. Dann wurde das Kind geboren am Geburts- und
Todestag des seligen Platon. Es wurde am achten Dezember, dem Tag der Makellosen Empfängnis,
getauft. Da sagte auf der Tauffeier die Mutter Hildegard zu den Paten: Wir haben ihn Piet genannt
aus Liebe zum unsterblichen Petrus. Wenn ich nicht auf den Heiligen Vater Pillen-Paul gehört hätte,
wäre mein Piet wohl gar nicht empfangen worden. Nun aber weihe ich den Liebesakt und den
Augenblick der Empfängnis meines Sohnes Piet dem makellosen Mutterherzen der Unbefleckten
Empfängnis. Möge sie selbst ihn erziehen, dass er würdig wird, einst der Bräutigam der Madonna
zu sein. - Ein Jahr später, als im liturgischen Jahr des Tag des Heiligen Platon war und die Frommen
in der Kirche von Marienhave beteten: Sanct Plato, ora pro nobis, da begann nach der Morgenmesse
der einjährige Piet plötzlich zu sprechen. Die Eltern Hildegard und Erich hatten sich schon
gewundert, dass er sich weigerte, sprechen zu lernen, er sagte nicht einmal Mamma und Abba, aber
nun begann er plötzlich ganz vernünftig zu sprechen und sagte: Ich hab die Himmelskönigin
gesehen! O, sie ist so schön, dass glaubst du nicht, so schön ist sie! Sie ist so schön, dass kann man
gar nicht glauben! So schön ist sie, dass man es gar nicht sagen kann! Sie ist so schön, dass man es
fast nicht ertragen kann, es tut fast schon weh, so schön ist sie! Sie ist die Himmelskönigin, aber vor
allem ist sie meine Mutter! Sie trägt goldene Sandalen einer Himmelskönigin und ein goldenes
Kleid mit Blumenmustern und eine goldene Krone! Sie ist meine Mutter, aber später, wenn ich groß
bin, will ich sie heiraten! - Da wunderte sich die Mutter Hildegard und meinte, ihr Sohn habe die
Jungfrau Maria gesehen, und die Jungfrau Maria habe plötzlich durch ein Wunder dem Kinde das
Sprechen beigebracht. Da pries sie Marias Sohn, der das Wort ist, und freute sich von Herzen, dass
ihr eigenes Kind auch ein Sohn Marias war. Aber der Vater Erich hielt das nicht für ein Wunder,
sondern meinte nur: Endlich fängt er an zu reden. Nun, das Bürschlein hat wohl zuviel Phantasie.
Wir müssen irgendetwas tun, dass er weniger Phantasie hat. Als Piet fünf Jahre alt war, schickte
seine Mutter ihn abends immer zum Bauernhof, frische Milch vom Bauern zu holen. Der Weg
führte an den Kuhweiden vorbei. Piet sah gerne die Kühe, deren Augen so mild und gütig waren
wie Hindus, deren Euter so prall waren wie die Brüste von Hindu-Göttinnen. Er kam nun eines
Abends, es war der Tag von Sankt Anna, zum Bauernhof und holte die Kanne mit der Milch ab. Die
Bäuerin melkte gerade eine Kuh, sie saß auf einem dreibeinigen Schemel vor dem gewaltigen Euter,
nahm die Zitzen in der Hand und drückte, dass die weiße Milch herausspritzte, und sagte immer, als
ob sie einen Rosenkranz bete: Stripp, strapp, strull, is de Eemer noch nich vull? Dann gab sie Piet
die Milchkanne mit dem Liter Milch. Die Kanne war halbvoll. Oben auf der frischen Milch
schwamm die frische Sahne. Seine Mutter würde die Sahne später von der Milch abschöpfen, damit
Piets geliebtes Großmütterlein Johanna Paula Sahne für den friesischen Tee hätte, den sie dreimal
am Tag trank. Nun nahm Piet die halbvolle Milchkanne und ging den Weg durch die
Abenddämmerung nach Hause. Als er an den Kuhweiden vorüber kam, wo zwischen den Fladen die
Champignons wuchsen, da erschien ihm die himmlische Mutter Maria. Ihre Augen waren sanft und
gütig wie die Augen einer Mutterkuh. Sie hatte auf dem Haupt zwei Kuhhörner, und zwischen den
Kuhhörnern war der runde Vollmond. Da sprach die himmlische Mutter Maria: Mein Sohn, gibst du
mir zu trinken? Da sprach Piet: Meine himmlische Mutter, wer bin ich, dass ich dir zu trinken geben
soll? Dann reichte er der himmlischen Mutter Maria die halbvolle Milchkanne, und Maria trank von
der frischen warmen Kuhmilch. Die weiße Milch floß ihr über die Lippen und tropfte auf ihr Kleid,
unter dem sich die perfekten Brüste abzeichneten. Dann gab Maria dem Knaben die Milchkanne
wieder, und Piet trug sie nach Hause. Zu Hause aber wunderten sich Mutter und Großmutter, dass
die Milchkanne überlief und schier unerschöpflich Milch gab, so dass die liebe Großmutter Johanna
Paula frische Sahne für neunundneunzig Tassen friesischen Tee hatte. Es ist, wie es auf dem
Kalender der Großmutter an jenem Tag stand, auf dem sich Lebensweisheiten für jeden Tag fanden:

F RAUWEI S H EIT

Siehe, den einen ist sie die hohe, himmlische Göttin,


Andern die tüchtige Kuh, die sie mit Sahne versorgt.

Goethe.

Eines Tages war Piets älterer Vetter Joachim zu Besuch. Er war ein junger lutherischer Pastor und
saß auf der Terrasse des Hauses und las in der Bibel Martin Luthers. Piet aber spielte im Garten
unter den Birnbäumen, Apfelbäumen, Kirschbäumen, Pflaumenbäumen. Da stand vor der
dreihundertjährigen Blutbuche eine kleine Gartenhütte mit Bienenstöcken. Da spielte Piet
Verstecken, aber nicht allein, sondern mit dem Jesuskind! Piet sprach, sah Joachim, als wenn da
jemand bei ihm wäre, so ganz natürlich, aber Piet war doch allein! Nein, Piet sprach mit dem
Kleinen Jesus, seinem allerliebsten Spielgefährten. Nein, Piet sprach nicht mit dem Kleinen Jesus,
sondern er kreischte vor Glück! Aufgeregtes Lustgeschrei kleiner Zwerge nennt das der Dichter. So
laut kreischte vor Lust und Glück und Wonne der kleine Piet, das sich der ernste Vetter in seiner
Bibellese gestört fühlte. Plötzlich kam Piet auch noch angerannt und sprang auf die Terrasse. Da
sprach der Vetter Joachim: Was spielst du denn? Da sagte Piet: Ich spiele mit dem Jesusknaben
Verstecken! Siehe, er hat sich gerade hinter deinem Stuhl versteckt. Da meinte der lutherische
Pastor, sein kleiner Vetter habe einen Geist von unten. Da nahm er sein Tintenfaß, denn er hatte sich
zur Bibellese Notizen für die Sonntagspredigt machen wollen, warf das Tintenfaß gegen die
Hauswand und rief: Weiche von mir, Satan! Aber Piet sagte: Joachim, ich weiß, was du gerade in
der Bibel gelesen hast, nämlich: Die Weisheit ist der Liebling des Herrn (das Hätschelkind) und
spielt allezeit vor dem Angesicht des Herrn, und seine Freude ist es, bei den Menschenkindern zu
sein. - Joachim aber rief wieder: Weiche von mir, Satan! Da hörten den Fluch Piets Eltern, und
Hildegard und Erich kamen auf die Terrasse und hörten sich die Sache an. Da sagte die Mutter
Hildegard: Ich erkenne meinen Sohn nicht wieder! Das ist nicht mehr mein Sohn! Ich bin so voller
Sorgen, was aus dir noch werden soll! Du schwebst immer zwischen dem Himmel und der Erde und
stehst gar nicht mit beiden Füßen auf der Erde! Und der Vater Erich sagte: Bursche, du spinnst! Da
nahm die Mutter Hildegard den kleinen Piet an die Hand und zog ihn fort und brachte ihn zur
geliebten Großmutter, denn die wusste immer Rat, wenn die Mutter nicht weiter wusste. Die
Großmutter Johanna Paula war eine Witwe von achtzig Jahren, sie war nur sieben Jahre mit ihrem
Mann verheiratet gewesen, und war nun nach dem Tod des Trinkers eine fröhliche Witwe, die oft
den Rosenkranz betete. Da hörte die liebe Großmutter Johanna Paula dem kleinen Piet aufmerksam
zu. Und als er sagte, er habe ja nur mit dem Kleinen Jesus gespielt, da lächelte die liebe Großmutter
aus den gütigen himmelblauen Augen und sagte: Bist du einer von Jesus? Ja, sagte Piet. Da gab die
Großmutter dem kleinen Piet ein schönes Bild von einem Hirten, der eine Schafherde weidete auf
grünen Wiesen, aber ein kleines schwarzes Schaf trug er auf dem Arm, das war sein Liebstes. Da
sagte die Großmutter Johanna Paula zu ihrer Tochter: Hildegard! Laß den Jungen in Ruhe! Da
kehrte wieder Ruhe ein. In der Nacht aber wachte Piet aus dem Schlaf auf und sah Jesus an seinem
Bett stehen. Jesus war ein Mann von dreißig Jahren, mit dunkelblondem Haar und Vollbart, er trug
ein weißes Gewand und Strahlen gingen von seinem Herzen aus, Strahlen des Lichtes und des
Feuers der Liebe. Da sagte Jesus zu Piet: Ich habe ein schönes Geschenk für dich! Siehe dort, auf
der andern Seite deines Bettes! Und siehe, da stand die junge schöne Mutter Maria. Da sagte Jesus:
Wir sind zu dir gekommen, um dich zu fragen: Willst du jetzt gleich sterben und ins Paradies
kommen oder willst du mich und meine Mutter trösten, indem du deine seelischen Leiden Gott
aufopferst und so meine Gnaden auf die Kirche und die Menschheit herabziehst? Da sah Piet die
Kirche und ihre schweren Prüfungen und die Menschheit bedroht von einem neuen Weltkrieg, da
sagte Piet: Wenn es besser ist, dass ich auf Erden bleibe und leide, dein Herz und Marias Herz zu
trösten, dann will ich lieber auf Erden bleiben. Dann sagte Jesus: Du wirst aber in keinen Orden
eintreten und nicht in Klostergemeinschaft leben, sondern als ein ganz gewöhnlicher Mann wirst du
vor den Augen der Welt verborgen leben, in einem kleinbürgerlichen Mietshaus, von allen
unerkannt. Nur wenige werden dich verstehen, das musst du wissen. Deine Seele wird viel leiden
und du wirst einsam sein, wie ich in meinem Kreuzestod. Du wirst aber mitten im gewöhnlichen
Alltagsleben außergewöhnliche Wunder und Zeichen sehen. Von nun an wird meine heilige Mutter
dich führen und dich immer trösten! Sei ein verborgenes, aber ein immer duftendes Veilchen! -
Dann segnete Jesus den kleinen Piet, die Mutter Maria umarmte ihn, und die Erscheinung
verschwand. Eines Tages im Hochsommer war Piet allein zu Hause und spielte im Garten. Er hatte
sich nackt ausgezogen und kletterte auf einen Baum, aber oben brach der Ast, auf dem er stand, ab
und Piet stürzte nackt in die Brennesseln. Es brannte sein ganzer Körper! Da sah er Maria in der
Sonne und hörte ihre Stimme: Hab keine Angst, mein Sohn! Deine Nachbarin Gudrun wird dich mit
ihres Vaters Wodka heilen. Im gleichen Augenblick schaute im Nachbarhaus die junge Frau Gudrun
aus dem Fenster, ihre langen goldenen Zöpfe hingen aus dem Fenster ihrer Kemenate, da merkte
Piet erst, wie weh ihm die Brennesseln taten und er rief: Ah weh, ah weh! Da eilte die blonde
Gudrun herbei und trug Piet in die Küche ihres Hauses und rieb seine Haut ein mit dem Wodka
ihres Vaters. Die Haut war wieder ganz heil und es brannte nicht mehr. Der Vater Erich wurde
krank. Er litt an Leukämie und bekam von Tag zu Tag üblere Laune. Immer öfter ließ er seine üble
Laune an Piet aus. Die Familie geriet in Armut, da der Vater nicht mehr arbeiten konnte. Piet konnte
nicht in die Schule gehen, sondern musste oft Arbeiten für seinen Vater erledigen. Da brachte ihm
die Mutter Maria selbst das Lesen und Schreiben bei. Lesen lehrte sie ihn mit der Kinderbibel, und
beim Schreiben führte Maria ihm selbst die Hand. Das war wichtig, denn er musste nun oft Worte
und Botschaften Marias aufschreiben. Da sagte Maria zu ihm: Mein Kind, ich bin deine Mutter, die
dich auf dem Weg führt, der Jesus gut gefällt. Da sagte Piet: Allerliebste Mutter, wie wohl fühle ich
mich unter deinem Schutzmantel, unter deinem Mantel der Barmherzigkeit! Ach, ich möchte immer
so geborgen ruhen in der Beuge deines Armes und gebettet ruhen an deinen benedeiten Brüsten!
Seit meiner Geburt trägst du mich in deinen Armen wie eine teure Amme und lässt mich nie mehr
los! Und immer lässt du mich die Süßigkeit deiner feurigen Liebe schmecken! Da sagte Maria:
Weißt du, mein Kind, du wirst später das Haus deines Vaters verlassen und ins Ammerland ziehen.
Dort wirst du einer alten Karmelitin schreiben und sie wird deine geistliche Mutter werden. Sie wird
dir dann den Weg zeigen, den ich dich führen will. Das wird in dreißig Jahren sein. - Eines Tages
diktierte Maria dem kleinen Piet sein erstes Gedicht:

Der Herrgott ist allein mein Ziel


Und Jesus Christus mein Modell
Und Sankt Maria Führerin
Und ich im Opfer allezeit!

Es war am fünfzehnten August im fünften Lebensjahr Piets, da er auf der Terrasse saß und in den
Himmel schaute. Da senkte sich eine goldene Wolke langsam vom Himmel herab und eine Weiße
Frau trat aus der Sonne. Um die Lenden trug sie einen zauberhaften Gürtel aus Sonnenstrahlen
gewoben. Sie breitete ihre Arme zum Willkommen aus und von ihren Händen gingen Strahlen der
Gnade aus. Ihre Lippen waren rot wie Feuer, ihre Haare von reinem Gold, lang und glatt
herniederfließend und ihren ganzen Leib umfließend. An ihrer linken Hand trug sie einen Ring mit
einer Süßwasserperle. Sie segnete Piet mit dem Kreuzeszeichen. Da ließen himmlische Engel, die
wie nackte geflügelte Kinder aussahen, weiße Rosenblüten zur Erde regnen, sie fielen auf die
Terrasse. Einige schmolzen gleich wie Schnee, andere blieben liegen. Dann verschwand die
Erscheinung, aber die Rosenblüten lagen noch auf der Terrasse. Da kam der kranke Vater Erich aus
dem Haus, er hatte sehr schlechte Laune. Als er die Rosenblüten auf der Terrasse sah, glaubte er,
Piet habe seine Rosen zerpflückt und die Blüten auf die Terrasse gestreut. Da schlug der Vater das
Kind und schrie: Du Faultier! Du Nichtsnutz! Du Taugenichts! Immer träumst du nur und starrst in
die Wolken, statt zu arbeiten und die Terrasse zu fegen! Mach endlich deine Hausarbeit! Geh und
räum dein Zimmer auf! Wie sieht das wieder aus! Piet schwieg erschrocken vor dem Wutanfall des
Vaters. Da schrie der Vater: Geh in den Schuppen und hol den Besen! Piet ging und holte den
Besen, aber als er zurückkam auf die Terrasse, waren alle Rosenblätter fort. Der Vater war ganz
verwundert. Es hatten die Engel die Rosenblätter alle aufgesammelt und sie der Madonna in ihrem
himmlischen Rosengarten zu Füßen gelegt! Aber der Vater blieb dennoch verstockt und ungläubig.
Wahrlich, wahrlich, ein Prophet gilt nichts in seinem Vaterhaus und in seiner Familie! - Mit sechs
Jahren fiel Piet einmal in einen Kanal, er konnte noch nicht schwimmen. Da sah er die Königin der
Liebe auf dem Wasser laufen und ihn aus dem Wasser herausziehen und ans Ufer stellen. Dann
verschwand sie wieder. Mit zwölf Jahren kam er in die Katechese. Er lernte Bibel und Dogma. Er
wurde vorbereitet auf den Empfang der Sakramente, vor allem auf den Empfang der Kommunion.
Bei seiner ersten heiligen Kommunion sah er Maria vor sich stehen und zu ihm sagen: Du bist nun
ganz mein! Du gehörst mir! Du bist mein Leibeigener! Aber ich bin auch deine Magd! Ich bin die
Magd des Herrn, aber ich bin auch deine Magd! Siehe, ich liebe Gott von ganzem Herzen, von
ganzer Seele, mit aller Kraft und dem ganzen Gemüt, und dich liebe ich wie mich selbst!

FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Im fünfzehnten Jahrhundert in Deutschland lebte in der Diözese Würzburg im Orte Niklashausen


der Hirte und Musiker Hans Behem. Wenn er nicht das Vieh weidete, machte er weltliche Lieder
und sang sie vor den Dirnen auf dem Markt. Er spielte die Flöte und blies den Kindern Kinderlieder
und den Mägden Hochzeitslieder, er spielte die Laute und sang die alten Minnelieder den jungen
Mädchen vor, er spielte das Klavier in der Dorfschenke und klimperte den Trinkern seine sinnlosen
Läufe vor. Er spielte die Mundharmonika und die Maultrommel und zog so musizierend nachts
durch die Gassen, ob die Burschen und die Dirnen tanzen möchten im Mondschein
engumschlungen. Er spielte auch das Horn und blies den Jägern ihre Jagdlieder und den Soldaten
ihre Märsche. Er spielte auch das Akkordeon und wollte mit einer Truppe Komödianten bettelnd
und musizierend durch Frankreich, das Land der sinnlichen Liebe, ziehen. So ergab er sich ganz der
Eitelkeit der irdischen Kunst und diente den Dirnen zur Buhlerei und den Burschen zur Verführung
der hübschen Dirnen, vor allem aber den Trinkern, ihr Elend zu vergessen bei Wein, Weib und
Gesang. Eines Tages aber erschien ihm die Jungfrau Maria. Sie erschien ihm im Wald, da hatte sie
ein langes weißes Kleid an, mit einem goldenen Gürtel um die Brust, der ihre Brüste hervorhob, auf
dem Haupt trug sie einen durchsichtigen Schleier, aus dem ihre maronenbraunen Locken
hervorquollen, die ihr auf die schmalen Schultern fielen. Die Jungfrau Maria schaute den Musiker
an und sagte: Was willst du von mir? Da sagte der Musiker: Ich möchte einmal in deine Augen
schauen, Maria. Da schaute Maria ihn liebevoll an, und er fühlte sich wie entrückt auf einen
makellosen Doppelmond von reinstem Schnee, wie Keuschheit von Nachttau im Kelch einer
weißen Lilie. Es war ihm vor dem Licht dieser Augen, als schaute er das Licht vom Licht, Gott von
Gott, die Herrlichkeit des Herrn strahlend in einem runden und vollkommenen Kreis des Lichts
hoch über der Finsternis der ekelhaft eitlen und sündigen Welt, die in ihrer Gottlosigkeit und
Unzucht zu einem Misthaufen geworden war. Aber über ihm am Himmel strahlte der unbefleckte
Mond des Auges der Jungfrau Maria. Da wählte Hans Behem die Jungfrau Maria zu seiner Herrin.
In jener Nacht der Bekehrung zu seiner Herrin Maria verbrannte er all seine weltliche Kunst, auf
einem großen Scheiterhaufen verbrannte er all die Instrumente der Eitelkeit, alle Flöten und
Blasinstrumente der Unzucht, alle Saitenspiele der Verstrickung in die Welt, alle Trommeln der
Kriegsmärsche Satans, alle Posaunen und Hörner des Antichristen. Er sagte: Die Jungfrau Maria hat
zu mir gesprochen. Sie sagte in der Nacht meiner Bekehrung: Die Kunst ist eitel, die Kunst, die die
Eitelkeit der Welt verherrlicht, ist eitel und gottlos. Du kannst entweder Künstler bleiben und allein
Gott den Herrn verherrlichen, aber dazu musst du ins Kloster gehen und ein Heiliger werden. Oder
du sagst dich los von der Eitelkeit der Kunst und gehst als Prediger zu den Armen, den Bauern, den
Unterdrückten. So sprach die Jungfrau Maria zu mir, sagte Hans Behem. Er sagte sich los von der
Eitelkeit der Kunst und wurde ein Prediger der Jungfrau Maria. Er verstand sich als Prophet der
Herrin, der in heiligem Zorn wie Amos über die Mammonssklaven herzog, die Reichen, deren
Bauch fett geworden ist vom Fleisch der Armen, die Sklaven des Goldes, die die Kriege in der Welt
beginnen, die toten Seelen, die ihre geldgierigen Seelen dem Satan verkauften für ein bisschen
Gewinn in dieser nichtigen Erdenzeit, die Unterdrücker, die die Bauern ausbeuteten, die
Großgrundbesitzer, die sich die Bauerndirnen als Huren hielten, die reichen Herren, die nichts
fragten nach der fehlenden Milch für die Bälger der Bäuerinnen, und die Kaufleute, die den Ammen
das Holz für den Ofen im Winter verwehrten! In heiligem Zorn wetterte Hans Behem und rief: Ein
Strafgericht kommt über euch Reiche, euch Knechte Mammons, die Jungfrau wird euch in
göttlichem Zorn strafen! Die Bauern werden sich erheben und euch totschlagen mit ihren
Knüppeln! Eure Leichen werden aufgehängt an den Bäumen im Winde baumeln und eure gottlosen
Seelen werden in die Hölle fahren! Da werdet ihr brennen und schreien in großer Qual in Ewigkeit!
Aber dann wird euch die Herrin nicht mehr hören! Jetzt ist die Zeit, jetzt hört auf sie, sonst wird der
Bauernkrieg euch hinwegfegen! Jetzt tut Buße und helft den Armen, heilt die Kranken, haltet den
Sterbenden die Hand, gebt den Kindern zu essen und zu trinken, zahlt den Arbeitern ihren Lohn aus,
lasst dem Hirten sein einziges Schäfchen,und der Amme macht die Stube warm, dass ihre Brust
erblühe für das kleine Kindlein, das sie großzieht wie ihr eigenes! Tut Buße, sonst werdet ihr den
Zorn der Jungfrau fühlen! Kommt in die Kapelle der Jungfrau und betet dort, werft euch auf euer
Angesicht nieder vor dem bloßen Fuß der hohen Herrin und huldigt eurer Retterin! Zündet Kerzen
an für eure Seelen und für die Seelen eurer Weiber und Kinder! Bringt ihr Blumen, bringt ihr zu
Sankt Valentin eine rote Rose, sie wird es euch danken! Ja, hier im deutschen Land, im gelobten
Lande Franken in der Marienkapelle werden euch alle Gnaden angeboten, die euch vor der Hölle
retten können. Allein Unsre Liebe Frau von Niklashausen hat die alleinseligmachende Gnade für
euren Glauben bereitstehen, die euch rettet vor dem ewigen Feuer der Hölle und euch purgiert in
das Paradies führt! Was fragt ihr nach Rom? Soll Rom euch Gnade gegen Geld verkaufen? Wieviel
Geld kostet denn eine Seele? Wie teuer ist das, eine Seele aus der Hölle freizukaufen? Nein, in Rom
herrscht nicht der Geist des armen Fischers Simon Petrus, sondern der Geist des geldgierigen
Magiers Simon Magus! Die Simonie sitzt auf dem Apostolischen Stuhl! Wendet euch ab von Rom,
kommt in die deutsche Kirche der Gnade, in die deutsche Kirche der Freiheit! Verehrt nicht die
römische Wölfin, sondern die deutsche Madonna, Unsre Liebe Frau von Niklasberg in ihrer
fränkischen Marienkapelle allein ist die Freiheit des Christenmenschen, sie allein ist die wahre
Kirche, die Urgemeinde! In Rom herrscht die Hure Babel, das scharlachgekleidete Weib sitzt auf
einer Wölfin und reitet durch die reiche Stadt, das Weib entblößt ihre Brüste und macht betrunken
mit dem Wein ihrer Hurerei die Mächtigen der Erde! Aber die deutsche Jungfrau, Unsre Liebe Frau
von Niklasberg, ist tiefsinnig, ehrlich, edel, treu, fleißig, eine reine Magd, sie ist die wahre Kirche!
Wo die deutsche Madonna ist, da ist die wahre Kirche, wo die römische Hure ist, da thront der
Antichrist im Lehrstuhl! Hört aber, was die deutsche Madonna ihrem geliebten deutschen Volk sagt
und allen treuen und frommen Seelen! Hört, ihr närrischen Weiber, eine Predigt über eure Mode! - r
Pfeiferhans, so nannte ihn das Volk der Armen, versammelte ein großes Volk von Zimmermännern
und Bauern um sich und die Weiber hingen in Scharen an seinem Mund und die zerlumpten Kinder
der Armen hielten ihn für Gottvater! Da sagte er Pfeiferhans: Das Volk kommt zu mir und hält mich
für einen Mann, der schöne Liebeslieder singen kann. Euer Herz ist voll von süßen schmachtenden
Liebesliedern und ihr seid alle sehr hinter dem Geld her. Wenn aber kommt, was ich verkünde, und
es wird kommen, dann werden ihr wissen, dass ein Prophet unter euch war! Hört nun, ihr Frauen,
meine Mahnung! Wie gefällt es euch doch so sehr, den Busen mehr zu enthüllen als zu verhüllen!
Wie gefällt es euch doch so sehr, den Rock so kurz zu tragen, dass er kaum die Oberschenkel
bedeckt! Die Keuschen unter euch tragen die Arbeitshosen des Mannes! Eure Haare tragt ihr auch
wie die Männer! Oder aber ihr schmückt eure langen Locken mit Farbe und Schmuck und putzt
euch wie die Huren! Und ihr Sängerinnen und ihr Tänzerinnen, was ist euer Vorbild? Die große
Hure Babel oder die große Hure Ninive, so wollt ihr sein, ihr wollt nackt auf dem Löwen der Kraft
reiten und die Welt verführen mit der Unzucht eurer Hurerei! Ja, ihr schenkt den Männern in der
Nacht den Wein ein, die Männer sagen: Mein Becher läuft über! Und wenn ihr die Männer
betrunken gemacht habt, dann reizt ihr sie, euch zu betrachten, wie ihr euch schamlos entblößt und
eure Scham aufdeckt! Aber Gott wird euch den Rock hochheben, Gott wird die große Hure
vergewaltigen und öffentlich schänden! Meint ihr denn, ihr Weiber voll der Unzucht, dass die
Madonna euch erscheint in einem Röckchen so kurz, dass sie, wenn sie sich verneigt vor dem
Herrn, ihr Unterhöschen zeigt? Oder wollt ihr, dass sie kein Unterhöschen trägt unter ihrem kurzen
Rock und so ihre Schamhaare zeigt, wenn der Wind mit ihrem Nichts von Röckchen spielt? So eine
Madonna würde euch gefallen, nicht wahr? Oder eine Madonna, die ihre vollen bloßen Brüste mit
nichts bedeckt als der wilden Lockenmähne? Nicht wahr, das wäre eine Madonna, deren Bild ihr in
den Andachtswinkel eures Hauses stellen wolltet? Ich kenne euch gut, ihr Sünder! Nein, die
Jungfrau erscheint in einem weißen Seidengewand, das ihr hinunterfließt bis auf die Füße, es
bedeckt die Arme und lässt nur die gnädigen Hände frei, es ist geschlossen bis zum Hals, und auf
dem Haupt trägt sie allezeit einen Schleier der Brautschaft, denn sie ist die Braut des Herrn! Ihr aber
weigert euch, in der Kirche einen Schleier zu tragen, ihr närrischen Weiber! An einer Hand kann ich
abzählen die alten frommen Großmütter, die mit einem Schleier ihr Haupt bedecken, wenn sie in die
Kirche kommen zu ihrem Bräutigam! Die Heiligen haben abgenommen und wenige sind es, eine
kleine Schar, die gerecht sind! Ich aber rufe die Masse der Verdammten zur Buße! - Und der
Pfeiferhans stellte sich auf den Marktplatz von Niklashausen und rief: Kommt und hört, was die
Jungfrau dem Pfeiferhans verkündet hat! Es wird kommen eine Zeit, da werden die Armen
aufstehen und die Reichen mit Knüppeln erschlagen! Wie wilde Hunde wird der Pöbel der
Allerärmsten sich erheben und die Reichen und die Herrscher und die verhurten
Pfaffen an die Bäume hängen! Dann werden die Deutschen sich abwenden von der Kirche und die
Nonnen werden ihr Keuschheitsgelübde brechen und die Mönche werden ihr Gehorsamgelübde
brechen und Mönch und Nonne werden sich demonstrativ in aller Öffentlichkeit ehelich vereinigen
ohne den Segen eines Priesters! Das wird der Beginn der Kirche der Deutschen sein! Dann werden
die Kirchen gegeneinander streiten, die Kirche Deutschlands und die Kirche Roms, die Hure Ninive
und die Hure Babylon, und sie werden sich besaufen am Blut der Heiligen! Und Deutschland wird
eine Wüste, Europa wird eine Wüste! Dann werden sie eine neue Hure anbeten, die Hure der
Vernunft werden sie in der entweihten Kirche anbeten als Göttin der Vernunft! Und die Zeloten der
göttlichen Hure der Vernunft werden die Priester ermorden, und die Hure der Vernunft wird sich
besaufen am Blut der Heiligen! Dann wird sich der Antichrist erheben im Osten und im Westen in
doppelter Gestalt, die zwei Zeugen des Antichristen werden den neuen Gott verkünden, den Satan,
und sie werden das auserwählte Volk der armen Juden vernichten und werden die Menschheit an
den Abgrund der völligen Vernichtung führen! Dann wird aber Unsere Liebe Frau von Niklasberg
kommen und den Antichristen mit ihren bloßen Füßen zertreten, und den Zeugen des Antichristen
im Westen wird sie ermorden und den Zeugen des Antichristen im Osten wird sie ermorden! Dann
wird sich aber ein noch schrecklicheres Strafgericht erheben und der Antichrist naht in seiner letzten
Gestalt, da wird der Petrus des Ostens vom Antichristen ermordet, er wird ermordet, aber Unsere
Liebe Frau von Niklasberg wird ihn wieder auferwecken von den Toten und er wird die letzte Schar
der Heiligen und den gereinigten Rest in das tausendjährige Reich führen! Da wird dann Unsere
Liebe Frau von Niklasberg das Herz Deutschlands sein, das alle lieben wie eine Mutter und eine
Braut! Das zeigte mir die Madonna, sie trug ein langes blaues Kleid und einen langen schwarzen
Seidenrock bis zu den bloßen Füßen, ihr langes schwarzes Haar fiel ihr weit auf den Rücken, und an
dem Saum ihres Gewandes befanden sich goldene Granatäpfel und silberne Glöckchen, und wenn
die silbernen Glöckchen läuteten, da sich die Madonna bewegte, riefen sie wie Kirchenglocken zur
Buße auf und zur Wallfahrt in die Kapelle Unserer Lieben Frau von Niklasberg! So kommt zur
Mutter! Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe! Aber ich weiß, die Pfaffen taugen nichts, sie
können nicht einmal den Fürsten dieser Welt vom Heiligen Geist unterscheiden, lächelnde
Dummköpfe, Hansnarren des Evangeliums sind sie, sie predigen Wasser und saufen Wein, sie
lehren die Liebe Gottes und stoßen die Armen und Kleinen mit harten Herzen und eisernen Stirnen
zurück. Ich sage zum Pfaffen: Du bist mein Bruder! Und der Pfaffe sagt: Was will Er von mir, meint
Er, Wir verbrüdern uns mit einem Idioten? Ich sage euch, meine Brüder und meine geliebten
Schwestern, und euch, meine geliebten Kindern, sage ich als eure geistliche Mutter: Der Pfeiferhans
wird den Pfaffen ausgeliefert und wird als Ketzer hingerichtet werden! Also sprach der Pfeiferhans
und also geschah es. Denn der Bischof von Franken predigte in der Sankt-Kilian-Kirche von
Würzburg unter dem Geläut der berühmten Glocken und des neuen Zimbelspiels: Ihr verirrten
Schafe, hört die Stimme eures Hirten! Wir, der Bischof Franz-Josef von Franken, haben mit
Unserem Rat, dem Großinquisitor von Rom, die sogenannten Prophezeiungen des sogenannten
Pfeiferhans sorgfältig geprüft und befinden: Die Hetzreden dieses Ketzers stehen nicht in
Übereinstimmung mit der von Gott geoffenbarten katholischen Religion der alleinseligmachenden
Kirche von Rom! Um das Seelenheil unserer irrgeleiteten Schafe willen beschließen wir darum: Es
ist besser, dass ein Mensch stirbt, als dass das ganze Volk verdürbe! Darum ergeht heute der
Beschluß von Rom und Würzburg, den Pfeiferhans auf dem Scheiterhaufen dem Satan zu
übergeben! So predigte der Bischof und so sollte es geschehen. Der Pfeiferhans ward eingekerkert
und wartete im Kerker nur noch auf den Tag seines Todes. Seine treuen Jünger und Jüngerinnen
flehten viel zur himmlischen Mutter um die Rettung ihres Meisters. Da träumte der kleine
vierjährige Georg, der Sohn des armen Junkers Jörg, in der Nacht einen Traum: Er sah die goldene
Sonne am Himmel stehen, rund und vollkommen, und es gingen Strahlen von ihr zur Erde, und aus
der Sonne trat eine junge Frau. Sie trug ein langes weißes Seidengewand in feinen Falten, lang
hinunterfließend auf die bloßen Füße, um die Hüfte trug sie einen goldenen Gürtel. Ihr Haar war
schwarz und gelockt und fiel ihr auf die Schultern, im Haar aber steckte eine weiße Lilie. Sie lachte
fröhlich, ihr Angesicht glänzte vor Freude, sie öffnete den Mund mit schönen weißen Zähnen (der
kleine Georg verglich die Zähne mit frischgewaschenen Zwillingslämmern) und sang ein Liebeslied
für den Pfeiferhans. Dann sprach sie: Ich werde ihm bald die wahre Freiheit schenken! Diesen
Traum erzählte der kleine Georg seinem Vater, dem armen Junker Jörg, der rief den Jüngern und
Jüngerinnen des Pfeiferhans zu: Die Jungfrau hat gesprochen, wir werden den Pfeiferhans aus dem
Kerker der Kirche befreien! Sie nähten eine blutrote Fahne, rot wie die Liebe, und stickten einen
goldenen Morgenstern hinein, für Maria. Mit dieser Fahne Mariens zogen sie zum Kerker der
Kirche, den Propheten zu befreien! Aber sie wurden zurückgeschlagen. Der Pfeiferhans rief seinen
Brüdern und geliebten Schwestern aus dem Kerkerloch zu: Ich weiß, ich muß sterben im Feuer,
aber ich werde mein Leben der Jungfrau opfern, auf dass ihr Reich der Liebe anbricht! - Am letzten
Tag des Wonnemondes und Marienmonats Maien wurde der Pfeiferhans vor der Sankt-Kilian-
Kirche von Würzburg öffentlich hingerichtet. Er wurde an den Schandpfahl gebunden und der
Scheiterhaufen zu seinen Füßen ward entzündet. In den Flammen verbrennend sang er noch einmal,
nun in der letzten Stunde seines Lebens war er wieder der große Sänger und Musikus vor dem
Herrn, und er sang so schön, wie er noch nie gesungen hatte. Er, der kein Latein beherrschte,
geschweige denn Griechisch, er sang in den Flammen seinen Schwanengesang, eine sapphische
Ode an die Königin der schönen Liebe:

