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312 zur politischen Bildung
3/2011
Inhalt
Literaturhinweise ........................................................................... 81
Internetadressen und Autor .................................................. 83
Impressum . .......................................................................................... 83
Editorial
Andreas Malycha
akg / Voller Ernst / Chaldej
politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche System
nach ihren Vorstellungen. Die Parteien werden gleichge-
schaltet, Großgrundbesitz und Industrie sozialisiert.
Mit der bedingungslosen Kapitulation des Oberkommandos Deutschland nach dem 2. Weltkrieg
der deutschen Wehrmacht am 7. bzw. 8. Mai 1945 endete der
Länder und Besatzungszonen
Zweite Weltkrieg. Deutschland verlor seine staatliche Souve-
ränität an die alliierten Siegermächte Frankreich, Großbri-
tannien, die USA und die Sowjetunion, deren Truppen das Schleswig-Holstein
Land in Besitz genommen hatten. Die vier alliierten Staaten Mecklenburg
richteten Besatzungszonen ein und übernahmen die oberste Hamburg
Regierungsgewalt in Deutschland. In dem von sowjetischen
Truppen besetzten Teil Deutschlands wurde bis zuletzt er- Niedersachsen Bremen Brandenburg
bittert gekämpft. Flüchtlinge und Vertriebene aus den deut-
schen Gebieten östlich der Oder und Neiße ließen hier die Berlin
Zahl der Einwohner, gemessen am Vorkriegsstand, bis Ende Sachsen-Anhalt
1945 um eine Million auf rund 16 Millionen wachsen. Im De- Nordrhein-Westfalen
ullstein bild
tituierte sich am 9. Juni 1945 eine Sowjetische Militäradmi-
nistration in Deutschland (SMAD), an deren Spitze der Ober-
befehlshaber der sowjetischen Besatzungstruppen stand. Auf der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 einigen sich Winston
Bis zum April 1946 war dies Marschall Georgi Schukow; sein Churchill, Harry S. Truman und Josef Stalin (v.l.n.r.) auf Grundsätze zur Be-
Nachfolger wurde Marschall Wassili Sokolowski. Die politi- handlung Deutschlands – mit unterschiedlichen praktischen Ergebnissen.
sche, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des Besat-
zungsgebietes lag bis Oktober 1949 in der alleinigen Verant-
wortung der SMAD. heit Deutschlands zu erhalten? Hier offenbart sich das Bild
Über die allgemeinen Grundsätze der Behandlung Deutsch- einer widersprüchlichen Politik, die sich mehrere Optionen
lands herrschte unter den Siegermächten zunächst Einig- offenhielt: Offiziell, in öffentlichen Verlautbarungen, wurde
keit. Auf der Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945) die Einheit Deutschlands beschworen, praktisch sorgte die
verständigten sie sich darauf, das Land abzurüsten und zu SMAD zielstrebig dafür, dass die politischen und sozialen
entmilitarisieren, alle nationalsozialistischen Gesetze auf- Strukturen in der SBZ schnell nach sowjetischem Vorbild
zuheben, die Bevölkerung zu entnazifizieren, Kriegsverbre- umgeformt wurden. Vieles deutet darauf hin, dass Stalin vor
cher zu verhaften und zu verurteilen und das Erziehungssys- allem ein militärisch neutrales Deutschland in Mitteleuropa
tem, die Justiz, die Verwaltung sowie das öffentliche Leben anstrebte, von dem künftig für die Sowjetunion keine Kriegs-
zu demokratisieren. Die aus ihnen abgeleitete konkrete Poli- gefahr mehr ausgehen sollte. Zu Beginn ihrer Besatzung ver-
tik der jeweiligen Besatzungsmächte zeigte jedoch bald, wie folgte die Sowjetunion vor allem wirtschaftliche (Demonta-
unterschiedlich die Alliierten das Potsdamer Abkommen gen und Reparationen) und geopolitische Interessen. Dafür
auslegten. war sie bis etwa Mitte 1947 bereit, mit den Westalliierten zu
Die sowjetischen Besatzungsbehörden gingen rigoroser kooperieren, und versuchte, eine gesamtdeutsche Perspekti-
als die Amerikaner, Franzosen und Briten an die Entnazifizie- ve offenzuhalten.
rung heran. Bis zum März 1948 wurden circa 520 000 Ange-
stellte in der sowjetischen Besatzungszone aus dem öffentli-
chen Dienst entlassen. Die politischen Säuberungen nutzten
die Besatzungsbehörden, um die frei werdenden Stellen im
öffentlichen Dienst mit Personen zu besetzen, von denen Politik unter sowjetischer Besatzung
eine loyale politische Einstellung zur Besatzungsmacht er-
wartet wurde. Das Bemühen um die wirtschaftliche, poli-
tische und kulturelle Stabilisierung der sowjetischen Zone Gründung von Parteien und Massenorganisationen
und der Kalte Krieg im Zeichen des aufbrechenden Ost-
West-Konflikts ließen das Interesse an der politischen und Bereits einen Tag nach ihrer Gründung erließ die Sowjeti-
juristischen Ahndung der vielschichtigen Verstrickungen in sche Militäradministration (SMAD) den Befehl Nr. 2 vom
das NS-System in allen Besatzungszonen jedoch sehr bald in 10. Juni 1945 über die Zulassung antifaschistischer Parteien
den Hintergrund treten. und Gewerkschaften. Sie überraschte damit die anderen
Lange Zeit stritten Historiker über die deutschlandpoliti- Besatzungsmächte, die den Deutschen zu diesem Zeitpunkt
schen Absichten der Moskauer Führung. Wollte Stalin von noch keine politischen Aktivitäten im Rahmen von Parteien
Anbeginn an eine kommunistische Diktatur in der sowje- gestatten wollten. Die Maßnahme war ein Versuch, noch vor
tischen Zone installieren, oder war er eher geneigt, die Ein- dem Einrücken der Westalliierten in Berlin politische Tatsa-
KPD
Aufruf der KPD mokratisierung Deutschlands, die Sache mokratischen Regimes, einer parlamen-
der bürgerlich-demokratischen Umbil- tarisch-demokratischen Republik mit
Schaffendes Volk in Stadt und Land! Män- dung, die 1848 begonnen wurde, zu Ende zu allen demokratischen Rechten und Frei-
ner und Frauen! Deutsche Jugend! führen, die feudalen Überreste völlig zu heiten für das Volk.
Wohin wir blicken, Ruinen, Schutt und beseitigen und den reaktionären altpreu- An der gegenwärtigen historischen
Asche. Unsere Städte sind zerstört, weite ßischen Militarismus mit allen seinen Wende rufen wir Kommunisten alle
ehemals fruchtbare Gebiete verwüstet und ökonomischen und politischen Ablegern Werktätigen, alle demokratischen und
verlassen. Die Wirtschaft ist desorgani- zu vernichten. fortschrittlichen Kräfte des Volkes zu
siert und völlig gelähmt. Millionen und Wir sind der Auffassung, daß der Weg, diesem großen Kampf für die demokrati-
aber Millionen Menschenopfer hat der Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwin- sche Erneuerung Deutschlands, für
Krieg verschlungen, den das Hitlerregime gen, falsch wäre, denn dieser Weg ent- die Wiedergeburt unseres Landes auf.
verschuldete. Millionen wurden in tiefste spricht nicht den gegenwärtigen Entwick-
Not und größtes Elend gestoßen. [...] lungsbedingungen in Deutschland. Aufruf des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei
Deutschlands an das deutsche Volk zum Aufbau eines
Nicht nur der Schutt der zerstörten Städ- Wir sind vielmehr der Auffassung, daß antifaschistisch-demokratischen Deutschlands vom 11. Juni 1945.
te, auch der reaktionäre Schutt aus der die entscheidenden Interessen des deut- In: Deutsche Volkszeitung vom 13. Juni 1945.
Vergangenheit muß gründlich hinwegge- schen Volkes in der gegenwärtigen Lage In: Matthias Judt (Hg.), DDR-Geschichte in Dokumenten (bpb-
räumt werden. [...] für Deutschland einen anderen Weg Schriftenreihe Bd. 350), Bonn 2010, S. 45
Mit der Vernichtung des Hitlerismus vorschreiben, und zwar den Weg der Auf-
gilt es gleichzeitig, die Sache der De- richtung eines antifaschistischen, de-
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sich weiterhin an dem Konzept der „Volksfront“ der kom-
munistischen Weltbewegung aus, stand in enger Verbin-
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dung zur sowjetischen Führung und wurde entsprechend
instruiert.
Die Führung der Partei lag in den Händen des Sekretariats
des Zentralkomitees der KPD. Das Sekretariat umfasste nach
der Rückkehr Wilhelm Piecks aus dem Moskauer Exil nach Funktionäre der KPD/SED: Wilhelm Walter Ulbricht (1893-1973) ...
Deutschland am 1. Juli folgende Personen: Wilhelm Pieck, Pieck (1876-1960),
Walter Ulbricht, Franz Dahlem und Anton Ackermann. Die
KPD verfügte 1945 als einzige Partei über eine gesamtdeut-
sche Organisation mit einem kontinuierlich arbeitenden
Führungsgremium in Berlin. Sie hatte über ihre früheren
Hochburgen in den Bezirken Berlin-Brandenburg und Halle-
Merseburg hinaus mitgliederstarke Organisationen und im
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Vergleich zu anderen Parteien stabile hauptamtliche Appa-
rate in ganz Deutschland aufbauen können. Ab dem Sommer
1945 gewann die Partei in der SBZ vor allem durch die Auf-
nahme bisher politisch nicht organisierter Antifaschisten
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rasch neue Mitglieder. Nachdem bis Dezember 1945 auch in
den westlichen Besatzungszonen Parteien zugelassen wur-
den – am 27. August in der amerikanischen, am 14. September ... Franz Dahlem (1892-1981) und Anton Ackermann (1905-1973)
in der britischen und am 13. Dezember 1945 in der französi-
schen Zone – erzielte die KPD auch hier einen beträchtlichen
Mitgliederzuwachs.
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Bundesregierung
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Gründungsväter der Ost-CDU: Jakob und Ernst Lemmer (1898-1970) Wilhelm Külz (1875-1948), Mitbegrün-
Kaiser (1888-1961) der und Erster Vorsitzender der LDP
www.zoonar.de / Peter Probst
www.zoonar.de / Peter Probst
ullstein bild – Probst
Die neu gegründeten Massenorganisationen vertreten bestimmte Bevölkerungsgruppen, binden sie aber gleichzeitig ins politische System ein.
Embleme des „Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes“, der „Freien Deutschen Jugend“ und des „Demokratischen Frauenbundes Deutschlands“
sich jedoch schnell, dass mit der Gründung des Blocks die der historischen Spaltung der Arbeiterbewegung zunächst
politischen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt waren. groß. Mit dieser Sehnsucht nach einer wiedervereinigten
Willkürliche Eingriffe, wie zum Beispiel die Absetzung von Arbeiterbewegung verbanden sich jedoch unterschiedliche
Führungspersönlichkeiten, machten zudem rasch deutlich, in Vorstellungen. Viele Sozialdemokraten hatten das Bild der
welchem Maße sich die SMAD in die inneren Angelegenhei- Sozialdemokratie des ausgehenden 19. Jahrhunderts vor Au-
ten der Parteien einmischte. gen – ungeteilt, stark und der Demokratie verpflichtet. Die
Kommunisten sahen die Kommunistische Partei der Sowjet-
union als leuchtendes Vorbild. Sie war in ihren Augen die
Gewerkschaft und Massenorganisationen einzige politische Kraft auf der Welt, die den Kapitalismus,
den sie für den Wegbereiter des Nationalsozialismus hielten,
Bereits am 14. Juni 1945 traf sich in Berlin ein „Vorbereiten- gestürzt und eine neue gesellschaftliche Ordnung errichtet
der Gewerkschaftsausschuß“, aus dem im Februar 1946 der hatte. Somit war bei aller Sympathie für eine Einheitspartei
„Freie Deutsche Gewerkschaftsbund“ (FDGB) als Einheitsge- eine politische Trennlinie zwischen beiden Lagern deutlich
werkschaft hervorging. Die darin vertretenen Industriege- sichtbar.
werkschaften (IG) bildeten unter dem Dachverband FDGB Ohne den Massenzulauf, den sie im Osten nach ihrer Wie-
(unselbstständige) Untergliederungen. Parallel zu den IG glie- dergründung im Juni 1945 verzeichnete, wäre die SPD für die
derte sich der FDGB in Bezirks-, Stadt- und Kreisverbände mit KPD kein ernsthafter Konkurrent im Kampf um das Macht-
entsprechenden Leitungen. Der alle vier Jahre einzuberufende monopol in der sowjetischen Zone gewesen. Doch obwohl
FDGB-Kongress wählte einen Bundesvorstand. Formell sicher- die Besatzungsmacht der KPD jede nur erdenkliche materielle
te die Einheitsgewerkschaft (gewerkschaftliche) Mitwirkungs- Unterstützung zukommen ließ, entwickelte sich die SPD mit
rechte der Arbeiter und Angestellten im Betrieb, praktisch ent- ihren über 400 000 Mitgliedern zum Jahresende 1945 zur mit-
wickelte er sich jedoch zu einer wichtigen politischen Säule im gliederstärksten Partei im Osten. Eine starke Sozialdemokra-
Herrschaftssystem der SED. tie, noch dazu mit einem starken Partner im Westen, stand der
Zugleich entstanden mit dem „Kulturbund zur demokra- Übertragung des sowjetischen Gesellschaftsmodells im Wege.
tischen Erneuerung Deutschlands“, der „Freien Deutschen So gab es für Kommunisten und sowjetische Besatzer nur ei-
Jugend“ (FDJ) sowie dem „Demokratischen Frauenbund nen Weg: die SPD politisch zu vereinnahmen.
Deutschlands“ (DFD) Massenorganisationen, die als Inte- Die Einheitseuphorie in der Sozialdemokratie im Frühjahr
ressenvertretungen bestimmter Bevölkerungsgruppen in Er- 1945 war am Ende des Jahres bereits verflogen. Zwischenzeit-
scheinung treten sollten, aber vornehmlich die Aufgabe hat- lich hatten die meisten Sozialdemokraten erkannt, wie sehr
ten, sie weitestgehend in das politische System einzubinden. die KPD von Moskauer Direktiven abhängig war und wie stark
Ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten gingen nicht über den die Kommunisten durch die Militäradministration privilegiert
unmittelbaren lokalen Bereich hinaus. wurden. So konnte die Gründung der SED nur durch eine all-
umfassende propagandistische Kampagne der KPD, in der die
Gegner der Einheitspartei als „Feinde der Arbeiterklasse“ dif-
Gründung der SED famiert wurden, sowie durch die Anwendung physischer und
psychischer Gewalt sowjetischer Besatzungsoffiziere gegen
Die Gründung der SED im April 1946 war eine wichtige poli- einheitsunwillige Sozialdemokraten vollzogen werden. Erich
tische Weichenstellung im Ostteil Deutschlands, bei der die Gniffke, der im Auftrag der Berliner Führung die Stimmungsla-
dortige SPD in das politische Räderwerk sowohl der sowjeti- ge an den Parteibasis erkundete, zeichnete am 10. Februar 1946
schen Besatzungsmacht als auch der deutschen Kommunis- in einem Schreiben an Otto Grotewohl ein deprimierendes Bild
ten geriet. über die Vorgänge in den Parteibezirken. Überall, so vermerkte
Im Frühjahr 1945 hatte zunächst der erklärte Wille ge- er in seiner Mitteilung, würden die Genossen von den sowjeti-
herrscht, zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten ein schen Kommandanten aus ihren Ämtern gedrängt, wenn sie
neues Verhältnis zu finden, das sich deutlich von der schar- sich gegen eine sofortige Verschmelzung der Parteien stellten.
fen Konfrontation der Weimarer Zeit abheben sollte. Auch in Alles in allem kann von demokratischer Willensbildung wäh-
der Sozialdemokratie war die Bereitschaft zur Überwindung rend der Gründungsphase der Partei nicht einmal im Ansatz
Grundsätze und Ziele der SED die Menschheit in das Reich der Freiheit ihrer Mitglieder, der demokratischen Wahl
und des allgemeinen Wohlergehens ein. aller Parteileitungen und der Bindung
Die Sozialistische Einheitspartei Deutsch- Die grundlegende Voraussetzung zur aller Mitglieder, Abgeordneten, Beauftrag-
lands kämpft für die Verwandlung des Errichtung der sozialistischen Gesell- ten und Leitungen der Partei an die demo-
kapitalistischen Eigentums an den Pro- schaftsordnung ist die Eroberung der po- kratisch gefaßten Beschlüsse. [...]
duktionsmitteln in gesellschaftliches litischen Macht durch die Arbeiterklasse. Die Sozialistische Einheitspartei
Eigentum, für die Verwandlung der kapi- Dabei verbündet sie sich mit den übrigen Deutschlands kämpft als unabhängige
talistischen Warenproduktion in eine Werktätigen. Partei in ihrem Lande für die wahren
sozialistische, für und durch die Gesell- Die Sozialistische Einheitspartei nationalen Interessen ihres Volkes. Als
schaft betriebene Produktion. In der Deutschlands kämpft um diesen neuen deutsche sozialistische Partei ist sie
bürgerlichen Gesellschaft ist die Arbeiter- Staat auf dem Boden der demokra- die fortschrittlichste und beste nationale
klasse die ausgebeutete und unterdrückte tischen Republik. [...] Kraft, die mit aller Kraft, die mit aller
Klasse. Sie kann sich von Ausbeutung und Die Sozialistische Einheitspartei Energie gegen alle partikularistischen
Unterdrückung nur befreien, indem sie Deutschlands kann ihren Kampf nur Tendenzen für die wirtschaftliche,
zugleich die ganze Gesellschaft für immer erfolgreich führen, wenn sie die bes- kulturelle und politische Einheit Deutsch-
von Ausbeutung und Unterdrückung ten und fortgeschrittensten Kräfte der lands eintritt. [...]
befreit und die sozialistische Gesellschaft Werktätigen vereint und durch die
errichtet. Der Sozialismus sichert allen Vertretung ihrer Interessen zur Partei Protokoll des Vereinigungsparteitages der SPD und KPD am
21. und 22. April 1946 in der Staatsoper zu Berlin. Berlin (Ost) 1946,
Nationen, allen Menschen die freie Aus- des schaffenden Volkes wird. S. 172-180.
übung ihrer Rechte und die Entfaltung ihrer Diese Kampforganisation beruht In: Hermann Weber (Hg.), Kleine Geschichte der DDR, Köln 1980,
Fähigkeiten. Erst mit dem Sozialismus tritt auf dem demokratischen Beschlußrecht S. 34 f.
für Einheit und gerechten Frieden“ ausgesprochen, der am Ergebnisse der Wahlen zu den Landtagen am
6./7. Dezember 1947 in Berlin stattfand, weil er ihrer Meinung 20. Oktober 1946
nach keinen wirklichen gesamtdeutschen und überparteili- Angaben in Prozent
chen Charakter tragen würde. Unter dem nachfolgenden Par-
teivorsitzenden Otto Nuschke verlor die CDU zunehmend die Bran- Mecklen- Sachsen Sachsen- Thürin- SBZ
ihr verbliebene Eigenständigkeit und jegliches politisches den- burg- Anhalt gen
Profil. burg Vorpom-
Bis zum Ende der 1940er Jahre bildete sich so das für die mern
Herrschaftssicherung der SED charakteristische politische SED 43,9 49,5 49,1 45,8 49,3 47,6
System heraus, in dem die nichtkommunistischen Parteien
gemeinsam mit den Massenorganisationen vor allem als LDP 20,6 12,5 24,7 29,9 28,5 24,6
„Transmissionsriemen“ der SED-Politik wirkten. Damit nä-
herte sich das Parteiensystem in der Funktionsweise einem CDU 30,6 34,1 23,3 21,8 18,9 24,5
kommunistischen Einparteiensystem an, obgleich die nicht-
VdgB 4,9 3,9 1,7 2,5 3,3 2,9
kommunistischen Parteien weiterhin existierten.
Martin Broszat / Hermann Weber (Hg.), SBZ-Handbuch, München 1990, S. 396
Als Fazit des Wahlausgangs vom Oktober 1946 ließ sich die
Wandlungen in der ostdeutschen Nach- SED-Führung nie wieder auf eine demokratische Wahl ein. Ab
kriegsgesellschaft 1950 stand nur noch die Einheitsliste der „Nationalen Front“
zur Abstimmung, welche die wirkliche Stimmungslage in der
Bevölkerung jedoch nicht annähernd widerspiegelte.
Deutsche Verwaltungen
Bodenreform
Im Juli 1945 setzte die SMAD Landesverwaltungen für die Län-
der Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern so- Unter der Losung „Junkerland in Bauernhand“ rief die KPD am
wie Provinzialverwaltungen für die Provinzen Brandenburg 8. September 1945 zu einer Aufteilung des Großgrundbesitzes
und Sachsen-Anhalt ein. An der Spitze der Landesverwaltun- auf. Man wollte erreichen, dass die Besitzer mit ihrem Land
gen standen parteilose, sozialdemokratische bzw. liberalde- auch den damit verbundenen politischen Einfluss verloren.
mokratische Präsidenten. Die KPD sicherte sich den alleinigen Die Details und Modalitäten der Bodenreform gab Stalin der
Einfluss auf die innere Sicherheit, da sie sämtliche 1. Vizepräsi- KPD-Führung in Besprechungen in Moskau vor.
denten stellte, in deren Kompetenz u.a. die Polizei fiel. Darüber
hinaus ließ die sowjetische Besatzungsmacht „deutsche Zen-
tralverwaltungen“ für wichtige Sachgebiete (u. a. für Industrie,
Landwirtschaft, Volksbildung, Finanzen, Arbeit und Sozialfür-
sorge) errichten, die jedoch keine Gesetze und Verordnungen
erlassen durften. Sie arbeiteten auf ihrem Tätigkeitsfeld an
der Umsetzung entsprechender SMAD-Befehle. Erst im Fe-
bruar 1948 wurde den ostdeutschen Verwaltungen das Recht
zugestanden, Verfügungen und Instruktionen für die SBZ ver-
bindlich zu beschließen.
Reguläre Landesregierungen gingen aus den Landtagswah-
len am 20. Oktober 1946 hervor, an denen auch die Vereinigung
der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) als bäuerliche Massen-
organisation und Interessenvertreterin der Klein- und Mittel-
bauern teilnehmen durfte. Im Durchschnitt lag die SED auf die
gesamte SBZ bezogen bei 47,6 Prozent der Stimmen und zog
damit zwar als wählerstärkste Partei in die Landtage ein. Ob-
gleich örtliche Dienststellen der Besatzungsmacht CDU und
LDP vielfach behindert und die SED massiv begünstigt hatten,
war es der Einheitspartei aber nicht gelungen, in einem Land
die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu erhal-
ten – insgesamt besaßen die bürgerlichen Parteien CDU und
LDP mehr Stimmen als die SED. Sie benötigte als Mehrheitsbe-
schafferin die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe, die
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Durch entsprechende Verordnungen der Landes- und Pro- ren 35 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche – kamen
vinzialverwaltungen wurden rund 7000 Besitzer von Län- in einen Bodenfonds, aus dem Landarbeiter, Vertriebene und
dereien mit über 100 Hektar entschädigungslos enteignet. Kleinbauern etwa 20 Hektar Land zur Bewirtschaftung zuge-
Betroffen war vor allem der Nordosten der SBZ (Mecklen- teilt bekamen. Die Mehrzahl der neuen Bauern konnte mit
burg-Vorpommern), in dem seit jeher große Güter vorge- dem zugeteilten Land allerdings nicht rentabel wirtschaften,
herrscht hatten. Die konfiszierten 2,5 Millionen Hektar Land weil es zu klein war. Insbesondere aus ihren Reihen kamen
sowie auch der Landbesitz tatsächlicher wie vermeintlicher sehr bald Forderungen, landwirtschaftliche Genossenschaf-
Schlüsselfiguren des NS-Regimes und Staatsgüter – das wa- ten zu bilden.
Bodenreform
... aus Sicht der Betroffenen ... ... aus Sicht der SED ... ... aus Sicht der Neubauern
„Am 24. Juli siedelten meine Frau und Am 23. September findet auf der Wiese In der Bahnhofskneipe [...] trat die Kom-
ich wieder in unser Gut über, wo wir des Gutsparkes von Plänitz im Kreis mission zusammen, die das Gut aufteilen
uns im Inspektorhaus mit den Resten Ruppin der feierliche Auftakt für die sollte. Sie bestand zum Teil aus Leuten
unserer Möbel zwei Zimmer einrich- Verteilung des Junkerlandes statt, das aus dem Ort, die politisch ihr Mäntelchen
teten. Die Feldarbeiten wurden unregel- in der sowjetischen Besatzungszone in den Wind hängten und sich unter
mäßig, wochenlang überhaupt nicht Deutschlands mit den Verordnungen dem neuen Regime Chancen für die eige-
verrichtet, Pferde und totes Inventar fast über die demokratische Bodenreform ne Zukunft ausrechneten. Die haben
restlos gestohlen. Da die Bergung der enteignet wurde. An 60 Bewerber – dann den Bewerbern, also auch mir, die
Ernte auf das höchste gefährdet war, wur- 22 landarme Bauern und Landarbeiter, einzelnen Parzellen zugeteilt. Mehr als
de mir am 14. August vom Landrat un- acht Handwerker, drei neue Siedler neun Hektar durften pro Neubauer nicht
ter den allerschwierigsten Verhältnissen und 13 Umsiedler aus Plänitz sowie verteilt werden. Und die besten Stücke
wieder die Bewirtschaftung übertragen. 14 landarme Bauern und Landarbeiter haben wir natürlich auch nicht bekom-
In einer kommunistischen Versammlung aus Neustadt an der Dosse – werden men. Ich erhielt siebeneinhalb Hektar
im Saale des Gutshauses hielt der Be- die Besitzurkunden überreicht. Die erste Weide und Ackerland, verteilt auf fünf
auftragte der KPD aus P. eine Rede, die Urkunde, und zwar über acht Hektar weit auseinanderliegende Stellen. [...]
mit folgenden denkwürdigen Worten Ackerland und einen Hektar Wiese, Vor der Bodenreform glich auf dem
begann: ‚Seit der Zeit des Großen Kurfürs- kann der Siedler Ernst Paris, Vater von Gut der hohe Ertrag der guten Böden die
ten sind die Gutsbesitzer sämtlich elf Kindern, in Empfang nehmen. niedrigeren Ernten auf den schlech-
Kriegsverbrecher. Daher haben wir ihnen Dem historischen Akt war eine ange- teren Äckern aus. Doch jetzt stand der
die Güter entschädigungslos enteignet.‘ strengte Tätigkeit der Gemeindekommis- Neubauer mit seinem bißchen Land
Nachdem mir noch am 28.9. eine sion für Bodenreform vorangegan- da und mußte sehen, wie er zurechtkam.
Anerkennung wegen Bergung der Ernte gen. Das von ihr aufgeteilte Gut Kränz- Eine unserer Flächen war das übelste
ausgesprochen war, erhielt ich am 29.9. lin II war ein typisches Beispiel der Stück des Gutes. Wir hatten Mühe, mit
den Befehl, mein Gut bis zum Abend zu politischen Notwendigkeit der Liquidie- karger Anspannung den Acker saat-
verlassen. Wir gingen zunächst nach rung des Großgrundbesitzes. Über 300 fertig zu bekommen. [...]
dem nahen G. zu befreundeten Bauern, Hektar, das ist mehr als die Hälfte „Wir konnten nicht frei entscheiden,
wurden aber bereits nach wenigen des zur Gemeinde Plänitz gehörenden was wir anbauen wollten, wofür unsere
Tagen gezwungen, innerhalb 2 Stunden Landes, hatten die Junker von Rathenow Böden am geeignetsten waren. Wir
den Ort zu verlassen. Wir fuhren dann zusammengeraubt. Seit Jahrhunderten mußten Getreide, Raps, Mohn, Zucker-
nach Schwerin, wo wir in dem der Fami- mußte der größte Teil der Einwohner rüben und sogar Tabak anbauen. Zur
lie meiner Frau gehörenden Hause des Ortes als Landarbeiter, Knechte und Feldarbeit hatten wir ein zweijähriges
Unterkunft fanden. Am Dienstag, den Gutshandwerker Frondienste für die Fohlen aus dem Viehbestand des
13. November, erhielten wir aus zuver- „gnädigen“ Herren leisten. Letzter Besitzer alten Guts zugeteilt bekommen, sonst
lässiger Quelle Nachricht von unserer [...] war ein Sturmführer bei Hitlers nichts. Unsere Leistung wurde genau
vor Ende der Woche geplanten Ver- Reiter-SA. kontrolliert.“
haftung und Deportation. Am 14. Novem-
ber verließen wir heimlich Schwerin Gabriel P.: „Die Kraft der Einheitsfront“, in: Neues Deutschland Dieter Zimmer: Auferstanden aus Ruinen. Von der SBZ zur
vom 24. September 1970. DDR, Stuttgart 1989, S. 57.
und trafen nach unendlichen Schwierig-
Beide Texte in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.),
keiten und Anstrengungen am 29. Informationen zur politischen Bildung Nr. 231 „Geschichte der
November in der Westzone ein. Unsere DDR“, Bonn 1991, S. 59 f.
Konturen eines neuen Wirtschaftstyps und Berlin nur schwer wieder in Gang. Besonders problema-
tisch wirkte sich nun die historisch gewachsene Arbeitstei-
Da die Roh- und Grundstofflieferungen aus den westlichen lung aus: Die Industrie Mitteldeutschlands war bis 1945 von
Industrierevieren aufgrund unterbrochener Verkehrswege Rohstoffen (Steinkohle, Eisenerz, Stahl) aus dem Westen bzw.
ausblieben und die kriegszerstörten Industrieanlagen nur Osten abhängig. Während die Metallverarbeitung (Werkzeug-
notdürftig repariert werden konnten, kam das Wirtschaftsle- maschinenbau, Fahrzeugindustrie) sowie die Leichtindustrie
ben in den von der weiterverarbeitenden Industrie geprägten (Textilindustrie, Feinmechanik/Optik) einen hoch entwickel-
Wirtschaftszentren in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen ten Stand besaßen, war die Schwerindustrie nur schwach ent-
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Erschwerter Wirtschaftsaufbau: Die SBZ/DDR muss ungleich mehr Reparationen leisten und De-
montagen erdulden als die Westzonen bzw. Westdeutschland. Ein Güterzug mit demontierten und
beschlagnahmten Industriegütern verlässt 1950 die DDR in Richtung Sowjetunion.
Von der SBZ/DDR geleistete Reparationen und Be- von der SED initiierte Kampagne zur Enteignung der beschlag-
satzungskosten von Mai 1945 bis Dezember 1953 nahmten Betriebe verstärkte die Unsicherheit unter privaten
Unternehmern, Gewerbetreibenden und Selbstständigen, die in
Betrag in Millionen großer Zahl in die Westzonen abwanderten.
Art der Reparationsleistung Die Staatsbetriebe bildeten die industrielle Basis für eine neue
US-$ (1938)*
Wirtschaftsordnung nach dem Modell der sowjetischen Plan-
Demontagen 2 436,0 wirtschaft. Die 1948 eingeführten Wirtschaftspläne entsprachen
Lieferungen aus der laufenden Produktion 2 614,3 der kommunistischen Vorstellung von einer stark zentralisier-
ten Wirtschaftslenkung. Der „Zweijahrplan der Volkswirtschaft“
Lieferungen der SAG Wismut 1 584,5 für die Jahre 1949/50 sollte aber nicht nur die Wirtschaft zentral
Rückkauf von SAG-Unternehmen 382,0 lenken, sondern zugleich die Defizite in der Wirtschaftsstruktur,
die durch die zerrissenen traditionellen Wirtschaftsverflechtun-
Illegale Beschlagnahmungen 352,1 gen entstanden waren, durch den Aufbau eigener industrieller
Besatzungsgeld 1 240,0 Kapazitäten ausgleichen.
Außenhandelsverluste der SBZ/DDR 400,0
rasch für machtpolitische Zwecke, indem politische Gegner- KPD-Führung. Die Würdigung derer, die in Deutschland geblie-
schaft zur SED mit dem Etikett „faschistisch“ versehen wurde. ben waren, die in Widerstandsgruppen ihr Leben riskiert und in
Zudem trat die Frage nach den Mitläufern und Nutznießern des Zuchthäusern und Konzentrationslagern gelitten hatten, redu-
NS-Regimes völlig in den Hintergrund. zierte sich auf die rituelle Erwähnung weniger Namen.
Mit den Jahren kam es zu einer immer stärker werdenden
politischen Einengung dessen, was in der DDR unter „Anti-
faschismus“ zu verstehen sei. Während der kommunistische Kultur und Bildung
Widerstand einseitig hervorgehoben wurde, räumte man an-
deren Opfern und Gegnern des NS-Terrors, etwa den rassisch Die sowjetische Militärverwaltung sorgte für eine rasche Wie-
Verfolgten, den „Zeugen Jehovas“ und „Bibelforschern“, den Ho- derbelebung des kulturellen Lebens: Innerhalb weniger Monate
mosexuellen, den Wehrdienstverweigerern und Wehrmachts- öffneten Theater und Opernhäuser in den großen Städten ihre
deserteuren sowie bürgerlich-liberalen Widerstandshaltungen Pforten. Im Mittelpunkt stand dabei die Pflege der deutschen
und -handlungen keinen Platz ein, und schon gar nicht jenen Klassik des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Ganz bewusst suchte
preußisch-konservativen, die zum Attentat vom 20. Juli 1944 ge- die Kulturpolitik der SMAD Anknüpfungspunkte an nationale
führt hatten. Der christliche und auch der sozialdemokratische Traditionen der Deutschen, die als Klammer für ein gesamt-
Widerstand blieben bis auf die wenigen Ausnahmen, in denen deutsches Kulturkonzept dienen konnten. Johann Wolfgang
es zu einer Zusammenarbeit mit Kommunisten gekommen von Goethe, Friedrich Schiller, Johann Gottfried Herder, Johann
war, ausgeblendet. So verengte sich gerade in der Ulbricht-Ära Gottlieb Fichte, Heinrich Heine und Johann Heinrich Pestalozzi
der Widerstandskampf deutscher Kommunisten vornehmlich avancierten zu typischen Vertretern eines humanistischen Kul-
auf Beschlüsse und Handlungen der in die UdSSR emigrierten tur- und Bildungsideals, das die Besatzungsmacht in jeder nur
denkbaren Art förderte.
International geachtete Intellektuelle entschieden sich nach
ihrem Exil für ein neues Wirkungsfeld in Ostdeutschland. Viele
von ihnen strebten wie Anna Seghers nach einer antifaschisti-
schen Alternative im Rahmen einer nichtkapitalistischen Gesell-
schaft. Sie bewegten sich dabei in einem komplizierten Span-
picture-alliance / ZB / Ernst Ludwig Bach
Kulturpolitische Programmatik
Freiheit für Wissenschaft und Kunst be- meinschaft zu reißen, dann soll er das die ihrem Inhalt nach sozialistisch, ihrer
deutet, daß dem Gelehrten und Künstler „gesunde Volksempfinden“ ebenso Form nach realistisch ist. Wir wissen
kein Amt, keine Partei und keine Presse empfindlich spüren wie der Pseudowissen- aber auch, daß diese Kunst erst in einer
dreinzureden hat, solange es um die wis- schaftler, der mit anderen, aber nicht sozialistischen Gesellschaft zur Geltung
senschaftlichen und künstlerischen Be- weniger verwerflichen Mitteln dasselbe kommen kann und selbst dann noch
lange geht. Über dieses Recht soll der Ge- versuchen sollte. Hier sind die Grenzen lange Zeit zu ihrer Entwicklung braucht. In
lehrte und Künstler uneingeschränkt der Freiheit gezogen, über die hinauszu- der Sowjetunion macht diese neue Kunst-
verfügen. Die Freiheit für den Wissen- gehen den Tod aller Freiheit und Demo- richtung eine äußerst verheißungsvolle
schaftler, die Wege der Forschung ein- kratie bedeuten würde. [...] Solche Pseudo- Entwicklung durch, und wir wünschten,
zuschlagen, die er selbst für richtig hält, kunst kann nicht erwarten, daß sie von daß unsere deutschen Künstler recht
die Freiheit für den Künstler, die Gestal- unserem verarmten Volke eine beson- bald die Möglichkeit haben, sich mit ihr
tung der Form zu wählen, die er selbst für dere materielle Förderung erfährt. Denn näher bekanntzumachen.
die einzig künstlerische hält, soll unange- das hieße, die kargen Mittel am falschen
tastet bleiben. [...] Objekt verschwenden [...]. Wir sehen
Wenn dann aber irgendein Pseudo- unsere Aufgabe heute keineswegs darin, Anton Ackermann: Unsere kulturpolitische Sendung. Rede auf
der Ersten Zentralen Kulturkonferenz der KPD, 3. Februar 1946. In:
künstler herkommt, um Zoten über den Partei ausschließlich für die eine oder Neues Deutschland vom 23. April 1948.
Humanismus, die Freiheit und Demo- die andere Kunstrichtung zu ergreifen. In: Matthias Judt (Hg.), DDR-Geschichte in Dokumenten, Bonn
kratie oder über die Idee der Völkerge- Unser Ideal sehen wir in einer Kunst, 2010, S. 316 f.
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Wechsel auf eine vierjährige Oberschule oder eine dreijährige
Berufs- oder Fachschule war möglich.
Lehrkräfte, die in der NSDAP gewesen waren, werden durch im Schnellver-
fahren ausgebildete Neulehrer ersetzt. Eine Neulehrerin mit ihrer Schul-
SED-Schulpolitik klasse in Kahnsdorf bei Borna 1949
[...] In einem gemeinsamen Aufruf von KPD und SPD hieß es im
Oktober 1945: „[...] Alle Bildungsprivilegien einzelner Schichten müssen
fallen. Das Ziel der demokratischen Schulreform ist die Schaffung Der Aufschwung des Kulturlebens konnte die Schattenseiten
eines einheitlichen Schulsystems, in dem die geistigen, moralischen des Besatzungsalltages nur schwer überdecken. Aufgrund
und physischen Fähigkeiten der Jugend allseitig entwickelt, ihr eine der desolaten Versorgungslage gehörten Hamsterfahrten auf
hohe Bildung vermittelt und allen Befähigten ohne Rücksicht
das Land, Schiebereien auf dem Schwarzmarkt und Diebstahl
auf Herkunft, Stellung und Vermögen der Eltern der Weg zu den höchs-
ten Bildungsstätten des Landes frei gemacht wird [...] Der Unterricht zum Alltag. Auch die sowjetische Besatzungspraxis sorgte für
ist Aufgabe des öffentlichen Schulwesens. Darum kann irgendwelchen Probleme: die Demontagen wichtiger Industriebetriebe und
Gemeinschaften oder Privatpersonen die Einrichtung von Privat- Schienenwege sowie die Übergriffe von Angehörigen der Be-
schulen, die den Stoff der allgemeinbildenden Schulen (Volks-, satzungsarmee auf die deutsche Bevölkerung, insbesondere
Mittel-, höhere Schulen) vermitteln, nicht zugestanden werden [...]“. auf Frauen. Verhaftungen und nachfolgende Verurteilungen
In: Hermann Weber (Hg.), Kleine Geschichte der DDR, Köln 1980, S. 29 durch sowjetische Militärtribunale richteten sich nicht nur
gegen aktive Nationalsozialisten und Funktionsträger des NS-
Regimes. In das willkürlich arbeitende Räderwerk der Verfol-
Mit der Absicht, das „bürgerliche Bildungsprivileg“ zu brechen gung gerieten zunehmend Personen, die der Besatzungsmacht
und das Studium der „Arbeiter- und Bauernkinder“ zu fördern, kritisch gegenüberstanden und als Oppositionelle eingestuft
begann im Januar/Februar 1946 der Lehrbetrieb an den Uni- wurden. Für sie richtete die Besatzungsmacht sogenannte
versitäten in Berlin, Rostock, Greifswald, Halle (Saale), Leipzig Speziallager ein, für die auch ehemalige NS-Konzentrationsla-
und Jena. Als besonders effektive Institution, eine neue, eng ger – wie beispielsweise das Lager Buchenwald bei Weimar –
mit der SED verbundenen Führungselite heranzubilden, wirk- genutzt wurden und in denen menschenunwürdige, zum Teil
ten die 1949 an den Universitäten gegründeten Arbeiter- und lebensbedrohliche Bedingungen herrschten. Bis zu ihrer Auf-
Bauernfakultäten (ABF). Sie durchbrachen gezielt die tradier- lösung 1950 dienten diese Speziallager vorwiegend der Siche-
ten Strukturen des deutschen Bildungssystems. rung sowjetischer Machtpolitik in der SBZ.
