You are on page 1of 8

Glücksforschung

Wovon unsere
Lebenszufriedenheit abhängt
Die meisten Menschen halten Gesundheit, Geld und eine liebevolle Beziehung für
die Eckpfeiler eines glücklichen Lebens. Ein halbes Jahrhundert wissenschaftliche
Glücksforschung hat jedoch gezeigt, dass äußere Faktoren auf die Dauer nur bedingt
zum persönlichen Wohlbefinden beitragen. Wie zufrieden wir im Leben sind, bestim-
men ebenso unsere Gene.
Von Frank M. Spinath und Elisabeth Hahn

Z
um Geburtstag, Jahreswechsel und bei vielen ande- Besitz abhängt. Doch auf die Frage, was genau dem Wohl­
ren Gelegenheiten wünschen wir uns immer wie- befinden des Einzelnen am besten dient, lieferte auch diese
der vor allem eines: Glück. Nichts erstreben wir Erhebung keine endgültige Antwort. Sie zu finden ist nun
Menschen mehr. Und so ist es im Grunde nur folge- Aufgabe des Centre for Bhutan Studies, das die Regierung ei-
richtig, dass das Königreich Bhutan im Himalaja 2008 das gens zu diesem Zweck eingerichtet hat.
»Bruttonationalglück« auch als Staatsziel in seiner Verfas- Auch außerhalb Bhutans beschäftigen sich Wissenschaft-
sung verankert hat. Dort steht es gleichrangig neben dem Na- ler schon seit Jahrzehnten mit der Frage, was Menschen auf
tur- und Umweltschutz sowie einer humanen Gesellschaft Dauer glücklich und zufrieden macht – und weshalb manche
mit möglichst gerecht verteilten materiellen Gütern. Damit von uns einfach generell zufriedener sind als andere. Intuitiv
nicht genug, befragte der fürsorgliche König seine Unterta- liegt die Vermutung nahe, dass die jeweiligen Lebensbedin-
nen in einer groß angelegten Erhebung zugleich, was ihnen gungen – insbesondere materieller Besitz oder eine erfüllen-
denn in ihrem Leben am meisten Freude bereite. Dabei stell- de Paarbeziehung – eine entscheidende Rolle spielen. Wie
te sich heraus, dass für die Bewohner Bhutans, die zumeist in neuere Untersuchungen aus dem Bereich der Positiven Psy-
ärmlichen Verhältnissen leben, Glück nicht von materiellem chologie zeigen, hängt es jedoch auch in hohem Maß von un-
seren Genen ab, ob wir mit unserem Leben tendenziell zu-
auf einen blick frieden oder unzufrieden sind.
Die Positive Psychologie ist eine noch verhältnismäßig
Suche nach Garanten des Glücks junge Disziplin. Sie beschäftigt sich statt mit Krankheitsbil-
dern und der Suche nach deren Ursachen mit der geistigen

1 Wissenschaftliche Untersuchungen legen nahe, dass jeder


Mensch ein individuelles Niveau der Lebenszufriedenheit hat,
das sich auf lange Sicht nicht wesentlich ändert. Positive oder
Gesundheit und dem Wohlbefinden von Einzelpersonen
oder Menschengruppen. Dabei geht sie davon aus, dass das
negative Erlebnisse können unser Wohlbefinden zwar steigern Streben nach Erfüllung, die aktive Mitgestaltung des eigenen
oder mindern, doch mit der Zeit stellt sich meist wieder das Lebens und das Erreichen bestimmter Lebensziele wichtige
Basisniveau ein.
Komponenten des individuellen Glücks darstellen.

2 Zwillingsstudien und andere verhaltensgenetische Untersu-


chungen belegen, dass das genetische Erbe ein entscheidender
Faktor ist, der die generelle Lebenszufriedenheit beeinflusst.
Doch worin besteht individuelles Glück eigentlich? Im
wissenschaftlichen Kontext ist meist etwas nüchterner von
Welche speziellen Gene eine Rolle spielen, ließ sich bisher jedoch subjektivem Wohlbefinden (subjective well-being) die Rede.
nicht ausmachen. Eine frühe Begriffsbestimmung dafür lieferte Ed Diener von

3 Ein enger Zusammenhang besteht zudem zwischen der


Lebenszufriedenheit und Persönlichkeitsmerkmalen wie Extra-
version und Neurotizismus, die gleichfalls überwiegend genetisch
der University of Illinois in Urbana-Champaign, der in den
1980er Jahren zu den Ersten gehörte, die sich Gedanken
determiniert sind. über das Thema machten. Er betrachtet subjektives Wohl­
befinden als mehrdimensionales Konzept (Grafik S. 75).
4 Den Zwillingsstudien zufolge beeinflussen allerdings auch
Umweltfaktoren während der Kindheit das spätere allgemeine
Wohlbefinden.
Auf der einen Seite enthält es kognitive Komponenten. Sie
umfassen die Zufriedenheit mit dem Leben insgesamt (life
satisfaction) und mit einzelnen Bereichen davon (domain

