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Man nennt mich Zobida.

Das ist kein Vorname, säuselt


Ali, während er an meinen Brustwarzen knabbert,
sondern ein Programm fiirs Vögeln. Zobida klingt nach
gu-
ter Butter und heißer Liebe, Zobida schmilzt wie Zucker
auf der Zunge. Man muss lediglich die Silben hinreichend
betonen. Buchstabier mal deinen Namen, meine Süße.
ZO-
BI-DA! In deinem Vornamen stecken Dinge, die den
bigot-
testen Gläubigen in die tiefste Hölle verbannen: zob
(Penis),
baise (vögeln) und bide (Leib) in der Sprache der
Ungläubi-
gen. In gutem Arabisch zad, ein Vorrat hübscher Dinge,
bida, schöner Frevel, und zid, mach weiter so! Gott möge
jenen verzeihen, die dir diesen Namen gegeben haben.

Ich amüsiere mich, wenn Ali spricht. Denn er spricht ge-


nauso, wie er mit mir vögelt, mit verhaltenem Lachen und
feurigen Ritten. Er übersieht, dass es nicht nur meinen
Vor-
namen gibt, um Worte zu verknüpfen. Sondern auch
mein
Leben. Und er weiß nicht, dass ich davon träume, mein
Leben niederzuschreiben. Zumindest das, was ich in
Zebib
daraus gemacht habe. Leider! Ich bin nicht mehr und
nicht
weniger als Zobida, so erfahren in Sachen Sex und so
ahnungslos in geistigen Dingen. Ich bin eine Interpretin
der
Lust, die gern eine Meisterin der Worte geworden wäre.
Aus diesem Grund habe ich beschlossen, mir nach einer
Reihe analphabetischer Schwänze einen gebildeten
Lieb-
haber zuzulegen. Und das ist Ali, der Grundschullehrer,
mit
lüsternem Blick und geschmeidigen Pobacken, mit einem

II

n
1.
Charakter, der so hart ist wie sein Penis, ein Mann mit stol- »Nicht jetzt.«
zem Gehabe. Zweimal pro Woche besorgt er es mir, ohne »Später, aber ich werde es dir
dass jemand die geringste Ahnung davon hat. Und seinen erzahlen.«
Dummköpfen von Schülern käme es niemals in den Sinn, »In Ordnung.«
dass derselbe Mund, aus dem tagsüber Worte quellen, sich »Unter zwei Bedingungen. Erstens, dass du kein Wort dar-
nachts an meiner Quelle vollsaugt. über verlierst, sonst steinigen mich die Leute von Zebib
wie einen Hund.«
Als ich dieses Mal auf ihm ritt, deklamierte ich: »Und zweitens?«
»Durch mich ist das Böse ins Dorf gekommen. Ich habe »Dass du aufschreibst, was ich dir erzahle.«
hier fiirVerwirrung gesorgt, Gott möge mir vergeben'« »Ich habe anderes zu tun, als deine Geständnisse aufzu-
»Du sprichst wirr, mein Katzchen«, bemerkte er lakonisch, schreiben. «
während er meine Hüften umklammerte. »Mich zu vögeln, ich weiß.«
»Es ist zu spät, das Böse ist in der Frucht.« »Das ist angenehmer.«
»Es heißt, der Wurm ist in der Frucht.« »Genau.«
Ich richtete mich auf.
»Wenn du meinst ... « »Bleib hier, besorg's mir noch mal.«
Er presste die Hände auf meine Schultern und schob seinen
»Was genau hast du denn getan?«, brummelte er widerwil- Pimmel in meine Möse.
lig, ohne sich ablenken zu lassen. »Warum willst du deine Geschichte schreiben? Bist du etwa
»Was erforderlich ist, um Jungfrauen zügellos zu machen.« gelehrt, ohne je eine Schule besucht zu haben?«
»Was für ein böses Mädchen du doch bist! Du verdienst, »Wenn man die Dinge niederschreibt, erlebt man sie ein
dass ich dich durchbohre.« zweites Mal.«
Ali umfasste meine Taille, um mich besser hochheben zu »Weiber-Kauderwelsch.«
können, und schob seinen heißen Schwengel noch einmal »Ich möchte auch, dass du alles im Stil eines Schriftstellers
in meine nur allzu willige Muschi. Ich hatte das Gefiihl, aufschreibst. «
mich zwischen Himmel und Erde zu bewegen, das Leben »Und das bedeutet?«
schlüpfte in mich hinein und glitt wieder heraus, meine »In einer gepflegten Sprache, nicht in der Sprache eines
Seele drohte durch meine Vagina zu entfliehen. vulgären Wichsers. Es soll so sein, dass ich es verstehe und
Ich hatte keine Lust, gleich noch mal zu kommen, und beeindruckt bin.«
musste mir eine Ausrede einfallen lassen. »Du möchtest also den Geist genauso befeuchten wie deine
»Ich werde es dir erzahlen«, sagte ich. Möse?«
»Du bist ein Nichtsnutz von Lehrer.«
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13
»Und was bekomme ich dafiir?« 1
4
»Nach jedem Kapitel kannst du über meine Muschi
verfii-
gen.«
»Hast du keine Angst, dass ich deine Geschichte
verbrei-
te?«
»Nein, denn ich fessle dich durchs Vögeln. Du wirst es
nicht
wagen, Allahs Gesetz zu brechen und in aller
Öffentlichkeit
zu gestehen, dass du ohne den Segen des Imams
eine Frau
bestiegen hast. Du noch weniger als all die anderen,
du,
mein Herr, der du fähig bist, Religionstexte zu lesen.«

Ich spürte, wie sein Glied erschlaffte, und plötzlich


hörte
ich ihn denselben Satz sagen, den mein verstorbener
Ehe-
mann immer wieder zitiert hatte: »Ich hinterlasse keine
größe-
re Zwietracht für die Manner als für die Frauen. «
»Aha, auch er!«
Er fing an zu lachen. Und ich berichtete ihm.

F
w keine
a Wahl«, fluchte er. Ich schützte lediglich mein Gesicht
r und
ic meinen Kopf und setzte meinen übrigen Körper, meine
edes Mal, wenn Sadek mich auspeitschte, h Brust, meinen Rücken, meine Arme und mein

J sabberte und
schäumte er, sprühte sein Speichel wie
Höllengischt,
b
e
Hinterteil,
dem Hass und der Verachtung aus. Trotz allem
r versuchte
sprudelte über wie das Schmutzwasser der Gullys, ei ich zu begreifen. Ich bemühte mich zu denken,
sickerte
t. während
die Mundwinkel entlang, blähte sich auf wie Pusteln
» meine Haut Blut spritzte. In meinem kleinen, unbedarf-
und
B ten Analphabetenhirn suchte ich nach den Gründen,
benetzte seinen Bart. Auch seine Worte, die ich
ei aus
mittlerwei-
d denen ich Peitschenhiebe und Beschimpfungen
le auswendig kannte, blieben stets dieselben. Sie
e einstecken
hämmerten
r musste.
in meinem Kopf so stark wie die Schläge, die er mir
E Sadek hatte mir stets zu verstehen gegeben, dass ich
ver- nichts
h
passte. Er posaunte im Rhythmus der Peitsche, die er
r
fest
e 15
mit der rechten, niemals mit der linken Hand
d
umklammert
e
hielt, was haram (verboten) war: »Der Prophet sagt: Ich
s
hin-
P
terlasse keine größere Zwietracht für die Mannet als für die
r
Frau-
o
en, und er hat recht.« Es war stets derselbe Satz,
p
immerzu.
h
Und du kannst dir denken, dass dieser Satz fiir mich
et
den
e
Beginn der Grausamkeit bedeutete, fiir mich, die ich
n,
weder
d
den Propheten noch den Koran jemals gelesen hatte.
u
Nach
h
der ersten Silbe, die er mit der ersten Speichelblase
a
ausspie,
st
2.
wert sei. Genau wie mein Vater und meine Brüder es Gott segne ihn, seine Gläubigen vor diesem
getan angekündigten
hatten. Warum also legt der Ausspruch des Propheten, Streit zwischen Männern und Frauen gewarnt haben.
Gott Zweifellos hatte er seine Aufgabe als erfahrener Prophet
segne ihn, nahe, dass die Frauen ein Stachel im Fleisch er-
sei- fullt und den Gläubigen wiederholt erklärt, seid wachsam,
en, die Ursache allen Ärgers und dass ohne sie die ich entferne mich von euch, aber ich hinterlasse euch ein
Gemein- großes Problem, das diese Damen verkörpern, denen ihr
schaft der Gläubigen all ihrer Übel entledigt wäre, wie der
Kopf von seinen Läusen? Frauen würden in gewisser 16
Weise
alles auf den Kopf stellen, wären ein Vorgeschmack der
Hölle, schlimmer als die Pest oder der Krieg!
Auf der Suche nach einer Antwort zerbrach ich mir den
Kopf, was mich vergessen ließ, warum mein Mann mich
auspeitschte. Ich überlegte: Ohne Evas Töchter wäre die
Welt nicht das, was sie ist, und die Männer würden sich
langweilen. Die Zwietracht sorgt für Würze, sie macht
ihnen
schwer zu schaffen, gibt Anlass zu Kriegen. Vielleicht hat
Gott die Frau aus diesem Grund erschaffen. Als ein not-
wendiges Übel.

Ich grübelte über all das nach, nicht aus Vergnügen,


sondern
weil ich mit dem Nachdenken eine wirksame Möglichkeit
gefunden hatte, die Schlage zu vergessen. Je intensiver
ich
nach dem Sinn dieses Ausspruchs suchte, desto
erträglicher
wurde der Schmerz. Es ist unglaublich, wie unser Kopf
uns
unseren Körper vergessen lässt, wenn wir anfangen
nachzu-
denken.
Nach den Worten meines Gatten soll der Prophet selbst,
nicht trauen dürft. Löst das Problem, auch wenn es kein »Du hast bereits genügend Stoff, um ein erstes Kapitel
HonigscWecken ist. Bleibt treu im Glauben! Lebt wohl! zu
Offensichtlich wollten die Männer dieses Problem ganz schreiben, mein Prinz«, sagte ich und erhob mich. »Aber
al- nimm dich in Acht! Auch wenn ich dir erlaube, die
lein lösen, ohne den Rat der Frauen. Sie sagten sich, Sprache
man zu feilen, verbiete ich dir, mich bei den Einzelheiten über
könne das Böse nicht bitten, fiir das Gute zu wirken. Man Sex auszutricksen und mich an den Stellen, an denen
könne Böses höchstens verhindern, indem man die man
Weiber die Dinge beim Namen nennen muss, mit Metaphern zu
mit den entsprechenden Mitteln bändigt. Ich fand es täuschen.«
unge-
recht, dass mein Mann mich schlug. Manchmal
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protestierte
ich verhalten, wenn ich keine Tränen mehr vergießen
konn-
te. »Bist du wirklich sicher, dass der Prophet das, was du
mir
vorsprichst, auch gesagt hat?« Oder: »Er hat dich, Sadek,
den
Einäugigen, nicht gebeten, mich zu schlagen. Man kann
nach einem Ausweg suchen, eine Lösung finden.« Doch
Sadek der Einäugige begriff nichts. Er zahlte die Schläge.
Crescendo. Und sein Bart sah aus wie der von Gott
höchst-
persönlich!

Geschah es aus leidenschaftlicher Rache an meinem


Ehe-
mann oder um ihm recht zu geben, dass ich beschloss,
die-
sen Ausspruch wahr zu machen und seiner Logik auf den
Grund zu gehen? Ich hatte nur noch einen einzigen
Wunsch:
Zwietracht zu säen in diesem friedlichen Dorf, in dem ich
mich Jahre später niederließ, nachdem ich meinen Mann
begraben und auf sein Grab gespuckt hatte.
I
»Das Eindeutige kann abgeschmackt erscheinen und
das
Ungeschminkte vulgär.«
»Aha! Ich erkenne die Hinterhältigkeit der Männer und
ihre falsche Scham.« In Wahrheit heiße ich gar nicht Zobida. Als ich nach
Er richtete sich im Bett halb auf, um meine Brüste zu um- Zebib kam, habe ich mir diesen Vornamen ausgedacht,
fassen, doch ich schüttelte ihn ab. ein-
»Ich komme morgen nach Mitternacht, wie immer. Pass fach soVielleicht ließ ich mich von dem Buchstaben Z von
auf, dass niemand um dein Haus scWeicht.« Zebib inspirieren, der phonetischen Ähnlichkeit, die mir
als
Hilfe diente, ein weltvergessenes Kaff zu zivilisieren. Was
fur
eine Schnapsidee, sich in einem Dorf im fernen Westen
nie-
derzulassen, das weder die Meeresbrise noch die
WoWtaten
der Zwischensaison kennt. Zebib, eingebettet zwischen
Bergen und Tälern, auf halbem Weg zwischen Erde und
Gott, was die Bewohner von Zebib in ihren Moscheen
preisen, aber in ihren Alkoven verfluchen, was sie in der
Öffentlichkeit furchten, im Geheimen jedoch hintergehen.
Ja, ich habe einen Fehler begangen, indem ich mich fiir
eine
Ouled-Nail ausgab, was auf einen Berberstamm der
Hoch-
ebene verweist. Ich wusste nicht, welche Abneigung die
Leute hier gegenüber den Kabylen hegen, die sie als Ab-
trünnige, als Bergaffen behandeln. Noch weniger war mir
ihre Überzeugung bekannt, dass die Welt mit den
Arabern
begann und dass davor nur Adam existierte, also das
Nichts,
und im weiteren Sinne unförmiges Magma, keinerlei Le-
ben, ein einziger Schlund, das schwarze, bodenlose Loch
18
der Hexen. »Nasenbollen«, hätte es Badra, die Tochter
n mei-
ner Cousine Arem, schlicht und ergreifend genannt. Das
war das Erste, was sie im Alter von einem Jahr von sich
gab;
übrigens war es auch das letzte Mal, dass ich sie
gesehen
habe. Inzwischen sind zehn Jahre vergangen.
Alle Bewohner von Zebib behaupten, »vom Propheten
ab-

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zustamrnen«.Angeblich haben sie sich in ten Ruf erworben. Man sagt, ich sei gut,
ununterbrochener hilfsbereit und et-
Linie direkt von ihm bis heute fortgepflanzt, ihre Haut was mysteriös, weil ich häufig mal
trägt verschwinde. Ich de-
das Gütesiegel »arabisch«, ein Merkmal, das Respekt mentiere das nicht. Diese Gerüchte helfen
er- mir, meine Ver-
heischt. Als Beweis dienen ihre Truhen, deren Deckel gangenheit zu übertünchen und die Tage
sie vergessen zu
mit einem lächerlichen Zeremoniell öffnen: Riecht ihr machen, an denen ich so viel unter meinem
den Mann gelitten
Moschusduft Arabiens, die Düfte von Ambra und hört habe. Sie dienen auch als Tarnung für
ihr meine Liebesnächte
das Rascheln der Seide? Und sie entnehmen ihnen in den Armen von Männern, deren Namen
durch ich nicht ver-
Witterung oder Lüge vergilbte Blätter, die sie voller rate. Ich schütze jene, die mir Genuss
Stolz bereitet und die Lust
glatt streichen: Schaut, lest diese mit Gold bestreuten am Leben zurückgegeben haben, mit dem
Schriftzeichen, sagen sie und deuten auf den Verlauf ganzen Ausmaß
von meiner Dankbarkeit. AU, du wirst der Letzte von
Stammbäumen, deren Zweige sich unter dem Gewicht ihnen sein,
fik- schwor ich, weil dein Schwanz lang und
tiver Herkunft biegen, und sie behaupten, von geschmeidig ist, vor allem
irgendeinem
Cousin, Urenkel oder Neffen des Propheten, Gott 20

segne
ihn, abzustammen. Ich habe unseren Propheten nie zu
Ge-
sicht bekommen, aber ich nehme an, dass er nichts
mit die-
sen Dorfbewohnern zu tun hat, mit ihrem
stumpfsinnigen
Gesichtsausdruck, dem Kraushaar und den schmutzig-
schwarzen Augen, mit diesen Affen der Täler!

Trotz des Makels meiner Herkunft habe ich mir einen


gu-
aber, weil du schöne ViiOrte gebrauchst, und den Mannern schöner dem Ruf der Väter Folge, die nach mir schickten, um
Worte kommt das Privileg zu, den LAuf eines Schicksals zu been- mei-
den. nen Rat in Heiratsangelegenheiten oder manchmal
auch
Ich bin eindeutig nicht mehr jung, aber niemand würde bei Finanzstreitigkeiten einzuholen. Niemand hegte
mein Alter erraten. Das liegt sicher daran, dass ich nie Be-
schwanger war. Weder mein Mann noch meine Liebhaber denken, mir Zutritt zu seiner Privatsphäre zu
haben mich geschwängert. Ob es an ihnen oder an mir gewähren, die
liegt, ich weiß es nicht. Gott hat es vermutlich so gewollt. ich mit der Leichtigkeit eines Eigentümers betrat, da
Mein Körper sowieso, davon bin ich überzeugt. mir
Mein Witwenstand bringt mir in Zebib die Achtung ein, die Sorgen und Freuden der Bewohner von Zebib
die man den Tugendhaften erweist. Als ob es selbstverständ- vertraut
lich wäre, einen Keuschheitsgürtel gegen einen Heiligen- geworden waren.
schein einzutauschen. In diesem elenden Kaff ist es un-
erlässlich, auf Sex zu verzichten, um in den Klub der Män-
ner aufgenommen zu werden. Und in wenigen Monaten
erhielt ich die Ermächtigung, als ein Kadi zu wirken. Ich
erteilte Müttern in ausweglosen Situationen aller Art Rat-
schlage, ich verpasste sowohl Jungen als Mädchen Schelte, 2I
ohne ein überflüssiges Wort zu verlieren, und ich leistete

-------------------------- _______ Alnz •• ~ __________________________ ••


22

A us diesen Gründen befand ich mich eines Tages bei


der Familie Ornrane. Man ließ mich beim ersten
Hahnenschrei holen, und ich hatte den Eindruck, mitten in
eine Beerdigung zu platzen. Der Vater stand, kochend
vor
Wut, vor dem Haus, unter einem noch halb dunklen Him-
mel, und rief: »Nutten, alles Nutten, angefangen bei ihr,
der
Mutter der Kinder - Gott möge ihr die Knochen brechen.
Fünf Mädchen, die sie wie die Tiere geworfen hat«,
zeterte
er. »Eine Nutte kannja nichts anderes, als nur wieder Nut-
ten hervorzubringen!« Sein Wutanfall wurde immer hefti-
ger und richtete sich nun gegen die anderen. »Ihr Hun-
desöhne, ihr Arschkriecher, ihr hinterhältige Memmen,
abgefeimte Luden und Schwächlinge! Wie sonst wollt ihr
das, was passiert ist, erklären?«
Ich wusste, dass Beschimpfungen bei den Bewohnern
von
Zebib üblich waren und die Wut eine ihrer angeborenen
Eigenschaften. Ich machte einen Bogen um den Vater
und
ging in den Hof. Dort weinte sich die älteste Tochter die
Seele aus dem Leib.
»Was ist denn passiert?«, fragte ich
Asmahan.
»Leila hat nicht geblutet ... «
»Mein Gott, sie war doch
Jungfrau!«
»[a, und daran zweifeln jetzt alle.«
»Tarek hat ein Problem, damit fertig zu werden. Er ist halt
nur ein unberührter junger Mann, das ist alles!«
»Ich weiß nichts darüber. Nur, dass meine Schwester von
ihrer Schwiegerfamilie mit Schlägen mit den Schlappen
aus
dem Haus gejagt wurde.«
Es erübrigt sich, mir diese Szene zu beschreiben, da sie zu
un- trinken gab.
ter dem Himmel von Zebib an der Tagesordnung ist. Leila Sie fuhr, an mich gewandt, wesentlich ruhiger fort: »Ich
musste ins Elternhaus zurückkehren; die Aussteuer verstehe das nicht. Noch nie hat mich ein Mann berührt.
wurde Ich bin unschuldig.«
ihr von zwei barrnherzigen Seelen hinterhergetragen.
Kein 23
mitleidsvoller Blick war ihr vergönnt. Die Gesänge, die
Reiter und die in die Luft gefeuerten Gewehrschüsse wa-
ren Vergangenheit. Nur der Mond stand unbeirrt am Him-
mel, ein schweigsamer, in rötliches Licht getauchter
Zeuge,
die Schande.

»Komm, tritt ein«, forderte mich Asmahan auf und ging


mir
zu einem der drei Zimmer ihres Hauses voraus.
Ich nahm gegenüber Leila Platz. Das junge Mädchen, im-
mer noch unter Schock, schien sich nicht bewusst zu
sein,
was sich um sie herum abspielte. Sie wiederholte ständig
mit verstörtem Blick: »Ich ... habe nichts getan ... Ich bin
es nicht! Die Schreie, die Schreie ... Die Beschimpfungen.
Sie waren so wütend. Alle hinter derTür ... «
Ich nahm ihre Hand. Sie schien meine Anwesenheit gar
nicht zu bemerken, denn sie fuhr fort: »Das Laken! Immer
dasselbe Wort. Er sagte, das kommt schon. Aber wir
müssen
es im Namen Gottes noch mal probieren. Und wir haben
es noch mal probiert ... Sie schrien, nehmt eure Tochter
zurück, sie hat ein Problem! Verdammte Nutte, was hast
du
meinem Bruder angetan? Sie sagten ... «
»Leila, beruhig dich, reg dich nicht auf.«
Ich bat um ein wenig Orangenblütenwasser, das ich ihr
»Mein Schatz, niemand macht dir einen Vorwurf. Erzahl und mich verweigert, weil ich rrur etwas vorzuwerfen
mir, wie es passiert ist.« hätte ... «
»Ich habe mich an all Ihre Anweisungen gehalten, ich habe »Und dass du es mit einem anderen getrieben hättest
mich fiir ihn vorbereitet. Ich habe wegen des Bluts das wei- Diese Leier ist nur allzu bekannt.«
ße Tuch zwischen die Pobacken geklemmt. Er hat mich Leila hielt sich die Hände vors Gesicht und weinte.
gebeten, mich auszustrecken, was ich auch tat. Ich hörte, »Deine ganze Familie sei verflucht!«, riefen seine Schwes-
wie er Verse aus dem Koran vorlas. Dann gab er mir drei tern, die mich zur Tür drängten.
Bissen briouette (Mandelgebäck). Er schob zwei Kissen unter »Und dein Ehemann?«
mein Hinterteil und legte sich auf mich. Ich hörte, wie die »Er versuchte mich zu schützen. Doch sie erwiderten, das
jungen Mädchen sangen und die Jungs gegen die Tür trom- sei Frauensache. Die Kleinen schrien im Duett mit den Er-
melten.« wachsenen: »Lasst sie gehen, sie ist eine Nutte, sie ist keine
Jungfrau mehr.«
Sie verstummte, ihr Blick verlor sich in ihren noch frischen »Schwör mir«, bat Asmahan und kniete vor ihrer Schwester

Erinnerungen. nieder, »dass du nie etwas mit einem Mann gehabt hast.«
»Fahr fort!« »Wie hätte das geschehen können, ohne dass ich das Haus
»Tarek hat vergeblich ... verlasse? Das weißt du doch«, stieß die junge Ehefrau her-
« vor und schlug sich auf die Schenkel, bis sie bluteten.
Sie errötete. Ich beobachtete, wie Asmahan Leilas Hände umfasste, und

»Nur keine Scheu, mein Kind,jetzt, da du die Spezies Mann dachte an meine eigene Hochzeitsnacht zurück - an den
kennengelernt hast, kannst du über solche Dinge reden.« alten Sadek, unter den man mich in einer Herbstnacht ge-

»Er konnte reiben, so viel er wollte, nichts passierte. Er legt hatte, obwohl ich ihn eigentlich gar nicht kannte. Eine
meinte, sie müssten mit dem Lärm hinter der Tür aufhören. Blitzhochzeit! Ich war zu viel über die Felder gerannt und
Ich hing meinen Gedanken nach: Du darfst das Tuch nicht hatte nicht auf die für Frauen nützlichen Ratschlage gehört.
verlieren, du musst bluten. Eine Stunde später erschlaffte Ich verspürte Lust, diesen Sadek an seinem Spitzbärtchen
sein Glied, weil nichts passierte, und ich spürte ihn nicht zu ziehen, einfach aus Spaß. Doch er hatte seinen Schwanz
mehr. Er sagte: -Ich versteh nicht, was mit dir los ist, Cou- schon rausgeholt, und ich musste mich wehren. Ich tat es so

sine.< Ich schwieg, weil ich nicht wusste, was ich sagen heftig, dass seine Mutter mich fesselte und mir mit der
sollte. Dann schrie er: -Ah, es tut sich was, ich bin wie- Hand den Mund verschloss, damit er mich besteigen konn-
der ein Mannk Er bestieg mich und tat erneut sein Mög- te, wie ein Tier, aber mit weniger Zärtlichkeit.
lichstes. Ich war erschöpft, bereits seit drei Stunden mühte
er sich ab, in mich einzudringen, ich war es leid und stieß
ihn zurück. Er wurde zornig, sagte, ich hätte ihn verhext
25
24
----------------------------------------~ ..--------------------------------------
ch nahm Leilas vollkommenes ovales Gesicht in bepissen
I mich
auf, ihre Gazellenaugen und ihre samtene Haut. Ich
kann, ganz nach Gutdünken. Der Körper der Frauen geht
die Frauen nichts an, fügte Leilas Mutter hinzu, er ist das
ver- Eigentum ihres Ehemannes. Natürlich hatte Leila diese De-
mutete jedoch, dass sich das junge Mädchen ihrer vise der Mutter geschluckt. Natürlich untersuchte sie ihren
Schön- Körper nicht von Kopfbis Fuß, sie hatte sowieso keine Zeit
heit gar nicht bewusst war. Konnte man es anders dafür, da sie von früh bis spät geschäftig zwischen Herd,
erwarten
bei diesen Bauernlümmeln, die genauso sparsam mit 26
Kom-
plimenten umgingen, wie es ihrem Dialekt an
hübschen
Wörtern mangelte. Ali, du allein hörst nicht auf zu versichern,
dass Zebib einst der pulsierende Mittelpunkt eines Reichs war,
dass es hundert Ausdrücke für Liebeserklärungen
kannte,Jünjhun-
dert für die Bezeichnung des Hintern und genauso viele für die
einladenden Ärsche, unzählige Metaphern und Abhandlungen,
die
uns die Kreuzritter geraubt hätten, um ihren Damen den Hrf zu
machen.
Ich bin davon überzeugt, dass Leila mit ihren vier
Schwes-
tern aufgewachsen war, ohne je ein Kompliment über
ihr
Aussehen gehört zu haben, dass sie keine Ahnung
hatte,
welcher Mensch in ihrem Körper wohnte. Ihr Körper?
Was
ist das, ein Körper? Nahrung für die Würmer, leierte
Fate-
ma, ihre Mutter, immer wieder herunter, höchstens
eine
Liegestatt für den Mann, eine Matratze, möglichst gut
ge-
polstert, auf der ein Mann schlafen oder die er
Brunnen und Hühnerhof hin und lor.
her eilte. Sie wusste le-
diglich - wie alle Jungfrauen in Ich musterte immer noch das schöne Gesicht, als
Zebib -, dass die Männer Asmahan
auf einem anderen Planeten Leilas Schweigen brach und im Befehlston anordnete:
lebten, jedoch nötig waren, »Lass dich von Tante Zobida untersuchen.«
wenn man nicht in der Familie Die Kleine bedachte mich mit einem Blick, bei dem ich
verkümmern und sich fiir nicht erkennen konnte, ob er Hoffnung oder Angst ver-
immer in den Schatten der riet.
väterlichen Schnurrbärte ver- Sie stand auf, hob das Kleid hoch und streifte langsam
kriechen wollte. Apropos ihren
Mutter, ich erinnere mich noch Slip herunter. Ich bat sie, die Beine zu spreizen. Sie
genau an den Tod von Leilas tat,
Mutter durch einen dummen, wie ich ihr befahl. Ich öffnete die Blütenblätter ihrer
unsinnigen Unfall. Patema hatte Vulva
ihr ganzes Leben in den und untersuchte sie. Sie schloss die Augen. Ihre
vier Wänden ihres Heims Schleim-
verbracht, das sie nur verließ, häute waren weiß, ein Zeichen dafür, dass der Samen
um des
bei einer Hochzeit ein paar Mannes sich hier nicht ergossen hatte. Lediglich die
Freudenschreie auszustoßen äuße-
oder bei einer Beerdigung ein
paar Tränen zu vergießen.
27
Abgesehen von diesen