Terror gegen Sozialdemokraten stand gegenüber taub. Nachdem weitere Russen unter Androhung hoher Strafen
in der SED Verhaftungen bekannt geworden wa- befohlen hatten, diese Falschmeldungen
ren, kam es in den Parteiversammlungen zu bestätigen.
[...] Im Sommer und Herbst 1947 ver- zu Resolutionen und Protestkundge- Nach und nach wurden Einzelheiten
hafteten die Sowjets Tausende von bungen. Die Russen antworteten mit einer über das Schicksal der Verhafteten be-
sozialdemokratischen Funktionären. [...] Unzahl von Falschmeldungen. Im Falle kannt. Die meisten saßen in den Kellern
Hermann Polenz wurde in der Nacht von Hermann Polenz legten sie fingierte großer Kommandanturen in Halle,
herausgetrommelt. Die Russen stellten Briefe vor, die beweisen sollten, er sei mit Leipzig, Dresden, Magdeburg, Görlitz,
seine Wohnung auf den Kopf, durch- einer Freundin in die Westzone übergesie- Bautzen und anderen Städten. Viele
kramten alle Schränke und nahmen delt. In anderen Fällen konstruierten wurden in die Sowjetunion deportiert
unseren Kreisvorsitzenden angeb- sie Belastungsmaterial: die Verhafteten und wegen angeblicher Spionage ge-
lich zu einer Aussprache mit. Als sich seien wegen angeblicher Schieberge- gen die Rote Armee zu langjährigen Frei-
seine Frau am nächsten Tag auf der schäfte, Unterschlagungen und Betrüge- heitsstrafen verurteilt. Erst Jahre
Kommandantur nach ihrem Mann er- reien von deutschen Organen festge- später durften sie schreiben und selbst
kundigte, stellten sich die Russen un- nommen worden. Damit brachten sie Post empfangen. [...]
wissend. Der Ortsvorstand der Partei die Volkspolizei in große Gewissens-
unternahm sofort alles, um die Frei- konflikte; denn die meisten Polizeioffiziere Fritz Schenk, Im Vorzimmer der Diktatur, Köln/Berlin 1962,
lassung oder zumindest eine klare Stel- waren SED-Mitglieder. Sie wurden von S. 20 ff.
lungnahme zu erwirken. Umsonst. ihren Genossen unter Druck gesetzt, bis In: Hermann Weber (Hg.), Kleine Geschichte der DDR, Köln
Die Sowjets stellten sich auch dem Vor- sie schließlich zugaben, daß ihnen die 1980, S. 42
bpk / Bayerische Staatsbibliothek /
Kalter Krieg
Die Entwicklung der SED Partei sein. Die Partei stellt ein Organi- Bekämpfung unerwünschter
zu einer Partei neuen Typus ... sationssystem dar, in dem sich alle Glie- Elemente
der den Beschlüssen unterordnen. Nur
1. Die großen Aufgaben, die vor dem so kann die Partei die Einheit des Willens Wer [...] im bezahlten Solde einer fremden
werktätigen Volke Deutschlands stehen, und die Einheit der Aktion der Arbeiter- Macht desorganisiert, wer Diversanten,
machen es erforderlich, das große klasse sichern. [...] Saboteure und Spitzel organisiert, hat sich
historische Versäumnis der deutschen Die marxistisch-leninistische Partei des Anspruchs auf die Menschenrechte
Arbeiterbewegung nachzuholen und beruht auf dem Grundsatz des demo- selbst begeben [sic!]. (Lebhafter Beifall) [...]
die SED zu einer Partei neuen Typus zu kratischen Zentralismus. Dies bedeutet Zu welchen Ergebnissen die Tätigkeit
entwickeln. [...] die strengste Einhaltung des Prinzips dieser Agenten bereits geführt hat, ist bis-
2. Die Kennzeichen einer Partei neuen der Wählbarkeit der Leitungen und Funk- her der Öffentlichkeit noch nicht zusam-
Typus sind: tionäre und der Rechnungslegung der menhängend dargelegt worden. Soviel
Die marxistisch-leninistische Partei ist Gewählten vor den Mitgliedern. Auf dieser muß aber hier dazu gesagt werden,
die bewußte Vorhut der Arbeiterklasse. innerparteilichen Demokratie beruht die daß die konspirative Arbeit dieser Agenten
Das heißt, sie muß eine Arbeiterpartei straffe Parteidisziplin, die dem sozialisti- von der Spionage bis zur Durchführung
sein, die in erster Linie die besten Elemen- schen Bewußtsein der Mitglieder ent- von Brandstiftungen und Bombenatten-
te der Arbeiterklasse in ihren Reihen springt. Die Parteibeschlüsse haben aus- taten geht. Sie umfaßt Sabotagemaß-
zählt, die ständig ihr Klassenbewußtsein nahmslos für alle Parteimitglieder nahmen in Werken aller Art und ist eine
erhöhen. Die Partei kann ihre führen- Gültigkeit, insbesondere auch für die in ständige Quelle übelster Gerüchtema-
de Rolle als Vorhut des Proletariats nur Parlamenten, Regierungen, Verwal- cherei und Beunruhigung. [...] Soweit die
erfüllen, wenn sie die marxistisch- tungsorganen und in den Leitungen der Agententätigkeit aufgespürt werden
leninistische Theorie beherrscht, die ihr Massenorganisationen tätigen Partei- konnte, ist sie zerschlagen, und, Genossen,
die Einsicht in die gesellschaftlichen mitglieder. sie wird in unseren eigenen Reihen, wo
Entwicklungsgesetze vermittelt. Daher Demokratischer Zentralismus bedeutet immer wir sie treffen werden, auch in Zu-
ist die erste Aufgabe zur Entwicklung die Entfaltung der Kritik und Selbstkritik kunft zerschlagen werden. [...] Ihre Ant-
der SED zu einer Partei neuen Typus die in der Partei, die Kontrolle der konsequen- wort auf unsere fortschrittlichen Maßnah-
ideologisch-politische Erziehung der ten Durchführung der Beschlüsse durch men besteht daher in einer Steigerung
Parteimitglieder und besonders der Funk- die Leitungen und die Mitglieder. der Aktivität ihrer Agenten, und so bleiben
tionäre im Geiste des Marxismus-Leni- Die Duldung von Fraktionen und Grup- diese Kreise immer wieder darum be-
nismus. pierungen innerhalb der Partei ist un- müht, das aufgebrochene Netz von Sabo-
Die Rolle der Partei als Vorhut der Ar- vereinbar mit ihrem marxistisch-leninis- teuren und Provokateuren wieder so
beiterklasse wird in der täglichen operati- tischen Charakter. [...] dichtmaschig wie möglich zu machen.
ven Leitung der Parteiarbeit verwirklicht. Die marxistisch-leninistische Partei Unsere Genossen müssen überall die
Sie ermöglicht es, die gesamte Parteiarbeit ist vom Geiste des Internationalis- Augen offenhalten und rücksichtslos da-
auf den Gebieten des Staates, der Wirt- mus durchdrungen. [...] Sie erkennt die zu beitragen, daß den Agenten des
schaft und des Kulturlebens allseitig zu führende Rolle der Sowjetunion und anglo-amerikanischen Imperialismus
leiten. Um dies zu erreichen, ist die Schaf- der KPdSU (B) im Kampfe gegen den das Handwerk gründlich und endgültig
fung einer kollektiven operativen Führung Imperialismus an und erklärt es zur gelegt wird.
der Partei durch die Wahl eines Politi- Pflicht jedes Werktätigen, die sozialisti-
schen Büros (Politbüro) notwendig. sche Sowjetunion mit allen Kräften Otto Grotewohl: Die Politik der Partei und die Entwicklung der
SED zu einer Partei neuen Typus. In: PROTOKOLL 1949,
Die marxistisch-leninistische Partei zu unterstützen. S. 327-397, hier 361 f.
ist die organisierte Vorhut der Arbeiter- Beide Texte in: Matthias Judt (Hg.), DDR-Geschichte in Doku-
Entschließung der Ersten Parteikonferenz: Die nächsten
klasse. Alle Mitglieder müssen unbedingt Aufgaben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. In:
menten, Bonn 2010, S. 46 f. und 484 f.
Mitglied einer der Grundeinheiten der PROTOKOLL 1949, S. 514 – 531
schaftlichen Ordnungsvorstellungen anzupassen. Die SBZ geriet seit dem Scheitern der Londoner Außenministerkonferenz im
in den Sog des Kalten Krieges sowie in das Spannungsfeld der November/Dezember 1947, als es zu keiner Einigung über die
bipolaren Block- bzw. Lagerbildung durch die neuen Supermäch- Durchführung gesamtdeutscher Wahlen gekommen war, einen
te USA und Sowjetunion. kompromisslosen Konfrontationskurs. In den folgenden Jahr-
Seit 1947 griff die Sowjetunion vermehrt in die Innenpolitik zehnten wurden auf beiden Seiten politische, ökonomische und
Polens, Ungarns und der Tschechoslowakei ein. Für die Ameri- militärische Anstrengungen unternommen, um den Einfluss des
kaner verstärkte sich der Eindruck, die Sowjetunion wolle in anderen Lagers weltweit einzudämmen oder zurückzudrängen.
ihrem Einflussgebiet nunmehr kommunistische Systeme nach Während der globalen Konfrontation zwischen der UdSSR
eigenem Vorbild errichten, um ihre Interessensphäre machtpo- und den Westmächten wuchs die machtpolitische Bedeutung
litisch abzusichern. Der aus amerikanischer Sicht als Expansi- Ostdeutschlands als strategisches Vorfeld für die Absicherung
onismus wahrgenommenen Politik Stalins in Osteuropa sollte des sowjetischen Einflusses in Osteuropa. Die sowjetische Füh-
eine Politik der „Eindämmung“ entgegengestellt werden, die in rung ordnete der Sicherung der SED-Machtpositionen deshalb
der nach dem US-amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman einen zentralen Stellenwert zu. Sie drängte nun darauf, die SED
benannten „Truman-Doktrin“ vom Frühjahr 1947 ihren sichtba- in eine Partei nach sowjetischem Vorbild, in eine „Partei neu-
ren Ausdruck fand. Das am 5. Juni 1947 vom amerikanischen Au- en Typus“ umzuwandeln. Das von Lenin entwickelte und von
ßenminister George. C. Marshall vorgeschlagene „Europäische Stalin vollendete autoritäre Parteikonzept betrachteten auch
Wiederaufbauprogramm“ („Marshall-Plan“) sah Hilfsleistun- führende deutsche Kommunisten als Voraussetzung, um die
gen zum Wiederaufbau des kriegsgeschädigten Europa vor, die Schlüsselstellungen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und
auch der Sowjetunion und den Ländern Osteuropas angeboten Kultur zu erobern. So entwickelte sich die SED in den Jahren 1948
wurden. Da die Sowjetunion den Marshall-Plan jedoch als In- und 1949 zu einer straff organisierten Parteiorganisation, in der
strument zur wirtschaftlichen Versklavung und politischen ein extremer Zentralismus und eiserne Disziplin bei der Umset-
Spaltung betrachtete, veranlasste sie die osteuropäischen Län- zung der Parteibeschlüsse herrschten. Die starke Betonung von
der zur Ablehnung. Somit kamen die amerikanischen Kredite Gewalt, Druck und Zwang bei der Unterordnung der Mitglieder
und Warenlieferungen nur noch den Ländern Westeuropas und unter die Beschlüsse der Führung führte dazu, dass innerhalb
den Westzonen Deutschlands zugute. Damit stärkte der „Mar- der SED Kritik an Führungsbeschlüssen nicht mehr möglich war,
shall-Plan“ materiell den Westen und schwächte den kommu- ohne repressive und letztlich auch strafrechtliche Konsequenzen
nistischen Einfluss in Westeuropa. fürchten zu müssen.
Das seither vorherrschende Lagerdenken wirkte sich beson-
ders in den Verhandlungen der Siegermächte über die „deutsche
Frage“ aus. Die Sowjetunion wollte sie vor allem als Druckmittel Das SED-Parteilied von 1950
gegen den weiteren Zusammenschluss der westlichen Mäch- Sie hat uns alles gegeben.
te nutzen. Die ehemals verbündeten Siegermächte beschritten Sonne und Wind. Und sie geizte nie.
Wo sie war, war das Leben.
Was wir sind, sind wir durch sie.
Der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow verlässt am 16. De- Sie hat uns niemals verlassen.
zember 1947 die Londoner Außenministerkonferenz. Die Zeichen deuten Fror auch die Welt, uns war warm.
auf Konfrontation und zwei deutsche Staaten hin. Uns schützte die Mutter der Massen,
Uns trägt ihr mächtiger Arm.
Die Partei,
Die Partei, die hat immer recht!
Und, Genossen, es bleibe dabei;
Denn wer kämpft für das Recht,
Der hat immer recht
Gegen Lüge und Ausbeuterei.
Wer das Leben beleidigt,
Ist dumm oder schlecht.
Wer die Menschheit verteidigt,
Hat immer recht.
So, aus Leninschem Geist,
Wächst, von Stalin geschweißt,
Die Partei – die Partei – die Partei.
[...]
Andreas Malycha
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ven Mitteln bekämpft.
Am 7. Oktober 1949 konstituiert sich der im Mai 1949 gewählte Volksrat zur
„provisorischen Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik“
und nimmt die Verfassung an – die Geburtsstunde der DDR.
Nach dem endgültigen Scheitern deutschlandpolitischer Über- Deutschen Volksrat mit 330 Mitgliedern, die ausnahmslos aus
einkünfte zwischen der Sowjetunion und den Westmächten der sowjetischen Zone stammten. 120 Mitglieder des Volks-
bestand im Frühjahr 1949 für die SED-Führung keine Notwen- rates gehörten den Blockparteien an, 173 hatten einen SED-
digkeit mehr zu außenpolitischen Rücksichtnahmen, um die Hintergrund. Mit dem am 30. Mai 1949 verkündeten „Entwurf
Bildung des ostdeutschen Teilstaates zum Abschluss zu brin- einer Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik“
gen. Doch blieb die politische Legitimation der SED in diesem wurde der verfassungsrechtliche Rahmen der künftigen Teil-
Staat ein erkennbarer Schwachpunkt. Angesichts schwinden- republik abgesteckt.
der Folgebereitschaft in der Bevölkerung und selbst in der Mitte September 1949 traf eine SED-Delegation in Moskau
eigenen Partei war an einen offenen Parteienwettbewerb im ein, um die konkreten Schritte zur Gründung der DDR zu be-
Rahmen regulärer Wahlen nicht zu denken. Um dem gesam- sprechen. Am 7. Oktober 1949 trat der Deutsche Volksrat zu-
ten Vorgang der ostdeutschen Staatsgründung eine formale sammen. Seine 330 Mitglieder konstituierten sich zur „pro-
demokratische Legitimation zu verschaffen, schlug die SED visorischen Volkskammer der Deutschen Demokratischen
Delegiertenwahlen für einen „Deutschen Volkskongreß“ auf Republik“. In ihr stellte die SED mit 96 Abgeordneten die
der Basis von Einheitslisten vor, die auch Gewerkschaften und stärkste Fraktion. Die Wahlen zur Volkskammer wurden um
Massenorganisationen einbezogen. Die anderen Parteien ak- ein Jahr, auf den Oktober 1950 verschoben. Diese Frist sollte
zeptierten diesen Abstimmungsvorgang unter der Bedingung, der SED-Führung ermöglichen, die anderen Parteien zur Zu-
dass bei den anstehenden Kommunal- und Landtagswahlen stimmung zu den Einheitslisten zu bewegen. Am 11. Oktober
wieder getrennte Wahlvorschläge der einzelnen Parteien zur wählte die provisorische Volkskammer Wilhelm Pieck zum
Anwendung kommen würden. Staatspräsidenten. Mit der Regierungsbildung wurde Otto
Am 15. und 16. Mai 1949 fanden in der sowjetischen Zone die Grotewohl beauftragt.
Wahlen zu einem „Deutschen Volkskongreß“ statt. Bei einer Am 12. Oktober stellte Ministerpräsident Otto Grotewohl
Wahlbeteiligung von 94,1 Prozent befürworteten nach offizi- sein Kabinett vor. Otto Nuschke (CDU), Walter Kastner (LDP)
ellen Angaben 66,1 Prozent der Abstimmenden die Einheits- und Walter Ulbricht (SED) wurden als stellvertretende Minis-
liste von SED, CDU, LDP, NDPD, DBD, FDGB und zehn anderen terpräsidenten bestätigt. Von den 18 Mitgliedern der ersten
Organisationen sowie Einzelkandidaten. Dieses Resultat war DDR-Regierung gehörten acht der SED, vier der CDU, drei der
nur durch starke Manipulation erreicht worden, indem etli- LDP, einer der NDPD, einer der DBD und ein Parteiloser an.
che ungültige, aber auch Nein-Stimmen in positive verwan- Die Volkskammer erklärte als Akt der Staatsgründung am
delt wurden. Dem Deutschen Volkskongress gehörten auch 7. Oktober 1949 die „Verfassung der Deutschen Demokratischen
Abgesandte aus Westdeutschland an, die dort nicht gewählt, Republik“ zu geltendem Recht. Statt Gewaltenteilung, wie für
sondern größtenteils von der KPD nach Ost-Berlin delegiert ein demokratisches Staatswesen üblich, war Gewaltenkonzen-
worden waren. Am 29. Mai 1949 wählte der Kongress einen tration vorgesehen. Die Verfassung definierte zwar die Volkskam-
Einheitsliste für die Volks- Für die Volkskammer wird an der im […] In der Sitzung des Demokratischen
kammerwahl im Oktober 1950 Artikel 52 der Verfassung der Deutschen Blocks bestand restlos Einmütigkeit
Demokratischen Republik festgesetzten darüber, daß es gilt, die Wahlen vom
Der Demokratische Block, die Einheits- Abgeordnetenzahl von 400 Mitgliedern 15. Oktober zu einer wirkungsvollen
front der antifaschistisch-demokratischen festgehalten. Sie verteilen sich in dem und würdigen Manifestation der deut-
Parteien, trat am Donnerstag, 6. Juli, vereinbarten gemeinsamen Wahlvorschlag schen Einheit und zu einem leiden-
unter dem Vorsitz von Otto Nuschke zu prozentual wie folgt: schaftlichen Bekenntnis zum Kampfe
einer Sitzung zusammen, um zu den für den Frieden zu gestalten.
Wahlvorbereitungen für den Großwahl- SED 25,0 vH FDJ 5,0 vH Berlin, den 7. Juli 1950
tag am 15. Oktober dieses Jahres Stellung CDU 15,0 vH DFD 3,7 vH
zu nehmen. […] [D]er Demokratische Block LDP 15,0 vH VVN 3,7 vH Leidenschaftliches Bekenntnis für Einheit und Frieden. Einmü-
tiger Beschluss des Demokratischen Blocks zur Oktoberwahl.
[hat] einmütig die Vorschläge der Par- NDPD 7,5 vH Kulturbund 5,0 vH In: Neues Deutschland vom 8. Juli 1950.
teiführer für die Wahlen am 15. Oktober DBD 7,5 vH VdgB 1,3 vH In: Matthias Judt (Hg.), DDR-Geschichte in Dokumenten, Bonn
gebilligt. FDGB 10,0 vH Genossenschaften 1,3 vH 2010, S. 63 f.
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Auflösung der Länder Mit allen Mitteln geht die SED gegen echte und vermeintliche Gegner vor.
Hilde Benjamin, 1949 bis 1953 Vizepräsidentin des Obersten Gerichts der
Am 23. Juli 1952 verabschiedete die Volkskammer das „Gesetz DDR, verhört 1952 den Abteilungsleiter eines Schwermaschinenbaus unter
über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Ar- dem Vorwurf von Werkspionage.
beitsweise der staatlichen Organe“ der DDR. Das zunächst
harmlos klingende Gesetz begründete eine bis 1990 gelten-
de administrativ-territoriale Neugliederung der DDR. Mit der Der „Klassenkampf“ von oben
Auflösung der Länder zerschlug die DDR-Führung auch die
letzten Reste föderalistischer Traditionen und schränkte die Unmittelbar nach der Gründung der DDR ging die SED-Führung
demokratischen Möglichkeiten stark ein. An die Stelle der bis- dazu über, ihre Herrschaft in Staat und Gesellschaft zu festigen
herigen fünf Länder traten nun 14 Bezirke. Ost-Berlin hatte als und auszubauen. Die gesellschaftspolitischen Wandlungen, die
DDR-Hauptstadt einen herausgehobenen Status, zählte aber seit 1945 in Angriff genommen worden waren, wurden zielstre-
de facto als 15. Bezirk. Die Anzahl der Kreise wuchs von 132 auf big weitergeführt. Um die anvisierten gesellschaftspolitischen
217. Der Rat des Bezirkes und der Bezirkstag traten an die Stel- Ziele zu erreichen, galt es, politische Gegnerschaft auszuschalten.
le von Landesregierung und Landtag. An der Spitze der neu- Die theoretische Grundlage dazu lieferte Stalins Fiktion über die
en Verwaltungseinheit stand der Vorsitzende des Rates des angeblich gesetzmäßige Verschärfung des Klassenkampfes zwi-
Bezirkes, der sich auf einen starken hauptamtlichen Apparat schen alten und neuen Machthabern in der sogenannten Über-
stützen konnte. Als die eigentliche Machtzentrale in den neu- gangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus. Sie rechtfer-
en Bezirken traten die jeweiligen Bezirksleitungen der SED in tigte die ständige Suche nach Feinden in den eigenen Reihen
Erscheinung, deren 1. Sekretär über eine herausgehobene Po- und die Ausschaltung unliebsamer Konkurrenten im Kampf um
sition verfügte. die Macht bis in die Führungszirkel der Partei hinein.
Junge Widerständler in Altenburg hinter ihm 14 weitere Angeklagte, Propaganda und 20 Jahren Arbeits-
darunter drei Frauen, allesamt mit kurz lager wegen Bildung einer illegalen Grup-
Es war schon nach Mitternacht, als es an geschorenen Haaren. […] Alle waren pe. Am Ende wurde die Haftstrafe auf
der Tür schellte. Die Tasche stand bereit. dem sowjetischen Militär überstellt wor- 25 Jahre festgelegt. […]
Er wollte fliehen. Doch Jörn-Ulrich Brödel den. Allen wurden antisowjetische „Die drei zum Tode Verurteilten haben
zögerte zu lange. Mehrere Stasi-Mitar- Verbrechen vorgeworfen, und die end- wir nie wieder gesprochen oder gesehen. Sie
beiter und Volkspolizisten standen vor sei- losen nächtlichen Verhöre hatten wurden sofort abgeführt.“ […] „Nie-
ner Wohnung im thüringischen Alten- ihren Widerstand gebrochen. Sie ge- mand hatte mit der Todesstrafe gerech-
burg. Sie kamen in Zivil, und sie kamen, um standen auch Taten, die sie nie begangen net.“ Was die Schüler nicht wussten:
ihn abzuholen. Es war der 25. März 1950, hatten. Stalin hatte die Todesstrafe 1947 zwar
ein Samstag. Am Vortag hatten sie Brödels Der Geheimprozess vor dem sowjeti- abgeschafft, aber 1950 wieder einge-
Freund Ulf Uhlig festgenommen. Ihr An- schen Militärtribunal 48 240 dauerte führt. [...] Rund 1000 Deutsche wurden
griff auf Stalin lag drei Monate zurück. Zu sechs Tage. Verteidiger sah die Willkürjus- zwischen 1950 und 1953 von den
viert hatten sie einen Radiosender ge- tiz nicht vor. Brödel ist heute überzeugt: Sowjets in der DDR zum Tode verurteilt,
baut und damit die Festansprache zu Eh- Die drei Richter waren nur Zeremonien- in getarnten Eisenbahnwaggons nach
ren des sowjetischen Machthabers meister, die Angeklagten Statisten in Moskau verschleppt und hingerichtet. [...]
gestört. Jetzt sollten Brödel und seine einem fertigen Drehbuch. „Wir saßen von Brödel verbrachte dreieinhalb Jahre
Freunde dafür büßen […]. […] Wer sie Beginn an in exakt der Reihenfolge, in in der Strafvollzugsanstalt Bautzen.
verriet oder wie man ihnen auf die Spur der die Urteile gefällt wurden.“ Die ersten Mehrere Monate nach Stalins Tod wurde
kam, ist bis heute nicht ganz geklärt. drei der 15 wurden zum Tode verurteilt. er vorzeitig entlassen und floh über das
Ein halbes Jahr danach, Anfang Sep- […] Brödel war der Sechste auf der Bank. Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde in
tember 1950, saß Brödel auf einer An- Auch er fürchtete den Tod. Doch die den Westen. […]
klagebank des Landgerichts Weimar. An Richter […] verurteilten Brödel zu 25 Jahren Nicholas Brautlecht, „Eisern gegen Stalin“, in: Frankfurter Rund-
der Wand ein Stalin-Bild, neben und Arbeitslager wegen antisowjetischer schau vom 15. Juni 2011
Die SED folgte dieser Theorie mit einer geradezu manischen gegründeten Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sowie
Suche nach Parteifeinden, Saboteuren und „Agenten des Im- der politischen Justiz ausgingen. In enger Zusammenarbeit
perialismus“, die Generalsekretär Walter Ulbricht nicht nur mit den Staatsanwaltschaften operierte das MfS außerhalb
außerhalb, sondern auch innerhalb der Partei vermutete. rechtsstaatlich gesicherter Normen, um die innere Lage der
„Parteisäuberungen“ wurden ein ständiger Bestandteil des DDR mit repressiven Mitteln zu überwachen.
innerparteilichen Lebens. Andererseits litten besonders CDU Immer öfter wurden die Gefahren beschworen, die angeb-
und LDP sowie die Kirchengemeinden unter massiven Repres- lich von „kapitalistischen Elementen“ für den gesellschaftli-
sionen, die von staatlichen Organen wie der Polizei, dem 1950 chen Fortschritt ausgehen würden. Der staatliche Sektor der
„Schädlingsarbeit“ ter zu festigen. Es muss erreicht werden, und parteifremder Elemente die Partei
daß sie mit dem Volk fest verbunden gefestigt hat. […]
Die anglo-amerikanischen Agenten und sind, auf die Signale der Werktätigen ach- Schädlingsarbeit auf dem Gebiet der
andere Verbrecher schrecken vor Diversions- ten, sich in ihrer gesamten Tätigkeit auf Ideologie ist in gewissem Sinne gefähr-
akten, Brandstiftungen, Eisenbahn- das Volk stützen und sich dem Volke ver- licher als auf dem Gebiete der Wirtschaft.
attentaten und Sabotageakten gegen antwortlich fühlen. […] Durch sie wird versucht, die Partei vom
unsere Volkswirtschaft nicht zurück. Gleichzeitig wurden aus der Partei richtigen marxistisch-leninistischen Wege
Die Regierung unserer Republik beantwor- viele Karrieristen, zersetzte und kor- abzubringen, ihr fremde Ansichten und
tete diese feindlichen Anschläge mit der rumpierte Elemente, die um ihrer per- Weltanschauungen aufzuzwingen.
Schaffung des Ministeriums für Staats- sönlichen Vorteile willen in die Par-
sicherheit, das berufen ist, die Schädlinge, tei gekommen waren, und auch feind- Wilhelm Pieck: Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der
Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. In: PROTOKOLL 1951,
Saboteure und Attentäter, alle Feinde liche Agenten ausgeschlossen, die S. 57. [Rede am 20. Juli 1950 auf dem III. SED-Parteitag]
unserer Republik zu fassen und unschäd- von imperialistischen Spionagediensten In: Matthias Judt (Hg.), DDR-Geschichte in Dokumenten, Bonn
lich zu machen. (Beifall.) […] in unsere Reihen geschickt worden 2010, S. 486
Unsere Volkspolizei, die Organe der waren. Es versteht sich von selbst, dass
Staatssicherheit und der Justiz sind wei- die Vertreibung feindlicher Spione
„Irrwege“ moderner ... und Maßnahmen zu ihrer der Arbeit der Theater, der staatlichen
Kunst ... Bekämpfung Einrichtungen für Musik, Tanz und
Gesang, der Institute der bildenden Kunst
[…] Die formalistischen Künstler wollen Die Hauptursache für das Zurückbleiben und der Kunsthoch- und -fachschulen
die Forderung, daß Form und Inhalt in der Kunst hinter den Forderungen sein wird. […]
einander entsprechen müssen, nicht gel- der Epoche ergibt sich aus der Herrschaft h) Durch das Studium des Marxismus-
ten lassen. Sie stellen die Form, die Far- des Formalismus in der Kunst sowie Leninismus – der Wissenschaft von den
be, das Licht usw. in den Vordergrund und aus Unklarheiten über Weg und Methoden Entwicklungsgesetzen in Natur und
halten diese für die „Hauptperson“ des Kunstschaffenden in der Deutschen Gesellschaft – wird es den Kunstschaffen-
im Bilde des Malers. Dadurch verarmt Demokratischen Republik. […] Das wichtigs- den am besten möglich, das Leben in
die Kunst aufs äußerste. Sie wird inhalt- te Merkmal des Formalismus besteht in seiner Aufwärtsentwicklung richtig dar-
los, leer, ideenlos und vom Standpunkt der dem Bestreben, unter dem Vorwand oder zustellen. Da die aktive Teilnahme der
Gesellschaft aus unnütz. […] auch der irrigen Absicht, etwas „voll- Künstler am politischen Leben und am
Wenn die Malerei aufhört, die Wirk- kommen Neues“ zu entwickeln, den völ- demokratischen Neuaufbau, z.B. an
lichkeit darzustellen, und der Maler an ligen Bruch mit dem klassischen der Arbeit der Friedenskomitees, der Aus-
Stelle von Menschen stereometrische Kulturerbe zu vollziehen. Das führt zu schüsse der Nationalen Front des
Figuren, Linien, Punkte und anderen Un- Entwurzelung der nationalen Kultur, demokratischen Deutschland, an den
sinn in Würfelform zeichnet, dann ist das zur Zerstörung des Nationalbewusstseins, gesellschaftlichen Organisationen,
das Ende der Malerei. […] fördert den Kosmopolitismus und be- und die enge, unmittelbare Verbindung
Entartung und Zersetzung sind charak- deutet damit eine direkte Unterstützung mit den Aktivisten, Arbeitern und An-
teristisch für eine ins Grab steigende der Kriegspolitik des amerikanischen gehörigen der Intelligenz in den volksei-
Gesellschaft. Für eine aufsteigende Klas- Imperialismus. […] genen Betrieben, MAS und VEG usw.
se, die vertrauensvoll in die Zukunft Um auf dem Gebiet der Kunst weiter die Voraussetzung für eine erfolgreiche
blickt, sind Optimismus und das Streben vorwärtszukommen, hält das Zentral- Gestaltung von Gegenwartsproblemen
charakteristisch, die inneren Kräfte, komitee der Sozialistischen Einheitspartei ist, muß durch die Leitung der Verbände
den Adel, und die Schönheit einer neu Deutschlands folgende Maßnahmen für die Teilnahme der Kunstschaffenden an
entstehenden Gesellschaftsordnung, erforderlich: dieser Arbeit planmäßig organisiert werden.
die neuen Beziehungen zwischen den a) Das Zentralkomitee der Sozialisti-
Menschen und den neuen Menschen schen Einheitspartei hält die Zeit für Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für
eine fortschrittliche deutsche Kultur. Entschließung des ZK der SED
selbst darzustellen. […] gekommen, die Staatliche Kommission auf der 5. Tagung vom 15.-17. März 1951. In: LAUTER 1951, S. 148-167.
Wirtschaft sollte in kürzester Zeit auf Kosten der privaten Be- fiel selbst eine von der AdK präsentierte Ernst-Barlach-Aus-
triebe ausgebaut werden. Walter Ulbricht kündigte wieder- stellung zum Opfer, weil die Werke des Bildhauers nach Mei-
holt in seinen Reden an, die „kapitalistischen Elemente“ zu nung der SED-Kunstexperten einen „düsteren, bedrückenden,
beschränken, den „Widerstand der gestürzten und enteigne- pessimistischen Charakter“ besäßen und die davon ausgehen-
ten Großkapitalisten und Großagrarier“ zu brechen sowie ihre de Wirkung der Bevölkerung nicht zugemutet werden könne.
vermeintlichen „Versuche, die Macht des Kapitals wiederher- Vergleichbare Attacken gab es auch gegen Schriftsteller, Kom-
zustellen“, zu liquidieren. ponisten, Maler und Theaterregisseure. Betroffen war u.a. der
Komponist der DDR-Nationalhymne und Nationalpreisträ-
ger Hanns Eisler, dessen Entwürfe zu seiner Oper „Johannes
Kulturpolitische Offensiven Faustus“ einer vernichtenden Kritik unterzogen wurden. Als
wirksames Kontollinstrument entstand am 31. August 1951
Der verschärfte „Klassenkampf“ betraf auch den Bereich die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten. Nach
von Kunst und Kultur. Mit staatlichen Sanktionen sollte eine dem Aufstand vom 17. Juni 1953 sah sich die SED-Führung al-
Abkehr vom „westlich-dekadenten Kunstbetrieb“ und die lerdings dazu gezwungen, die besonders häufig kritisierten
Hinwendung zur „parteilichen, volksverbundenen und opti- Zuspitzungen ihrer Kulturpolitik zurückzunehmen. Die Staat-
mistischen Kunst“ erzwungen werden. Literatur, Musik und liche Kommission für Kunstangelegenheiten wurde wieder
Kunst hatten sich nunmehr am „sozialistischen Realismus“ aufgelöst und Anfang 1954 das Ministerium für Kultur einge-
zu orientieren, indem eine eindeutige Parteinahme für das richtet. Erster Kulturminister wurde der Schriftsteller Johan-
ostdeutsche Gesellschaftssystem künstlerisch zum Ausdruck nes R. Becher.
gebracht werden sollte.