72  SPEZIAL Biologie – Medizin – Hirnforschung  2/2013: Gene und Umwelt


satisfaction). Ihnen stehen auf der anderen Seite zwei un­ eher flüchtigen Emotionen. Um sie zu messen, haben Diener
abhängige emotionale Komponenten gegenüber. Diener und Kollegen schon 1985 einen aus fünf Fragen bestehenden
spricht von angenehmen oder unangenehmen Empfindun- Kurztest entwickelt: die »satisfaction with life scale«. Andere
gen (pleasant/unpleasant affect). Verfahren erlauben, auch die Zufriedenheit mit einzelnen
Nach seiner Definition beruht die Lebenszufriedenheit in Lebensbereichen zu erfassen. Dazu zählen etwa die Arbeits-
erster Linie auf einer rationalen Bewertung, einem subjekti- bedingungen, die Familienverhältnisse und die Wohnsitua­
ven Urteil über die eigenen Lebensumstände. Zwar fließen tion. Mit ihrer Bedeutung hat sich vor allem die Forscher-
auch Emotionen ein, die mit der momentanen Gemütslage gruppe um Janine Stubbe von der Freien Universität Amster-
verknüpft sind; doch spielen sie nur eine untergeordnete Rol- dam befasst.
le. Begriffe wie Freude, Spaß, Ärger oder Traurigkeit bringen
dagegen die emotionale Seite des subjektiven Wohlbefindens Wie wichtig sind Gesundheit, Geld und Partnerschaft?
zum Ausdruck. Gefühle können allerdings stark schwanken Doch welche Faktoren führen denn nun dazu, dass ein
und müssen mit der rationalen Einschätzung nicht immer Mensch zufrieden ist? Eine erste Einschätzung gab schon
übereinstimmen. So empfindet eine Person an ihrem Ge- 1967 der Psychologe Warner Wilson von der University of
burtstag vielleicht momentanes Glück, obwohl sie arbeitslos Alabama. Er schrieb: »Der glückliche Mensch ist eine junge,
und deshalb generell sehr unzufrieden mit ihrem Leben ist. gesunde, gut ausgebildete, gut bezahlte, extravertierte, opti-
In diesem Beitrag soll es vornehmlich um die Lebenszu- mistische, sorglose, religiöse, verheiratete Person beiderlei
friedenheit gehen, da sie ein stabileres Merkmal ist als die Geschlechts mit hoher Selbstachtung und Arbeitsmoral, mä-

Glück steht ganz oben auf der


Wunschliste des Menschen.
Doch wünschen allein genügt
nicht. Wie lässt sich Glück
tatsächlich erreichen?

fotolia / Pixelot

www.spektrum.de 73
ßigem Ehrgeiz und einer Intelligenz, die über weite Bereiche insgeheim annähmen. Tatsächlich galt auch in der Wissen-
variieren kann.« schaft noch bis vor Kurzem, dass mit dem Wohlstand das
Diener und Martin E. P. Seligmann von der University of Wohlbefinden wächst. Befragt man Arme und Reiche, so äu-
Pennsylvania in Philadelphia wollten es genauer wissen. An- ßern sich die Vermögenden in der Tat generell zufriedener
fang des vergangenen Jahrzehnts ermittelten sie deshalb bei mit ihrem Leben. Allerdings ist der Zusammenhang zwi-
222 Studenten, wie zufrieden diese mit ihrem Leben waren. schen Geld und Glück nicht linear. Neueren Untersuchungen
Dann prüften sie für die unterschiedlichsten Verhaltens- zufolge erhöht sich die Zufriedenheit oberhalb einer gewis-
und Persönlichkeitsmerkmale, welche bei den zehn Prozent sen Wohlstandsgrenze durch weiter steigenden Reichtum
mit den höchsten Werten hervorstechen. Die besonders nur noch wenig. Wie Diener herausfand, wächst das Wohlbe-
­Zufriedenen erwiesen sich dabei als extravertierter, verträg- finden deutlich, wenn jemand den Sprung aus armen Ver-
licher und weniger neurotisch als der große Rest. Zudem hältnissen zur Mittelschicht schafft. Beim Aufstieg von der
zeichneten sie sich durch stabilere soziale Bindungen und Mittel- in die Oberschicht nimmt es dagegen kaum noch zu.
Liebesbeziehungen aus und waren ganz allgemein geselliger. Richard A. Easterlin von der University of Southern Cali-
Solchen Studien zufolge beeinflussen viele verschiedene fornia in Los Angeles erklärte dieses Phänomen 2001 mit der
Faktoren das subjektive Wohlbefinden. Zu ihnen zählt natür- »aspiration theory«. Demnach hängt die Lebenszufrieden-
lich die Gesundheit. Je gesünder sich jemand fühlt, desto zu- heit weniger von der absoluten Höhe des objektiven Wohl-
friedener ist er in der Regel mit seinem Leben. Allerdings stands ab als davon, wie weit die persönlichen Erwartungen
konnte Saul Feinman bei einer Untersuchung Ende der 1970er und die tatsächlichen Verhältnisse auseinanderklaffen. Die
Jahre an der University of Wyoming in Laramie keine bedeut- Erwartungen bleiben allerdings nicht konstant, sondern er-
samen Unterschiede zwischen Blinden und Sehenden finden. höhen sich mit der Zeit, weil Menschen dazu tendieren, sich
Die Gesundheit trägt demnach längst nicht so viel zum sub- an die jeweilige Situation zu gewöhnen.
jektiven Wohlbefinden bei wie gemeinhin angenommen.
Macht Geld dann vielleicht glücklich? Viele Menschen Die Bedeutung sozialer Faktoren
glauben das oder verhalten sich zumindest so, als ob sie es Auskunft über die Zufriedenheit der Deutschen gibt der
»Glücksatlas«, den Bernd Raffelhüschen von der Universität
Freiburg zusammen mit dem Allensbacher Institut für De-
moskopie beziehungsweise der TNS Emnid Medien- und So-
zialforschung GmbH im Auftrag der Deutschen Post für die
Jahre 2011 und 2012 erstellt hat. Demnach sind die Deutschen
ausgesprochen glücklich. Auf einer Skala zwischen 0 und 10
erreichen sie einen Wert von 7,0. Als Hauptfaktoren für hohe
Lebenszufriedenheit erscheinen Gesundheit, Partnerschaft
und soziale Kontakte. Geld spielt dagegen nur eine geringe
Rolle, ist allerdings in der Regel auch ausreichend vorhan-
den. Bei den Ursachen von Unzufriedenheit rangiert der Ver-
lust des Arbeitsplatzes weit oben.
Dass sich Glück nicht mit Geld erkaufen lässt, betont auch
Gert G. Wagner, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Insti-
tuts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Er hat ein Vier-
teljahrhundert lang im Rahmen des Sozio-oekonomischen
Panels (SOEP) zehntausende Menschen nach ihrer Lebens­
zufriedenheit befragt. Sein Resümee: Egoistisches Profit­
streben macht nicht glücklich. Wichtig sind stattdessen eine
intakte Partnerschaft, ein Netz aus guten Freunden und sozi-
aus: The Constitution of The Kingdom of Bhutan