~--~-------------------------------
Anlässen verließ sie das Haus
niemals
und litt schließlich an dieser
Frauenkrankheit, die in unse-
rem Land gang und gäbe ist:
-
der Unfähigkeit, einen Fuß vor
den anderen zu setzen. An
jenem Morgen ereilte sie ein
grausames Schicksal. Ein paar
Schritte von ihrem Haus ent-
fernt, rutschte sie so unglücklich
aus, dass sie ihr Leben ver-
ren Schamlippen hatten sich durch die Reizung granatrot »Ganz offensichtlich. Doch nur die Person, die die Kleine
verfärbt. Ich fiihrte den Finger tiefer ein. Ihre Öffuung war zugenäht hat, kann sie öffnen, wie du weißt. Und sie muss
genauso versiegelt wie am Tag ihrer Geburt. So fällte ich die Formel aussprechen.«
mein Urteil. »Das ist richtig«, rief Asmahan und versetzte sich einen
»Ich bin sicher, dass Leila noch nie mit einem Mann in Be- ScWag gegen die Wange. »Wer hat Leila versiegelt? Du lie-
rührung gekommen ist. Ihr Jungfernhäutchen ist unver- ber Himmel, wer hat Leila versiegelt?«
sehrt.« Ich unterdrückte ein Lachen und beobachtete, wie die zart-
Doch meine Worte schienen das junge Mädchen nicht zu gliedrige Asmahan im Hof auf und ab ging. Sie trug einen
beruhigen. Sie erwiderte: »Vielleicht bin ich tatsachlich fließenden safrangelben Kaftan, der sie als verheiratete
Jungfrau, doch mein Leben ist zerstört. Mein Leben ist zer- Frau
stört. Ich bin zu nichts mehr nütze.« auswies. Sie verzog das Gesicht, furchte die Stirn und
Ich versuchte erneut, sie zu trösten, und schickte mich dann schlug
zum Gehen an. Da rief Asmahan: sich mit der Handfläche auf dieselbe Wange wie vorher und
»Ich weiß es jetzt!« wiederholte:
»Was weißt du?« »Wer hat Leila versiegelt? Wer hat Leila
»Es ist wegen Mama.« versiegelt?«
»Man ruft die Toten nur an, um Gutes über sie zu sagen.« Doch dann rief sie plötzlich:
»Sie hat sie vermutlich wie uns alle in der Pubertät zuge- »Wie töricht ich doch bin! Mama hat sich sicherlich an
naht.« Zoubida gewandt, die mich und meine Schwestern versie-
»Wie?«, fragte die Kleine mit weit aufgerissenen Augen. gelt hat.«
»Was hat sie gemacht?« »Sie?«, fragte Leila und sah mich verdutzt an. »Was haben
Asmahan achtete nicht auf ihre Schwester. Die Augenbrau- Sie gemacht?«
en hochgezogen, das Kinn in die Hand gestützt, murmelte »Aber nein, du törichtes Ding«, erwiderte Asmahan, »nicht
sie im Gespräch mit ihrer verstorbenen Mutter: deine Tante, sondern Zoubida aus Wasakh.«
»Marna, du hast vergessen, sie vor der Hochzeit zu öffnen.« Ich wandte mich an Leila.
»Was hat sie gemacht?«, fragte Leila zum zweiten Mal. »Erinnerst du dich an die Frau, die dich zugenäht hat?«
»Wir brauchen sie nur zu entsiegeln«, fuhr Asmahan fort, »Ich habe keine Ahnung, wovon ihr redet, und niemand
taub gegenüber den Fragen ihrer Schwester. macht sich die Mühe, es mir zu erklären. Wenn doch Mama
noch am Leben wäre.«
Die Idee flog mir zu wie eine Offenbarung. Doch ich ließ Und sie fing wieder an zu weinen.
mir nichts anmerken und sagte, an die Ältere gewandt: »Wir müssen unbedingt Zoubida aufsuchen«, erklärte As-
mahan im Befehlston und fugte hinzu: »Unbedingt noch
28 heute Abend. Wir müssen Leilas Ehre retten.«
29
30
ir warteten den Einbruch der kommenden Nacht
W ab, um das Dorf zu durchqueren.
Zwischen dem Hundegebell und dem spöttischen Grin-
sen des Mondes huschten wir tief verschleiert durch die
Nacht.
Ohne große Überzeugung folgte ich Asmahan, die mir
ver-
hüllt voranschritt und mich über ihre Ängste aufzuklären
versuchte.
»All jene, die noch nie große Sympathie fiir meine Familie
empfunden haben, werden sich einen großen Spaß
daraus
machen, über uns zu lästern, angefangen bei meinen
Schwa-
gerinnen!«
»Schweig, die Nacht hat Ohren.«
Asmahan hielt sich nicht an meinen Rat und fuhr fort:
»Nach dem Skandal habe ich die Jüngste von ihnen
gese-
hen. Sie beeilte sich, die Hennazeichnung zu entfernen,
die
sie mit Leila geteilt hatte, denn sie befiirchtete, dasselbe
Schicksal zu erleiden.«
Wir folgten dem Lauf des Baches. Der Regen hatte sein
Bett ausgetrocknet, in dem sich nur noch Steine und Ge-
strüpp befanden.
Beim Anblick des anderen Ufers zog Asmahan den
Schleier
tiefer ins Gesicht, und die Hälfte ihrer Worte wurde durch
das Gewebe erstickt.
»Diese Schlampen ... die hinterhältigen Weiber! Und Ta-
reks Mutter ... schädigt unseren Ruf ... Für wen hält die
sich denn? Wer ist denn schon ihr Sohn?Vielleicht hält
sie
ihn fiir den Propheten Joseph oder den Kalifen von Arabi- chende Steuer zu entrichten, warum nicht gleich der
en! Ein armseliger Schreiberling, ein unbedeutendes Form
Würst- ihrer Möse entsprechend! Auch treiben sich hier abends
chen. Im Bett hat er sich angestellt wie ein ... Es ist nicht die
die Schuld meiner Schwester.« Honoratioren von Zebib herum,jene, die tagsüber für un-
sere Ehre sorgen und sie nachts zwischen den
Am unbeständigen und zerklüfteten Südufer erstreckte Schenkeln
sich der Huren beflecken. Zum Beispiel Asmahans Mann. Sie
eine Ansammlung armseliger Hütten, die sich in weiß es nicht, ich schon. Ich werde es ihr nicht verraten,
unheilvol-
les Schweigen hüllten. Nur wenige Lichter leuchteten von 31
den Hütten aus gestampfter Erde auf. Daneben befanden
sich behelfsmäßige Scheunen, in denen apathische
Hühner
und Hähne herumliefen. Plötzlich tauchten die Schatten
männlicher Gestalten auf. Mit ausgestreckten Armen
such-
ten sie in der Dunkelheit nach ihrem Zuhause.
Ali, du weißt es so genau wie ich. In Wasakh wohnen die
Ärms-
ten der Armen, die Randgruppen, die
Kaffeesatzleserinnen,
die Eselsdiebe, die Arbeitslosen, die Freudenmädchen,
all
jene, die Gott hier angesiedelt hat, wo Sünde und Unsi-
cherheit Hand in Hand gehen, wo Zebib Mülleimer und
Krankheiten gleichermaßen ausschüttet, seine Ängste
und
seine bösen Absichten, wo es all seinen Unrat sät und
erntet.
Lediglich die Gendarmen wagen sich auf eigenes Risiko
und eigene Gefahr in diesen Müllhaufen. Einige davon
spielen sich als mezouar auf, als seltsame
Steuereintreiber, die
damit beauftragt sind, Freudenmädchen dazu zu bringen,
eine ihren Reizen, manchmal auch ihrem Alter entspre-
und selbst wenn sie es erfahren würde, würde sie es sich ))Vom Nordufer.«
nicht anmerken lassen.Vielleicht mühte sie sich nur »Die Frauen der reichen Kacker haben einen stinkenden
deshalb Arsch«, spuckte uns die Alte vor die Füße.
so ab, den Ruf ihrer Schwester wiederherzustellen, weil
sie 32
fiirchtete, ihr eigener Rufkönnte durch den Schwanz ihres
Mannes geschädigt werden.

Wir steuern auf die erste weibliche Gestalt zu, die vor
einer
Hütte kauert.
»Wissen Sie, wo Zoubida
wohnt?«
»Wer?«
»Zoubida.«
»Halirna? Kenne ich nicht«, antwortete uns die alte Frau ,
den Mund weit aufgerissen, mit irrem
Lächeln.
»Nein, Zoubida, Zoubida.«
»Badra? Das ist der Mond. Zoubida ist eine große
Vögelei.
Und mich vögelt schon lange keiner mehr.«
»Sie suchen Zoubida?«
Wir wandten uns um. Eine schwarze Riesin tauchte hinter
uns auf wie die Zwillingsschwester der Nacht.
»Kennen Sie sie?«
))Ja.«
»Können Sie uns sagen, wo ihr Haus liegt?«
»Sie ist nach Ranger gefahren, in den Süden, und es
besteht
wenig Aussicht, dass sie zurückkehrt«, fUgte die Riesin
hin-
zu. Ihre Stimme klang sehr geheimnisvoll.
Sie schickte sich an, eine Decke um die Schultern der
alten
Frau zu legen, und fragte:
)}Woher kommen Sie?«
Raubkatzen, die Gott in ihren Fallen vergessen hat, die
un-
ter der Fuchtel der Männer stehen, die sich die Zeit damit
vertreiben, wie Hunde die Bäume anzupinkeln, sich die
anz Zebib am Bett der Hoden zu kratzen, als hätten sie die Krätze, und auf die
G Jungfrau! Beileid zu einer
misslungenen Entjungferung!
Gebetsstunde zu warten, die sie nur aus Angst vor dem
Imam einhalten, nicht aus Angst vor Allah, das kann mir
Und welch ein Eifer, keiner weismachen.
an Leilas Schicksal teilzuhaben.
Zig Bäuerinnen drückten Leilas Vater sah hinter seinen geschlossenen Läden all
sie an ihre Brust, an ihr diese
hinterhältiges Herz voller Lüge. Leute vorübergehen. Er wagte es nicht mehr, die Nase
))0, raus-
das ist doch nicht schlimm, mein Zustrecken, nicht einmal, um die Moschee aufzusuchen.
Herz. Gott möge deine Seine älteren Töchter waren in die Häuser ihrer
Feinde erblinden lassen und Ehemänner
ihnen die bösen Zungen ab-
schneiden!« Trotz aller Tränen
33
herrschte in einigen Betten

~---------------------------------
insgeheim Freude darüber, einer
derartigen Tragödie ent-
gangen zu sein. Diese Megären
genossen die Gerüchte, ver-
breiteten sie harmlos
dreinblickend in alle
Himmelsrich-
tungen und schüttelten ihre
Wäsche auf den Terrassen aus
oder rollten ihre Couscous-
Körner. Und im Übrigen, war-
um nicht jeden Tag die
Couscous-Körner rollen, frage
ich
dich, da sie doch nichts zu tun
haben, diese Frauen, die
durch das ewige Herumsitzen
böse geworden sind, diese
zurückgekehrt, den Schleier auf Halbmast und mit einem
wehem Baum oder an der Biegung des Baches mit mir trieb -
Herzen. Lediglich Asmahan hatte beschlossen, eine ich
Zeit- war immer bereit.
lang im Elternhaus zu bleiben aus Angst, den Ja, ich weiß, ich habe mich verpflichtet, meine
Spötteleien Liebhaber
der Familie ihres Mannes die Stirn bieten zu müssen, nicht zu erwähnen, aber ohne sie wäre ich nicht das,
aber was
ebenfalls in der Hoffnung, eine Lösung für ihre ich bin. Meine Liebesausflüge haben mir erlaubt, zu
Schwester ermes-
zu finden, was sie immer wieder nachdenklich sen, wie sehr die Nacht, die nicht von Leilas Blut
wiederholte, getränkt
die Handfläche an die Wange gepresst. wurde, den Klatsch genährt hatte. Wie sehr die braven
See-
Ich pendelte zwischen meinem und dem Haus der len das Feuer derVerleumdungen geschürt hatten,
Omra- sich dar-
nes hin und her und entfernte mich nur, um über entrüsteten, nicht mit eigenen Augen das
persönliche blutbefleck-
Dinge zu erledigen. Ich hatte damals einen Geliebten, te Laken gesehen zu haben, und von tqaf
mit (Versiegelung)
dem ich mich bei Einbruch der Nacht traf. Ich schlüpfte faselten. »Leila ist als junges Mädchen zugenäht
einfach in sein Bett; er entkleidete mich, drang worden,
stillschwei-
gend in mich ein und brachte mich vor Tagesanbruch 34
wie-
der nach Hause. Alles, was ich über diesen Mann
herausfin-
den konnte, war, dass er ein Handelsgewerbe betrieb
und
durch die umliegenden Dörfer zog, um seine Ware zu
ver-
kaufen. Ich traf mich jedes Mal in einem anderen Dorf
mit
ihm, immer nach Sonnenuntergang. Ob er es nun auf
ei-
nem Bauernhof oder hinter zwei Heuballen, unter
und ihre Familie hat vergessen, sie vor der mit blauen Augen angeheuert worden und zu
Hochzeitsnacht Dutzenden
zu öffuen.« Aber mit Vorliebe verbreiteten sie das eingetroffen sein.
Gerücht, Aber all das war jetzt vergessen! Die Geschichte hatte
dass die Omrane- Tochter nicht als Jungfrau in die Ehe jetzt
ge- einen Namen, einen einzigen: »Das Jungfernhäutchen
gangen sei, sondern bereits entjungfert, mit dem von
wissenden Leila«. Ob das Land annektiert wurde, die Gläubigen
Blick der Mädchen, die bereits Liebesfreuden von
genossen hat- den Ungläubigen hingeschlachtet wurden, die Berge
ten. wie
Ein seit der Pestepidemie im letzten Jahrhundert nicht Wassermelonen aufplatzten, die Flüsse durch den
mehr gekannter Aufruhr herrschte im Dorf. Niemand Wind aus-
er- trockneten, all das war nicht mehr die Hauptsorge der
wähnte mehr die kommende Ernte, die Opfergaben fiir Dorfbewohner. Im Himmel gab es jemanden, der das
die Schmuckstück der Frauen überwachte und der drohte,
Heiligen, noch weniger den Beschluss des den
Generalgouver- Männern das Paradies vorzuenthalten, wenn sie nicht
neurs, unsere Grenzen für das benachbarte mit
Journhouiyya zu
schließen, das nach unseren verborgenen
35
Reichtümern
schielte. Es ging nämlich das Gerücht, dass uns die
Vorse-
hung nach Jahren unbeschreiblichen Elends und der
Un-
fruchtbarkeit jetzt wohlwollend gestimmt war, denn der
Boden unseres geliebten Landes war gesegnet und
prall ge-
fiillt mit Schätzen wie die Matratzen alter Frauen. Bald
würde es genügen, einfach zu graben, und der Samen
des
Bodens würde schwarz hervorsprudeln und durch all
unse-
re Öffuungen eindringen. Zu diesem Zweck sollen
Fremde
3.
dem gleichen gründlichen Auge darüber wachten. Und »Ge-
da setz Allahs«. Man muss euch den Mund und die Möse
die Bewohner von Zebib hier auf Erden nichts stop-
unterneh- fen, sonst wird sich die Welt auf das Schlimmste
men, was sie nicht beim Herrn geltend machen gefasst ma-
können, chen müssen! Der Imam, dem alles hintertragen
musste man damit rechnen, dass diese wurde, tat
buchhalterischen so, als platze er vor Wut, und erwiderte, dass es nicht
Händler von jenseits des Grabes sich hauptsächlich um der
die Wahrheit entspreche und es diesen Megären an
Jungfernhäutchen kümmerten und sich als beste Glauben
Tugend- und Vernunft fehle und Gott es den Heidinnen
wächter erwiesen. heimzahlen
würde.
Die Staatsaffären stießen bei den Frauen auf noch Dennoch beeilten sich die Mütter, diese Praxis
weniger weiterhin
Interesse. Im Übrigen würde niemand so weise zu pflegen, wie eine Impfung gegen Tollwut, und
handeln, Dutzende
ihren Rat einzuholen, da sich die Welt auch ohne die junger Mädchen wurden dem Ritual unterworfen.
Frau- Ich weiß das, da ich zu denen gehörte, die es
en drehte und das sogar besser, wie mein Ex-Mann, durchführten,
Gott
bedecke ihn mit Morast und Mist, zu sagen pflegte.
Doch die jungen Frauen von Zebib trauten sich, sich
über
ihre Muschi zu beugen - eine Premiere in den Alkoven
-,
und stellten sich einige Fragen über die Instrumente,
mit
denen sie sie erforschen sollten. Sie stellten Fragen
über das
Ritual der Versiegelung, das man ihnen ohne ihr
Wissen
aufzwang. Ihre Mütter runzelten als Zeichen der
Missbilli-
gung die Stirn darüber, bevor sie erklärten, dies sei ein
und ich erfand jedes Mal eme neue Art und Weise, die schon passiert. Du wirst das jetzt essen. Mariam, das
Membran zuzunähen, und zwar dank der Kraft der ist nicht
Magie. widerlich, es ist dein Blut. Los, schluck diese Rosine.
Mein Herz, kein Mann kann sich dir mehr nähern. Du
Warum? brauchst nur an etwas anderes zu denken, und schon
Weil sein Glied zu einem Faden wird und dein ist es
Jungfern- vorbei. Jetzt bist du dran, Naima. Keine Angst, du
häutchen zu einer Mauer. Sprich mir nach: »Auf dass siehst, es
sein ist schon vorbei.«
Glied zu einem Faden wird und mein Jungfernhäutchen Ich gebe jedoch zu, dass ich eine etwas körperlichere
zu Art
einer Mauer. Amen!« bevorzugte, bei der das Amüsement über die
Obszönität
Ich praktizierte weniger diese Methode des Zunähens, siegte. Als ich im Haus des Mädchens anlangte, bat
die ich dar-
darin besteht, das junge Mädchen dreimal zuzunähen um, dass man sie einschloss, so dass sie nichts sah,
und was sich
es mit gescWossenen Augen denselben Satz murmeln im elterlichen Haus anbahnte. Ich bat darum, mir Blei
zu zu
lassen, sondern griff auf eine Praxis zurück, die ich im
Os- 37
ten des Landes gelernt hatte. Ich hob das Kleid der
jungen
Mädchen hoch, beugte mich über die Unterseite ihres
Schenkels, um mit leichter Hand und aufmunterndem
Lä-
cheln eine Nadel anzusetzen.
»Beweg dich nicht, mein Schatz. Hab keine Angst, nur
ein
kleiner schneller Stich, es wird dir nicht weh tun. Nur
ein
kleiner Blutstropfen, nicht mehr, kein Rinnsal. Gib mir
jetzt
den Kern der Rosine, den du in der Hand hältst, ich
werde
ihn in deine schöne rote Flüssigkeit tauchen, da, fertig,
besorgen, das ich auf einem Kohlenbecken zum
Schmelzen
brachte. Dann nahm ich es herunter, ließ es abküWen,
kne-
ebib spaltet.e sich ~n ~ehre~e Lager. Zum ei~~n
tete es behutsam durch, um ihm die Form eines
weiblichen
Geschlechtsteils zu geben, vor allem die großen
Z ge-
hörten all Jene, die sich fur das Ornrane-Madchen
Schamlip- einsetzten und eisern an die These der zugenähten Möse
pen. Von Zeit zu Zeit blickte ich zur Mutter, die schweig- glaubten, zu dem anderen jene, die die List der Frauen
sam und stumpfsinnig über mich gebeugt sabberte, vor an-
der prangerten, das Fiasko der Entjungferung auf ein
Mandel, die meine Hände bearbeiteten, glatt und rund, schamlo-
halb ses Verhalten der Verlobten zurückfuhrten. In der Mitte
geöffnet. Zwischen meinen Händen rann eine durchsichti- standen die Anhänger der Verschwörungstheorie und
ge Flüssigkeit, die nichts anderes war als der Schweiß jene,
mei- die an schwarze Magie glaubten. Sie behaupteten, den
ner Finger. Fin-
»Ich werde dieses Ding sorgfältig bei mir aufbewahren. ger auf den Süden des Dorfes gerichtet, dass alles Übel
Am von
Tag der Hochzeit holst du es bei mir ab. Ich werde es er- dort unten komme. Die Magierinnen dort seien wohlha-
wärmen und die Schamlippen vor dem Mädchen öffnen. bend, sie würden verhexen und enthexen. Nur wer das
Dieses braucht lediglich die Formel auszusprechen und Böse einimpfe, könne auch davon heilen, los, Asmahan,
das mach dich auf den Weg! Tante Zobida, begleiten Sie Sie
Ding ist wie weiche Butter.« nach Wasakh.
Bei den Müttern, die mit dem Ritual gebrochen hatten, Ich wartete.
ersparte ich mir diese Ankündigung. Häufig flehten sie
mich an, bevor ich ging: Keine Hypothese, kein Rat konnte Leilas Traurigkeit ver-
»Bitte, Zobida! Heb die Skulptur gut auf. Du weißt, dass bannen.
es Die Gazelle vergoss mehr Tränen als eine Witwe.
fatal für die Kleine wäre, wenn du sie verlieren würdest. »Ich träumte, dass ich das Blut meiner Entjungferung
Niemand könnte sie dann mehr öffnen.« gese-
»Aber natürliche, versicherte ich und lachte heimlich in hen habe ... «
mich hinein. Sie jammerte, dass ihre älteren Schwestern mehr Glück
hät-
ten als sie. Das jeweilige Laken sei im Dorf
herumgereicht
worden, und sie habe es selbst in Händen gehalten und
auf 39

einem Tablett ausgebreitet. Hunderte von Fingern hätten es


an sich gerissen, Frauen hätten es überprüft und daran ge-
schnuppert, als ob die Seele der Schwester, die Essenz ihres

___________________________________ Alnn •• ___ ~ ______________________ _


Lebens darin gefangen wäre. Dann hatte Leila das 40

Tablett
nach Hause getragen, geftillt mit Goldstücken und Geld,
von dem sie ein Prozent verlangte. In den
darauffolgenden
Tagen hatte Fatema das Laken an der Vorderseite des
Hauses
aufgehängt, damit man herbeieile, um die Ehre
ihrerTöch-
ter zu überprüfen. Die Ehefrauen berührten es inbrünstig
wie die Reliquie eines Heiligen und wünschten sich
damit
Glück fiir ihre jungfräulichen Töchter.
»Sogar die alten Frauen haben sich damit die Augen
gerie-
ben. Sie sagten, es bewahre vor Blindheit.«

Stockend berichtete Leila von den Hochzeitsnächten der


Schwestern, von dem Laken, dem Blut, den Wundern,
die
dem Stück Stoff zugeschrieben wurden. Sie war wie
beses-
sen, neidisch und krank, weil das Laken ihres Ehebetts
sich
nicht rot färbte.
»Was sollen wir machen?«, beklagte sich Asmahan, die
am
Boden zerstört war. »Die Schmach des Dorfs lastet auf
uns.
Mein Vater ist unglücklich, und meine Schwester wird
elen-
dig dahinsiechen.«
Ich war mir nicht sicher, ob die Miene der beiden
Schwes-
tern Zufriedenheit oder Erstaunen zeigte. Ich kam ihren
Ängsten und Protesten zuvor.
ieben Tage später, als ich der Meinung war, der
S richtige
Augenblick sei gekommen, sagte ich:
41

»Leila kann so nicht weitermachen. Sie muss fortgehen.«


»Wohin?«, fragte Asmahan und schlug sich, wie üblich,
auf
die Wange.
Ich musste nicht lange überlegen.
»Sie muss jene Frau suchen, die sie zugenäht hat, so
einfach
ist das.«
»Was du nicht sagst. Noch keine Frau ist aus diesem
Dorf
hier weggegangen.«
»Wir werden uns damit abfinden müssen, dass sie es
tut.«
»Und wer wird sie begleiten?«
Ich ließ einen Augenblick verstreichen, dann sagte ich:
»Häufig sehe ich eure Mutter im Traum, Gott sei ihrer
See-
le gnädig! Sie ist immer in Weiß gekleidet, umgeben von
Grün, sie sieht aus wie das Paradies. Ein Licht erhellt ihr
Gesicht - nein, Leila, bitte weine nicht schon wieder. Hör
lieber zu: Jedes Mal nimmt die Verstorbene meine Hand
und lässt mich auf den Koran schwören, über euch zu
wa-
chen.«
Ich räusperte mich und fugte hinzu:
»In Erinnerung an Fatema und um mein Versprechen zu
halten, bin ich bereit, Leila zu begleiten, und sei es bis
ans
Ende der Welt.«
»Ich bin ungebunden, ich habe keinen Ehemann und würde Tarek heiraten, Tarek Leila, und das Paar würde
keine fur
Kinder. Ich unternehme diese Reise gemeinsam mit viele kleine Muslime sorgen.
Leila.
Sie wird zurückkehren und ihre Ehre wiedererlangen.«