Das Mitte März 1951 tagende 5. Plenum des ZK der SED verab-
schiedete die Entschließung „Der Kampf gegen den Formalis- Marxismus-Leninismus als herrschende Welt-
mus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche anschauung
Kunst“, die sich gegen namhafte Künstler, darunter mehrere
Mitglieder der 1950 gegründeten Akademie der Künste (AdK), Mit der kulturpolitischen Offensive sollte auch der Marxis-
richtete. Der darauf folgenden kulturpolitischen Kampagne mus-Leninismus als herrschende Weltanschauung durch-
gesetzt werden. Er umfasste die von den sogenannten Klas-
sikern (Karl Marx, Friedrich Engels, W. I. Lenin und anfangs
Auch die Kunst hatte sich den Parteivorgaben unterzuordnen. Fenster im
Josef W. Stalin) begründeten weltanschaulichen Lehren und
Staatsratsgebäude Berlin, im Stil des sozialistischen Realismus
trat mit dem Anspruch auf, die menschliche Entwicklung
wissenschaftlich erklären und voraussagen zu können. Die
zum Dogma erhobenen Lehren wiesen der Kommunisti-
schen Partei die „historische Mission“ zu, „Schöpfer“ der
kommunistischen Gesellschaftsformation zu sein, in der die
Menschheit ohne soziale Gegensätze („Klassen“) und frei von
jeglicher Ausbeutung lebt. Als Vorstufe zum Kommunismus
wurde der Sozialismus definiert. In ihm sind zwar die Kapi-
talisten enteignet und die Kommunistische Partei herrscht
uneingeschränkt („Diktatur des Proletariats“), jedoch gibt es
A1PIX / Your_Photo_Today
Die vom 9. bis 12. Juli 1952 tagende zweite Parteikonferenz der
SED erklärte den „Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden
Aufgabe“. Dazu gehörten die ökonomische Entmachtung der
noch bestehenden Privatindustrie, die forcierte Kollektivie-
rung der Landwirtschaft und der Kampf gegen alle politisch-
kulturellen Bereiche, die nicht mit den Dogmen des Marxis-
mus-Leninismus übereinstimmten. Darunter litten vorrangig
bpk / Herbert Hensky
vaten Bauernwirtschaften erreichte im Jahre 1953 eine Höhe, Das SED-Politbüro führte die sich dramatisch mehrenden öko-
die ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit völlig überforder- nomischen Schwierigkeiten auf das Wirken von außen einge-
te. Landwirte, die ihr Ablieferungssoll nicht vollständig erfüll- schleuster Agenten und den Einfluss innerer Feinde zurück. In
ten, wurden zu Geld- oder Haftstrafen verurteilt. Nicht wenige das Visier politischer Anklage gerieten vor allem das Ministerium
wurden zwangsweise enteignet und ihre Höfe den sich neu für Handel und Versorgung sowie verschiedene Staatssekretari-
bildenden Genossenschaften zur Bewirtschaftung übergeben. ate (Energieversorgung und Kohle), in denen nach „Saboteuren“
Die rigide Landwirtschaftspolitik gegen selbstständige Bauern als Verursacher der Wirtschafts- und Versorgungskrise gesucht
zielte darauf, das private Eigentum an den Produktionsmitteln wurde. Im Dezember 1952 wurde der liberaldemokratische Mi-
und dem Boden abzuschaffen. Sie bewirkte, dass viele betrof- nister für Handel und Versorgung, Karl Hamann, unter dem Vor-
fene Bauern in die Bundesrepublik abwanderten. wurf verhaftet, die Versorgung der Bevölkerung systematisch sa-
Das rigide Vorgehen von Polizei und Justiz gegen angeblich botiert zu haben. Er wurde im Juli 1954 zu zehn Jahren Zuchthaus
oder tatsächlich verübte Wirtschaftsverbrechen prägte auch verurteilt. Mit Schauprozessen heizte die SED-Führung den selbst
die innenpolitische Atmosphäre. Die Strafverfolgung bei Ver- erklärten „Klassenkampf“ an, um auf diese Weise ihre eigene Po-
stößen gegen das geltende Wirtschaftsrecht erfuhr eine wei- litik und deren theoretische Untermauerung zu rechtfertigen.
tere Verschärfung durch das im September 1952 verabschiede- Der „Aufbau des Sozialismus“ und der „Klassenkampf von
te „Gesetz zum Schutz des Volkseigentums“ sowie durch eine oben“ verstärkten die Massenflucht. Im Jahre 1952 verließen
neue Strafprozessordnung. Bereits für geringe Vergehen wie rund 232 100 Menschen die DDR in Richtung Bundesrepublik;
Diebstahl oder Unterschlagungen von geringfügigem Wert ihre Zahl stieg im Folgejahr auf insgesamt circa 408 100. In inter-
wurden langjährige Zuchthausstrafen verhängt. Bis Ende nen Berichten war von 120 000 Flüchtlingen in den ersten vier
März 1953 wurden über 10 000 Personen auf der Grundlage Monaten des Jahres 1953 die Rede. Darunter befanden sich auch
derartiger Verfehlungen gerichtlich belangt. Die Zahl der sich 2718 SED-Mitglieder, was für die Parteiführung alarmierend sein
in Haftanstalten der DDR befindlichen Personen stieg im Zeit- musste. (Zahlenangaben nach: Ilko-Sascha Kowalczuk u. a. (Hg.),
raum von Mitte 1952 bis Mitte 1953 von 30 000 auf 61 000. Der Tag x – 17. Juni 1953, Berlin 1995)
Der „Neue Kurs“ Ministerrates der DDR, die eine Erhöhung der Arbeitsnorm in
allen Betrieben der volkseigenen Industrie um durchschnitt-
Die Reichweite der aufbrechenden Herrschaftskrise in der lich zehn Prozent zum Inhalt hatte, wurde nicht zurückge-
DDR ließ die Parteispitze trotz vorliegender Informationen nommen. Das bedeutete eine reale Lohnsenkung von 25 bis
zunächst unbeeindruckt. Vor allem schenkte die politische 30 Prozent. Als Termin für das Inkrafttreten der administrativ
Führung den sozialen Spannungen und Konflikten unter den verordneten Normerhöhung wurde der 30. Juni, der Tag des
Arbeitern kaum Beachtung. Der im Februar 1953 verkündete 60. Geburtstages von Walter Ulbricht, festgesetzt. Die Arbei-
„Feldzug für strengste Sparsamkeit“ mutete ihnen eine Kür- ter empfanden diese Terminsetzung als beißenden Hohn. Sie
zung von Lohnzuschlägen sowie Rückstufungen in niedrigere sahen sich durch den „Neuen Kurs“ keineswegs entlastet, son-
Lohngruppen zu. Eine pauschale Erhöhung der Arbeitsnormen dern sollten im Gegenteil die Hauptlasten der wirtschaftlichen
im Mai 1953 sollte faktisch zu niedrigeren Löhnen führen. Krise tragen. Als am 16. Juni 1953 die Gewerkschaftszeitung
Im Juni 1953 leitete die SED-Führung unter dem Stichwort „Tribüne“ verkündete, dass die Beschlüsse über die Erhöhung
„Neuer Kurs“ schließlich zaghafte Korrekturen ihrer Politik ein, der Arbeitsnormen „in vollem Umfang richtig“ seien und auf-
die ihr am 2. Juni 1953 von der sowjetischen Führung auferlegt rechterhalten bleiben würden, brachte diese Mitteilung das
worden waren. Nach dem Tod Stalins am 5. März 1953 sorgten Fass zum Überlaufen.
sich dessen Nachfolger um die rapide abnehmende politische
Stabilität der DDR, die Unzufriedenheit und die Flucht der Be-
völkerung. Zur Besserung der Lage schlugen sie vor, von der Der Aufstand am 17. Juni 1953
„Forcierung des Aufbaus des Sozialismus“ Abstand zu nehmen.
So war dann im Kommuniqué des SED-Politbüros vom 9. Juni An der Berliner Stalinallee legten die Bauarbeiter die Arbeit nie-
1953 zu lesen, dass man „in der Vergangenheit eine Reihe von der. Am 16. Juni formierte sich ein Demonstrationszug in Rich-
Fehlern“ begangen hätte. Erwähnt wurden die vorgenomme- tung Stadtzentrum, um beim Ministerrat die Herabsetzung der
nen Änderungen der Lebensmittelkartenzuteilung, die Über- Normen zu fordern. Vor dem „Haus der Ministerien“ gab Indus-
nahme enteigneter oder verlassener bäuerlicher Betriebe, die trieminister Fritz Selbmann bekannt, dass der Normenbeschluss
rigide Eintreibung des landwirtschaftlichen Abgabesolls, die vom 28. Mai zurückgenommen sei, ehe er von den aufgebrach-
Methoden der Steuererhebung sowie die Maßregelungen von ten Demonstranten am Weiterreden gehindert wurde. Andere
Mitgliedern der Jungen Gemeinde. Das Politbüro versprach, die SED-Spitzenfunktionäre hatten gar nicht erst den Mut aufge-
in diesen Bereichen begangenen „Fehler“ alsbald zu korrigieren. bracht, beschwichtigend vor die Menge zu treten. Die Rück-
Ebenso wurde in Aussicht gestellt, die „Lebenshaltung“ aller so- nahme der Normerhöhung konnte die Protestbewegung nicht
zialen Gruppen zu verbessern. mehr stoppen. Nunmehr wurden Forderungen nach Rücktritt
Ein entscheidendes Problem klammerte der „Neue Kurs“ der Regierung sowie freien Wahlen erhoben. Aus dem Protest-
jedoch aus: Die Belastungen der Industriearbeiter fanden kei- marsch erwuchs ein Aufstand, der in den darauffolgenden Ta-
ne Erwähnung. Die am 28. Mai 1953 erlassene Verfügung des gen nahezu alle Bevölkerungsschichten erfasste.
Am 17. Juni 1953 hatten sich die Demonstrationen weit über Die SED-Führung sah letztlich keinen anderen Ausweg, als das
Ost-Berlin hinaus ausgeweitet. In mehr als 560 Orten wur- sowjetische Militär zu Hilfe zu rufen. Um die Mittagsstunde
de an diesem und den darauffolgenden Tagen gestreikt, de- des 17. Juni verhängte der sowjetische Militärkommandant
monstriert, oder es wurden die örtlichen Machtzentralen von Ost-Berlin den Ausnahmezustand in der Stadt. In fast
gestürmt. Auf Belegschaftsversammlungen diskutierte man allen Bezirkshauptstädten herrschte Kriegsrecht, es wurde
heftig, spontan wurden Betriebsräte, Streikkomitees und Be- nacheinander auf 51 Kreisstädte, ganze Bezirke und Landkrei-
legschafts-Ausschüsse gewählt. Alles, was sich bisher ange- se ausgedehnt. Der Aufstand konnte nur mit militärischer
staut hatte und nie offen in Versammlungen ausgesprochen Gewalt niedergeschlagen werden. Er verdeutlichte, dass die
worden war, brach sich jetzt Bahn. Die stärkste Streikbewe- Präsenz sowjetischer Truppen in der DDR für den Machterhalt
gung gab es in den Industriezentren Halle, Merseburg und der SED unverzichtbar war.
Magdeburg sowie im Industriebezirk Leipzig und in Ost-Ber- Nach bekanntem Muster sprach die SED-Führung die Schuld
liner Betrieben. Am 17. Juni 1953 geriet das Herrschaftssystem für den Aufstand „feindlichen Agenten und Provokateuren“
der SED das erste Mal an den Rand des Zusammenbruchs. zu. Die offiziellen DDR-Medien behaupteten, es habe ein „fa-
Unmut über wachsende Belastungen führt zum Volksaufstand am 17. Juni Die SED ruft die Sowjetmacht zu Hilfe, die den Aufstand mit Panzereinsatz
1953. Erste Demonstrationszüge bilden sich in Berlin. beendet. Vergebliche Gegenwehr am Leipziger Platz in Ost-Berlin
bpk / Wolfgang Albrecht
akg-images
Arbeitsniederlegung in der Die Bauarbeiter von der Staatsoper Die Volkserhebung am 17. Juni
Stalin-Allee nahmen wir mit. Vor der Linden-
Universität riefen wir: „Studenten reiht Am Morgen des 17. Juni stand Ostberlin,
Bericht des Zeitzeugen Horst Schlaffke, euch ein. Unterstützt die Arbeiter.“ stand die DDR im Zeichen der Volkserhe-
der als Maschinist in Block C-Süd der Einige Studenten […] traten in unseren bung.
Stalin-Allee arbeitete. Zug ein. In der Nähe der Wilhelmstraße Es kam zu tumultartigen Szenen in den
Etwa um 9.15 Uhr [am Morgen des fuhr direkt vor unserem Zug ein roter Straßen Ostberlins. Ich sah, wie Funktio-
16. Juni – Anm.d.Red.] hörte ich meine BMW bzw. EMW, wie es in der Sowjetzone närsautos umgeworfen, Transparente und
Kollegen rufen: „Schaut mal auf die jetzt heißt. Zwei Funktionäre stiegen Losungen, auch Parteiabzeichen abgeris-
Straße!“ Draußen kamen die Bauarbei- aus und redeten auf uns ein. Sie liefen sen und verbrannt wurden.[...]
ter von Block 40 und trugen voran Gefahr, überrannt zu werden, und Als ich morgens zu dem mir zugeteilten
ein Transparent, auf welchem stand: nun stiegen sie aufs Dach ihres Autos volkseigenen Großbetrieb Bergmann-
„Wir fordern Herabsetzung der Nor- und gestikulierten wild. „Macht Borsig in Berlin-Wilhelmsruh kam, wurde
men“. Überall hieß es auf dem Bau: keinen Unsinn!“ riefen sie. „Marschiert dort keine Hand gerührt. Die Arbeiter
„Kommt, kommt, laßt alles stehen nicht in die Westsektoren. Vermeidet diskutierten am Arbeitsplatz und führten
und liegen.“ Mindestens 90 % von unse- unnötiges Blutvergießen.“ „Wollt in den Hallen kleine Versammlungen
rem Bau marschierten mit. Wir gin- ihr denn auf uns schießen?“ fragten wir. durch. Vertrauensleute nahmen von Ab-
gen zunächst in einer großen kreisför- „Wenn ihr rüberkommt, dann schießen teilung zu Abteilung miteinander Ver-
migen Bewegung an allen Baustellen die auf euch“, sagte einer. Wir brüllten bindung auf, um eine Versammlung der
vorbei. „Berliner, reiht euch ein, wir wol- vor Lachen und gaben dem großen gesamten Belegschaft herbeizuführen.
len keine Sklaven sein!“ riefen wir Zuge bekannt, was sich vorne abgespielt Vor kurzem war hier ein sogenanntes Kul-
nach allen Seiten. hatte. Alles lachte. Die Funktionäre turhaus mit einem riesigen Saal fer-
Am Alexanderplatz stoppte der wurden von ihrem Wagendach herunter- tiggestellt worden, der allen Belegschafts-
Verkehrspolizist den ganzen Verkehr, gezogen. angehörigen Platz bot. […]
damit unser Zug ungehindert pas- Ilse Spittmann, Karl Wilhelm Fricke (Hg.), 17. Juni 1953,
In diesem Moment, da die Arbeiter
sieren konnte. […] Köln 1982, S. 118 hier in Aktion versammelt waren, so fuhr
schistischer Putschversuch“ mit Hilfe des Westens stattge- wuchs die Kaufkraft der Bevölkerung um mehr als eine halbe
funden. In der Zeit nach dem 17. Juni gingen Polizei und Justiz Milliarde Mark. Es lebte sich wieder leichter in der DDR. Sub-
gegen die Anführer der Demonstrationen und Streiks mit al- tilere Herrschaftsmethoden sollten die Grundstrukturen des
ler Härte vor. Zwischen 8000 und 10 000 Menschen wurden Gesellschaftssystems bewahren.
festgenommen, mindestens 25 hatten ihr Leben verloren. Als weitere Reaktion auf den 17. Juni veranlassten Partei und
Aber auch gegen Kritiker in den eigenen Reihen griff die Regierung eine Neuordnung der militärischen Machtstruktu-
SED-Führung kompromisslos durch. Die Spitzenfunktionäre ren. Seit September 1953 wurden die bewaffneten „Betriebs-
Rudolf Herrnstadt, Chefredakteur der Parteizeitung „Neues kampfgruppen“ personell verstärkt, welche auf Veranlassung
Deutschland“ und zugleich Kandidat des Politbüros, sowie der SED bereits Mitte 1952 als paramilitärische Verbände in
der Chef der Staatssicherheit, Wilhelm Zaisser, hatten intern staatlichen Betrieben und Einrichtungen entstanden waren.
eine partielle Kurskorrektur und moderate Praktiken der Herr- Die Einheiten der Kasernierten Volkspolizei (KVP) formier-
schaftsausübung gefordert. Beide wurden aus der Führung ten sich nun als reguläre Streitkräfte in Form der Nationalen
und der Partei ausgeschlossen. Auch die Parteibasis blieb nicht
verschont: Von Juli 1953 bis März 1954 wurden 23 173 Mitglieder
aus der SED ausgeschlossen, die sich in den Augen der Füh- Als Folge des Juni-Aufstandes verstärkt die SED die militärischen Machtstruk-
rung während der entscheidenden Stunden als wankelmütig turen. Im März 1956 wird schließlich die Nationale Volksarmee gegründet.
Am 30. April 1956 erhält die erste NVA-Einheit ihre Truppenfahne.
und unzuverlässig erwiesen hatten.
Der Schock über die Rebellion der Arbeiter saß tief. Die SED-
Führung sah sich als Folge der offenen Konfrontation zwischen
bpk / Herbert Hensky
Volk und Staatspartei zu Korrekturen ihrer Politik gezwungen,
die bis zum Ende der DDR wirkten. Sozialpolitik entwickelte
sich fortan zu einem prägenden Strukturelement. Im Rahmen
des „Neuen Kurses“ gab es Aufbesserungen für untere Lohn-
gruppen sowie bei Renten. Als Ergebnis von Preissenkungen
es mir durch den Kopf, und nur für die überall wären bereits derartige Streikde- Der Gegner benutzte zur Auslösung
Dauer dieser Aktion, gehört dieser Betrieb monstrationen im Gange. seiner Provokation die Mißstimmung
wahrhaft ihnen. […] Der Demonstrationszug kam nicht weit. einiger Teile der Bevölkerung, die
Das war eine elementare, leidenschaft- Um 13 Uhr war der Ausnahmezustand durch Folgen unserer Politik im letzten
liche Auseinandersetzung, eine histori- eingetreten. General Dibrowa, der sowje- Jahr entstanden waren. […]
sche Abrechnung mit dem SED-Regime. tische Stadtkommandant, hatte ihn Er warf […] seine mit Schwefel-, Phos-
[...] Namen von Arbeitskollegen aus verhängt. Unmittelbar darauf kämmten phor- und Benzinflaschen sowie mit
dem Betrieb wurden genannt, die verhaf- sowjetische Truppen die Straßen durch. Waffen ausgerüsteten Banditenkolonnen
tet, verurteilt, mißhandelt worden wa- Die Bergmann-Borsig-Demonstration über die Sektorengrenzen mit der Auf-
ren, deren Angehörige nichts mehr von wurde aufgelöst, die „Rädelsführer“ – gabe, die Arbeitsniederlegung ehrlicher
ihnen gehört hatten. darunter der sozialdemokratische Vor- Bauarbeiter durch Hetzlosungen in
Es wurde eine Entschließung angenom- sitzende des soeben gewählten Be- eine Demonstration gegen die Regierung
men, die den gewählten Arbeitsaus- triebsausschusses – verhaftet. Welch glor- umzufälschen und dieser Demonstra-
schuß bevollmächtigte, die wirtschaftlichen reiche Aktion der Sowjet(Räte)macht tion durch Brandstiftungen, Plünderun-
und politischen Interessen der Beleg- gegen die Räte. gen und Schießereien den Charakter
schaft zu vertreten und sich mit ähnlichen Heinz Brandt, Ein Traum, der nicht entführbar ist. München 1967, eines Aufruhrs zu geben. […]
Ausschüssen in anderen Betrieben in S. 240 f. So sollte in der Deutschen Demokra-
Verbindung zu setzen. Als politisches In: Hermann Weber (Hg.), Kleine Geschichte der DDR, Köln 1980, S. 69
tischen Republik eine faschistische Macht
Hauptziel wurde die Wiedervereini- errichtet und Deutschland der Weg zur
gung Deutschlands durch freie demokra- Einheit und Frieden verlegt werden.
tische Wahlen gefordert. Der Aufstand aus Sicht der SED
Am Schluß der Versammlung sprang Beschluß des ZK der SED vom 21. Juni 1953: „Über die Lage
ein Arbeiter auf das Podium und for- In West-Berlin wurden […] systematisch und die unmittelbaren Aufgaben der Partei“, Dokumente der
derte die Belegschaft auf, sich mittags Kriegsverbrecher, Militaristen und SED, Bd. IV, S. 436 ff.
In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg,), Informationen
am Betriebstor zu versammeln, um in kriminelle Elemente in Terrororganisati- zur politischen Bildung Nr. 231 „Geschichte der DDR“, Bonn
das Stadtzentrum zu demonstrieren – onen vorbereitet und ausgerüstet. […] 1991, S. 61
Auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 kritisiert Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow in einer „geheimen“ Rede die Politik Stalins
und den Personenkult um ihn. Die Hoffnungen auf ein politisches Umdenken in der DDR scheitern jedoch, da die Herrschenden um ihre Macht fürchten.
Volksarmee (NVA), die offiziell am 1. März 1956 gegründet wur- Kurzes Tauwetter 1956
de. Die allgemeine Wehrpflicht für alle Männer zwischen dem
18. und 50. Lebensjahr wurde im Januar 1962 eingeführt. Drei Jahre nach dem Juni-Aufstand sprach Chruschtschow in
Aber auch in der Bevölkerung hatte der 17. Juni 1953 blei- einer „geheimen“ Rede auf dem XX. Parteitag der KPdSU im
bende Wirkungen ausgelöst. Der Arbeiterschaft blieb wohl Februar 1956 „über den Personenkult und seine Folgen“, über
die Erinnerung an die durchschlagende Wirkung und die „Irrtümer, Fehler und Verbrechen Stalins“, also über dessen ex-
spontane Massensolidarität der Streiks und Demonstrations- zessiven Machtmissbrauch und terroristische Herrschermen-
märsche, das Gefühl, es „denen da oben“ einmal gezeigt zu talität. In seiner Rede fehlte zwar jegliche Systemkritik, es war
haben. Doch vor allem wirkte die Erfahrung, dass der Versuch jedoch zu erwarten, dass sie eine Debatte über die Herrschafts-
einer gewaltsamen Veränderung des politischen Systems praxis der kommunistischen Staatsparteien Osteuropas aus-
unter den bestehenden Machtverhältnissen keine Aussicht lösen würde, denn mit Stalin war dessen wichtigster Träger
auf Erfolg hatte. Desillusionierung und Verbitterung führten demontiert worden.
nicht selten zur Suche nach unpolitischen Nischen. Andere Das politische Tauwetter, das sich danach in der Sowjet-
passten sich dauerhaft an, und es gab auch Fälle gesteigerter union ausbreitete, bot auch in der DDR einigen überzeugten
Loyalität gegenüber Partei und Staat. Sozialisten – wie etwa Wolfgang Harich, Walter Janka, Robert
Nachdem der NATO-Beitritt der Bundesrepublik am 9. Mai Havemann, Gerhard Zwerenz, Erich Loest – die Möglichkeit zur
1955 feierlich vollzogen wurde, unterzeichnete auch die Kritik an der Herrschaftspraxis der SED. Die durch die soge-
DDR am 14. Mai 1955 zusammen mit den anderen osteuro- nannte Abrechnung mit dem Personenkult um Stalin ausge-
päischen Blockstaaten den Warschauer Vertrag als mul- löste Debatte kreiste rasch um die Erneuerung des Sozialismus
tilaterales Bündnis zur Koordinierung ihrer Militär- und überhaupt. Viele Intellektuelle im Umfeld der SED sahen die
Außenpolitik. Die neue sowjetische Führung unter Nikita DDR 1956 am Scheideweg zu einem „menschlichen Sozialis-
Chruschtschow (im Amt seit dem 7. September 1953) betrach- mus“ stehen. Im Mittelpunkt der Reformdebatten standen die
tete die DDR nun nicht mehr als Provisorium im Machtpoker Notwendigkeiten einer Wirtschaftsreform, einer Entbürokra-
ihrer Deutschlandpolitik. Auf der Genfer Gipfelkonferenz im tisierung des Staates sowie die Frage nach der Legitimation
Juli 1955 bezeichneten die USA, die UdSSR, Großbritannien der SED-Herrschaft.
und Frankreich zwar die Wiedervereinigung Deutschlands Mit der Jahreswende 1956/57 endete das politische Tauwet-
auf der Grundlage freier Wahlen als Voraussetzung für eine ter in der DDR. Der Arbeiteraufstand im Juni 1956 in Poznań
politische Entspannung in Europa. Auf praktische Schritte (Polen) sowie der bewaffnete Volksaufstand in Ungarn im Ok-
konnten sich die vier Regierungschefs jedoch nicht einigen. tober/November 1956 hatten den Herrschenden in der DDR
Seitdem sprach die Sowjetunion von der Existenz zweier vor Augen geführt, dass ein Reformprozess in der kommunis-
deutscher Staaten. Dementsprechend schlossen am 20. Sep- tischen Diktatur schnell zur Infragestellung der bestehenden
tember 1955 die DDR und die UdSSR einen Staatsvertrag ab. gesellschaftlichen Ordnung führen konnte. Unter Hinweis auf
Damit wurde zwar der DDR die formal-staatliche Souverä- die „konterrevolutionären“ Ereignisse in Polen und Ungarn
nität zuerkannt und das seit 1945 geltende Besatzungsrecht eröffnete die SED-Führung den Angriff auf jene Intellektuel-
aufgehoben. Doch aufgrund der politischen, ökonomischen len, die größere Diskussionsfreiräume und eine Reform des
und militärischen Abhängigkeiten von der Sowjetunion war Sozialismus gefordert hatten. Das SED-Politbüro bezeichnete
die Souveränität wesentlich eingeschränkt. Ein am 12. März die kritischen Beiträge, die seit dem XX. Parteitag der KPdSU
1957 zwischen beiden Staaten geschlossenes Abkommen re- publiziert wurden, als „modernen Revisionismus“ und sah in
gelte die „zeitweilige Stationierung sowjetischer Streitkräfte ihren Verfassern „Wegbereiter der Konterrevolution“. Die im
auf dem Territorium der DDR“. März und Juli 1957 abgehaltenen Prozesse vor dem Obersten
Gericht der DDR bildeten den Auftakt zu einer Serie von Par- zugewiesen, langfristige Wirtschaftsprogramme auszuarbei-
tei‑ und Gerichtsverfahren gegen jene, die seit dem Sommer ten, die DDR-Ökonomie auf Schwerpunkte der industriellen
1956 für Veränderungen in Partei und Gesellschaft eingetre- Produktion auszurichten, wirtschaftliche Ergebnisse zu be-
ten waren. Eine in ihrer Dimension vergleichbare Diskussion gutachten und über die Zuteilung von Ressourcen (Mittelver-
über die Herrschaftspraxis der SED in der Gesellschaft hat es gabe, Kapazitäten, technische Infrastruktur) zu entscheiden.
bis zum Herbst 1989 nie wieder gegeben. Auf diese Weise wurden staatliche Vorgaben für bestimmte
Zeiträume in ganz konkrete und detaillierte Pläne (Fünfjah-
res- und Jahrespläne) umgesetzt, die für alle Industriebetriebe,
Die Wirtschaft in den 1950er Jahren aber auch für die Landwirtschaft und Wissenschaft verbind-
lich waren.
Am 1. Januar 1954 endeten die Reparationslieferungen an die Die zentral gesteuerte ostdeutsche Wirtschaft wuchs zunächst
Sowjetunion, die bis dahin überwiegend aus Betrieben des rasch. Das durchschnittliche jährliche Wachstum des Bruttosozi-
Maschinen- und Schwermaschinenbaus sowie des Schiffbaus alprodukts fiel mit 5,7 Prozent für den Zeitraum der 1950er Jahre
kamen. Zugleich wurden die Sowjetischen Aktiengesellschaf- nur unwesentlich geringer aus als das in der Bundesrepublik (6,2
ten (SAG), die zuvor ausschließlich für Reparationsleistungen Prozent). Die industrielle Bruttoproduktion konnte in den Jahren
produzierten, in staatliches Eigentum der DDR überführt. Eine 1958 und 1959 sogar um 11 bzw. 13 Prozent gesteigert werden und
Ausnahme blieb die SAG Wismut, die in Thüringen und Sach- übertraf damit die ursprünglichen Planziffern. Der Umfang des
sen Uran abbaute und am 1. Januar 1954 als Sowjetisch-Deut- produzierten Nationaleinkommens wuchs von 1950 bis 1960
sche Aktiengesellschaft (SDAG) neu gegründet wurde. Das auf das 2,5fache. Diese Wachstumsdynamik ging allerdings mit
durch die SDAG Wismut im Erzgebirge sowie in Ostthüringen einer Umstrukturierung der Wirtschaft zugunsten der Metal-
geförderte Uranerz diente als wichtiges Ausgangsmaterial für
Kernkraftwerke zur Energiegewinnung und für den Bau von
Kernwaffen. Die DDR war damals weltweit der drittgrößte
Uranproduzent; die SDAG Wismut genoss daher eine gewisse
Sonderstellung. Bis 1960 kletterte der Anteil des staatlichen
Sektors in der Industrie – gemessen am Bruttosozialprodukt –
auf 89 Prozent. Mit dem uneingeschränkten Zugriff auf die
industriellen Ressourcen begann ein wachsendes Heer von
Funktionären im Partei- und Staatsapparat damit, die Wirt-
schaft und den ordnungspolitischen Strukturwandel strate-
gisch zu planen.
Mit dem ersten Fünfjahrplan für die Jahre von 1951 bis 1955
ging die DDR-Ökonomie endgültig den Weg einer Planwirt-
schaft sowjetischen Typs, bei dem die Produktion und Kon-
sumtion von Gütern sowie Preise und Löhne vollständig von
einer zentralen Instanz festgelegt wurden.
Zur ökonomischen Politik der SED und der Regierung der DDR. Berlin (Ost) 1955, S. 69 f.
In: Hermann Weber (Hg.), Kleine Geschichte der DDR, Köln 1980, S. 61 f.
„Vorwärts zu neuen Erfolgen“ soll der erste Fünfjahrplan von 1951 bis 1955
die Wirtschaft führen, allerdings geht der Weg in eine Planwirtschaft sow-
Die Staatliche Plankommission (SPK) erhielt vom Ministerrat
jetischen Typs. Bevorzugt wird zunächst die Schwerindustrie.
der DDR den Auftrag, die Entwürfe für die Wirtschaftspläne
auszuarbeiten und der Regierung zur Beschlussfassung vorzu-
legen. Sie betrafen auch den gesamten Außenhandel, der sich
vollständig in staatlicher Hand befand. Als ersten Chef der SPK
berief die Volkskammer Heinrich Rau (1950-1952); es folgten
Bruno Leuschner (1952-1961), Erich Apel (1961-1965) und Ger-
hard Schürer (1965-1989). Die SPK bekam ferner die Aufgabe
lurgie und des Schwermaschinenbaus einher. Die knappen Res- 500 000 Wohnungen reichten nicht aus, um den dringenden,
sourcen flossen vorrangig in den Neubau großer Werke in der nachkriegsbedingten Bedarf zu befriedigen.
bislang unterentwickelten Schwerindustrie. Für den Ausbau der Der direkte Vergleich mit dem westdeutschen „Wirtschafts-
Stahlwerke Brandenburg, Hennigsdorf, Riesa, Gröditz und Frei- wunder“ machte die grundlegenden Mängel des planwirt-
tal wurden große Investitionssummen bereitgestellt. Ab 1955 schaftlichen Systems sichtbar: Durch die deutliche Fixierung
verlagerten sich die Investitionen auf die Energieerzeugung, auf die quantitative Erfüllung der Wirtschaftspläne („Tonnen-
den Leichtmaschinenbau und die chemische Industrie. Mit dem ideologie“) geriet die Qualität der Produkte aus dem Blickfeld.
Bau des Braunkohlekombinats „Schwarze Pumpe“ im November Hatte beispielsweise das VEB Werkzeugmaschinenwerk „Fritz
1958 und dem „Chemieprogramm“ nahm die politische Führung Heckert“ in Karl-Marx-Stadt die Auflage bekommen, Dreh-
anspruchsvolle Industrieprojekte in Angriff. Das 1958 verkünde- und Schleifmaschinen in einem mit Tonnen angegebenen
te „Chemieprogramm“ versprach der Bevölkerung „Brot, Wohl- Umfang zu produzieren, so konnte dieser Betrieb diese Aufla-
stand und Schönheit“. Zugleich trieben Partei und Regierung die ge durch die Produktion weniger, aber sehr schwerer Dreh-
möglichst rasche Nutzung der Kernenergie und die Automati- bänke erfüllen. Dagegen hätte eine Auflage in Stückzahlen
sierung in der metallverarbeitenden Industrie voran. dazu führen können, dass dieser Betrieb viele und möglichst
Die Bevölkerung der DDR profitierte vom Wirtschaftsauf- leichte Drehbänke produzierte. Damit ließ sich zwar erfolg-
schwung. Im Laufe der 1950er Jahre gelang es, ihren Lebens- reich ein expansives Wirtschaftswachstum stimulieren.
standard spürbar zu verbessern. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Doch für ein ökonomisch rationales Verhalten unter Beach-
wichtigen Nahrungsmitteln, der 1950 nur ein knappes Drittel tung von Qualität, Produktivität und Rentabilität sowie für
dessen betragen hatte, was 1935/38 verfügbar war (zwei Fünf- ein intensives, ressourcensparendes Wachstum fehlten die
tel bei Fleisch, etwas mehr als die Hälfte bei Nahrungsfetten finanziellen Anreize.
und Zucker), erreichte bzw. übertraf ab Mitte der 1950er Jahre Da die eigene Konsumgüterindustrie bis zuletzt nicht aus-
das Niveau von 1936. Die Abschaffung der Lebensmittelkarten reichend in der Lage war, qualitativ hochwertige, langlebige
1958 führte zu einem sprunghaften Anstieg des Butterver- Gebrauchsgüter bereitzustellen, übte das deutlich sichtbare
brauchs um ein Viertel und übertraf den Vorkriegsverbrauch Anwachsen des Wohlstandes in Westdeutschland und West-
damit um das Anderthalbfache. Auch die Nettogeldeinnah- Berlin im Verlauf der 1950er Jahre eine enorme Sogwirkung
men eines durchschnittlichen Arbeiterhaushaltes verdoppel- auf die ostdeutsche Bevölkerung aus. Das Wohlstandsniveau
ten sich von 1949 bis 1960. Westdeutschlands wurde zum Gradmesser für die Bewertung
Doch gleichzeitig herrschte empfindlicher Mangel an tech- der ostdeutschen Versorgungssituation.
nischen Konsumgütern (Rundfunkempfänger, Haushalts- In den Jahren von 1950 bis 1961 verließen circa 1,3 Millionen
kühlschränke und Waschmaschinen) sowie an modischer Personen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren den SED-Staat
Kleidung und Schuhen, die aufgrund noch offener Grenzen in Richtung Bundesrepublik. Damit verlor Ostdeutschland
im westdeutschen Nachbarland beschafft werden konnten. wichtige Arbeitskräfte. Bis 1957 galt die Übersiedlung in die
Die von 1950 bis 1961 neu gebauten bzw. instandgesetzten Bundesrepublik nicht als illegal. Ab Dezember 1957 wurde die
Im November 1958 wurde das Chemie- sigkeit widerspiegelte das industriepo- „Das Chemieprogramm existiert nach
programm („Chemie gibt Brot, Wohl- litische Dilemma der DDR. Nur ein Teil dem gegenwärtigen Stand der Planung
stand und Schönheit“) verabschiedet. der veralteten Kohleveredlungsanlagen nicht mehr. [...] Wir werden mit ab-
Ziel waren die Verdoppelung der Che- wurde stillgelegt. Erst ab Mitte der soluter Sicherheit zu einem zweitrangi-
mieproduktion bis 1965, wobei die Pro- 1960er Jahre, nach der Fertigstellung gen Chemieland absinken, wenn die
duktion von Kunststoffen und syn- der Erdölpipeline „Freundschaft“, war gegenwärtig geplante Entwicklung bei-
thetischen Fasern noch wesentlich stärker überhaupt ein nennenswerter Rohölim- behalten wird. [...] Selbst wenn wir
wachsen sollte, und der Übergang zur port möglich. Die enorm aufwendigen das im Chemieprogramm der DDR ur-
Petrochemie. Wichtigste Vorhaben waren Versuche, eigene Erdölvorkommen zu sprünglich vorgesehene Tempo der
der Bau der Erdölleitung „Freund- erkunden, scheiterten ebenso wie die Entwicklung beibehalten, würden wir
schaft“ und des Erdölverarbeitungswerks Bemühungen der DDR, mit arabischen 1965 weiter hinter Westdeutschland
Schwedt an der Oder, die Entwicklung Staaten Rohölverträge abzuschließen. zurückliegen als zu Beginn des Chemie-
einer eigenen Technologie zur tieferen Einziger großer Lieferant blieb letzt- programms.“ [...]
Spaltung des Erdöls, der Bau eines lich die Sowjetunion. Die Verfügbarkeit In Osteuropa fand die DDR-Chemie
modernen Produktionskomplexes für von Öl und Gas setzte demnach dem kaum gleichwertige Partner, und in Rich-
die Petrochemie (Leuna II) sowie der Strukturwandel in der chemischen Indus- tung Westen waren ihre Kooperations-
Bau des Chemiefaserwerkes Guben. trie der DDR die entscheidende Grenze. möglichkeiten aus politischen Gründen
Hinter den angepeilten Wachstums- Das Chemieprogramm von 1958 stellte begrenzt. Ein kleines Land wie die DDR
raten bei modernen, auf petrochemi- einen Versuch zum Nachvollzug von konnte jedoch unmöglich alle wichtigen
scher Basis herzustellenden Produkten Innovationen aus eigener Kraft dar. Das chemischen Verfahren und Techno-
trat in der öffentlichen Darstellung weitere Zurückfallen der DDR-Chemie logien aus eigener Kraft entwickeln. [...]
die Kehrseite des Programms zurück. Es sollte gestoppt werden. Doch bereits im
Rainer Karlsch, „Weltniveau“, in: Thomas Großbölting (Hg.),
zielte nämlich auch auf eine Auswei- März 1961 musste die Abteilung Grund- Friedensstaat, Leseland, Sportnation? DDR-Legenden auf dem
tung der Kohlechemie. Diese Zweiglei- stoffindustrie des ZK der SED feststellen: Prüfstand, Berlin 2009, S. 34 f.
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Der Systemwettbewerb mit Westdeutschland beherrscht die Wirtschaftspolitik. Das Motto des V. Parteitages der SED vom
Juli 1958 lautet „Der Sozialismus siegt“. Otto Grotewohl (M.) am Rednerpult in der Werner-Seelenbinder-Halle in Berlin
„Republikflucht“ strafbar. Auch die Kriminalisierung sowie die Kollektivierung in der Landwirtschaft
verstärkte Überwachung, Beobachtung und Kontrolle durch
Polizei und Staatssicherheit konnten die Fluchtbewegung in Die Landwirtschaft war stets das Sorgenkind von Partei und Re-
Richtung Westdeutschland und West-Berlin in den folgenden gierung. Die bäuerliche Welt und ihre Eigenheiten blieben der
Jahren nicht nennenswert aufhalten. SED-Führung fremd. Erfolgreiche bäuerliche Betriebe hatten
kaum Interesse daran, sich in Landwirtschaftlichen Produktions-
genossenschaften (LPG) zusammenzuschließen. Bis 1960 hatten
Der Wettstreit der Systeme sich nur 3,2 Prozent der Einzelbauern entschlossen, einer Genos-
senschaft beizutreten. Nachdem jedoch im September 1959 Par-
Seit dem XX. Parteitag der KPdSU vom Februar 1956 ging die teichef Ulbricht das Ziel proklamierte, den Sozialismus zum Siege
sowjetische Führung von der Möglichkeit aus, durch einen Mo- zu führen, kämpfte die SED-Führung um „sozialistische Produkti-
dernisierungsschub die marktwirtschaftlich hoch entwickelten onsverhältnisse“ auf dem Lande.
Gesellschaften der westlichen Industriestaaten ökonomisch, Im Januar 1960 startete die Parteiführung eine massive Kam-
kulturell und politisch überflügeln und die Überlegenheit des pagne für die Kollektivierung auf dem Lande. Viele Bauern sahen
Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus beweisen zu können. sich vor die Wahl gestellt, „freiwillig“ den Genossenschaften bei-
Die bisherigen Wirtschaftserfolge nährten die Illusion, dass sich zutreten oder in den Westen zu flüchten. Massive Werbung, mi-
die Überlegenheit der zentral gelenkten Planwirtschaft mit Hil- litante Agitation, Repression und Verhaftungen führten zu dem
fe des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) – eine 1949 gewünschten Ergebnis: Bis zum April 1960 trat die Mehrzahl der
gegründete Wirtschaftsgemeinschaft osteuropäischer Staaten bisherigen Einzelbauern den LPGs bei. Die Genossenschaften be-
unter Führung der Sowjetunion – in kurzer Zeit zeigen werde. wirtschafteten knapp 85 Prozent der landwirtschaftlichen Nutz-
Auch die SED-Führung stellte den Systemwettbewerb in den fläche. Hinzu kamen weitere sechs Prozent, die von Volkseigenen
Mittelpunkt ihrer Politik. Der „Sozialismus siegt“ hieß die zen- Gütern (VEG) betrieben wurden. Damit hatten in der Landwirt-
trale Losung des V. Parteitages der SED vom Juli 1958. Parteichef schaft die „sozialistischen Produktionsverhältnisse“ – entspre-
Ulbricht gab dort unter der Formel „Einholen und Überholen“das chend der marxistisch-leninistischen Doktrin – gesiegt.