Diva, formosis vigilata flammis


Hinc et hinc circuì, cui luna suras
Osculo mulcet, famulusque sol ve-
Stigia lambit ;

Prosit hoc vati cecinisse, quod sis


Diva formosis vigilata flammis!…
………………………………
…………….

So starb der Pfeiferhans. Als er gestorben war, brach ein Gewitter aus und ein Sturzregen löschte
das Feuer des Scheiterhaufens. Die Gemeinde kniete nieder und betete das Ave.

SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Ein römischer Dichter sang auf dem Monte Virgine sein Lied: „Mit geblähten Segeln fuhr Attis über
das Meer! Nun berührte er Phrygiens Wälder mit begierigen Füßen und betrat das Reich der Großen
Göttin in den dunklen Wäldern, da schlug ihn der Wahnsinn! Es stach ihn der Wahn! Als
Schwärmer schnitt er sich das Mannesglied ab und warf das Mannesglied fort! Da besah er seinen
Körper, sah die Scham, die er verstümmelt hatte, die beschnittene Männlichkeit! Das Blut strömte
von seinem Körper auf den Boden des Waldes! Er war ein Weib geworden! Da griff er mit seinen
Händen das Tamburin der Großen Mutter Kybele und schlug auf das Tamburin mit wilden Händen
und mit weichlichen Fingern und hob die Stimme zu diesem wilden Gesang: Auf, Genossen, zum
Walde und zum Gebirge! Ihr meine heiligen Schwestern, schwärmt in trunkenen Schwärmen zum
Tempel der Großen Mutter Kybele! Folgt mir, ich bin der Hirte, ihr seid die Herde der Großen
Mutter Kybele! In die Fremde zogt ihr mit mir, ich horchtet auf meine Worte, treue Jüngerinnen
wart ihr, ihr ertruget das Wüten des Sturmes und der Wellen, alles Wüten der Elemente, und habt
eure Mannesglieder abgeschnitten von euren Körpern, heilige Schwestern, denn eure Liebe ward
euch zur wilden Feindschaft! Aber jetzt in der wilden Jagd seid heiter und fröhlich und feiert die
Große Göttin, die herrliche Herrin! Reißt euch aus der Faulheit und dem Müßiggang! Seid froh!
Folgt mir zum phrygischen heiligen Hain der Großen Göttin und zum Tempel, wo die Große Mutter
wohnt! Laßt die Cymbeln klingen und das Tamburin tönen, lasst die Doppelflöte blasen und das
Widderhorn! Bacchantinnen sollen sich winden wie Epheuranken im Tanz, im lüsternen Tanz, wo
sie schreien in wüsten Lüsten und blutigen Opferfeiern, wo sie tanzen in rasender Lust zu den
Opferfeiern der wilden Göttin Kybele! Dahin, dahin, Geliebte, wollen wir ziehn! Da hörten die
Jüngerinnen ihrer verstümmelten Meisterin Lied, da heulten sie wie Wölfe den Mond an, da
schlugen sie das Tamburin, da schlugen sie die Cymbeln, da stürzte der Chor der Entmannten zum
heiligen Berge Ida. Da wütete Attis, schnaubte wie ein brünstiger Stier, war aufgelöst in Wollust,
mit letztem Hauch des Herzens jagte Attis durch den heiligen Wald, wie die junge Stute, die flieht
den Zügel und den Zaum. Und der Meisterin folgten die Jüngerinnen, die weibischen Priester der
Großen Mutter. Zu Tode erschöpft standen sie nun vor dem Tempel der Großen Göttin, da
versanken sie nach langem Fasten in einen tiefen Schlaf. Schwer lag der Schlaf auf ihnen, Nacht
war vor ihrem Blick. Und im Schlaf schwieg für einen Augenblick der Wilden Wahnsinn! Aber als
der Sonnengott auferstand aus dem Schoß der Morgenröte, da verließ der mohnbekränzte
Schlummergott den weibischen Priester Attis. Attis war wie erlöst vom Wahnsinn. Da dachte er
daran, was er getan in der Ekstase des göttlichen Wahnsinns! Er sah jetzt klar, wie er seine
Manneskraft verloren und dass er jetzt in der Fremde war. Und er eilte mit brennendem Herzen zum
Meeresstrand. Dort blickte er auf das grenzenlose Meer und brach in heiße, salzige Tränen aus! Mit
Wehmut und Schmerzen beschwor er seine Heimat: O Vaterland, das mich zeugte, Muttererde, die
mich gebar! Dich verließ ich Unseliger, wie ein flüchtiger Sklave lief ich fort von der Heimat und
floh zu den dunklen Wäldern des Berges Ida, um hier den wilden Tieren nah zu sein, den Wölfen
und den Bären, und um in den Schlupflöchern gieriger Räuber zu hausen. Ah weh mir, meine
Heimat, wann werde ich dich wiedersehen? Mein Auge schmachtet nach deiner Schönheit, doch
war ich in der Zeit des Wahnsinns geblendet und verfinstert! Soll ich nun fern der Heimat in
dunklen Fichtenwäldern wohnen, hausen wie ein wildes Tier, wie ein brünstiger Hirsch? Soll ich die
Heimat nicht mehr sehen, den Freund nicht mehr sehen, die liebende Großmutter nicht mehr sehen?
Soll ich fern sein vom Markt und dem geistreichen Spiel? Ah weh! Ah weh! Ich bin nur noch
Jammer, mein Herz ist zerrissen! Ich war ein Knabe, ich war ein Jüngling, ich war ein Jünger, jetzt
bin ich ein Entmannter, ein Weib! Ich stand in der Blüte meiner Kraft, das Horn meiner
Manneskraft war hoch erhoben! Jetzt bin ich ein Verschnittener, ein unmütterliches Weib! In meiner
Jugend blühten die Blüten, die Schwelle meiner Kammer glühte, wenn ich mit dem ersten
Sonnenstrahl aus dem Bette sprang! Nun soll ich Priesterin der Großen Mutter Kybele sein,
verschnittener Priester der Großen Göttin sein? Ich soll wohnen auf dem heiligen Berge in den
Nebelwolken des Gipfels, wo der brünstige Hirsch durch die Wälder schmachtet, wo der Wolf durch
die Wälder streift? Soll ich in dunklen Fichtenwäldern sterben? Ah weh, wie schmerzt mein
Wahnsinn! Wie peinigt mich die Buße! Eben hatte Attis so gejammert, da hörte sein Ohr eine neue
Botschaft: Die Große Mutter Kybele erschien in ihrem Wagen, den zwei Löwen zogen! Sie spannte
die Löwen aus dem Gespann und sprach zu den Löwen: Auf, ihr wilden Raubtiere! Hetzt mir den
Attis in neuen Wahnsinn, dass er durchbohrt vom Pfahl des Wahnsinn wieder in die dunklen Wälder
flieht, er, der meiner Allmacht entfliehen wollte! Löwen, peitscht euch selbst mit euren Schwänzen,
brüllt wie Donnerbrüllen! Laßt die goldene Mähne flattern! Donnernd sprach es die Große Göttin
Kybele, spannte die Löwen aus dem Gespann mit eigener Hand. Die Löwen peitschten sich mit den
eigenen Schwänzen und brüllten wie Donnerbrüllen und jagten durch die Gebüsche dem Attis nach!
Da trafen die Löwen Attis, er saß jammernd am Meeresstrand und flehte die Große Mutter um
Gnade an: Große Göttin Kybele, Große Göttin Kybele, verschone mich! Verschone mich, gewaltige
Herrscherin, furchteinflößende Göttin, ehrfurchtgebietende Göttin, ich will für immer deine
unterwürfigste Sklavin sein! Da verschonte die Göttin ihre entmannte Priesterin. O Große Mutter, o
Große Göttin, o Herrin Kybele, verschone mich! Anderen sende den finsteren Wahnsinn! Aber mich
bewahre vor der Raserei des Wahnsinns!“ So sang der Dichter. Aber am Fuß des Monte Virgine
lebte in einer Einsiedlerhütte der Eremit Cygnus. Eines Tages bestieg er den Berg und sah oben auf
dem Gipfel eine wunderschöne junge Dame. Sie trug ein langes seidenweißes Kleid, weißer als der
Schnee. Ihre kastanienbraunen Haare waren bedeckt von einem weißen Schleier. Ihr Antlitz war
oval und überaus lieblich und süß. Ihre Lippen waren süß und rosig und schimmerten, wenn sie
lächelte und wenn sie sprach mit einer leise flüsternden Stimme. Über ihrem Busen wölbten sich
Rosen. Über der rechten Brust wölbte sich die weiße Rose der kindlichen Freude, über ihrer linken
Brust wölbte sich die goldene Rose der himmlischen Schönheit. Und im Tal ihrer Brüste, in dem
Bett zwischen ihrem Busen wölbte sich die rote Rose der schmerzreichen Liebe. Da sprach die
weiße Dame zu Cygnus: „Ich bin die Mutter. Ich bin die wahre Mutter. Ich bin zwar die Königin des
Himmels, aber vor allem bin ich deine Mutter. Ich bin eure Mutter aus der unerschöpflichen
Barmherzigkeit Gottes. Ich bin die Mutter Gottes und die Mutter aller Menschenkinder! Du sollst
mir hier auf dem Berg der Großen Mutter einen Tempel bauen, damit alle Menschen hier die wahre
Mutter verehren können und meine Gnaden empfangen. Hier will ich meine Kinder trösten.“ Dann
verschwand die Dame wieder. Cygnus begann nun, ihr einen Tempel auf dem Monte Virgine zu
bauen. Als der Tempel fertiggestellt war, lebte er dort selbst als Prediger und Priester. Viele
Menschen suchten seine Weisheit. Einmal kam ein Jüngling zu ihm und sagte: Ich liebe auch Maria
und verehre sie gern in ihrer Kirche, aber mein Herz will sie immer Göttin nennen. Da sprach der
Priester: Maria lächelt, wenn du sie Göttin nennst. Ich will dir aber sagen, inwiefern Maria keine
Göttin ist und inwiefern Maria eine Göttin ist. Eine Göttin muß ja eine Gottheit sein, also
ungeschaffen, ewig, das absolut Höchste und allumfassend Vollkommene. Das ist aber nur Eine
Gottheit. Diese ist der schöpferische Urgrund, die gezeugte Weisheit und das Feuer der Liebe.
Maria aber ist vom Geist geschaffen als ein vollkommenes Geschöpf, um Mutter der göttlichen
Weisheit zu werden. Insofern ist sie keine anfanglose Göttin, sondern ein Geschöpf, aber das
vollkommenste aller Geschöpfe, das Meisterwerk des göttlichen Geistes. Aber nun will ich dir
sagen, inwiefern Maria eine Göttin genannt werden kann. In dreierlei Hinsicht kann Maria eine
Göttin genannt werden. Zum ersten kann sie von den Dichtern Göttin genannt werden, denn Dichter
müssen nicht der reinen theologischen Lehre folgen, sondern dürfen dem Überschwang ihres
Gefühls folgen. Wenn der Liebesdichter schon sein Liebchen eine Göttin nennt, um wie viel mehr
ist die makellose Jungfrau die Göttin des Liebesdichters! Zum zweiten ist Maria die Königin der
Engel, sie ist also die Königin der ganzen Engelshierarchie in ihren neun Chören. Die obersten drei
Chöre heißen die Cherubim, die Seraphim und die Throne. Maria ist die Königin der Cherubim, die
Königin der Seraphim und die Königin der Throne. Die Cherubim sind die Engel der Weisheit, die
Seraphim sind die Engel der Liebe, aber die Throne sind der Gottheit so nah und so ähnlich, dass
Dionysios vom Areopag sie Götter nennt. Wenn die Throne also in der orthodox-katholischen
Wahrheit Götter heißen, Maria aber Königin der Throne ist, so ist sie folglich Königin der Götter.
Was muß man aber von einer Königin der Götter anderes sagen, als dass sie den Namen einer Über-
Göttin verdient? Zum dritten ist Maria Göttin als Menschengöttin. Die Weisheit der Kirche lehrt
nämlich, dass Gott Mensch wurde, um Menschen zu Gott zu machen. Die Mystiker sagen, die durch
die Menschwerdung Gottes zu Gott gewordenen Menschen werden Götter und Göttinnen im
Himmel sein. So wie Christus der Gottmensch ist, so werden die durch seine Gnade vergöttlichten
Menschen Menschengötter und Menschengöttinnen sein. Maria aber ist schon auferstanden von den
Toten und schon vollendet in der Gottheit. Sie ist aus Gnade des Gottmenschen zur Menschengöttin
geworden, zur Menschengöttin in Gott. Sie ist das sichere Zeichen unserer Hoffnung, dass wir wie
die Menschengöttin Maria auch am Jüngsten Tag zu Menschengöttern und Menschengöttinnen
werden durch die Gnade des Gottmenschen Jesus Christus. Also, Maria ist die Liebes- und
Schönheitsgöttin der Poeten, sie ist die Übergöttin als Königin der göttlichen Throne und sie ist die
Menschengöttin aus Gnade des Gottmenschen. Wenn du sie in diesem Sinne Göttin nennst, so bist
du noch in der Wahrheit. - Eines Tages erschien am Himmel ein Zeichen, in leuchtenden Strahlen
standen die Buchstaben MM am Himmel. Zu gleicher Zeit prägten sich in die Handinnenflächen
des Predigers Cygnus in blutigen Wunden die Buchstaben MM, ein M in der linken Hand, ein M in
der rechten Hand. Und als das Volk fragte, was das zu bedeuten habe, sagte Cygnus. Maria ist MM,
sie ist die wahre Magna Mater, sie ist die Mutter Maria, sie ist das Mütterchen Muttergottes. Sie ist
die Mama. Sie ist die Matrone Maria, sie ist die Messiana Maria. Seid also ohne Angst, liebe
Kinderlein, die Mama liebt euch! - Eines Tages kam ein junger Mann zu Cygnus und sagte: Ich will
ehelos leben für das Himmelreich. Wie aber kann ich ein fröhliches Zölibat leben? Da sagte
Cygnus: Wenn du nur ehelos lebst für das Himmelreich, so lebst du im Verzicht, wenn du aber
jungfräulich lebst für das Himmelreich, so lebst du in der Fülle, nämlich in der mystischen Gottes-
Ehe als Braut Christi. Dazu verhilft dir aber die Jungfrau Maria, als die wahre Freundin, als die
schöne Geliebte, als die mystische Verlobte und als die ewige Frau. Lebst du im Zölibat als ein
heiliger Josef in der Marien-Ehe, so wirst du bald zur Gnade der Gottes-Ehe gelangen. Du darfst
aber Maria nicht als die Ewige Frau so verehren, dass du die sterblichen Frauen zugleich verachtest.
Achte die Frauen, denn Maria war eine Frau. Achte jede Frau um der Himmelskönigin willen. Achte
die geistige Würde der Frau, den Genius der Frau. Schau in den Frauen deine Schwestern. Dann
wird die Königin der Frauen Wohlgefallen an dir finden. - Eines Tages kam ein junger Mann zu
Cygnus und sagte: Ich hörte von einem Weisen aus dem Orient den Spruch: Frauen sind
Göttlichkeit! Ach, ich möchte so oft ausrufen: Frauen sind Göttlichkeit! Ich möchte meinen
Rosenkranz nehmen und auf allen hundertfünfzig Perlen beten: Frauen sind Göttlichkeit! Da
lächelte Cygnus und sagte: Frauen sind Geschöpfe, aber sie sind Ebenbilder Gottes. Das Herz der
Frau ist ähnlich dem göttlichen Herzen. Darum bete: Frauen sind Abglanz der Göttlichkeit, nimm
deinen Rosenkranz, setze dich vor ein Bild Unserer Lieben Frau und bete auf allen Perlen: Frauen
sind Abglanz der Göttlichkeit! Dann schau, was Unsere Liebe Frau dir sagen wird. - Eines Tages
kam ein Dichter, der ein Mönch werden wollte und sich in neuen Litaneien versuchte. Und er sang
auf dem Monte Virgine der Magna Mater Maria folgende Litanei: Aschera, huldige du der Jungfrau
Maria! Astarte, huldige du der Jungfrau Maria! Anath, huldige du der Jungfrau Maria! Nanäa,
huldige du der Jungfrau Maria! Atargatis, huldige du der Jungfrau Maria! Isis, huldige du der
Jungfrau Maria! Nephtys, huldige du der Jungfrau Maria! Hathor, huldige du der Jungfrau Maria!
Sekmeth, huldige du der Jungfrau Maria! Aphrodite, huldige du der Jungfrau Maria! Artemis,
huldige du der Jungfrau Maria! Athene, huldige du der Jungfrau Maria! Allath, huldige du der
Jungfrau Maria! All-Uzza, huldige du der Jungfrau Maria! Manath, huldige du der Jungfrau Maria!
Kali, huldige du der Jungfrau Maria! Parvati, huldige du der Jungfrau Maria! Lakschmi, huldige du
der Jungfrau Maria! Shakti, huldige du der Jungfrau Maria! Guan Yin, huldige du der Jungfrau
Maria! Ma-Ku, huldige du der Jungfrau Maria! Weiße Tara, huldige du der Jungfrau Maria! Grüne
Tara, huldige du der Jungfrau Maria! Freyja, huldige du der Jungfrau Maria! Frigga, huldige du der
Jungfrau Maria! Iduna, huldige du der Jungfrau Maria! Ostera, huldige du der Jungfrau Maria!
Brigid, huldige du der Jungfrau Maria! Pachamama, huldige du der Jungfrau Maria! Tonanzin,
huldige du der Jungfrau Maria! Alle Göttinnen, huldigt Maria, der Göttin der Göttinnen! - Aber
Cygnus lächelte und sagte: Du bist kein Mönch, so betet man nicht in der Kirche, bleibe du ein Poet
und diene als Poet Maria, deiner Muse!

SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Ostern 1980 sah der Jüngling Juri in seinem Zimmer ein merkwürdiges Licht, das immer
leuchtender wurde. In dem Lichtglanz erschien ein himmlischer Jüngling von apollinischer
Schönheit. Sein Körper war ebenmäßig gestaltet und goldene Locken fielen über seine blendend
weiße Stirn über seinen mandelförmigen grünen Augen, seine Lippen waren rosig und lächelten
weise. Er schwebte über dem Boden und trug einen antiken Umhang und hatte an den Schultern
zwei weiße Flügel. Juri wusste nicht, ob es der Gott Apoll war, der Gott der Schönheit, oder der
geflügelte Hermes, der Götterbote, oder ob es gar der Erste aller Götter, der göttliche Eros war. Im
Sommer 1981 erschien der himmlische Jüngling wieder dem jungen Juri, und diesmal nannte der
himmlische Jüngling seinen Namen: Raphael ist mein Name, das heißt: Der Herr ist mein Arzt,
Jahwe-Rapha! Ich bin der Erzengel, der der Ordnung der Schutzengel in der himmlischen
Engelshierarchie vorsteht. Zum dritten Mal erschien der himmlische Jüngling dem jungen Juri am
fünften Mai 1989 und gebot ihm, mit einem Wagen eine Fahrt zu den Pyrenäen zu unternehmen.
Raphael sagte noch: Wir kommen aus der Richtung der Sonne. Nie war ich dir so nahe, wie jetzt!
Da schaute Juri zur Sonne und sah wie eine silbrige Wolke eine Erscheinung, die näher kam und zu
ihm schwebte in der Form eines Diskus. Während Juri das Unbekannte Flug-Objekt betrachtete,
hörte er wieder die Stimme Raphaels, des himmlischer Jünglings: Es ist nicht das erste Mal, dass
ein Unbekanntes Flug-Objekt den Erdenmenschen begegnet. Es steht geschrieben im Wort Gottes:
Der Herr sprach zu den Menschen aus der Wolke. Schon immer sprechen die Himmlischen aus den
Weltraumwagen und Sternenschiffen zu den terrestrischen Sterblingen. Wir kommen aus den
zahllosen Lichtwohnungen des Vaters im Himmel, des Paters im Uranos! Unsere Welten gehören
zur Gemeinschaft der Universalen Liebe. Das ist der kosmische Orden der Sternenbewohner. In der
Ordensgemeinschaft der Universalem Liebe herrscht Friede und Eintracht und universelle
Harmonie und ein hoher Grad an Erkenntnis in das göttliche Urgeheimnis, wie sie euch nicht
gegeben ist. Seit jeher kommen wir Himmlischen aus dem Weltraum auf unsern kreisenden Rädern
aus blitzendem Feuer, um euch Hilfe zu bringen und Rettung zu verkünden. Wir grüßen dich im
Namen des Vaters Unser. Wir werden uns im Himmel wiedersehen, aber da wirst du nicht mehr
allein sein. Heil dir! Daraufhin verschwand das UFO des Engels. Nun sah Juri die Engel nicht mehr
in ihrer himmlischen Lichtgestalt, sondern sie erschienen ihm in kosmischer Form als Geistwesen
auf der Straße oder als gewöhnliche Menschen im Alltagstreiben des Marktes. Einmal stieg Juri aus
der Eisenbahn, da sah er am Bahnhof neben sich zwei Engel gehen. Die beiden Engel hielten Eimer
aus Kristall in den Händen, in denen war ihre himmlische Intelligenz. Wenn sie mit einander
kommunizierten, schütteten sie die englische Intelligenz aus dem eigenen Lichteimer in den
Lichteimer des andern. Wenn Juri mit dem Omnibus fuhr, so sah er den ganzen Weg über sich
begleitet von himmlischen Engeln, so dass er oft meinte, er reise durch das Paradies. Die Engel
glichen oft den Paradiesjungfrauen, wie der Prophet Mohammed sie geschaut hatte. Am fünfzehnten
August des Jahres 1989 sah Juri im Lande Franken in einer alten Ritterburg das junge Mädchen
Marion. Er sah sie in ihrem goldenen Kleid und meinte, er sähe die Jungfrau vom Stern der
Phantasie. Sie schien ihm eine außerirdische Göttin! Er fiel vor ihr nieder aufs Knie und bat sie um
ihren Segen. Sie legte ihre Hände auf sein Haupt und segnete ihn. Im gleichen Augenblick aber
hatte auch sie eine himmlische Vision und sprach: Ich muß nun eilig fort, denn ich muß die Vision
vom Paradiese malen! Juri aber dichtete eine Hymne an seine Göttin der Phantasie, wie ein
himmlischer Genius sie ihm diktierte:

MEINEGÖTTIN

Welcher Unsterblichen
Soll der höchste Preis sein?
Mit niemand streit ich,
Aber ich geb ihn
Der ewig beweglichen,
Immer neuen,
Seltsamsten Tochter Jovis,
Seinem Schoßkinde,
Der Phantasie.

Denn ihr hat er


Alle Launen,
Die er sonst nur allein
Sich vorbehält,
Zugestanden
Und hat seine Freude
An der Törin.

Sie mag rosenbekränzt


Mit dem Lilienstengel
Blumentäler betreten,
Sommervögeln gebieten
Und leichtnährenden Tau
Mit Bienenlippen
Von Blüten saugen;

Oder sie mag


Mit fliegendem Haar
Und düsterm Blicke
Im Winde sausen
Um Felsenwände,
Und tausendfarbig,
Wie Morgen und Abend,
Immer wechselnd
Wie Mondesblicke,
Den Sterblichen scheinen.

Laßt uns alle


Den Vater preisen!
Den alten, hohen,
Der solch eine schöne,
Unverwelkliche Gattin
Dem sterblichen Menschen
Gesellen mögen!

Denn uns allein


Hat er sie verbunden
Mit Himmelsband
Und ihr geboten,
In Freud und Elend
Als treue Gattin
Nicht zu entweichen.

Alle die andern


Armen Geschlechter
Der kinderreichen,
Lebendigen Erde
Wandeln und weiden
In dunkelm Genuß
Und trüben Schmerzen
Des augenblicklichen
Beschränkten Lebens,
Gebeugt vom Joche
Der Notdurft.

Uns aber hat er


Seine gewandteste,
Verzärtelte Tochter,
Freut euch! gegönnt.
Begegnet ihr lieblich,
Wie einer Geliebten!
Laßt ihr die Würde
Der Frauen im Haus!