So begann unsere Reise am Frühlingsende des Jahres,


das
das Jahrhundert in zwei gleiche Teile teilte. Sie musste
vor 42
dem dritten Vollmond zu Ende sein, sonst drohte der
Teufel,
uns unseren guten Stern zu rauben, behauptete die
Schwie-
gerfamilie. In einfachen Worten ausgedrückt, bedeutete
dies, dass nach Ablauf dieser Zeit Tarek Leila endgültig
zu-
rückweisen würde.
Noch am selben Morgen verbreitete sich die Neuigkeit im
Dorf, und die Omrane-Familie tat alles, damit jeder den
Grund unserer Reise erfuhr: Zoubida zu finden, die Leila
zugenäht hatte, und die Skulptur derVulva
zurückzuverlan-
gen. Leila könnte dann die Formel aussprechen, die sie
öff-
nen würde. Die Ehe würde vollzogen werden, in Zebib
würde wieder Ruhe einkehren, die Frauen würden sich
weniger über Mösen unterhalten, der Imam würde sich
nicht mehr über den Skandal empören, die Hähne
würden
bis in den Tag hinein schlafen, und die Hunde würden
nicht
mehr wie verrückt bellen. Gott wäre zufrieden, er würde
seine Schäfchen mit den Reichtümern dieser Welt
beschen-
ken und Garantiescheine für die andere verteilen. Leila
mit. Bis zur Bahnstation mussten wir noch ungefähr zehn
Kilometer zu Fuß zurücklegen.
Unterwegs begann ich die Unterhaltung, da ich auf den
Grund unserer Reise zu sprechen kommen wollte.
nser Reisegepäck bestand aus zwei Bündeln, ))Dein Mann hat nicht in dich eindringen können, weil dein
U einem
Tonkrug mit Wasser, einer Tasche mit Trockenfleisch-
Jungfernhäutchen seinenVersuchen widerstanden hat.«

bällchen, WeizenmeW und Gazellentrinkhörnern. Weil ich


43
noch etwas zu erledigen hatte, verspätete ich mich etwas,
doch Punkt sieben Uhr machten wir uns auf den Weg.
Unsere Halles schützten uns vor neugierigen Blicken.
Von
Leila sah man lediglich die Fußsohlen, die mit
Hennazeich-
nungen verziert waren. Ich hatte das Alter überschritten,
in
dem sich eine Frau wie ein Gespenst einmummen
musste.
Das Gesetz erlaubte mir jetzt, ein paar Locken unter mei-
nem Schleier hervorschauen zu lassen, meine Knöchel
zu
zeigen, unter dem Vorwand, dass ich mit über vierzig
einen
gläubigen Muslim nicht mehr in Erregung versetzen wür-
de. 0 Gott, wie sie sich doch täuschen! Sie sind unfähig,
zu
ermessen, wie sehr sich die Lust in den reifen Körpern
ein-
nistet und in den Brüsten, die durch Liebkosungen frisch
gehalten werden.
Unter meiner Bluse verbarg ich das Reisegeld, das uns
zum
Ziel fuhren sollte und das Leilas Vater nur widerwillig her-
ausgerückt hatte.
Ein Bauer nahm uns ein Stück des Wegs auf seinem
Karren
Leilas Wangen waren so rot wie der Klatschmohn um uns Beine zu weit zu spreizen. Das war der Preis, den man zah-
herum. len musste, um das Spinnennetz nicht zu verletzen, das war
»Ich möchte, dass du genau weißt, was auf dich zukommt. mir auf jeden Fall bewusst.«
Hast du wenigstens eine vage Ahnung?«
Sie stammelte:
Ich erinnerte mich an meine eigene Mutter. Ähnliche An-
»Manchmal habe ich schon gehört, wie das Wort -versiegeltx weisungen, dieselben Überprüfungen des Körpers. Auch
erwähnt wurde, aber ich habe nie herauszufinden versucht, wenn ich zustimmend nickte, bemühte ich mich, die Erin-
wobei es dabei ging.« nerung an diese Berührungen, die ich als obszön empfand,
»Erinnerst du dich überhaupt nicht mehr an den Augen- beiseitezuschieben. Ein einziges Mal übernahm ich selbst
blick, als man dich versiegelt hat?«
die Überprüfung meines Körpers, rieb mich gegen jeden
»Nein, ich erinnere mich nicht mehr.«
Gegenstand, auf dem ich mich ausstreckte, Matratzen- oder
Wie töricht ich doch bin. Natürlich besteht die Effizienz Bettkante, Tischecke, Geländerstange. Auf einem abgelege-
des Versiegelns mit Bleidraht darin, dass die Betroffene es nen Bauernhof oder unter einem Schutzdach gestattete ich
nicht mitbekommt. meinen Cousins, bis zum Eingang meiner verborgenen
»Aber einmal hörte ich«, fuhr Leila sehr gesammelt fort, Muschel vorzudringen.
»wie Mama meiner künftigen Schwiegermutter zuflüsterte: Ich hatte mir das Sprichwort meines Beduinendorfs zu
Nicht einmal die Armee des Pharao könnte Herr über ihr Jung- eigen gemacht: »Küsse und fummle, so viel, wie du willst,
fernhäutchen werden. Ich bemühte mich nicht, diese Worte doch halte die Stelle, die deinem Ehemann zusteht, unter
zu Verschluss.« Dieses Band, das mich an meinen Körper fes-
verstehen.«
selte, wurde an dem Tag, als Sadek das Eigentum daran er-
Ich verlangsamte meine Schritte.
warb, zerrissen.
»Weißt du, was ein Jungfernhäutchen ist?«
»Das Kostbarste, was ein Mädchen bewahren
Ich hütete mich, dem jungen Mädchen solche Dinge anzu-
soll.«
vertrauen, es war noch zu früh dafür,
»Ja, aber was genau ist es denn?«
Leila fuhr in ernstem Ton fort:
»Es ähnelt einem Spinnennetz, das den Eingang des ...
»Sie haben mich vielleicht zugenäht, aber das hätten sie
«
sich
Ich forderte sie mit einer Geste auf fortzufahren.
sparen können. Ich war immer davon überzeugt gewesen,
»Ich berührte kaum meine ... weil ich Angst hatte, es aus
dass mein Körper mir nicht gehört.«
Versehen zu zerreißen. Mutter tastete meine Brüste ab, die
»Aha, und wieso?«
Hüften und die Schenkel, sie vergewisserte sich, dass meine
»Mama sagte immer, der Körper der Frauen gehöre nicht
Taille schlank, mein Becken gerade und meine Möse un- den Frauen. Ich begreife jetzt ... «
verändert war. Ich musste beim Gehen, beim Rutschen und
Springen achtgeben, und ich habe es immer vermieden, die
45

44
»Was begreifst du?«
Wir hatten das Dorf bereits ein gutes Stück hinter uns ge-
»Dass etwas in mir zugenäht werden musste, denn wenn
lassen, als Leila wieder zu weinen anfing und erneut
es
versi-
sich öffnete, könnte dies zu einer Quelle von Problemen
cherte, sie wolle wieder nach Hause. Ich konnte meine
werden.«
Ge-
Meine Aufgabe gestaltete sich schwierig. reiztheit nicht mehr im Zaum halten.
»Du meinst, man hätte dein Kätzchen verschlossen, um
»Hör auf, dich wie ein Kind aufzufuhren. Statt dich über
die dein Schicksal zu beklagen, begreife lieber, welch
Gefahr abzuwehren, ist es das?« ungeheu-
»Ja ... Meine Mutter sagte: In dir hausen alle Dämonen ren Schritt du gerade unternimmst. Du bewegst dich im
dieser Augenblick außerhalb der Mauern des väterlichen
Erde. Achte darauf, dass sie nicht losgelassen werden, denn Hauses,
das bist frei, weit entfernt von Zebib und seinen Kuhfladen.
würde den Tod der Männer bedeuten.« Wenn du in der Hochzeitsnacht geblutet hättest, hätte dir
Leila wandte sich plötzlich bei Erwähnung ihrer Mutter das gar nichts genutzt! Du hättest deine Tage damit ver-
dem Dorf zu und wurde von Schluchzen geschüttelt. bracht, den Boden zu schrubben und dich unter deinen
»Was ist los?« Ehemann zu legen, der sich stolz in die Brust geworfen
»Ich möchte nicht weg von meiner Familie, hätte diese hätte, wenn dein Leib bis zum Kinn angeschwollen wäre.
Du hättest gelitten und wärst immer dicker geworden, du
Reise nie und nimmer antreten dürfen.«
hättest unter Tränen dein Kind zur Welt gebracht, um
Ich versuchte, sie zu trösten.
dann
»Auch das Unglück hat sein Gutes. Ohne dieses Missge-
zu erleben, dass er dich wegen einer Jüngeren verlässt.
schick hättest du keine Möglichkeit gehabt, auf Reisen zu
Ist
gehen.«
das ein erstrebenswertes Leben? Du versäumst nichts,
Und ich lenkte die Unterhaltung in eine andere Rich- gar
tung. nichts. Wenn du zurückkehrst, erwartet dich nichts
»Liebst du ihn anderes
wenigstens?« als dieses elende Leben!«
))Wen?« Leila machte große Augen, und ich milderte meinen Ton.
»Den Mann, mit dem du dein Leben teilen möchtest.« »Leila, hast du schon das Haus deiner Schwiegereltern
»Tarek hat mir nichts getan, ich kann ihn nicht ge-
hassen.«
sehen? Die Mauern sind hoch. Wenn du vom elterlichen
»Du liebst ihn also?«
Haus in das Haus des Ehemanns überwechselst, tauscht
»Er ist mein Cousin, und ich betrachtete ihn immer wie
du
einen Bruder.Als Ehemann kam er für mich nicht in
ein Gefängnis gegen ein anderes ein. Und das der
Frage.
Schwie-
Aber ist denn die Liebe wichtig?«
gereltern ist schlimmer. Niedrige Decken, Fenster, die auf
düstere Dielen gehen, die an den Leib von Boas erinnern.
Wenn du den Kopf hebst, siehst du nichts außer dem Bart
Gottes. Und was tut der Bart Gottes? Er ermahnt dich,
schnurstracks den Blick zu senken, deine Pflichten
gegen-
über deinem Ehemann und den Männern des Stammes
zu

47
erfüllen. Dann kehrst du zu deiner Arbeit zurück, fängst Luft
wieder an zu schuften, davon überzeugt, dass die Freude und schluckte schwer.
und das Leben Tag und Nacht deinem Ehemann gehören
und nicht dir. Du bekommst nichts ab vom Kuchen.«
»Die Frau ist dazu geschaffen, den Männern zu dienen.
Mama sagte, eine Frau ohne Ehemann sei eine ... «
»Eine was?«
» ... «
»Eine Nutte! Sag's ruhig!«
» ... «

»Es ist immer noch besser, eine Nutte zu sein als die
Sklavin
eines Abschaums von Ehemann.«
Sie stolperte.
»Von jetzt an machst du Augen und Ohren auf. Und
werde
nicht jedes Mal rot, wenn ich von Möse oder Nutte spre-
che, einverstanden?«
Sie begnügte sich mit einem leisen Gemurmel, wie zu
sich
selbst:
»Ich wäre lieber gestorben. Wenn man als Jungfrau
stirbt,
kommt man ins Paradies.«
»Durch die Schuld eines unberührten jungen Mannes zu
sterben - das kann man nicht gerade als schönen Tod
be-
zeichnen.«
»Man hat diesen unberührten jungen Mann fiir mich aus-
gewählt, und ich muss ihn lieben.«
»Wenn du ihn geliebt hättest, hättest du nicht bis zur
Hoch-
zeit gewartet, um ihm deine Jungfräulichkeit zu sehen-
ken.«
»Ich verstehe nicht.«
Ich wiederholte den Satz Wort für Wort. Sie rang nach
»Tante, mein Jungfernhäutchen gehört nur meinem Ehe-
mann. Es ist das Juwel der ganzen Familie, und ich war
es
mir schuldig, darauf zu achten. Doch nun wird man ihn
und mich mit übler Nachrede verunglimpfen. Aber ich
kann ihren Zorn verstehen ... «
Sie fing wieder an zu schluchzen, und ich hätte am
liebsten
kehrtgemacht.

49
eila ging vor mir her, und ich dachte: Man muss das Ich griff nach ihrem Arm und zwang sie, stehen zu
L
wirf
Eisen schmieden, solange es heiß ist. Los, Zobida, bleiben.

dieses junge Mädchen ins kalte Wasser, sonst bleibt sie 50


für
den Rest ihres Lebens mit Schmutz bedeckt. Lass ihr ihre
Unschuld und ihre Sensibilität, dann wird sie genauso
jung-
fräulich nach Hause zurückkehren, wie sie von dort aufge-
brochen ist. Du musst schnell und effizient vorgehen, und
du darfst kein Blatt vor den Mund nehmen. Das junge
Mädchen hat die Jahre der Metaphern, des Durch-die-
Blu-
me-Sprechens hinter sich, treib sie bis an die Grenzen
ihres
Körpers, ihrer Seele, ihres Stammes und sorge dafür,
dass sie
nie mehr so sein wird wie vorher. Hör auf, sie schockieren
zu wollen, sondern schockier sie einfach!

Ich brach mein Schweigen.


»In welchem Alter hat man dich zu Hause
eingesperrt?«
»Mit zwölf.«
»Wie oft bist du seitdem aus Zebib herausgekommen?«
»Einmal, zur Hochzeit meiner Cousine in Am Hara.«
»Hast du schon mal einen Spaziergang durch dieses Tal
ge-
macht?«
»Ich wäre nie auf die Idee gekommen. Und wozu soll es
im
Übrigen gut sein, ohne Ziel herumzuwandern?«, stieß sie
hervor, ohne ihre Schritte zu verlangsamen.
»Um seine Knochen zu bewegen und sich umzusehen,
und
das ist nicht gerade wenig.«
»Du wirst jetzt tief durchatmen und die Landschaft um mütterlich
dich ist wie sie. Lass dich nicht irritieren durch ihr Schweigen.
herum betrachten. Die erste Bewegungsfreiheit wird uns Wenn sie dich erst einmal angenommen hat, spricht sie
durch einen Lidschlag gewährt. Unsere Augen unterneh- zu
men die erste Reise. Alles kann hinter Gitter gebracht dir, ohne dass jemand es hört. Sie wispert von ihrer
werden, Einsam-
lautet ein Sprichwort deiner Großeltern, mit Ausnahme des keit, die zu deiner wird. Sie übergibt dir ihre Opfergaben,
Blicks. Also nimm mit deinen Augen die Wunder der Natur ihre Düfte und ihre schillernden Farben, ohne eine
auf. Betrachte den Himmel, den Kieselstein, das Blatt, Gegen-
das leistung zu verlangen. Sie öffnet ihr Ohr, um deine
im Wind flattert, den kleinen Zweig, der unter deinen Fü- Seufzer
ßen knirscht. Bewundere diese Weizenfelder, diese
Blumen, 51
die uns der Frühling als Vorbote des Sommers
hiergelassen
hat. Weißt du eigentlich, dass jeder deiner Blicke ihr
Leben
verlängert?«
Sie hörte mir regungslos zu, benommen, wie jemand,
dem
von einer übernatürlichen Welt berichtet wird.
»Du weißt, dass ich häufig allein spazieren gehe, weit
ent-
fernt vom Dorf. Die Megären behandeln mich wie eine
Zauberin und behaupten, dass ich unterwegs sei, um
seltene
Pflanzen zu sammeln und Reptilien zu töten, um Zauber-
tränke daraus zu brauen.«
»[a, genau das sagen sie ... «, nuschelte Leila.
»Das ist falsch, auch wenn ich es nie abgestritten habe.
Dei-
ne Familie hat nicht verstanden, dass jeder die Pflicht hat,
mit der Natur zu sprechen. Natürlich gibt es scheinbar
nichts Teilnahmsloseres als die Natur, aber im Grunde
ge-
nommen gibt es nichts, was so gegenwärtig und
zu vernehmen, ohne sie jedoch zu wiederholen. Die ins
Natur Wasser klatschten und die Stille durchbrachen.
ist ein riesiges Schmuckkästchen. Sie ist uns Frauen eine
Verbündete, die Quelle unserer unausgesprochenen Leila ging jetzt Seite an Seite mit mir. Ihre Schritte und
Worte. ihr
Und welche Freiheit verleiht uns das Wort, wenn es an Atem waren normal.
jemanden gerichtet ist, der nicht antworten kann.« »Du wirst die Natur besser kennenlernen als deinen Kor-
Ich beobachtete Leila. Sie ließ den Blick über die
per«, sagte ich.
Landschaft
schweifen und lauschte mir wie ein Tier auf der Lauer.
52
»Heute Abend werden wir die Sterne zählen, doch inzwi-
schen nutze die Gelegenheit, leichtfüßig wie eine Ziege
urnherzuhüpfen. Los! Überhol mich. Da, lauf voran. Geh
leichten Schrittes. Los, leg dein Kleiderbündel ab und
zeig
mir, wie du laufen kannst.«
Anfangs hüpfte sie ungelenk wie ein verletztes Schaf.
Dann
begann sie tastend zu laufen, wurde schneller und
schneller.
Schließlich rannte sie fast ausgelassen, ließ dabei ihren
Schleier fallen, der sich wie ein Leichentuch über die Äh-
ren breitete. Behende kletterte sie den kleinen Hügel im
Westen hoch, drehte sich um sich selbst, den Kopf zum
Himmel hochgereckt, der ganz nah zu sein schien, ließ
sich
ins Gras fallen und rutschte den Hang hinunter. Ihr
Körper
war nur noch Bewegung, das Kind in ihr offenbarte sich
bei
jedem Schritt, bei jedem Sprung. Sie wirkte glücklich. Sie
rollte auf dem Gras hin und her, hüpfte dann einen
kleinen
Bach entlang, der sich am Fuß des Hügels
dahinschlängelte,
warf Kieselsteine hinein und lachte jedes Mal, wenn sie
Sie stellte keine Frage, und ich wagte mich auf diesem drehte sie sich nach mir um.
Ge- »Tante, wie war es denn bei
biet nicht weiter vor. Ihnen?«
Als wir zu einem Brunnen gelangten, nahmen wir auf »Die Heirat?«
zwei »Ja.«
Steinen Platz. Plötzlich verdüsterte sich die Miene des »Ich wusste nicht, was mich erwartete, aber ich war
jun- zufrie-
gen Mädchens. Sie seufzte: den. Zufrieden und erstaunt. Man hatte mir die schönsten
»Ungeachtet der Worte meiner Mutter fand ich, dass
mein 53
Körper mir gehören könnte, wenn auch nur zur Hälfte.
Und dann stellte ich fest, dass er Zoubida gehört. Es ist,
als
besäße ich ein Haus und jemand hätte es abgeschlossen
und
den Schlüssel mitgenommen. Ich kann mein Haus nicht
mehr betreten wie vorher.«
Ich dachte, dass die Natur klüger macht. Sie beschränkt
den
Menschen nicht auf die Enge der Mauern. Leila bemühte
sich zu begreifen.
»Es ist doch ganz natürlich, dass ich diesem Körper noch
sehr misstraue, oder? Wenn er geöffnet ist, was werde
ich
dann vorfinden? Das Gute oder den Fluch?«

Die Kleine versuchte es auch mit Metaphern. Schnell


fand
sie den Zugang zu Worten und damit zu Bildern. Ich hatte
es zu meinem Glück nicht mit einem dummen Gänschen
zu tun.
Etwas später bestätigte sich mein Eindruck, als sie
begann,
Fragen zu stellen. Wir befanden uns auf halbem Weg zur
Bahnstation, schritten behutsam einen Kiesweg entlang,
da
Gewänder angelegt, behandelte mich WIe eme Königin Fleck auf der Stirn. Man hatte mich fiir drei Schafe und
oder Sultanin, wie in den Märchen. Die Bauern hatten die zwei Kühe an einen Satyr im Alter meines Vaters
Felder verlassen, die Reiter saßen im Sattel, und die verscha-
Damen chert. Der musste seine drei Töchter unter die Haube
führten sich derart ungeniert auf und benutzten solch ge- brin-
wagte Worte, dass ich mich fragte, ob sie vielleicht den gen und sich um seinen geistig behinderten Sohn küm-
Ver-
stand verloren hätten. Ich war weniger überrascht über 54
die
Aufmerksamkeit, die sie mir zollten, als über ihre frivole
Sprache, denn ich war noch ein Kind. Diese gewöhrilich
schamhaften und zurückhaltenden Ehefrauen
unterhielten
sich unter lautem Gelächter über nackte Beine, Blutüber-
schwemmungen und über die Glut, die zwischen ihren
Schenkeln entfacht wurde. Alles, was sie bisher vor mir
ver-
schwiegen hatten, offenbarten sie mir plötzlich ganz
unge-
niert.«
Ich schwieg einen Augenblick lang und fuhr in lockerem
Ton fort.
»Ich gestehe dir jedoch eines: Ich glaube, ich war bereit
zuzuhören. Als ob mir von jeher das Verbotene so
verboten
erschienen wäre, dass es mir schon wieder vertraut vor-
kam.«
Ich machte mir keine Gedanken darüber, ob Leila den
Sinn
meiner Worte begriff. In ernstem Ton fuhr ich fort:
»Ich fand mich mit jemandem, den ich noch nie gesehen
hatte, in einem Schlafzimmer wieder. Erst als er splitter-
nackt vor mir stand, begriff ich: Man verheiratete mich mit
einem Kerl, der vierzig Jahre älter war als ich. Sein
Gesicht
war stark behaart, und vom Beten hatte er einen großen
mern. Zum x-ten Mal hatte er gewettet und musste seine Bett. »Verunglimpfe nicht den Namen Allahs mit deinem
Spielschulden begleichen, um sein Gesicht nicht zu törichten Weibermund. Er hat uns vor den Schändlichkei-
verlie- ten der Frauen gewarnt und uns empfohlen, sie zu
ren. Meine Mutter gehörte zur Sorte der stillen, unterwür- schlagen,
figen Frauen. Ich kannte den Mann überhaupt nicht, bis sie angekrochen kommen.« Er zitierte die Suren, die
konn- er
te ihn deshalb nicht hassen. Ich dachte an meinen Papa zu seinem Vorteil zu deuten wusste, fesselte mich und
und ver-
sagte mir, dass mir der Alte nicht schaden würde. Doch passte mir dreißig Peitschenhiebe. Auch schlug er mich
ich mit
täuschte mich sehr. An jenem Tag verlor ich nicht nur dem Mörser auf den Kopf - überall floss Blut - und setzte
mei- mein Schamhaar mit glühenden Kohlen in Brand. Ich
ne Jungfräulichkeit, sondern auch meine Kindheit. Ein sprach mit niemandem darüber, denn niemand konnte
gro- mir
ßes Zeitloch tat sich auf.« helfen. Manchmal entkam ich ihm, weil ich schneller war
Mein Körper erschauderte bei der Erinnerung an die
erste
55
Verletzung, die mir zuge fugt worden war.

Ich verschwieg Leila, dass er mich jeden Abend schlug,


weil
ich nicht wollte, dass er mich bestieg. Er konnte einfach
nicht begreifen, dass sein feuchter, übelriechender
Penis,
sein stinkender Atem, sein Wanst, der so aufgedunsen
war
wie zwei Wassermelonen, Zwietracht auslösten. Für ihn
war
ich seine Frau, seine Sklavin, sein Lasttier. Ich musste
seine
Launen ertragen, seine Schläge, seine Fürze, seinen
Rheu-
matismus und seine Folter. Ich flehte ihn an, küsste
seine
Füße, beschwor Allah. Er zerrte mich an den Haaren
zum
als er. Ich versteckte mich dann in den Schränken oder binen dass ich injener
im genomm Nacht, in der ich Sadeks Leiche sah, in den
Obstgarten, im großen Ofen, in dem das Brot en. Er Hofhinausging,
gebacken war meine Füße mit Henna bemalte, mir ein Tuch um die
wurde, oder kletterte aufBäume, bis zu dem Tag, an tatsächlic Hüf-
dem er h krank, ten schlang und mit dem mitfühlenden Einverständnis
mich in den Brunnen werfen wollte. Da nahm ich die und ich der
Bei- sah Sterne bis zum Morgengrauen tanzte. Ich erwähnte
ne in die Hand und hielt erst wieder zwanzig Kilometer seinem auch
weiter vor dem Haus meiner Tante mütterlicherseits. monatela
Ich ngen
sagte, lieber wolle ich sterben, als zu ihm Siechtum
zurückzukehren. zu, ohne
Ich drohte, Chlorwasser zu trinken, mir die Pulsadern auch nur
zu einen
öffnen, mich mit Benzin zu übergießen und noch mit Finger zu
vie- rühren.
len anderen Todesarten, die einer gläubigen Muslimin
un- »Woran
ist Ihr
würdig waren, wenn man mich gewaltsam zu ihm Mann
zurück- gestorbe
n?«
brächte. Natürlich hat man mit dem Finger auf mich
ge-
Fast
zeigt. Die Tante, die bereit gewesen war, mich
hätte ich
aufzunehmen,
geantwor
wurde mit Drohungen und Beschimpfungen
tet »an
überschüttet.
Boshafiig
Sadek schickte Boten, die ich mit dem Besen vertrieb.
keit«,
Doch
doch ich
eines Tages kam sein Bruder, um mir mitzuteilen, dass
schluckte
Sadek sterbenskrank sei und mich anflehe, ihm zu
es
verzei-
hinunter.
hen.Also kehrte ich zu ihm zurück. In den Augen aller
Ich
war
verschwi
ich immer noch seine Frau, und er hatte sich keine
eg Leila,
Konku-
mit keiner Silbe mein Freitagsritual, das ich mir zur Ge-
wohnheit gemacht hatte. Ich nahm denselben Weg,
den die
Männer zur Moschee zurücklegten, zum Friedhof, um
auf
das Grab meines Mannes zu spucken. Dreißig Mal,
nicht
mehr und nicht weniger.