ökonomische Ziel aus, den Pro-Kopf-Verbrauch der Bundesrepu- Die gewaltsame Kollektivierung trug mit dazu bei, dass der
blik bei allen wichtigen Lebensmitteln und Konsumgütern bis Flüchtlingsstrom nach Westen erneut anschwoll und sich wiede-
1961 auch in der DDR zu erreichen und sogar zu übertreffen. Da- rum die Produktions- und Versorgungsstörungen häuften. Eine
hinter stand die Einsicht, dass nur eine höhere wirtschaftliche verheerende Missernte im Jahre 1961 verschärfte die ohnehin
Leistungsfähigkeit das System nach innen und außen hinrei- schon eingetretene Versorgungskrise. Erst ab 1963/64 konnte
chend attraktiv gestalten, bei der Bevölkerung entsprechende die landwirtschaftliche Produktion durch neue Anbaumethoden
Loyalität gewinnen und die politische und soziale Stabilität in sowie durch erhöhten Einsatz von Chemie und moderner Agrar-
der DDR festigen könnte. Die Abhängigkeit der politischen Le- technik wieder gesteigert werden. Dennoch blieb das staatlich
gitimation vom wirtschaftlichen Erfolg setzte allerdings das gelenkte Agrarsystem in seiner Produktionsleistung – auch in
Herrschaftssystem unter einen Erfolgszwang, der das Risiko den übrigen Ostblockstaaten – immer hinter der Produktivität
vollständigen Scheiterns barg. der Landwirtschaften westlicher Industriestaaten zurück.
Bitterfelder Lesefrucht
„Nehmen wir das Gedicht (‚Neues Fürcht dich nicht in deinen Decken, Sohn spricht. Die Natürlichkeit wird noch
Deutschland‘, Beilage Kunst und Litera- wenn es bumst, erschrick mir nicht! durch das Zitieren von Märchenfiguren
tur vom 5. September 1959) des Wis- Schlafe, Söhnchen, kleiner Wicht! verstärkt, wodurch es eine besondere No-
mutkumpels Reinhard Bernitzke, der te von Volksdichtung erhält. Zugleich
schon lange literarisch schafft und Schlafe, Sohnatsch, Kumpelsohn! werden aber weltpolitische Probleme sicht-
Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Junger Nach der Schicht wird dir dein Lohn, bar: ‚[...] schenken sie dir Glitzerstein‘,
Autoren Karl-Marx-Stadt ist. Vater kommt nach Hause. das klingt spielerisch, ist zugleich aber Aus-
Und die Wanne und die Brause druck für das, was der Wismutkumpel
Schlafe, Söhnchen, schlafe ein, Warten auf uns beide schon. schürft, nämlich Uran – Uran in des Vol-
Kumpelkind, das darf nicht schrein – Schlafe, Sohnatsch, Kumpelsohn! kes Hand, das dem Frieden dient. Da-
Vater schürft im Berge – rum kann das Gedicht diesen ein wenig
Trifft er dort die sieben Zwerge, In diesem Gedicht, das sehr schön in idyllischen, freundlichen Ton haben,
schenken sie dir Glitzerstein. kindgemäßer Sprache gehalten ist und ohne zu verniedlichen. Es ist ein sozialisti-
Schlafe, Söhnchen, schlafe ein! in dem zugleich Dialektausdrücke sches und realistisches Gedicht.“
verwendet werden, kommt die ganze At-
Einheit, H. 2/1960 (Schubbe, S. 612 f.) (der Autor, Willi Lewin,
Schlafe, Söhnchen, kleiner Wicht! mosphäre einer Bergarbeiterfamilie war Mitarbeiter des ZK der SED)
Vater in der Wechselschicht, zum Ausdruck. Man sieht förmlich den In: Manfred Jäger (Hg.), Kultur und Politik in der DDR, Köln
schießt die neuen Strecken. Kumpel, der zu seinem im Bette liegenden 1982, S. 96
Im Laufe des Jahres 1960 häuften sich erneut die Zeichen einer
inneren Krise in der DDR. Die ökonomischen Zielsetzungen
Personelle Zäsuren an der Spitze von Partei und des V. Parteitages von 1958 erwiesen sich als zu hoch gesteckt.
Staat Das selbst erklärte Ziel, die Bundesrepublik im Lebensstandard
und beim Konsum zu übertreffen, konnte nicht mehr aufrecht
Walter Ulbricht konnte im Lauf der 1950er Jahre seine unein- erhalten werden. Nachdem ein bescheidener Aufschwung in
geschränkte Machtposition an der Spitze der SED schrittweise vielen Volkswirtschaftsbereichen erzielt werden konnte, kam
festigen. Die 15. ZK-Tagung wählte ihn im Juli 1953 zum Ersten es 1960 flächendeckend zu erheblichen Einbrüchen bei der
Sekretär des Zentralkomitees; bis dahin hatte er als General- Produktion in Industrie und Landwirtschaft.
sekretär fungiert. Die neue Bezeichnung sollte lediglich die Angesichts der gravierenden Versorgungskrise stieg erneut
dominante Stellung des Parteichefs in der internen Hierarchie die Zahl derjenigen, die die DDR in Richtung Bundesrepublik
der SED verdecken; seine weitreichenden Machtbefugnisse verließen. Im Jahre 1960 waren es rund 200 000 Menschen,
blieben unangetastet. Die Ämter der Parteivorsitzenden, die bis zum ersten Halbjahr des Jahres 1961 103 159. Die DDR verlor
seit 1946 Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl formell innehat- immer mehr junge und hoch qualifizierte Arbeitskräfte. Der
ten, wurden mit dem neuen Parteistatut von 1954 abgeschafft. Mauerbau im August 1961 war der verzweifelte Versuch der
Am Ende der 1950er Jahre gab es zu Ulbricht keine echte per- SED-Führung, den drohenden Kollaps der DDR und die damit
sonelle Konkurrenz mehr. verbundene eigene Machteinbuße zu verhindern. Mit ökonomi-
Präsident und Politbüromitglied Wilhelm Pieck starb am 7. Sep- schen Argumenten versuchte Ulbricht, die sowjetische Führung
tember 1960, nachdem er bereits in den Jahren zuvor kaum von der Notwendigkeit zu überzeugen, die Fluchtbewegung ge-
noch zu politischen Entscheidungen in der SED und der DDR waltsam zu stoppen.
Flüchtlinge aus der DDR und dem ... und im Jahre 1961*
Ostsektor von Berlin* 1949-1960
Jahr/Monat Personen davon: Jugendliche bis Monat Personen davon: Jugendliche bis
unter 25 Jahre in Prozent unter 25 Jahre in Prozent
Öffentlich bemühte sich der SED-Chef, derartige Absichten Planung und Ausführung in die Hände der SED-Führung. Die
zu dementieren, indem er auf einer Pressekonferenz am „offene Grenze“, die aus SED-Sicht die entscheidende Ursache
15. Juni 1961 auf die Frage einer westdeutschen Journalistin für die inneren Stabilitätsprobleme der DDR darstellte, wurde
erklärte: „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen.“ nun gewaltsam geschlossen.
In seiner politischen Propaganda verband Ulbricht die Ab- Die Abriegelung der Grenze zu West-Berlin und West-
riegelung West-Berlins mit der angeheizten Berlin-Krise, die deutschland wurde bereits in den 1950er Jahren zunehmend
durch ein Ultimatum des sowjetischen Parteichefs Nikita militanter organisiert. Seit 1954 existierte auf dem Gebiet
Chruschtschow ausgelöst worden war. In einem Schreiben an der DDR offiziell ein „Sperrgebiet“, das aus einem Kontroll-
die Westmächte vom 27. November 1958 hatte Chruschtschow streifen (10 Meter) unmittelbar entlang der innerdeutschen
verlangt, den Viermächtestatus von Berlin aufzuheben, die Grenze, einem 500 Meter breiten „Schutzstreifen“ sowie
alliierten Truppen aus West-Berlin abzuziehen und West- einer „Sperrzone“ (5 Kilometer) bestand. Bewohner dieser
Berlin den Status einer selbstständigen politischen Einheit – „Sperrzone“ unterlagen einer besonderen Kontrolle; sie wa-
Freien Stadt zu geben. Er räumte dafür eine Zeit von einem ren durch einen Vermerk im Personalausweis zum Betreten
halben Jahr ein, was von den Westmächten als ein Ultima- des „Sperrgebiets“ berechtigt. Besucher benötigten einen
tum interpretiert wurde. Die durch dieses Berlin-Ultimatum Passierschein. Der 500 Meter breite „Schutzstreifen“ wurde
erzwungenen Verhandlungen der Außenminister der vier nach 1961 teilweise vermint und/oder mit Signalzäunen aus-
Großmächte Mitte 1959 in Genf führten zu keiner Einigung. gestattet. Den eigentlichen Grenzzaun baute man nach 1961
Gleichzeitig koppelte die sowjetische Führung die Berlin- zu einem schwer überwindbaren doppelten Stacheldraht-
Frage an ihre Interessen in der Deutschlandpolitik, indem sie zaun aus; an vielen Stellen wurde aber auch eine circa drei
am 10. Januar 1959 einen Entwurf für einen deutschen Frie- Meter hohe Mauer errichtet, wie sie an der Grenze zu West-
densvertrag vorlegte, in dem die Fixierung des Status quo und Berlin typisch gewesen war.
nicht mehr die Einheit Deutschlands im Mittelpunkt stand. Die innerdeutsche Grenze begann im Süden am Dreiländer-
Eine Verständigung zwischen den USA und der Sowjetunion eck Bayern, Sachsen, Böhmen und endete an der Ostsee in der
über die Deutschland- und Berlinproblematik schien in weite Lübecker Bucht. Die Absperranlangen an der Grenze zu West-
Ferne und ein Alleingang der UdSSR in den Bereich des Mög- Berlin und Westdeutschland wurden flächendeckend von
lichen zu rücken. Grenztruppen überwacht sowie von Hundelaufanlagen und
In einer Rundfunk- und Fernsehansprache vom 25. Juli 1961 Selbstschussgeräten perfektioniert. Jeglicher Fluchtversuch
hatte der amerikanische Präsident John F. Kennedy zu verste- war mit dem Risiko verbunden, von Grenzsoldaten erschossen
hen gegeben, dass die USA lediglich bereit seien, ihre Schutz- zu werden. Fast 700 Menschen kamen bis 1989 an der inner-
machtfunktion in West-Berlin auszuüben, gegen Aktionen auf deutschen Grenze zu Tode. Die Grenztruppen gehörten von
dem Territorium Ost-Berlins und der DDR jedoch nichts un- 1961 bis 1973 als „Kommando Grenze“ zur Nationalen Volks-
ternehmen würden. Das bewog den sowjetischen Parteichef armee (NVA). Im Ergebnis der Konferenz über Sicherheit und
Chruschtschow am 1. August 1961 in Moskau dem Drängen Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki und des damit
Ulbrichts nachzugeben, die Fluchtwelle durch die Abriegelung verbundenen Abrüstungsprozesses wurden sie ab 1973 for-
der Grenze zu West-Berlin und Westdeutschland zu stoppen. mell als selbstständige Organisation ausgegliedert, um nicht
Ulbricht erhielt auch die Vollmacht, den Zeitplan zum Mauer- zur Truppenstärke des Landes gezählt zu werden. Trotzdem
bau zu bestimmen. Kurz darauf stimmten auch die Mitglieder blieben die Grenztruppen der DDR, der in den 1980er Jahren
des Warschauer Paktes dem Mauerbau zu und legten dessen circa 40 000 Wehpflichtige sowie Berufssoldaten angehörten,
Die gravierende Versorgungskrise 1960 veranlasst viele Menschen zur Am 13. August 1961 riegelt die DDR-Regierung die Grenze zum Westen zu-
Flucht in den Westen. Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde nächst mit Stacheldraht ab. Volkspolizisten an der Bernauer Straße
Bundesregierung – Siegmann
ullstein bild – Georgi(L)
als eigenständige Waffengattung direkt dem Ministerium für in Ost-Berlin das tägliche Leben erträglicher gemacht hatten.
Nationale Verteidigung unterstellt. Ost-Berliner konnten jetzt nicht mehr im Westteil der Stadt
Der Mauerbau bedeutete für große Teile der Bevölkerung mit DDR-Geld Westzeitungen und -zeitschriften kaufen sowie
einen erheblichen Einschnitt in ihre Lebensumstände. Die die Theater und Kinos besuchen. Die westdeutsche Konsum-
Trennung der Familien stand dabei unbestritten an erster welt ließ sich jetzt nur noch im Werbefernsehen bewundern.
Stelle. Das Ende der offenen Grenze bedeutete aber auch das Zum Verbleib in der DDR gezwungen, mussten sich die Men-
Ende von Freiheiten und Annehmlichkeiten, die insbesondere schen mehr denn je mit dem System arrangieren.
Kontrollstelle Heiligen-
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Berlin
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Heerstraße/
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Deutschland Grenzverlauf
Anfangs kann die Absperrung noch überwunden werden. Das Bild des
19-jährigen Volkspolizisten Conrad Schumann, der am 15. August 1961
nach West-Berlin flüchtet, geht um die Welt.
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1 Mitte 60er Jahre: Plattenbau; Mitte 70er 2 garantierte am „Todesstreifen“ gute Sicht
Jahre: Mauer aus industriell gefertigten für Bewacher
Betonsegmenten 3 - 4 m hoch, 10 cm dick 3 mehrere Drahtreihen unter elektrischer
mit Rohranlage Spannung (optische/akustische Signale bei
ullstein bild – Chronos Media GmbH
Berührung)
picture-alliance / dpa
akg-images / AP
Später wird die Grenze für Hunderte Menschen zur tödlichen Falle: Einer Der Mauerbau bedeutet für viele Familien die schmerzhafte Trennung
von ihnen ist der 18-jährige Peter Fechter, der am 17. August 1962 in der von Angehörigen. Oftmals dauert es Jahre bis sie sich wiedersehen
Nähe der Berliner Friedrichstraße angeschossen wird und anschließend können. Blickkontakt zu Ost-Berliner Verwandten am 1. Oktober 1961 im
zwischen den Fronten verblutet. Berliner Norden
Die politische Führung verband mit dem Mauerbau am 13. konnte sich jetzt der Sozialismus „auf seinen eigenen Grund-
August 1961 die Hoffnung, sich gegenüber der Bevölkerung lagen“ entwickeln – bei geschlossener Grenze, aber nach wie
neue Handlungsspielräume verschaffen zu können, da ihre vor in Konkurrenz zur Bundesrepublik. Die DDR wurde zum
politischen Entscheidungen nicht mehr Abwanderungen zur Laborversuch für ein gigantisches Sozialexperiment, für das
Folge haben würden. Im Selbstverständnis der SED-Führung Versprechen auf eine lichte Zukunft im Kommunismus.
Bis heute spürbar: die Berliner Das ist nicht die Geschichte von unten. Bürger einschließen mußte, war mo-
Mauer Das sagt wenig über die Tragödien ralisch tot. Und der Westen glänzte in
der Teilung, das zersäbelte Berlin, die der Sonne seiner Selbstgerechtigkeit.
„Ich möchte am liebsten wegsein und zerrissenen Familien, die hunderten Leicht wird vergessen, daß es auch Ost-
bleibe am liebsten hier.“ Wolf Biermann Mauertoten, von Günter Litfin (erschos- deutsche gab, die die Mauer begrüßten –
[...] Dies ist die Geschichte von oben, sen am 24. August 1961) bis Chris Künstler, linke Intellektuelle, die keines-
passiert am Sonntag, dem 13. August 1961: Gueffroy (5. Februar 1989). Kein Sterben falls in der oberflächlich entnazifizier-
Um 1.11 Uhr unterbricht der (Ost-)Ber- an der Mauer erschütterte die Welt ten Bundesrepublik zu leben wünschten.
liner Rundfunk seine „Melodien zur Nacht“ wie das des achtzehnjährigen Peter Fech- Die geistige Enge der DDR, den Dog-
für eine Sondermeldung: „Die Regierun- ter, der am 17. August 1962 mit seinem matismus, die Zensur hatte man ihnen
gen der Warschauer Vertragsstaaten wen- Freund nahe dem Checkpoint Charlie die mit der offenen Flanke zum Klassen-
den sich an die Volkskammer und an Grenze überstieg. Der Freund kam feind begründet. Diese Bedrängten at-
die Regierung der DDR mit dem Vorschlag, durch. Fechter, in Brust und Rücken ge- meten am 13. August 1961 auf: Jetzt
an der Westberliner Grenze eine solche schossen, bleib auf der Ostseite, wo er sind wir unter uns, jetzt bricht die sozia-
Ordnung einzuführen, durch die der Wühl- eine Stunde lang um Hilfe rief. Man ließ listische Geistesfreiheit an! Sie merkten
tätigkeit gegen die Länder des sozialisti- ihn verbluten. [...] bald, welcher Illusion sie aufgesessen wa-
schen Lagers zuverlässig der Weg verlegt Die Ostdeutschen flohen in Kofferräu- ren. Kurz nach dem Mauerbau, erinnert
und rings um das ganze Gebiet Westber- men, Kabelrollen, Lautsprecherboxen. sich Stefan Heym, traf ich Otto Gotsche,
lins eine verläßliche Bewachung gewähr- Ein Mini-U-Boot zog 1968 Bernd Böttger Ulbrichts Sekretär. Und der sagte, mit
leistet wird.“ Um 1.05 Uhr verriegeln durch die Ostsee. Per Heißluftballon einem Haß: Jetzt haben wir sie! Der mein-
DDR-Grenzverbände und Kampftruppen schwebten 1979 die Familien Strelzyk und te nicht den Klassenfeind. Der meinte
das Brandenburger Tor. Um 1.54 Uhr Wetzel von Thüringen nach Franken, die Unseren, Künstler des eigenen
wird der erste Ost-West-S-Bahn-Zug ge- Habe und Heimat verlassend auf dem Landes. [...]
stoppt. An den Sektorengrenzen reißt Feuervogel Freiheit, statt weiterzu- Die Mauer stand ja nach Osten. Die
Volkspolizei das Straßenpflaster auf und trotten im Joch der Diktatur. Die Mauer SED mißtraute dem eigenen Volk.
installiert Stacheldraht. Als die Berliner bot dem Westen eine hochpathetische
erwachen, ist ihre Stadt geteilt, und end- Werbewand. Sie offenbarte das Wesen Christoph Dieckmann, Rükwärts immer. Deutsches Erinnern,
gültig auch Deutschland. [...] der Sowjetwelt. Ein Staat, der seine Bonn 2005, S. 141 ff.
Andreas Malycha
Jochen Zick / Keystone
gesellschaftliche System zu stabilisieren. Doch nachhaltige
Erfolge bleiben aus, und auch Lockerungen in der Jugend- und
Kulturpolitik werden rasch zurückgenommen.
In den 1960er Jahren rückt neben dem Maschinenbau die chemische Indus-
trie ins Zentrum der Wirtschaftsförderung. Das 1964 eröffnete Erdölwerk in
Schwedt entwickelt sich zum größten petrochemischen Kombinat der DDR.
Wirtschaftsreformen
Auf dem VI. Parteitag im Januar 1963 wurde das „Neue Öko- (Werkzeugmaschinenbau, Chemieanlagen). Am 1. April 1964
nomische System“ (NÖS) beschlossen, das die Modernisie- nahm in dem kleinen Städtchen Schwedt an der Oder ein neu-
rung der Wirtschaft zum Herzstück von Reformen erhob. Die es Erdölwerk den Betrieb auf, das Rohöl aus der Sowjetunion
staatlichen Betriebe sollten zu gewinnorientiert arbeitenden verarbeitete und veredelte. Es entwickelte sich zu einem gi-
Wirtschaftsorganisationen werden. Als zentraler Maßstab gantischen petrochemischen Kombinat (PCK Schwedt), das
diente jetzt nicht mehr der quantitative Umfang der Produk- nicht nur zum wichtigsten Kraftstofflieferanten der DDR wur-
tion (Tonnenideologie), sondern der Gewinn. Die Kräfte des de, sondern auch seit Mitte der 1960er Jahre ausgebaut wurde,
Marktes wurden nicht mehr als „kapitalistischer Restbestand“ um die Textilindustrie mit Faserrohstoffen, die Landwirtschaft
behandelt; fortan sollten sie für ein effizienteres Wirtschaf- mit hochwertigem Stickstoffdünger und die Chemieindustrie
ten nutzbar gemacht werden. Beabsichtigt war, Plan und mit petrochemischen Komponenten zu versorgen.
Markt besser miteinander zu verbinden. Jetzt begann in der Chemische Erzeugnisse veränderten im Laufe der 1960er
Wirtschaft ein langjähriges Experimentieren mit neuen For- Jahre den Alltag der Bevölkerung. Zu einem bekannten Kunst-
men der Verwaltung und Organisation, um die volkseigenen faserprodukt gehörten bügelfreie Hemden, Kittelschürzen und
Betriebe in flexible Warenproduzenten umzuwandeln. Die Einkaufsbeutel aus DEDERON – das war der Handelsname von
Direktoren staatlicher Betriebe erhielten mehr Kompetenzen Polyamidfasern in der DDR. Sie wurden in Chemiefaserwerken in
und Eigenverantwortung, damit sie freier über Absatz, Finan- Rudolstadt-Schwarza, Guben und in Premnitz hergestellt. Auch
zen, Arbeitskräfte und Rohmaterialien verfügen konnten. Von Möbel und Geschirr aus Plaste/Plastik gehörten jetzt zum Alltag.
einem Aufblühen der Wirtschaft versprachen sich die Refor- Die VEB Chemische Werke Buna in Schkopau führten zu dieser
mer im SED-Politbüro auch stimulierende Auswirkungen auf Zeit den Werbeslogan „Plaste und Elaste aus Schkopau“ ein, wo-
alle anderen Bereiche der Gesellschaft. bei Plaste für starre und Elaste für elastische Kunststoffe stand.
In das Zentrum des Wirtschaftsausbaus rückten die Chemie Nach zwei Jahren fortwährender Experimente begann in
(Petrochemie, Kunstfaserherstellung) und der Maschinenbau den Jahren von 1965 bis 1967 die zweite Phase der Wirtschafts-
picture-alliance / dpa
stanz zur Sozialisation nachwachsender Generationen ansah. In
ihm wurde gemäß der marxistisch-leninistischen Doktrin ein
entscheidender Hebel zur weltanschaulichen Prägung der He-
ranwachsenden gesehen. Der pädagogischen Idealvorstellung
entsprach das Leitbild der „allseitig entwickelten sozialistischen Mathematisch-naturwissenschaftliche bzw. technische Schulen, wie die EOS
Persönlichkeit“. Darin vereinten sich verschiedene Persönlich- Heinrich Hertz in Berlin, werden eingerichtet, um den steigenden Arbeits-
keitsmerkmale: sozialistisches Klassenbewusstsein, Verantwor- kräftebedarf in den besonders geförderten Wirtschaftszweigen zu decken.
Diplomaten in Trainingsanzügen Die Statistik beweist den Erfolg des Systems: der SED-Führung bewusst herbeigeführte
Bis 1988 gewann die DDR allein bei Disziplinierungsmaßnahme (etwa nach un-
[…] Die sportlichen Erfolge ihrer Athleten olympischen Sommerspielen 454 und bei erwünschten Westkontakten) oder schlicht
waren für die DDR-Führung ein entschei- Winterspielen noch einmal 110 Medail- um einen „Unfall“. Denn eigentlich musste
dendes Mittel in ihrem Kampf um inter- len. Damit belegte das Land, obwohl nur die lückenlose medizinische Überwachung
nationale Anerkennung. Weder die von 1964 bis 1988 als selbstständiges der DDR-Leistungssportler jede positive
Wirtschafts- noch die Sozialpolitik der SED Land vertreten, in der ewigen olympischen Dopingprobe verhindern. So wurden in den
konnten dem Arbeiter- und Bauernstaat Medaillenwertung noch 2004 den siebten Wochen vor großen internationalen Wett-
zu Glanz und internationaler Anerkennung Platz. Um die internationale Anerkennung kämpfen etwa die Erfolg garantierenden
verhelfen. Es waren vielmehr jene erfolg- durch sportliche Erfolge zu garantieren, Schwimmerinnen hormonell auf Männer-
reichen Sportler und Sportlerinnen, die die war der Bereich vollständig unter staatli- konzentrationen eingestellt. Tage vor
DDR weltweit vertraten. Nicht umsonst cher Kontrolle. dem Wettkampf und nach Absetzung der
wurden sie von der DDR-Führung „Diplo- 1974 entstand der Staatsplan 1425, in dem Mittel ging es dann zur internationalen
maten in Trainingsanzügen“ genannt. […] das flächendeckende Doping von Leistungs- Dopingkontrolle. […] [Das Dopingkontroll-
So wurde der Leistungssport in der DDR sportlern festgeschrieben wurde, überwacht institut in Kreischa] war […] stets auf einem
zentrales Staatsziel, in keinem anderen vom Ministerium für Staatssicherheit. […] technisch brillanten Stand, zum Teil
Land waren Sport und Politik so eng ver- Heute weiß man, dass viele Sportlerinnen finanziert mit Devisen aus der Bundesrepu-
flochten wie in der DDR. 22 besonders und Sportler dauerhafte Folgeschäden blik. Das Geld stammte aus dem prakti-
Erfolg und Medaillen versprechende Sport- davongetragen haben. Die unterstützenden zierten Freikauf von Häftlingen und floss
arten wurden ausgewählt. Sie wurden Mittel führten nicht nur zu Fruchtbar- auf das sogenannte Honecker-Konto
fortan mit allen zur Verfügung stehenden keits- und Stoffwechselstörungen, sondern und von dort auch in die medizinische Ein-
Mitteln gefördert. Ein vorbildliches, alle auch zu einem erhöhten Krebsrisiko und zu richtung des Dopinglabors […].
Bereiche umfassendes System der Sichtung Leber- und Herzschäden. Die Doping- Michael Nickels, „Sport als Mittel zum Zweck“, in: General-Anzeiger
und Erfassung potenzieller Olympia- medikamente wurden von den Trainern Bonn vom 2./3. Oktober 2010
kader wurde aufgebaut. An den Kinder- verabreicht. Die Jüngeren erhielten sie
und Jugendsportschulen sowie an der offiziell als „Vitaminpillen“, die Älteren als
Deutschen Hochschule für Körperkultur in „unterstützendes Mittel“. Weder Sportler Frühzeitige Talentförderung: Erstklässler 1985 beim
Aufnahmetest für die Kinder- und Jugendsport-
Leipzig arbeiteten die besten Trainer und noch ihre Eltern wurden über die Stoffe
schulen im Sportforum Hohenschönhausen.
Wissenschaftler daran, künftige Olympia- und die Gefahren aufgeklärt. Wer nach-
sieger herauszubringen. Alle auserwählten fragte, lief Gefahr, aus der Trainingsgruppe
Sportler wurden dafür von ihrem normalen ausgeschlossen zu werden. Das galt
Schul- und Arbeitsalltag freigestellt. Neue allerdings nicht nur für die Sportler, son-
Sportstätten boten für die Spitzensportler dern auch für Trainer. […]
optimale Trainingsmöglichkeiten. Sogar Trotz des flächendeckenden Dopings wur-
ullstein bild – Almonat
Trainingslager im Ausland waren nicht ver- den bei den internationalen Wettkampf-
boten, wenngleich natürlich streng darauf kontrollen nicht mehr DDR-Sportler als aus
geachtet wurde, dass derartige Ausflüge den übrigen Ländern überführt. Wenn es
und die Wettkämpfe im Westen nicht zur wirklich mal einen positiven Befund gab, so
Republikflucht genutzt werden konnten. […] handelte es sich entweder um eine von
tungsgefühl für das Kollektiv, allseitige Bildung, hohes fachliches bereitung auf die Ausübung industrieller und industrienaher
Wissen und Können, Disziplin und kulturelle Interessiertheit. Berufe. In den Jahren seit 1964 verschärfte das Volksbildungs-
Dieser ideale Typus des „sozialistischen Menschen“ sollte inner- ministerium die Praxis des polytechnischen Prinzips, indem in
halb, aber auch außerhalb des obligatorischen Schulsystems he- den 9. und 10. Klassen der allgemeinbildenden Oberschule eine
rangebildet werden. Die Kinder- und Jugendorganisationen der berufliche Grundausbildung in den Bereichen Chemie, Metallur-
Jungen Pioniere und der Freien Deutschen Jugend (FDJ) mit ih- gie, Elektrotechnik, Maschinenbau, Energiewirtschaft, Verkehrs-
ren vielen hauptamtlichen Erziehern, Pionierleitern und den FDJ- wesen, Landwirtschaft und Bauwesen eingeführt wurde. Diese
Sekretären nahmen im Bildungs- und Erziehungssystem einen Regelung wurde in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wieder
wichtigen Platz ein. aufgehoben. Sie demonstrierte, mit welchem Eifer die Bedürfnis-
Mit dem „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungs- se der Wirtschaft und die inhaltliche Ausrichtung des Bildungs-
wesen“ vom 25. Februar 1965 erhielt das Bildungssystem der DDR systems in Übereinstimmung gebracht werden sollten.
eine Struktur, die in ihren wesentlichen Bestandteilen bis 1989 Margot Honecker prägte als Ministerin für Volksbildung von
stabil blieb. Es regelte alle Bildungs- und Ausbildungsstufen von 1963 bis 1989 Form und Inhalt der „sozialistischen Schule“. Das
der Vorschulerziehung bis zur Erwachsenenqualifizierung. Im Gesetz über das Bildungswesen von 1965 und die anschließen-
Zentrum stand die zehnklassige polytechnische Oberschule, die de Reform der Lehrpläne trugen zu einem beträchtlichen Teil
sich sukzessiv zur obligatorischen Bildungseinrichtung entwi- ihre Handschrift. Im Gegensatz zu ihrem Ehemann Erich Ho-
ckelte. Neben den umfassenden weltanschaulichen Aspekten necker, der im Mai 1971 die Nachfolge von Walter Ulbricht als
der „sozialistischen Erziehung“ war an den Lehrplänen der all- Erster Sekretär des ZK der SED antrat, galt sie in ihren ersten
gemeinbildenden Oberschulen eine deutliche Anpassung an die Amtsjahren als aufmerksame Zuhörerin, die Ratschläge und
Personalbedürfnisse der Wirtschaft abzulesen. Der Schwerpunkt wissenschaftliche Beratung nicht brüsk zurückwies. Auf ihre
verlagerte sich auf mathematische und naturwissenschaftlich- maßgebliche Initiative hin wurde 1970 die Akademie der Pä-
technische Felder, auf denen das Niveau der Schulbildung ent- dagogischen Wissenschaften (APW) gegründet. Dort entstan-
schieden angehoben wurde. den alle in der DDR verwendeten Lehrpläne sowie eine Viel-
Im Jahre 1963 stellte das Volksbildungsministerium die Wei- zahl von Unterrichtsmitteln bzw. Unterrichtshilfen für Lehrer.
chen für die Gründung von Spezialschulen und -klassen, in denen Seit den 1980er Jahren nutzte die Ministerin allerdings ihren
Jugendliche mit ausgeprägten künstlerischen oder sportlichen beträchtlichen Einfluss als Frau des SED-Generalsekretärs, um
Fähigkeiten und vor allem solche mit besonderen Begabungen das zentralistische Bildungssystem gegen jeden Reformver-
für technische und mathematisch-naturwissenschaftliche Fä- such abzuschotten.
cher gefördert wurden. Letzteres stellte eine direkte Verbindung
zu den personellen Bedürfnissen der führenden Wirtschafts-
zweige und der Landwirtschaft her. Auf Grund der schulpoliti- Hochschulreform
schen und ideologischen Vorgaben blieb die Begabtenförderung
jedoch bis zuletzt ein brisanter und umstrittener Aspekt der Reformen gab es auch an den Universitäten und Hochschu-
DDR-Pädagogik. Die 14 mathematisch-naturwissenschaftlichen len. Im Ergebnis der 1968/69 durchgeführten Hochschulre-
Spezialschulen und acht Einrichtungen für Schüler mit besonde- form wurden die bislang noch relativ autonomen Institute
ren künstlerischen Begabungen standen im Widerspruch zum und Fakultäten aufgelöst, in größere Sektionen zusammen-
offiziellen Anspruch absoluter Chancengleichheit, den das Ge- gefasst, um einen effizienteren Mitteleinsatz und komplexe
samtschulsystem der DDR erhob. Forschungsvorhaben zu ermöglichen, und der Universitäts-
Mit der Absicht, den Berufswunsch der Heranwachsenden zu leitung direkt unterstellt. In ganz besonderem Maße verstärk-
steuern, hatte schon seit dem Schuljahr 1960/61 der polytechni- te die Hochschulreform die Verbindung von Universität und
sche Unterricht als Lern- und Praxisbereich in der Oberstufe be- Wirtschaft, indem die naturwissenschaftlichen und techni-
gonnen. Er gliederte sich in den vierzehntägigen „Unterrichtstag schen Fachrichtungen jetzt vorrangig auf der Basis von Ko-
in der Produktion“ (UTP) in Industriebetrieben oder in der Land- operationsverträgen für die Wirtschaft (Vertragsforschung)
wirtschaft und in das theoretische Fach „Einführung in die so- forschten.
zialistische Produktion“ (ESP). Die Teilnahme der Schüler an der Mit der Abschaffung der bislang mit einer gewissen Selbst-
produktiven Arbeit in einem volkseigenen Betrieb galt als Vor- ständigkeit ausgestatteten Universitätsinstitute wurde die
Schülerinnen 1967 beim „Unterrichtstag in der Produktion“ im Labor der Margot Honecker, Ministerin für Volksbildung der DDR, zeichnet 1987 am
Filmfabrik Wolfen „Tag des Lehrers“ (12. Juni) verdiente Lehrkräfte aus.
ullstein bild – ddrbildarchiv/Terzer
ullstein bild – DHM / Schwarzer
ullstein bild
machtpolitisch gehandhabt und zur Heranbildung einer neu-
en, eng mit der SED verbundenen Führungselite genutzt. Man
sprach von der „sozialistischen Intelligenz“, einer neuen, par- Der Weltraumflug Juri Gagarins im April 1961 wird auch in der DDR gefeiert
teiloyalen Machtelite. und beflügelt die Zukunftsvisionen zum wissenschaftlichen Fortschritt. Sein
Parallel dazu stieg der Anteil von SED-Mitgliedern in der Pro- Bild schmückt die Ehrentribüne zur 1. Mai-Feier 1961 in Berlin.
fessorenschaft, da die Vergabe von Lehrstühlen in zunehmen-
dem Maße von der Zugehörigkeit zur Staatspartei abhängig
gemacht wurde. Hier gab es jedoch große Unterschiede zwi- wissenschaftlichen Erfindungsreichtums. Unter dem Begriff
schen den Fakultäten. Während parteilose Wissenschaftler in „wissenschaftlich-technische Revolution“ griff die Propa-
den Gesellschaftswissenschaften am Ende der 1960er Jahre ganda der SED diese Zukunftseuphorie rasch auf und konnte
eine Minderheit bildeten, blieb die SED in den Naturwissen- damit für eine bestimmte Zeit die Vorstellungswelt, das Le-
schaften und der Medizin hinter den eigenen Erwartungen bensgefühl und das Weltbild großer Teile der Bevölkerung be-
zurück. Bis 1965 waren 23,3 Prozent der Medizin-Professoren einflussen.
an den ostdeutschen Universitäten in der SED organisiert. Ein Der auf dem VI. Parteitag der SED im Januar 1963 propagier-
großer Teil der Mediziner stand dem politischen System in te Leitspruch von der „Produktivkraft Wissenschaft“ brach-
der DDR kritisch gegenüber und blieb im traditionellen aka- te punktgenau den Kern der damaligen Gesellschaftspolitik
demischen Milieu fest verankert. An der Berliner Charité wa- der SED zum Ausdruck: Die Wissenschaft sollte technische
ren 1989 nur 14 Prozent der Mitarbeiter in der SED organisiert. Innovationen für die Modernisierung der Wirtschaft liefern.
Allerdings konnte nicht übersehen werden, dass das SED- Die zeitgleich auch in der Bundesrepublik beklagte „techno-
Parteibuch zu einem entscheidenden Auswahlkriterium für logische Lücke“ gegenüber der internationalen, vor allem der
Leitungspositionen in der universitären Lehre und Forschung amerikanischen Forschung sollte binnen weniger Jahre auf-
auch in der Medizin und den Naturwissenschaften wurde. geholt werden, um den ökonomischen Wettstreit der Systeme
gewinnen zu können.
Industriebetriebe und wissenschaftliche Forschungsein-
Wissenschaft als Produktivkraft richtungen wurden seit 1968 zu Großforschungszentren zu-
sammengeführt, um so die Ergebnisse wissenschaftlicher
Die rasante Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik Forschung wirtschaftlich verwerten zu können. Durch diese
beflügelte in den 1960er Jahren auch in der DDR kühne Zu- engen Vertragsbeziehungen zwischen Forschungsinstituten
kunftsvisionen. Bereits der Start des ersten Sputniks sowjeti- der Universitäten und der Industrie konnten tatsächlich ei-
scher Bauart am 4. Oktober 1957 nährte die Illusion, dass sich nige „Spitzenleistungen“ erbracht werden. So entwickelte der
die Überlegenheit des Sozialismus und seiner wissenschaft- VEB Carl Zeiss Jena im Jahre 1968 ein Interferenz-Mikroskop,
lichen Leistungsfähigkeit in kurzer Zeit erweisen werde. Der das optische Messverfahren mit äußerster Genauigkeit er-
Weltraumflug des sowjetischen Kosmonauten Juri Gagarin möglichte und internationalen Maßstäben genügte.
am 12. April 1961 sowie die immensen Fortschritte der Com- Auch die biomedizinische Forschung stand nach der Ent-
putertechnik, der Atomforschung und der Automatisierung schlüsselung des molekularen Trägers der genetischen Informa-
beförderte Fantasien über unbegrenzte Möglichkeiten des tion durch US-Wissenschaftler in der DDR zeitweilig auf einem
Unveränderte Herrschaftsformen
ullstein bild – ADN-Bildarchiv
Warum gibt es in der DDR keine Du könntest beispielsweise fordern, die Macht geschaffen wurde, müßtest
Opposition? Gleichberechtigung der Frau soll wieder Du als konsequente Oppositionsführerin
abgeschafft werden. Die Volkskammer natürlich fordern, daß diese Macht
Liebe Karin! soll das Gesetz zum Schutz der Mütter beseitigt wird, daß es keine volkseigenen
Stell’ Dir bitte einmal vor, Du hättest eine außer Kraft setzen. Die Säuglingsheime, Betriebe mehr gibt und die Bauern ihr
solche Oppositionspartei gegründet und Kindergärten und Schulhorte werden Land den Junkern zurückgeben. Das aber
würdest jetzt in den Wahlkampf ziehen. geschlossen. Die Frauen werden wieder heißt: alles wird wie früher. Die großen
Zunächst müßtest Du ein Programm ver- schlechter entlohnt als die Männer. Kapitalisten herrschen wieder. Und
künden, denn die Wähler geben sich Oder: Die Studenten erhalten keine Sti- wo die herrschen, da werden auch die Ar-
mit Deiner sympathischen Erscheinung pendien mehr vom Staat, und die beiter wieder ausgebeutet, die Bauern
allein nicht zufrieden. Sie würden von Dir Schulgeldpflicht wird wieder eingeführt, entrechtet und die Handwerker und
und Deiner Partei vielmehr wissen wol- damit, wie vor 1945 und wie heute kleinen Gewerbetreibenden ruiniert. Wo
len, warum Du Opposition machst, wofür noch in Westdeutschland, nur die Kinder die Kapitalisten herrschen, da gehört
Du bist und wogegen, wie Du denkst der Reichen eine höhere Bildung er- der Krieg zum großen Geschäft. Also
und was Du tun willst. Was könntest Du werben können. Überhaupt – weg mit müßte Deine Forderung lauten: Her mit
fordern, wenn Du mit dem Programm den ganzen Maßnahmen und Gesetzen der Wehrpflicht, rein in die NATO, her
der Parteien und Organisationen bei uns, zur Förderung der Jugend! Und da mit den Atom- und Wasserstoffbomben!
also mit dem Programm der Nationalen Du weißt, daß all das, wogegen Du Front Du willst das alles natürlich nicht. Aber
Front, nicht einverstanden wärst? machst, von der Arbeiter- und-Bauern- nicht nur Du – keiner will das. Und weil
Jugend im Aufbruch
ullstein bild – AP
Generation für Wissenschaft und Fortschritt gewonnen, mit-
hin für eine Steigerung ihrer Leistungsbereitschaft im Sinne
der wissenschaftlich-technischen Revolution motiviert wer-
den sollte, mussten einige ideologische Dogmen der SED ent- 1950, 1954 und 1964 veranstaltet die FDJ in Ost-Berlin Deutschlandtreffen
schärft werden. Diesem Zweck entsprach die Verabschiedung zwischen ost- und westdeutschen Jugendlichen. Einmarsch der Delegatio-
des sogenannten Jugendkommuniqués der SED am 17. Sep- nen aus der Bundesrepublik bei der Eröffnungsfeier 1964
tember 1963. Es stand unter dem Slogan „Der Jugend Vertrau-
en und Verantwortung“, plädierte für die Zuerkennung groß-
zügigerer Freiheiten und warb für Toleranz sowie für die dem späteren Gründer der „Klaus-Renft-Combo“ Klaus Jentzsch
Achtung jugendlicher Individualität und Intimsphären. Bor- sowie die „Sputniks“ aus Berlin. Schnell reagierte auch der VEB
niertheit in Fragen der Sexualität, des Modegeschmacks und Deutsche Schallplatte auf die sich öffnenden Freiräume. Das
hinsichtlich musikalischer Vorlieben sowie jugendspezifischer Popmusiklabel AMIGA gab im April 1965 eine komplette Lizenz-
Formen von Vergnügen und Geselligkeit sollten der Vergan- LP mit Hits der Beatles heraus und veröffentlichte bis Juni drei
genheit angehören. Singles; der staatliche Rundfunk sendete ihre Songs.