ales Engagement.
Bruce Headey von der University of Melbourne (Australi-
en), einer der führenden Sozialwissenschaftler auf dem Ge-
biet der Positiven Psychologie, zieht ähnliche Schlüsse aus
seiner Forschung. Demnach wirken sich soziale Faktoren, Le-
bensziele und persönliche Bindungen stark auf das Wohlbe-
finden aus. Menschen sind zufriedener, wenn sie Familie und
Kinder sowie einen großen Freundeskreis haben.
Die Verfassung von Bhutan räumt Glück einen so hohen Einen originellen Ansatz verfolgt Adam D. I. Kramer von
Stellenwert ein, dass sie die Mehrung des Bruttonationalglücks der University of Oregon in Eugene. Er greift für seine Unter-
zum Staatsziel erklärt. suchungen seit 2007 auf Daten des sozialen Netzwerks Face-

74  SPEZIAL Biologie – Medizin – Hirnforschung  2/2013: Gene und Umwelt


Nach einem Modell, das Ed
Spektrum der Wissenschaft

subjektives Diener von der University of


Wohlbefinden
Illinois in Urbana-Champaign
1999 aufgestellt hat, setzt
sich das subjektive Wohlbefin-
den aus verschiedenen ge-
positiver Affekt negativer Effekt Lebenszufriedenheit Bereichszufriedenheit
(affektiv) (affektiv) (kognitiv) (kognitiv) fühls- und verstandesmäßigen
Komponenten zusammen.