57
,
4. Da ich die Männer kannte, wusste ich, dass der uns nicht in
Ruhe lassen würde. Er stand unbeweglich da, die Hände in
die Hüften gestemmt, und betrachtete mich wie einen Por-
ir hatten das letzte Stück des Weizenfeldes hinter zellanhund und schielte nach Leila.Von jeher hatte ich den
W uns gelassen, als ein Mann uns den Weg
versperrte.
Hirten misstraut, vor allem denen, die einen schwarzen
Punkt im Auge haben und die man als Kinderschänder be-
Man hätte meinen können, der Teufel persönlich sei aus zeichnet. Ich wusste, dass die Einsamkeit inmitten ihrer
dem Nichts aufgetaucht. Herde ihre sexuelle Begierde entfachte und dass sie genau-
Ich dachte an jene Fremden, die zu uns gekommen waren, so wenig Schwierigkeiten hatten, in eine Möse einzudrin-
um unsere Erde auszuheben, doch dieser Kerl war einer gen, wie sie einen Tonkrug Wasser leerten.
von uns. Er hatte die Haare nach hinten gekämmt und trug In diesem Moment, Gott möge mir verzeihen, hatte ich
den grauen Kittel der Viehzüchter und Hirten. Doch weit eine brillante Idee. Ich überlegte, dass ein Kerl wie er ge-
und breit war kein Tier zu sehen. nügend Ungestüm besaß, jede Vagina zu bezwingen, ob
widerstrebend oder versiegelt. Ein Schwanz, der wie ein
»Die Jungfrau ist sehr schön.« Stock zuschlagt und wie ein Hund im Gras herumschnüf-
»Und dein Arsch? Der ist sicherlich weniger schöne, felt.
konterte
ich, bewusst aggressiv und ordinär. »Geh uns aus dem Ich nahm Leila zur Seite und flüsterte ihr ins Ohr:
Weg, »Das ist jetzt die einmalige Gelegenheit zu überprüfen, ob
sonst zermalme ich dir den Schädel mit diesem Stein.« dein Jungfernhäutchen wirklich verhext ist.«
Leila beeilte sich, ihren Schleier wieder zurechtzurücken, Die Kleine riss die Augen auf, als habe sie gerade eine Be-
doch es war zu spät. schimpfung vernommen.
»Nie und nimmer! Ich lass mir doch nicht eine solche Ware »Hier ist es menschenleere, fugte ich hinzu, unbeeindruckt
entgehen ... mit dieser amberfarbenen Haut und diesen von ihrer empörten Miene, »und niemand wird uns über-
Rehaugen!« raschen. Tu so, als gebest du nach, aber sobald du seinen
Er schwenkte den Stock, den er in der Hand hielt, und nä- Schaft spürst, fängst du an zu schreien. Und ich eile dir zu
herte sich meinem Schützling. Hilfe.«
»Du bist so schön wie der Mond und begehrenswert wie »Aber, Tante, ich kenne doch diesen Mann gar nicht.«
eine Huri (Lichtgestalt).« »Du brauchst ihn auch nicht zu kennen. Du brauchst nur
In Leilas Augen entdeckte ich ein Leuchten, in dem Angst festzustellen, dass er einen Schwanz hat, der sich
und Genugtuung im Wettstreit standen. Dieser Blick zeigte aufrichtet,
mir zum ersten Mal, was mir erst später bewusst werden Wenn er dich wittert.«
sollte: die unvermutete natürliche Laszivität des jungen
Mädchens. 59

58
5.
»Das ist kein Grund ... « Bei Allah! Ich musste diesem naiven Gänschen
»Tu, was ich sage, und du wirst es nicht bereuen.« schleunigst
die einfachsten Dinge der Liebe erklären.
Beim Barte des Propheten, ich beobachtete, wie sie sich
wie ein Lämmchen ins Gras legte, während ich mich
hinter
einem Baumstamm verbarg. 60
Der Mann, der sich halb entblößt hatte, legte sich auf sie.
Doch wenige Augenblicke später erhob er sich wieder
und
trollte sich.
Auch Leila richtete sich auf, sah so verängstigt aus wie
ein
Hase, der in eine Falle getappt war, Grashalme steckten
in
ihrem Haar.
Ich eilte zu ihr.
»Und?«
)) Ich weiß nicht. Etwas glitt zwischen meine Schenkel.
Doch
dann spürte ich sofort eine warme Flüssigkeit ... «
»Du bist an einen Mann mit vorzeitigem Samenerguss
ge-
raten, mein Kind. Das ist Pech, doch die Hälfte der
Männer
ist so.«
Um sie zu beruhigen, fügte ich hinzu:
»Aber er hatte einen Steifen, und das ist ein gutes
Zeichen.
Das bedeutet, der Zauber ist in dir und nicht in den Man-
nern, die sich dir nahern.«
Sie schien nicht überzeugt zu sein. Ich stellte
richtig:
»Es sei denn, es ist deine eigene Flüssigkeit ... «
»Warum? Pinkeln Frauen denn auch unter den
Männern?«
trachtete. Das geschah vor zehn Jahren, und zwar an
jenem
Tag, an dem ich beschloss, mein heimatliches
Berberland
ir setzten unseren Weg fort, ein erstes Abenteuer zu verlassen, und Badra zum letzten Mal an meine Brust
W in
unserem Reisegepäck verstaut. Ich musste an den
drückte.

Tick denken, den ich als junges Mädchen gepflegt hatte, 61


nämlich ganz genau festzuhalten. wie viele Abenteuer ich
mit Jungs erlebte - sei es ein bloßer Augenaufschlag
oder
ein flüchtiger Kuss. Für jedes Abenteuer machte ich
einen
Knoten in einen Schal, den ich in Mamas Truhe
versteckte.
Darin verknotete ich auch die vielen Geheimnisse, die ich
in meinem Umfeld wahrnahm. Nach demTod meines
Man-
nes änderte ich meine Methode, indem ich jeden neuen
Liebhaber in meinem Leben mit einem Igelstachel
markier-
te, den ich in meinen Phiolen für die Kajalstifte verwahrte,
die sich zusehends füllten. Ich lachte in mich hinein und
sagte mir: Das ist immer noch barmherziger, als ihnen
den
Schwanz abzuschneiden und damit meine Regale zu
schmü-
cken, diesen wilden Bestien von der Art eines Sadek!
Und solche Bestien wie mein verstorbener Mann gibt es
überall, wobei mir spontan der widerliche Lüstling einfällt,
mit dem meine Cousine Arem, die Mutter der kleinen Ba-
dra, verheiratet war. Er hatte keine Skrupel, seine
Ehefrau
mit Benzin zu übergießen und sie zu grillen wie ein Stück
Wild, als er sie auf der Türschwelle seines Hauses dabei
ertappte, wie sie einen vorbeiziehenden Reitertrupp be-
»In einer Stunde werden wir die Dächer der Bahnstation ser kokette Satz, diese aphrodisierenden Worte, diese Her-
von Ain Hara vor uns sehen.« ausforderung stimulierten Papa, und er legte sich zu ihr ins
»Gelobt sei Allah«, seufzte Leila. Bett. Sie beugten sich über das Kind, das zwischen ihnen
»Vergiss nicht, dass du von nun an fur die Menschen, denen lag, um sich davon zu überzeugen, dass es schlief. Ich per-
wir begegnen, meine Tochter bist. Diese Lüge erleichtert sönlich gab keinen Mucks von mir. Dann legte sich Papa
uns unsere Aufgabe und schützt uns vor Neugier.« auf Mama. Sie lag immer unter ihm, und sein Gewicht
Sie nickte zustimmend. schien sie nicht zu belasten. Ich spürte, wie die Bettdecke
Ich blickte mich um.Weit und breit kein Mensch, kein Hir- verrutschte, wenn meine Mutter daran zog. Doch es war
te, auch kein Schaf. Ich fragte: nicht genau zu unterscheiden, ob es ihre Hand war oder
»Hast du je ein männliches Geschlechtsteil ihre Zähne oder ihre Zehen. Doch ohne Decke fröstelte
gesehen?« ich. Mein Vater brummte, und meine Mutter versank in
»Noch nie.« Schweigen. Lediglich ihre verkrampften Gesten auf der
»Nicht einmal das deines Bettdecke verrieten, dass sie noch lebte.
Mannes?« Am nächsten Morgen beobachtete ich sie, wie sie sich im
»Nein, ich wagte nicht ... « Hof zu schaffen machte, mit flinken Händen und biegsa-
»Hast du kein einziges Mal deinen Vater und deine Mutter
mem Rücken. Sie sang, während sie die Wolle bearbeitete,
im Bett überrascht?«
mit abwesendem Blick, vermutlich noch in Gedanken an
»Sie haben nicht zusammen geschlafen.«
die letzte Nacht versunken. Lediglich wenn Papa beim
»Und wie wurdet ihr erzeugt, deine Schwestern und du?«
Spielen verlor und sturzbetrunken nach Hause kam, war
»Durch Gottes Gnade.«
Mama verärgert. Aber da es nicht ihre Art war zu keifen,
»So wird's wohl gewesen sein.«
begnügte sie sich damit, sich ihm zu verweigern. Sie schlief
So viel Unwissenheit reizte mich zum Lachen. Auch wenn
einfach zusammen mit ihren Kindern ein, um ihrem Mann
wir in meinem Dorf sehr abgeschieden lebten, waren wir
den Zugang zu ihr zu verwehren.
aufgeklärter. Meine Eltern versuchten vergeblich, uns vor-
Auch wenn wir Schwestern untereinander nie über die
zumachen, dass sie sich nicht berührten. Alle Geschwister
nächtlichen Liebesspiele der Eltern redeten, waren wir ge-
wussten, dass Papa Mama bestieg, wenn die Holzlatten
genüber unseren Cousinen offenherziger. Ich konnte Papas
ihres
Gebrumme und das Spiel mit der Bettdecke perfekt nach-
Bettes jämmerlich knarrten. Da Mama gewöhnlich zur sel-
machen. Cousine Arem wollte unbedingt mehr darüber
ben Zeit wie ihre Jüngsten schlafen ging, hatten wir ab-
wissen und bot Hadscha Mahfouda Geld an, um mehr De-
wechselnd die Möglichkeit, ihre Liebesspiele zu beobach-
tails zu erfahren. Die alte Frau, die an einem stürmischen
ten. Lediglich mein behinderter Bruder, der in seinem Ko-
Abend vor unserer Tür stand und weder eine Vergangenheit
kon der Unwissenheit eingehüllt blieb, bekam nichts mit.
Wenn Mama im Bett lag, säuselte sie: »Mein lieber Mann,
deine Muschi erwartet dich und ist schon ganz heiß.« Die-

62
6.
noch eine Zukunft zu haben schien, sprach vom rührten wir das kleine Dingsda, mit Lust und Angst,
glühenden und
Schaft, dem Besucher der Mandeln, der das göttliche sahen, wie es sich versteifte, sich aufblähte, als ob der
Feuer Teufel
verbreitet und wie ein tapferer Ritter kämpft. Wir baten sich im Innern aufblies. Dann rannten wir mit
sie, bebendem
es uns genauer zu beschreiben. »Ihr braucht nur den Herzen und fiebriger Möse zu den Erwachsenen
Eseln zurück.
zuzuschauen!«, erwiderte sie.
Wir klapperten die Bauernhöfe und Ställe der Leila hatte sich mit der Aufmerksamkeit eines Kindes
Umgebung den
ab, einzig und allein mit der Absicht, die Esel, die Bericht dieser ersten Abenteuer angehört. Aber ich
Pferde legte
und alle Tiere, die mit einem solchen Dingsda Wert darauf, dass sie so schnell wie möglich ihren
ausgestattet eigenen
waren, zu beobachten. Schließlich jagte uns dieses Weg einschlug, ohne sie dabei mit meinen
Ding, das Erinnerungen
so riesig wie eine Zeltstange war,Angst ein, und wir zu behindern.
warfen
Hadscha Mahfouda vor, uns zu belügen, denn ein
derartiger
Pfahl konnte unmöglich in die Frauen eindringen, ohne
sie
zu zerreißen.
Später nutzten Arem und ich bei den Nd-Festlichkeiten
den Besuch von Brahim, einem Neffen, der in der
Haupt-
stadt lebte und dessen Gesicht mit Sommersprossen
so groß
wie Kirschen übersät war, um uns mit ihm in einem ab-
gelegenen Weizenschober einzuschließen. Ich bat ihn,
uns
seinen »Zipfel« sehen zu lassen. Er war sofort bereit,
vor-
ausgesetzt, dass wir ihn bewunderten. Nacheinander
be-
bis es zur Explosion kommt, die den Körper außer
Gefecht
setzt. Dabei pocht die Klitoris wie ein Herz, und die
Vagina
in Bauer, der zwei Esel mit sich fuhrte, kam an stimmt Jubelschreie an.
E uns
vorbei. Ich rückte meinen Schleier zurecht, ging auf Ich hatte das Glück, all das genießen zu können. Mit
ihn zu und bat ihn, uns gegen ein paar Münzen auf einem
den meiner Liebhaber, dessen Namen ich verschweige,
Eseln bis zur Bahnstation reiten zu lassen. Er war um zu-
einver- mindest ein Minimum an Diskretion zu bewahren.
standen, half uns beim Aufsteigen und trottete hinter Nennen
uns wir ihn D. Er stand nur auf mich, vielmehr auf meine
her. Mu-
Leila überholte mich schnell. Ich beobachtete, wie sie schi. Nie war ich befriedigt, mein Durst war nie gestillt.
hin Er
und her schwankte, wobei sich ihr Geschlecht am konnte mich nehmen, wann immer er wollte, und ich
Rücken be-
des Tieres rieb. Ich zweifelte jedoch, dass sie etwas
fuhlte.
Obwohl sie ohne jegliche Unterweisungen in Sachen
Sex
aufgewachsen war und noch nie etwas von Lust und
Be-
gierde gehört hatte, bekam ich jetzt den Beweis. Sie
hatte
keine Ahnung, welcher Körperteil durch eine
Liebkosung,
durch einen Finger erregt werden konnte, sich wie
eine
Knospe entfalten und wie eine Frucht Saft geben
konnte.
Sie kannte auch dieses Beben nicht, das den Leib
durch-
läuft,Wirbel für Wirbel nach oben steigt, das Feuer
entfacht,
gehrte ihn, selbst wenn ich krank oder müde war. Er Man nannte uns einen Markt, auf dem wir bei den
sagte, Reichen
ich sei vom Dämon besessen, und ich drohte, mir den unsere Dienste gegen klingende Münze anbieten
Teufel konnten.
als Liebhaber zu nehmen, wenn er es nicht schaffe, mich Unter den vielen Frauen, die sich hier versammelten,
zu gab es
befriedigen! junge und weniger junge, hübsche und gehbehinderte

Im Morgengrauen gelangten wir zur Bahnstation und stie- 66


gen in den Zug nach Taj. Unsere Bündel unter dem Arm,
setzten wir uns auf zwei Notsitze, inmitten von Hühnern,
Puten und Stiefeln aus gewirkter Wolle. Da uns die
Müdig-
keit übermannte, schliefen wir beide ein und gaben
unsere
Seelen und Körper in die Obhut Allahs.
Leider war Allah an diesem Abend nicht besonders wach-
sam.Als wir aus dem Zug stiegen, fanden wir weit und
breit
kein Gepäck mehr. Instinktiv griff ich unter meine Bluse.
Der Beutel, in dem ich mein Geld aufbewahrte, war eben-
falls verschwunden.
»Mein Kind, wir können nicht zurück und haben kein Geld
mehr, um den Rest der Reise zu bezahlen, und dabei ist
es
noch ein weiter Weg bis Ranger. Wir werden hier bleiben
müssen, um uns die Weiterreise zu verdienen.«

Die StadtTaj, in der uns der Zug zurückließ, war ein


großer
Marktflecken inmitten von Olivenhainen. An allen Stra-
ßenecken zankten sich junge Mädchen lautstark,
während
sie ihre Tonkrüge an den Brunnen fiillten, lüstern beäugt
von den Maronenverkäufern, die hinter ihren Ständen lau-
erten.
Frauen, Mädchen in aufreizender Kleidung und Sie schwieg, und ich bemerkte, dass sie mich verstimmt
verschüch- be-
terte Jungfrauen.
Der erste Händler wollte nur Leila, mich nicht. Ich lehnte
ab, sagte, ich würde keinen Zentimeter von »meiner
Toch-
ter« weichen. Der Mann war gar nicht übel, um die fiinfzig,
mit einer ausladenden Brust gesegnet und mit einem
Seidenburnus bekleidet. Schließlich war er bereit, uns bei-
de einzustellen - zum Preis fiir eine. Ich erklärte mich ein-
verstanden, denn ich war bereits von seinem Blick bezau-
bert.
Seine Frau, von schwindsüchtiger Magerkeit und ge-
schmückt mit einem minarettartig geschlungenen Kopf-
tuch, empfing uns ohne Wärme und teilte uns eine kleine
Kammer am Ende eines Flurs zu. In einem dreistöckigen
Haus ohne Kinder, in dem es nach Erbrochenem, Alkohol
und männlichem Samen roch, erklärte sie uns unsere Auf-
gaben. Dann ging sie hinaus und kehrte mit zwei Tuniken
und zwei Paar Schlappen zurück, die sie auf unsere
Matrat-
zen auf dem Boden warf.
Ein paar Stunden später roch das Haus nur noch nach
Da-
mas-Seife und Weihrauch. Wir hatten die Bettwäsche ge-
stärkt, die Teppiche ausgeschüttelt, die Matratzen geflickt
und die Terrasse geschrubbt, von der sich ein
wunderschö-
ner Blick auf die Dächer von Taj bot.

Abends zogen wir uns zur wohlverdienten Ruhe in unsere


Kammer zurück.
Ich sagte zu Leila:
»In ein paar Tagen haben wir so viel verdient, dass wir
un-
sere Reise fortsetzen können.«
7.
obachtete. Ich ging hinaus, um am Brunnen im Hof Was- »Mein Körper ist das Böse, die Sünde und die Zwietracht,
ser zu trinken. sonst wäre ich nicht hier.«
Als ich zurückkehrte, war sie im Begriff, sich zu entkleiden. Ich war erstaunt über die auswendig gelernte Leier und
Sie hielt sich die Dschellaba vor die Brüste, und ich begriff mehr noch über den Begriff Zwietracht aus diesem jungen,
den Grund ihrer Scham. unschuldigen Mund.
»Ich bin, genau wie du, eine Frau und kann nicht verstehen, Ich tat so, als habe ich ihre Worte nicht gehört.
warum du dich bedeckst. Außerdem hatte ich bereits Gele- »Du bist schönl«
genheit, deine intimsten Stellen zu betrachten.« Sie schaute mir in die Augen und wiederholte:
Sie errötete. »Das ist nicht wahr, ich habe nichts Besonderes. Alles an
»Bei mir zu Hause hat man nicht das Recht ... « mir
»Wir sind weit weg von deinem Zuhause, du kannst split- ist durchschnittlich, einschließlich meiner Taille. Ich besitze
ternackt vor mir herumlaufen, ich werde dich nicht an- nichts, worauf ich stolz sein könnte.«
springen. Los, nimm die Dschellaba weg.« »Wer sagt dir denn, dass die Männer Frauen wie dich nicht
»Ich will nicht, dass Sie mich ansehen.« mögen, weder groß noch klein? Ich kann dir versichern,
»Aber es geht nicht um mich, sondern um dich, du dumme dass sie sogar dazu neigen, die Kleinen zu bevorzugen, weil
Gans. Ich bin davon überzeugt, dass du dich noch nie ange- sie den Eindruck haben, wenn sie auf kleinen Frauen lie-
schaut hast.« gen, verschwinden die einfach, was ihnen ein berauschen-
Sie ließ ihr Gewand bis zurTaille heruntergleiten und rühr- des Gefühl der Macht verleiht. Weißt du, Männer besitzen
te sich nicht mehr. auch etwas von einem Raubtier. Die körperliche Liebe ist
»Statt mich anzustarren, blick an dir hinunter, schau dir dei- bei ihnen mit der tyrannischen Lust verbunden, sich als
nen Leib an, deine Beine. Entdecke dich.« Herr zu fiihlen. Mach dir keine falschen Vorstellungen,
Sie stand stumm und steif da. mein Herz. Sein Verlangen muss mit dem Eindruck ver-
»Tu es, oder ich drück dir deine Nase höchstpersönlich knüpft sein, dass du ihm gehörst.«
runter.« Ich ging auf sie zu und umfasste ihre Handgelenke.
Automatisch senkte sie den Blick auf ihren Körper. »Zeig mir deine Arme! Zarte, bewegliche Lianen! Und die-
»Bewundere, was Gott dir und anderen dank deiner Schön- se Finger. Sie sind lang und sensibel, mit kräftigen, rosigen
heit geschenkt hat.« Nägeln, was ein Zeichen guter Gesundheit ist. Keine Adern,
Sie zögerte immer noch. keine Sorgen, runde Halbmonde.«
»Hab keine Scheu, dein Körper ist die Schönheit in Perfek- »Auch meine Brüste sind nur durchschnittlich«, konterte sie
tion.« und löste den Verschluss ihres Büstenhalters.
»Das stimmt nicht«, protestierte sie plötzlich verärgert. »Die Brüste sollen weder schwer noch klein, flach oder zu
hart sein, denn alles am Körper einer Frau gewinnt durch
68
8.
Weichheit und Wollust. Deine Taille ist so schmal, dass 70

der
Mann, wenn er sie umfasst, den Eindruck gewinnt, sein
Eigentum zu urnrunden. Wenn er dich so umfängt, beugt
sich dein Leib ein wenig, und deine Pobacken treten so
deutlich hervor, dass er glaubt, sie lösten sich von dir.
Aus
deiner Wölbung schließt der Mann die Aufuahrnebereit-
schaft deiner Möse, und wenn sich deine Pobacken in
an-
gemessener Entfernung von deinem Leib hin- und herbe-
wegen, saugen seine Lippen mit Vergnügen an deiner
ver-
borgenen Frucht.«
Sie errötete von Kopfbis Fuß.
»Aber da ist noch etwas, an das man nicht denkt und wo
dein Geheimnis verborgen ist, etwas, das so weit entfernt
ist
wie der zarte Boden deiner Höhle, dort, wohin der Durst
des Mannes ihn treibt und wo sein Untergang lauert.«
Ihr Blick verriet Neugier, aber sie sagte kein Wort.
»Deine Augen! In ihnen liegt das Geheimnis deines
Verlan-
gens.Wenn dein Blick überirdisch wird, erkennt er, wie
viel
Lust er dir verschafft hat und wie viel Lust er selbst emp-
funden hat.«
Sie wurde kühner und schlüpfte aus ihrem
Büstenhalter.
Ich murmelte, als ich unter die Decke schlüpfte:
»Das ist gut so, genieß deinen Körper, mein Kind, noch
bevor es jemand anderes tut. Er wird es dir im richtigen
Augenblick danken.«
Säule deines Le-
bens, spiel also da unten mit den Fingern, lass dir Zeit,
und
du wirst die Melodie des Glücks erkennen. Umfass jetzt
m nächsten Abend nahm ich nach deine Brüste, heb sie hoch bis zu deinem Gesicht,
A einem langen Tag
voller Hausarbeiten meine Unterweisungen
spiegel
dich darin und lass sie dann wieder los. In der Bewegung
wieder des Loslassens zeigen sie dir den Weg zur Lust, sie eilen
auf. da-
Ich forderte Leila auf, mir gegenüber Platz von, noch bevor du eine Bewegung machst, und
zu nehmen, verlangen,
nahm ihre Hand und ließ sie langsam über aufgesogen und verschlungen zu werden.«
ihren Körper Sie gehorchte meinen Empfehlungen aufs Wort.
wandern. Meine Worte waren so sanft wie
ein Wiegenlied.
»Beug dich hinunter. Umschließ deine 71
Waden und miss die
Form deiner Beine. Massiere jeden
einzelnen Zeh und lass
die Hand bis zu deinem Knie
hinaufwandern. Du bist mit-
telgroß, und deine Schenkel sind schlank.
ZäW nach, wie
viele Schönheitsflecken du auf deiner Haut
findest, und
überzeug dich davon, wo sie liegen. Es gibt
nichts Wir-
kungsvolleres als einen Schönheitsfleck am
richtigen Platz,
um Lust zu erregen. Er ist wirkungsvoller als
ein Aphrodi-
siakum.«
»Was ist ein Aphrodisiakum?«
»Das erkläre ich dir später. Im Augenblick
schau dir deinen
Bauch an, ja, mein liebes Kind, er ist die
9.
»Weißt du, wie ein weibliches Geschlechtsteil aussieht?« offensichtlich gelauscht hatte. Ich schloss schnell die Tür
»Ich habe es mir noch nie genau angesehen.« hinter mir, damit die Kleine nichts mitbekam. Es war der
»Nicht einmal, wenn du Pipi machst?« Händler. Er war kurzatmig und hielt seinen Schwanz in der
»Ich geh nie weiter als bis zu dem kleinen Hügel.« Hand, der wie eine Granate aus seiner weiten Hose heraus-
»Du meinst den Venushügel?« drängte.
»[a, und er hindert mich daran, den Rest zu sehen.« Er steckte ihn zurück und schickte sich an, auf dem Absatz
»Ich vermute, dass du dich vor mir nicht trauen wirst. Wir kehrtzumachen.
machen also Folgendes: Ich gehe hinaus und du nimmst »Lauscht man jetzt an den Türen der Frauen?«, flüsterte
diesen Spiegel. Im Sitzen öffnest du die Beine und bringst ich. »Haben Sie nicht genug Unterhaltung mit Ihrer eige-
den Spiegel in der Mitte an, direkt vor deiner Grotte, und nen?«
bewunderst die Landschaft, die sich dir darbietet.« Er entfernte sich wortlos, und ich bemerkte, dass er immer
Ich nahm einen kleinen Spiegel von der Wand, der die noch mit seinen Hoden spielte.
Form einer Hand von Fatma hatte, und fugte hinzu: Ich wartete kurz, dann betrat ich wieder die Kammer und
»Du kannst mit den Fingern das seidige Gewebe erkunden stellte mich in Positur, musste aber unwillkürlich an den
und erschreck nicht, wenn du ein kleines Weichtier ent- erregten Schwanz denken, den ich gerade gesehen hatte.
deckst.« Ich wandte mich an meinen Schützling.
Ich sagte, als ich hinausging: »Ich hoffe, du hast Bekanntschaft mit deiner Vagina ge-
»Es ist diese kleine Öffnung, die den Mann aufnimmt, die macht, aus der die Kinder kommen. Aber sie kann auch
vordere. Versäum auch nicht, die hintere zu suchen, aber eine andere Rolle spielen, dient zur Erlangung von Lust,
denk daran, das ist nicht dringlich und nicht vorrangig, eine Art zweiter Geburt, die sich immer wiederholt. Man
denn nur die Perversen halten sich dort auf. Für die weib- muss sie also hätscheln und sich darum kümmern.«
liche Lust hat Gott nur eine einzige Ritze geschaffen. Doch »Und wie kann ich wissen, ob ich eine hübsche Muschi
die Männer werden versuchen, dich vom Gegenteil zu habe?«
überzeugen. Glaub ihnen nicht, denn sie haben mehr Spaß »Das erkläre ich dir später. Jetzt müssen wir scWafen.«
daran als du. Mit List drehen sie dich herum, aber lass es Sie streckte die Hand nach ihrer Dschellaba aus, doch ich
nur hinderte sie daran.
geschehen, wenn du liebst. Du hast dann das GefuW, »Bitte, mach mir die Freude und schlaf von heute an
glück- nackt.«
lich zu sein, denn die Liebe lässt dich vergessen, durch wel- Ich fuhr gähnend fort:
che Öffuung der Geliebte bei dir eingedrungen ist.« »Möchtest du das Licht ausmachen?«
Ich bemerkte ihr Zögern, doch dann stand sie auf und ging
»Ach du lieber Himmel!«
Als ich die Tür öffnete, prallte ich gegen einen Mann, der
73

72
10.
nackt zur Öllampe. Weil ich sie anschaute, hielt sie sich sich öffnete, ausgekleidet mit einer glänzenden Haut wie
eine ein Sternenhimmel.
Hand über die Brust und die andere über ihre Vagina. Ich legte die Hand auf ihren Leib und sagte im
»Aber ich kenne dich doch jetzt. Enthüll mir diese Köst- Gebetston:
lichkeiten, oder ich schlage dich«, drohte ich scherzhaft.
Sie kam auf mich zu, blieb plötzlich stehen, nahm die 74
Hän-
de weg und entblößte ihren Venushügel direkt vor mir.
Dann drehte sie sich um und kicherte wie ein Teenager.