Die liberalen Tendenzen in der Jugend- und Kulturpolitik der Die Duldung eines unkonventionellen Lebens- und Kultur-
Jahre 1963 und 1964 begünstigten deutlich sichtbare Verände- stils blieb jedoch innerparteilich umstritten. Die politischen
rungen in der Jugendkultur. Die Gründung des Radio-Jugend- Dogmatiker im SED-Politbüro warnten ständig vor Krawallen,
programms „DT 64“ im Zusammenhang mit der Durchführung westlicher Unkultur und alkoholischen Exzessen. Als am 15.
des „Deutschlandtreffens der Jugend“ im Mai 1964 in Ost-Berlin September 1965 aufgebrachte Teenager nach einem Konzert
setzte ein unübersehbares Zeichen. Der Berliner Rundfunk sen- der Rolling Stones die Westberliner Waldbühne zu Kleinholz
dete erstmals rund um die Uhr ein eigenes Jugendprogramm. zerlegten und in der S-Bahn randalierten, war für die Hardli-
Staatliche Behörden nahmen zeitweilig ihre Restriktionen ge- ner der Beweis erbracht, dass die Begeisterung für Beatmusik
genüber Beat, Rock und anderen überwiegend aus dem Westen sowie Rock 'n' Roll unweigerlich zu Dekadenz, Ausschweifung
einströmenden, zuvor als „dekadent“ bewerteten Musikrich- und Vandalismus führen werde. Seitdem wurde Beat- und
tungen zurück. Zu den Bands, die auf „Beatabenden“ wieder- Rockmusik in der DDR-Presse wieder als „Nervengift des Klas-
holt Aufsehen erregten, gehörten die Leipziger „Butlers“ mit senfeindes“ verteufelt.
keiner so irrsinnige Gedanken hat, wie wir wahrheitsgetreu und prinzipienfest zu bürger achtet und seine Probleme ernst
sie eben ausgesponnen haben – deshalb beantworten. nimmt. [...] Solche jungen Menschen,
gibt es bei uns keine Oppositionspartei. Es geht nicht länger an, „unbequeme“ die aus Angst vor einer „übergeordneten“
Deshalb gibt es bei uns stattdessen die ein- Fragen von Jugendlichen als lästig Meinung unehrlich und heuchlerisch
heitliche Liste der Nationalen Front, oder gar als Provokation abzutun, da geworden sind, die ihr eigenes Denken
der alle Parteien und Organisationen an- durch solche Praktiken Jugendliche zurückhalten und stets auf Anwei-
gehören, die Kandidaten zur Wahl stellen. auf den Weg der Heuchelei abgedrängt sung von oben warten, sich äußerlich
Bis zum nächsten Mal alles Gute! werden. Wir brauchen vielmehr den selb- anpassen, werden ebenfalls in der Praxis
Joachim Herrmann ständigen und selbstbewußten Staats- kaum Großes leisten können, weil
Antwort auf einen Leserbrief. Neue Berliner Illustrierte Nr. 21/1957.
bürger mit einem gefestigten Charakter, dort schöpferische und kämpferische So-
Joachim Herrmann war damals Chefredakteur der FDJ-Zeitung mit einem durch eigenes Denken und zialisten, aber keine kleinmütigen See-
Junge Welt, seit 1978 Mitglied des SED-Politbüros. in der Auseinandersetzung mit rückstän- len, Streber und Karrieristen gebraucht
digen Auffassungen und reaktionä- werden.
ren Ideologien errungenen sozialistischen Jugendkommuniqué des SED-Politbüros vom 17. September 1963.
Für die Jugend ein offenes Ohr Weltbild, das auf fortgeschrittenen Beide Texte in: Hermann Weber (Hg.), Kleine Geschichte der DDR,
wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Köln 1980, S. 98 und S. 115
Das Politbüro appelliert an alle Leiter Die Erziehung einer solchen Persön-
und Erzieher, für alle Fragen der Ju- lichkeit ist aber nur möglich, wenn man
gend ein offenes Ohr zu haben und sie den Schüler als zukünftigen Staats-
Erich Honecker, Bericht des Politbüros an das 11. Plenum des ZK der SED, Dezember 1965 (Auszug).
In: Neues Deutschland vom 16. Dezember 1965.
In: Matthias Judt (Hg.), DDR-Geschichte in Dokumenten, Bonn 2010, S. 337 f. turpolitik in der „Hauptstadt der DDR“ bestimmen sollte. Den
Film Kurt Maetzigs „Das Kaninchen bin ich“, eine kritische Aus-
einandersetzung mit den Auswirkungen der politischen Straf-
Die Gewährung bestimmter Freizügigkeiten dauerte aber auch justiz und geprägt von der Hoffnung, die politischen Verhält-
aus anderen Gründen nicht lange. Die heftigen Debatten, die Ju- nisse in der DDR demokratisieren zu können, verurteilte er als
gendliche in FDJ-Veranstaltungen über den täglich erlebten Wi- „Schweinerei“ und „ideologische Verwilderung“.
derspruch zwischen sozialistischem Ideal und gesellschaftlicher Das ZK-Plenum führte zu einem verheerenden kulturellen
Wirklichkeit führten, bedrohten in den Augen der politischen Kahlschlag, von dem sowohl Künstler als auch Kulturpolitiker
Führung den vorgegebenen weltanschaulichen Rahmen. Am 11. betroffen waren: Kulturminister Hans Bentzien, sein Stellver-
Oktober 1965 entschied sich die SED-Führung für eine Korrektur treter Günter Witt sowie der Studiodirektor des volkseigenen
ihrer vergleichsweise liberalen Jugendpolitik. Die westlichen Vor- Filmstudios DEFA (Deutsche Film AG), Joachim Mückenberger,
bildern folgende neue Musik- und Jugendkultur wurde erneut verloren ihre Ämter. Schriftsteller, Filme- und Liedermacher so-
mit Spott und Häme überzogen und das soziale Umfeld mit Be- wie bildende Künstler wurden – wie auch schon zuvor in den
griffen wie „Rowdys“ und „Gammler“ kriminalisiert. Die Anhän- 1950er Jahren – als „Konterrevolutionäre“ beschimpft und mit
ger der neuen Jugendszene hatten in Habitus (Jeans und lange Aufführungs-, Auftritts- und Publikationsverboten bestraft. Un-
Haare) und Moral ohnehin nicht den Vorstellungen der zumeist ter ihnen befanden sich nicht wenige, die der SED angehörten
älteren Kulturpolitiker von „ordentlichen Jugendlichen“ entspro- oder ihr nahestanden. Im Zentrum der politischen Attacken
chen. An diesem Punkt zeigte sich in besonders prägnanter Weise standen der Dramatiker Heiner Müller sowie die Schriftsteller
der aufbrechende Generationenkonflikt zwischen der nachwach- Werner Bräunig, Volker Braun und Stefan Heym. Besonders ein-
senden Generation und der durch die Weimarer Republik und die schneidend traf die nach dem ZK-Plenum einsetzende rigide
NS-Diktatur sozialisierten Politiker in der SED-Führung. Zensur die DEFA. Ein Dutzend ihrer Filme wurden verboten.
Als „Konterrevolutionäre“ galten in den Augen der SED-Füh-
rung jetzt auch der Liedermacher Wolf Biermann und der Na-
Kurzer Frühling in der Kultur turwissenschaftler Robert Havemann. Beide zogen den Zorn
des Politbüros auf sich, weil sie ihre Gesellschaftskritik auf-
Auf ebenso autoritäre Weise beendete die SED-Führung das grund fehlender Meinungs- und Pressefreiheit in der DDR in
kulturpolitische Intermezzo der Jahre 1963/64. Da Stimmen aus Westdeutschland publik gemacht hatten. Während in der DDR
Literatur, Kunst, Theater und Film auf Widersprüche in der Ge- Biermanns Lieder lediglich als private Tonbandmitschnitte ver-
sellschaft aufmerksam gemacht hatten, geriet das im Dezem- breitet werden konnten, erschienen 1965 in der Bundesrepublik
ber 1965 tagende 11. ZK-Plenum der SED zu einem grotesken Tri- seine erste LP „Wolf Biermann (Ost) zu Gast bei Wolfgang Neuss
bunal über kritische Künstler und Literaten, auf dem lediglich (West)“ und der Gedichtband „Die Drahtharfe“. Daraufhin er-
die Schriftstellerin Christa Wolf in einer äußerst aufgeheizten hielt Biermann ein vollständiges Auftritts- und Publikations-
Atmosphäre einen Einspruch riskierte. Erich Honecker machte verbot. Der kulturelle Kahlschlag der Jahre 1965 und 1966 lähm-
in seiner Eigenschaft als Mitglied des Politbüros vor dem Zen- te in den folgenden Jahren das intellektuelle Leben in der DDR.
tralkomitee am 15. Dezember 1965 klar, dass für „Erscheinun-
gen amerikanischer Unmoral und Dekadenz“ in Kunst und
Kultur künftig kein Platz mehr sein werde: „Unsere Republik ist Die neue Verfassung
ein sauberer Staat. In ihr gibt es unverrückbare Maßstäbe der
Ethik und Moral, für Anstand und gute Sitte.“ Als ideologischer Nach einer Volksabstimmung, die nach offiziellen Angaben
Scharfmacher trat insbesondere Konrad Naumann auf, der in eine Zustimmung von 96,37 Prozent der abgegebenen Stim-
den 1970er Jahren als 1. SED-Bezirkssekretär von Berlin die Kul- men und 3,4 Prozent Nein-Stimmen erbracht hatte, trat im
April 1968 eine neue Verfassung in Kraft. Artikel 1 bezeichnete obersten Machtorgan der DDR. Doch in der Realität konnte
die DDR als „sozialistischer Staat deutscher Nation“, der unter von Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit nicht gespro-
Führung der SED den Sozialismus verwirkliche. Damit wurde chen werden. Die maßgeblichen Entscheidungen traf nach wie
nicht nur innenpolitisch der Führungsanspruch der SED in der vor das SED-Politbüro und nicht die Volkskammer. Auch eine
Verfassung verankert, sondern auch deutschlandpolitisch die wirklich „freie, gleiche und geheime Wahl“ der Abgeordneten
Theorie von den „zwei Staaten deutscher Nation“. Ihr zufolge der Volkskammer, so, wie dies die Verfassung vorschrieb, hat
gliederte sich die deutsche Nation in zwei gleichberechtigte, es nicht gegeben.
souveräne Staaten: einen sozialistischen in der DDR und einen
kapitalistischen in der Bundesrepublik. Trotzdem sah die Ver-
fassung auch die „Überwindung der vom Imperialismus der Prager Frühling
deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung“ und eine „Ver-
einigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialis- In der Nacht zum 21. August 1968 rollten sowjetische Panzer in
mus“ vor. Verbal hielt man so noch immer an der Einheit der die Tschechoslowakei (ČSSR) ein und setzten dem „Prager Früh-
deutschen Nation fest. ling“ ein jähes Ende, der seit dem Frühjahr 1968 in der ČSSR be-
Auf dem Papier gestand man auch demokratische Freihei- gonnen hatte. Er hatte einen Sozialismus mit „menschlichem
ten zu: So garantierte Artikel 19 die Freiheit der Persönlichkeit Antlitz“ vertreten und mit Eigenschaften verbunden, die dem
und Artikel 20 die Gewissens- und Glaubensfreiheit. Artikel Sozialismusmodell in Osteuropa bislang völlig fremd waren:
27 gewährleistete die Freiheit der Presse, des Rundfunks und individuelle Freiheiten, Interessenausgleich statt Klassen-
des Fernsehens. Artikel 48 bestimmte die Volkskammer zum kampf, demokratische Willensbildung in Politik und Gesell-
[Aus den Erinnerungen des Regisseurs [Die Rechtfertigung] sich in der Kraft, Leidenschaft und Meis-
Kurt Maetzig] [...] Ich bin der Regisseur des Films „Das Ka- terschaft, mit welcher er mit seiner Kunst
Der Roman – und auch der Film – be- ninchen bin ich“ und, da ich vom Beruf des am Klassenkampf teilnimmt. Die Abwen-
rührt ein sehr sensibles Gebiet, nämlich Regisseurs eine hohe Meinung habe, auch dung von diesem Prinzip in der Filmkunst
das der politischen Strafjustiz in der der eigentlich Verantwortliche. [...] Ich muss führt zu einem unerlaubten Nachgeben
DDR. Er stellt in zwei großen Szenenkom- also sorgfältig bei mir überprüfen, was gegenüber zurückgebliebenen Zuschauer-
plexen am Anfang und am Schluß eigentlich zu der vernichtenden Kritik auf schichten und damit tatsächlich zur
des Films zwei Gerichtsverhandlungen dem 11. Plenum an diesem Film geführt hat. Aufgabe längst innegehabter sozialistischer
dar: eine geprägt von stalinistischen Ich war seit Jahren unzufrieden mit Positionen. Deshalb ist „Das Kaninchen bin
Vorstellungen und Verfahrensweisen, der Wirkung unserer Filme auf unsere ich“ ein schädlicher Film geworden. [....]
die andere aber so, wie wir uns das Bevölkerung [...]. Aus dem Diskussionsbeitrag des Genossen Kurt Maetzig vor der
damals dachten und für richtig hielten. Es war nicht sehr fern liegend, auf Abteilungsparteiorganisation 1 des DEFA-Studios für Spielfilme
Der Film und der Roman drückten die Antwort zu verfallen, daß der kritische In: Neues Deutschland, 6. Januar 1966, S. 4, Ausg. A.
nicht nur allgemeine Sehnsüchte aus, Aspekt unserer Filme zu gering sei. In
sondern versuchten, in der deutlichen diesem Stadium der Überlegung griff ich
Gegenüberstellung der einen und der an- zu dem Manuskript von Manfred Bieler: [Fortsetzung der Erinnerungen]
deren Verfahrensweise einen Weg zu „Das Kaninchen bin ich“. Hier fehlte Ich fühlte mich aufgefordert, diese Selbst-
öffnen in Richtung auf einen demokrati- es an Sozialkritik nicht. [...] Aber gerade in kritik zu schreiben. Ich dachte, ich muß
schen Sozialismus. [...] dem kritischen Aspekt, der mir der Stein das tun, damit dieser Ton, diese Feindselig-
Der Film „Das Kaninchen bin ich“ verkör- der Weisen zu sein schien, um näher keit und diese Grobheit wieder heraus-
pert in klarer Weise die Ideale, mit denen an das Publikum heranzukommen, lag ein kommt, mit der auf dem 11. Plenum über
ich beim „Augenzeugen“ angefangen Hauptpunkt des politischen Irrtums. [...] die Kunst hergefallen wurde. [...] Auf
hatte: „Urteilen Sie selbst!“ [...] Ich war un- [...] Ich vertrat bis vor kurzem folgenden die konkreten Anschuldigungen – Konter-
beschreiblich enttäuscht, daß ich nicht Standpunkt: Die Parteilichkeit eines revolution, Staatsfeindlichkeit, Beleidi-
durchkam mit diesem Film [...] Künstlers der DDR könne nicht nur daran gung der ganzen Republik usw. – bin ich
Aber dann stellte sich die Frage, wie ich gemessen werden, daß er auf der Seite nicht eingegangen und bezog keine dieser
den angerichteten Schaden in irgend- des Sozialismus gegen den Imperialismus Anklagen auf mich. [...]
einer Weise begrenzen konnte. Ich wurde kämpfe, denn dies müsse eine selbstver- Nach dem 11. Plenum, nach dem „Kanin-
zu einem Gespräch mit Kurt Hager, ständliche Voraussetzung sein – heute drü- chen“ [...] habe ich noch irgendwie mit
Politbüromitglied, verantwortlich für Kul- cke sich seine Parteilichkeit insbeson- den Flügeln geschlagen und noch dies und
tur, bestellt, das viereinhalb Stunden dere in seiner Unversöhnlichkeit gegenüber jenes zuwege gebracht, aber das war nichts
dauerte. Es war ein langes und schweres allen Mängeln, Schwächen und Fehlern aus, Vernünftiges. Das hatte nicht mehr die
Gespräch. [...] die den Aufbau des Sozialismus hemmen. Kraft und die Frische und die Überzeugung
Hager beendete das Gespräch mit den Diese Ansicht, Mängel und Schwächen in der früheren Filme. Man hat mir wohl
Worten, wenn ich über alles nachgedacht den Vordergrund zu stellen und hieran die doch das Rückgrat gebrochen. Und ich wuß-
hätte und zu Schlüssen gekommen sei, Parteilichkeit des Künstlers zu orientieren, te dann auch, daß ich aufhören muß.
wäre es doch gut, wenn ich sie publizieren zeigt sich bei näherem Hinsehen als Un- Ingrid Poss / Peter Warnecke (Hg.), Spur der Filme. Zeitzeugen
würde. sinn. Die Parteilichkeit des Künstlers erweist über die Defa (bpb-Schriftenreihe Bd. 568), Berlin 2006, S. 202ff.
bpk / Hilmar Pabel
„Prager Frühlings“ erlosch in weiten Teilen der Bevölkerung
die Hoffnung auf eine Reformierbarkeit des „realen Sozialis-
mus“. Das überwiegende Schweigen der SED-Mitglieder war
ein untrügliches Signal ihrer wachsenden Entpolitisierung,
die dann in der Honecker-Ära zur Normalität des innerpar- Der „Prager Frühling“ 1968 weckt auch in der DDR-Bevölkerung Hoffnungen
teilichen Lebens gehörte. Ein langsames Sterben der sozialis- auf eine Reformierbarkeit des „realen Sozialismus“. Um so verheerender ist die
tischen Ideale begann. Niederschlagung durch sowjetische Panzer. Protest in Prag am 21. August 1968
Am Ende der 1960er Jahre häuften sich die ökonomischen Proble- bringen konnte. Seit Anfang des Jahres 1971 arbeiteten sie ak-
me. Im Sommer 1969 konnte die Sowjetunion auf Grund eigener tiv und mit Wissen, Duldung und partieller Unterstützung des
wirtschaftlicher Schwierigkeiten die lebenswichtigen Rohstof- sowjetischen Parteichefs Leonid Breschnew daran, Ulbricht
fe – Erdöl, Steinkohle, Walzstahl, chemische Ausgangsstoffe – abzulösen.
nicht mehr in dem ursprünglich vereinbarten Umfang liefern. Von Honecker gezwungen, bat Ulbricht Anfang Mai 1971
Die großen ostdeutschen Stahlwerke liefen daher beträchtlichen schließlich das Zentralkomitee, als das laut Parteistatut zustän-
Rückständen hinterher. So betrug der Ausfall in der Produktion dige Gremium, ihn aus Altersgründen – was bei einem 77-Jähri-
von Rohstahl im Stahl- und Walzwerk Brandenburg im Dezem- gen auch öffentlich glaubhaft war – von der Funktion des Ersten
ber 1969 40 000 Tonnen bei anhaltend negativer Tendenz. Der Sekretärs des Zentralkomitees zu entbinden und den damals 58
Rhythmus wichtiger Industriebetriebe geriet ins Stocken. Davon Jahre alten Honecker zu seinem Nachfolger zu wählen. Das ZK
betroffen waren u.a. der Metallleichtbau, der Waggonbau sowie entsprach dieser „Bitte“. Ulbricht wurde zum Vorsitzenden der
Verlade- und Transporterzeugnisse. 1970 steckte die DDR in einer SED gewählt – ein bedeutungsloses Amt, das es laut Statut gar
wirtschaftlichen Krise, die auch eine politische Destabilisierung nicht mehr gab – und blieb Vorsitzender des Staatsrates der DDR.
befürchten ließ. Während Ulbricht an seinem Kurs „Überholen Allerdings verlor der Staatsrat an politischer Bedeutung, indem
ohne einzuholen“ eisern festhielt, regte sich im Politbüro des ZK er einen Teil seiner durch die Verfassung zuerkannten Rechte
der SED Unmut. an die von Willi Stoph geführte Regierung abtreten musste.
Ulbrichts Sturz durch Honecker am 3. Mai 1971 wurde in inter-
nen Auseinandersetzungen im SED-Politbüro mit wirtschafts-
Der Sturz Ulbrichts politischen Fehlentscheidungen des bisherigen Parteichefs
begründet. Tatsächlich ging es Honecker um einen wirtschafts-
Im SED-Politbüro hatten sich im Verlauf der 1960er Jahre zwei politischen Richtungswechsel und die Rückkehr zur Planwirt-
Lager herausgebildet: Die Befürworter von Reformen um Par- schaft der 1950er Jahre. Darüber hinaus spielten auch Richtungs-
teichef Walter Ulbricht wollten das gesellschaftliche System kämpfe in anderen Politikfeldern eine Rolle, so beispielsweise in
modernisieren und damit attraktiver machen. Die Gegner der der Gestaltung der deutsch-deutschen Beziehungen. Gegenüber
Reformen, eine Politbüromehrheit um Erich Honecker, sahen der seit dem 28. Oktober 1969 in Westdeutschland regierenden
darin ein Risiko, das die gesamte Parteiherrschaft ins Wanken sozial-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt
„Goldene“ Sechziger? stellten bei 491 Mark. Etwa 40 % des Der Lebenshaltungskostenindex stieg
Endverbraucherpreises von Fernsehge- grob geschätzt von 1960 bis 1971 im
[...] Seit 1964/65 begannen sich die In- räten und Kühlschränken kamen Mittel jährlich um 1 %, wobei sich die In-
vestitionen auszuwirken: Der Handel dem Staatshaushalt zu. Damit sollten flationsrate nach ihrem Höhepunkt 1962
konnte mehr industrielle Konsumgüter die Subventionen der Preise für Grund- wohl zunächst verlangsamt und erst
als in den Vorjahren anbieten. [...] bedarfsgüter finanziert werden. [...] wieder zum Ende des Jahrzehnts hin
Infolge der besseren Angebote waren Der Einzelhandelsumsatz stieg von 1960 beschleunigt hat. Vom nominalen jährli-
auch mehr und mehr Haushalte mit tech- bis 1971 jährlich um durchschnittlich chen Zuwachs der Nettogeldeinnah-
nischen Konsumgütern ausgestattet. knapp 4 %, die Nettogeldeinnahmen der men der Bevölkerung während der 60er
Bevölkerung dagegen um über 3 %. Jahre in Höhe von 3 % blieb preisbe-
Bestand ausgewählter indus- Damit wurde der Anstieg des Geldüber- reinigt nur etwas mehr als 2 %. [...] In der
trieller Konsumgüter hangs bei der Bevölkerung lediglich Bundesrepublik nahmen zur gleichen
etwas gebremst. Zeit – je nach Berechnungsgrundlage –
je 100 Haushalte 1960, 1965 und 1970 Ein beträchtlicher Teil der Umsatz- die Reallöhne um 5 bis 6 % jährlich
zuwächse – 1970 nahezu die Hälfte – be- zu. Die Entwicklung des Lebensstandards
1960 1965 1970 ruhte jedoch auf gestiegenen Preisen. [...] in der DDR blieb so immer weiter hinter
Die Preise von Industriewaren stiegen dem westdeutschen zurück.
Pkw 3,2 8,2 15,6
zwischen 1962 und 1967 um insgesamt Gleichwohl hatten sich die Verhältnisse
Fernsehgeräte 18,5 53,7 73,6 2,5 % und dann allein im Jahr 1968 gebessert: 1965 und 1967 wurde die
um mehr als 3 %. Diese Preissteigerungen oft schon praktizierte Fünf-Tage-Woche
Kühlschränke 6,1 25,9 56,4
setzten sich bis 1970 fort und erfaßten schrittweise legalisiert und verallgemei-
Waschmaschinen 6,2 27,7 53,6 fast alle Gruppen von Industriewaren nert. Der Mindestlohn stieg 1967 von
und teilweise auch Nahrungsmittel. Bis 220 auf 300 Mark, das Kindergeld wurde
Anfang 1970 verteuerten sich gegen- angehoben, die Renten etwas verbessert
Diese Zunahme ist umso bemerkens- über 1967 Herrenmäntel beispielsweise und 1968 ein freiwilliges Zusatzrenten-
werter, als die Preise für industrielle Kon- um 65 % und Kühlschränke um 10 %. system eingeführt. [...] Der höhere Lebens-
sumgüter im Verhältnis zu den Die höheren Preise hätten den Wirt- standard und der mit der Wirtschafts-
Durchschnittseinkommen erheblich wa- schaftsverantwortlichen eigentlich gefal- reform demonstrierte Veränderungswille
ren: Ein Fernsehgerät kostete 1965 2050 len können, wurde so doch der Kauf- der SED-Spitze waren wohl Ursachen
Mark, ein Kühlschrank 1350 Mark und kraftüberhang reduziert. Weil diese Ent- dafür, daß die 60er Jahre in der DDR eher
eine Waschmaschine 1350 Mark. Zu- wicklung aber als verdeckte Inflation positiv erinnert wurden. [...]
gleich lag das durchschnittliche Netto- und als Wortbruch wahrgenommen wur-
einkommen der Arbeiter und Ange- de, störten sie sich daran. André Steiner, Von Plan zu Plan, München 2004, S. 156 ff.
Die Einsamkeit an der Spitze alten Mann, der dem Sandmann aus dem […] Merkwürdig ist die Geschichte des
Fernsehen so ähnlich sah. Erinnerns an die Ulbricht-Zeit. Als Ulbricht
Es ist merkwürdig genug. Die sechziger […] Gleichzeitig wurde es einsam um am 3. Mai 1971 sein Amt als erster Sekre-
Jahre waren recht eigentlich Ulbrichts Jahr- den ersten Mann des Staates. Die Bil- tär der SED an Erich Honecker abtreten
zehnt. Trotz Jugendrevolte, Generations- der zeigen ihn mit fremden Staatsmän- musste, hielt sich das allgemeine Be-
wechsel und dem vielbeschworenen nern oder Persönlichkeiten aus Kunst dauern in deutlichen Grenzen. Der neue
Aufbruch der neuen Generation wurde und Wissenschaft, aber kaum noch mit Mann profilierte sich mit durchaus volks-
das Land von einem alten Mann regiert. seinen Genossen aus der Führungs- tümlichen Maßnahmen. […]
Er war der ideale Vertreter jener ver- mannschaft des Politbüros. Ulbricht mit seinen zehn Geboten der
knöcherten, provinziellen, beschränkten Ein Bild aus den 1960er Jahren zeigt ihn sozialistischen Moral, seinem Bitterfelder
Funktionäre. […] beim Mittagsessen mit einer Arbeiter- Weg und der sozialistischen Menschen-
Trotz alledem ist es nicht zu bestreiten, familie. So sehen sich Diktatoren gerne, als gemeinschaft wirkte bald schon wie ein
dass es Ulbricht war, der seit 1962 eine Sonntagsbesuch in einer einfachen Fa- ferner Dogmatismus.
größere wirtschaftliche Beweglichkeit des milie. […] Und doch überdeckt das Bild nur Ulbricht starb am 1. August 1973, als
Systems einleitete. Er setzte diese Neue- die Tatsache, dass es zwischen dem Führer die Jugend der Welt auf den Straßen
rungen durch gegen Leute, die teilweise der Arbeiterklasse und den wirklichen der Hauptstadt der DDR die Weltfestspiele
wesentlich jünger waren, führte dauernd Arbeitern der DDR keine Gemeinsamkeit feierte. Die DDR hatte den Zenit ihrer
die Zukunft im Munde, pries die Neuerun- mehr gab. […] Ob Ulbricht diese Tragik Geschichte erreicht, war endlich interna-
gen der Wissenschaft und Technik und empfunden hat, wird niemand sagen kön- tional als Staat anerkannt, wirtschaft-
feierte die Jugend als die Hausherren von nen. Seine schriftliche Hinterlassenschaft, lich nicht ohne Erfolge und von einem Teil
morgen. die im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde ihrer Bürger als eine Art Wohlfahrtsstaat
Er diskutierte mit Werktätigen und einsehbar ist, enthält kaum persönliche akzeptiert.
referierte gerne vor Wissenschaftlern aller Zeugnisse. Der Umgang der führenden Ge- In diesen Jahren war wenig von Ulbricht
Fachrichtungen. Natürlich wusste Ge- nossen untereinander schien mehr als die Rede. Sein Bild und sein Name ver-
nosse Ulbricht über alle Belange gründlich unterkühlt gewesen zu sein. Die Schreiben schwanden fast völlig aus der Parteige-
Bescheid, korrigierte die Werke von im Nachlass Ulbrichts sind fast aus- schichte, und niemand vermisste ihn. Erst in
Historikern mit einem dicken, weichen Blei- schließlich rein amtlicher Natur, im besten den späten achtziger Jahren, in der Phase
stift, schrieb seine Randbemerkungen Fall enthalten sie einen Gruß an die werte offenkundiger Agonie, entdeckten manche
an die Berichte über Theaterinszenierun- Gattin oder beste Wünsche für die Ge- Parteimitglieder die Ulbricht-Zeit neu. Im
gen, Filme und Romane. sundheit. Ulbricht soll ein Aktenmensch Vergleich zu dem ideenlosen Fortwursteln
Die Volksmeinung quittierte diese Be- gewesen sein, und in der Tat gibt es angesichts der herannahenden Katastro-
mühungen ausschließlich mit Hohn unendliche Manuskripte im Archiv, die der phe erschienen die sechziger Jahre als eine
und Spott. Beliebt war Ulbricht auch in Staatsratsvorsitzende teils selbst ver- Zeit des Aufbruchs zu neuen Ufern. […]
dieser Phase keineswegs. Und doch fasst, teils redigiert hat. Doch menschliche
gewöhnte man sich irgendwie an den Züge treten hier kaum hervor. Stefan Wolle, Aufbruch nach Utopia, Berlin 2011, S. 395 ff.
Andreas Malycha
pciture-alliance / ZB / Heinz Junge
Erich Honecker setzt mit seinem Machtantritt neue Akzente:
Nicht mehr die Förderung der Industrie steht im Mittelpunkt
der Politik, sondern der Ausbau sozialer Leistungen, um die
Loyalität der Bevölkerung zu sichern. Dies setzt zunehmend
die wirtschaftliche Stabilität unter Druck.
Wohnungstausch hatten wir ein Grundstück im Wald Als alles organisiert war, wollten wir den
gepachtet und einen kleinen Bungalow Kaufvertrag machen. Dazu […] brauchte
[…] 1969 haben wir geheiratet. Unser erstes darauf errichtet, unsere Datsche, die wir man eine Genehmigung der Abteilung
großes Problem war, wie wir zu einer jedes Wochenende aufsuchten. Aber die Wohnungspolitik des Stadtbezirks. Dort […]
Wohnung kommen. Man mußte mit meiste Zeit mußten wir im Riesenneubau erfuhren wir, daß dem Kauf und dem Um-
mindestens vier bis fünf Jahren Warte- verbringen. Fünf Jahre blieben wir dort. zug nicht zugestimmt werden könne, weil
zeit rechnen, hatte man erst mal […] Wir träumten von einem eigenen Haus. der Wohnraum für andere Bürger ge-
den Antrag gestellt. Da bekam ich mit, Ein ehemaliger Kollege hatte in der Nähe braucht werde. Es war bekannt, daß der
daß einige Kollegen in einer Straße gebaut. Vielleicht dadurch angeregt, Staat das Vorkaufsrecht hatte und […] Häu-
in Weißensee Dachböden von Häusern begann Gisela 1979 am Anfang der Ferien ser auch für Bürger, die ihm genehm und
aus den zwanziger Jahren zu Woh- von Haustür zu Haustür zu wandern, zu Diensten waren, mit Beschlag belegte.[...]
nungen ausbauten. Sie taten das für sich sie hat wirklich geklingelt und gefragt, ob [Gisela] hatte davon gehört, daß es beim
selbst, aber mit betrieblicher Hilfe. Wir jemand sein Haus verkaufen wolle. […] Staatsrat eine Stelle für Eingaben der Bür-
konnten mit von der Partie sein. […] Im [E]ines Tages hat es […] geklappt! Die ger gibt. […] Sie hat ihr Anliegen vorge-
Oktober zogen wir in unsere zwei Zimmer Nachbarin hier sagte zu ihr: „Versuchen tragen und das Schriftstück abgegeben. [...]
mit Küche und Bad ein, und im Januar Sie es doch mal nebenan.“ Der Mann Es gab damals noch eine Vierwochen-
wurde Sebastian geboren. Ein gutes Jahr war seit einem Jahr Witwer und trug sich frist für die Beantwortung solcher Ein-
später kam Susanne zur Welt. Obwohl mit dem Gedanken auszuziehen. […] gaben. Genau nach vier Wochen traf bei
es eng wurde, haben wir gern dort ge- Wir […] sind mit dem Herrn handelseinig uns ein Brief ein. Keiner wollte ihn öffnen.
wohnt. […] Aber wir bemühten uns na- geworden. Wir hatten ihm versprochen, Als ich abends nach Hause kam, haben
türlich um eine größere Wohnung. Nach daß wir nach seinen Wünschen eine Woh- wir ihn gemeinsam aufgemacht – und die
etwa viereinhalb Jahren klappte es auch. nung besorgen und den Umzug organi- Freude war groß. Es handelte sich um
Wir zogen um in eine Vier-Raum-Woh- sieren werden. Für das Haus wollten wir eine Zusage. Sie wurde damit begründet,
nung in einem typischen Neubauviertel. bezahlen, was er verlangte. daß wir uns bereits so stark engagiert
[…] In unserem Block befanden sich viele Er wünschte sich eine Zwei-Zimmer- und den Ringtausch organisiert hatten.
Vier- und Fünf-Raum-Wohnungen. Folg- Wohnung mit moderner Heizung, nicht Für alle Beteiligten hätten wir Wohnraum
lich lebten hier kinderreiche Familien. zu weit weg von einer Einkaufsgelegen- gewonnen, deshalb sei unser Vorge-
Oft hatte man durchaus den Eindruck, heit, aber auch nicht weit entfernt von der hen von gesellschaftlichem Interesse. Im
daß eine Menge Asoziale darunter waren. vertrauten Umgebung. […] Da sind wir Stadtbezirk hatte man dagegen vorher
Schmierereien und Schmutz im Ein- dann in das Gebiet gefahren, das in Frage kritisiert, daß wir das alles auf eigene
gangsbereich, auf den Korridoren, in den kam, und haben Anschläge mit dem Faust unternommen hatten. Was uns also
Fahrstühlen. Es herrschte Anonymität, Tauschangebot und unserer Telefonnum- einerseits vorgeworfen wurde, war nun
und es war frustrierend, in einer solchen mer auf den Tafeln in den Hausein- andererseits die Begründung für den Zu-
Umgebung leben zu müssen, ohne an gängen angebracht. Schon nach wenigen schlag. […]
den Umständen etwas ändern zu können. Tagen meldete sich eine Familie mit
Familienportrait von Joachim, 53 Jahre, Diplomingenieur, in:
[…] Diese Situation führte im Laufe der drei Kindern, die liebend gern in unsere Gisela Helwig (Hg.), Die letzten Jahre der DDR – Texte zum
Zeit zu Spannungen in der Familie. Zwar Vier-Zimmer-Wohnung ziehen wollte. […] Alltagsleben, Köln 1990, S. 18ff.
arbeitsfähigen Alter einer Berufstätigkeit nach und erhielten kostspieligen erweiterten Import von westlichen Konsumpro-
so die Möglichkeit wirtschaftlich unabhängig zu werden. dukten realisiert werden, nicht zuletzt deshalb, weil die Par-
Trotz der zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten, tei die versprochenen Wohltaten zunächst schneller verteilte,
die zu einer Verknappung des Warenangebots für die Bevölke- als es die Volkswirtschaft der DDR erwirtschaften konnte. Da
rung führten, und der unzureichenden Versuche, ihrer Herr zu Honecker es ablehnte, sein Programm der Einheit von Wirt-
werden, ließ sich Honecker nicht von seinem Sozialprogramm schafts- und Sozialpolitik auch nur marginal zu verändern,
abbringen. Auf dem IX. Parteitag der SED im Mai 1976 wurden bekamen die Ministerien immer höhere Planvorgaben, die sie
dann sogar weitere Erhöhungen von Löhnen und Renten, eine nur mit statistischen Tricks einhalten konnten.