book zurück und wertet die täglichen Statusupdates der User Jahre an der University of Minnesota in Minneapolis durch-
systematisch aus. Dazu durchforstet er sie nach Wörtern, die führten, tragen der sozioökonomische Status, der Bildungs-
positive oder negative Emotionen oder Stimmungen wieder- grad, das Einkommen, der Familienstand und die Religions-
geben, und ermittelt deren Häufigkeit. Kramer geht davon zugehörigkeit insgesamt lediglich rund drei Prozent dazu
aus, dass sich in der Verwendung entsprechend getönter Aus- bei. Angus Campbell (1910 – 1980), Philip E. Converse, damals
drücke auch die eigene Gemütslage widerspiegelt. Wer po­ an der University of Michigan in Ann Arbor, und Willard L.
sitiv oder negativ gefärbte Wörter öfter verwendet, sollte Rodgers von der University of Michigan konnten 1976 auch
glücklicher beziehungsweise unglücklicher sein, so die An- nur etwa 20 Prozent der Unterschiede in der Lebenszufrie-
nahme. Aus der Häufigkeitsdifferenz der beiden Wortkatego- denheit zwischen den Menschen erklären, indem sie alle de-
rien berechnet der Forscher seinen Index für Zufriedenheit mografischen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Einkommen,
der Menschen in einzelnen Ländern, den er in Anlehnung an Herkunft, Bildung und Familienstand zusammenfassten. Es
die Verfassung Bhutans Bruttonationalglück (gross national muss also weitere, wichtige Faktoren geben, die unser Glück
happiness index) nennt. beeinflussen. Worin könnten sie bestehen?
Ob dieser Index wirklich die bewusste kognitive Bewer-
tung der eigenen Lebensumstände und damit die Lebenszu- Die Rolle von Persönlichkeitsmerkmalen
friedenheit zum Ausdruck bringt, ist derzeit noch unklar. Im Jahr 1998 fanden Kristina M. DeNeve, damals an der Baylor
Unter anderem zeigte sich jedoch, dass Personen, die ange- University in Waco (Texas), und Harris Cooper von der Duke
ben, in einer festen Partnerschaft zu leben, signifikant mehr University in Durham (North Carolina), der seinerzeit an der
positive Wörter posteten als solche in einer offenen Bezie- University of Missouri in Columbia lehrte, einen Zusammen-
hung, Singles oder Geschiedene. Allerdings ergab eine Unter- hang zwischen der Lebenszufriedenheit und stabilen Persön-
suchung aus dem Jahr 2002, für die Richard E. Lucas, damals lichkeitseigenschaften wie Extraversion und Neurotizismus.
an der University of Illinois in Urbana-Champaign, und Kol- Kontaktfreudige, umgängliche Menschen sind demnach ge-
legen Daten des Sozio-oekonomischen Panels heranzogen, nerell zufriedener als gehemmte und ängstliche. Für jeden
dass die Eheschließung Menschen nur kurzfristig glücklicher Menschen existiert also ein individuelles Niveau des allge-
macht. Nach einiger Zeit pendelt sich ihre Zufriedenheit wie- meinen Wohlbefindens, das unter anderem von seiner Per-
der auf dem vorherigen Niveau ein. sönlichkeit beeinflusst wird.
Wenn aber weder Geld noch Gesundheit noch der Bezie- Schon 1978 legten Philip Brickman, Dan Coates und Ron-
hungsstatus ausreichend erklären, warum Menschen unter- nie Janoff-Bulmahn den Grundstein für die so genannte Set-
schiedlich zufrieden sind, was ist dann der entscheidende Point-Theorie der Zufriedenheit. Demnach bewegt sich das
Faktor? Möglicherweise hilft es weiter, die Kehrseite von Zu- persönliche Wohlbefinden jedes Einzelnen um einen für ihn
friedenheit zu betrachten. Negative Lebensereignisse wie charakteristischen Wert, zu dem es nach jeder Schwankung
Krankheit, Trennung oder sogar Scheidung, der Tod eines durch ein positives oder negatives Ereignis zurückkehrt.
Angehörigen oder der Verlust des Arbeitsplatzes beeinträch- Auch Richard E. Lucas von der Michigan State University in
tigen unser Wohlbefinden. Allerdings ist der Einfluss ähnlich East Lansing spricht von einem Grundniveau der Zufrieden-
wie bei den positiven Erlebnissen meist nicht von Dauer. So heit, das durch die Persönlichkeit und Erlebnisse in der frü-
zeigten Andrew E. Clark von der École d’Économie de Paris hen Kindheit maßgeblich bestimmt wird. Positive oder nega-
und Andrew J. Oswald von der University of Warwick (Eng- tive Ereignisse heben oder senken unser Wohlbefinden kurz-
land) 1994, dass nur Arbeitslosigkeit das subjektive Wohlbe- fristig; doch meist kehren wir nach einiger Zeit zu unserem
finden langfristig minderte – und zwar stärker als jedes ande- individuellen Basisniveau zurück.
re Ereignis wie etwa Scheidung oder Trennung. Im Jahr 2008 verglichen Piers Steel, Joseph Schmidt und
Als Resümee aus fast 50 Jahren Forschung lässt sich fest- Jonas Shultz von der University of Calgary (Kanada) die Er-
halten, dass externe Faktoren das subjektive Wohlbefinden gebnisse mehrerer Studien in einer Metaanalyse. Auch dabei
zwar beeinflussen, allerdings eher nur zu einem geringen schälten sich bedeutsame Zusammenhänge zwischen der
Teil. Laut einer Studie, die David T. Lykken (1928 – 2006) und Zufriedenheit mit dem Leben insgesamt oder mit einzelnen
der inzwischen emeritierte Auke Tellegen Mitte der 1990er Teilbereichen davon und den Persönlichkeitsmerkmalen Ex-