»Komm zurück! Komm näher, zeig mir noch mal dein


Kätzchen. Die Faxen sind jetzt vorbei, du brauchst dich
nicht mehr zu verkünsteln, es zu verbergen, und ich
werde
dir sagen, ob es es verdient, als schöne Mandel
bezeichnet
zu werden.«
Sie kam wieder zu mir und zögerte kurz.
»Los, zier dich nicht, zeig sie mir«, forderte ich sie auf.
»Es
ist spät, und ich möchte schlafen.«

So vergewisserte ich mich erneut der vollkommenen


Ana-
tomie meines Schützlings. Die Haut ihrer Vagina war zart
und hell mit schwarzem fedrigem Flaum und Ringello-
cken. Eine Mandel mit einer hübschen Öffnung, ideal ein-
gebettet zwischen den Schenkeln, ein Schmuckstück
ihres
Unterleibs. Ihre Ritze war über einem Juwel, das in die
Schatulle aus Fleisch eingebettet lag, halb geöffnet. Eine
Rosenknospe, eine Aprikose, die Rosette einer Himmels-
gestalt.
Leilas Klitoris lugte zwischen den beiden glatten Wänden
durch. Sie flatterte jetzt leicht, während das
Schatzkästchen
»Hier ist dein Kern, dein Schwerpunkt, deine Vergeltung den Schlüssel mitzunehmen.«
arn Tod, dein Lachen über die Götter und die Dämonen. »??«
Sie ist Himmel und Erde zugleich, Gestirne und Kometen »Er hatte Angst, dass seine Töchter wegen dieser Sache
sind unter deiner Haut versammelt. Du wirst nicht wissen, mit
wie das Feuer hier lodert. Aber wenn, dann beeil dich der Lust ausfliegen würden.«
nicht, »Hör auf, die Närrin zu spielen, und denk daran, dass der
es zu löschen. Niemand sieht es kommen, am wenigsten Tag kommen wird, an dem dein Körper Lust verspürt zu
aber die Männer. Viele haben einen Krieg angezettelt reden, pass auf dich auf. Natürlich kann dies mit einem
und Knall enden, und das ist auch häufig der Fall: Du nimmst
Unglück heraufbeschworen, um zu begreifen, wie das
Ding
75
da zwischen deinen Beinen sich amüsiert. Sie haben es
nie
wieder deinen zugewiesenen Platz ein, du endest als
erfahren. Du bewahrst dein Geheimnis fiir dich. Es ist in
böse
Ordnung, dass der Mann deinen Orgasmus erlebt, ohne
Megäre und verbitterte Ehefrau. Aber dein Körper kann
zu
explodieren, vielleicht ein wenig zu viel, und dir bleibt nur
wissen, wie dieses Wunder entsteht. Du selbst wirst
noch der Wahnsinn. Man wird behaupten, dein Verhalten
nichts
sei von den Wesen aus dem Jenseits bestimmt. Doch die
davon wissen. Außer dass die Erde unter dir nachgibt,
wahren Dschinns, meine Süße, beherrschen deinen
dass
Körper
ein wohliger Schauder dich genauso schnell durchläuft
und sonst nichts.«
wie
dein Blut, dass er die Winde und die Gezeiten antreibt,
dass
er den Mond auf dem Arm tragen wird als Opfergabe fiir
den Engel oder den Teufel, der dir die Lust geschenkt
hat.
Du wirst annehmen, dass ein Teil deines Körpers sich
gelöst
hat, um im Nichts zu verschwinden. Nichts und alles auf
einmal.«
»Ich verstehe«, erwiderte
Leila.
»Was verstehst du?«
»Den Grund, aus dem mein Vater nie das Haus verließ,
ohne
Gefallen,
mit der Nachbarin auf der Terrasse zu plaudern. Bleib vor
allem keine Sekunde mit dem Scheusal da allein.«
Und ich verschwand unter dem Vorwand, etwas fürs
11 m Morgen des vierten Tages zog eine seltsam Haus
nervöse zu besorgen.
.ßAtmosphäre durch das Haus. Unser Arbeitgeber hatte
beschlossen, zu Hause zu bleiben, er hatte keine Lust, Ich hatte mich bei besagter Nachbarin erkundigt, die ihre
zu Zeit damit verbrachte, von ihrem Schemel aus das
seiner Ölpresse zu gehen, und gab vor, Schmerzen im Gesche-
Bein hen auf der Straße zu beobachten. Sie hatte mir
zu haben. Er sah uns zu, wie wir schufteten, und trank berichtet,
dabei
mehr und mehr - ich war sicher, dass es Wein war -,
77
auch
wenn er so umsichtig war, die Flasche in ein grob
gewirktes
Tuch zu hüllen. Seine Frau ging hin und her und warf
uns
jedes Mal gehässige Blicke zu. Plötzlich fegte sie wie
eine
Windböe an uns vorbei, den Schleier am Kopf
festgezurrt,
und warf die Tür hinter sich zu. Ihr Gatte ließ sich davon
nicht beeindrucken, verschlang weiterhin Leila mit
Blicken.
Ich wusste, was sich in seinem Kopf anbahnte, und war
be-
reits darauf vorbereitet: Ich wollte Leila ihre erste Liebes-
nacht bieten.

»Wenn sich demnächst vor deinen Augen zufällig etwas


ab-
spielen sollte, halt den Mund, schrei nicht, begnüg dich
da-
mit, zuzuschauen und zu lernen. Tu mir jetzt den
12.
11.
Ich weiß nicht, ob die Formel wirkte. Tatsache ist, dass
ich,
nachdem ich dem Händler seinen Tee serviert und mich
dass ein gewisser Madjdoub der gewiefteste Marabut mit Leila zur Siesta zurückgezogen hatte, den Wolf
(Heili- herein-
ger im Volksislam) weit und breit sei, denn er konnte schleichen sah. Er ging wie ein Schlafwandler auf mein
Wasser La-
härten, Krankheiten in Staub auflösen und den ger zu und flüsterte Worte, die mich in angenehm erregte
widerspens- Stimmung versetzten:
tigsten Liebhaber gefugig machen. »Ich bin's, ich liebe dich, spreize deine Beine.«
»Es ist nicht für mich. Oder vielmehr wünsche ich mir, Vor Überraschung hätte Leila fast aufgeschrien, erinnerte
dass sich aber an meine Anweisungen und gab keinen Laut
mein Geliebter mich fiir sie hält und dass ihr Name ver- von
schwiegen werde«, erklärte ich dem Mann, den ich am
Ende einer Sackgasse fand.
Er saß im Schneidersitz, das Gesicht ausgemergelt. Sein
Bart
reichte bis zum Boden.
Er stellte keine Fragen, erkundigte sich lediglich nach
mei-
nem Vornamen und dem meines Schützlings, murmelte
ei-
gene Verse, denn ich hatte noch nie dergleichen gehört,
vergrub den Kopf in einem Tuch mit Leilas Duft, spuckte
in
die Hand, schrieb drei Sätze auf ein Blatt Papier, das er
in
eine Flasche gleiten ließ, die zur Hälfte mit Brackwasser
angefiillt war. Als die Buchstaben sich aufgelöst hatten,
be-
netzte er damit ein weiteres Blatt, faltete es und legte es
zwischen meine Brüste.
»Du gibst deinem Liebhaber diese Mischung zu trinken.
Gott wird seinen Blick vernebeln. Er wird dich für sie hal-
ten und nur nach dir verrückt sein.«
Wie auch immer! Der gute Mann besorgte es mir wie ein
Gott, da er einen Schwanz von einer Dicke besaß, wie ich
ihn bisher nicht kennengelernt hatte, mit einem runden
sich. Dann kuschelte sie sich in eine Ecke, die Hand auf Schaft und einer Eichel, die durch die Berührung mit sei-
den ner Sarouel rauh und spröde geworden war. Das reizte
Mund gepresst. mich
und schmeichelte mir über alle Maßen. Ich sagte jedoch
Ich spreizte die Schenkel, mein Schlafwandler sah nur kein Wort, damit er meine List nicht durchschaute. Zudem
noch wollte ich Leila nicht beunruhigen, deren Atem immer
Funken sprühen. Er hielt mich fiir Leila. Ich würde ihn kürzer wurde und die sicher unser Liebesspiel
nicht aufklären. Sein Atem wurde heiß, als er sich über beobachtete.
mein Meine Zeugin war die Unschuld in Person, aber ich nahm
Hinterteil beugte, er hätte es ungeniert mit jeder
getrieben.
79
Verdammt! Ich hätte mir die beiden Dirharns für den Ma-
rabut sparen können, doch ich hatte vergessen, dass
Männer
blind werden, sobald sie ihren Pfahl in eine Höhle
rammen.
Verflogen sind alle GefuWe. Die Seele, die Liebe, die
Zärt-
lichkeit, süße Worte, all das! Sie können nicht mehr
unter-
scheiden, ob sie es mit einem Paar Schenkeln oder mit
Handschuhen zu tun haben. Ich frage mich, weshalb sie
jede von uns ihrer schwanzgesteuerten Moral
unterwerfen,
während sie uns doch im Zustand der Erregung nicht
mehr
unterscheiden können. Natürlich behalte ich all diese
Überlegungen für mich, denn es ist unnötig, meine
Schutz-
befohlene damit zu behelligen, sie würde denken, dass
es
die Liebe genauso wenig gebe wie ihren Körper.
13.
keinen Anstoß daran. Ich bot der Jungfrau eine unverhoffte
Lektion, die sie nirgendwo onst erhalten würde, außer in
den berühmten Märchen aus Tausendundeiner Nacht, wenn
es um Scheherazades Liebesspiele geht. Gelegentlich las
mir
mein Liebhaber M. im Bett daraus vor, damit ich etwas
lerne, sagte er, während er an meinen Knospen knabberte.
W ir marschierten die ganze Nacht hindurch und
noch einen Teil des nächsten Morgens.
Wir kamen an Weizenfeldern, Oliven- und Orangenhainen,
Er wiederholte stets, dass der Geist, fugt man ihn der Natur Mandel-, Zitronen- und Apfelbäumen vorbei, auch an
hinzu, aus der Liebe ein »Kunstwerk« mache - wie er es Weinbergen, auf denen sich die Rebstöcke unter ihrer Last
ausdrückte. bogen. Diese üppigen Gaben der Natur dienten uns als
Hinweis darauf, dass wir noch weit entfernt vom Sand der
Als der Händler auf der Matratze in sich zusammensank, Wüste waren.Wir pflückten die Früchte direkt vom Baum,
wandte ich mich an Leila. Sie war totenblass. Ich flüsterte manchmal zum großen Missfallen der Bauern, die uns ihre
ihr zu: Hunde hinterherjagten. Wir ließen uns in einem Obstgar-
»Ab heute kannst du nicht mehr behaupten, du hättest kei- ten nieder, dessen Besitzer großzügiger waren. Wir verirr-
ne Ahnung von Liebesdingen, geschweige denn, was vögeln ten uns, weil wir weit und breit kein Schild entdecken
bedeutet.« konnten. Ein paar Bauern zeigten uns wieder den richtigen
Was mich persönlich angeht, so wusste ich in meinem tiefs- Weg, schenkten uns zwei Stück Kuchen, einen Krug Milch.
ten Inneren, dass mir ein zweites Mal endgültig Lust darauf Wir hielten uns an ihren Rat, gingen die Bahngleise oder
machen würde, wieder anzufangen. einen Bach entlang oder orientierten uns am Giebel des
Während der Händler schnarchte, holte ich behutsam seine Hauses eines Heiligen, der sich am Abhang eines Hügels
Geldbörse heraus, die mit Scheinen prall gefullt war. Ich bat niedergelassen hatte.
Leila, unsere Sachen zusammenzupacken, und wir beeilten
uns, die Stadt zu verlassen, bevor die Hausherrin zurück- Leila betrachtete mich mit einem Lächeln um die Mund-
kehrte und der Mond über den Sternen aufging. winkel. Sie erinnerte sich an meine Liebesspiele mit dem
Ölhändler. Sicher wollte sie mehr wissen. Ich ermunterte
sie dazu.
»Du glaubst wohl, es gebe ein Alter, in dem die Frauen auf
Sex verzichten müssen, nicht wahr?«
»Nun ... vielleicht ... wenn man keine Kinder bekommen
hat ... «

81
80
15.
14.
wusstsein zu wecken und die Wartezeit zu überbrücken,
bis
deine Mandel geöffnet wird. In Wirklichkeit meine ich
»Ich besitze weder deine Schönheit noch deine Jugend«, meinen zweiten Ehemann, Gott möge sich seiner Seele
unterbrach ich sie. »Ich habe weder deine er-
Gazellenaugen barmen, der mir leidenschaftlich versicherte, ich hätte die
noch deine anmutige Haltung. Doch wenn die Liebe nur faszinierendsten Augen der Welt, einfach aufgrund
zwischen schönen, jungen Menschen stattfmden würde, meines
wüsste man es. Nein, mein Kind, die Lust hat nichts mit Silberblicks. Sein Glied glitt elegant in meinen zu großen
Schönheit oder Alter zu tun. Ganz im Gegenteil,
manchmal 82
erwacht die Lust sogar aufgrund eines Makels, eines
Man-
gels. Du siehst doch die Pockennarben auf meiner Stirn,
meinen zu großen Mund und meinen Silberblick im linken
Auge? Doch die wortkundigsten meiner Liebhaber ... «
»Ihrer Liebhaber?«
Leilas Gesichtsausdruck verriet dasselbe Erstaunen und
die-
selbe Verblüffung wie am Abend zuvor.
Ich dachte bei rnir: was für ein albernes Ding! Vielleicht
nimmt sie an, dass ich mich auf grund einer
Eheschließung
dem Ölhändler hingegeben hätte oder dass ich es mir
schul-
dig sei, alle Schwänze zu ehelichen, die die Vorsehung
mir
in die Hände gibt. Weil ich jedoch wusste, dass das junge
Mädchen mich lediglich als Zobida aus Zebib kannte, als
geachtete und gefürchtete Frau, und weil es noch zu früh
war, ihr meine Vergangenheit zu enthüllen - denn sie
würde mir Misstrauen entgegenbringen, wodurch unser
gemeinsamer Weg überschattet würde -, korrigierte ich
mich.
»Ich sagte Liebhaber, um dich zu beeindrucken, dein Be-
Mund, und meine Zunge liebkoste es, ohne zu ermüden.
Ich verströmte einen Duft, der meinen Mann anlockte,
wenn ich ihn begehrte, und der uns Worte ersparte. Aber
am allermeisten versetzte ihn meine Möse in
Verzückung.
Er behauptete, ich hätte ein Juwel, wie man es nur selten
erlebt, lüstern und leidenschaftlich, eifrig und fröhlich, das
es versteht, den Schwanz zu umfassen und wieder
loszulas-
sen, einzusaugen und zu ersticken, genussvoll zu
verschlin-
gen und sanft wieder auszustoßen.«
Leila stammelte puterrot:
»Der Ölhändler hat nicht so viel Zeit zur Verfiigung
gehabt
wie Ihr zweiter Mann - Gott sei seiner Seele gnädig! -, um
all das zu erkennen.«
Ich konnte die Art, wie sie diese Worte äußerte, nicht
deu-
ten. War es Ironie? Oder besaß das junge Mädchen die
Ei-
genschaft, die bei den meisten Menschen so selten zu
fin-
den ist: einen vorurteilsfreien Geist?
Ich beendete meine Rede mit der Doppeldeutigkeit, die
der Situation angemessen zu sein schien.
»Er brauchte eine Möse und ich einen Schwanz, und
mehr
war nicht dahinter.«
16.
sie es vor, sie Verse zitieren zu lassen, als ob unsere Kinder
erst die Liebe und dann die Religion erlernen sollten. Noch
schlimmer: Sie hatten das Freitagsgebet durch einen Wort-

D erTag neigte sich dem Ende zu, als wir in einen


weit-
läufigen Olivenhain gelangten. Ein Mann, der auf ei-
nem mitTragetaschen beladenen Esel ritt, deutete auf
einen
halbmondförrnigen Hügel, der in ein kleines Dorf einge-
bettet war. Für ein paar Dirharns verkaufte er uns zwei
Schaffelle und eine Matte.
»Damit kommen Sie aus. In dieser Gegend ist es auch
nachts
recht rnild.«
Meiner nächsten Frage kam er zuvor:
»Suchen Sie nicht in dem Dorf da oben eine Unterkunft,
denn dort lebt keine Menschenseele mehr.«
»Ist es ausgestorben?«
»Man erzählt sich, dass es von einer Art unbekannter
riesen-
großer Raben, deren Schnäbel so scharf wie Lanzen
sind,
angegriffen wurde.«
»Das ist ja grauenhaft«, bemerkte Leila. »Was für ein Un-
glück!«
»Aber ein verdientes Unglück!«, erwiderte der Mann mit
Nachdruck und zerrte an seinem mit Kautabak befleckten
Turban. »Die Bewohner waren Narren und Ignoranten.
Sie
beteten eine heidnische Göttin an, eine gewisse Finus.
Wir
aber sind Muslime und keine Götzenanbeter! Diese Ab-
trünnigen hatten in den Straßen die Statue der Zauberin
aufgestellt. Statt ihren Kindern den Koran zu lehren,
zogen
gefechtswettstreit ersetzt und hefteten die Das Dorf bestand aus Sackgassen und von
Gedichte, die als ausgehöhlten
schönste beurteilt wurden, an die Wand der Bäumen gesäumten schmalen Straßen, die sich um
Moschee. Un- abge-
ser großer Mufti erklärte, dies sei haram brannte Wäldchen und Alleen wanden. Brüchige Stufen
(verboten). Die führten zu kleinen Gassen und verschwanden dann wie
Dichter sind Menschen ohne Glauben und durch Hexerei. Hie und da sah man die Umrisse von Gär-
Gesetz.« ten, die einst sehr üppig gewesen sein mussten. Einziges
Wir hörten zu, ohne eine Bemerkung fallen Überbleibsel war ein Olivenbaum inmitten eines Hofes
zu lassen, was mit
er auch nicht erwartete. Er spottete: knorrigem Stamm und unbewegten Blättern. Kapitelle la-
»Wenn Sie trotzdem die Nacht in diesen gen auf dem Boden, erinnerten an abgetrennte Köpfe,
Ruinen verbrin- nicht
gen wollen, brauchen Sie sich nicht zu
furchten, denn Sie
werden nicht allein sein.«
Ich dachte an Dschinns und Geister der
Toten, denen man
nachsagt, im Dunkeln zu spuken. Doch er
meinte:
»Es ist eine ganz andere Gesellschaft.«
Als er unsere skeptische Miene sah,
fugte er hinzu:
»Sie befinden sich im Tal der
Tränen.«
»Und wie heißt dieses Dorf da oben?«,
erkundigte sich
Leila.
»Ichq (Liebe)«, erwiderte er und fing an zu
lachen. Dann
schob er seinen Turban wieder zurecht und
entfernte sich
hastig, die Hände auf den Esel gestützt.
Ich legte unsere Sachen unter einen
Mandelbaum und stieg
hinter Leila her hinauf zu den Ruinen.
weit entfernt von kleinen Rinnsalen, die nichts anderes mir zuwandte, bemerkte ich, wie reizend sie lächelte. Mehr
mit noch. Es war ein Lächeln lasziver Reinheit. Ich erinnerte
sich führten als die Erinnerung an Wasser. Und mich an den Ausdruck ihrer Augen, als der Hirte sie mit
vermutlich Komplimenten überschüttete, und ich fand, dass sowohl
an Freude. Leilas Lächeln als auch ihr Blick Lust verrieten. Ihre aufge-
Halb verfallene Häuser standen neben Türmen und worfenen Lippen, üppig wie eine reife Frucht, enthielten
Fens- die Aufforderung zum Vögeln, wie ich sie so ungehemmt
tern ohne Läden, durch die man aufgerissene noch nie erlebt hatte.
Trennwände Ich hatte mich über das leidenschaftliche Wesen des jungen
erkennen konnte, den rissigen Marmor von Höfen mit Mädchens nicht getäuscht. Alles an ihr schrie nach Sex, ob
Springbrunnen, Dielen, die zu Alkoven mit
Baldachinen 86
führten, deren Stoff schwer von Staub war.

Am Dorfeingang holte ich Leila ein. Sie beugte sich


über
einen kleinen Bach, sicher der letzte, der noch ein
dürftiges
Rinnsal Wasser mit sich führte. Das junge Mädchen
fuhr
sich immer wieder mit den Fingern durch ihr
zerzaustes
Haar, das die untergehende Sonne mit einem schönen
ro-
ten Lichtschimmer umgab.
Dieses Schauspiel atemberaubender Schönheit
inmitten
unendlicher Trostlosigkeit war durch den seltsamen
Kon-
trast besonders beeindruckend.
»Und? Freut man sich, festzustellen, dass man ein
Gesicht
hat und dass es angenehm ist, es zu betrachten?«
Meine Worte schienen sie nicht zu verstimmen. Als sie
sich
sie es nun wusste oder ich
wollte, und ihre Wollust mich über diese Verwirrung, die ich zum ersten Mal
nährte sich emp-
auS ihrer Unschuld selbst. fand. Bis jetzt hatte ich nur Männer geliebt und wäre
Ihr Körper lockte wie eine nie
Op- und nimmer auf den Gedanken gekommen, Lust bei
fergabe und ihr Lächeln Frau-
drückte dies noch deutlicher en zu suchen, nicht aus Prüderie, denn ich kannte
aus mich auf
als ihre Mandel. diesem Gebiet nicht aus, sondern weil ich immer der
Selbst ich, die Gott als Frau Mei-
geschaffen hatte, erlag nung war, dass es langweilig wäre, mit Frauen Sex zu
diesem haben.
Lächeln, das die Mein Körper allein nahm den aller Frauen in sich auf.
verborgene Muschel Er
sinnlichen Genusses enthielt so viele Brüste, Leiber, Hinterteile und Ritzen,
ahnen ließ, das mich die
plötzlich dazu brachte, von ungeduldig wurden, danach verlangten, ausgefüllt,
ihren geleckt,
Knospen zu träumen, von aufgesogen zu werden, dass es noch Jahrhunderte
ihrer weißen, prallen Möse, dauern
von würde, bevor ich vollkommen befriedigt wäre. Es ist
ihren Brüsten, die sich unter mehr
ihrer Dschellaba wie zwei als ein Wunder, dass mein Ehemann, indem er meinen
rei- Kör-
fe Granatäpfel per und meine Seele folterte, mich weder von den
abzeichneten. Man-
Ich wandte den Blick ab nern abgebracht noch meine Begierde genommen
und verfluchte den Teufel, hatte. Er
den hatte es mir stattdessen in die Haut gebrannt und in
Vermittler verwerflicher, mir das
böser Gedanken. unstillbare Verlangen geweckt, ständig einen Mann in
mir
Während wir nach Ichq Zu fühlen.

hinaufkletterten, wunderte
~-----------------
---------
Ich fand, dass mich ein Augenblick der Schwäche nicht
von
dem lichtvollen Weg abbringen würde, der mich bis jetzt
dem Himmel näher gebracht hatte, direkt vor die Pforte
des n der Abenddämmerung sahen wir einen Zug dunkel
Paradieses. Ich würde die Schwänze nicht gegen Mösen
eintauschen, nicht einmal gegen die von Leila.
I
sich
gekleideter Gestalten vorüberziehen. Sie zeichneten

am Horizont ab, bewegten sich behutsam, aber


entschlossen
vorwärts und verschwanden dann zwischen den Ruinen.
Sobald die Schleier fielen, tauchten Frauen in Kleidern
auf,
in verblassten oder manchmal sogar zerrissenen
Sarouels,
Qarnis oder Chasubles. Die Besucherinnen aller
Altersklas-
sen trugen die Haare lang oder kurz, manche hatten
sogar
den Kopf rasiert. Viele von ihnen besaßen einen
bronzefar-
benen Teint, andere waren so weiß wie die Zähne des
Pro-
pheten. Ich erinnerte mich an die Anspielung des Bauern,
der erwähnt hatte, dass es sich nicht um Geister und der-
gleichen, sondern um »eine ganz andere Gesellschaft«
han-
dele. Jetzt verstand ich die Ironie dahinter.
Die Besucherinnen, die sich keineswegs über unsere
Anwe-
senheit zu wundern schienen, grüßten uns, bevor sie sich
auf dem Marktplatz des verlassenen Dorfs im Kreis
nieder-
ließen.
Der Mond erhob sich über unseren Köpfen. Er umfing
Ichq in seiner anmutig geschwungenen Form und ver-
88
wandelte sich in ein Riesenohr, vermutlich, um uns
besser
hören zu können. Gleichzeitig
erhoben sich aus dem
Nichts - vielleicht aus dem
Inneren der Steine oder gar als
Echo vergangener
unbeschwerter Sommertage -
der Ge-
sang der Zikaden und das
Quaken der Frösche.
Erneut vernahmen wir
Begrüßungen. Arme gerieten in
Bewegung, Matten wurden auf
den Boden gelegt, Kaffee

~"~-------------------------------- ______________________________________________________________________ ~d
17.

und Tee wurden aus irgendwelchen Bündeln zutage Himmel, deutlich erkennbar. Man sah die Form ihrer
beför- Nase,
dert, auf improvisierten Kohlenbecken prasselte ihre zusammengewachsenen Augenbrauen, die ihre Stirn
Feuer,Was- verengten. Sie gehörte zum Stamm der Zaoua, bei dem
ser erwärmte sich. es
Brauch war, Ehen ausschließlich zwischen Cousins und
Ich erfuhr kurz darauf, dass all diese Leute die
Widrigkeiten 90
der Hügel und Wege auf sich genommen, den Gefahren
der
Reise und den Abenteuern mit dem einzigen Ziel getrotzt
hatten, hier, inmitten der Ruinen, ihre - ruinösen - Liebes-
geschichten zu erzählen. Diese Frauen, die sich
offensicht-
lich tagsüber im Verborgenen hielten und erst nachts in
Erscheinung traten, hatten eine Möglichkeit gefunden,
das
Unglück zu bannen - indem sie ihre Geschichten erzähl-
ten. Worte waren ihre große Wäsche, die Säuberung der
dunklen Winkel ihres Lebens, der dunklen Nischen ihres
Herzens. Zum ersten Mal wurde ich mir dieses Aspekts
der
Dinge bewusst, doch ich war noch nicht fähig, ihn zu
erklä-
ren.