Verkürzung der Arbeitszeit sowie eine Verlängerung des Erho- Da in zunehmendem Maße mehr importiert als exportiert
lungsurlaubs beschlossen. Partei und Regierung verabschie- wurde, nahm bereits 1972/73 das Handelsdefizit gegenüber
deten außerdem ein ausgedehntes Konsumprogramm. Die den westlichen Industriestaaten deutlich zu. So stieg die
Steigerung des Lebensstandards konnte jedoch nur mit einem Verschuldung der DDR gegenüber dem „nichtsozialistischen
Frauen und Familienpolitik de [in den 1970er Jahren] auf der propa- blieb hingegen bis zum Ende der DDR auf
gandistischen Bühne von „unseren Muttis“ einem ähnlich niedrigen Niveau wie in
Der Anfang war vielversprechend. Bereits abgelöst. Unter dem Motto „Beeinflussung Westdeutschland: 1954 lag der Anteil
der kurz nach Kriegsende erlassene Befehl der Reproduktionsfunktionen der Fami- der Professorinnen bei 2,8 Prozent, 1964
Nr. 253 der Sowjetischen Militäradminis- lie“ – im DDR-Alltagsjargon als „Mutti- bei 3,6 Prozent. Arbeitsgruppenleiterin-
tration (SMAD) vom 17. August 1946, der politik“ verniedlicht – entwickelte die SED nen an der Akademie, Chefärztinnen,
den Titel „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ im Anschluss an ihren VIII. Parteitag Ministerinnen oder Betriebsleiterinnen
trug, stellte entscheidende Weichen. das familienpolitische Konzept der folgen- musste man mit der Lupe suchen. Selbst
„Befohlen“ wurde im Duktus der Zeit „die den Jahre. [...] Unter der Devise „Der die legendären Legionen von ostdeut-
gleiche Entlohnung für Arbeiter und Wille zum Kind“ wurde [...] eine Reihe von schen Ingenieurinnen müssen ein Stück
Angestellte für die gleiche Arbeit, unab- sozialpolitischen Maßnahmen in Gang weit entzaubert werden: Ein Großteil der
hängig von Geschlecht und Alter“. [...] gesetzt, um diesen Willen zu bestärken. Frauen […] wurde auf Nebenbranchen der
Was von der SMAD schon anvisiert wor- Dazu gehörten vor allem diverse Profession lanciert. [...]
den war, wurde in der Verfassung der Freistellungsmöglichkeiten, die von der Viele Frauen, namentlich die akade-
DDR vom 7. Oktober 1949 konkret. Ohne Arbeitszeit abgingen und es erlauben misch qualifizierten, schienen sehr wohl
Umschweife verkündete Artikel 7 Absatz 1: sollten, in diesen Zeiten Haus- und Erzie- abgewogen zu haben, ob sich der Schritt an
„Mann und Frau sind gleichberechtigt.“ hungsarbeit zu leisten. […] Damit zollte die Spitze überhaupt lohnte. Denn nur
[...] In Artikel 18 Absatz 5 der DDR-Verfas- die SED-Regierung zwar einerseits ihren selten bedeutete in der DDR ein Karriere-
sung hieß es weiter: „Die Frau genießt Tribut an die Mühen der Hausarbeit, sprung auch gleichzeitig eine Einkom-
besonderen Schutz im Arbeitsverhältnis. andererseits schrieb sie damit einmal mensverbesserung, fast immer jedoch war
Durch Gesetze der Republik werden mehr die vornehmlich weibliche Zustän- ein Weitersteigen auf der Karriereleiter
Einrichtungen geschaffen, die es gewähr- digkeit für den Familienbereich fest und mit einer Vielzahl von neuen gesellschaft-
leisten, daß die Frau ihre Aufgabe als Bür- verschaffte Frauen noch dazu durch diese lichen Verpflichtungen gekoppelt und
gerin und Schaffende mit ihren Pflichten „Sonderkonditionen“ eine Sonderstellung mit einem expliziten Ja zum Staat. Somit
als Frau und Mutter vereinbaren kann.“ an ihrem Arbeitsplatz, die vom „Kollektiv“ konnte es sich durchaus als das größere
So revolutionär dieses Gesetz auf den mit Argwohn betrachtet wurde. [...] Plus erweisen, mit einer unteren oder
ersten Blick erschien, so traditionell war Dies ging nicht zuletzt zu Lasten des be- mittleren Ebene der akademischen Lauf-
das darin mitschwingende Familienideal. ruflichen Fortkommens. Im Sommer bahn vorliebzunehmen. [...]
Nicht nur, dass die „Familienarbeit“ 1975 startete das Institut für Meinungs- Hinter den sich seit den sechziger Jahren
weitgehend Frauensache blieb. Seit dem forschung der DDR eine Umfrage über häufenden, freilich „streng vertraulichen“
Beginn der fünfziger Jahre wurde sie noch die „Stellung der Frau in Familie und Ge- Klagen von Kaderfunktionären, trotz aller
dazu systematisch abgewertet. […] sellschaft“. […] Ein Ergebnis beunruhigte Anstrengungen keine willigen Frauen für
[S]pätestens seit der Mitte des Jahrzehnts besonders: Die wachsende Unzufrie- Leitungsfunktionen zu finden, verbarg sich
[durchzogen] Diffamierungskampagnen denheit vor allem der „Frauen der Intelli- ein wachsendes Heer selbstbewusster
gegen die sogenannten „Nur-Hausfrauen“ genz“ ließ sich nicht verhehlen. Sie Frauen, die sich ihren Lebensentwurf nicht
[...] die ostdeutsche Medienlandschaft. […] zeigten eine geringere „Geburtenfreudig- aus den Händen nehmen lassen wollten. [...]
[Es] wurde von zufriedenen Hausfrauen keit“ und eine generell größere Skepsis, Dieser Strategie konnten sich zwar
berichtet, die endlich den Schritt vom Herd ihren Beruf mit Familienpflichten verein- auch männliche Akademiker bedienen.
zum Fließband geschafft hatten. baren zu können. [...] Doch anders als ihre weiblichen Kollegen
Dass sie abends an den Herd zurückkehr- [Z]u Beginn der siebziger Jahre waren unterstanden sie weit stärker einem
ten, stand dabei außer Frage. Auch im fast so viele Frauen wie Männer an ost- gesellschaftlichen Erfolgsdruck, der eine
1965 verabschiedeten „Familiengesetzbuch“ deutschen Universitäten immatrikuliert. Rechtfertigung des Verharrens auf
(FGB) war nicht nur zwischen den Zeilen […] Auf Spitzenpositionen waren Frauen einer bestimmten Stufe der Karriereleiter
zu lesen, wem nach wie vor die Hauptver- hingegen weiterhin kaum vertreten. Im deutlich schwerer machte. [...]
antwortung übertragen wurde. [...] wissenschaftlichen Segment besetzten
Gunilla Budde, „Die emanzipierte Gesellschaft“, in: Thomas
Die voll erwerbstätige sozialistische Frauen vor allem die Mitarbeiterstellen, Großbölting (Hg.), Friedensstaat, Leseland, Sportnation? DDR-
Frauenpersönlichkeit der frühen DDR wur- ihr Anteil unter der Professorenschaft Legenden auf dem Prüfstand, Berlin 2009, S. 92 ff.
DDR-Verfassungen im Vergleich Volkes widerspricht, hat sich das Volk der mus, des Friedens, der Demokratie und
[DDR], fest gegründet auf den Errungen- der Völkerfreundschaft zu gehen, hat sich
7. Oktober 1949, 6. April 1968 und schaften der antifaschistisch-demokrati- das Volk der [DDR] diese sozialistische
7. Oktober 1974 schen und der sozialistischen Umwälzung Verfassung gegeben.
der gesellschaftlichen Ordnung, einig in
Präambeln: seinen Werktätigen Klassen und Schichten Artikel 1, Auszug:
1949: Von dem Willen erfüllt, die Freiheit das Werk der Verfassung vom 7. Oktober 1949: Deutschland ist eine unteilbare
und die Rechte des Menschen zu verbür- 1949 in ihrem Geiste fortführend und Republik; sie baut auf den deutschen
gen, das Gemeinschafts- und Wirtschafts- von dem Willen erfüllt, den Weg des Frie- Ländern auf. [...] Es gibt nur eine deutsche
leben in sozialer Gerechtigkeit zu gestal- dens, der sozialen Gerechtigkeit, der Staatsangehörigkeit.
ten, dem gesellschaftlichen Fortschritt zu Demokratie, des Sozialismus und der 1968: Die [DDR] ist ein sozialistischer
dienen, die Freundschaft mit allen Völkerfreundschaft in freier Entschei- Staat deutscher Nation. Sie ist die poli-
Völkern zu fördern und den Frieden zu dung unbeirrt weiterzugehen, diese sozia- tische Organisation der Werktätigen in
sichern, hat sich das deutsche Volk listische Verfassung gegeben. Stadt und Land, die gemeinsam unter
diese Verfassung gegeben. 1974: In Fortsetzung der revolutionären Führung der Arbeiterklasse und ihrer
1968: Getragen von der Verantwor- Traditionen der deutschen Arbeiter- marxistisch-leninistischen Partei den
tung, der ganzen deutschen Nation den klasse und gestützt auf die Befreiung vom Sozialismus verwirklichen.
Weg in eine Zukunft des Friedens und Faschismus hat das Volk der [DDR] in 1974: Die [DDR] ist ein sozialistischer
des Sozialismus zu weisen, in Ansehung Übereinstimmung mit den Prozessen der Staat der Arbeiter und Bauern. Sie ist
der geschichtlichen Tatsache, daß der geschichtlichen Entwicklung unserer die politische Organisation der Werktäti-
Imperialismus unter Führung der USA im Epoche sein Recht auf sozial-ökonomische, gen in Stadt und Land unter Führung
Einvernehmen mit Kreisen des westdeut- staatliche und nationale Selbstbestim- der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-
schen Monopolkapitals Deutschland ge- mung verwirklicht und gestaltet die ent- leninistischen Partei.
spalten hat, um Westdeutschland zu wickelte sozialistische Gesellschaft.
einer Basis des Imperialismus und des Erfüllt von dem Willen, seine Geschicke Zusammenstellung durch den Verfasser. Nach: VERFASSUNG
1949, S. 11, 13; VERFASSUNG 1968, S. 5, 9; VERFASSUNG 1974, S. 5 f.
Kampfes gegen den Sozialismus auf- frei zu bestimmen, unbeirrt auch weiter In: Matthias Judt (Hg.), DDR-Geschichte in Dokumenten, Bonn
zubauen, was den Lebensinteressen des den Weg des Sozialismus und Kommunis- 2010, S. 508 f.
Klaus Rose / imagetrust
Anerkennung
picture-alliance / ZB / Horst Sturm
per Bahn, Schiff und auf den Straßen zwischen Westdeutsch-
land und West-Berlin künftig ohne Behinderungen durch die
Grenz- und Zollorgane der DDR abzuwickeln. Bis dahin war
es an den Übergangsstellen oft zu schikanösen und zuweilen
mit erheblichem Zeitaufwand verbundenen Grenzkontrollen
gekommen. Im Mai 1972 folgte ein umfassendes Verkehrsab-
kommen zwischen beiden deutschen Staaten. Für die Men-
schen ergaben sich durch diese Normalisierung der deutsch- ... und führt international dazu, dass immer mehr Staaten die DDR völker-
deutschen Beziehungen ganz konkrete Erleichterungen in rechtlich anerkennen. So kann eine Delegation mit Honecker an der Spitze
Form von Besuchs- und anderen Kontaktmöglichkeiten. auch am 1. August 1975 die KSZE-Schlussakte von Helsinki unterzeichnen.
Am 21. Dezember 1972 unterzeichneten die Regierungen
der Bundesrepublik und der DDR den Grundlagenvertrag, der
die deutsch-deutschen Beziehungen auf der Grundlage von Nationen (UNO). Zugleich erkannten immer mehr Länder die
Gleichberechtigung und gutnachbarlicher Zusammenarbeit DDR völkerrechtlich an. 1972 nahmen 22 und 1973 weitere 46
auf eine neue Basis stellte. Der DDR wurden ihre Unabhän- Staaten diplomatische Beziehungen zur DDR auf, darunter
gigkeit und Selbstständigkeit in ihren inneren und äußeren Frankreich und Großbritannien. Die Vereinigten Staaten von
Angelegenheiten sowie die uneingeschränkte Achtung ih- Amerika folgten 1974. Ende der 1970er Jahre unterhielt die
rer territorialen Integrität bestätigt. Dies markierte das Ende DDR mit 132 Ländern diplomatische Beziehungen und arbeite-
der westdeutschen „Hallstein-Doktrin“. Der seit 1955 gültigen te in allen wichtigen internationalen Organisationen mit. Die
Doktrin hatte die Auffassung zugrunde gelegen, dass die Bun- ökonomische und politische Abhängigkeit von der Sowjetun-
desrepublik Deutschland die einzige demokratisch legitimier- ion lockerte sich jedoch nicht, zumal Honecker und Breschnew
te Vertretung des gesamten deutschen Volkes sei und demzu- am 7. Oktober 1974 einen Freundschafts- und Beistandsvertrag
folge nur sie die Deutschen international vertreten dürfe. Sie abschlossen. Auch im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe
hatte jenen Staaten, die die DDR diplomatisch anerkannten, (RGW) diktierte die Sowjetunion nach wie vor die Bedingun-
den Abbruch diplomatischer Beziehungen angedroht (so 1957 gen der wirtschaftlichen Kooperation. Die DDR war militärisch
Jugoslawien). Das bis 1969 angestrebte Ziel, die DDR außenpo- fest in das osteuropäische Militärbündnis, den Warschauer
litisch zu isolieren, gab die sozial-liberale Koalition unter Willy Pakt, eingebunden, in dem die UdSSR eine Vormachtstellung
Brandt jetzt offiziell auf. ausübte.
Die von der SED-Führung geforderte völkerrechtliche Aner- Am 1. August 1975 unterzeichneten in Helsinki 35 Staats- be-
kennung lehnte die Bundesregierung hingegen ab, da sie da- ziehungsweise Regierungschefs der europäischen Länder, der
mit gegen das Wiedervereinigungsgebot im Grundgesetz der Vereinigten Staaten und Kanadas die Schlussakte der Kon-
Bundesrepublik verstoßen hätte. Infolgedessen gab es auch ferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE).
keine Botschaften, wohl aber „Ständige Vertretungen“ in Bonn Die DDR gehörte wie die anderen osteuropäischen Länder zu
und Ost-Berlin, die am 2. Mai 1974 ihre Arbeit aufnahmen. Als den Unterzeichnern. Durch die Schlussakte hatten die Sowjet-
Vertreter der Bundesrepublik in der DDR wurde Günter Gaus, union und die DDR zwar ein wichtiges außenpolitisches Ziel
als Vertreter der DDR in der Bundesrepublik Michael Kohl ak- erreicht: Die deutsche Zweistaatlichkeit war international ak-
kreditiert. Auf der Grundlage dieses Abkommens wurden bis zeptiert. Innenpolitisch bekam die SED-Führung jedoch durch
1989 zahlreiche Verträge unterzeichnet, die den Handel und den „Korb 3“ der Schlussakte von Helsinki Probleme. Dort hat-
den Verkehr zwischen beiden deutschen Staaten regelten. te der Westen vor allem die Verpflichtung zur Achtung der
Der Grundlagenvertrag führte am 18. September 1973 zur individuellen Menschen- und Bürgerrechte eingebracht, ver-
Aufnahme der DDR und der Bundesrepublik in die Vereinten bunden mit umfangreichen Forderungen nach menschlichen
SED Politbüro
Kombinate
VEG, VEB Industrie-
Örtliche Kombinate
kombinate
Versorgungswirtschaft,
Handwerk, * GPG = Gärtnerische
Dienstleistungen LPG, GPG* Produktionsgenossenschaft
VEB VEB
usw.
Vereinfachte Darstellung
© Bergmoser + Höller Verlage AG, Zahlenbild 568 100
Erleichterungen hinsichtlich Reisen, Information und Kul- che zusammengeführt und einer zentralen Leitung unter-
turaustausch. In der DDR musste sich die politische Führung stellt wurden. Der Grundgedanke bei der Kombinatsbildung
jetzt an diesen Verpflichtungen messen lassen. Nicht zuletzt bestand darin, leistungsfähige ökonomische Einheiten zu
konnte sich die entstehende Oppositionsbewegung auf den bilden, Forschung und Entwicklung, Produktion und Absatz
„Korb 3“ der Schlussakte von Helsinki berufen. einschließlich des Außenhandels unter einer einheitlichen
Leitung administrativ zu vereinen. Dieser Ansatz kam jedoch
nicht zur Wirkung, da sich die Kombinate politisch und finan-
Verstaatlichung von privaten Unternehmen und ziell fest am Gängelband zentraler SED-Gremien, der ZK-Ab-
Handwerksbetrieben teilungen und Politbüroentscheidungen sowie ministerieller
Weisungen befanden. Am Ende der 1970er Jahre gab es circa
1972 ließ die SED-Führung die noch bestehenden privaten 133 zentral geleitete Kombinate, die von einem Stammbetrieb
Industrie- und Baubetriebe, die Betriebe mit staatlicher Be- aus von einem Generaldirektor geleitet wurden.
teiligung sowie die rund 2000 industriell produzierenden Das VEB Schwermaschinenbaukombinat „Ernst Thälmann“
Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) und 500 (SKET) gehörte mit mehreren zehntausend Beschäftigten und
Handwerksunternehmen in Staatseigentum überführen. Der zahlreichen volkseigenen Maschinenbaubetrieben zu den
Schwerpunkt der Verstaatlichungsaktionen lag in den südli- größten Kombinaten in der DDR. Es exportierte u.a. Ausrüs-
chen Bezirken der DDR, deren Wirtschaft seit je durch kleinere tungen für die metallverarbeitende und Hütten-Industrie wie
und mittlere Betriebe geprägt wurde. komplette Walzstraßen in die Sowjetunion und das westliche
Nach den herrschenden Maximen der marxistisch-leninisti- Ausland und nahm damit eine wichtige Stellung im Außen-
schen Ideologie hatten damit die „sozialistischen Produktions- handel der DDR ein. Durch die zentrale Planung aller Produk-
verhältnisse“ gesiegt. Tatsächlich war es ein Pyrrhussieg, wie tionsabläufe einschließlich des Absatzes einer bestimmten
sich bald herausstellte. Es handelte sich nämlich vor allem um Branche blieben die Kombinate jedoch unflexibel und konn-
Betriebe, die Konsumgüter für die Bevölkerung und bedeutsame ten vor allem nicht rasch genug auf die sich verändernden
Zulieferungen für die Volkswirtschaft herstellten und teilweise Weltmarktbedingungen reagieren.
auch wichtige Exportverpflichtungen zu erfüllen hatten. Das
Potenzial des verstaatlichten Mittelstandes wurde nahezu ver-
nichtet und konnte nicht wieder ersetzt werden, so dass sich die Hoffnungen der jungen Generation
bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten verschärften.
Der von Honecker seit seinem Machtantritt verbreitete soziale
Optimismus ließ Hoffnungen auf eine gewisse Lockerung kei-
Bildung von Kombinaten in der Industrie men, insbesondere in jener Generation, die in der DDR aufge-
wachsen war. Tatsächlich fand sich die SED unter Honecker zu
Zugleich trieb die SED-Führung die bereits unter Ulbricht zeitweiligen Zugeständnissen bereit. So wurden die X. Welt-
einsetzende Bildung von Kombinaten weiter, in denen gro- festspiele der Jugend und Studenten im August 1973 in Ost-
ße Industriebetriebe eines Industriezweiges bzw. einer Bran- Berlin zu einem fröhlichen, weithin unbeschwerten Fest. Rund
25 000 Jugendliche aus 140 Ländern kamen in die „Hauptstadt „Klaus Renft Combo“ sang mitten in der Ost-Berliner City ihr
der DDR“ und feierten mit rund einer halben Million FDJ-Mit- doppeldeutiges Lied „Ketten werden knapper“, ein Lied, das
gliedern, die seit dem Mauerbau zum ersten Mal die Chance zur Festivalhymne erkoren wurde.
hatten, sich mit Jugendlichen aus anderen Ländern zu treffen.
Gleichzeitig sorgte eine Vielzahl hauptamtlicher und inoffi-
zieller Mitarbeiter des MfS dafür, unliebsame Zwischenfälle Ketten werden knapper
und vermeintliche „Störenfriede“ des Scheins der Normalität Singt für alle, die alles wagen
auszuschalten. Für die Leute in jedem Land
Ferner verzichteten staatliche Instanzen auf bislang üb- Die gemeinsam den Erdball tragen
liche Praktiken. Der Empfang westlicher Rundfunk- und Dass kein Mensch mehr noch steht am Rand.
Fernsehsender wurde nicht mehr kriminalisiert, Zeitungen Ketten werden knapper
und Zeitschriften aus der Bundesrepublik waren jedoch wei- Und brechen sowieso
terhin nicht zugelassen. Jugendliche Radiohörer in der DDR Wie junger Rhabarber
orientierten sich überwiegend an den Programmen des Wes- Wie trockenes Stroh
An der Hand des Riesen
tens. Sie boten moderne Musik sowie heiß begehrte Infor-
Der tausend Nasen hat
mationen in Fülle und verzichteten auf Agitation. Hoch im Der braucht nur zu niesen
Kurs standen die „Schlager der Woche“ des in West-Berlin Und wendet das Blatt [...]
ausgestrahlten RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor),
der „Aktuelle Plattenteller“ des Deutschlandfunks sowie di- T.: Gerulf Pannach, K.: Peter Gläser, M.: Klaus Renft Combo, 1972
In: Rauhut Michael (Hg.), Rock in der DDR, bpb-Zeitbilder, Bonn 2002, S. 55
verse Sendungen von Radio Luxemburg, Europa-Welle-Saar
und des amerikanischen Senders AFN (American Forces Net-
work), der insbesondere von Jugendlichen in Ost-Berlin gern
gehört wurde, weil dort moderne Popmusik rund um die Uhr Typisch für die überall entstehenden Rockgruppen waren
lief. DDR-Programme waren dagegen weit weniger gefragt. Lieder mit deutschen Texten, in denen alltagssprachliche Bot-
Gleichwohl unternahmen die DDR-Medien viel, um sich schaften, aber auch kritische Kommentare zum Leben mit täg-
auf die jugendlichen Hörgewohnheiten einzustellen. Ab lich erlebten Widersprüchen auftauchten. Zu den bekanntes-
1970 richteten sämtliche Radiostationen spezielle Rock- und ten und beliebtesten Rockgruppen der 1970er Jahre gehörten
Pop-Magazine, Hitparaden und Wunschsendungen ein, in die „Puhdys“, „Renft“, „Electra-Combo“, „Horst-Krüger-Band“,
denen auch westliche Titel liefen. Am häufigsten wurde der „Stern Combo Meißen“, „Lift“ sowie „Karat“. Den größten Hit
Jugendsender DT 64 gehört; es folgten die Sendungen „Musik der DDR-Rockgeschichte brachte die Berliner Band „City“ 1977
für junge Leute“ von Radio DDR I, „Beat-Kiste“ von Stimme mit dem Lied „Am Fenster“ heraus. Die gleichnamige LP war
der DDR und die „Tip-Parade“, die ebenfalls von Radio DDR I die erste ostdeutsche Platte, die in der Bundesrepublik vergol-
ausgestrahlt wurde. Darüber hinaus nahm das DDR-Fernse- det wurde.
hen Jugendsendungen in das Programm. Die wöchentlich aus-
gestrahlte Jugendsendung „Rund“ entstand zur Vorbereitung
der X. Weltfestspiele 1973. Mit einem Mix aus Musik und Ge- Kurze kulturpolitische Liberalisierung
spräch trat die Sendung modern und unterhaltsam in Erschei-
nung. Im Laufe der Jahre wurden die Gesprächsrunden jedoch In der liberalen Phase in der DDR der frühen 1970er Jahre hat-
immer propagandistischer. te sich auch unter Schriftstellern und Künstlern so etwas wie
Im Windschatten der X. Weltfestspiele erhielten auch Rock- Aufbruchstimmung breit gemacht. Dies umso mehr, als Kul-
und Beatgruppen wieder Zuspruch. Die populäre Leipziger turpolitiker der SED öffentlich erklärten, Kunst ließe sich nicht
Neue Spielräume: 1973 nehmen Jugendliche aus 140 Ländern, hier Tunesi- Auch Rockgruppen mit deutschsprachigen Texten wie die Puhdys sind er-
er, an den X. Weltfestspielen in Ost-Berlin teil. folgreich, hier beim Pfingsttreffen der FDJ 1979 in Ost-Berlin.
ullstein bild – Winkler
akg-images
akg-images / Binder
sche Reaktion der Kulturpolitiker auf das Stück machte jedoch
schon deutlich, dass sich an den Mechanismen der politischen
Kontrolle über Kunst und Literatur nichts geändert hatte.
Darüber hinaus gab die politische Führung ihre bisherige
Konzentration auf die Kunst im engeren Sinne auf und lenk- Ulrich Plenzdorf sorgt 1972 mit seinem gesellschaftskritischen Theaterstück
te den Blick stärker auf Unterhaltung und Breitenkultur. Ein „Die neuen Leiden des jungen W.“ für Aufsehen. Die anschließende harsche Kri-
sichtbares Zeichen hierfür war die populäre Unterhaltungs- tik der Kulturpolitiker zeigt, dass sie ihre Kontrolle weiterhin aufrechterhalten.
sendung „Ein Kessel Buntes“, die am 29. Januar 1972 erstmals
im Ersten Programm des Fernsehens der DDR ausgestrahlt
wurde. Die Sendung galt als ein Aushängeschild der DDR-
Unterhaltung, weshalb keine Kosten gescheut wurden, auch
internationale Stars zu verpflichten. Zudem förderte der Staat
jetzt mehr als zuvor vielfältige Formen der Laienkunst sowie
folkloristische Zirkel, unterstützte Jugendclubs und Diskothe-
ken mit finanzieller Ausstattung und baute das Netz der Kul-
turhäuser aus. Die staatliche Förderung der Jugend- und Frei-
zeitkultur diente freilich auch dem Zweck, lokale Kunst- und
Kulturinitiativen politisch unter Kontrolle zu behalten.
Die Grenzen der zeitweiligen kulturpolitischen Öffnung
… unsereiner kann es nicht Monika: Na, das ist jetzt schwer, es waren stimmten Weg. Er will eben nicht immer
so viele. Zum Beispiel, daß dieser Edgar alles nach Plan machen. [...]
Hans-Peter: [...] Ich bekam sofort Lust, Wibeau nicht so langweilig leben will, E.K.: Ihr billigt also den Ausbruch Edgars
mich mit dem Jugendlichen, der da daß ihm alles zu langweilig ist. Er hat den aus der Gesellschaft, und ihr billigt,
auf der Bühne stand, dem Edgar Wibeau, zu Drang nach was Besonderem, und daß er selbst diesen Ausbruch mißbilligt?
vergleichen, Parallelen zu ziehen zwischen das ist meiner Meinung nach eine ganz Monika: Genau. Wegen dieses Wider-
seinem und meinem eigenen Leben [...] allgemeine Eigenschaft von Jugend- spruchs habe ich es ja so bedauert,
Monika: Es war eine großartige Stim- lichen. [...] Und das kam in vielen Sachen daß ich nach dem Theater niemand hatte,
mung, alle klatschten wie verrückt, zum Ausdruck, auch daß er nicht ein- mit dem ich mich darüber unterhalten
es wurde auch mit den Füßen getrampelt verstanden ist mit dem ganzen Trott, mit konnte.
und gerufen, einfach aus Begeisterung. dem alltäglichen Trott. Da bricht er Gerhild: Ich meine, dadurch wird ein
[...] Ich fand es einfach schau (damalige eben aus [...]. Stück erst interessant, daß man veranlaßt
Jugendsprache, gleichbedeutend E.K.: Du hattest also ein bißchen das Ge- wird, in verschiedenen Richtungen zu
mit gut, außerordentlich, Anm. d. Red.), fühl, er hat es für dich mitgetan? denken.
man konnte sogar herzlich lachen Monika: Er hat es fertiggebracht, unser-
Gespräch der Redaktion mit vier Berliner Jugendlichen über
zwischendurch. Und dann noch so viele einer kann es nicht. Das muß eine ganz „Die neuen Leiden des jungen W.“, in: Neue Deutsche Literatur,
echte Probleme von Jugendlichen! große Rolle gespielt haben bei dem Edgar, Heft 3/1973.
E.K.: Zum Beispiel? daß er [...] rauswollte aus seinem vorbe- In: Manfred Jäger, Kultur und Politik in der DDR, Köln 1982, S. 149
die Wiedereinreise in die DDR verwehrt und die DDR-Staats- mit Kritik an der Kulturpolitik der SED an die Öffentlichkeit
bürgerschaft entzogen. Gegen die Ausbürgerung Biermanns zu gehen, zerbrachen im Kreislauf von Auftritts- und Publi-
protestierten am 17. November 1976 zwölf Schriftsteller – kationsverboten, Verhören und Bespitzelungen. Die Diffamie-
Stephan Hermlin, Stefan Heym, Christa und Gerhard Wolf, rung kritischer Autoren und die Abstrafung von Schriftstel-
Volker Braun, Heiner Müller, Erich Arendt, Sarah Kirsch, Rolf lern, die ihre Besorgnis über die repressive Kulturpolitik offen
Schneider, Franz Fühmann, Günter Kunert, Jurek Becker – und zum Ausdruck brachten, erreichte im Juni 1979 einen Höhe-
der Bildhauer Fritz Cremer mit einer öffentlichen Erklärung, punkt, als neun Schriftsteller, darunter Stefan Heym, aus dem
in der sie die Partei- und Staatsführung aufforderten, die be- Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen wurden. Ob-
schlossenen Maßnahmen zu überdenken. gleich formal das Präsidium des Schriftstellerverbandes mit
Nach der Biermann-Affäre setzte ein bis zum Ende der DDR Hermann Kant an der Spitze die Verantwortung für die Aus-
nicht abreißender Exodus von Schriftstellern und Künstlern schlüsse trug, konnte kein Zweifel darüber bestehen, dass das
ein, die vom „real existierenden Sozialismus“ in der DDR end- SED-Politbüro unter Führung Honeckers mit diesem rigiden
gültig genug hatten. Diejenigen, die es jetzt noch wagten, kulturpolitischen Akt deutliche Zeichen setzen wollte.
Nachdem Erich Honecker am 3. Mai 1971 das Amt des Partei- SED – Sozialistische Einheitspartei
chefs von Walter Ulbricht übernommen hatte, schaffte es der Deutschlands
neue Mann an der Spitze, sich sowohl bei der eigenen Bevöl-
kerung als auch bei den westlichen Beobachtern ein gewisses Organisationsaufbau
positives Ansehen zu verschaffen. Doch zog mit Honecker als
Erstem Sekretär kein neuer Politikstil in das Politbüro ein. Die Generalsekretär
systembedingten Herrschaftsmethoden blieben dieselben
und auch durch die Verfassungskorrektur von 1974 ergaben Politbüro des ZK
Zentralkomitee Wahl
Sekretariat des ZK
sich keine Veränderungen. Die politische Propaganda der
Staatspartei, für ein besseres Leben in Wohlstand und Frieden
zu sorgen, wirkte nicht mehr. Das Vertrauen der Bevölkerung Wahl
war endgültig aufgebraucht, als klar wurde, dass die SED ihr
Versprechen einer besseren Zukunft auch unter Honecker
Anleitung/
nicht einlösen konnte. Die zuletzt propagierte Losung vom Parteitag Kontrolle
Sozialismus in den Farben der DDR zeugte nur noch von der
völligen Hilflosigkeit gegenüber den in der Gesellschaft auf-
Wahl
gestauten Problemen.
Bezirksdelegierten-
konferenz
Wahl Bezirksleitung
SED
Die führende Rolle der SED blieb bis 1989 erster Verfassungs- Wahl
Anleitung/
Kontrolle
grundsatz. Eine kleine Minderheit von elitären Führungskräf-
ten, die politischen „Führungskader“, erhoben den Anspruch,
Kreisdelegierten-
alle Gesellschaftsbereiche steuern und kontrollieren zu wol- konferenz
Wahl Kreisleitung
len. Laut Statut der SED bildete zwar das vom Parteitag ge-
wählte Zentralkomitee der SED das höchste Organ der Partei. Anleitung/
Faktisch bestimmten jedoch das vom Zentralkomitee gewähl- Wahl
Kontrolle
te Politbüro – bestehend aus 16 Mitgliedern und sieben Kandi-
daten – sowie das Sekretariat des ZK die Richtung der Politik.
Die eigentliche Machtzentrale der SED bildeten die rund 1500
hauptamtlichen Mitarbeiter des Zentralkomitees. Sie residier- Mitgliederversammlung der Leitung der
ten in einem großen Gebäudekomplex im Zentrum Berlins. Grundorganisation Grundorganisation
Hier wurden alle politischen, wirtschaftlichen, sozial- und
kulturpolitischen Entscheidungen vorbereitet, die dann die Grundorganisationen
verschiedenen Ministerien umzusetzen hatten. In ähnlicher mit rund 2,3 Mio Mitgliedern und Kandidaten
Weise bestimmten die hauptamtlichen Apparate der SED in
den Bezirken und Kreisen die regionale Politik. Hier hatten die
Vorsitzenden des Rates der Bezirke und des Rates der Kreise
eine ebenso nachgeordnete Stellung. Parteigruppen
Der „demokratische Zentralismus“ war das Organisations-
prinzip der Partei. Danach erfolgte die politische Willensbil-
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dung in der Partei in einem kleinen Führungszirkel an der
Wahl
Wahl
Wahl
Blockparteien
Volkskammer
Die vier Blockparteien – Christlich-Demokratische Union (CDU),
500 Mitglieder Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD), National-
Demokratische Partei Deutschlands (NDPD), Demokratische
Bauernpartei Deutschlands (DBD) – agierten in der Honecker-
Ära als „Blockflöten“ der SED ohne eigenes politisches Profil.
Einheitsliste der
Wahl auf 5 Jahre
Innerhalb der Blockparteien gab es in manchen Fragen
Nationalen Front
aber durchaus Diskrepanzen zwischen Führung und Mit-
gliedern. Nicht selten wurde der Eintritt in eine Blockpartei
als Schritt verstanden, sich ausdrücklich gegen die SED-Mit-
Wahlberechtigte Bevölkerung gliedschaft zu entscheiden, um bescheidene Freiräume für
politische Arbeit zu nutzen. Nachdem die Zahl der Mitglieder
dieser Parteien seit den 1960er Jahren immer mehr abnahm,
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verzeichneten sie in den 1970er Jahren einen leichten Zuge-
winn. 1975 sah der Mitgliederstand der Blockparteien wie
picture-alliance / ZB / Ulrich Haessler
all-five.de
Die FDJ hat die Aufgabe, die Jugend in das politische System einzubinden. Ihr Auch die Freizeitbetreuung der Jugend ist FDJ-Sache. Im Juni 1979 gestaltet
unterstehen auch die Thälmann-Pioniere (Klasse 4 bis 7), die hier mit dem Gruß sie das „Nationale Jugendfestival“ in Ost-Berlin. Erfrischungspause am Nep-
„Seid bereit – immer bereit“ 1982 zum Fahnenappell in Bautzen antreten. tunbrunnen nahe dem Alexanderplatz
folgt aus: CDU 107 682 Mitglieder; DBD 90 000 Mitglieder; Gruß der FDJler hieß „Freundschaft“. Dem Zentralrat der FDJ
NDPD 85 961 Mitglieder sowie LDPD 71 688 Mitglieder. unterstanden die Kinderorganisation Junge Pioniere (Klasse 1
bis 3) und die Thälmann-Pioniere (Klasse 4 bis 7).
Neben der ideologischen Erziehung bestand eine wesent-
Massenorganisationen liche Aufgabe der FDJ darin, die Freizeitbetreuung ihrer Mit-
glieder zu organisieren. So war der Jugendverband sehr stark
Auch die großen Massenorganisationen – Freier Deutscher in die staatliche Jugendkultur eingebunden. Dazu gehörten
Gewerkschaftsbund (FDGB) und Freie Deutsche Jugend (FDJ) – Jugendklubs sowie Urlaubsreisen für junge Leute über die
blieben in der Ära Honecker weiterhin Herrschaftsinstrumen- Reiseagentur Jugendtourist und zahlreiche Jugendhotels. Da-
te der SED. Dem FDGB mit seinen fast zehn Millionen Mitglie- rüber hinaus organisierte die FDJ kulturelle Großveranstaltun-
dern kam die Aufgabe zu, für hohe Arbeitsleistungen und die gen wie das jährliche Festival des politischen Liedes in Berlin.
Erfüllung der Wirtschaftspläne im „sozialistischen Wettbe- Einen zentralen Höhepunkt des Organisationslebens in den
werb“ zu sorgen. Als schlagkräftiger Hebel zur Durchsetzung 1970er Jahren bildete das „Nationale Jugendfestival“, das die
der Interessen der Arbeiter konnte der FDGB nicht bezeichnet FDJ vom 1. bis 3. Juni 1979 in Berlin veranstaltete. Dort trafen
werden. Seine Arbeit beschränkte sich zunehmend darauf, den sich Hunderttausende von Jugendlichen zu politischen Kund-
gewerkschaftlichen Feriendienst mit seinem ausgedehnten gebungen und zahlreichen Kulturveranstaltungen. Das „Na-
Netz von Ferienheimen (zwischen 20 und 50 Prozent aller Ur- tionale Jugendfestival“ diente ebenso wie die traditionellen
laubsplätze wurden über den FDGB vergeben) sowie die kultu- Pfingsttreffen der FDJ der politischen Legitimation der DDR
relle Arbeit im Betrieb zu organisieren. Zentrale Leitungsgre- als eigenständiges Staatswesen. Der obligatorische Vorbei-
mien wie der Bundesvorstand waren mit Mitgliedern der SED marsch der teilnehmenden FDJ-Mitglieder an der Partei- und
besetzt, die oft auch eine Doppelfunktion in Staat und Partei Staatsführung sollte die vorbehaltlose Zustimmung der DDR-
ausübten. Der seit 1975 amtierende Vorsitzende, Harry Tisch, Jugend zum politischen Kurs der SED-Führung zum Ausdruck
gehörte dem Zentralkomitee sowie dem Politbüro der SED an. bringen.
Er war zudem Abgeordneter der Volkskammer und Mitglied Als weitere wichtige Massenorganisationen sind der Demo-
des DDR-Staatsrates. kratische Frauenbund Deutschlands (DFD) mit 1,4 Millionen
Der FDJ mit ihren circa 2,1 Millionen Mitgliedern wurde die Mitgliedern, der Deutsche Kulturbund der DDR (KB) mit über
Aufgabe zugewiesen, die heranwachsende Jugend in das poli- 250 000 Mitgliedern, die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische
tische System der DDR einzubinden und sie zu loyalen Staats- Freundschaft (DSF) mit sechs Millionen Mitgliedern sowie die
bürgern zu erziehen. Offiziell bezeichnete die SED-Propaganda Gesellschaft für Sport und Technik (GST) mit mehr als 500 000
die FDJ als „Kampfreserve der Partei“. Das Ziel, die Mitglieder Mitgliedern zu nennen. Mit diesen Mitte der 1980er Jahre ge-
im Sinne der Ideologie des Marxismus-Leninismus zu beein- zählten Mitgliedern dieser Verbände schuf sich die politische
flussen, konnte jedoch nie in dem gewünschten Maße um- Führung einen hohen Organisationsgrad in der Gesellschaft.
gesetzt werden. Soziale Aufstiegschancen waren ohne eine Sie alle sollten verschiedene Zielgruppen im Sinne der SED-
Mitgliedschaft in der FDJ von vornherein gering, sodass die Politik erreichen und einbinden. Politische Mobilisierung
Mehrheit der Mädchen und Jungen im Alter zwischen 14 und und Aktivierung in den politischen Organisationen boten
25 Jahren dieser Organisation angehörten. 1981 waren insge- aber auch die Chance, lokale Interessen in den Städten und
samt 69 Prozent der jugendlichen Bevölkerung in der FDJ orga- Gemeinden zu vertreten. Allerdings fiel es den „Bündnispart-
nisiert. Das höchste Organ war der Zentralrat der FDJ in Berlin. nern“ unter den gegebenen politischen Rahmenbedingungen
An dessen Spitze stand seit 1974 Egon Krenz, der zugleich dem sichtlich schwer, diese Interessen auch wirklich zu vertreten.