Oft erzählte Juri seinen Freunden Markus und Markus von seinen Visionen. Sie waren pietistische
Physiker und hielten seine Offenbarungen von den UFOS für unglaubwürdig. Markus der Erste war
beleibt wie Martin Luther, Markus der Zweite war schlank wie Phillip Melanchthon. Aber eines
Tages saßen Juri und Markus Luther und Markus Melanchthon in Juris Wohnung zusammen und
tranken Rotwein der Sorte Sankt Petrus, da erschienen in der Wohnung Juris die Engel. Raphael
hatte sie gesandt. Die Engel hießen Firkon, Orthon, Kalna und Ilmuth. Firkon hatte das Angesicht
eines Menschen, Orthon das Haupt eines Stieres, Kalna das Haupt eines Löwen und Ilmuth das
Haupt eines Adlers. Sie thronten auf kreisenden Rädern aus Türkis, von denen der Glanz von
Blitzen ausging. Als sie erschienen, donnerte es am Himmel. Da griff der Geist Juri und Markus den
Ersten und Markus den Zweiten bei den Haaren und entrückte sie in einem Sternenschiff auf den
Morgenstern, den Planeten Venus. Dies ist die Sphäre der Liebenden im Paradies. Da sahen sie eine
Frau, die Juri die Allmutter nannte, Markus der Erste nannte sie die Schöne Frau und Markus der
Zweite nannte sie die Leibliche Mutter Jesu. Die Frau trug ein Kleid aus sanftem himmelblauem
Linnen. Ihr Haar war kastanienbraun und schulterlang, leicht gelockt. Sie schien etwa siebzehn
Jahre jung zu sein. Ihre großen Augen schimmerten wie Vollmonde und schaute voll mütterlicher
Güte und fraulicher Liebe, sie schimmerten entzückend von Liebreiz. Ihr ganzes Wesen war von
solcher Feinheit und Anmut und gleichzeitig von solcher himmlischer Erhabenheit, dass die drei
jungen Männer die Gnade Gottes priesen, die diese Frau so begnadet hatte. Sie bewegte sich sehr
schön und würdevoll, anmutig und liebreizend bewegte sie sich auf die drei Christen zu und begann
zu sprechen: Meine lieben Söhne in Christus! Herzlich willkommen zu dieser Begegnung im
Himmel, die ich schon lange ersehnt habe. Du, Juri, weißt, dass ich dich liebe mit brennender und
ganz besonderer Liebe! Du, Markus Luther, sollst mich in deiner Frau Schoschanna im Gleichnis
erkennen, denn jede Christin und Braut Christi ist eine kleine Madonna auf Erden. Und du, mein
lieber Sohn Markus, mein Markus Melanchthon, du hast mich im Dresden im Bild der Sixtinischen
Madonna angeschaut und hast gesagt: Man könnte sich in Sie verlieben! Ja, verliebe dich doch in
mich, ich will dich noch näher zu deinem und meinem Herrn Jesus bringen! So sprach die Frau aus
dem All mit einer Stimme, die wie die Sphärenmusik klang. Der griechische Philosoph Pythagoras
sprach von der Sphärenmusik und hatte auch einmal einen Ton gehört, und der heilige Franziskus
hatte einen Ton der Musik des Himmels gehört und hatte gesagt: Der Ton ist so schön, man möchte
gleich sterben, um diese Musik für immer zu hören. Und so war die Stimme der Frau aus dem All,
als sie zu den drei Freunden sprach. Dann sprach sie: Ihr könnt mit dem Sternenschiff die Sphären
der sieben Planeten durchreisen, den Mond, den Mars, den Merkur, den Jupiter, die Venus, den
Saturn, die Sonne, den Fixsternhimmel, bis ihr in das Empyreum fahrt. Dort werdet ihr die
englischen Chöre hören, die Schutzengel, die Erzengel, die Fürstentümer, die Mächte, die
Gewalten, die Herrschaften, die Cherubim die Seraphim, die Throne, die Dionysios vom Areopag
auch Götter nannte, und dann werdet ihr schauen die Domina Angelorum, die Königin der Engel.
Eure heutige Mission, da die kreisenden Räder euch im Sternenschiff zum Venusplaneten der Liebe
gebracht haben, hat eine Aufgabe für die Welt, das Reich Christi vorzubereiten. Schaut das
Fürstentum auf dem Morgenstern, die marmorne Stadt. Schaut dort die Statue der Königin der
Schönen Liebe. Schaut dort den Tempel der Ewigen Liebe. Schaut die goldenen Paläste der
himmlischen Fürsten und seid selig, denn ihr wandelt auf goldenen Straßen! Hier erwartet euch
Rahab, denn ihr himmlischer Thron ist in der Venussphäre des Paradieses. Ich will euch nun eine
Botschaft überbringen. Wenn ein Planet im Universum in Gefahr ist, so leidet die ganze
Ordensgemeinschaft der Universalen Liebe. Alle Söhne der Universalen Liebe auf ihren astralen
Thronen ringen um das Heil des Erdenplaneten. Satan will den Erdenplaneten vernichten und die
Menschheit in einem Dritten Weltkrieg als einem Atomkrieg auslöschen. Aber ich, die Königin der
Engel, und alle meine Engel in der Ordensgemeinschaft der Universalen Liebe kämpfen für den
Weltfrieden und die Bewahrung der Schöpfung. Aber euch habe ich auserwählt, der Menschheit zu
sagen, dass sie zu Gott in Christus umkehren soll und beten soll für den Frieden. Nur das Gebet
wird euch retten. Macht Frieden mit Gott, Frieden mit euren Nächsten, Frieden mit allen Menschen.
Empfangt die Liebe Gottes im Gebet und im heiligen Abendmahl und tragt die Liebe Gottes in die
Welt. Heiligt die Familie! Lehrt eure Kinder durch euer Vorbild, lehrt eure Kinder das Gebet. Ein
neues Zeitalter soll kommen, das Zeitalter des Friedens. Der Satan will den Dritten Weltkrieg, aber
Christus und Seine heilige Mutter wollen ein Reich des Friedens auf Erden. Es sei euch aber gesagt,
mein Mutterherz wird siegen und es wird das Friedensreich des Messias kommen. Das
tausendjährige Reich des Messias, das Johannes der Seher vorausgesagt hat, ist nahe! Wie mein
Lieblingssohn Johannes Paul der Große sagt: Nie wieder Krieg! Die jahrtausendalte
Menschheitsgeschichte von so viel Blut und Zerstörung soll beendet werden und der Friede Christi,
der höher ist als alle Vernunft, soll die Herzen und Sinne der Menschen beherrschen. Alle Menschen
guten Willens sollen voll Sehnsucht und Hoffnung die Augen zum Himmel erheben. Alle Christen
sollen der Heiligung nachjagen. Ich will euch zu Aposteln der Endzeit erziehen! Der Prophet Joel
hat schon vorausgesagt das neue Pfingsten der Liebe, wenn der Heilige Geist auf Knechte und
Mägde sich ergießt. Dann sollen Zeichen an Sonne und Mond geschehen und Zeichen von Blut und
Dampf. Seht ihr nicht, dass diese Zeichen gekommen sind? Als ich 1917 in Fatima in Portugal
erschien, sahen hunderttausend Menschen, Gläubige und Ungläubige, die Sonne am Himmel
tanzen! Überall auf der Welt weinen die Statuen der Mutter Jesu blutige Tränen, denn die Mutter
Jesu weint über den großen Abfall der Menschheit von Gott! Das sind die Zeichen, die Joel
verheißen hat. Überall, wo ich erscheine, ist meine Botschaft dieselbe: Tut Buße! Kehrt um zu Gott
und betet, betet, betet! Habt keine Angst in dieser apokalyptischen Endzeit, denn die
Apokalyptischen Frau, die der Seher Johannes gesehen hat, wird den scharlachroten Drachen
gemeinsam mit dem Erzengel Michael besiegen, und wenn die Apokalyptische Frau triumphiert,
dann kommt das tausendjährige Friedensreich des Messias! Danach kommt Christus zum Gericht
mit dem himmlischen Jerusalem, das sich wie eine Braut vom Himmel herabsenkt! Habt keine
Angst, fürchtet euch nicht! Wo die Mutter Jesu ist, da ist Jesus, und wo Jesus ist, da ist die Mutter
Jesu, und wo Jesus und die Mutter Jesu sind, da hat der Statan keine Macht mehr! Ich habe in
Fatima vorausgesagt die antichristlichen Triumphe der zwei Weltkriege, aber ich habe auch gesagt,
dass am Ende mein makelloses Mutterherz triumphieren wird! Ja, wenn mein Herz triumphieren
wird, das Herz der Begnadeten, das Herz der Mutter Jesu, dann kommt Christus in Herrlichkeit! So
erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung ist nahe! Adieu, meine geliebten Söhne! Friede sei mit
euch! Nun bestiegen die drei Brüder in Christus wieder das Sternenschiff und wurden von Raphael
wieder zur Erde gefahren. Bei dieser Gelegenheit sprach Raphael viel von der kommenden
Entrückung und dass sie alle in Christus bleiben sollten, dann werden sie entrückt werden in der
kommenden Entrückung. Dabei werden sie mit den Sternenschiffen abgeholt werden von den
Engeln und von der Erde zum König des Universums getragen. Raphael sprach viel vom Kosmos
und nannte Christus den kosmischen Christus und pries das heilige Herz Jesu als das Zentrum des
Kosmos, nämlich die Zentralsonne oder das Feuer der Liebe des göttlichen Herzens. Das ist es, was
die Welt im Innersten zusammenhält. Dann sprach Raphael auch über die Frau der Offenbarung:
Die erste Frau ist Eva, aber sie sprach ihr Nein zu Gottes Wort, als sie auf die Schlange hörte und so
die Sünde und den Tod in die Welt brachte. Maria aber ist die Neue Eva, die Ja zu Gottes Wort
sagte: Mir geschehe nach deinem Wort! Und so empfing sie den Heiland und brachte das Heil und
das ewige Leben in die Welt. Ihr sollt aber wissen, dass, so wie Maria dem ersten Kommen Jesu in
Niedrigkeit voranging, so geht Maria als die Apokalyptische Frau der Offenbarung dem zweiten
Kommen Jesu in Herrlichkeit ebenfalls voran. Und so verkündet der ganze Himmel mit allen
himmlischen Heeresscharen das Reich Mariens in der apokalyptischen Endzeit, denn das Reich
Mariens geht dem Friedensreich des Messias voraus. In dem Reich Mariens erscheint die
Apokalyptische Frau im Kleid der Sonne, den Mond unter den Füßen, einen Kranz von zwölf
Sternen auf dem Haupt. Gegen sie streitet der Satan, aber Gott und der Erzengel Michael und die
Erde helfen der Apokalyptischen Frau. Dann wendet sich der Satan gegen die Kinder der Frau, das
sind die Apostel der letzten Zeiten. Aber die Apostel der Frau werden siegen durch ihr Zeugnis und
durch die Macht des Blutes des Lammes. Am Ende der Zeiten aber wird das Lamm die Hochzeit
feiern mit der Frau des Lammes, das ist die himmlische Jerusalem, das ist die Frau der
Offenbarung, der Inbegriff des auserwählten Gottesvolkes, das Sinnbild der Gemeinde der Erlösten!
Darum vertraut euch der Frau der Offenbarung an, sie wird euch zu ihrem Sohne und zum Sieg
führen! Als Raphael dies gesprochen hatte, sprach Juri: Ich hörte die Propheten von dem Zorn des
Lammes sprechen und dem großen Strafgericht Gottes, das dem tausendjährigen Friedensreich
vorangeht! Ist das Unheil nicht mehr abzuwenden? Wird ein Drittel der Menschheit im Dritten
Weltkrieg vernichtet? Ist der Atomare Weltkrieg noch abzuwenden? Oder kommt ein
apokalyptisches Feuer vom Himmel, indem ein Komet die Erde in Flammen setzt? Da seufzte der
Engel Orthon und sprach: Die leibliche Mutter Jesu vereinigt ihre Gebete mit dem Herrn Jesus, um
das Unheil abzuwenden. Alle erlösten Seelen und glückseligen Geister des Himmels mit den
himmlischen Heerscharen der Engel beten zu Gott dem Allmächtigen, die Menschheit zu
verschonen! Vertraut nur auf die Weisungen der leiblichen Mutter Jesu. Sie ist nach Jesus, der selbst
die göttliche Weisheit ist, das weiseste Wesen im Himmelreich. Ihre Weisheit ist so unermesslich,
dass ihr sie nie zuende erforschen könnt. Jesus, die Ewige Weisheit, hat die leibliche Mutter Jesu
aus reiner Gnade mit solch einem Übermaß an Weisheit ausgestattet, dass ihr es nie genug
betrachten könnt, denn wie es in der Heiligen Schrift heißt: Sie ist eingeweiht in die Pläne Gottes!
Darum hört auf ihre prophetischen Mahnungen und kehrt täglich um zu Gott dem Herrn und dem
Heiland Jesus Christus und betet, betet, betet und versöhnt euch! Empfangt die Liebe Gottes und
tragt die Liebe Gottes als Zeugen der Liebe Gottes in die Welt! Nehmt euer Kreuz auf euch täglich
und werdet Christus ähnlich! Dazu will euch helfen die Mutter Christi, die wir alle im Himmel, alle
Seligen und Engel, verehren als Unsere Große Schwester in Christus, als die Mutter des
menschgewordenen Gottes und die Mutter aller Christgläubigen! Wir Engel verehren sie besonders
als die Königin des Universums, denn Marias Liebe zu Gott und den Menschen ist so groß wie das
Universum, aber Marias Schmerz über die Sünden der Menschen ist auch so groß wie das
Universum! Nun erhob Raphael wieder das Wort: Gott hat die Jungfrau Maria oft zur Erde
geschickt, um die Menschen zu Buße und Gebet aufzurufen, dabei hat der Herr oft Zeichen und
Wunder gewirkt, oftmals ließ der Herr die Sonne am Himmel tanzen. Vor allem ruft die Mutter Jesu
die Menschheit zum Frieden auf: Zum Frieden mit Gott, zum Frieden mit sich selbst, zum Frieden
mit den Nächsten, zum Frieden mit der ganzen Schöpfung! Glaubt ihrer Weisheit: Der Friede wird
zu herrschen beginne, wenn das Gebet herrscht auf Erden! Darum betet, betet, betet! Der Satan will
den Dritten Weltkrieg, er will den Planeten Erde vernichten! Ihr werdet gemeinsam mit der
Apokalyptischen Frau den Satan besiegen, wenn euer Leben vollständig zum Gebet wird! Gebt
euch Gott ganz hin! Dann sprach der Engel Kalna: Wenn wir kommen, euch zu entrücken in den
Sternenschiffen, werdet ihr entmaterialisiert und einen Lichtkörper bekommen. Ihr werdet gen
Himmel fahren auf den Sternenschiffen, wie einst Elias auf dem feurigen Wagen gen Himmel
entrückt ward! Und Elias hatte doch auch geklagt: Herr, ich bin allein übrig von den Propheten
Gottes! So verzage nicht, kleine Herde, denn groß ist Gott und nichts ist unmöglich dem
Allmächtigen! Erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung ist nahe! Mit diesen Worten verließen die
Engel im Sternenschiff wieder den Jüngling Juri und Markus den Ersten und Markus den Zweiten.
Markus der Erste trat zu seiner Frau Schoschanna und ihren Töchtern Baschemath und Tafath. Die
Töchter riefen: Vater, Vater, wir haben die himmlische Prinzessin gesehen! Sie trug ein rosafarbenes
Seidenkleid und einen himmelblauen Umhang und auf dem goldenen Haar ein Diadem von Sternen
und von ihren Händen flossen Sonnenstrahlen aus. Wir haben die Himmelsprinzessin gesehen, die
Himmelsprinzeß Marie! Da lächelte der Vater und nahm seine beiden Töchter auf den Schoß und
liebkoste sie, und seine schöne Frau Schoschanna neigte sich zu ihrem Gemahl und küsste ihn auf
den Mund. Markus der Zweite aber trat zu seiner Gemahlin Katharina, die in der einen Hand die
Heilige Schrift hielt, und auf dem anderen Arm ihren kleinen Sohn Michael hielt, der schaute voll
Weisheit aus seinen himmelgeborenen Augen. Und Markus legte seinem Sohn Michael die Hände
auf und segnete ihn. Juri hatte am Feiertage Corpus Christi Marion noch einmal gesehen, aber da
hatte sie ihn für immer verlassen. Er stürzte in eine dunkle Nacht der Seele, bis ihm am zehnten
Oktober 1994 wieder Raphael auf dem Sternenschiff begegnete und ihn einlud in das Sternenschiff
und mit ihm fuhr durch den Kosmos zum Sternbild Deneb im Schwan. Es war ein wunderschöner
Stern und es war dort eine schöne Feier. Dort waren alle Seligen in dichtem Gedränge, alle fröhlich
wie die kleinen Kinder, alle klatschten in die Hände wie die Bäume im Maien und sangen Halleluja
zu den goldenen Leiern Apollos und der tiefgeschoßten Musen. Dort war auch die wunderbare Frau
aus dem All. Sie lächelte, alles, was Juri sah, war ihr Lächeln, ihr zufriedenes Lächeln, ihr
entzückend-liebreizendes Lächeln. Neben ihr stand Jesus. Er trug ein langes weißes Lichtgewand.
Seine langen Haare waren dunkelblond und sein dichter Bart auch. Von seinem Herzen strömten
Licht- und Feuerstrahlen. Seine Hände und seine Füße trugen Wundmale. Er schien etwa dreißig
Jahre alt zu sein. Jesus sprach zu Juri: Alle Menschen und der ganze Kosmos sind in meiner
Barmherzigkeit tiefer verborgen als ein Kind im Mutterschoß. Ich bin die Ewige Weisheit, und du
weißt, was Jesus Sirach sagt: Die Weisheit wird dir begegnen wie eine Mutter, die dich
bedingungslos liebt, und wie eine junge Geliebte, die sich dir ganz hingibt! Da speiste Juri das
Manna des Himmels und war satt, er, der immer so gehungert und geschrien nach der Liebe! Da
strahlte auf die Jungfrau an Jesu Seite. Ihr Körper war schneeweiß und schlank wie eine Lichtsäule.
Ihr Kleid war transparent wie Kristall. Es war, als sei sie in lauter Sonnenlicht getaucht. Es war, als
ergösse sich über sie das fließende Licht der Gottheit. Das fließende Licht der Gottheit strömte wie
ein Wasserfall über die Jungfrau in ihrem schneeweißen Körper und ihrem kristallenen Glanzkleid.
Es war ein einziger Strom der himmlischen Liebe, der sich auch über Juri ergoß. Er ging ein in
dieses Licht, ja, er ging ein in den kristallenen Körper der Unbefleckten. Er hatte Teil an dem
liebenden Wesen der Mutter Gottes, an der Liebe Unsrer Lieben Frau. Er und die Jungfrau waren
eins in Ekstase! Überall ergoß sich das Feuer des Geistes der Liebe, in feurigen Zungen tanzte der
Geist, der Feuerstrom des Geistes der Liebe ergoß sich durch den Himmel! Die Liebe war alles in
allen und belebte alle glückseligen Geister und den ganzen Himmel. Die überirdische Schönheit der
Jungfrau, die übernatürliche Schönheit Unserer Lieben Frau, die übermenschliche Schönheit der
Madonna war so herrlich, dass es fast schmerzte! Die Schönheit Unsrer Lieben Frau rührten Juri so
sehr, dass er in einem Strom von Tränen sich ergoß, Tränen der seligen Liebe! Alle Schmerzen des
Lebens weinte er aus an den bloßen Brüsten der Madonna! Sie trocknete seine Tränen, küsste ihm
die Tränen von der Wimper. Die Jungfrau in der Sonne des Himmels, im Schneekörper strahlend
durch den Glanz des Kleides aus Sonnenstrahlen, war wunderschön und hinreißend! Sie war so
hinreißend schön, dass Juri immer nur stammelte: Diva! Diva! Totus tuus ego sum! Dann
verstummte Juri vor Seligkeit und schwieg mit mystischem Schweigen von dem Gipfel der Ekstase,
den er nun in der Jungfrau erlebte. Sein kleines Menschenherz ward mit solcher himmlischen
Wonne erfüllt, dass die Gewalt der Glückseligkeit das kleine Herz überfüllte! Dann liebkoste ihn die
Jungfrau und sprach: Mein Geliebter, die Menschen werden dich nicht verstehen. Aber ich werde
immer bei dir sein und werde dich bedingungslos lieben als deine wahre Mutter und mich dir
hingeben als deine einzige Geliebte! Dann segnete die Jungfrau den geliebten Juri mit dem Segen
des Vaters, der ihn wie eine Mutter liebt, des Sohnes, der ihn wie eine Braut liebt, und des Geistes,
der die Liebe in aller Liebe ist. Juri bestieg das Unbekannte Flug-Objekt und verließ auf dem UFO
mit den Engeln Firkon und Raphael den Stern Deneb im Sternbild Schwan und schoß wie ein Blitz
zur Erde! Als er sich der Erde näherte, dem blauen Planeten, sah er die sieben Weltmeere und kam
zur Erde im Jahre 1965, im Augenblick seiner Geburt.

ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Brunos Vater und Großvater waren Trinker. Sie tranken eine Zeit lang nicht, aber immer wieder
griffen sie zuerst nach einem Glas Wein, dann noch nach einem Bier und schließlich kam zu Wein
und Bier noch der scharfe Alkohol dazu, und so verelendeten Vater und Großvater immer mehr.
Auch wurden die Männer im Rausch aggressiv, starrsinnig und schließlich auch gewalttätig. Die
fromme Großmutter Brunos hatte unendlich zu leiden. Bruno war ihr Liebling und sie betete nachts
in ihrem Bette unter Tränen für die Seele ihres Lieblingsenkels. Die Mutter Brunos war die Einzige,
die noch Geld verdiente, sie war den ganzen Tag außer Haus, um zu arbeiten. Bruno und sein älterer
Bruder waren immer auf der Straße und zogen mit den Nachbarkindern durch die Gassen und
machten allerlei Unfug. Der ältere Bruder prügelte sich oft mit Bruno und Bruno war manchmal
sehr einsam und verletzt, und er verhärtete sein Herz, um nicht zugrunde zu gehen. Er war
immerhin als Kind in der katholischen Kirche getauft worden, aber dann hatte sich keiner weiter um
seine religiöse Erziehung gekümmert. Seine Großmutter durfte es aus Angst vor dem Großvater und
dem aggressiven Vater nicht wagen, Bruno in die Kirche mitzunehmen. Der Großvater sah es auch
gar nicht gerne, dass sein Weib in die Kirche ging, er erlaubte es ihr nur zu Weihnachten und
Ostern. Der Großvater starb, als Bruno sieben Jahre alt war, die Großmutter seufzte auf und verlebte
noch sieben glückliche Jahre als Witwe, da sie sich vor allem um die Rosen ihres Gartens
kümmerte. Der Vater aber wurde immer trunksüchtiger und gewalttätiger und schlug Bruno
regelmäßig. Seine Mutter war abwesend und kümmerte sich so wenig um Bruno, als sei er nicht ihr
Sohn. Als Bruno vierzehn Jahre alt war, starb auch seine Großmutter und sagte ihm auf dem
Sterbebett: Ich will Gott für dich bitten! Dann starb sie. Nun hatte Bruno den letzten Halt verloren
und floh aus der Familie und dem Dorf. Er wurde ein Vagabund und streunte durch die Gegend, er
bettelte sich sein Brot zusammen und stahl auch Geld, um sich Wein kaufen zu können. Eine Zeit
lang war er mit einer Komödiantentruppe unterwegs, da er den Harlekin spielte. Schließlich griff
Vater Staat zu und zog Bruno in die Armee ein, dort wurde er tüchtig geschleift und durch den
Schlamm gezogen, auch verhöhnt von seinen Kameraden. Sein Vorgesetzter war ein brutaler
Militarist und flößte dem Jüngling Bruno gehörigen Schrecken ein. Brunos Seele verwilderte immer
mehr, er ließ gar nichts mehr an sich heran, sein Herz versteinerte, um nicht zu zerbrechen. Er
hasste alles Väterliche, alles Autoritäre, Autorität und Hierarchie war ihm der Inbegriff des Bösen.
Er hasste die Welt und das verlogene Bürgertum und die scheinheilige Kirchenfrömmigkeit, hinter
deren Mauern Kinderseelen misshandelt wurden. Nach seinem Militärdienst ging er darum nach
Spanien und kämpfte an der Seite der Kommunisten im Bürgerkrieg gegen die Faschisten. Er hatte
ja gelernt, mit einer Waffe umzugehen. Er hatte auch gelernt, dass ein Menschenleben und eine
Seele nichts gilt und nichts wert ist. Er wollte die ganze verrottete Gesellschaft gewaltsam
umstürzen und ein Reich der Armen und der Gerechtigkeit mit der Waffe in der Hand erobern. Die
Kommunisten waren seine Brüder, seine Waffenbrüder, strenge Disziplin herrschte in ihrer Truppe.
Aber die wilden kommunistischen Flintenweiber waren Gemeineigentum. Brunos Geliebte ging in
die Hand seines Parteiführers über. Bruno heulte wie ein Wolf den Mond an. Nein, es gab in dieser
Welt der Ausbeutung keine Liebe, es muß die Gerechtigkeit gewaltsam hergestellt werden, und dazu
braucht es den revolutionären Haß. Bruno sang: Wacht auf, Verdammte dieser Erde! Es rettet uns
kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser! Uns aus dem Elend zu erlösen, das müssen wir schon
selber tun! Aber in Spanien lernte Bruno einen Deutschen kennen, einen Protestanten, der von
einem heiligen Zorn ergriffen war: Die Kirche des Antichristen, die große Hure Babel, das
Papsttum, die Hure, die auf sieben Hügeln thront an den Wassern der Tiber und hurt mit den
Mächtigen der Erde, hurt mit dem Faschismus, diese große Hure Babel wird stürzen! Mit der Macht
des Wortes allein werden wir die große Hure Babel in den Abgrund stürzen! Der deutsche Protestant
hielt die Bibel in die Höhe und rief: Allein mit dem Schwert des Wortes Gottes werden wir den
Papst, den Rattenschwanz des Antichristen, in den Abgrund stürzen! Aber denke nicht, mein Bruder,
dass es nur die eine große Hure Babel gibt, die römische Kirche! Nein, wahrlich, wahrlich, ich sage
euch, sie hat noch eine Schwester! Wer ist die Schwester der Hure Babel? Das ist die deutsche
evangelische Kirche! Die römische Kirche und die lutherische Kirche, das sind Oholiba und Ohola,
die beiden Huren, die wir, die wahren wiedergeborenen Christen, mit dem Schwert des Wortes
Gottes, in den Abgrund stürzen werden! Du musst dich bekehren, Bruno! Erkenne, dass du ein
Sünder bist, ein Verdammter dieser Erde! Bekehre dich und nimm den Herrn Jesus als deinen
persönlichen Erlöser an! Bekenne deine Sünde und sage zu Jesus: Du bist der Herr! Dann gehörst
du zur wahren Gemeinde der Kinder Gottes, dann bist du wiedergeboren durch den Heiligen Geist!
Dann wirst du ein wahrer Christ sein, nicht wie die Namenschristen der Großen Hure, sondern ein
wiedergeborener, wahrer, frommer Christ! Unter dem Einfluß dieses Eiferers kehrte Bruno als
Papsthasser und Antikatholik aus Spanien nach Italien zurück. Es war die Zeit der Regentschaft
Pius des Zwölften, des Engelgleichen Hirten. Bruno wurde ein armer Lohnarbeiter, arbeitete als
Austräger von Brötchen in einem italienischen Städtchen. Er traf sich regelmäßig in seiner
Baptistengemeinde. Der Lehrer der baptistischen Hauskirche hielt einen Bibelabend über die
Apokalypse und deutete die Zahl des Tieres, 666: Wenn du den lateinischen Titel des Papstes,
Vicarius Christi, mit der Buchstabensymbolik und Zahlenbedeutung deutest, so erkennst du (wenn
du einen Buchstaben weglässt, nämlich ein i), das der Papst die Zahl 666 ist. Du weißt doch, die
katholische Kirche ist die Gemeinde von Laodizea, sie meint dass sie reich ist, in Wirklichkeit ist
sie arm! Sie ist weder kalt noch heiß, sondern lau! Darum wird der Herr Jesus die katholische
Kirche ausspeien! Ein Fanatiker in der baptistischen Hauskirche war in Portugal gewesen und
wetterte über Fatima: Ein Ort des Götzendienstes, da wird die Maria angebetet! Aber der Herr Jesus
hat gesagt: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch
mich! Und Gott der Herr sagt: Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine andern Götter neben mir
haben. Ich hasse dieses Fatima, wo die Katholiken die Maria anbeten. Sie werden alle in die Hölle
kommen, wenn sie sich nicht zum Herrn Jesus bekehren! Ich sah einmal in einer katholischen
Kirche, wie der Priester rief: Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es! Das ist doch Lüge! Die
Katholiken sind ein abergläubischer Haufen, keine Kinder Gottes, sie beten ja zu Maria und den
Heiligen, es sind unbekehrte Heiden! Sie kommen alle in die Hölle, die Maria Lieder singen! Ich
sah dann, wie sie alle vor so einem goldenen Götzenbild niedergefallen sind, ich glaube, sie nennen
das Monstranz. Ich aber falle vor keinem goldenen Götzen nieder! Die Katholiken machen sich ein
Goldenes Kalb und beten es an. Aber ich bete den Herrn allein an! Bruno war ebenso eifrig ein
Eiferer, aber die Baptisten waren ihm nach einer Zeit nicht mehr radikal genug und er schloß sich
einer Freikirche an, die noch radikaler fundamentalistisch war und noch entschiedener antipäpstlich
und antikatholisch! Ich weiß nicht mehr, wie diese Sekte hieß. Dort machte es sich Bruno zur ganz
besonderen Aufgabe, die Mutter Jesu, die Mutter seines Herrn, einmal so darzustellen, wie sie die
Bibel darstellt. Er wollte alle heidnische Göttinnenverehrung der Katholiken von der Mutter Jesu
abreißen und Maria die Stelle geben, die die Bibel ihr gibt: Eine Jungfrau, die als Magd von Gott
ergriffen worden war, in der Gott ohne ihr Zutun den Sohn Gottes gezeugt hat, den einzigen
Sündlosen, Maria aber Sünderin, die nach der Geburt Jesu mit Josef noch vier Söhne und zwei
Töchter bekommen hat. Jesus hat sie nicht als Mutter geehrt, sondern sie Weib genannt und schroff
zurückgewiesen. Am Ende ihres Lebens ist Maria gestorben und ihr Körper verwest in der Erde und
ihre Seele schläft im Jenseits, bis Jesus Christus, der allein Richter der Sünder ist, auch Maria am
Jüngsten Tag aus ihrem Todesschlaf auferwecken wird. Bruno bereitete sich intensiv durch sein
Bibelstudium darauf vor, einen großen Aufsatz über die Wahre Maria zu schreiben. Aber da lernte
Bruno eine junge schöne Frau kennen, die Margot hieß und Katholikin war. Sie liebte ihn aus
unerfindlichen Gründen und nahm ihn sich zum Mann. Sie bat ihn, wenigsten sieben Freitage
nacheinander mit in die Kirche zu kommen und das Herz Jesu zu speisen. Er tat es allein aus Liebe
zu seiner lieben Frau. Aber er fühlte nichts dabei. Er blieb in seiner fundamentalistischen Sekte und
schrieb weiter an seinem Buch über die Wahre Maria, die Maria des Biblizismus, sein Buch wuchs
immer mehr an. Aber je mehr er sich mit Maria beschäftigte in der Absicht, gegen die katholische
Maria zu protestieren, umso mehr ärgerte er sich über den Glauben seiner Frau. Dieser Rosenkranz!
Jesus hat doch gesagt: Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden! Und diese Sixtinische
Madonna im goldenen Rahmen an der Wand des Hauses, vor der sich seiner Frau immer
bekreuzigte! Sollte Jesus denn immer ein Kind bleiben? Ja, er war als Kind geboren, aber das ist
doch für die Kinderbibelstunde und für den Weihnachtsgottesdienst! Jesus ist doch ein Mann
geworden, ein Mann, ein Mann nach dem Herzen Gottes! Dreißig Jahre war er alt und bärtig, als er
mit Vollmacht das Evangelium predigte wie ein evangelischer Prediger, und dreiunddreißig Jahre
war er alt, als er mit männliche Mut das Kreuz trug und starb, der Herr und Vater hat ihn auferweckt
und nun herrscht der König Jesus als starker Mann und Menschensohn an der Seite des Vaters. Was
soll ich da vor einem kleinen törichten Kindlein knieen und die Mutter wie eine Göttin anbeten? Da
riß Bruno das Bild der Sixtinischen Madonna von der Wand, zerriss den Rosenkranz seiner Frau
und warf ihn in die Abfalltonne. Seine Frau weinte und betete nur immer still im Innern: Herz
Mariä, verzeih ihm, Herz Mariä, verzeih ihm, er weiß nicht was er tut, o Herz Mariä, Herz Jesu,
rettet ihn! Aber Bruno in all seiner Gelehrsamkeit, er wusste viele Bibelstellen auswendig, schaffte
es, seine arme unwissende Frau zu bekehren, abzuwenden von der katholischen Religion und zu
einer wiedergeborenen Christin zu machen. Jeremia war er und warnte vor einer erneuten
Verehrung der Himmelskönigin! Keine Anbetung der katholischen Aschera mehr! Seine Frau trat
schließlich auch aus der Kirche aus und wurde Mitglied der fundamentalistischen Sekte und ließ
sich ein zweites Mal taufen in den Wassern der Tiber, zum Bekenntnis, dass sie nun an den Herrn
Jesus glaube. Unter all diesen geistlichen Kämpfen war fast unbemerkt das Leben herangewachsen
und Bruno und Margot hatten drei Kinder zusammen. Bruno machte mit seinen drei Söhnen an
einem Frühlingstag einen Ausflug in der Nähe von Rom, vor einem Kloster spielten die Kinder
Fußball. Da wurde Bruno von den Söhnen gerufen: Der Ball ist weg, Papa! Bruno sah aber auch,
dass sein Kleinster, sein Liebling Milano, verschwunden war, und suchte ihn. Da kam er in eine der
dort befindlichen Grotten und sah den kleinen vierjährigen Milano dort wie versteinert sitzen und
verzückt in die Luft starren, mit einem ganz süßen Lächeln um die Lippen und einem goldigen
Glanz in den strahlenden Augen saß Milano auf der Erde und flüsterte immer: O wie schön du bist,
du liebe Frau, wie schön du bist, du liebe Frau, du bist so schön, das glaubst du nicht, so schön bist
du, das kannst du nicht glauben, liebe Frau, wie schön du bist! Da rief Milano seine beiden Brüder,
seinen Zwillingsbruder und seinen älteren Bruder, die kamen auch in die Grotte, und setzten sich
mit weichen Knieen sofort auf den Boden und riefen immer wieder: O wie schön! Du bist die
Schönste aller Frauen! Du bist unsre Mutter und unsre Königin! Und der Erstgeborene rief: Wenn
ich groß bin, will ich dich heiraten, goldene Königin in dem Blumenkleid! Bruno aber wurde zornig
und schrie die Kinder an, nicht solche albernen Märchen zu erzählen, aber die Kinder rührten sich
nicht, da gab er dem einen der Zwillinge eine Ohrfeige ins Gesicht, aber der sagte nur: Was schlägst
du mich, was hab ich dir getan? Nun wollte Bruno genauer wissen, was die Kinder entdeckt hatten
und starrte in die Grotte. Er sah da aber nur Abfall liegen, vor allem zerbrochene Flaschen und altes
Papier. Da wollte er wieder aus der Grotte heraus, als er zwei strahlende Hände auf sich zukommen
sah und sein Gesicht berühren. Er schrie: Gott rette mich! Da fühlte er in seinen Augen einen
stechenden Schmerz, er schloß die Augen, es war einen Augenblick Nacht vor ihm, dann öffnete er
die Augen und sah – er sah, und siehe, was er sah, das war die Schönste aller Frauen! Er war so
überwältigt von ihrer unaussprechlichen Schönheit, dass ihm die Kniee weich wurden und zitternd
zusammensanken und so wurde er zur Erde niedergerissen und kniete vor der Schönsten aller
Frauen und lallte und stammelte in einer ihm unbekannten Sprache nur die Worte des Hohenliedes:
Du bist schön, meine Freundin, ganz schön, und kein Makel ist an dir! Die Madonna trug ein langes
weißes Seidengewand, lichte fließende Seide, um die Hüften von einem roten Gürtel
zusammengehalten. Auf dem Haupt trug sie einen feinen grünen Schleier mit goldenen
Sternenstickereien, der ihr glattes schwarzes langes Haar sehen ließ. Die Haare flossen lang an ihr
herunter zu den Füßen, nackten Füßen. In der rechten Hand hielt die Madonna eine Bibel und
drückte die Bibel an ihr Herz. Bruno war verzückt und verzaubert! Dann hörte er die lieblichste
Frauenstimme: ICH BIN DIE, DIE ICH BIN IN DER GÖTTLICHEN DREIFALTIGKEIT! Bruno,
Bruno, was verfolgst du mich? Bruno sprach: Wer bist du, schöne Frau? Die Frau sprach: Ich bin
Maria, die du verfolgst! Bis hierher und nicht weiter, hier sollen sich deine stolzen Wellen legen!
Kehre zurück in den wahren Schafstall, zu der einen Herde und zu dem einen Hirten, den Vorhof
des Himmels! Die Gebete für deine Seele wurden erhört: Die Freitage, da du das Herz Jesu
kommuniziertest, haben dich gerettet. Die Gebete deiner Großmutter und deiner lieben treuen Braut
haben mich hierher gerufen. Du hast dich auf den Irrweg begeben, kehre um! - Bruno hatte das
Gefühl, er schwebe über dem Boden und ein süßer Duft, wie Rosenöl, oder eher wie Weihrauch,
umgab die Schönste aller Frauen und ihn selber auch. Nun begann Maria ihn zu belehren, dass sie
die Mutter Gottes sei, der Rosenkranz eine Meditation über das evangelische Leben Jesu, dass sie
die Madonna sei und die Mutter der göttlichen Weisheit, die Mutter der Barmherzigkeit und Mutter
der Kirche. Er solle sie als Braut des Heiligen Geistes verehren und zu seiner geheimnisvollen
Freundin erwählen, er solle alles von ihr erbitten, sie werde alles von Gott erbitten, denn sie sei die
Gnadenmittlerin bei Jesus, ihrem Sohn. Sie selbst habe ihn auserwählt und habe Ja zu Gott gesagt
für ihn und habe auch Ja zu ihm gesagt und bitte ihn nun, auch Ja zu ihr zu sagen. Sie bat ihn auch,
dem Papst eine Botschaft zu senden, sie, die Regina Coeli bitte ihn darum, denn der Papst leide sehr
in diesen apokalyptischen Zeiten, und sie, Maria, sei nächst Gott seine einzige Hoffnung. Und
Maria sagte: Nun will ich dir einen Beweis geben, dass diese meine Erscheinung von Gott ist und
nicht vom Satan. Sobald du einem Priester begegnen wirst und er sagt: Ave Maria, mein Sohn, was
willst du? Dann bitte ihn, dir zuzuhören, denn ich habe ihn auserwählt. Ihm wirst du sagen, was
dein Herz dir eingibt. Gehorche ihm, denn er wird dich hinführen zu einem anderen Priester, der der
Richtige für deinen Fall ist. Du wirst dem höchsten Hirten der Kirche die Botschaft der Regina
Coeli senden. Viele, denen du von meiner Erscheinung erzählst, werden dir nicht glauben, manche
werden dich verspotten, aber du laß dich nicht betrüben! Dann wandte sich die wunderschönste
Frau ab und entschwebte in Richtung Sankt Peter, dem Dom. Bruno dachte nur: Und die Madonna
hielt doch die Bibel in der Hand und presste sie an ihr Herz! Sie wollte mir wohl klarmachen, dass
sie die Maria der Bibel sei, die Mutter Gottes und allerseligste Jungfrau, die Unbefleckte und
Himmelskönigin! Denn die Bibel braucht die Auslegung durch die Weisheit der Kirche. Bruno
kehrte mit seinen Söhnen zu seiner Frau zurück, er schenkte den Kindern Schokolade, und die
Kinder erzählten der Mutter alles, und Margot spürte diesen Weihrauch um Bruno, den Weihrauch
der Madonna, da freute sich ihr Herz und sie lehrte ihn das Ave Maria: Ave Maria gratia plena! Und
Bruno betete seinen ersten Rosenkranz, indem er zehn Ave Maria betete auf den zehn Fingern seiner
Hände.

NEUNUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Adria war evangelisch getauft. Ihre Großmutter, eine lutherische Dame, war ein einziges Mal im
Leben im Ausland gewesen und zwar in Venezia, darum erhielt Adria den Namen Adria. Nach der
evangelischen Taufe erhielt sie die Kinderbibel und nahm teil an der Kinderbibelstunde, bis sie
konfirmiert wurde. Dann schloß sie sich einer evangelischen Gemeinde an, hörte Predigt und sang
die barocken Kirchenlieder an den Herrn Zebaoth, eine feste Burg mit Wehr und Waffen. Als sie
etwa dreißig Jahre alt war, lebte sie allein in einer kleinen Stube. Durch einen schmalen Vorhang
getrennt war eine kleine Schlafkammer, da auf dem Nachttisch ihre Bibel lag. Ein grüner
Stoffvorhang fiel rechts und links des Durchgangs hinunter wie ein Schleier und wie der Vorhang
zum Allerheiligsten. Eines Tages im Mai sah sie hinter dem grünen Vorhang in ihrem Schlafgemach
eine Lichterscheinung. Sie trat durch den Vorhang in das Schlafgemach und sah eine Vision, sie sah
die Madonna! Sie stand mit schönen bloßen Füßen auf einer weißen Wolke. Sie trug ein rotes Kleid,
rot wie eine Rose, und einen meeresblauen Umhang. Auf dem Haupt trug sie einen goldenen
Schleier, der lang hinunterfiel. Ihre Haar war kastanienbraun und leicht gelockt. Ihr Antlitz war von
femininer Anmut, Liebreiz und Grazie, zugleich jungfräulich schön und mütterlich gütig. Sie hatte
die Hoheit einer Göttin, da sie in einer göttlichen Aura stand. Neben ihr kniete ein Heiliger, den
Adria als einen Papst erkannte, er betete zur Madonna. Zur anderen Seite kniete eine Jungfrau, die
gütig auf Adria herabblickte. Es schwebte neben der Madonna ein Engel, genausso groß wie die
Madonna, von solcher Schönheit, eine fließende Lichterscheinung, von weißem Licht, mit Glut
durchdrungen, langen weißen Flügeln, goldenen Locken, und einem goldenen Schwert in der
Rechten. Es war nicht zu sagen, ob das himmlische Wesen männlich oder weiblich aussah, aber
Adria hielt den Engel für ihren Schutzengel und liebte ihren Schutzengel wie ihre große Schwester.
Vor den Füßen der Madonna saßen zwei kleine Cherubini, Engel in der Gestalt von
Zwillingskindern. Adria sah alles wie ein Bild, aber es war Wirklichkeit. Die Madonna legte ihre
Rechte Hand auf die Bibel und schwor bei dem, der ewig lebt! Adria hatte nie in ihrem Leben solch
eine Schönheit gesehen. Alles war in gleißendes Goldlicht getaucht, aber dann milderte sich das
Licht, und Adria sah in den Armen der Madonna das nackte Jesuskind, vielleicht drei oder vier
Jahre alt. Jesus schaute Adria ernst und freundlich an. Adria war sich ganz sicher, dass sie die
Madonna und Jesus sah, sie wusste, es war keine Halluzination, keine krankhaft überspannte
Phantasievorstellung. Damals sagte sie keiner Menschenseele von ihrer Vision, aber sie bewahrte
die Erinnerung an diese Vision immer im Herzen. Seit jener Zeit verehrte sie das Bild der
Sixtinischen Madonna von Raffael, denn es kam ihrer Vision am nächsten. Sie sprach auch mit dem
lutherischen Pastor nicht darüber, sie wusste, er würde es nicht verstehen, er würde es nicht glauben
können. Aber sie war überzeugt von der Wahrhaftigkeit ihrer Vision. So nahm sie weiter teil an den
evangelischen Gottesdiensten und diskutierte auch mit den lutherischen Pastoren, aber mehr und
mehr wurde sie von der Vision der Madonna im Inneren zum katholischen Glauben geführt. Es war,
als sei mit der Vision damals die Madonna in ihr Herz eingegossen worden, so dass sie innere
Gesichte und Träume hatten, die sie wie eine innerliche Seelenführerin zum katholischen Glauben
führte. Als sie etwa vierzig Jahre alt war, trat sie in die römisch-katholische Kirche ein und empfing
das Sakrament der Firmung, das Sakrament der Generalbeichte, das allerheiligste Altarsakrament.
Nach der Konversion ergoß sich über Adria ein Wasserfall von mystischen Gnaden. Eine
neunzigjährige Karmelitin bestätigte ihr die mystische Begnadung. Zuerst lehrte die Madonna sie
das Gebet, das immerwährende Herzensgebet Jesu und den Rosenkranz. Nach und nach lehrte die
Madonna sie einen eigenen Rosenkranz und lehrte sie die Geheimnisse dieser Meditation, die das
Ich vollkommen auslöscht und alle weltlichen Gedanken vom Beten fernhält, sondern mit dem
Herzen der Mutter das Leben des Sohnes meditiert, dass die Seele der Meditation eins wird mit dem
Mutterherzen und dem Leben des Sohnes. Immer mehr wurde ihr Gebet nicht von ihren
menschlichen Betrachtungen geführt, sondern vom Heiligen Geist inspiriert und geführt, so dass sie
in einem lebendigen Gespräch mit dem Ewigen, mit dem Herrn und mit dem Geist der Liebe war
und mit der Mutter Maria so kommunizierte wie mit ihrer wahren und einzigen Freundin. Sie wurde
desöfteren im Beten und Meditieren in die himmlische Welt entrückt, die sie am liebsten nie wieder
verlassen hätte, und sie verweilte so lang wie möglich in den Beschauungen der himmlischen
Schönheit, bis sie vom Heiligen Geist durch Maria gedrängt und getrieben sich irgendwo in der
Welt wiederfand, um Menschen das Licht der Weisheit und Seelen die Süßigkeit der himmlischen
Freude zu bringen. Sie hatte dann große Kraft, in ihrer Marienähnlichkeit das Mutterherz Mariens in
der Welt zu verkörpern und das liebende Vaterherz Christi in der Welt sichtbar darzustellen. Sie
bekam vom Heiligen Geist große Kraft zur Arbeit für die Menschen und wurde den Menschen eine
Mutter, denn die Welt braucht die Mutterliebe Gottes. Auch durfte sie desöfteren in Visionen die
Jungfrau Maria schauen. Das eine Mal sah sie in großer Trauer und großem Herzeleide die Jungfrau
in ihrer Kammer erscheinen und von Weihnacht bis Heilig-Drei-Könige bei ihr wohnen, wobei die
Madonna ihre Freundin Adria bei den Händen nahm und in Trauer der Liebe mit ihr tanzte. Auch
saß sie bei ihr in einem Lichtgewand, das wie transparent um einen Lichtleib floß, auf dem Diwan
und lehrte sie geistliche Lieder singen. Das andere Mal erschien die allerseligste Jungfrau und
Königinder schönen Liebe in ihrer Kammer, sie war schlank und wunderschön, in einem weißen
Lichtkleid, mit rötlichblonden langen Haaren. Sie glich mehr einem göttlichen Lichtstrahl als einer
menschlichen Frau, und ließ Adria in ihren Lichtstrahl eintreten. In dem Augenblick, da Adria in die
Madonna einging, bewegten sich am Himmel Sterne in mancherlei Farben und Feuerstrahlen
schossen durch den Himmel. Dann schaute Adria die Madonna in einer intellektuellen Vision, da
Christus zu ihr sprach, sie werde in dieser Nacht zur Seite der göttlichen Kraft stehen. Als Adria zur
Seite der göttlichen Kraft auf dem Angesicht lag, erhob sie ihren tränenüberströmten Blick und
schaute die Madonna in einem solchen überwältigenden Lichtglanz, in solcher herrlichen und
himmlischen Schönheit, das es ihr weh tat, es war ein nahezu unerträglicher Glanz von
übermenschlicher Schönheit. In diesem Augenblick war sie ganz leer im Inneren, so dass Christus
in seiner himmlischen Gnade ihr seine göttliche Weisheit eingießen konnte. Dies bereitete Adria
unaussprechliche Schmerzen und zugleich solch ein Übermaß von Wonne, dass sie nur noch stumm
anbeten konnte. Es half ihr kein Gebet in der Zunge der Engel, kein Ave Maria und kein Wort der
Heiligen Schrift, sondern sie konnte nur noch stumm und schweigend anbeten oder eigentlich, nicht
anbeten, sondern Anbetung sein. Denn es erschien ihr in der übernatürlichen Schönheit der
Madonna die unaussprechliche Herrlichkeit des Herrn, die Gloria Gottes! Adria war von diesen
außergewöhnlichen Erscheinungen der Jungfrau so tief verwandelt und so weit geöffnet, dass sie
fast täglich die Madonna im Gleichnis erkannte und mit ihr so alltäglich Umgang hatte, dass ihr
Sprechen von der Madonna einen solchen intimen Umgang verriet, dass schon allein ihre
Beschreibung die Madonna in den Seelen von ganz kleinen und reinen Seelen evozierte und sie zur
Vision der Madonna führte. So schilderte Adria die Schönheit der Madonna im himmlischen
Jerusalem einem reinen kleinen Kind, der alle Angst vor den Angstdämonen verlor und ausrief: Sie
ist so schön, das glaubst du nicht! Dann wurde Adria in die Schule der Heiligen genommen. Es
waren zwei Schulen, zum einen die Schule der deutschen Mystik, da ihr mit Heinrich Seuse die
gottselige Mechthild von Magdeburg erschien und mit Hildegard von Bingen erschien ihr Meister
Eckard, und sie nahmen sie mit in die himmlische Schule der deutschen Mystik und führten sie zur
Schau der Ewigen Weisheit und zu Jesus, dem göttlichen Bräutigam ihrer unsterblichen Seele, der
sie mit einer erotischen Leidenschaft liebte. Die andere Schule war die Schule des Karmelordens, da
sie zuerst in die Schule des Johannes vom Kreuz eintrat und mit ihm den Berg Karmel bestieg, dann
von Teresa von Avila in die Seelenburg eingeführt wurde, wo sie durch das innere Gebet geführt in
die siebente Kammer eintrat, die das Brautgemach des Bräutigams Christus war, des inneren
Christus. Dann ward sie von der kleinen Therese von Lisieux unterwiesen, mit dem göttlichen Kind
zu spielen und sich dem göttlichen Kinde ganz als Sein Spielzeug zu schenken. Zu den
Unterweisungen der Heiligen kamen noch die Charismen des Heiligen Geistes, als dass sie zuerst
die Zungenrede empfing, dann die Gabe der Prophetie und die Gabe der Weisheit. Von ihren
Händen und Umarmungen gingen unergründliche Tröstungen und Heilungen besonders von
seelischen Verwundungen aus. Aber trotz all dieser Begnadungen und Wunder zog sich über ihr
Leben ein marianisch-demütiger Schleier aus Alltäglichkeit. Sie lebte in einer kleinbürgerlichen
Wohngegend in einem Mietshaus und wurde von keinem Menschen beachtet oder irgendwie
geachtet und geschätzt, sondern sie wurde übersehen von allen, einzig von Maria erkannt. Denn sie
lebte im Verborgenen wie ein demütiges Veilchen, aber immer duftend zum Lobpreis Gottes. Keiner
ahnte von den Passionen, die sie zu erleiden hatte, denn sie hatte vor allem von Therese von Lisieux
gelernt, ihre Leiden geheim zu halten und keinem Menschen zu klagen, sondern verborgen
und im Geheimen ihre Leiden Christus zu opfern, zum Trost des göttlichen Herzens, das verwundet
war von dem Mangel an Liebe in der Welt. Eines Nach erschien ihr ein Engel und bereitete sie auf
eine große Passion vor. Sie schrieb ihr Ja-Wort zur Passion Jesu nieder. Sie sollte Anteil erhalten an
der Passion Jesu. So hatte sie vom zärtlichen Franz von Sales gelernt, das es besser ist, mit dem
Herrn am Kreuz zu hängen, als über den Herrn am Kreuz zu reden. So hatte sie von der heiligen
Katharina von Siena gelernt, dass das Brautbett Christi das Bett des Kreuzes ist. So hatte sie Ja
gesagt zum Gekreuzigten allein. Ihr Anteil an der Passion Jesu war aber ein vor allem innerlicher,
als dass sie Anteil hatte an der seelischen Passion Jesu, die mit der Einsamkeit und Angst im Garten
Gethsemani begann und im Liebesschmerz des verschmähten Bräutigams am Marterholz gipfelte,
wobei sie in den dunkelsten Stunden ihrer seelischen Passion an der Gottverlassenheit Jesu Anteil
hatte und sogar an den Qualen Christi bei seinem Hinabstieg in das Reich der Hölle. Denn auch
Adria war mit Christus hinabgestiegen in die Hölle und von einer höllischen Seelenangst gequält,
einem höllischen Pech- und Schwefelsgestank, da sie das Biest aus dem Abgrund sah und schrie in
höllischen Qualen: Es wäre besser für mich, ich wäre nie geboren worden! Aber aus all dem rettete
sie die Madonna, die ihr so früh so schön erschienen war, so dass sie auch mit Christus auferstand
und gen Himmel fuhr und im Paradiese unaussprechliche Worte hörte, im dritten Himmel des
Venusparadieses von Salomo selbst eingeweiht wurde in die tiefere Bedeutung des Hohenliedes.
Diese Erkenntnis diktierte sie ihrem Seelenführer, einem gütigen österreichischen Kardinal, der
ergriffen war von der uferlosen Barmherzigkeit Gottes, der wie ein zärtlicher Vater und wie eine
tröstende Mutter ist.