Leila und ich lauschten mit demselben offensichtlichen In-


teresse, das durch ein Kopfnicken bekräftigt wurde und
durch ein wiederholtes »maktoub« (Schicksal) oder ein
»Gott-steh-uns-bei!«. Wir bemerkten auch, dass die Be-
wohnerinnen von Ichq beim Erzahlen mit Waren handel-
ten - mit Datteln und Milch, manchmal auch mit Dingen,
die sie in anderen Dörfern ergattert hatten.
Halima ergriff als Erste das Wort. Ihr Gesicht war unter
dem
Mond, der so nah schien, als falle er jeden Moment vom
Cousinen zu schließen. Dabei hielt man sich an eine tau- Mann einer geheimnisvollen tödlichen Krankheit. Die
send Jahre alte Devise: »Ohne Reinheit des Bluts bleibt Schwiegermutter, die sie nur widerwillig aufgenommen
nur hatte, verjagte Halima mit Steinen, noch bevor ihr Gelieb-
der Tod!« Dieses Leitmotiv zog sich durch ihre Bücher ter unter der Erde lag. Das junge Mädchen, das sich
und nicht
ihr Bewusstsein, durch ihre Feste und die Motive ihrer überwinden konnte, in sein Dorf zurückzukehren, in dem
Webarbeiten. ihm womöglich der Tod drohte, irrte ziellos umher. Ledig-
Eines Tages entdeckte Halima, als sie am Fenster stand, lich Ichq gewährte ihr Asyl ...
Ta-
har, einen Fremden. Sie verliebte sich auf den ersten ]aouida löste sie ab. Sie hatte eine zarte Stimme und
Blick Katzenaugen. Sie sei von der Konkubine ihres Mannes
in ihn und ließ es ihn wissen. Sie verabredeten sich fiir ver-
eine
erste Nacht, der weitere folgten. Sie ließ sich an der 91
Mauer
herunter und traf sich mit ihm auf einem abgelegenen
Bau-
ernhof. Sie liebten sich, bis sie hörten, wie sich die
Schritte
des Todes näherten. Noch vor dem ersten Hahnenschrei
war sie wieder zu Hause. Sie hatte große Angst, ihren
Eltern
zu begegnen, aber mehr noch fürchtete sie, dem Imam
über
den Weg zu laufen, den man den »Dschinn der
Morgenrö-
te« nannte, da er bei Sonnenaufgang vor dem ersten
Gebet
das Dorf zu durchstreifen pflegte.
Eines Tages hatte sie genug von alldem. Sie hatte keine
Lust
mehr,Angst vor ihrem Vater, ihren Cousins, dem Imam
und
den Hähnen zu haben. Und sie beschloss, mit ihrem
Liebs-
ten zu seiner Familie zu fliehen. Leider erlag der arme
hext worden, behauptete sie. »An dem Tag, an dem Mannes. Wenn sie sich ihm näherte,
ich über gestikulierte er wie
die Schwelle meines neuen Hauses trat, kochte die verrückt, schrie wie am Spieß und floh
erste schließlich aus ih-
Konkubine meines Mannes vor Wut und schmiedete rem Bett. Dann wurde er gewalttätig, schlug
alle sie regelmäßig
möglichen Intrigen, um mir zu schaden. Man sagte, ich und drohte, sie zu erwürgen. Jaouida
sei wusste jetzt, was zu
jung und schön, und zudem bestand die Gefahr, dass tun war. Eines Nachts, als ihr Mann in den
ich Armen seiner
dem Gatten den heißersehnten Sohn schenken Konkubine lag, setzte sie das Schlafzimmer
könnte.« in Brand und
Es ging los mit dem seltsamen Geschmack des Tees, machte sich ohne Bedauern aus dem Staub.
mit
Amuletten, die Jaouida in ihrer Matratze oder in ihren
Fatiha wurde mit ihrem Cousin und
Couscousschalen fand. Dann stieß sie auf
Liebhaber in flagranti
Pergamente mit
ertappt.
Hieroglyphen, die unter ihren Schränken angebracht
Die Liebenden hatten gewartet, bis die
wor-
Familie sich auf den
den waren, Pulver, das über ihre Bettlatten verstreut
worden
92
war, die Köpfe von Chamäleons oder Finger von
Leichen,
die sie in ihrem Hof ausgrub. Jedes Mal, wenn die
Erstfrau
den Schleier anlegte, um das Haus zu verlassen,
betete
Jaouida und fürchtete den Tag, an dem die Konkubine
das
Kräutergemisch nach Hause bringen würde, das sie,
die Ri-
valin, töten würde.
Doch dann wandte ihre Nebenbuhlerin raffiniertere Me-
thoden an, und Jaouida misstraute sogar sich selbst
und
zweifelte gleichzeitig immer stärker an den Gefiihlen
ihres
Weg zum Nachbardorf gemacht hatte, um sich in der an das die Flüsse in ihrem Lauf innehielten und die Vögel,
Haus angrenzenden Scheune zu treffen. Er entkleidete sie, einge-
küsste sie auf den Hals, liebkoste ihre Brüste. Sie war ent- schüchtert durch ihre Stimme, verstummten. Mit
zückt, ihn so schön und wohlgeformt zu sehen. Die Scheu- sechzehn
ne wurde zu ihrem Treffpunkt bis zu jenem unglückseligen sollte sie verheiratet werden. Sie bat um Aufschub und
Tag, als sie den Schuss hörte und ihr Geliebter über ihr er-
zusammenbrach. Fatiha blickte hoch, direkt in das Gesicht fand eine Menge Hindernisse. Mit achtzehn
ihres Vaters. »Zieh dich an, du dreckige Nutte, und folge betrachtete
mir!«, befaW er ihr und warf das Gewehr zur Seite. Fatiha man sie bereits als alte Jungfer. Niemand machte sich
sollte nie erfahren, was ihre Hand gelenkt hatte. Sie bückte Ge-
sich, griff nach der Waffe und feuerte einen Schuss ab. Der danken um ihr Gesangstalent, da man der Meinung
Vater sackte zusammen, und sein Körper fiel auf den ihres war, die
Liebsten. Sie öffnete die Tür und verließ die Scheune. Da- Heirat sei das Wichtigste. Gegen ihren Willen
bei murmelte sie: »Gottes Erde ist riesengroß, ich werde versprach
irgendwo ein Dach über dem Kopf finden.« man sie ihrem ältesten Cousin. Eines Abends kamen
Gauk-
Baya sang, seit sie klein war. Man engagierte sie bei Be- ler ins Dorf, die in der Gegend auftraten. Spontan
schneidungen und Hochzeiten. Dafür erhielt sie Kompli- schloss
mente und kleine Aufmerksamkeiten, denn ihre Familie
brauchte kein Geld, weil sie zu den Großgrundbesitzern 93
gehörte. Sie legte die Hand auf die rechte Wange, und ihre
Stimme erhob sich, glockenhell und so woWklingend, dass

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..
SIe sich ihnen an. Doch welches Schicksal erwartet hinaus, die letzten Sterne erinnerten sie an ihre
em Kindheit.
Mädchen aus gutem Hause in einer Sie sang: »0 Flamme du, Speer, der mich
Schaustellergruppe? durchbohrte, am
Kein Gaukler war im Grunde damit einverstanden, Tag, an dem mein Geliebter meine Schwelle übertrat«
dass das ...
junge Mädchen aus dem Elternhaus geflohen war und Ein Geräusch ließ sie verstummen. Sie wandte sich
so- um. Es
mit seine Familie der Schande preisgegeben hatte. Sie war inzwischen Tag geworden. Sie blickte zum
ga- Fenster hin-
ben ihr zu verstehen, dass sie sich wie eine Nutte auf und erkarmte das Gesicht des Mannes, der sie die
verhalten ganze
habe und dass sie deshalb das Recht der ersten Nacht Nacht lang hergenommen hatte. Die Stimme blieb ihr
über im
sie hätten, das heißt, dass sie sie nach Belieben Halse stecken. Der Kunde war niemand anderer als
besteigen ihr ei-
konnten. Also vergewaltigten sie sie der Reihe nach gener Bruder.
und Wie es weiterging? Sie erinnerte sich an nichts mehr.
verkauften sie an die Männer der Dörfer, in denen sie Nur,
auf- dass sie um ihr Leben gelaufen war, bis zu den
traten. Sie entfloh dieser Hölle und tauschte sie gegen Hügeln. Sie
eine
andere ein - das Bordell einer Hafenstadt. 94
Den Tod im Leib spreizte sie die Beine fur ihre Kunden
und versuchte mit dem Singen ihr Unglück zu
vergessen.
Eines Nachts weckte man sie, weil ein Kunde
gekommen
war. Man stieß sie in sein Bett, sie besaß nicht einmal
mehr
die Kraft, eine Kerze anzuzünden. Sie ließ den
Fremden
gewähren; er drang in sie ein, zog sich wieder zurück,
brummte und spuckte und besorgte es ihr, als ob er mit
der
ganzen Welt hadere. Im Morgengrauen ging sie in den
Hof
wusste lediglich, dass kein Land ihre Schande dulden 95

und
weder auf Erden noch im Himmel eine Zufluchtsstätte
fur
sie zurVerfiigung stehen würde. Einzig und allein Ichq
blieb
übrig. Und diese Gruppe unglücklicher Frauen.

---------------------------------- .. ~ .•..
---------------------------------------- ....••
18.
entstand.
Ich fiir meinen Teil begriff, dass die Vorsehung mir die
Mög-
lichkeit bot, mich an diesem Abend an meinem Mann zu
s war mitten in der Nacht. Eine dunkle Wolke schob
E sich vor den Mond und verdeckte ein Drittel. Man
hätte annehmen können, er hülle sich plötzlich in seinen
Schleier, um seinen Kummer angesichts dieser gebroche-
nen Frauen zu verbergen.
Baya schloss ihren Bericht, und die Tränen und Klagen
en-
deten. Die Frauen entspannten sich. Eine Frau, die
neben
mir saß, klärte mich auf, dass es so Brauch war:
Nachdem
sich die Frauen ihren Kummer von der Seele geredet hat-
ten, gingen sie ihrer Lieblingsbeschäftigung nach, die
darin
bestand, das abscheulichste Geschöpf Allahs zu
beschrei-
ben - den Mann.
Die Schmähreden übertrafen einander mit beißender Kri-
tik, sie schilderten in Versform und Prosa, wortreich und
mit Sprichwörtern geschmückt, die Bösartigkeit und die
Hässlichkeit des männlichen Geschlechts und seine
zahllo-
sen Schwächen. Sogar Gott, der vermutlich auch dem
männlichen Geschlecht angehört, entging den
spöttischen
Anzüglichkeiten nicht.
Leila beobachtete belustigt diese Gesellschaft
hysterischer
Frauen, die, nachdem sie geheult hatten, weil sie so un-
glücklich waren, unter Tränen lachten, während die Wut
ihre Lust zu überleben antrieb, eine Lust, die umso deut-
licher wurde, als sie in der Stille eines verlassenen Dorfs
rächen. Nachdem ich gehört hatte, wie einige Frauen ihre Fragen gefährdeten um ein Haar das Gefühl des
Ehemänner als »hohle Hodens und »Schlappschwanze« fröhlichen
be- Eifers, das ich empfand, und verursachten mir
schimpften, stellte ich mich in die Mitte des Kreises und Schuldgeftih-
lie- le, denn es war nicht der richtige Augenblick, mir Fragen
ferte meinen Beitrag. Leila beobachtete mich voller Stolz. über mich zu stellen. Leila war mir anvertraut, und ich
Ich prangerte die Willenlosigkeit und die Schäbigkeit von hat-
Adams Söhnen an, ihre Angst vor Schmerzen, ihre te die unaufschiebbare Aufgabe, sie ans Ziel zu bringen.
Besitz-
gier, ihre unvergleichliche Eitelkeit, ihren Geiz und ihre 97
PraWerei, ihr schäbiges diplomatisches Geschick und
ihren
mangelnden Glauben. Männer sind Seelentöter und
Natur-
schänder und noch vieles mehr ... Ich hatte das Gefühl,
Sadek den Einäugigen auszupeitschen, und der
Gedanke,
dass er tot war, minderte die Erleichterung keineswegs,
die
ich empfand. Ich verteilte mit meinen Schmähungen Peit-
schenhiebe, besser spät als nie! Ich erkannte auch, dass
die
Worte die Zauberkraft besaßen, lebendig zu werden!

Der Mond warf seinen Schleier ab und zeigte sich nackt,


als
hätte er sich des Schattens der Wolken genauso entledigt
wie wir uns der Bürde der Männer.
Ich betrachtete Leila und entdeckte erneut die Macht
ihres
Lächelns. Ein Pfahl bohrte sich in mein Herz, und Zweifel
machte sich in mir breit. Irgendeine Stimme sagte mir,
dass
meine Leidenschaft fiir die Männer vermutlich auf ein Ver-
langen nach Rache zurückzuftihren sei ... Und vielleicht
hatte ich nur deshalb so viele Liebhaber wie möglich, weil
ich die Heimtücke der Männer übertreffen wollte? Diese
19.
Ich nahm also Abstand davon, so komplizierte Überlegun- einem steifen Schwanz rumlaufen müssen, verstecken sie
gen anzustellen, die mir dieselbe Migräne einbringen wür- uns kurzerhand unter dem Schleier.«
den wie zu Sadeks Zeiten! »Warum nur? Hat Gott sie denn nur zu dem Zweck ge-
schaffen, dauernd einen Ständer zu haben, und uns, um ih-

Das Gelächter verebbte, und Wehmut hüllte uns in ihren rem unersättlichen Dingsda zu entfliehen?«, empörte sich

zarten Schleier. Baya. »Das könnt ihr doch nicht im Ernst meinen. Ein gläu-

»Wir sind die Verdammten der Erde«, sagte Halima. »Kein biger Muslim kann sich doch zurückhalten, wenn er eine

Volk verabscheut seine Frauen so sehr wie unseres.« Frau erblickt. Und ihr werdet mir nicht weismachen, dass

»Und keines liebt sie so sehr«, konterte ich herausfordernd. Gott die Muslime empfänglicher gemacht hat fiir die weib-

»Wie kann sich Liebe Hand in Hand mit Hass zeigen? lichen Grotten als die Männer anderer Länder?«

Letztlich gelange ich zu der Überzeugung, dass Männer »Stell dir mal vor«, bemerkte eine tätowierte Brünette, »es

nur Männer lieben. Und wenn sie das zu einer Frage der wäre so. Es heißt, die Ungläubigen hätten ein träges und

Ehre gemacht haben, weil sie es vor uns geheim halten wol- zaghaftes Glied, missgestaltet und übel riechend.«

len, dann aus Angst davor, dass wir ihre Rivalen sein könn- »Das liegt daran, dass sie nicht beschnitten sind«, wandte

ten.« eine Frau namens Kaltoum ein.

»Wollen Sie damit sagen, dass Männer in Männer verliebt »Nein, weil Gott sie so geschaffen hat.«

sind?«, fragte Leila verduzt. »Alles dummes Zeug!«, meldete sich Baya erneut zu Wort.

»Wenn sie tatsächlich unser Geschlecht bevorzugen wür- »Ich habe mal den Schwanz eines roumi (Christen) betrach-
den, meine Kleine, dürften wir uns nicht in einer solch pre- ten können; er war lang, weich und samten.«

kären Lage befinden.« Jaouida bemerkte:

»Ich glaube, sie halten uns unter Verschluss, weil sie uns zu »Wie auch immer, es steht geschrieben, dass wir für immer

sehr lieben«, meinte Baya. »Und auch weil sie Angst vor den Männern verfallen seien.«

uns »Allen Männern«, wandte Baya ein.

haben.«
»Warum? Was können wir ihnen Böses antun?« Der Mond wurde kühner und ließ seine Strahlen über die

»Ich stelle mir vor, dass unser Körper ihnen Angst einjagt«, Ruinen gleiten. Sie huschten lautlos über Mauerkronen

vermutete Leila. und Säulenkapitelle, und es schien, als hülle sich der Stein

Mit den Augen gab ich ihr ein Zeichen fortzufahren. Doch in einen weißen Turban, so weiß wie der Turban der Muf-

sie schwieg, denn ihre eigene Kühnheit schien sie zu über- tis.

raschen.
»Ich würde sagen, sie sind einfach zu sehr aufs Vögeln
aus«,
stieß Halima hervor. »Damit sie nicht Tag und Nacht mit 99
20.
Der Tag brach an, als Baya nervös lachend sagte:
»Apropos Ungläubige. Es heißt, Männer mit blauen
Augen
seien gekommen, um unsere Bodenschätze ans Licht zu
be-
fördern. Vielleicht würden sie uns ja nicht verschmähen.
Wenn sie wieder abziehen, schmuggle ich mich in ihr Ge-
D as Gerücht bestätigte sich bereits am Tag darauf,
als
wir Ichq den Rücken kehrten. Es besagte, dass Män-
päck.«
ner mit blauen Augen in Scharen aus dem Süden herbei-
»Falls sie wieder abziehen«, sagte die einzige Frau, die
strömten und die Erde aufbrachen. Sie seien mit
nach
modernen
Ichq geflüchtet war und ihren Schleier nicht gelüftet hatte.
Maschinen ausgestattet, die mit den Sicheln unserer
Groß-
eltern nicht vergleichbar seien. Die Abmachungen sahen
eine Teilung des Gewinns zwischen unserem Herrscher
und den Neuankömmlingen vor, während die Bauern bei
der Vorstellung, dass ihre Felder aufgewüWt wurden, in
Pa-
nik gerieten. Ich dachte an Baya und ihre Worte über
diese
Fremden, in denen sie Hoffnungsträger sah.
»Im Grunde genommen hat sie recht«, bemerkte ich laut.
»Und warum hat Baya nicht an die Erde ihrer Vorfahren
gedacht?«
Leila sagte dies in ernstem Ton, und ihr
Gesichtsausdruck
verriet, dass sie nicht spaßte.
Das junge Mädchen gewann an Selbstbewusstsein und
hat-
te allen Grund dazu.
Ich verspürte große Lust, sie zu necken und erwiderte:
»Die Erde ihrerVorfahren nutzt Baya wenig, denn sie hat
ihr
nicht einmal so viel eingebracht, dass sie ein halbwegs
men-
schenwürdiges Leben fuhren kann.«
100 »Aber es sind dennoch unsere Wurzeln, unsere
Ursprünge.«
»Aber es sind auch dieselben Vorfahren, die dir die Möse
Zugenäht und uns dadurch gezwungen haben, durchs
Land
Zu ziehen, um sie dir wieder zu öffnen, nicht wahr? Pass
auf,
meine Kleine«, fugte ich heftig hinzu. »Im Namen derVor-

101
21.
fahren zwingt man dich in ein Gefängnis. Wenn also Heiratsgegner. Ich erinnere mich noch an die
die unbändige
Männer mit den blauen Augen Baya von ihrer Qual Freude, die ihn packte, wenn er, gesättigt vom Vögeln,
erlösen die
können, dann hat sie in Ermangelung einer Familie Zigarette im Mund über seine Landsleute spottete,
we- denen
nigstens Freunde. Und das ist sogar noch besser.« er sich nicht zugehörig fühlte. Er erklärte stets, er
gehöre
Leila zog sich schmollend zurück, und ich war verblüfft nirgendwohin. Ich protestierte und erklärte ihm, ich
über meinen Ausbruch und stellte fest, dass meine hätte
Abenteu- mich nicht auf ihn eingelassen, wenn er nicht aus
erlust ungebrochen war, auch wenn sie sich mehr auf demsel-
die ben Land stammen würde wie ich. Er erwiderte, ich sei
Entdeckung von Sex konzentrierte als auf die Sorge eine unverbesserliche kleine Landpomeranze und er
um pfeife
Wurzeln oder Ursprünge. Ich war noch nie in einem auf meine Wurzeln. Anfangs kränkte mich seine
ande- Aufsässig-
ren Land als in meinem gewesen und habe auch noch keit, diese Respektlosigkeit gegenüber unseren
nie Traditionen
einen roumi (Christen) berührt. S., einer meiner und dessen, was uns zu Muslimen macht. Schließlich
Liebhaber, wuss-
hat mir von seinen Reisen vorgeschwärmt. Ich sehe
ihn vor 102

mir, wie er mir unter der Bettdecke die Geschichten


jener
»anderen Völker« erzählt, von ihren Bräuchen, ihren
Revo-
lutionen und ihren Helden berichtet. Er war weit
herum-
gekommen und hatte sich außerdem in Büchern
kundig
gemacht. Geduldig hat er mir alles beigebracht, weil
ihm
die Gelegenheit fehlte, echte Schüler zu unterrichten.
Er
war ein hübscher Kerl, eigenwillig und ein überzeugter
re ich gar nicht mehr, wer ich war, und die Wir waren nur ein paar Meilen von Samara entfernt,
Feststellung, mit als die
diesem »anderen« in keiner Verbindung zu stehen, Nacht hereinbrach.
verlieh Die Stadt war für ihre strengen Sitten und den
mir gelegentlich das Gefühl, unvollkommen zu sein. unbeugsa-
Wenn men Glauben ihrer Bewohner bekannt. Mein Vater
ich S. beobachtete, wie er seine Landkarten hatte
ausbreitete, die mir erklärt, dass man nach Samara ging, um Gottes
er sorgfältig in einer Schublade aufbewahrt hatte, Verge-
überkam bung zu erbitten und durch Gebete und Almosen für
mich das Gefühl, am Rande einer Schlucht zu stehen. die
Ob- Armen seine Sünden zu büßen. Man traf dort
wohl ich nicht lesen konnte, beugte ich mich über die tausendund-
geo- einen Marabut, die sich in dieser Gegend
grafischen Umrisse und geriet in Panik bei der niedergelassen
Vorstellung, hatten. Die Bewohner von Samara sprachen den
ins Nichts zu fallen. Unbewusst nahm ich die Hände Dialekt
mei- der Alten und pflegten den Brauch, mit dem Dolch im
nes Liebhabers in meine, während er weiterredete. Ich Gürtel herumzulaufen. Der Wali konnte noch so viele
glaube, dass ich dank S. meine ursprüngliche Ar-
Bodenständig-
keit eingebüßt habe, die meine besonderen Merkmale
103
und
jene der Fremden deutlich auseinanderhielt.Auch
diese un-
nachgiebige Verbissenheit, mein Volk um jeden Preis
zu
verteidigen.

Wir marschierten den ganzen Vormittag, ohne


anzuhalten.
Die Erinnerung an die Berichte vom Vorabend diente
uns
als Ersatz fiir eine Mahlzeit und vertrieb Hunger und
Mü-
digkeit.
22.
gumente anfuhren, um das Tragen von Stichwaffen zu Einsatz. Sie schätzten besonders den Palmwein, den sie
ver- wie
bieten, es war vergebliche Liebesmüh. Die Wasser tranken. Außerdem hegten sie eine Vorliebe fiir
Zentralregierung eine
hatte mehrere Male einen Boten geschickt. »Wir befinden bizarre Pflanze, die sie stundenlang im Mund behielten
uns nicht mehr im Krieg«, zeterte der. »Und wenn euch und
ein die ihre Wangen aufblähte, wodurch sie an
Feind angreift, verteidigt euch der Staat.« Dudelsackpfeifer
»Der Staat? Wer ist das«, wollten die Stämme wissen, erinnerten. Das Aussehen der Männer von Samara war
empört
über diesen Unbekannten namens Staat, den, soviel sie 104
wussten, Gott niemals mit ihren Angelegenheiten betraut
hatte. Sie hatten sich mit aller Macht für das Tragen des
Dolchs eingesetzt, des Symbols ihrer Ehre, des Attributs
ih-
rer Männlichkeit. Sie fügten hinzu: »Das würde gerade
noch
fehlen, dass dieser Ungläubige von Staat uns die Hose
run-
terzieht und unser Hinterteil dem Rest der Welt preis-
gibt.«
Denn nicht umsonst nannte man die Männer von Samara
die Dolchschäfte. Außerdem wurde ihnen nachgesagt,
dass
sie ihre Frauen immer eingesperrt hielten und dass sie
keine
frische Luft atmen durften. »Vorn Leib der Mutter in den
Leib der Erde«, lautete ihr Leitspruch. Sie sperrten ihre
Ehefrauen in stattlichen Häusern mit Gittern ein, in unter-
irdische Dielen und Gänge, in denen Scharen von Eunu-
chen sie umsorgten.
Es war auch allgemein bekannt, dass die Männer von
Sama-
ra tagsüber beteten und sich nachts dem Alkohol
hingaben.
Sie verwehrten sich gegen die Unterstellung, dass sie um
Geld . wetteten, gleichzeitig spielten sie aber mit hohem
durch Entstellungen geprägt, durch Abscheulichkeiten lasten, die gegenüber den göttlichen Mächten für das
wie Ver-
übelriechender Atem, bedingt durch Alkohol und Rausch- halten der Männer von Samara verantwortlich waren.
gift. Tagsüber gaben sie sich makellos, und ihre Und
geheimen dann brachten sie einfach neue Fatwas (Rechtsvorschrif-
Laster schmälerten ihre Überzeugung, geradewegs ins ten) heraus, die zum Beispiel verordneten, dass jede
Para- Sünde,
dies zu kommen, in keiner Weise. die außerhalb Samaras begangen wurde, gar keine
Man bezeichnete die Samarer auch als Volk der Sünde
Reisenden,
denn wie die Zugvögel reisten sie in der heißen 1°5
Jahreszeit
in die Länder der Ungläubigen. Dort hatten sie Muße, un-
geniert den von unserer Religion verbotenen Alkohol zu
genießen und den weißen Frauen hinterherzulaufen, mit
denen sie ohne jedes Schuldgefühl vögelten, da man ja
weiß, dass die Frauen von Jesus und Mose keine Frauen
sind und Gott nur die Sünden aufrechnet, die mit wahren
Gläubigen begangen wurden, ausschließlich mit jenen,
die
unserer Gemeinde angehören. Allah hat keine Zeit fiir die
Ungläubigen. Es heißt, sie wanderten in die Hölle, das ist
alles, und die Seelensichter im Himmel hätten folglich
we-
niger zu tun.
Man erzählt sich, dass die Männer von Samara, bevor
sie,
um ihre Dummheiten vergessen zu machen, mit Armen
voller Geschenke zu ihren Ehefrauen heimkehrten, einen
Abstecher in die Länder Allahs machten, die weniger
sitten-
streng als unser Land waren und »Lander der Toleranz«
ge-
nannt wurden, in denen man sie ermutigt hatte, die weltli-
chen Freuden zu genießen. Sie brauchten dann ihren
scWechten Lebenswandel lediglich ihren Gastgebern
anzu-
23.
sei. Oder nur eine halbe oder eine lässliche Sünde. Denn wenn er zu viel getrunken hatte -, ein Mädchen zu ent-
die Männer von Samara mussten ein wenig sündigen, denn jungfern, wie man eine Schlacht führt: ausdauernd, mit
sonst würden sie in ihrem verdammten Dorf, das im übri- kühnen Angriffen, Avancen und Rückzügen. Man hält sich
gen Land als Gebiet der Tugend galt, verrotten. fiir einen Krieger und greift das weibliche Juwel genauso
In den »Landern der Toleranz« zeigten die Männer von Sa- eifrig an wie den Feind auf dem Schlachtfeld.«
mara eine Vorliebe ftir Jungfrauen, die sie sich eine nach der »Aber was für ein Vergnügen haben Männer daran, ein
anderen servieren ließen wie kleine Gerichte. Angelockt Jungfernhäutchen zu zerreißen?«
wurden diese Mädchen von klingenden Goldmünzen, was »Ich habe dir doch erklärt, dass sie Sex und Ruhm ver-
die lokalen Behörden stillschweigend duldeten. Die Mäd- wechseln.«
chen wurden sorgfältig ausgewäWt und mussten zwischen
I5 und I8 Jahre alt sein. Waren sie älter, galten sie in den
Augen der Samarer als Putzlappen.
»Eher ist es so, dass ihre mickrigen Würmchen starke Stär-
kungsmittel brauchen«, spotteten die zukünftigen Huren,
die bereit waren, ihre Möse zu verkaufen, um ihren Lebens-
unterhalt zu verdienen, und die geduldig in den Gängen
der Paläste warteten, die man zu diesem Zwecke gekauft
hatte. Allah ist groß, und die Männer von Samara sind es
ebenfalls.