Zentralkomitee der SED angehörte. Die Mitglieder trugen eine SED, Blockparteien sowie die Massenorganisationen FDGB,
einheitliche Kleidung, eine blaue Bluse bzw. Hemd, das „Blau- FDJ, DFD, Kulturbund und die Vereinigung der gegenseitigen
hemd“, mit einem Sonnenemblem auf dem linken Ärmel. Der Bauernhilfe (VdgB) waren mit Abgeordneten in der Volkskam-
Ministerrat
Wahlkommission
leitet Vorbereitung und Durchführung der Wahl Präsidium Mitglieder
1 Vorsitzender, 2 Erste Stellver- 33 Mitglieder
Kandidatenaufstellung Wahl zur Volkskammer treter, 9 Stellvertreter, 2 Weitere
Präsidiumsmitglieder
Nationale Front der demo- Feststehende Sitzver-
kratischen Parteien teilung der Volkskammer
und Massenorganisationen: (500 Abgeordnete):
Ministerien
SED, DBD, CDU, LDPD, SED 127, DBD 52, CDU 52,
• Außenhandel • Handel und Versorgung • Post- und Fernmelde-
NDPD, FDGB, FDJ, DFD, KB, LDPD 52, NDPD 52, FDGB 61,
• Auswärtige • Hoch- und Fachschul- wesen
VdgB FDJ 37, DFD 32, KB 21, VdgB 14
Angelegenheiten wesen • Schwermaschinen- und
• Bauwesen • Inneres Anlagenbau
© Bergmoser + Höller Verlage AG, Zahlenbild 554 151 © Bergmoser + Höller Verlage AG, Zahlenbild 555 132
einigen Fachministern bildeten sie das Präsidium des Mi- der Parteiführung abhängig. Seine vornehmliche Aufgabe
nisterrates. Der Ministerrat verkörperte im Machtgefüge der war es seit seiner Gründung 1950, als politische Geheimpo-
DDR allerdings nur eine nachrangige Instanz zum Absegnen lizei mit nachrichtendienstlichen Methoden jegliche Form
von Beschlüssen und Gesetzentwürfen der SED-Führung. Das politischer Gegnerschaft aufzuspüren und zu unterdrücken.
Präsidium bereitete sämtliche Entscheidungen in Absprache Um ihm dabei größtmöglichen Spielraum zu geben, war eine
mit den zuständigen Abteilungen des Zentralkomitees (ZK) Kontrolle der Tätigkeit durch die Volkskammer oder den Mi-
der SED und dem SED-Politbüro vor. Die Sekretäre und Abtei- nisterrat nicht vorgesehen. Dies führte nicht zuletzt dazu,
lungsleiter im ZK der SED konnten den Ministern Anweisun- dass das MfS fernab jeglicher Rechtsstaatlichkeit agieren
gen erteilen. Von 1976 bis 1989 übte Willi Stoph die Funktion konnte.
des Vorsitzenden des Ministerrates aus. In der Ära Honecker wuchs das MfS in eine neue Form von
Staat und SED waren in der Honecker-Ära mehr als zuvor Herrschaftsausübung hinein. Neben den klassischen Unter-
auch personell eng miteinander verflochten. Erich Honecker drückungsmethoden als Geheimpolizei versuchte das MfS
war seit 1971 nicht nur Erster Sekretär (ab 1976 Generalsekretär) unter seinem Chef Erich Mielke, der das Amt seit 1957 innehat-
der SED und ab 1976 Vorsitzender des Staatsrates. 1971 wählte te, als Akteur in alle Bereiche der Gesellschaft kontrollierend
die Volkskammer ihn auch zum Vorsitzenden des Nationalen und steuernd einzugreifen. Hierfür war zunächst ein großer
Verteidigungsrates, des obersten militärischen Gremiums der hauptamtlicher Apparat nötig, der seit den 1970er Jahren
DDR. Er wäre für den Verteidigungsfall zum Oberbefehlshaber ständig wuchs. Waren im Jahre 1957 noch 17 000 Mitarbeiter
aller bewaffneten Kräfte der DDR geworden. hauptamtlich beschäftigt, so zählte die Personalabteilung des
MfS im Oktober 1989 genau 91 015 Mitarbeiter. Sie sollten die
politische Opposition überwachen und bekämpfen, zu der das
Der Ausbau des Ministeriums für Staatssicherheit MfS auch das gesamte Aktionsfeld der Kirchen rechnete sowie
als Machtapparat der SED die seit Anfang der 1980er Jahre aufkommenden Umwelt-,
Friedens- und Bürgerrechtsgruppen, die ebenfalls als Form der
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war kein autono- „politisch-ideologischen Diversion“ begriffen wurden. Auch
mes Schattenreich im politischen System der DDR, sondern Liedermacher, Schriftsteller, bildende Künstler, Maler und
als „Schild und Schwert der Partei“ ein wichtiges Herrschafts- Schauspieler wurden grundsätzlich und gleichermaßen ver-
instrument der SED und von den Weisungen und Befehlen dächtigt, sich an staatsfeindlichen Aktionen zu beteiligen. Sie
Eckel
der genannten Berufsgruppen zu begegnen. Der Anteil der IM
unter den Ärzten lag zwischen drei bis fünf Prozent und war Im Auftrag der SED unterdrückt das Ministerium für Staatssicherheit jeg-
damit etwas höher als der Prozentsatz von IM in der Bevölke- liche Opposition. Berüchtigt ist das zentrale Untersuchungsgefängnis in
rung insgesamt, der ungefähr im Durchschnitt bei zwei Pro- Berlin-Hohenschönhausen.
zent lag. Mitte der 1970er Jahre erreichte das IM-Netz mit über
200 000 Mitarbeitern seine größte Ausdehnung. Die Motive
für die heimlichen Bespitzelungen von Freunden, Kollegen, ja
sogar Ehepartnern konnten verschieden sein: Sie reichten von
politischen Überzeugungen, ganz persönlichen Interessen, be-
ruflichem Karrierestreben bis hin zur Angst vor Repressionen
der Staatsmacht. 1989 führte die Staatssicherheit 189 000 In-
offizielle Mitarbeiter, die zum überwiegenden Teil in der DDR
eingesetzt waren. In der Bundesrepublik waren höchstwahr-
scheinlich – „geführt“ von der Hauptverwaltung Aufklärung
(HVA) unter Markus Wolf – rund 3000 Inoffizielle Mitarbeiter
für das MfS tätig.
picture-alliance / ZB / Bernd Settnik
Auf der anderen Seite beschäftigte sich das MfS auch mit
wirtschaftlichen Problemen und Mängeln des planwirtschaft-
lichen Systems. Aufgrund von Berichten ihrer IM gelangte die
Staatssicherheit zu einer in der DDR nicht üblichen realitäts-
nahen Bestandsaufnahme. Da Mielke selbst dem Generalse-
kretär der SED Kenntnisse über die reale Wirtschaftslage nicht
zumuten wollte, beschränkte er sich auf Informationen über
Havarien in den volkseigenen Betrieben und darauf, einzelne
Betriebsdirektoren für bestimmte Missstände verantwortlich Diese Einmachgläser enthalten gelbe Staubtücher mit Körpergeruchsproben,
zu machen. die im Verlauf von Dissidenten-Verhören gewonnen wurden und nun in der
Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen zu besichtigen sind.
Wehrerziehung
Nur schwer kann man sich einen Staat bewaffneten Streitkräften werden ver- oft zu unverhüllten Drohungen durch
vorstellen, der im tiefsten Frieden tieft. Sie sammeln Bilder und unter- Schulleitung und FDJ, Jugendliche
stärker militarisiert war als die DDR. [...] halten sich mit den Erziehern darüber; vom Abitur auszuschließen oder mit
Wirtschaft, Familienpolitik, Volks- stellen nach Möglichkeit zu einem schlechten Beurteilungen den Weg
bildung, Sport und Gesundheitswesen Angehörigen der bewaffneten Organe zur Universität zu verbauen, wenn sie
orientierten sich an den militärischen freundschaftliche Beziehungen her.“ dem „Wunsch“ nicht nachkamen.
Erfordernissen. Ende der siebziger Der Plan für die Sechs- bis Siebenjähri- Nicht alle waren so „abgebrüht“, sich
Jahre verstärkte sich dieser Trend und gen baute diesen Programmpunkt aus: zunächst zu verpflichten und später
fand am 1. September 1978 seinen „Die Kenntnisse der Kinder über die zu widerrufen oder ein ärztliches Attest
sichtbarsten Ausdruck in der Einführung Soldaten unserer Nationalen Volksarmee einzureichen. [...]
der „Wehrerziehung“ als obligatori- werden erweitert. Die bestehenden
sches Unterrichtsfach in den neunten freundschaftlichen Beziehungen der Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herr-
schaft in der DDR 1971-1989, 2., durchgesehene Aufl., Bonn
und zehnten Klassen der Polytechnischen Kinder zu diesen Menschen werden ge- 1999, S. 257 ff.
Oberschule. Die Grundsatzdirektive pflegt. Durch diese engen Beziehungen
des Ministeriums für Volksbildung legte der Kinder zu einzelnen Angehö-
im Einvernehmen mit dem Minister rigen der bewaffneten Organe werden
für Nationale Verteidigung den Unter- bei den Kindern die Gefühle der Wenn die Volksarmeesoldaten …
richt zu „Fragen der sozialistischen Liebe und Zuneigung zu ihnen entwi- Wenn die Volksarmeesoldaten
Landesverteidigung“ auf jeweils vier ckelt. Sie wissen, unsere Soldaten in der Stadt marschieren,
Doppelstunden fest. Hinzu kamen sind auch Arbeiter. Sie schützen die winken alle Kinder fröhlich,
zwölf Ausbildungstage in der Klasse 9 Menschen und deren Arbeit und wollen's auch probieren.
zu jeweils acht Stunden im Lager wachen darüber, daß wir fröhlich spielen Marschieren, marschieren,
für die Jungen beziehungsweise der Lehr- können [...].“ links und rechts im gleichen Tritt
gang „Zivilverteidigung“ für alle Zur Ehrenrettung vieler Kindergärt- Marschieren, marschieren,
Mädchen sowie für diejenigen Jungen, nerinnen sei gesagt, daß sie die links und rechts, wir halten Schritt.
die nicht an der Wehrausbildung im Anweisungen oft nicht ernst nahmen
Lager teilnehmen konnten, im Umfang oder sogar bewußt unterliefen. Wenn die Volksarmeesoldaten
von zwölf Lehrgangstagen zu jeweils Schwerwiegender als die oben ange- auf dem Sportplatz üben,
sechs Stunden. Außerdem wurden drei deutete Veränderung ihrer Orga- drücken sich die Kindernasen
Tage der „Wehrbereitschaft“ durch- nisationsstruktur war die Tatsache, daß an den Zäunen drüben.
geführt. Das Ziel des Maßnahmenkata- sich die Wehrerziehung nicht auf Marschieren, marschieren …
logs bestand darin, „die Mädchen das Unterrichtsfach „Wehrkunde“ be-
und Jungen mit ausgewählten Grund- schränken, sondern ein durchgängiges Wenn die Volksarmeesoldaten
kenntnissen der Landesverteidigung pädagogisches Prinzip der klassen- abends Wache stehen,
vertraut machen und ihre Wehrbereit- mäßigen sozialistischen Erziehung können das die Kinder leider
schaft fördern“. [...] Schon seit den bilden sollte. In den Lesebüchern standen nur im Traume sehen.
frühen fünfziger Jahren veranstalteten Geschichten über die tapferen Krieger Marschieren, marschieren …
die Schulen Schießübungen mit der NVA und der Sowjetarmee, in Musik
Luftdruck- oder Kleinkalibergewehren, sang man nicht nur die traditionellen Wenn die Volksarmeesoldaten
Geländespiele, Exerzierübungen Lieder der Arbeiterbewegung, sondern mal nach Hause fahren,
und Werbeveranstaltungen für die NVA. auch Soldatenmärsche, in Kunst sind schon neue angekommen,
Während aber bisher ihre Durch- enthielt der Lehrplan das Motiv der Frieden zu bewahren.
führung bei der Pionierorganisation, Verteidigungsbereitschaft, nach Marschieren, marschieren …
der FDJ oder der GST gelegen hatte dem die Kinder Panzer und Kanonen
und deshalb durchaus die Möglichkeit malen mußten. Sogar der Physik- In: Ilko-Sascha Kowalczuk (Hg.), Das bewegte Jahrzehnt,
bestand, sich der Teilnahme zu entzie- lehrer sollte das Prinzip der Federspan- bpb-Zeitbilder, Bonn 2003, S. 73
hen, demonstrierte der Staat nun seine nung anhand der „überlegenen
Macht und zwang auch noch die Waffentechnik der sozialistischen
letzten Außenseiter in die grauen Uni- Armeen“ erklären.
formen der Zivilverteidigung. Ob diese Übersättigung zu echter Be-
Selbst in den Kindergärten, die geisterung für den künftigen Waf-
einheitlichen Bildungs- und Erziehungs- fendienst oder eher zu Überdruß und
plänen folgten, stand die Wehr- Ablehnung führte, bleibe dahinge-
erziehung auf dem Programm. In der stellt. [...] Zumindest Abiturienten unter-
mittleren Gruppe, also bei den Vier- bis lagen massivem Druck, eine frei-
Fünfjährigen, sah sie unter der Rubrik willige Verpflichtungserklärung für den
„Bekanntmachen mit dem gesell- dreijährigen Dienst in der NVA zu
schaftlichen Leben“ auch das Thema unterschreiben oder sich für die Offiziers-
„Von den Menschen, die unsere laufbahn zu bewerben, denn die Schu-
Heimat schützen“ vor und führte aus: len mußten eine bestimmte Erfolgsquote
„Die Beziehungen der Kinder zu den vorweisen. Diese Zwangslage führte
„Kirche im Sozialismus“
zahlt werden konnten. 1976 wurden diese Verkaufseinrich- Lobeda, Rostock-Lütten-Klein oder „Am Stern“ in Potsdam kün-
tungen ergänzt, indem für den Nahrungs- und Genussmittel- deten davon, dass die Parteiführung damit beschäftigt war, die
bereich „Delikat“-Läden eingerichtet wurden. In den 1980er „Wohnungsfrage als soziales Problem“ zu lösen. 1979 lebten in
Jahren gab es etwa 300 „Exquisit“- und rund 550 „Delikat“- der am westlichen Stadtrand Leipzigs gelegenen Wohnsiedlung
Läden. Dort konnten Waren aus der „Gestattungsproduktion“ Grünau schon 16 500 Menschen. Ende der 1980er Jahre stieg die
(in der DDR in Lizenz hergestellte westliche Erzeugnisse) und Zahl der Bewohner auf mehr als 80 000, die in 36 000 Wohnun-
Importe für Mark der DDR gekauft werden. Die Folge war, dass gen lebten.
preiswerte Waren aus den normalen Läden verschwanden und Wohnraum blieb dennoch knapp. Die meistgebaute Wohnung
zu kräftig erhöhten Preisen unter anderem Namen in Exquisit- hatte drei Zimmer und maximal 66 Quadratmeter. Die engen
und Delikat-Läden wieder auftauchten. Dort waren dann auch Wohnungen und die monotone Architektur der Plattenbausied-
Waren aus den Intershops für DDR-Mark zu haben, allerdings lungen wurden als „Arbeiterschließfächer“ verspottet. Zudem
zu einem rund viermal höheren DDR-Mark-Preis. Dieser wider- sorgte das Wohnumfeld der neuen Siedlungen für Unzufrieden-
sinnige Mechanismus im sensiblen Sektor der Konsumgüter heit. Die noch immer unzureichenden Einkaufsmöglichkeiten
sorgte ständig für Unmut in der Bevölkerung und zwang die und Freizeiteinrichtungen, der Mangel an Dienstleistungen und
SED-Führung zum Lavieren. die oft schlechte Verkehrsanbindung ans Stadtzentrum riefen
Die Befürchtung, dass eine allgemeine oder auch nur spezielle Unzufriedenheit und Resignation hervor. Hinzu kam der rasan-
Preiserhöhung für bestimmte Waren des Grundbedarfs Unruhe te Verfall der Altbausubstanz in den historischen Innenstädten.
auslösen könnte, ließ Honecker Versuche, die Verbraucherprei- Da auch in den 1980er Jahren über die Hälfte des Wohnungsbe-
se für Nahrungsmittel und die stark subventionierten Mieten standes aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg stammte, hatte
spürbar anzuheben, hartnäckig ablehnen. Für stabile Verbrau- ein großer Teil der Bevölkerung eine zunehmende Verschlechte-
cherpreise und Tarife sowie niedrige Mietpreise wurden 1977 rung der Wohnqualität zu beklagen.
insgesamt 44,3 Milliarden Mark aufgewendet. Ökonomisch wa- Die staatlich subventionierten Mieten blieben unverändert.
ren die immensen Subventionen nicht zu vertreten. Sie mussten Je nach Ausstattung betrugen sie zwischen 0,80 und 1,25 Mark
mit einer wachsenden Staatsverschuldung finanziert werden, pro Quadratmeter. Fernwärme oder Zentralheizung erforderten
die volkswirtschaftlich nicht kompensiert werden konnte. einen Aufpreis von 0,40 Mark. Kleine Altbauwohnungen koste-
ten deshalb nur selten mehr als 40 Mark Miete, das Entgelt für
eine neue Drei-Raum-Wohnung lag bei 100 Mark. Die niedrigen
Lebensstandard im Konsumsozialismus Mieten galten für die SED-Führung als eine ihrer großen sozial-
politischen Errungenschaften. Doch kostendeckend waren diese
Im Vergleich zu anderen Ländern des Ostblocks herrschte in der politischen Preise natürlich nicht, der Verlust wurde einfach im
DDR am Anfang der 1980er Jahre ein hoher Lebensstandard. Staatshaushalt verbucht. Die staatlichen Subventionen für das
Verfügte Mitte der 1970er Jahre erst jeder vierte Haushalt über Wohnungswesen stiegen von 2,1 Milliarden Mark im Jahr 1971
einen PKW, war es 1979 bereits jeder dritte. Auch der Ausstat- auf 16 Milliarden Mark 1988.
tungsgrad mit hochwertigen Konsumgütern wie Fernsehap- Auch die Einkommen stiegen und sorgten für zusätzliche
paraten (90 Prozent), Kühlschränken (fast 100 Prozent) oder Kaufkraft. Doch allen Abgrenzungsbemühungen der politischen
Waschmaschinen (80 Prozent) lag deutlich höher als in den Führung zum Trotz blieb die Bundesrepublik mit ihren wesent-
meisten osteuropäischen Ländern. Das ehrgeizige Wohnungs- lich besseren Lebensverhältnissen und ihrer im Westfernsehen
bauprogramm zeitigte erste Resultate. Großwohnsiedlungen präsentierten Konsumwelt für die Mehrheit der Ostdeutschen
wie Leipzig-Grünau, Berlin-Marzahn, Halle-Neustadt, Jena- der Bezugspunkt für Vergleiche.
Andreas Malycha
Harald Hauswald / Ostkreuz
Sozialleistungen die SED-Herrschaft zu stabilisieren,
praktisch gescheitert. Die Menschen gehen zu Hundert-
tausenden auf die Straße. Am 3. Oktober 1990 ist die
DDR Geschichte.
Wachsende Unzufriedenheit
Vor allem in den staatlichen Betrieben wuchs die Unzufrie- Berlin beantragt; waren es 1984 schon 36 699. Daran konnten
denheit. Es fehlte an technischen Ausrüstungen, Ersatzteilen auch die Schikanen staatlicher Instanzen sowie örtlicher SED-
und Rohstoffen, sodass sich die Stillstandszeiten der Maschi- Leitungen nichts ändern, die den Alltag vieler Ausreiseantrag-
nen häuften. Arbeitsorganisation und Arbeitsdisziplin waren steller erschwerten.
miserabel und die Motivation der Beschäftigten näherte sich Darüber hinaus ließ ein Generationenkonflikt, der sich seit
dem Nullpunkt. Es kam nun häufiger vor, dass Einkäufe von den 1970er Jahren in der DDR herausgebildet hatte, die Loya-
knappen Konsumgütern während der Arbeitszeit erledigt lität gegenüber dem SED-Staat und damit die innere Stabili-
wurden. Immer öfter musste sich der Parteisekretär im Werk tät der Gesellschaft schwinden. Hatte die „Aufbaugeneration“
die Frage gefallen lassen, ob die Parteiführung überhaupt die noch fabelhafte soziale Aufstiegschancen erhalten, blieb der
reale Lage der Arbeiter kenne. Da sich viele Werke, wie zum in der DDR aufgewachsenen Generation der Karriereweg oft-
Beispiel in der Chemieindustrie, in einem beklagenswerten mals versperrt. Die soziale Mobilität nahm rapide ab, die freie
Zustand befanden, häuften sich die Betriebsunfälle und Hava- Berufswahl wurde insbesondere im akademischen Bereich zu-
rien. Im Chemiekombinat Bitterfeld herrschten Bedingungen, nehmend eingeschränkt. So wuchs unter den „in die DDR Hi-
die die Gesundheit der Belegschaft akut gefährdeten. Die un- neingeborenen“ die Unzufriedenheit darüber, dass die „Alten“
kontrollierte Freisetzung von Schadstoffen und das Ignorieren ihren Lebensentwürfen im Weg standen. Auch aus beruflicher
von Grenzwerten belasteten die Umwelt. Dies führte zur Bil- Perspektivlosigkeit entwickelten sich gesellschaftliche Kon-
dung von unabhängigen Natur- und Umweltschutzgruppen, flikte, die dann im Herbst 1989 offen aufbrachen.
insbesondere in den südlichen industriellen Ballungsgebieten Im letzten Jahrzehnt der DDR waren jedoch nicht Verweige-
der DDR. rung, Ausreise oder gar Widerstand die typischen Verhaltens-
Hinzu kam der Missmut über das nicht eingelöste Verspre- muster der großen Mehrheit. Insgesamt herrschte eher eine
chen, im Gleichklang mit der internationalen Anerkennung Mischung aus Mitwirkung und Distanz, aus symbolischer Teil-
der DDR die Reisefreiheit auszuweiten. In immer stärkerem nahme und Rückzug in private Nischen, die kleine Freiheiten
Maße forderten DDR-Bürger ihr Recht auf Freizügigkeit, das oder Freiräume erlaubten. Unter den echten und vermeint-
die DDR-Führung mit der Unterzeichnung der KSZE-Schlussak- lichen Zwängen zur Anpassung als Überlebensstrategie äu-
te von Helsinki 1975 offiziell anerkannt hatte. Es stieg die Zahl ßerte man sich privat anders als öffentlich – in den Parteien,
derjenigen, die einen „Antrag auf ständige Ausreise“ beim Organisationen, im Kreis der Kollegen im Betrieb. Auf diese
DDR-Innenministerium stellten. Hatten 1978 offiziell 11 287 Weise entstand ein von Konformität geprägtes, fast kleinbür-
Bürger eine Übersiedlung nach Westdeutschland bzw. West- gerliches Milieu, in dem viele mit einem gewissen Stolz auf das
materiell-sozial Erreichte blickten. Zugleich wuchs der Ärger vernachlässigt wurde. Die steigenden Rohstoffkosten auf dem
darüber, dass die politische Führung der Bevölkerung noch im- Weltmarkt mussten mit zusätzlichen Exporten vor allem von
mer elementare demokratische Grundrechte verweigerte. Wie Konsumgütern, Maschinen und Ausrüstungen bezahlt wer-
viele Menschen sich letztlich aus Opportunismus oder Angst den. Diese wurden unter anderen Markennamen in den Ver-
vor Repressionen mit den politischen Verhältnissen arrangier- sandhauskatalogen und Kaufhäusern Westdeutschlands zu
ten, vermag niemand zu sagen. Man darf allerdings nicht das Billigpreisen angeboten, während die eigene Bevölkerung auf
bis zuletzt aufrecht erhaltene Ausmaß an Repression überse- sie verzichten musste.
hen, das Partei und Staat zur Verfolgung vermeintlicher oder Weiter verschärft wurde die Wirtschaftskrise durch den
tatsächlicher Gegner aufbrachten. Daneben gab es aber auch Umstand, dass sich die Erdöllieferungen aus der UdSSR, für die
noch immer junge Menschen, die sich durch ihr Elternhaus, Preise unter Weltmarktniveau gezahlt wurden, von 1982 bis
die Schule und Jugendorganisationen für die Idee des Sozia- 1987 um insgesamt rund 13 Millionen Tonnen verringerten.
lismus begeistern ließen. Doch auch ihnen fiel es zunehmend Dies wirkte sich besonders auf den Export von Erdölprodukten
schwerer, ihre ganz persönlichen Erfahrungen im „realen Sozi- aus, der noch bis Mitte der 1980er Jahre hohe Devisengewinne
alismus“ mit den Idealen einer sozial gerechten Gesellschaft in eingebracht hatte.
Übereinstimmung zu bringen.
Drohende Zahlungsunfähigkeit
Wirtschaftlicher Verfall
Allein innerbetriebliche Improvisationskunst und der west-
Die Wirtschaft der DDR stand Anfang der 1980er Jahre vor dem liche Devisentropf vermochten den wirtschaftlichen Verfall
Zusammenbruch. Die Ziele des Fünfjahrplans 1981 bis 1985 halbwegs aufzuhalten. Doch die ständig steigenden Kredit-
konnten die Kombinate und volkseigenen Betriebe nicht erfül- zinsen und Tilgungsraten ließen die Schuldenlast der DDR ge-
len, sodass sie stillschweigend korrigiert werden mussten. Im genüber dem Westen bis 1981 auf 23 Milliarden DM der Deut-
Interesse des kurzfristigen Erfolges kürzte die Regierung den schen Bundesbank anwachsen. 1982 stand die DDR kurz davor,
materiellen Aufwand und die Investitionen für die Forschung, die Zahlungsunfähigkeit zu erklären und damit das Vertrauen
wodurch die technologische Basis der Industrie immer mehr des internationalen Geldmarktes zu verlieren. Rettung in der
Not brachte 1983 ein Milliardenkredit bundesdeutscher Ban-
ken, den der staatliche Devisenbeschaffer und MfS-Offizier
Alexander Schalck-Golodkowski mit dem bayerischen Minis-
terpräsidenten Franz Josef Strauß eingefädelt hatte.
Die Finanzspritze in Milliardenhöhe rettete zwar die Zah-
lungsfähigkeit der DDR und sorgte für wirtschaftliche Ent-
spannung. Sie hatte aber auch einen von Strauß geforderten
politischen Preis: Im Spätsommer 1983 begann für die Öffent-
lichkeit überraschend der Abbau der 1972 auf Weisung Hone-
ckers installierten Selbstschussanlagen („Tötungsautomaten“)
und der einst auf sowjetische Weisung verlegten Minen an
ullstein bild – Lehnartz
Deutsch-deutsche Beziehungen
Reformverweigerung
[…] [I]n den Kirchen waren weder polizei- rigen langen Kleidern in Schwarz – und der Bevölkerung beachtete ihre Aktivitä-
liche Voranmeldungen nötig noch pflegten sich zur Begrüßung zu um- ten kaum und erfuhr von ihnen nur
staatliche Einflußnahmen auf die Inhalte armen und flüchtige Küßchen auszutau- über die sehr zurückhaltende, distanzier-
der angebotenen Themen möglich. Wenn schen. Die Stasi fasste sie als Jugend- te Berichterstattung der westlichen
Gemeindekirchenrat und Pfarrer ihr liche mit „feindlich-dekadentem Äuße- Medien. […] Selbst bei großzügigster Rech-
Einverständnis erklärten, konnte man ren“ zusammen. […] nung handelte es sich dabei statistisch
kurzfristig Informations-Andachten, Trotz ihres bewusst zur Schau getrage- gesehen um einen zu vernachlässigen-
Fürbitten oder Mahnwachen ansetzen, nen „Andersseins“ konnten die Kirchen- den Anteil von weniger als einem halben
denen regelmäßig Zeichen vorausgingen, besucher eine gewisse Bravheit kaum Promille der hauptstädtischen Ge-
die Kundige wohl zu deuten wußten. verleugnen. […] Auf den alten Fotos fallen samtbevölkerung. Zwei oder drei Dutzend
Zuerst traten paarweise sportliche und der heilige Ernst und die sanfte Ent- Aktivisten trugen die Opposition
ordentlich frisierte junge Männer in der schlossenheit der Kirchenbesucher auf. Es über Jahre hinweg. Prominente Künstler,
Umgebung der betroffenen Gebäude fehlte das Grell-Provozierende der west- Schriftsteller oder Wissenschaftler fehl-
auf. Sie […] standen betont unauffällig in lichen Demo-Kultur. Niemand randalierte, ten […] gänzlich […].
Hausfluren und musterten aufmerk- niemand war „vermummt“, kaum jemand […] Das individuelle Aufbegehren ist
sam die Vorübergehenden oder saßen in trug Schilder, Fahnen oder Symbole vor inmitten einer Umwelt des alltäglichen
Personenkraftwagen […] und beobachte- sich her. […] Die Veranstaltungsbesucher Opportunismus der biographische
ten das Leben und Treiben auf der Straße. begegneten den aggressiven Kontrol- Ausnahmezustand, für den die wenigen
Gelegentlich tauchten Mannschafts- leuren nach Möglichkeit betont friedlich, Oppositionellen einen ausgesprochen
wagen mit grün uniformierten Bereit- ging es ihnen doch um den Abbau von hohen Preis zahlten. Er bestand – jeden-
schaftspolizisten und Hunden auf. […] Feindbildern und die Überwindung von falls für alle außerhalb des kirchlichen
Dann näherten sich grüppchenweise Haß […]. Dienstes Beschäftigten – im Verzicht
oder einzeln die erwarteten „feind- […] [Das] politische Gewicht, das die auf bürgerliche Normalität, berufliches
lich-negativen Kräfte“ und strebten der Oppositionsgruppen für einen kurzen Fortkommen, familiäre Unbeschwert-
einladend geöffneten Kirchentür zu. historischen Moment erlangten, [darf] heit. Nach der Wende wurden die Folgen
Sie bevorzugten das Sechziger-Jahre- nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie dieses Verzichts schmerzhaft deutlich.
Outfit – lange Haare, Bärte, Nickelbrille, bis in den Spätsommer 1989 hinein über
Stirnband, verwaschene Jeans, grüne keinen nennenswerten Anhang ver-
Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herr-
Kutten, malerische Tücher und Umhän- fügten. Sie bewegten sich am Rande des schaft in der DDR 1971-1989, 2, durchgesehene Auflage, Berlin
getaschen aus Jute, die Damen in flatte- normalen Alltags. Die große Mehrheit 1999, S. 262 f.
Ausreisewelle
Organisierte Oppositionsbewegung
Die SED-Führung sah sich im Herbst 1989 nicht nur einer zu-
nehmend breiter werdenden oppositionellen Bewegung ge- Bürgerrechtler versuchen, die DDR von innen heraus zu reformieren. Anfang
genüber. Vor allem in Leipzig beteiligten sich nach den montäg- September 1989 gründet sich das Neue Forum. Eine Arbeitssitzung in der
lichen Friedensgebeten in der Nikolaikirche trotz verstärkten Wohnung von Bärbel Bohley (l.) Ende Oktober 1989
Der Gründungsaufruf des Neuen zuhören und zu bewerten, allgemeine die an der Umgestaltung unserer Gesell-
Forums von Sonderinteressen zu unterscheiden, schaft mitwirken wollen, auf, Mitglied
bedarf es eines demokratischen Dia- des NEUEN FORUM zu werden. Die Zeit
Anfang September 1989, auf dem Höhe- logs über die Aufgaben des Rechtsstaates, ist reif.“
punkt der Ausreisewelle, meldete sich der Wirtschaft und der Kultur. Über Die insgesamt 30 Unterschriften
erstmals in der Geschichte der DDR eine diese Fragen müssen wir in aller Öffent- stammten sowohl von bekannten Oppo-
politische Opposition offen zu Wort, lichkeit, gemeinsam und im ganzen sitionellen als auch von bisher nicht
trat aus dem sowohl schützenden als Land nachdenken und miteinander spre- öffentlich hervorgetretenen Personen.
auch einengenden Bereich der Kirche chen. Von der Bereitschaft und dem Bei der Lektüre des Textes fällt sein
heraus und bekannte sich unmiß- Wollen dazu wird es abhängen, ob wir in hoher Allgemeinheitsgrad auf. Weder
verständlich zu ihrer Rolle. An den Schwar- absehbarer Zeit Wege aus der gegen- enthielt er ein Bekenntnis zum Sozia-
zen Brettern vieler Gemeinden hing wärtigen krisenhaften Situation finden. lismus – was Christa Wolf und Stephan
ein Papier mit der Überschrift „Aufbruch Es kommt in der jetzigen gesellschaft- Hermlin noch Ende des Monats als Be-
89 – Neues Forum“ und verkündete lichen Entwicklung darauf an, gründung anführten, dem Aufruf
folgendes: ¬¬ daß eine größere Anzahl von Menschen nicht beizutreten – noch sprach er sich
„In unserem Lande ist die Kommuni- am gesellschaftlichen Reformprozeß eindeutig für eine neue soziale Ordnung
kation zwischen Staat und Gesellschaft mitwirkt, aus. Er bekannte sich nicht zum Fort-
offensichtlich gestört. Belege dafür ¬¬ daß die vielfältigen Einzel- und bestand der DDR und forderte trotzdem
sind die weitverbreitete Verdrossenheit Gruppenaktivitäten zu einem Gesamt- nicht die deutsche Einheit. Alle wichtigen
bis hin zum Rückzug in die private handeln finden. Fragen wollte er im Rahmen eines
Nische oder zur massenhaften Auswan- künftigen gesamtgesellschaftlichen Dia-
derung. Fluchtbewegungen dieses Aus- Wir bilden deshalb eine politische Platt- logs beantworten. Genau diese Offen-
maßes sind anderswo durch Not, Hunger form FÜR DIE GANZE DDR, die es den heit verlieh dem Neuen Forum seine
und Gewalt verursacht. Davon kann Menschen aus allen Berufen, Lebens- enorme Durchschlagskraft. Bei den Erst-
bei uns keine Rede sein. Die gestörte Be- kreisen, Parteien und Gruppen möglich unterzeichnern klingelten Tag und
ziehung zwischen Staat und Gesellschaft macht, sich an der Diskussion und Be- Nacht die Telefone, immer mehr Men-
lähmt die schöpferischen Potenzen arbeitung lebenswichtiger Gesellschafts- schen solidarisierten sich und überschrit-
unserer Gesellschaft und behindert die probleme in diesem Land zu beteiligen. ten die unsichtbare Grenze zwischen
Lösung der anstehenden lokalen und Für eine solche übergreifende Initiative Angst und Engagement, die sie jahrzehn-
globalen Aufgaben. Wir verzetteln uns wählten wir den Namen NEUES telang sorgfältig beachtet hatten,
in übelgelaunter Passivität und hätten FORUM [...] Allen Bestrebungen, denen und mit jeder Unterschrift sank das per-
doch Wichtigeres zu tun für unser Leben, das NEUE FORUM Ausdruck und Stimme sönliche Risiko. Es dauerte nicht lange,
unser Land und die Menschheit. In Staat verleihen will, liegt der Wunsch nach bis der Aufruf ohne Geheimniskrämerei
und Wirtschaft funktioniert der Inte- Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden in Betrieben und wissenschaftlichen
ressenausgleich zwischen den Gruppen sowie Schutz und Bewahrung der Natur Instituten kursierte und an öffentlichen
und Schichten nur mangelhaft. Auch zugrunde. Es ist dieser Impuls, den Anschlagsbrettern erschien.
die Kommunikation über die Situation wir bei der kommenden Umgestaltung
und die Interessenlage ist gehemmt [...] der Gesellschaft in allen Bereichen le-
Um all diese Widersprüche zu erkennen, bensvoll erfüllt wissen wollen. Wir rufen Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur, Alltag und Herr-
Meinungen und Argumente dazu an- alle Bürger und Bürgerinnen der DDR, schaft in der DDR 1971-1989, Bonn 1999, S. 310 f.
bpk / Manfred Uhlenhut
Jens P. Riedel / transit
... die Polizei und Staatssicherheit mit allen Mitteln zu unterbinden Die Menschen lassen sich jedoch nicht mehr einschüchtern. Demonstra-
suchen. tion auf dem Alexanderplatz in Berlin am 4. November 1989
Einsatzes von Polizei sowie Angehörigen der Staatssicherheit, Leipzig an der bis dahin größten Demonstration für Reformen
trotz Festnahmen und Verurteilungen wegen „Zusammen- und demokratische Erneuerung in der DDR. Nach Friedensge-
rottung“ immer mehr Menschen an Demonstrationen. Waren beten in den evangelischen Kirchen zogen sie, diesmal unbe-
es zunächst Hunderte, die Reise-, Versammlungs- und Mei- helligt durch die Sicherheitskräfte, erstmals auch mit Trans-
nungsfreiheit forderten, so gingen bald Tausende für Freiheit, parenten und Plakaten in großer Zahl durch die Innenstadt.
Demokratie und Menschenrechte auf die Straße. Bereits am Auf diesen forderten sie „Freie Wahlen“, „Pressefreiheit“,
2. Oktober demonstrierten mehr als 20 000 in der Leipziger In- „Meinungsfreiheit“, „Neue Männer braucht das Land“, „Die
nenstadt. Am 9. Oktober 1989 waren es trotz angedrohter mi- Mauer muß weg“, „Ökologie statt Ökonomie“, „Zivildienst ist
litärischer Gewalt durch aufmarschierende Sicherheitskräfte ein Menschenrecht“. Spätestens jetzt hatte begonnen, was als
70 000 Menschen. Sie skandierten „Wir sind das Volk“. Mehr „friedliche Revolution“ in der DDR in die Geschichte eingehen
als 120 000 Menschen beteiligten sich dann am 16. Oktober in sollte.