DREISSIGSTES KAPITEL

Maria erschien der siebzehnjährigen Bernadette in der Grotte von Massabielle im August 2001 für
sieben Tage. Bernadette war ein schönes Mädchen von aphrodisischer Gestalt, kurze goldenen
Locken, Diamanten an den Ohren, himmelblauen Augen, ein schwarzes Kleid, das bis zu den
Oberschenkel reichte und die schlanken Arme frei ließ. Der Dichter betete sie an und gestand ihr in
seiner Ohrenbeichte: Ich bin verliebt und weiß nicht in wen, ich glaube, ich liebe die Liebe!
Bernadette ging mit einer jungen Frau namens Judith, die ein langes weißes Seidenkleid trug, einem
kleinen afrikanischen Mädchen mit großen Brüsten und einer kleinen blonden deutschen Novizin
vor die Grotte von Massabielle, wo sonst die Schweine gehütet wurden. Ja, sagte der Dichter, Herr
Toto, mein Herz ist solch ein Schweinestall, will sich Gott in den Schweinestall betten und in
meinem schweinischen Herz geboren werden? Bernadette ging mit den Schwestern in Christus an
den grünen Gavestrom, Brennholz zu sammeln. Sie wollte am Abend ein Lagerfeuer entzünden und
die Gitarre spielen, die Jünglinge würden rauchen und die Mädchen mit ihren glockenreinen
Stimmen charismatischen Lobpreis singen, Herr Toto aber heimlich eine Flasche Wein von der
Rhone entkorken. Plötzlich hörte Bernadette ein leises Singen von himmlischen Frauenstimmen und
sah dann eine junge schöne Dame in einem weißen Licht. Die Dame sah die schöne Bernadette
lange an. Sie trug ein weißes Kleid von hauchfeinem Stoff, der ihren perfekten Körper lieblich
umspielte und einen himmelblauen Mantel, den sie weit öffnete, um alle an ihren Busen zu rufen!
Dann bat die Dame Bernadette, das Ave Maria Gratia zu beten. Die Dame betete immer den
Lobpreis Jesu mit. Die Dame selbst hielt in den Händen eine lange Perlenkette von rosanen und
weißen Perlen, der ihr um den Hals, die Arme glitt und in den Schoß rollte. Sie nahm die Perlen an
den Mund und küsste die Perlen, denn es sind dies die Perlen des Evangeliums, von dem die
Weisheit Jesu sprach, ein Mann gibt alles hin, um diese Perle zu gewinnen! Dann verlöschte die
Erscheinung. Die Frömmler hatten die junge schöne Bernadette aufgefordert, die Erscheinung der
himmlischen Jungfrau mit Weihwasser zu bespritzen. Nun stand die himmlische Jungfrau wieder
vor der blonden Bernadette. Diese tat, wie ihr die Pfaffen und die alten Weiber aufgetragen. Sag
mir, du schöne Dame, ob du von Gott kommst, sprach Bernadette. Die Jungfrau verneigte sich vor
dem Namen Gottes. Da strahlte Bernadettes Antlitz. Herr Toto, der alte Dichter im Kreis der jungen
Mädchen, sah den Glanz auf Bernadettes Antlitz. War es das Sonnengold ihrer Locken, war es das
Himmelblau ihrer klaren Augen, der Lichtglanz ihrer Jungmädchenseele, das strahlende Weiß ihrer
nackten Haut, der Glanz der Diamanten an ihren Muschelohren, das Perlenweiß der Elfenbeinzähne
bei ihrem strahlenden Lachen? Alles an ihr glänzte, sie schien eine glänzende Jugendgöttin der
Freude, ein Abglanz der himmlischen Jungfrau. Herr Toto sah die himmlische Herrin nicht, aber den
Abglanz an dem jungfräulichen Göttinnenkörper der schönen Bernadette sah er. Bei der nächsten
Erscheinung hatte Bernadette ein Schreibheft und einen Federhalter mit Tinte bei sich. Herr Toto
hatte sie gebeten, Worte der himmlischen Jungfrau aufzuschreiben, wenn die Herrin des Himmels
der jungen reizenden Katholikin etwas diktiere. Die Jungfrau lächelte und sprach: Du brauchst die
Feder nicht ins Tintenfaß zu tauchen, ich werde dir nichts diktieren. Ich werde dir himmlische
Eingebungen geben und Einsichten, aber dazu bitte ich dich, sieben Tage lang zu mir zu kommen in
diese Grotte am grünen Strome Gave. Da freute sich Bernadette, dass sie nicht schreiben musste,
dass aber die himmlische Jungfrau sie erleuchten wollte mit Visionen. Sie sprach: Wenn du mich
rufst, Frau Schönheit, dann will ich gerne kommen, hier in Südfrankreich am Fuß der Pyrenäen, am
Strome Gave in der Grotte von Massabielle in deine Schule zu gehen. Dann sprach die himmlische
Herrin zur jungen Katholikin: Gnädige Frau, ich kann Ihnen nicht versprechen, Sie in dieser Welt
schon glücklich zu machen, aber im Paradiese werden Sie glückselig sein! Bernadette wunderte
sich, dass die Herrin sie nicht mit Du, sondern mit Sie ansprach. Aber die Herrin wollte sie wohl an
den Umgangston in der Kirche gewöhnen. Kommunisten und Pietisten sagen wohl immer Du
zueinander, aber der Priester sagt zum Laien Sie. Das mag man bedauern, aber wenn selbst die
himmlische Dame zu einem hübschen jungen Ding von siebzehn Jahren Sie sagt, dann muß das
wohl in Ordnung sein. Dann sprach Bernadette zu dem vierzehnjährigen braunen Mädchen aus
Afrika, der braunen Gazelle mit dem prachtvollen Brüsten: Jetzt schaut die Jungfrau dich an. Da
sprach das junge Weib: Darf ich auch zur Herrin kommen? Da sagte Bernadette: Ja, meine kleine
Schwester, und auch die deutsche Novizin und auch die Jungfrau aus der Herzegowina und auch der
alte Dichter, alle dürfen sie kommen zur Dame. Und bald sollen sich Scharen von lärmenden
Jugendlichen hier einfinden, die ihre Hochzeiten feiern vor der Grotte der Jungfrau, und Scharen
von alten Weibern, die zahnlos der Großen Mutter singen! Ich will euch alle hier bei mir sehen,
sagte die Dame und verschwand wie ein still verlöschender Schimmer. Nun kamen Scharen von
jungen Mädchen und Jünglingen an, sie scherzten und lärmten und suchten sich zu haschen und zu
fangen zu der heiligen Ehe. Die Jungfrau war zufrieden, dass die Jugendlichen sich in solchen
großen Scharen vor der Grotte einfanden, um fröhlichen Lobpreis zu singen zu Tamburin und
Saitenspiel. Besonders zufrieden war die himmlische Jungfrau, dass die schöne Bernadette wieder
gekommen war. Es hatten zwar zweifelnde Priester ihr abgeraten, aber die schöne junge Bernadette
war einfach bezaubert von der himmlischen Schönen Dame, so dass sie kam. Da sagte die Jungfrau
zu Bernadette: Du wirst noch größere Offenbarungen empfangen! Dann lehrte die Schöne Dame
das hübsche Mädchen ein ganz persönliches Gebet, das nur diese einsame Seele zum Himmel beten
sollte. Bernadette sprach auch zu keiner Menschenseele von diesem intimen Gebet. Als die
allerschönste Jungfrau wieder erschien, bat sie Bernadette, auf Knieen über den harten Steinboden
zur Grotte zu kriechen. Herr Toto, als er das sah, kroch auch auf Knieen den Felsweg hinan.
Bernadette hatte Tränen in den Augen. Ihre Tränen glänzten wie die Diamanten an ihren
Muschelohren. Auch die himmlische Jungfrau schaute wehmütig melancholisch, sie schaute in die
Ferne, als ob sie vom glühenden Südland in das nordische Nebelland schaue und sagte: Bete für die
armen Sünder und Sünderinnen! Bete für die Krankheit dieser Welt! Bei der nächsten Erscheinung
rief die himmlische Jungfrau das hübsche Mädchen mit ihrem Taufnamen an. Bernadette fühlte sich
wie von einer ewigen Mutter gerufen, die sie schon gerufen hatte, als sie noch im Schoß ihrer
leiblichen Mutter war. Es war, als hätte die Schöne Dame damals am Taufbecken gestanden, als die
kindliche Bernadette getauft worden war. Da freute sich Bernadette und trat ganz nah an den Winkel
bei der Felsgrotte, wo die himmlische Jungfrau mit bloßen Füßen erhoben auf einem Felsvorsprung
stand. Da sprach die Jungfrau in der Grotte zur Mädchenseele: Ich vertraue dir ein Mysterium an,
das nur dich allein etwas angeht und dir allein geoffenbart ist. Versprich mir, es nicht in der Welt
bekanntzumachen... Am Abend bat der alte Dichter Herr Toto zwei junge Mädchen, für ihn zu
musizieren. Die deutsche Novizin Michal und die Jungfrau Judith von Herzegowina spielten: Maria
durch einen Dornenwald ging, der hatte in sieben Jahren keine Rosen getragen, aber als Maria, mit
dem Kinde unterm Herzen, durch den Dornenwald gegangen, da trugen die Dornen Rosen, o Jesus
und Maria! Die deutsche Novizin Michal spielte auf ihrer Geliebten, der Viola d’amore, und die
Jungfrau Judith von Herzegowina blies die Flöte. Am Morgen aber kam die italienische
Pilgergruppe an. Herr Toto las gerade seine liturgische Lektion im Dichter Camoes, da der Seher die
Göttin Venus besang, nur leicht bekleidet, die trat zum Vater der Götter und Menschen, umschlang
den Nacken Jupiters und bat für ihr auserwähltes Lieblingsvolk. Da sah der Dichter Herr Toto
wahrlich in der italienischen Pilgergruppe, wahrlich, wahrlich, er sah, und siehe, was er sah, war die
römische Venus, die pilgerte zur Regina dell’Amore! Sie hatte einen perfekten Körper, makellose
straffe Jugendbrüste und langes goldenes Haar, das in freien Locken sie umflutete, ihr Kleid war
weiß wie Meeresschaum und ihr Gang war entzückend, das Schwanken der Hüften! Herr Toto sah
der katholischen Callipygos nach und staunte die Schönheit Gottes an! Aber nun trat Bernadette
wieder vor die Grotte, die Jungfrau erschien. Bernadette berichtete der Dame, was der Pfarrer
erzählt hatte, aber die Jungfrau schwieg. Dann bat die Jungfrau das Mädchen Bernadette, für die
Sünder und Sünderinnen zu beten, für die, die sich dem Satan verpflichtet, für die Atheisten, die
Materialisten, die Hedonisten und die Epikuräer und die Okkultisten. Dann lud die Jungfrau das
süße Mädchen ein, in die Grotte zu kommen. Bernadette sah die Jungfrau die Himmelstreppe
herabsteigen und in die Grotte treten. Sie trug ein reines weißes Kleid und einen Charis-Gürtel in
Meeresbläue um die Lenden. Auf den bloßen Füßen blühten goldene Rosen, dornenlose Rosen. Ihr
kastanienbraunes Lockenhaar fiel ihr auf die Schultern, verhüllt vom weißen Schleier der Braut
Gottes. Da sprach die Dame: Buß! Buß! Buß! Dann vertraute die Dame der Mädchenseele der
Seherin ein Geheimnis Gottes an, sie erkannte den Plan Gottes für ihr Leben, einen Plan in dem
Heilsplan Gottes für die Menschheit. Sie erkannte die Liebe des göttlichen Herzens ganz persönlich
zu ihr, der Mädchenseele, der Seherin. Da wurde ihr Herz froh wie ein geliebtes Kind. Dann sprach
die Dame zu Bernadette: Nun geh und wasche dich in der Quelle! Nicht im grünen Gave sollst du
baden, sondern dort in jener Quelle! Trinke das frische Quellwasser! Bernadette grub in der Erde
und es kam die Quelle des Heils hervor. Die Jungfrau hatte mit ihren bloßem Fuß die Quelle des
Heils hervorsprießen lassen, so wie Pegasus mit seinem Huf den Hufquell schuf, die kastalische
Quelle der Musen. Denn die himmlische Dame war die himmlische Muse vom Sion für den Poeten
Toto. Maria lächelte, sie war offensichtlich zufrieden, denn sie segnete Bernadette und Herrn Toto
mit einem Heilssegen. Bald kam auch das Volk und drängte sich in die Grotte und sie baten alle um
den Segen des Heils, um die Gnade der himmlischen Dame! In der Nacht erzählte Herr Toto einem
alten Priester das Märchen vom Affenkönig Sun Wu Kung, der Großen Leere des Herzens. Er war
vom Diamantring der Gnadengöttin Guan Yin in den Himmel geholt worden und stand in der Hand
Buddhas. Buddha sagte: Du kannst meiner Hand nicht entfliehen! Aber Sun Wu Kung lief davon,
bis ans Ende der Welt. Da kam er zu fünf steilen Gipfeln. An dem Fuß des mittleren Gipfels
urinierte er, wie man sagt. Dann kehrte er zu Buddhas Thron zurück. Buddha aber lächelte voll
goldener Weisheit und sprach: Siehe, mein Affe, hier an der Wurzel meines Mittelfingers ist es noch
feucht von deinem Ausfluß. Da erkannte der Affenkönig Sun Wu Kung, dass er nie aus der
allmächtigen Hand Buddhas fallen würde. Der alte Priester segnete den Herrn Toto. Aber am
Morgen erschien die himmlische Dame wieder der jugendlichen Bernadette. Sie bat das Mädchen,
auf Knieen den Felsweg heranzukriechen für die Bekehrung der Sünder und Sünderinnen. Dann
sprach die Dame liebevoll lächelnd: Küsse die Erde Südfrankreichs zur Buße für die Sünden der
Sünder und Sünderinnen! Dann sagte die Dame zu Bernadette: Ich wünsche breite Ströme von
Prozessionen, in der Nacht sollen sich auf breiten Alleen zwischen Marmorgöttern von Heiligen alte
Mütter und Krüppel und junge Pilgerinnen und Pilger in einem Menschenstrom mit Kerzen in den
Händen singend zum Tempel meiner Gnade bewegen und die Herabkunft des Manna feiern! Ich
will sie ein Lied lehren: Ah weh, ah weh, Mutter! Dann will ich die an Leib und Seele Kranken
heilen. Noch am Abend des Tages wurde der einjährige Jedidja geheilt. Am fünften August 2001,
am 2017. Geburtstag der Jungfrau Maria, lief Bernadette schon in der Frühe unter den Wimpern der
Morgenröte zur kristallklaren Quelle. Schon von ferne sah sie die Aura der Aurora, den Lichtglanz
der himmlischen Dame, die die Inder Uscha nennen, Göttin der Morgenröte. Bernadette kniete vor
der Dame und sagte: Schöne Dame, entschuldigt, dass ich erst so spät zu Euch gekommen bin! Die
Dame aber öffnete ihre Arme und die Brüste bebten der schönen Sünderin entgegen. Da begann
Bernadette das Apostolische Glaubensbekenntnis und das Pater-in-Uranos zu beten, da spürte sie
den leidenschaftlichen Drang, die Schöne Dame nach ihrem Namen zu fragen. Dreimal frug
Bernadette die Schöne Dame nach ihrem Namen. Da seufzte die Schöne Dame und sagte leise
flüsternd: Ich heiße Immaculata. Da sagte Bernadette zu den Jünglingen und den jungen schönen
Mädchen und zum Dichter Toto: Die Schöne Dame heißt Immaculata! Da jubelte die deutsche
Novizin Michal und sagte: Es ist Maria! Aber Bernadette in ihrer kindlichen Einfalt sagte: Nein, es
ist nicht Maria, die Mutter Jesu, sondern die Schöne Dame heißt Immaculata! Da sagte Herr Toto,
der alte Platoniker: Das ist der Ehrenname der Jungfrau Maria, denn sie ist die makellose
Konzeption. Sie ist die himmlische Weisheit, in ihr ist ein Geist, rein, heilig, makellos, unbefleckt,
kein Makel der Sünde dringt in sie ein. Zu allen Zeiten geht sie in reine Seelen ein und macht sie zu
Freunden der Weisheit und Propheten Gottes. Sie ist der Abglanz des strahlenden Lichtglanzes der
Gottheit und der reine Ausfluß der göttlichen Kraft. Sie ist strahlender als die Sonne. Von einem
Ende zum andern erstreckt sich ihre Macht und sie regiert das All mit Allmacht! Ich habe ihre
Schönheit liebgewonnen und will sie mir zur Braut gewinnen! Ich will sie heimführen und den
Lebensbund mit ihr schließen. Denn die Ehe mit ihr bringt keinen Überdruß und keinen
Liebeskummer, sondern nichts als Wollust und Wonne! - Aber der Landpfarrer schickte Bernadette
in die Psychiatrie! Sieben Tage blieb sie dort, angekettet wie ein wildes Tier. Die Psychiater gaben
ihr Drogen, so dass sie im Tiefschlaf sich fühlte wie im himmlischen Gartenparadies Eden! Dann
aber ward Bernadette wieder entlassen. Da ging sie in der Frühe auf den Berg Karmel und
kommunizierte und speiste das himmlische Hochzeitsmahl. Am Abend stieg sie wieder auf den
Berg Karmel, als ihr Schutzengel sie zur Grotte rief. Sie stand am Ufer des Gave, da sah sie Maria,
die Quellnymphe der Gave. Sie war von solcher übermenschlicher Schönheit, dass Bernadette die
Kniee zu zittern begann und sie in die Kniee sank! Die Jungfrau lächelte überaus liebreizend und
entzückend. Von Ferne schaute der Dichter Herr Toto ebenfalls die Jungfrau Maria, allerdings sah er
nur den Mund der Madonna! Fortan sprach der alte Dichter Herr Toto nur mit der allergrößten
Begeisterung vom Mund der Madonna! Da dichtete er als Troubadour:

MIDONSMARIE

O Notre Dame,
Plus belle des femmes!
O Vierge Marie,
Mon paradis!
Ta bouche… ta bouche…!

You might also like