Ich neckte Leila, die mir jetzt weniger schmollend zuhörte


als vorhin.
»Wärst du unter den Anwärterinnen gewesen, hättest du
nichts verdient, weil deine Höhle verschlossen ist. Es sei
denn ... «
»Es sei was?«
Ich stellte fest, dass die Kleine jetzt eher Fragen stellte, als
sich über meine Worte zu empören.
»Ich glaube, die Männer von Samara hätten viel Zeit und
Eifer dafiir verwendet, dich zu öffnen, um ihren Traum zu
verwirklichen, der darin bestand - wie mein Vater zugab,

I06
I07
achdem wir in einem .. Obstgarten eine Rast einge- »Sie kennen meinen Mann?«, erkundigte sich die Bäuerin
N legt, uns mit ein paar Apfeln gestärkt und an einem
kleinen Bach erfrischt hatten, bogen wir auf den Weg ein,
erstaunt.
Leila fing sich wieder und wandte sich eifrig an die Bäuerin.
der uns nach Samara fuhren sollte. 0 ich danke dir, Ali, mir »Könnten Sie uns eventuell Ihren Mann ausleihen, um nach
gifällt, wie du schreibst, ich liebe diese Vergangenheitiform. Samara zu gelangen?«
Plötz- »Unmöglich. Die Bewohner kennen unsere Männer.«
lich rief uns eine weibliche Stimme: Der Bauer vermied es, in unsere Richtung zu blicken, ob-
»0 ihr Geschöpfe Gottes! 0 ihr Frauenl« wohl er uns erkannt hatte, dessen war ich mir sicher.
Es handelte sich um eine Bäuerin, die wie die Leute aus »Und was für eine Lösung gibt es?«, fragte Leila, die
unserer Landesmitte ein Gewand trug, das aus einem Stück allmäh-
Stoff bestand und über der Brust mit Kleiderspangen ver- lich die Geduld verlor.
schlossen wurde. Auf ihre Stirn war ein Kreuz tätowiert, »Trotz allem dorthin zu gehen«, warf ich ein.
und ihre Hand umklammerte den Hals eines Federviehs, »Man wird Sie für Nutten halten und steinigen.«
das erbärmliche Laute von sich gab. »Oder für Heilige und anbeten«, erwiderte ich, an die Bäu-
»Wohin gehen Sie um Gottes willen?« erin gewandt.
»Nach Samara«, antwortete Leila. »Lassen Sie uns die andere Richtung einschlagen«, schlug
»Vergessen Sie es!« Leila vor.
»Warum?« »Davon rate ich Ihnen ebenfalls ab«, sagte die Bäuerin und
»Sie laufen Gefahr, getötet zu werden.« erwürgte mit der Hand ihr Federvieh, das schon die Augen
»!!« verdrehte.
»Frauen dürfen die Stadt nicht allein betretene, erklärte sie. »Wir warten bis zum Einbruch der Dunkelheit, um die
»Wie Sie sehen, reisen wir ohne Männer.« Stadt zu betreten. Niemand wird uns entdecken.«
»Dann machen Sie schnell kehrt und fuhren Sie den Teufel, »Das wird urnso schlimmer für Sie.«
Gott verfluche ihn, nicht in Versuchung.« Trotz ihres missbilligenden Tons bot uns die gute Bäuerin
Leila schrie plötzlich auf und deutete auf die Gestalt eines ein paar Pfannkuchen an, die sie mit Fett bestrichen und
Mannes, der soeben aus der Hütte trat. mit Thymian gewürzt hatte. Dann empfahl sie uns »Gottes
»Sehen Sie, Tante, ich glaube, das ist der Herr, der uns den Obhut«, wie sie murmelte.
Weg nach Ichq gezeigt hat.« Wir beschlossen, an der Seite des Hügels, der die Stadt
überragte, zu warten. Ein Olivenbaum mit kurzem, aber
knorrigem Stamm schützte uns nicht nur vor unerwünsch-
ten Blicken, sondern bot auch eine atemberaubende Sicht
auf Samara. Wir breiteten unsere Schaffelle aus und wollten

108
109
24.
warten, bis die Nacht ihr letztes Viertel erreichte. Wir woll- »Wenn ich D. glaube, ist das Gegenteil der Fall. Er hat be-
ten dann vor dem Morgengebet Samara betreten. hauptet, dass unser Volk in den Moscheen die Liebeskunst,
ihre Methoden und Wonnen lehrte, dass es ungefähr hun-
Zum Zeitvertreib oder weil sie Gefallen an meinen Unter- dert Bezeichnungen fur Liebe kannte und sie von der ein-
weisungen gefunden hatte, fragte Leila: fachen Form bis zur großen Ekstase beschreiben konnte.«
»Tante, gibt es die Liebe?« »Wer ist D.?«
»Warum stellst du diese Frage?« Ich merkte, dass ich erneut einen Fehler begangen hatte.
»Weil ich mich gerade an Ichq erinnert habe. Wenn es die Da
Liebe wirklich geben würde, läge Ichq nicht in Trüm- ich nicht findig genug war, meine Indiskretion zu vertu-
mern.« schen, sagte ich:

»Wer dir einreden will, dass es die Liebe nicht gibt, ist mit »Ich erzähle dir ein andermal von ihm.«

dem Blinden oder dem Tauben vergleichbar. Er wird nie


den wirklichen Geschmack der Dinge kennenlernen. Wer Doch die Erinnerung an D. kehrte in mein Gedächtnis zu-
nicht lieben kann, ist ein Benachteiligter des Lebens. Er be- rück wie der Geist aus Aladins Lampe. Er saugte an meinen
sitzt den Schlüssel nicht, der die Tür zur anderen Welt öff- Brüsten, ergoss sein heißes Sperma über meine Lippen und
net.« klärte mich darüber auf, was die Geschichte unseres Volkes
»Welche Welt?« lehrte. Zwischen meinen Schenkeln rezitierte er die schöns-
»Die Welt, in der die Uhren anders schlagen, in der das ten Gedichte, bedeckte meinen Körper mit Küssen, die er
Licht unerwartete Reflexe wirft, die das Ausmaß der Tiefe mit Worten der Liebe würzte. Du siehst, Ali, du bist nicht der
kennt, in die sich nur Verliebte verirren mögen. Denn die einzige gebildete Schwanz, den ich in mich aufgenommen
Liebe entwirft das Himmelszelt, versieht die Sterne mit ih- habe.
rem Funkeln und die Nächte mit ihrem Kristall. Die Liebe Vielleicht erzähle ich Leila eines Tages von D., wenn sie
sorgt dafür, dass du dich bewegst, atmest, Worte meine Unterweisungen gut umgesetzt und begriffen hat,
gebrauchst. Was man unter Lust versteht.
Die Liebe, mein Kind, ist ein Geschenk des Himmels, selbst
wenn sie für Leid und Tränen sorgt, selbst wenn der
Wunsch
zu leben ständig der Versuchung ausgesetzt ist zu sterben.«
»Niemand hat je so wie Ihr über dieses Gefühl gespro-
chen.«
»Da du von einem Volk abstammst, das die Liebe verlernt
hat. Schau nur, was aus Ichq geworden ist.«
»Haben wir noch nie lieben können?«

110 111
25.
weg.
»Das ist ein Mann«, flüsterte ich Leila zu, die vor
Überra-
lötzlich ertönte ein Dröhnen. Instinktiv griffen WIr schung die Sprache verloren hatte.
P
war
nach dem Stamm des Olivenbaums. Die Nacht Ein Mann, der von Kopf bis Fuß gefesselt war. Die vier
Frauen wuselten um ihn herum, lachten und stießen
hell und sternenklar. Freu-
Wir lagen reglos auf unseren Schaffellen und denschreie aus, nahmen ihm die Augenbinde ab und
entdeckten, die
wie eine dieser bizarren Maschinen, die vor kurzem Fesseln, die ihn einzwängten. Im Nu war er
von splitternackt,
den Männern mit den blauen Augen ins Land gebracht und das Dingsda zwischen seinen Beinen hing herab
und wie
den Wohlhabenden und den Entscheidungsträgern die Zweige einer Trauerweide. Er war vermutlich noch
des jung, denn sein Körper wirkte sehr kräftig.
Landes, also ein und denselben Personen, angeboten
wur- 112

den, auf unser Versteck zusteuerte. Sie war nur noch


rund
hundert Meter von unserem Baum entfernt. Wir hielten
den Atem an und waren bereit, uns aus dem Staub zu
ma-
chen, wenn diese seltsamen Besucher auf uns
aufmerksam
würden.
Doch es kam anders. Die Maschine hielt an und vier
Frau-
en stiegen aus. Sie trugen schwarze durchsichtige
Gewän-
der und sahen aus wie Feen in Trauer. Eine von ihnen
kehr-
te zum Wagen zurück und öffnete die Hintertür. Ein
Kör-
per fiel heraus, landete auf dem Boden. Sie legten zu
viert
Hand an und schleppten ihn übers Gras vom Auto
Sie zwangen ihn, sich aufzusetzen, und eine der saugte
Frauen be- an einer anderen und führte seine Lippen zum
fahl ihm: »Befriedige uns, Liebster, es ist unsere letzte Venusberg
Nacht der molligsten Frau unter den vieren. Seine
mit dir.« Bewegungen
»0 jal«, fuhr eine zweite fort, »verschaff uns die Wurden ungehemmter, er tätschelte eine Pobacke,
Ekstase, knabber-
wenn du am Leben bleiben willst. Schau, wie wir te an einem Hals, nahm eine Zehe in den Mund und
deinen drang
Zauberstab anhauchen, um ihn zu beleben.« dann in die größte der Frauen ein. Die weiblichen
Sie bildeten einen Kreis um ihn herum und vollführten Gestal-
einen seltsamen Tanz, indem sie einander die Arme ten verwehrten uns den Blick auf den Mann. Dann ent-
um den deckten wir ihn wieder: Sein Schwanz füllte eine Möse
Hals und die Brust legten und mit den Haaren spielten, aus,
die seine Hände stimulierten eine zweite Muschi, während
sie bis zur Taille, einige sogar bis zu den Knöcheln eine dritte Frau vor ihm masturbierte. »[etzt ich!« -
trugen. »Nein
Sie streichelten sich gegenseitig, den Leib und die ich!« Das Geschrei wurde ab und zu durch Stöhnen
Schenkel, und
vollführten Zuckungen mit den Pobacken und die
Bewe- 113
gungen wie beim Liebesspiel. Sie küssten sich auf den
Mund und streiften behutsam ihre Chasubles ab,
lösten ihre
Sarouels und warfen unter lautem Gelächter ihre
Gürtel ab,
dann ihre Hosen. Nackt umgarnten sie ihren
Gefangenen-
dann fielen sie über ihn her.
Als er flach auf der Erde lag, bestiegen ihn alle vier.
Der
Mann schien der Unterworfene zu sein und überließ
sich
seinen Instinkten. Er richtete sich halb auf, wechselte
von
einer zur anderen, knabberte an einer Brustwarze,
26.
vulgäre Worte unterbrochen: »Du bist wahrlich ein Günst- zwei Kinder. Lasst mich nach Hause gehen.«
ling der Natur, die dich mit einem so köstlichen Dieselbe Frau befahl dem Schwarzen:
Zauberstab »Sorg dafür, dass man ihn nicht lebend wiederfindet.«
ausgestattet hat, mein Prinz. Verglichen mit dir, sind Das mechanische Ungeheuer entfernte sich mit seinen
unsere In-
Ehemänner nur Eunuchen. Durchbohr mich, mein Lieb- sassen. Ein paar Minuten später war kein Laut mehr zu
ling. Ich bin deine Sklavin, deine Frau, deine Hure.« ver-

Das Schauspiel zog sich mindestens zwei Stunden hin. II4

Da
ich völlig in den Anblick versunken war, konnte ich nicht
ahnen, welche Wirkung er auf die Kleine ausübte. Ich
muss
zugeben, dass einige dieser Gruppensex-Handlungen so
schockierend waren, dass ich versucht war, ihr die Augen
zuzuhalten. Wenn Leila erfahren soll, was Liebe
bedeutet,
dachte ich, ist das nicht gerade ein erhebendes
Schauspiel.
Doch ich hielt mich zurück und sagte mir, dass es für sie
von Vorteil wäre, die Heuchelei der Frauen kennenzuler-
nen und zu entdecken, was es mit den Nächten in
Samara,
der ach so Tugendhaften, auf sich hatte.
Plötzlich klatschte eine der Frauen in die Hände, und ein
hochgewachsener Schwarzer tauchte wie der Leibhaftige
aus der Finsternis der Maschine auf.
»Nimm ihn mit und kümmere dich um ihn.«
»Nein«, schrie der Gefangene. »Das tut ihr mir nicht an.
Ihr
habt mir das Leben versprochen.«
»Du Scheißkerl, zwischen unseren Beinen hast du die
Ge-
fahr vergessen.«
»Ich bin ein Fremder in eurer Stadt, ich habe eine Frau
und
nehmen, kein Schatten mehr zu sehen, lediglich die zum Orgasmus zu kommen. Sie erzählten mir ihre un-
schwar- glaublichsten Sexspiele, ich musste ja nicht daran
ze Unendlichkeit der Nacht, in der noch immer das teilneh-
Stöhnen men. Ich war immer einverstanden, mit dem Ohr einge-
und die Schreie des makabren Schauspiels widerhallten. weiht zu werden, aber nicht mit dem Hintern.

»Was werden sie mit ihm machen?«, fragte Leila wie be- II5
täubt.
»Sie werden ihn in einen Brunnen werfen oder lebendig
begraben.«
»Warum?«
»Der Ehemann, der seine Frauen einsperrt, um sich ihrer
Tugend sicher zu sein, ist ein Idiot.«
»Ich verstehe nicht.«

Ich spürte Leilas Fiebrigkeit. Das junge Mädchen vom


Dorf,
das nie zuvor so ·etwas gesehen hatte, war schockiert.
Sie
entdeckte, dass Sex mit mehreren Personen stattfinden
kann, außerhalb des legitimen Rahmens, ungeachtet der
Moral. Ich wusste Bescheid darüber, und ich hätte es
vorge-
zogen, dass Leila die schöne Seite der Liebe kennenlernt
und nicht die Laster und Perversionen, also ihre
Kehrseite.
Ich persönlich brauche keine speziellen Hilfsmittel, um
feucht zu werden, auch kein Theater, um zum Orgasmus
zu
kommen. Gott hat mir die Gnade erwiesen, mit
einfachsten
Mitteln zur Ekstase zu gelangen. Ich brauchte nur einen
Mann mit angenehmem Äußeren und einem
unersättlichen
Schwanz! Hinterher kann ich mir anhören, wie meine
Liebhaber sich die ausgefallensten Dinge ausdenken, um
27.
Leila fuhr stockend fort: »Der Gefangene hat doch nichts heute genug über die unergründlichen Wege der Liebe.
getan. Ihn trifft keine Schuld.« Und in Samara schlugen selbst die Bauern die
»Er steht symbolisch für alle Ehemänner, für die er büßen ungewöhn-
muss. Das ist ein Naturgesetz.« lichsten Wege ein.
Sie schien nachzudenken. Dann erklärte sie: »Ich kann
die-
se Stadt nicht betreten.« II6
»Warum?«
»Eine Stadt, in der die Männer und die Frauen Heuchler
und Verräter sind, verdient es nicht, besucht zu werden.«
Ich fugte mich ihrem Willen, war fast geneigt, mich ihrer
Meinung anzuschließen. Wir beschlossen,
zurückzugehen
und bei der Bäuerin Obdach zu suchen.
Als wir unser Ziel erreichten, war es noch dunkel.
Ein Geräusch erregte meine Aufinerksarnkeit, als wir den
Stall entlanggingen. Ich ließ Leila vorausgehen und
lausch-
te aufinerksam.
Stoßartiges Atmen und das Keuchen eines Tiers ließen
mich stehen bleiben. Ich beugte mich über das
Mäuerchen
und sah, was Gott an seinen Geschöpfen am meisten
hasst:
Der Ehemann der Bäuerin hatte, die Dschellaba bis zu
den
Schenkeln hochgezogen, sein Glied in seine Eselin
gescho-
ben.
Ich entfernte mich auf Zehenspitzen, empört über die Un-
dankbarkeit der Männer, die das Hinterteil der Tiere der
Möse ihrer Frauen vorzogen. Ich war nur froh, dass
dieser
Anblick Leila erspart blieb. Das Schauspiel, das sich vor
einer Stunde vor ihren Augen abgespielt hatte, lehrte sie
für
Leila blieb stehen und ich ebenfalls. In der Talmulde
leuch-
tete ein purpurrotes Feld. Noch nie hatte ich eine so blut-
rote Pflanze gesehen, so glatt und einheitlich.

D er Morgen warf sein weißes Band über das Land.


Wir
ließen Samara, seine Bacchantinnen der Nacht und
»Das sind keine Pflanzen«, korrigierte Leila, die bessere
Au-
gen hatte als ich. »Das sieht aus wie Vogelscheuchen.«
seine Bauern, die es mit Eselinnen trieben, hinter uns zu-
rück. II7
Leila bewegte sich leichtfüßig und mit hocherhobenem
Kopf. Ich hatte den Eindruck, dass sie immer schöner
wür-
de. Die Reise verlieh ihr anmutige Bewegungen, die
frische
Luft den Teint eines Pfirsichs.
Wir marschierten den ganzen Vormittag und wollten in
der
Hütte eines Heiligen Quartier suchen, sofern uns die
Nacht
vor unserer Ankunft in Zouirat überraschen sollte.
Erstaunt
stellten wir fest, dass die Gegend viele Mausoleen und
Ma-
rabut-Hütten aufwies, denn es gab keinen Hügel ohne
das
runde Dach einer zaoui'a (Wohnstatt eines Marabuts) oder
der Spitze eines Minaretts. Hier herrschte eine
Atmosphäre
der Religiosität, und die Wolken des Aberglaubens
verdun-
kelten den Horizont. Je mehr wir uns den Dörfern der
Sahcl-Region näherten, desto karger wurde die Vegeta-
tion. Die Hügel, die sich in der Ferne abzeichneten, wa-
ren bereits sehr licht und erinnerten an einen halb kahlen
Schädel.
»Tante, sehen Sie nur!«
28.
Als wir näher kamen, stellten wir fest, dass es sich um »Heute Nacht können Sie hier bleiben, aber morgen
Dut- müs-
zende von Fähnchen handelte, die um dichtes Schilfrohr sen Sie sich wieder aus dem Staub machen.«
gebunden waren, wie Käppchen, die über Ruten gestülpt »Sie sind Zouhours Gäste«, ergänzte die Rothaarige.
wurden. Besagte Zouhour mit dem einladenden Hinterteil und den
Kaum hatten wir das merkwürdige Feld in Richtung Hü-
gel urnrundet, stießen wir auf einen Weiler, der zwischen II8

zwei Baumgruppen eingebettet lag. Kleine Gruppen von


Frauen ohne Schleier unterhielten sich vor Strohhütten.
Sobald sie uns gewahr wurden, stellten sie ihre Unterhal-
tung ein. Einige erhoben sich, während andere uns
muster-
ten, immer noch im Sitzen, die Hand über die Augen ge-
legt, um sich gegen die pralle Mittagssonne zu schützen.
Allem Anschein nach waren wir nicht willkommen.
»Was suchen Sie hier?«, fragte eine Rothaarige mit
langen
Haaren und männlich klingender Stimme.
»Wir wollen nach Ranger, aber ich glaube, wir haben uns
verirrt.«
»Die Stadt Ranger? Das sind zu Fuß noch mindestens
drei
Tage.«
Etwas an diesen Frauen verriet Mut,
Besorgnis,Angriffslust
und Verzweiflung. Ich kenne meine Neugier. Sie richtet
sich auf wie eine Gerte, die sich erst wieder biegt, wenn
sie
befriedigt wurde.
»Können wir Ihre Gastfreundschaft in Anspruch
nehmen?«
Die Frauen sahen sich an und flüsterten miteinander.
Dann
erklärte eine hochgewachsene Dame, eine üppige Frau
um
die vierzig, den Blick aufLeila geheftet:
Mandelaugen gab ein Zeichen, und die Frauen und sind oft für Monate abwesend.«
zerstreuten Wir unterbrachen unsere Unterhaltung aus Angst, gehört
sich. Wir folgten unserer Gastgeberin in ein baufälliges Zu werden oder zu stören. Die Müdigkeit von der Reise
Haus, in dem sich fünf Frauen aneinanderschmiegten, ließ uns auf eine gastfreundliche Nacht hoffen.
Was-
serpfeife rauchten und Holzfächer in der Hand hielten. II9
Wir
nahmen geräuschlos Platz, doch sie würdigten uns kaum
eines Blickes.
Plötzlich fing eine der Frauen an zu singen. Das klang so
melancholisch, so traurig, dass Tränen in Leilas Augen
glit-
zerten. Doch ich blieb misstrauisch und auf der Hut.
Als der Gesang beendet war, erhoben sich die Jüngsten,
breiteten in der Mitte des Raums eine Matte aus und ser-
vierten das Essen: Maisfladen, Schafskäse, Honig und
Wei-
zenkuchen.
Es wurde kein einziges Wort gesprochen. Nach dem
Essen
kehrten sie zu ihren Liegen zurück, und wir folgten ihrem
Beispiel.
»Tante, ich habe weit und breit keinen Mann gesehen«,
flüs-
terte Leila mir zu.
»Du hast dir aber Zeit gelassen, das zu entdecken, mein
Kind. Ich errate das Fehlen von Männern an der Zusam-
mensetzung der Luft.«
»Wie erklären Sie sich
das?«
Ich dachte nach.
»Wir befinden uns vermutlich in einem Dorf, in dem tags-
über keine Männer sind, weil sie auf den Feldern oder in
den umliegenden Dörfern arbeiten. Einige sind vielleicht
sogar noch weiter entfernt, arbeiten in den großen
Städten
Leila weckte mich. Sie stand am Fenster, die Nase an die
Scheibe gepresst.
»Tante, ich habe einen Mann gesehen.«
Ich blickte mich um. Der Raum war leer, keine Spur mehr
m nächsten Morgen wurden wir geweckt. Die Haus-
von den Frauen, die neben uns geschlafen hatten.
Ich erhob mich ebenfalls und steuerte auf die Tür zu. Zu
meiner größten Verblüffung war sie abgeschlossen. Ich trat
A herrin saß draußen unter einem Maulbeerbaum, ihr
mit roten Blumen besticktes Kleid war bis zu den Knien
zu Leila ans Fenster, und tatsächlich, beim Barte des Pro- hochgerutscht, und sie stocherte im Feuer eines Kohlebe-
pheten, eröffnete sich mir folgender Anblick: Ungefähr ckens herum, auf dem Wasser kochte. Ich nutzte die Gele-
dreißig Männer traten mit gesenktem Blick in einen Kreis genheit, sie anzusprechen, und bemerkte herausfordernd:
von Frauen, die schweigend dastanden. Alle hatten schon »Gestern Abend waren wir eingeschlossen, aber Sie haben
ein gewisses Alter, kein einziges junges Mädchen war dar- das Fenster vergessen.«
unter. Unsere Gastgeberin, die ohne Zweifel hier das Sagen Sie erwiderte, ohne mit der Wimper zu zucken: »Ich zweif-
hatte, wies jedem Mann eine Hütte zu. Dieser verschwand le keine Sekunde daran, dass es so war. Ich würde sogar
sogleich hinter einem Vorhang, der als Tür diente. behaupten, dass ich nichts unternommen habe, um Sie dar-
Als die Frauen allein blieben, stellten sie sich im Kreis um an zu hindern zuzusehen. Mir war klar, dass Sie neugierig
ein großes Kupferbecken und warteten. Leila und ich hiel- werden und die Geräusche Sie aufwecken würden. Wissen
ten unsere Stellung am Fenster und wechselten uns ab, um Sie, wir haben Sie sehr wohl am Fenster gesehen.«
nichts zu verpassen. Seufzend fugte sie hinzu:
Eine Stunde später bewegten sich die Männer erneut im »Aber warum sollen wir vor Ihnen verheimlichen, was die
Gänsemarsch. Dieses Mal gingen sie nacheinander am Be- ganze Gegend längst weiß?«
cken vorbei, und jedes Mal hörte man, wie Metall gegen »Folglich hatte es gar keinen Sinn, uns einzusperren.«
die Kupferwände schlug. »Sie sind Fremde, und wir müssen Sie schützen, auch vor
diesen Männern mit dem harmlosen Aussehen.«
Später, als die Männer in der Ferne verschwunden waren, Schweigend schürte sie erneut das Feuer. Die Sonne, deren
sahen wir, dass die Frauen sich zu ihren Hütten begaben. erste Strahlen tapfer gegen die vielen Wolken aus dem Os-
Schritte näherten sich auch unserer Hütte. Wir ließen uns ten kämpften, färbte den Himmel rot.
schnell auf unser Lager fallen und taten so, als schliefen wir »Ich werde es Ihnen erzahlen«, verkündete unsere Gastge-
tief und fest. berin ohne Zögern.