www.spektrum.de 75
dreamstime / Dzianis Miraniuk
rührt. Erbfaktoren sollten für dieses Merkmal demnach eine
Rolle spielen. Dabei addieren sich in der Regel die Effekte von
mehreren verschiedenen Genen. Ähneln sich eineiige Zwil-
linge in einem Merkmal jedoch mehr als doppelt so stark als
zweieiige, schließen Forscher auf nichtadditive genetische
Einflüsse, denen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen
Genen zu Grunde liegen. Bei sehr geringen Unterschieden
zwischen den beiden Zwillingstypen sollte dagegen die ge-
meinsame Umwelt für das betreffende Merkmal entschei-
dend sein. Wachsen eineiige Zwillinge getrennt auf, lassen
sich die Unterschiede zwischen ihnen analog als Folge der ge-
trennten Umwelt auffassen.
So wertvolle Erkenntnisse das klassische Zwillingsdesign
geliefert hat, ist es in einem Punkt allerdings unzulänglich:
Gemeinhin wird nicht berücksichtigt, dass Gene und Umwelt
auch zusammenwirken oder sich gegenseitig beeinflussen
können. In neueren verhaltensgenetischen Unter­suchungen
Spielkasinos locken mit der Verheißung des großen Geldes. Aber finden solche Gen-Umwelt-Korrelationen und -Interaktio-
macht Geld glücklich? nen zunehmend Beachtung. Außerdem geht es darum, die
jeweils beteiligten Gene und Umweltfaktoren im Einzelnen
zu identifizieren.
traversion, Neurotizismus, Verträglichkeit und Gewissenhaf-
tigkeit heraus. Nach außen gewandte Menschen erleben ver- Einfluss der Gene oft unterschätzt
mutlich vermehrt positive Emotionen, haben eine optimis­ Die meisten Menschen tendieren dazu, den Einfluss der Erb-
tischere Lebenseinstellung und mehr soziale Kontakte und anlagen auf das persönliche Wohlbefinden als gering anzuse-
sind daher generell zufriedener. Neurotische Personen kap- hen. Das haben Adrian Furnham und Helen Cheng vom Uni-
seln sich dagegen eher ab, leiden stärker unter Stress und versity College London in einer zur Jahrtausendwende durch-
sind daher auch unzufriedener. Gewissenhaftigkeit wieder- geführten Studie herausgefunden. Sie präsentierten den
um geht meist mit hoher Strukturiertheit einher, was bei der Teilnehmern 38 Aussagen der Art »Menschen neigen dazu,
Bewältigung der Anforderungen des täglichen Lebens hilft zufrieden zu sein, weil sie …« »... generell gesünder sind als
und so zu einem höheren Wohlbefinden beitragen könnte. andere« oder »... liebevolle Eltern haben«. Die Probanden
All dies sind jedoch nur mögliche Interpretationen für die sollten jeweils auf einer siebenstufigen Skala angeben, für
gefundenen Zusammenhänge. Korrelationen allein können wie bedeutsam sie den genannten Grund hielten. In einem
die Frage nach den Ursachen nicht beantworten. Die tieferen Fall hieß der Nachsatz: »weil sie mit ›glücklichen Genen‹ ge-
Wurzeln der Unterschiede in der Zufriedenheit der Menschen boren wurden«. Alle 233 Probanden stuften diesen Faktor als
versucht die verhaltensgenetische Forschung zu ergründen. vergleichsweise oder völlig unwichtig ein. Für sie hatte Zu-
Eine herausragende Stellung in deren Methodenarsenal friedenheit also wenig mit Veranlagung zu tun. Aber ent-
nehmen Zwillings- und Adoptionsstudien ein. Der Grund ist spricht diese verbreitete Ansicht auch den wissenschaftli-
einfach: Eineiige und zweieiige Zwillinge sind exakt gleich alt chen Befunden?
und wachsen üblicherweise zusammen und damit in der­ Beispielhaft seien hier vier Studien angeführt, die der Fra-
selben Umwelt auf, haben aber unterschiedlich hohe Anteile ge nachgingen, inwieweit genetische Faktoren das subjektive
ihres Genpools gemeinsam. Die einen gehen aus derselben Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit beeinflussen.
befruchteten Eizelle hervor und stimmen in ihren Erbanla- Die älteste ist die Minnesota Twin Family Study von Tellegen
gen vollständig überein. Die anderen hingegen entstehen und seinen Kollegen. Sie erfasste dank eines umfangreichen
durch die gleichzeitige Befruchtung zweier Eizellen und ent- Zwillingsregisters außer zusammen aufgezogenen Zwillings-
wickeln sich als Embryonen jeweils in einer eigenen Plazenta. paaren auch solche, die direkt nach der Geburt getrennt wor-
Ihre genetische Ähnlichkeit beträgt daher wie bei normalen den waren und in unterschiedlichen Familien aufwuchsen.
Geschwistern im Mittel nur 50 Prozent. Das klassische Zwil- Als Tellegen 1988 diese Teilstichprobe von 71 Paaren analy-
lingsdesign zieht aus dem Vergleich der phänotypischen sierte, stellte er fest, dass sich die eineiigen Zwillinge trotz
Ähnlichkeiten innerhalb der beiden Gruppen Rückschlüsse des unterschiedlichen Milieus während ihrer Kindheit ziem-
darüber, welchen Beitrag zu den einzelnen Merkmalen je- lich stark ähnelten: Der Korrelationskoeffizient für ihre Le-
weils die Gene und die Umwelt leisten. benszufriedenheit betrug 0,48. Um die Bedeutung dieser
Stimmen eineiige Zwillinge in einem Merkmal wesentlich Messgröße zu verstehen, muss man wissen, dass ein Wert
stärker überein als zweieiige, kann man davon ausgehen, von 1 eine völlige und einer von 0 gar keine Übereinstim-
dass dies von ihrer größeren genetischen Ähnlichkeit her- mung anzeigt.