Honeckers Auftritt auf der offiziellen Feier zum 40. Jahrestag Kurskorrekturen bemühen würde. Eine wirkliche Demokra-
der Gründung der DDR im Berliner „Palast der Republik“ am 6. tisierung der Gesellschaft und Reformen in Politik und Staat
Oktober 1989 zeigte vor allem einen alten Man, der nicht ge- standen jedoch nicht auf der politischen Agenda. Die Men-
willt war, Veränderungen in Staat und Gesellschaft zuzulassen. schen auf den Straßen der DDR aber forderten einen sofortigen
Angesichts dieses Starrsinns und um die Macht der SED zu ret- und deutlichen Bruch mit der bisherigen Politik und denen, die
ten, zwang eine Mehrheit von Mitgliedern des SED-Politbüros für sie verantwortlich waren. So wurde die SED-Führung von
Honecker, am 18. Oktober 1989 vor einem eilig einberufenen den Ereignissen, die von einer breiten Bevölkerungsmehrheit
ZK-Plenum aus „gesundheitlichen Gründen“ seinen Rücktritt bestimmt wurden, überrollt. Denn zur gleichen Zeit gingen die
zu erklären. Anschließend wählte das Zentralkomitee der Par- Demonstrationen im ganzen Land weiter, erfassten neben den
tei Egon Krenz zum neuen Parteichef. Er war seit 1983 Mitglied Bezirks- und Großstädten auch Mittel- und Kleinstädte und
des Politbüros und galt als Kronprinz Honeckers. Am 24. Okto- nahmen an Teilnehmerzahlen und Intensität zu. An manchen
ber 1989 wählte ihn die Volkskammer zum Vorsitzenden des Tagen demonstrierten in der gesamten DDR mehrere hundert-
Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates der DDR. tausend Menschen. Die meisten Teilnehmer verzeichneten die
Der Nachfolger Honeckers gab zwar mit seinem Begriff von Montagsdemonstrationen in Leipzig, wo sich am 30. Oktober
der „Wende“ zu verstehen, dass sich die SED-Führung nun um wieder rund 200 000 beteiligten.
Jose Giribas
Großen Teilen der Bevölkerung ist aber nicht nach Feiern zu Mute. Sie fordern
Reformen und Reisefreiheit. Demonstration in Berlin am 4. November 1989
akg-images / Nelly Rau-Häring
Tausende strömen noch in der Nacht über die Grenzübergänge nach West-Berlin oder feiern das Ereignis auf der Berliner Mauer.
9. November 1989: Tanz auf der sich wildfremde Menschen weinend in den Aufregend sind jetzt […] die Spaziergän-
Mauer Armen, klatschen unzählige Hände auf ge durch West-Berlin geworden. Der
die Dächer und Kühlerhauben der Trabants Dokumentarfilmer Carsten Krüger, 36, war
Der Werkzeugmacher Ralf Dickel, 34, aus und Wartburgs, die mühsam durch die tagelang mit mehreren Teams unterwegs
dem Ost-Berliner Bezirk Prenzlauer Berg ist Spaliere der Schaulustigen kriechen. und staunte: „Komisch, auf der Straße
einer der ersten, die an jenem Donners- Rund um die Gedächtniskirche steigt ein schauen sich die Leute wieder an.“ Das hat
tag abend durch die Mauer kommen. Zuerst gigantisches Open-air-Spektakel, das rund meist nur einen Grund: Man will heraus-
sehen wir nur seinen Kopf, den er neu- um die Uhr von Zehntausenden Berlinern finden, wer hier Osti ist und wer nicht. […]
gierig um die Beton-Mauer reckt – wie aus beiden Teilen der ehemaligen Reichs- Trotz der vielfältigen Behinderungen –
jemand, der einen scheuen Blick in ein hauptstadt gefeiert wird – mit Freibier und total überfüllte U- und S-Bahn-Stationen,
verbotenes Zimmer riskiert. Dann geht er Erbsensuppe, mit Konfetti und Blumen. […] die vorübergehend geschlossen werden
zögernd ein paar Schritte weiter und schaut [Z]wischen Brandenburger Tor und müssen, Lebensmittelgeschäfte, in denen
sich verstohlen um, als ob er fürchtet, Potsdamer Platz […] Menschen stehen dicht kein Einkauf mehr möglich ist, für den
doch noch an seinem grünen Parka zurück- an dicht, mit erhobenen Armen, die Fin- Verkehr gesperrte Straßen und Plätze – be-
gehalten zu werden. Schließlich ist er da. ger zum Victoryzeichen gespreizt. Sie sitzen halten die West-Berliner ihre Ruhe. Der
Am Grenzübergang Bornholmer Straße in den Bäumen, tanzen auf der hier Regierende Bürgermeister Walter Momper,
klatschen jetzt ein paar hundert West-Ber- zwei Meter breiten Mauerkrone und singen der mehr als die meisten anderen Politi-
liner Beifall, rufen, pfeifen und lassen „We shall overcome“. ker Fingerspitzengefühl und Gelassenheit
Sektkorken knallen. Es ist genau 20.45 Uhr, Hunderte machen sich mit Hämmern beweist, bringt es auf den Punkt: „Das
Ralf Dickel reißt die Arme hoch und und Meißeln am Betonwall zu schaffen, kriegen wir schon hin.“ […]
schreit: „Wahnsinn!“ biedere Familienväter aus Castrop-Rauxel Werner Lähme, 48, aus der Ost-Berliner
Ein Wort, das in den nächsten Tagen und Günzburg, aufgeregte Hausfrauen aus Mellenseestraße hat vor so viel Ent-
millionenfach wiederholt werden wird: ge- Uelzen und Wanne-Eickel, die sich bei der gegenkommen Respekt: „Ich staune, daß
flüstert, gestöhnt, gebrüllt, gesungen, brisanten Werkelei von ihrem halbwüchsi- die West-Berliner das alles so verarbeiten
geheult. Ein Wort, das wie kein anderes die gen Anhang ablichten lassen. Immer wieder können – wir wären damit wohl über-
neue Situation in Berlin und bald auch wird skandiert: „Die Mauer muß weg.“ fordert gewesen.“ Den Schlosser Heiko
überall an der deutschen Grenze beschreibt: Überflüssig ist sie jetzt ohnehin gewor- Spärling, 22, aus Neustrelitz treffen wir in
Fassungslosigkeit, Überraschung, Un- den. Von Donnerstag nacht bis Sonntag der Einkaufsmeile Tauentzien. „Schön“,
gläubigkeit, Glück. abend strömen weit über zwei Millionen sagt er, „daß nach so vielen Jahren Mauer
Als die Regierung der DDR die Grenzüber- DDR-Bürger in den Westteil der Stadt – um noch so viel Zusammengehörigkeitsge-
gänge öffnet und Tag für Tag und Nacht den Ansturm zu bewältigen, schlägt fühl da ist.“
für Nacht neue Breschen in den Beton der der SED-Staat zehn neue Übergänge in die Werner Mathes / Tilman Müller, Stern extra, Hamburg, Nr. 3/1989.
Berliner Mauer schlägt, taumelt die Stadt Mauer. Die Besucher aus dem Osten haben In: Gisela Helwig (Hg.), Die letzten Jahre der DDR – Texte zum
wie im Fieber. Am Kurfürstendamm liegen das West-Berliner Stadtbild verändert: […] Alltagsleben, Köln 1990, S. 135ff.
Außenpolitische Rahmenbedingungen Sowjetunion und das westliche Bündnis auf die deutschlandpo-
litischen Initiativen reagieren würden.
Bereits zum Jahresende 1989 wurden die ersten Weichen gestellt, Modrow hatte sich Ende Januar 1990 in Moskau vom sowje-
um die staatliche Einheit Deutschlands wiederherzustellen. Am tischen Staats- und Parteichef Gorbatschow das Einverständnis
28. November hatte Bundeskanzler Helmut Kohl ein Zehnpunk- zu seinem Plan einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten
teprogramm verkündet, das als Ziel der Politik der Bundesregie- geholt. Am 10. Februar erhielten auch Bundeskanzler Kohl und
rung die staatliche Einheit in konföderativen Strukturen nannte. Außenminister Hans-Dietrich Genscher bei einem Besuch in
Am 1. Februar 1990 legte Regierungschef Modrow auf einer Pres- Moskau das Einverständnis der UdSSR. Im Kreml war man zu
sekonferenz in Ost-Berlin sein Konzept „Deutschland, einig Va- der Einsicht gekommen, dass die Wiedervereinigung Deutsch-
terland“ vor. Eine endgültige Lösung der deutschen Frage könne lands unvermeidlich sei. Im Gegenzug sicherte die Bundesre-
nur in freier Selbstbestimmung der Deutschen in beiden Staaten publik dem ökonomisch schwer angeschlagenen Riesenreich
erreicht werden, in Zusammenarbeit mit den vier Siegermäch- Wirtschaftshilfe in erheblicher Größenordnung zu. Dementspre-
ten des Zweiten Weltkriegs und unter Berücksichtigung der In- chend sah Bonn von nun an keinen Anlass mehr, der Regierung
teressen aller europäischen Staaten. Fraglich war indes, wie die Modrow mit einer Milliardenhilfe unter die Arme zu greifen.
Währungs- und Wirtschaftsunion Dieser Schritt machte nun endgültig den Weg für die inter-
nationale Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands
Das Ergebnis der Volkskammerwahlen war ein eindeutiges frei. Nachdem die UdSSR der Zugehörigkeit des vereinigten
Votum für die Vereinigung der DDR mit der Bundesrepublik. Deutschlands zur NATO zugestimmt hatte, unterzeichneten
Die meisten politischen Gruppierungen waren auf den Ein- Vertreter der DDR, der Bundesrepublik sowie Frankreichs, der
heitszug aufgesprungen. Kontrovers diskutiert wurden nur Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und der Sow-
noch das Tempo der staatlichen Vereinigung und die Vorge- jetunion am 12. September 1990 den Zwei-plus-Vier-Vertrag.
hensweise. Die ungebremste Westwanderung verschärfte Dieser Staatsvertrag beendete die Viermächte-Verantwortung
die Wirtschaftskrise in der DDR und diktierte das Tempo. Die in Bezug auf Berlin und „Deutschland als Ganzes“, das verei-
Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990, mit nigte Deutschland erhielt seine staatliche Souveränität zurück.
der die D-Mark im Osten Einzug hielt, galt in der Bevölkerung Im Zwei-Plus-Vier-Vertrag wurde darüber hinaus vereinbart,
als ein erster Schritt hin zur deutschen Einheit. Am 18. Mai die Truppenstärke der deutschen Streitkräfte von 500 000 auf
1990 unterzeichneten die beiden deutschen Finanzminister 370 000 Mann zu reduzieren und dauerhaft zu beschränken.
einen Staatsvertrag, mit dem die Löhne und Gehälter im Kurs Zudem verzichtete Deutschland auf die Herstellung, den Be-
von 1:1 umgestellt wurden. Sparguthaben konnten gestaffelt sitz von und die Verfügung über ABC-Waffen. Die Sowjetuni-
bis zu einem Betrag von 2000 bis 6000 Mark in DM umge- on sicherte zu, ihre Truppen vom Gebiet der ehemaligen DDR
tauscht werden, darüber hinaus galt ein Umrechnungskurs bis spätestens 1994 abzuziehen, am 31. August 1994 verließen
von 2:1. ihre letzten Militäreinheiten den Ostteil Deutschlands. Damit
endete die seit 1945 währende sowjetische Militärpräsenz auf
deutschem Boden.
Der Abschluss von Staatsverträgen In den deutsch-deutschen Verhandlungen ging alles eben-
falls sehr schnell. Am 31. August unterzeichneten Bundes-
Als am 6. Juli 1990 die Verhandlungen über den Einigungs- innenminister Wolfgang Schäuble und DDR-Staatssekretär
vertrag begannen, ging es um Einzelheiten des Beitritts der Günther Krause den in nur acht Wochen ausgehandelten Eini-
DDR zur Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetzes. gungsvertrag, der die konkreten Bedingungen des Beitritts der
Die staatliche Vereinigung nach Artikel 146 GG fand in der DDR zur Bundesrepublik regelte: Änderungen im Grundgesetz,
DDR-Regierung, vor allem aber in der Bundesregierung keine Fragen der Rechtsangleichung in Ostdeutschland, der öffentli-
Zustimmung, weil sie das Bonner Grundgesetz ungültig und chen Verwaltung und des ostdeutschen Staatsvermögens so-
somit die Ausarbeitung einer neuen Verfassung notwendig wie verschiedene Aspekte der Bereiche Arbeit, Soziales, Frau-
gemacht hätte. Für eine langwierige Verfassungsdebatte fehl- en und Kultur. Strittige Fragen wie etwa die Forderungen nach
te jedoch die Zeit. Zudem entschieden über die Bedingungen einer Verfassungsdiskussion, des künftigen Regierungssitzes
der deutschen Vereinigung nicht allein die DDR und die Bun- des vereinten Deutschlands oder einer einheitlichen Rege-
desrepublik. Nicht nur aus Paris und London, vor allem aus lung des Schwangerschaftsabbruchs wurden vertagt. Zudem
Warschau kam die Forderung, dass ein vereintes Deutschland wurde das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ vereinbart,
die bestehenden Grenzen in Europa anerkennen müsse. Das mit dem die Enteignungen in der DDR nach 1949 rückgängig
betraf insbesondere die Grenze zu Polen. Der Bundestag und gemacht werden sollten. Hierfür mussten allerdings in einem
die Volkskammer sicherten daher am 21. Juni 1990 in einer Ent- komplizierten Prozess Vermögensfragen geklärt werden. Im
schließung die „Unverletzlichkeit“ der polnischen Westgrenze, Vorfeld des Einigungsvertrages hatte die Volkskammer bereits
also der in Westdeutschland jahrzehntelang umstrittenen am 17. Juni das Treuhandgesetz verabschiedet. Die daraufhin
Oder-Neiße-Grenze, sowie die Achtung der Souveränität und eingerichtete Behörde, die der Aufsicht des Ministerpräsi-
der territorialen Integrität des östlichen Nachbarn uneinge- denten unterstellt war, hatte den Auftrag, die in Staatshand
schränkt zu. befindlichen Betriebe, Grundstücke und Immobilien so rasch
Bei den ersten freien Wahlen seit 1946 gewinnt das konservative Bündnis Der Wahlsieg bedeutet ein Bekenntnis der Mehrheit zur Vereinigung.
„Allianz für Deutschland“ am 18. März 1990 fast 50 % der Stimmen. Erster Schnell folgt die Wirtschafts- und Währungsunion. Mit dem Umtauschkurs
Ministerpräsident wird Lothar de Maizière (CDU, r.), hier bei der Stimmabgabe. 2 DDR-Mark für 1 Westmark sind nicht alle einverstanden.
ullstein bild – Bildarchiv
Eltern und Großeltern erinnern Bürgermeister zu ihnen ins Haus gekom- Jahr 18 Jahre alt, als sie Losungen wie „Neue
sich men, aber der Vater sei trotzdem nicht Männer braucht das Land“ oder „Anarchie“
gegangen. Alex' Mutter hatte Respekt vor in Weimar auf Wände malte. Sie wurde
[...] Eine Projektwoche liegt vor ihnen: der Volkspolizei und der Stasi. Die seien zu sechs Monaten Haft wegen Rowdytums
„Schild und Schwert der Partei“. Gemeinsam immer und überall gewesen, und immer verurteilt. Sie gelangte sechs Wochen nach
mit einer Lehrerin, mit Johannes Beleites, habe die Mutter Angst gehabt. Schon als ihrer Haftentlassung in den Westen nach
Studienleiter der Evangelischen Akademie Kind habe sie zu Hause gelernt, nichts Kassel. Schlosser wurde freigekauft und zog
Thüringen, und mit Matthias Wanitschke, gegen den Staat zu sagen und in der Schule nach Alzey. Die Schüler studieren die Ak-
Mitarbeiter der Landesbeauftragten für die nicht preiszugeben, dass sie zu Hause West- ten und bereiten Fragen an die Zeitzeugen
Unterlagen der Staatssicherheit, werden Fernsehen schauten. vor. Schlosser kommt am Mittwoch, Grit
sich [25 Zehntklässler einer Regelschule aus Die Lehrerin offenbart den Schülern: „Ich Angermann am Donnerstag. [...]
einem kleinen Ort in Thüringen] über habe eine Akte.“ Die Stasi beschattete sie Am Freitag schließlich spielen die Schüler
fünf Tage das Wirken der Stasi und die Me- beim Treffen mit West-Verwandtschaft am Szenen aus dem Alltag der DDR nach, in
chanismen der SED-Diktatur erarbeiten. Hermsdorfer Autobahnkreuz und beschei- denen sie das, was sie sich die Woche über
Die Schüler, 15 oder 16 Jahre alt, [...] haben nigte ihr, dass sie nicht zum Propagieren erarbeitet haben, noch einmal erleben. In
mit Menschen, die in der DDR gelebt des Marxismus-Leninismus befähigt sei. [...] der Schlussrunde am Ende der Woche sind
haben, über die Erfahrungen mit dem MfS, Unter Anleitung der Tutoren nähern sich die Schüler erstaunt, wie viel sie über die
der NVA und der Volkspolizei gesprochen. die Schüler der Frage, was die Stasi gewesen DDR und die Stasi als „Schild und Schwert
Die Jungen und Mädchen sollen jetzt ihre ist, und die Jungen, die am Morgen noch der Partei“ erfahren haben.
Interviewergebnisse vortragen. Die meis- schüchtern waren, tauen auf. Die SED habe
ten haben ihre Großeltern und Eltern be- die Stasi gegründet, um ihre Macht zu Claus Peter Müller, „Diktatur mit schöner Kindheit“, in: Frank-
fragt. Ein Mädchen sagt, die DDR sei keine sichern, sagt Toni. Philipp sagt, ohne Stasi furter Allgemeine Zeitung vom 12. März 2011
Diktatur gewesen: „Heute wird einem auch hätte es Chaos gegeben, und Steven sagt, es
gesagt, was man machen muss.“ wäre „nicht so geordnet gewesen, son-
Die meisten berichten aber, ihnen sei zu dern es hätte Aufstände gegeben wie heute „Das Kollektiv war alles, der
Hause geantwortet worden, die DDR sei in Afrika“. Christopher beschreibt, dass Einzelne nichts“
„wohl mehr oder weniger eine Diktatur“ ge- es in der DDR keine Gewaltenteilung gab,
wesen. Allerdings kommt ihnen der Satz denn die Stasi habe im Gegensatz zu [...] G. A.: Mit welchen Gefühlen sind Sie in
eher pflichtschuldig über die Lippen [...]. Die heutigen Geheimdiensten ermittelt, verhaf- die Wiedervereinigung gegangen?
Schüler machen die verhaltene Kritik tet und die Menschen eingesperrt [...]. Kowalzcuk: Mit Freude, aber auch mit Un-
an der DDR aber sogleich wett: Die Kindheit Die andere Gruppe befasst sich [...] mit sicherheit. Wir wussten ja nicht, was
dort, so hätten die daheim Befragten be- der Frage nach Tätern und Opfern in genau geschehen würde, welche konkreten
richtet, sei doch schön gewesen, mit Schul- der DDR. Die Schüler haben einen Beitrag Veränderungen auf uns zukommen.
speisung, genug Kindergarten- und Arbeits- von Bummi, dem Bären, gelesen, in dem Aber natürlich überwog die Freude, dass
plätzen und dem guten Kinderprogramm die SED als die große Familie gepriesen wird. die SED-Diktatur zu Ende ist. [...]
des Fernsehens. Alles sei bestens organisiert Bummi ist eine Erfindung des Zentralrats G. A.: Ihnen war die historische Bedeutung
gewesen. Weder die Reisefreiheit noch der FDJ und bis heute der Titelheld einer des Tages bewusst?
das Westfernsehen hätten ihnen gefehlt. Kinderzeitschrift. Bummi hat im Internet Kowalzcuk: Gar keine Frage, ja. Wobei die
Die Mutter sei gern zu den jungen Pionie- eine Fangemeinde, die sich zur Kindheit historisch bedeutsamen Ereignisse in den
ren gegangen oder habe heute noch und Geborgenheit in der DDR bekennt. Auch Monaten zuvor passiert waren: die
Freundinnen aus der FDJ. Von der Stasi hät- alle Zehntklässler kennen den gelben Massenflucht, die Massendemonstrationen
ten nur Einzelne etwas bemerkt. Bären. Als Kontrast haben sie einen Text in Leipzig, der Fall der Mauer, die freien
Auch wenn die befragten Verwandten über die „Politisch ideologische Diversion“ Wahlen in der DDR. Das sind die eigentli-
den Grenztruppen angehörten, und (PiD) gelesen, für deren Bekämpfung chen Wegmarken der Einheit.
das waren nicht wenige, hatten sie angeb- die Hauptabteilung XX des MfS zuständig G. A.: Knapp elf Monate zuvor war die Mau-
lich keinen Kontakt zur Staatssicherheit. war. Als PiD galt jede von der Linie der er gefallen. Wie erinnern Sie sich daran?
Die ehemaligen Angehörigen der „bewaff- SED abweichende Einflussnahme auf die Kowalzcuk: Es war ein Tag der Selbstbefrei-
neten Organe“ lobten ihren Kindern und Meinungsbildung. [...] ung. Nicht der Staat öffnete die Mauer,
Enkeln gegenüber die Solidarität und Ka- Am zweiten Tag, dem Dienstag, arbei- die Bürger erzwangen den Durchbruch. Ge-
meradschaft in der Truppe. [...] Man habe ten sich die Zehntklässler durch das Erfurter rade viele Ost-Berliner hatten die Sehn-
zwar gewusst, dass man bespitzelt wird, Archiv der Stasiunterlagenbehörde. Auf sucht, einfach durch die Mauer zu fahren
aber man habe sich sicher und beschützt 1,4 Millionen Karteikarten wurden dort und zu schauen, was dahinter ist. Wir sind
gefühlt. Konflikte mit dem SED-Staat wa- während 40 Jahren Sozialismus die Daten ja mit dem Westen im Kopf groß gewor-
ren offenbar die Ausnahme. von 2,5 Millionen Menschen allein aus den. Ich wollte in die Plattenläden gehen,
[...] Der Vater eines Jungen empfand die dem kleinen Bezirk Erfurt festgehalten. Die in die Buchhandlungen. Jeden Abend
Schulungen des MfS während seines Schüler bereiten die Gespräche mit zwei hörte ich im Radio, was auf der anderen Sei-
Militärdienstes als „schlecht“. Wer bei der Zeitzeugen vor. Michael Schlosser, ein da- te in den Clubs los war, oder den West-
NVA seine Meinung sagte, habe 50 Mal mals 38 Jahre alter Kraftfahrzeugschlosser Wetterbericht. Klingt seltsam, aber nun galt
den Fahneneid schreiben müssen. Das MfS und Fuhrparkleiter des Fernsehstudios das West-Wetter auch für mich. [...]
habe ein Feindbild von den Verwandten Dresden, ist 1983 von der Staatssicherheit G. A.: Wie erinnern Sie sich an die DDR?
im Westen vermittelt. [...] verhaftet worden. Er erhielt vier Jahre und Kowalzcuk: Für mich war dieser Staat von
Julia erzählt von ihrem Vater, der nicht sechs Monate Haft wegen versuchter Repu- vorne bis hinten unerträglich. Die schönen
zur Wahl gehen wollte. Daraufhin sei der blikflucht. Grit Angermann war im selben Erlebnisse waren alle im familiären Bereich
oder mit Freunden. Aber das System DDR? Erinnerung und Identität erfahrungen nicht einfach uminterpretiert
Da entdecke ich nichts, das man hätte werden. Geschichten auf einmal nach
bewahren sollen. Erinnerungen an die Vergangenheit [...] neuem Raster zu erzählen oder damals
G. A.: Auch nicht Dinge wie die umfassende legitimieren, motivieren und vereinen völlig „normale“ Erlebnisse in Frage zu
Kinderbetreuung? die Bevölkerung durch Geschichtsschrei- stellen, ist schwer, wenn nicht gar unmög-
Kowalzcuk: Wenn man in Kindergärten bung und „Gründungsmythen“ oder lich. Vor allem ist dies schwierig, wenn
und Schulen ging, war es unerträglich. Zeremonien, wie Gedenkstätten oder auch die Basis, auf der die Vergangenheit bewer-
In den Kitas mussten die Kinder mit Kriegs- Jahrestage. [...] tet wird, noch umkämpft ist. [...]
spielzeug spielen, Disziplin und Ordnung, Erinnerungen sind ebenfalls eng mit Der Begriff „Vergangenheitsbewältigung“
das Kollektiv waren alles, der Einzelne individueller Identität verknüpft. Die entstand in der alten Bundesrepublik in
nichts. Das Ziel war, die Individualität der Geschichten, die wir über uns selbst erzäh- Bezug auf den Umgang mit Nationalsozi-
Kinder zu brechen. In der Schule ging len, senden Botschaften aus über die Per- alismus und Judenverfolgung. Er um-
das weiter. Permanent wurde vorgeschrie- son, als die wir gesehen werden wollen. [...] fasste eine Kombination von historischer
ben, was man zu lesen hatte. Man musste Das bedeutet auch, dass Erinnerungen, Forschung, Gedenken und Trauerarbeit,
ständig in militärähnlichen Formationen ob kollektiv oder individuell, in der Ge- in dem Versuch, dieses schwierige Kapitel
aufmarschieren. Es gab zahllose ideologi- genwart geschaffen werden. Sie werden zumindest zu „meistern“. Mit der
sche Tabuthemen. [...] von sozialen, kulturellen und politischen Wiedervereinigung wurde das Modell Ver-
G. A.: Also gar nichts, was sich gelohnt Faktoren beeinflusst und unterliegen gangenheitsbewältigung auf die DDR
hätte, ins vereinte Deutschland rüber zu Machtkonstellationen. Dies betrifft zum übertragen. [...] In Bezug auf die DDR-Ver-
retten? Beispiel die Frage, wer Versionen der gangenheit war der gängige Begriff nun
Kowalzcuk: Nein. Ich bin froh, dass man Vergangenheit kreieren und diese be- oder „Vergangenheitsaufarbeitung“. [...] Durch
mit der DDR Tabula Rasa gemacht hat. verurteilen darf. [...] Offizielle Versionen den Fokus auf den Diktaturcharakter
Man kann nicht aus einem Gesamtsystem der Geschichtsschreibung geben vor, was des vergangenen Staates und durch die
einzelne Aspekte herausgreifen. Die Einzel- als erinnerungswürdig gilt. Somit hängt Parallelität des Umgangs mit der NS-
teile bedingen einander. nationale Geschichtsschreibung von den Zeit akzentuierte die offizielle Geschichts-
G. A.: Können Sie die Debatte nachvollzie- Zukunftsvisionen momentaner Führungs- schreibung das Herrschaftssystem und
hen, ob die DDR ein Unrechtsstaat war oder eliten ab, das heißt von Regierungen, die Opposition. Dieser Vorgang wiederum
nicht? Amtsinhabern, Intellektuellen. Erinnerun- führte zu einem dichotomisierten Bild
Kowalzcuk: Ich reagiere ziemlich aller- gen, kollektive und individuelle, werden der DDR, mit Opfern auf der einen Seite
gisch auf Versuche, die Verhältnisse in der meistens, wenn auch nicht immer, durch und Tätern auf der anderen. [...]
DDR zu verniedlichen. Es gab nur 600 persönliche Erzählungen [...] geteilt. [...] Mittlerweile ist der Terminus „Vergan-
Rechtsanwälte für 17 Millionen Menschen. Maurice Halbwachs prägte den Begriff genheitsaufarbeitung“ im Osten Deutsch-
Wer das Land ohne Genehmigung ver- „kollektives Gedächtnis“. Er argumen- lands allerdings belastet. Ähnlich wie
lassen wollte, wurde verhaftet oder erschos- tierte, dass intimste Erinnerungen an die die „Vereinigung durch Übernahme“ durch
sen. Das Recht konnte in der DDR jeder- weiter reichenden Erinnerungen einer die Bundesrepublik, wird „Aufarbeitung“
zeit durch die herrschenden Kommunisten Gruppe, ob Familie, Freundeskreis oder Na- als ein vom Westen gesteuerter Prozess ge-
gebeugt werden. Willkür und Unrecht tion, gebunden sind. Wir können nur sehen, der über die individuell und
waren systembedingt. Wie kann man da erinnern, was von der Gruppe als legitim kollektiv erlebte Vergangenheit zu richten
nicht von einem Unrechtsstaat sprechen? betrachtet wird, und versuchen, unsere scheint. Verbunden mit Erfahrungen
G. A.: Viele Ex-DDR-Bürger reagieren Erfahrungen innerhalb des von der der Abwertung ostdeutscher Kultur und
verletzt. Gruppe vorgegebenen Rahmens zu ver- persönlicher Errungenschaften im Ver-
Kowalzcuk: Politik, Publizistik und Wissen- stehen. [...] einigungsprozess sowie dem realen
schaft haben es versäumt deutlich zu In „Umbruchsgesellschaften“ bestehen Verlust von Arbeitsplätzen und radikaler
machen, dass, wenn man von einem Un- besondere Probleme beim Umgang mit Veränderung der Umgebung in allen Le-
rechtsstaat spricht, kein Urteil fällt über der Vergangenheit. Dies betrifft nicht nur bensbereichen, führte dies Mitte der
die Menschen, die in diesem System lebten. Deutschland, sondern auch andere vor- neunziger Jahre zu Nostalgie und einer
Viele DDR-Bürger fühlen sich durch den mals sozialistische Länder. Mit dem Ende Art „Trotz-Identität“. „Ostalgie“ focht
Begriff in ihrer Lebensbiografie entwertet des Sozialismus und der Delegitimie- hierbei westdeutsche Hegemonie an und
und wehren sich dagegen. Dafür habe rung dieses Systems vollzog sich ein ex- präsentierte ein alternatives „Deutsch-
ich Verständnis. [...] tremer Wertewandel. Die Menschen heute Sein“. [...] Seit Mitte der neunziger Jahre
G. A.: Sind sich Ost- und Westdeutsche nah, müssen ein anderes Wertmaß an die scheint die trotzige „Ossi-Identität“
oder sind sie einander fremd geblieben? Vergangenheit anlegen. Entscheidungen, aber einem subtileren Gefühl von „Zu-
Kowalzcuk: Es bestehen nach wie vor Un- Taten, Lebensweisen, die in der sozialisti- Hause-Sein“ gewichen zu sein, was
terschiede im Denken und Verhalten. schen Gesellschaft „normal“ waren, wiederum eine flexible Auseinandersetzung
Aber warum auch nicht? In einem großen werden in Rückschau auf den Kommunis- mit den „anderen“ Deutschen zulässt. [...]
Land wie der Bundesrepublik gibt es diese mus in ein kritisches und oft negatives
Unterschiede eben, zwischen Nord und Licht getaucht. [...] Dieser Vorgang erwies Anselma Gallinat, Sabine Kittel, „Zum Umgang mit der DDR-
Süd, Ost und West. Die Vielfalt ist doch das sich als äußerst kompliziert. Viele Werte, Vergangenheite heute“, in: Thomas Großbölting (Hg.), Friedens-
staat, Leseland, Sportnation?, Berlin 2003, S. 309 ff.
Kennzeichen einer offenen Gesellschaft. die jahrzehntelang eingeübt und tradiert
Ich bin froh, dass es sie gibt. wurden, bestehen weiterhin in der Ge-
sellschaft und beeinflussen Wahrnehmung
„Dieser Staat war unerträglich“. Interview von Kai Pfundt mit
Ilko-Sascha Kowalzcuk, Projektleiter bei der Stasiakten-Behörde in
und Verhalten dieser Menschen. Da-
Berlin, in: Bonner General-Anzeiger Bonn vom 2./3. Oktober 2010 rüber hinaus können individuelle Lebens-
wie möglich in private Hand zu überführen. Am 20. Septem- Der mit der Einheit Deutschlands verbundene gesellschaftliche
ber stimmten die beiden deutschen Parlamente dem Staats- Umbruch veränderte die Lebenswelten der Ostdeutschen drama-
vertrag mit großer Mehrheit zu. tisch. Für viele Menschen eröffneten sich dadurch neue Möglich-
keiten der beruflichen und privaten Selbstentfaltung. Politische
Gängelung, Gesinnungsterror und die Angst vor politischer Re-
Die deutsche Einheit pression gehörten der Vergangenheit an. Der Einzug der west-
deutschen Konsumwelt beendete auch die ostdeutsche Mangel-
Noch vor der staatlichen Einheit hatten sich die DDR-Liberalen wirtschaft. Doch zugeich mussten auch die Konsequenzen der
Mitte August mit der westdeutschen FDP vereinigt. Ende Sep- Marktwirtschaft bewältigt werden, die insbesondere viele Arbei-
tember vereinten sich die Sozialdemokraten und am 1. Oktober ter in den bislang staatlichen Betrieben überraschten. Millionen
schlossen sich der „Demokratische Aufbruch“ und die Bauern- Beschäftigte in Wirtschaft und Verwaltung wurden arbeitslos,
partei der CDU an. Die Partei „Die Grünen“ und das „Bündnis weil die privatisierten Betriebe den Übergang zur Marktwirtschaft
90“ einigten sich auf eine Zusammenarbeit bei der gesamt- nicht schafften oder große Staatsbetriebe geschlossen wurden.
deutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990. Verschiede- Mit der Aktion „Aufbau Ost“ versuchte die Bundesregierung
ne linke Gruppierungen verbanden sich mit der PDS. in den folgenden Jahren, in den neuen Bundesländern ein
Am 3. Oktober 1990 trat die DDR der Bundesrepublik selbst tragendes wirtschaftliches Wachstum zu erreichen, die
Deutschland nach Artikel 23 des Grundgesetzes bei. Damit Abwanderung in den Westteil Deutschlands zu stoppen, die
hörte die DDR auf, als Staat zu existieren. Mit der staatlichen hohe Arbeitslosigkeit abzubauen und die Transferabhängig-
Einheit wurden für alle Bürgerinnen und Bürgern der neuen keit zu reduzieren. Bis 1995 wurden allein 82 Milliarden DM
Bundesländer jene Forderungen erfüllt, mit denen die Men- aus dem Fonds Deutsche Einheit für den Wiederaufbau im
schen im Herbst 1989 auf die Straße gegangen waren: Freiheit, Osten aufgewendet. Die Maßnahmen hatten jedoch nicht in
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die Erfahrung, mit fried- allen Bereichen den gewünschten Erfolg. Im Westen rief die
lichen Massenprotesten, politischer Courage und gesellschaft- Höhe der Kosten der Einheit Unmut hervor. Im Osten verbrei-
lichem Reformwillen die kommunistische Diktatur im Osten tete sich das Gefühl, als Deutsche „zweiter Klasse“ angesehen
zu Fall gebracht zu haben, wirkt bis heute. zu werden. Auf diese Weise haben die Deutschen die vielfach
Am 14. Oktober 1990 fanden in Mecklenburg-Vorpommern, beschworene innere Einheit auch zwanzig Jahre nach der Wie-
Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen Land- dervereinigung noch nicht erreicht. In den Köpfen vieler lebt
tagswahlen statt. Nach der Bundestagswahl am 2. Dezember die Erinnerung an das, was sie in den vierzig Jahren ihrer Tren-
1990, aus der die CDU als stärkste Partei hervorging, wur- nung erlebten, fort. Um die Zukunft zu gestalten, bedarf es der
de Helmut Kohl zum ersten Bundeskanzler des vereinten Aufarbeitung der deutsch-deutschen Geschichte, die frei von
Deutschland gewählt. neuen oder alten Legenden sein sollte.
… ganz überwiegend
schlechte Seiten
32
keine Antwort
26
Eckel
8
Am Abend des 2. Oktober 1990 beginnen in Anwesenheit von Bundeskanzler 4 3
Kohl die Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit. Um Mitternacht ist Deutsch- picture-alliance / © dpa-infografik, © Globus 2941, Quelle: BMVBS, Emnid Stand 2009
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Internetadressen Autor
www.17juni53.de Andreas Malycha studierte von 1978 bis 1983 Geschichte an der Universi-
tät Leipzig. Von 1983 bis 1991 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter des
www.bpb.de/themen/DWWXEI,0,50_Jahre_Mauerbau.html Instituts für Marxismus/Leninismus beim ZK der SED bzw. des Instituts
für Geschichte der Arbeiterbewegung in Berlin beschäftigt. 1989 schloss er
www.bpb.de/themen/KGBNU7,0,Deutsche_Teilung_Deutsche_Einheit.html
seine Promotion zum Thema „Die SPD in der Sowjetischen Besatzungszone
www.bpb.de/themen/68PQ10,0,0,Geschichte_der_DDR.html Deutschlands im Jahre 1945“ ab. In den Jahren von 1992 bis 1996 arbeite-
te er als freiberuflicher Historiker an verschiedenen Projekten, u. a. für die
www.bpb.de/themen/JIRGFC,0,0,Kontraste_Auf_den_Spuren_einer_
Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn zur Gründung der SED. Danach folgten Tätig-
Diktatur_.html
keiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin
www.bpb.de/themen/AVYZYN,0,Ostzeit.html (1996 bis 1998), am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (1999
bis 2001), am Institut für Geschichte der Medizin/Zentrum für Human-
www.bpb.de/themen/HLHZQS,0,0,Sprache_und_Sprachgebrauch_in_ medizin Berlin (2003 bis 2005), an der Technischen Universität Dresden
der_DDR.html (2005 bis 2008) und am Institut für Geschichte der Medizin/Zentrum für
www.bpb.de/themen/PTENMV,0,0,Weltfestspiele_1973.html Humanmedizin Berlin (2008 bis 2010). Derzeit ist er als Wissenschaftlicher
Mitarbeiter für das Forschungsprojekt „Die SED zwischen Mauerbau und
www.chronik-der-mauer.de Mauerfall. Strukturen, Eliten und Konflikte (1961-1989/90)“ am Institut für
Zeitgeschichte, München-Berlin tätig.
www.jugendopposition.de/index.php?id=1
Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte des politischen Systems
in der DDR, speziell die Geschichte der SED, und die Wissenschaftsgeschichte
der DDR.
Kontakt: malycha@ifz-muenchen.de
Impressum
Druck: Informationen über das weitere Angebot der Bundeszentrale für politische
STARK Druck GmbH + Co. KG, 75181 Pforzheim Bildung / bpb erhalten Sie unter der links oben genannten bpb-Adresse.
Vertrieb: Für telefonische Auskünfte (bitte keine Bestellungen) steht das Info-
IBRo, Verbindungsstraße 1, 18184 Roggentin telefon der bpb unter Tel.: 02 28/99 515-115 Montag bis Donnerstag
zwischen 8.00 Uhr und 16.00 Uhr und freitags zwischen 8.00 Uhr und
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ISSN 0046-9408, Auflage dieser Ausgabe: 700 000.
und nach 1945 bieten die zeitgeschichtlichen Fax 03 82 04 / 66 - 273 oder E-Mail bpb@ibro.de
oder unter www.bpb.de
politischen Bildung“
Weimarer Republik
nennt sich von 1919 bis 1933 die erste Demokratie auf deutschem
Boden. Vorbelastet durch den Ersten Weltkrieg, geschüttelt von
politischen und wirtschaftlichen Krisen scheitert sie schließlich nicht
zuletzt mangels Rückhalt in der Bevölkerung. Von ihr gehen jedoch
fortdauernde Impulse für Gesellschaft und Kultur aus.
Bestell-Nr. 4.261
Nationalsozialismus
ist das Thema zweier Hefte. Das erste beschäftigt sich mit Aufstieg
und Herrschaft Adolf Hitlers und der nationalsozialistischen Bewe-
gung bis vor Kriegsbeginn. Das zweite Heft thematisiert den Zweiten
Weltkrieg sowie die NS-Vernichtungspolitik.
Bestell-Nr. 4.314 und 4.316