76  SPEZIAL Biologie – Medizin – Hirnforschung  2/2013: Gene und Umwelt


Daraus, wie sehr sich getrennt aufgewachsene Zwillinge

iStockphoto / Tomm L
in einem Merkmal gleichen, lässt sich dessen Erblichkeit ab-
schätzen. Unter diesem Begriff verstehen Verhaltensgene­
tiker allerdings nicht das, was sich ein normaler Sterblicher
darunter vorstellt. Für sie bezeichnet er den Anteil der beob-
achtbaren individuellen Unterschiede – der »Varianz« – in
einem Merkmal, der auf genetischen Unterschieden zwi-
schen den Individuen beruht. Für die Erblichkeit des allge-
meinen Wohlbefindens ergab sich aus der besagten Untersu-
chung ein Wert von fast 50 Prozent.
Der Korrelationskoeffizient für die Lebenszufriedenheit
war bei getrennt aufgewachsenen zweieiigen Zwillingen mit
nur 0,18 nicht einmal halb so hoch wie bei den eineiigen. Die-
ser große Unterschied spricht für einen Beitrag nichtadditi-
ver genetischer Effekte zu diesem Merkmal. Offenbar ver-
stärken sich die beteiligten Gene also in ihrer Wirkung.
Auch für die Stabilität des Wohlbefindens analysierte die
Forschergruppe um Tellegen in einer späteren Studie die Mit der Eheschließung verbindet sich die Hoffnung auf ein
Erblichkeit und erhielt dabei sogar einen Wert von fast 80 glückliches Leben zu zweit. Doch sind verheiratete Menschen
Prozent. Die restlichen 20 Prozent der Varianz ließen sich wirklich zufriedener als ledige?
vollständig auf Unterschiede in der jeweiligen Umwelt zu-
rückführen. Bei diesem Merkmal trug das gemeinsame Mili-
eu demnach nur unwesentlich zur Ähnlichkeit zwischen Fa- einer Folgestudie mit 6576 Zwillingen, die Røysamb und Kol-
milienmitgliedern bei. legen 2003 veröffentlichten. Der Grund ist unklar und wäre
Fast eineinhalb Jahrzehnte später untersuchte Espen Røy- ein lohnendes Objekt für weitere Forschungen.
samb vom Nationalinstitut für öffentliche Gesundheit in Alexander Weiss von der University of Edinburgh (Groß-
Oslo zusammen mit Kollegen 5140 erwachsene Zwillinge aus britannien) hatte 2002 eine ausgefallene Idee. Er wählte statt
Norwegen. Auch in dieser 2002 publizierten Studie ließen Menschen 128 Schimpansen als Versuchsobjekte. Mehrere
sich rund 50 Prozent der Varianz des subjektiven Wohlbefin- Beobachter schätzten das subjektive Wohlbefinden dieser
dens durch additive genetische Effekte und der Rest durch Tiere ein. Die so ermittelten Werte setzte Weiss in Beziehung
»spezifische« oder »nicht geteilte« Umwelteinflüsse erklä- zur genetischen Verwandtschaft der Affen und zur Umwelt,
ren. Darunter versteht man Umweltfaktoren, die bei den in der sie jeweils aufgewachsen waren. Die Ergebnisse ent-
Zwillingen eines Paars unterschiedlich sind oder unter- sprachen denen der Studien an Menschen: Die Unterschiede
schiedlich wahrgenommen werden – etwa das Schulumfeld zwischen den Schimpansen ließen sich durch additive gene-
oder der Freundeskreis. Anders als in der Untersuchung von tische Einflüsse und spezifische, also gesonderte Umweltein-
Tellegen differierten allerdings die Werte zwischen den Ge- flüsse erklären.
schlechtern: Bei den Frauen lag die Erblichkeit mit 54 Pro- Auch in unserer Arbeitsgruppe an der Universität des Saar-
zent etwas höher als bei den Männern, wo sie nur 46 Prozent landes sind wir jüngst im Rahmen einer Zwillingsstudie den
betrug. Dieser etwas überraschende Befund bestätigte sich in Ursachen der Lebenszufriedenheit nachgegangen und haben

Genetische Übereinstimmung und gemeinsamer Umweltanteil für verschiedene Verwandtschaftsbeziehungen.

Verwandtschaftsbeziehungen genetische Übereinstimmung gemeinsamer Umweltanteil


eineiige Zwillinge, gemeinsam aufgewachsen 1 1
zweieiige Zwillinge, gemeinsam aufgewachsen 1/2 1
eineiige Zwillinge, getrennt aufgewachsen 1 0
zweieiige Zwillinge, getrennt aufgewachsen 1/2 0
Geschwister, gemeinsam aufgewachsen 1/2 1
Halbgeschwister, gemeinsam aufgewachsen 1/4 1
Eltern-leibliches Kind 1/2 1
Eltern-Adoptivkind 0 1
Großeltern-Kind 1/4 abhängig von Wohn- und Lebensverhältnissen
Cousins 1/8 abhängig von Wohn- und Lebensverhältnissen

www.spektrum.de 77
insbesondere auch ihren Zusammenhang mit der Persönlich- Wie üblich, ähnelten sich die Zufriedenheitswerte der ein-
keit erforscht. Dazu zogen wir unter anderem Daten des Sozio- eiigen Zwillinge stärker als die der zweieiigen, was auf gene­
oekonomischen Panels heran. Dessen alljährliche Erhebun- tische Einflüsse hindeutet. Aber auch bei den Geschwister-,
gen in rund 11 000 Haushalten in ganz Deutschland erfassen Mutter-Kind- und Großeltern-Kind-Paaren war die Ähnlich-
die verschiedensten Lebensbereiche; der Zufriedenheit keit überraschend groß. Das unterstreicht die Bedeutung
kommt dabei von jeher ein hoher Stellenwert zu. Da alle Mit- von gemeinsamen Umwelteinflüssen, zu denen insbeson­
glieder des jeweiligen Haushalts ab dem 17. Lebensjahr einzeln dere das familiäre Umfeld, der elterliche Erziehungsstil und
befragt werden, enthält der SOEP-Datensatz Personen, die un- der sozioökonomische Status gehören. Da etwa die geneti-
terschiedlich nah miteinander verwandt sind (Tabelle S. 77). sche Übereinstimmung zwischen Großeltern und Enkeln im
Bei unserer Studie aus dem Jahr 2009 haben wir Zwillings- Durchschnitt lediglich 25 Prozent beträgt, sollten erbliche
paare zu den einzelnen Themenbereichen des SOEP befragt Faktoren allein nur für eine mäßige Ähnlichkeit sorgen.
und die Antworten mit denen von Geschwistern sowie Mut- Unseren statistischen Analysen zufolge, in die wir die
ter-Kind- und Großeltern-Kind-Paaren aus dem Sozio-oeko- ­Daten sämtlicher Verwandtschaftsgruppen einbezogen, wa-
nomischen Panel verknüpft. Dieses genetisch sensitive Multi- ren bei unserer Stichprobe 30 bis 37 Prozent der Unterschie-
gruppendesign erlaubte uns, eine große informative Stich- de in der Lebenszufriedenheit durch die Gene erklärbar. Auf
probe im Hinblick auf mehrere Einflussgrößen zu analysieren. Grund der differenzierten Betrachtung ließen sich Umwelt-
Die Ergebnisse stützten sich dabei nicht mehr nur auf Unter- faktoren mit einbeziehen, die vorher nicht beachtet wurden.
suchungen an Zwillingen, sondern auf einen repräsentativen Dadurch entstand eine neue Verteilung der einzelnen Fakto-
Datensatz zusätzlicher Verwandtschaftsgruppen. ren, in der genetischen Einflüssen eine geringe Bedeutung
zukommt. Außer additiven spielten auch nicht additive ge-
Genetische und Umwelteinflüsse im Vergleich netische Einflüsse eine Rolle. Die genetisch vermittelten Ef-
Wegen der umfangreichen Befragung im Rahmen des SOEP fekte summieren sich also nicht nur einfach auf.
konnten wir zudem die Umwelt der jeweils betrachteten Per- Bei den Einflüssen der Umwelt ergab sich ein uneinheitli-
sonen genauer charakterisieren, als das in herkömmlichen ches Bild. Sie waren bei Nichtzwillingen stärker als bei Zwil-
Zwillingsstudien möglich ist. Dadurch gelang es uns, die ge- lingen, gleich ob ein- oder zweieiigen. Bei letzteren ließ sich
netischen und umweltbedingten Einflüsse auf die Lebens­ die Ähnlichkeit im persönlichen Wohlbefinden hauptsäch-
zufriedenheit differenzierter zu erfassen, was der Untersu- lich mit den Genen erklären, die sie gemeinsam hatten. Von
chung eine ganz besondere Aussagekraft verleiht. Insgesamt beiden Zwillingen geteilte Umwelteinflüsse spielten also
analysierten wir Daten von 1308 Paaren im Alter zwischen 17 eine relativ geringe Rolle, während nicht geteilte den Grad
und 70 Jahren. der Übereinstimmung erniedrigten. Bei Geschwister-, Mut-
ter-Kind und Großeltern-Kind-Paaren verhielt es sich anders.
Hier erhöhten gemeinsame Umweltfaktoren die Ähnlichkeit
fotolia / Amir Kaljikovic

zwischen gemeinsam aufwachsenden Personen in puncto


Lebenszufriedenheit.
Doch wie kommt es zu dieser Diskrepanz zwischen Zwil-
lingen und Nichtzwillingen, was die Beeinflussbarkeit ihres
Wohlergehens durch Umweltreize betrifft? Da die Lebenszu-
friedenheit das Ergebnis einer kognitiven Bewertung ist, flie-
ßen vielerlei Überlegungen mit ein. Nach der »multiple
discrepancy theory«, die Diener und Lucas zusammen mit
ihren Kollegen Eunkook M. Suh und Heidi L. Smith 1999 auf-
stellten, messen sich Individuen dabei zum Beispiel an ande-
ren Personen und Idealbildern und vergleichen ihre momen-
tane Situation mit dem, was früher war. Da sich Zwillinge be-
sonders nahe stehen, ziehen sie sich höchstwahrscheinlich
gegenseitig als Referenz heran. Selbst kleine Unterschiede
dürften sie dabei stark gewichten. Deshalb nehmen sie die
gemeinsame Umwelt unterschiedlicher wahr als Nichtzwil-
linge. Die Tatsache, dass sie zusammen aufwachsen, trägt da-
durch in geringerem Maß zu ihrer Ähnlichkeit bei.
Nachdem also die große Bedeutung genetischer Faktoren
für die Lebenszufriedenheit erwiesen ist, liegt natürlich die
Frage nahe, welche Gene das subjektive Wohlbefinden denn
konkret beeinflussen. Die Suche nach spezifischen Genen für
Arbeitslosigkeit trübt das subjektive Wohlbefinden deutlich. ein bestimmtes Merkmal stand im letzten Jahrzehnt zuneh-

78  SPEZIAL Biologie – Medizin – Hirnforschung  2/2013: Gene und Umwelt


Zwillinge keine Zwillinge die Ausprägung der Merkmale Extraversion und Neurotizis-
Frank M. Spinath

mus. Welche Faktoren das genau sind, ist derzeit noch unklar.
In Bezug auf die Extraversion könnte es sich beispielsweise
um soziale Kontakte handeln: Freunde, soziale Netzwerke
oder einfach nur positive Erlebnisse in Gesellschaft anderer.
Nach dem bisher Gesagten mag es so scheinen, als seien
Umwelt und Veranlagung so etwas wie Gegenspieler, die dar-
um konkurrieren, wer den größeren Einfluss auf ein Merk-
mal hat. Doch das wäre ein allzu vereinfachtes Bild. Tatsäch-
additive genetische Effekte lich interagieren sie teilweise miteinander und können sich
nichtadditive genetische Effekte folglich auch beeinflussen. So treten nachteilige genetische
Effekte der geteilten Umwelt Voraussetzungen möglicherweise erst unter bestimmten äu-
Effekte der nicht geteilten Umwelt ßeren Bedingungen zu Tage. Denkbar wäre auch, dass be-
In einer Studie untersuchten die Autoren für Zwillinge und Nicht­ stimmte günstige Anlagen auf positive Resonanz in der Um-
zwillinge die Einflüsse von genetischen und Umweltfaktoren welt stoßen, was ihre Ausprägung fördert. Zum Beispiel
auf die Lebenszufriedenheit. Die Ergebnisse sind hier zusammen- könnte eine soziale Ader dazu führen, dass jemand einem
gefasst. Es fällt auf, dass bei Zwillingen die Effekte der geteilten Verein beitritt. Dort macht er positive Erfahrungen, die sei-
Umwelt viel geringer und die der nicht geteilten Umwelt viel nen Hang zu Geselligkeit verstärken und verfestigen.
größer sind als bei Nichtzwillingen. Dieses komplexe Zusammenspiel von genetischem Erbe
und Umwelt dürfte in den Mittelpunkt künftiger Forschungs-
arbeiten rücken. Nicht nur auf Seiten der Gene, sondern auch
mend im Zentrum molekulargenetischer Studien. Verschie- der Umwelt wird die Suche nach spezifischen Einflussfak­to-
dene bekannte Gene, die als Kandidaten in Frage kommen, ren weitergehen. Für die Bewohner Bhutans und ihre Glücks-
wurden dabei auf einen möglichen Zusammenhang mit dem forschung sind die Ergebnisse der bisherigen Forschung in
Wohlbefinden geprüft. Bislang blieb die Suche jedoch verge- gewissem Maß ernüchternd – besagen sie doch, dass sich das
bens. Ein Hauptgrund dürfte sein, dass wahrscheinlich viele Bruttonationalglück durch Verbesserung der allgemeinen
verschiedene Gene mit darüber bestimmen, ob wir tendenzi- Lebensbedingungen nur bedingt steigern lässt, weil die Zu-
ell eher zufrieden oder unzufrieden sind. Sie alle sind jeweils friedenheit jedes Einzelnen eben auch ganz wesentlich von
mit nur kleinen Beiträgen für die vielfach abgestuften indivi- seinen individuellen Erbanlagen abhängt.  Ÿ
duellen Ausprägungen der Zufriedenheit verantwortlich.
Gleichwohl hilft unsere Saarbrücker Studie, die gefunde-
di e autoren
nen genetischen Einflüsse auf das allgemeine Wohlbefinden
besser zu verstehen. Wir haben nämlich auch untersucht, Frank M. Spinath ist Profes-
sor für differentielle Psycholo-
wie die Lebenszufriedenheit mit der Persönlichkeit zusam-
gie und Psychodiagnostik an
menhängt. Dass die Wesenszüge eines Menschen teilweise der Universität Saarbrücken.
erblich sind, haben seit den 1950er Jahren zahlreiche Zwil- Elisabeth Hahn ist Diplom­
psychologin und wissenschaft-
lings-, Adoptions- sowie Multigruppenstudien immer wie-
liche Mitarbeiterin an seinem
der bestätigt. Insgesamt lassen sich rund 50 Prozent der Per- Lehrstuhl.
sönlichkeitsunterschiede zwischen Individuen auf den Ein-
quellen
fluss von Genen zurückführen. Wie wir gesehen haben, ist
die Lebenszufriedenheit ebenfalls in hohem Maße genetisch DeNeve, K. M., Cooper, H.: The Happy Personality: A Meta-Analysis
bedingt. Außerdem hat sich gezeigt, dass zwischen ihr und of 137 Personality Traits and Subjective Well-Being. In: Psychological
Bulletin 124, S. 197– 229, 1998
der Persönlichkeit ein stabiler Zusammenhang besteht. Das
Diener, E. et al.: Subjective Well-Being: Three Decades of Progress.
wirft die Frage auf, inwieweit gemeinsame genetische Ein- In: Psychological Bulletin 125, S. 276 – 302, 1999
flüsse für diesen Zusammenhang verantwortlich sind und Lykken, D., Tellegen, A.: Happiness is a Stochastic Phenomenon. In:
Psychological Science, 7, S. 186 – 189, 1996
welche Rolle die Umwelt spielt.
Røysamb, E. et al.: Happiness and Health: Environmental and Gene-
Um sie zu beantworten, unterzogen wir unsere Daten ei- tic Contributions to the Relationship between Subjective Well-
ner entsprechenden multivariaten Analyse. Das Ergebnis war Being, Perceived Health, and Somatic Illness. In: Journal of Personali-
überraschend eindeutig: Sämtliche genetischen Einflüsse ty and Social Psychology 85, S. 1136 – 1146, 2003
Steel, P. et al.: Refining the Relationship between Personality and
auf die Lebenszufriedenheit wirkten sich zugleich auf die Subjective Well-Being. In: Psychological Bulletin 134, S. 138 – 161, 2008
Persönlichkeit aus. Der Zusammenhang zwischen diesen
beiden Merkmalen scheint demnach in erster Linie auf den Weblink
Genen zu beruhen. Unsere Analyse zeigte aber auch, dass es
Diesen Artikel sowie weiterführende Informationen finden Sie im
Umweltfaktoren gibt, die gleichermaßen die Zufriedenheit Internet: www.spektrum.de/artikel/1188725
wie die Persönlichkeit beeinflussen – und zwar insbesondere

www.spektrum.de 79

You might also like