120 121
29.
Und sie begann ihren Bericht. Nicht weit von hier lebte Unvermittelt fragte mich Zouhour: »Ist Ihre Tochter Jung-
der Stamm der Reinen, Nachfahren von Sidi Tahir, fiir frau?«
den »Von Kopfbis Fuß.«
alle Frauen Huren waren, die man auch als solche Sie überhörte meine Bemerkung.
behan-
deln musste. Fatwa war von ihrem Scheich dazu 122
bestimmt
worden, die weiblichen Nachkommen weit entfernt vom
Dorf in einem speziellen Lager unterzubringen, um nicht
das Heil der Gläubigen dieser und der anderen Welt zu
ge-
fährden. Einmal im Monat kamen die Männer herauf, um
mit den Frauen zu schlafen, und gingen dann wieder hin-
unter. Die Mädchen, die diesen Verbindungen
entsprangen,
blieben hier, um später ihre Jungfräulichkeit den Reinen
anzubieten. Die Jungen wurden von alten Damen, die in
einem anderen Bereich eingeschlossen waren,
aufgezogen
und schlossen sich dem Stamm erst wieder in der
Pubertät
an. Nachdem die Männer befriedigt waren, bezahlten sie
fiir die Jungfernhäutchen, die sie zerstört hatten, und die
Frauen konnten mit dem Geld bis zum nächsten Monat
auskommen.
Ich fragte nach der blutroten Farbe der Blumenwiese.
»Ja«, bestätigte Zouhour, »jedes junge Mädchen, das in
der
Nacht entjungfert wurde, muss im Morgengrauen ein rot
beflecktes Laken über einen Strauch breiten. Anderswo
präsentiert man das Blut der Jungfrauen wie eine
Trophäe;
hier ist es ein Zeichen der Niederlage. Man verabschiedet
sich von seiner Jugend, um sich auf das Geschick als
Verlas-
sene vorzubereiten.«
»Man hätte ihre Jungfräulichkeit für Geld verkaufen vor,
sollen, bei uns zu bleiben. Unsere Männer kehren in einem
sie hätte viel eingebracht.« Monat
»Auf keinen Fall«, erwiderte ich. Zurück. Ich bin davon überzeugt, dass sie das
»Warum? Wir besitzen die Möglichkeiten, das Hymen Jungfernhäut-
wie- chen Ihrer Tochter überwinden werden, und wir teilen uns
der herzustellen. Sie sind doch wohl nicht so töricht wie das Geld. Auf diese Weise verfugen Sie auch über die
diese Männer und glauben, dass wir jeden Tag finan-
Jungfrauen in ziellen Mittel, Ihre Reise fortsetzen zu können.«
Tellouja vorweisen können?«
»Ich verstehe«, erwiderte ich. »Bei Leila geht es weniger
3
12

dar-
um, ihre Jungfräulichkeit zu bewahren, als sie zu
verlieren.«
Zum ersten Mal verriet das Gesicht von Zouhour Überra-
schung.
Ich musste es näher erläutern.
»Das Fräulein ist versiegelt, was ihren Kavalieren euuge
Probleme bereitet haben dürfie.«
»Canz im Gegenteil, das wäre eine einmalige
Gelegenheit
gewesen«, rief Zouhour mit einer Begeisterung, die ich fiir
gespielt hielt. »Unsere Kavaliere, wie Sie es so schön
ausdrü-
cken, sind fiir solche Fälle bestens gerüstet. Die Stadt,
die
Arbeit und der Frust hungern sie aus. Die Erwartung heizt
sie auf. Sie klettern diesen mühsamen Weg hinauf und
ge-
ben Unsummen dafür aus. Ich versichere Ihnen, niemand
kann es ihnen gleichtun, wenn es darum geht,
widerspens-
tige Mösen willfährig zu machen.«
Ich enthielt mich eines Kommentars.
Zouhour schwieg und schien ernsthaft nachzudenken.
»Nun«, stieß sie schließlich hervor, »ich schlage Ihnen
Ich zog es vor, Leilas Unschuld bis auf weiteres zu bewah-
ren, und bemerkte: »Wir müssen uns verabschieden.«
Sie legte die Hand auf meinen Schenkel und sagte mit selt-
samer Stimme:
»Bei uns dauert Gastfreundschaft zwei Tage und zwei
Näch-
te. Ihr würdet uns beleidigen, wenn Ihr früher aufbrecht.«
W ir schickten uns an, unsere zweite Nacht in diesem
seltsamen Frauenlager zu verbringen, als ich sah,
wie Zouhour auf unsere Hütte zusteuerte. Leila schüttelte
gerade eine Decke aus.
Unsere Gastgeberin nahm mich zur Seite, und ich merkte,
wie sie das junge Mädchen intensiv musterte.
Sie sagte unverblümt:
»Ich spüre, Sie sind eine Frau, die sich in der Liebe aus-
kennt. Ich gestehe Ihnen frei heraus: Ich habe schon seit
langem nicht mehr die Freuden der Liebe genossen ... «
Ich fragte schlagfertig, wobei ich sie duzte:
»Was kann ich fiir dich tun?«
»Ich hasse die Männer, weil sie unsere Mädchen entjung-
fern. Und ich liebe die Mädchen wegen ihres Unglücks.«
»Die Männer haben es dir also nicht besorgt, wie es sich
gehört.«
»Ich ziehe ihren Liebkosungen die meines Geschlechts
vor.«

Es bedurfte keiner weiteren Worte, damit ich das Problem


der Vierzigjährigen begriff.
»Leila?«
»]a, ich will deine Gazelle. Ich kann ihr beibringen, wie süß
die Haut einer Frau sein kann.«
»Aber sie muss erst die eines Mannes kosten.«
»Setz sie nicht der Brutalität aus, bevor sie die Zärtlichkeit
kennengelernt hat«, sagte Zouhour mit flehender Stimme.
»Lass sie erst die angenehmen Wege kennenlernen, bevor

4
12
125
30.
sie mit schroffen Felsspitzen konfrontiert wird. Tauch wand erhoben, als meine Finger mit ihrem Körper
sie spielten.
erst in liebliche Bäche, bevor sie Bekanntschaft mit Sie fragte mich, was ich da tue. Ich erwiderte, nichts, ich
reißen- er-
den Strömen macht. Wenn man sich auf das eigene kunde dich. Ich nehme dir den Bann. Du kannst dich morgen
Ge- ungeniert öffnen, und weißt du, ich tu es ohne ein Dingsda zwi-
schlecht einlässt, fallen die Schicksalsschlage milder schen den Beinen. Sie entspannte sich, und meine Haut
aus.« streif-
»Lass mich nachdenken«, sagte ich. te ihre. Es ist nichts Schlimmes, einfach unter Frauen,
Doch in Wahrheit war mein Entschluss bereits gefasst. du
wirst deine Jungfräulichkeit nicht einbüßen, empfängst
Es war mitten in der Nacht, als die Anweisung erging, aber
dass deinen Mann viel leichter, das ist die wahre Magie!
Leila anderswo schlafen würde. Sie maulte, weil sie Lange
nicht habe ich mit ihrem Haar gespielt, beide Ohrläppchen
von mir getrennt werden wollte. ge-
»Du wirst bei unserer Gastgeberin schlafen. Sie hat
An- 126

spruch auf ein Zimmer für sich. Du wirst dich mit ihr
bes-
ser amüsieren als mit mir, und niemand wird
schnarchen.«
Sie gab nach und ließ sich zu einer komfortableren
Hütte
geleiten, die eine echte Holztür besaß.
Ich schlief friedlich ein und erwachte erst, als ich Leilas
Schritte hörte. Ich vermied es, ihr Fragen zu stellen,
und
wartete bis zum Morgen, um mit Zouhour zu reden.
Sie saß vor ihrer Tür und kämmte energisch die Wolle
auf
ihren Knien.
»Honig, Honig«, säuselte sie, bevor ich auch nur ein
Wort
sagen konnte. »Natürlich hat deine Gazelle anfangs
Ein-
küsst. Ich habe ganz sanft ihre Brust gestreichelt, ihre man
Ro- hätte behaupten können, dass ihre Klitoris eine eigene
setten stimuliert. Ich umkreiste mit Küssen ihre Sprache pflegte, die Blutgefäße blähten sich, und ihre
Knospen Knos-
und hatte den Eindruck, um einen Tempel zu pe öffnete sich mit ihren Blumenkronen und
schreiten. blubbernden
Dann ließ ich meine Lippen weiter nach unten Blasen. Es war mehr als ein Springbrunnen, ein
wandern, Garten, den
umspielte ihren Bauchnabel, mit dem unbändigen ich erblühen sah, eine sprudelnde Quelle, die jedes
Durst Mal,
des Raubtiers, das sich in unmittelbarer Nähe seiner wenn man daraus trank, das Verlangen nach mehr
Was- erweckte.
serstelle befindet. Sie hatte einen zuckersüßen Ich öffnete ihre prachtvollen Schenkel und ließ meine
Geschmack, Zunge spielen, erst sanft und spielerisch, dann
der mich an die Küche der Chaouis, der Berberinnen entschlossen
auf und hartnäckig. Ich hielt inne, als ich ihre
den Hochebenen, erinnerte.« Verkrampfung
»[a, ich weiß.« spürte, um dann noch viel leidenschaftlicher
»Ich habe ihre Schamlippen behutsam gespreizt, fortzufahren,
liebkost, liebkoste ihre Ritze mit ausdauernden Bewegungen,
dabei vermieden, ihr weh zu tun oder im falschen sparte
Moment bewusst die Klitoris aus, kehrte dann wieder zu ihr
einen Finger einzufuhren, während ich ihren zurück,
Venushügel
küsste. Du sagst mir, an welcher Stelle dir das gifällt. Ich 127
legte
behutsam den Finger auf ihre rosige Knospe und
spielte mit
ihr wie mit einem Couscouskorn. Sie erblühte,je länger
ich
sie streichelte, streckte den Kopf heraus, eine kleine
Eidech-
se, angelockt durch die Sonne. Ihr Schwellkörper fing
an,
seinen Nektar abzugeben, den ich auffing. Seltsam,
31.
128
leckte sie, stimulierte sie, wich ihr aus und wandte mich
ihr
wieder zu, noch ungestümer.
Ich vernahm, wie sie rief: Aujhören, ich kann nicht mehr.
Etwas
versengt mich, es strömt aus mir heraus, ich werde sterben. -
Du
wirst nicht sterben, meine Gazelle des Sandes, erklärte ich
ihr.
Du wirst leben, und zwar lange. Mach dir keine Sorgen, ich
liebe
dich, ich nehme dich in mich auf, ich lecke dich, mein Herz.
Auch
ich komme. Meine heijJe Muschi, meine göttliche Klitoris. Wir
sind
nur noch eins.«

Als Zouhour ihren Bericht beendete, wusste ich nichts


mehr zu sagen, da ich mich ganz auf meine Weiblichkeit
konzentrierte, die feucht geworden war.
blick so vieler Balkone, Terrassen und Minarette, die den
Blick zum Himmel versperrten. Auf der Straße wimmelte
es von Karren, Pferdedroschken, fahrenden Händlern.
Überall fand man Männer mit Turbanen, Männer, die in
evor wir uns verabschiedeten, empfahl den Anzügen von Fremden steckten, verdreckte Kinder,
B mir Zouhour,
die Stadt Zouirat zu besuchen, da man sich
Krüppel, Blinde und Schlangenbeschwörer.

dort güns- »Nun, lalla, wie wär's mit einem schönen


tig Lebensmittel und Kleidung besorgen Tuch?«
könne - sie wuss- »Wie viel kostet es?«
te ja nicht, dass die Börse, die wir dem »Einen Dirham.«
Ölhändler abgenom-
men hatten, unsere Ausgaben noch längere
129
Zeit decken
konnte -, und sie empfahl uns, dort zu
übernachten, bevor
wir den Weg nach Ranger einschlugen.
Den ganzen Pfad entlang wirkte Leila
verändert, und ich
war nicht so taktlos, sie ihrer Zerstreutheit
wegen auszu-
fragen. Schließlich hatte sie Anrecht auf ein
kleines Ge-
heimnis. Geheimnisse verleihen das Gefühl,
erwachsen zu
werden, und erwecken die Illusion, eine
gewisse Bedeutung
zu besitzen.
Wir sahen jetzt Zouirat vor uns, und die Luft
war selt-
samerweise voller Feuchtigkeit und Salz,
obwohl die Stadt
noch weit entfernt von der Küste war. Leila
schüttelte ihre
Benommenheit ab und äußerte ihr
Erstaunen beim An-
32.
»Bist du verrückt? Das ist ja ein Vermögen.« ten des Jungen waren ausgreifender geworden, und in
»Einen Kopf wie den Ihren mit einem Tuch zu schmücken sei-
ist unbezahlbar.« nen Augen funkelte ein ungewöhnliches Licht. Dieses Mal
»Schwör mir, dass es aus Seide ist.« empfand ich einen leichten Stich bei der Vorstellung,
Ich wusste, dass es Seide war, tat aber so, als ob ich dass
daran ich nicht mehr in dem Alter war, in dem man sich jedes
zweifelte. Ich fugte noch hinzu, dass das Karo zu klein Abenteuer erlauben konnte, für mich blieben nur die
sei sprachlichen Kühnheiten. Das ärgerte mich. Denn wenn
und die Motive grob. Ich handelte unerbittlich und der
Verkäufer noch unerbittlicher. 130
Eine Menge versammelte sich um uns, Gebrüll brach
aus,
und ein Haufen Kinder wuselte zwischen meinen Beinen
umher. Als ich mich umwandte, war Leila verschwunden.
Ich fragte den Verkäufer, ob er das junge Mädchen in
meiner
Begleitung gesehen habe. Er erwiderte, seine Nase hätte
ein
süßes Mädchen neben mir sofort gewittert, wenn da nicht
etwas anderes gewesen wäre ...
Ich überhörte die Dreistigkeit dieses Jungen. Es passierte
mir häufig, mit solch erstaunlicher Schamlosigkeit von
Männern angesprochen zu werden. Ich empörte mich
sel-
ten, weil ich wusste, dass man mir die Lust am Sex
ansieht
und spürt, dass die erahnte Begierde des Fleisches die
Tür
fur die Zügellosigkeit des Wortes öffnet.
Als ich mich entfernte, um meinen Schützling zu suchen,
drehte ich mich noch einmal um und sah, wie der
Verkäufer
gerade mit einem jungen Fräulein handelte - man konnte
es aus der Art, wie sie den Schleier trug, schließen. Die
Ges-
der natürliche Drang der jungen Leute sich ebenfalls auf Liebe, wie ihre Mutter es nennen würde, festgehalten
junge Leute richtet, fuhrt mich mein Temperament dort- wur-
hin, wo ich befriedigt werde, ungeachtet des Alters der de. Aber ich wollte mir nicht in allen Sackgassen, in
Kandidaten. Im Übrigen spürte ich irgendwann das denen
Verlan- das Schild eines Bordells leuchtete, die Beine in den
gen, einen unberührten jungen Mann in die Liebe einzu- Bauch
fUhren, wie meine Liebhaber mich einst eingeführt stehen.
hatten. Als ich die verriegelten Türen der angrenzenden Häuser
Auch wenn das Schicksal mir nur erwachsene Liebhaber
bescherte, gab ich lange Zeit die Hoffnung nicht auf, 131
einen
Jüngling in die Liebe einfuhren zu dürfen. Er sollte un-
schuldig und wild sein, und meine Mandel sollte ihn faszi-
nieren und verzaubern. Er sollte mich mit naivem Unge-
stüm und Leidenschaft nehmen. Und nachdem ich mich
ausreichend mit ihm befasst hätte, würde ich ihn wieder
entwöhnen.

o Ali! Lies mir das noch mal vor! vvenn ich deine vu,rte hore,
steigt Erregung in mir auf Und jede vvette, bei dir auch.
Wusstest
du, dass das Schreiben Körper und Seele schmeichelt? Nun,
das ist
ein zusätzliches Vergnügen, das du mir schuldest, mein
verehrter
Schulmeis ter!

Ich streifte eine Stunde lang vergebens durch die Stadt.


Mutlos geworden, lehnte ich mich an die Mauer eines
Hauses mit stattlichen Türen, über denen zwei rote
Gaslam-
pen angebracht waren. Mein Herz zog sich bei der
Vorstel-
lung zusammen, dass Leila in einem Haus der
schmutzigen
musterte, bildete ich mir ein, den Geruch der Wollust ein- qualmte. Sie stellte mir keine Fragen, erkundigte sich aber
zuatmen, der durch die Fugen entwich. Ich stellte mir vor, auch nicht nach meinem Gesuch. Sie gab Kaffee in das ko-
wie der träge Körper der jungen Konkubine auf der Brust chende Wasser und bot mir eine Tasse davon an. Sie bat
ihres Ehemanns ruht, und erinnerte mich an die Zeit, in der mich, den Kaffeesatz übrig zu lassen, was ich auch tat, da
ich H. verwöhnte. Ich setzte mich auf seine Knie, lasziver als ich
eine Odaliske. Dann erhob ich mich, drückte ihm ein Tam- den Brauch kannte. Sie murmelte:
burin in die Hand und begann, mich im Rhythmus des »Ich sehe sie, sie ist nicht sehr weit weg, sie trauert nicht um
Instruments zu entkleiden, damit die gesamte Nachbar- dich, sie sucht dich auch nicht. Ich sehe, wie sie marschiert,
schaft am Klang des Tamburins hören konnte, dass ich mit immer weiter ... sie möchte den Schatz entdecken. Aber
meinem Liebhaber schlief. Es war das einzige Mal, dass ich hab keine Angst, du wirst sie wiederfinden, und sie wird
im Hause eines Liebhabers schlief, der sich als mein Mann den Schatz finden.«
ausgab. An den Tagen, an denen kein Laut zu hören war,
nahmen die Megären an, ich sei krank oder verschwun- Ich habe immer an Hellseherinnen geglaubt und die Ora-
den. kel respektiert. Ich schob die Aussage der alten Frau in die
hinterste Ecke meines Kopfes, bemüht, mich so wenig dar-
Ich hatte Angst vor dem Einbruch der Nacht. Kein Mäd- um zu kümmern wie um eine schwierige und wenig hilfs-
chen wagte sich mehr hinaus, kein ehrenwerter Schnurr- bereite Nachbarin.
bart, nur noch streunende Katzen und Betrunkene. Ich Ich denke, es ist mein Wesen, abergläubisch und aufvorher-
richtete mich auf und zog, ohne nachzudenken, an der ers- sagen fixiert zu sein und die großen Gefühle dem festen
ten Klingel, die mir in die Hände fiel. Glauben vorzuziehen.
Ein schwarzer Riese streckte den Kopf durch eine Klappe.
»Haben Sie zufällig ein junges Mädchen vorbeigehen se- Ich fand meine Schutzbefohlene tatsächlich eine Stunde
hen?« später wieder, am Stadtausgang. Sie saß auf der Treppe
»Niernanden«, erwiderte der Riese kurz angebunden. Doch einer
dann besann er sich eines Besseren: »Gehen Sie zu Karawanserei. Ich stürzte mich auf sie:
Hadscha »Was tust du hier?«
Fattouma, sie kann Ihnen weiterhelfen. Dort in der Seiten- »Ich wusste, dass Sie mich finden werden.«
straße.« »Wie kannst du es wagen fortzugehen, ohne mir Bescheid
Ein kleines Mädchen öffnete mir die Tür. Ich befand mich zu sagen?«, erregte ich mich.
in einem Hof, der zur Hälfte vom Hinterteil einer älteren »Ich wollte uns eine Unterkunft für die Nacht besorgen.«
fettleibigen Frau eingenommen wurde. Sie beobachtete die »Gib zu, dass du ohne mich weitergehen wolltest. Und
Flammen eines Kohlebeckens, auf dem ein Kupfergefäß Warum nicht einfach ungeniert herumvögeln, du undank-
bares Oeschöpfl«
1]2

133
------------------------------------------------------~~ ..
------------------------------------------------------~.
33.
Ich wurde immer lauter und scherte mich einen Dreck
um
die empörten Blicke der Passanten, denn plötzlich
wurde
er Inhaber der Karawanserei empfing uns
mir das Ausmaß der unangenehmen Lage bewusst, in
die D sogleich,
und ich trug ihm unsere Bitte vor: Wir wollten uns
mich Leilas Verschwinden gebracht hätte.
ein oder zwei Tage ausruhen und in Naturalien
bezahlen,
das heißt durch unsere Hilfe im Haushalt. Ich wollte
das
Geld, das wir dem Ölhändler stibitzt hatten, nicht unbe-
dingt ausgeben. Man kann ja nie wissen, nicht wahr?
Er war ein hochgewachsener Kerl mit einem
osmanischen
Schnurrbart und sprach den Dialekt der Inseln. Er war
nicht
verheiratet und beschäftigte als einzige Hilfe einen
Koch
mit einem goldenen Händchen, wie er uns versicherte,
des-
sen Gesundheit jedoch so angeschlagen war, dass er
ihn re-
gelmäßig entlasten musste. Er zeigte uns die Küche
mit den
Herden, öffnete Schränke und erklärte uns den Inhalt
der
Flaschen und Krüge, die in der Speisekammer
aufgereiht
standen.
Bei diesem Rundgang ließ er Leila keine Sekunde lang
aus
den Augen. Begierde liegt in der Luft, und ich
beobachtete
ihn heimlich. Wir sollten uns in Acht nehmen: Ein
134 Mann
mit der Gestalt eines Kriegers, mit starker
Körperbehaa-
rung und Muskeln aus Stahl, war sicher auch ein
Mann, der
mit seiner Waffe umgehen konnte. So allein, ohne
weibli-
chen Anhang, schien er wie geschaffen, um
widerstrebende
Mösen zu besiegen und in den Grotten, in denen die
Eis-
zeit herrschte, das Feuer zu entfachen, denn er hatte
nichts
anderes zu tun, als die wenigen männlichen Gäste zu
zäh-
len, die die Schwelle seines Gasthofs überschritten.
Ange-
sichts dieser geballten Männlichkeit, die einem
unberühr-

135
34.
tenjungen Mädchen, dem das Verlangen an der finden, sind unfähig, in der Köstlichkeit zu schwelgen, ei-
Nasenspitze nen Schwanz zu lutschen, und werden nie erfahren, was
anzusehen war, gegenübertrat, bestand nicht wenig das
Anlass Wort -Ekstasec wirklich bedeutet. Also genieße die
zur Sorge. Wir fiihrten den Teufel persönlich in Versu- irdischen
chung! Leckerbissen und verwöhne den Mann, den du lieben
Als wir die Treppe hinaufstiegen, erklärte er: »In dieser wirst.
Jah- Sein Schwanz vollfiihrt einen Freudentanz, wenn er deine
reszeit gibt es hier nur wenig Gäste. Sie können zwei Düfte verspürt, und das Wasser läuft ihm im Mund
Zim- zusam-
mer bekommen,jede eines.«
Wir gingen zu zweit in den Hof, und Leila entdeckte voller 136
Verwunderung, dass Männer genauso kochen konnten
wie
Frauen.
»Und wie steht's mit dir? Kannst du kochen?«, fragte
ich.
»Nein, und ich habe auch keine Lust dazu.«
»Zum Lieben auch nicht?«
»Was gibt's denn da für einen Zusammenhang?«
»Das ist dasselbe wie Kochen. Wenn man alle
Geschmacks-
richtungen unterscheiden kann, ist man auch für die
Liebe
begabt.«
»Das verstehe ich nicht ... «
»Eine Lügnerin ist die Frau, die dir vormacht, das
Geheim-
nis der Wollust und der Sinnesfreuden zu kennen, ohne
Spaß am Kneten und Mahlen zu haben, daran, mit den
Händen im Teig zu wühlen, Honig und Butter zu schme-
cken und herzhaft in zartes Fleisch zu beißen und es
genie-
ßen zu können. Die Wankelmütigen nehmen am Bankett
der Sinne nicht teil, denn jene, die keinen Spaß am
Essen
men, wenn er den Boden deiner Töpfe ausleckt und zuhalten, dass seine Lanze darunter litt, Krieg zu führen,
seine ohne zu erobern. Er wusste, dass er durch das Warten
Zunge deine verborgenen Winkel kostet. Und vergiss kei-
nicht, nen Schaden nehmen, sondern eher eine noch viel
ihm aromatische Getränke, vor allem Tee, zu servieren, orgias-
der tischere Ekstase erleben würde. Wir taten so, als redeten
bewirkt, dass er dich lang und ausdauernd vögelt.« wir
Ich fand, dass ich an diesem Punkt unserer Reise ein über etwas anderes. Ich erhob mich noch einmal, um ge-
paar brannte Mandeln zu holen. Auch wenn wir den Eindruck
pikante Einzelheiten aus meiner Vergangenheit
preisgeben
137
könnte, die ich den Lektionen »rneines zweiten
Ehemanns«
verdankte, wobei ich mich darum bemühte, meinen Ruf
nicht zu ruinieren:
»Ich erinnere mich an den Mittagsschlaf mit meinem
Liebs-
ten. An den Geruch der heißen Stunden, an unsere nass
geschwitzten Körper. Unsere Liebesspiele zogen sich
über
Stunden hin, und ich konnte seine Erregung so lange am
Sieden halten, wie ich es wollte. Wenn ich spürte, dass er
sich seinem Orgasmus näherte und jeden Augenblick sei-
nen Samen in mich ergießen wollte, hielt ich inne, reckte
mich und erhob mich behutsam, um mich auf Zehenspit-
zen zu entfernen und mit einer Karaffe guten Tees
zurück-
zukehren. Wir tranken ihn genüsslich und setzten dann
unsere Liebeständeleien fort. Im Nu erlangte sein Speer
wieder Kampfbereitschaft. Wenn sein Höhepunkt nahte,
verhielt ich mich vollkommen passiv. Ich ging wieder hin-
aus, um einen Sesamfladen oder einen der Ingwerkekse
zu
holen, die ich am Vortag gebacken hatte. Wieder tranken
wir Tee, und ich spürte, dass es ihm schwerfiel, sich
zurück-
35.
erweckten, unsere Begierde zu bezähmen, wurde sie umrandet. Sie hatte ihr Kleid in Taillenhöhe mit einem ro-
immer ten Band hochgebunden, so dass es ihre perfekt
übermächtiger. Und wenn ich Stunden später, nachdem geformten
wir Tee getrunken und Süßigkeiten gegessen hatten und Knie enthüllte.
unsere Körper zum Zerreißen gespannt waren, den
Rhyth- 138
mus beschleunigte, die Geschwindigkeit erhöhte und ihn
mit Koseworten einlullte, wusste ich, dass ich ihn befreien
konnte, dass er explodieren und seine Lust sich wie ein
Feuerwerk in meinem Leib entladen würde. Danach
schlie-
fen wir erschöpft und eng umschlungen ein. Ich drehte
mich zur Seite, mein Mann lag halb über und hinter mir,
seinen heißen Schwanz immer noch in meiner Möse ver-
graben.«

In der darauffolgenden Nacht entdeckte ich Licht in Leilas


Zimmer und bildete mir ein, zur selben Zeit die Gestalt
des
Gasthofbesitzers im Flur wahrgenommen zu haben. Neu-
gierig geworden, erhob ich mich und sah gerade noch,
wie
er in ihr Zimmer huschte.
Ich legte das Ohr an die Tür und vernahm das Geflüster
des
Mannes und das Gemurmel der Kleinen. Ich überlegte,
dass
Leila vielleicht ihre Verfuhrungskunst und ihren Charme
testen wollte, um sicherzugehen, dass sie die Männer
nicht
impotent werden ließ. Das hielt ich für legitim. Weit davon
entfernt, mich über ihr Verhalten zu empören, freute ich
mich sehr, denn ich sah darin eine Frucht meiner Unter-
weisungen.
Am nächsten Morgen traf ich sie in der Küche. Singend
schälte sie Gurken; ihre Augen waren mit Kajal schwarz
»Hat er dich als Köchin engagiert, um dich zu seiner Ehe- 139

frau zu machen?«
Sie tat, als sei sie überrascht.
»Hat er wenigstens versucht, dich zu
vögeln?«
Sie ließ das Messer fallen:
»Tante, ich weiß gar nicht, was Sie
meinen.«
»Willst du mich etwa auf den Arm
nehmen?«
»Ach so, Si Faraht?Wir haben uns nur unterhalten ...
«
»Und hat er dich überzeugt, dass ... «
»Ich glaube, Ihren Unterweisungen zu entnehmen, dass
man sich nie von Männern überzeugen lassen soll.«

Und sie lachte glockenhell wie eine Nachtigall.


36.
Sze-
ne, die sich mir bot, erstarrte ich: Leila hielt die Augen
halb
geschlossen, ihr Oberkörper war entblößt, der Rest unter
eila hatte die Wahrheit über den aufgeplusterten Wirt der Bettdecke verborgen. Ihre Brustwarzen reckten sich
L
schien
gesagt. Auch wenn sie ihn wenig anziehend fand, zur

sie empfänglich fur seine hartnäckige Werbung, fur seine


Komplimente und die tiefen Seufzer, die er ausstieß,
wenn
er sie sah, während sie sich an einem Rezept versuchte,
das
ich ihr auf die Schnelle beigebracht hatte. Ich erinnerte
mich an unsere Begegnung mit dem Hirten und an die
leuchtenden Augen des jungen Mädchens, als er ihre
Schön-
heit pries. Immerhin hatten die Komplimente den Effekt,
den Appetit meiner Gazelle anzuregen.
Es herrschte brütende Hitze, und die Zeit der Siesta
rückte
heran. Nach meinem Dafürhalten war für Leila der richtige
Moment gekommen. Sie musste den Schritt wagen und
sich eine Vorstellung davon machen, was bei der Intimität
zwischen Mann und Frau vor sich ging. Es sollte eine ein-
malige Liebesnacht werden! Ohne Angst, ohne Skrupel,
ohne Nötigung, ohne Gedanken über Ehre und Tugend.
Zebib war weit weg, und diese Entfernung bedeutete
unse-
re Freiheit. Ich musste es ihr sagen, ich wollte sie in die
Arme des Gasthofbesitzers treiben, das war notwendig
und
dringlich, denn wir konnten uns keine weitere Nacht unter
seinem Dach leisten. Ich stand auf, um mit ihr darüber
zu
reden.
Sie hatte ihre Tür offen gelassen, und beim Anblick der
Decke, und ihre Hände streichelten sanft ihre Brüste, Geschöpf
wan- vergeblich in die Geheimnisse der Liebe eingeweiht,
derten über den Bauch nach unten, wo sie verweilten. wenn
Ihre ein grausames Schicksal sie dazu verdammt hätte, die
Bewegungen wurden hitziger, und die Bettdecke glitt zu Köst-
Boden. Ich erinnerte mich an meine Mutter. Leila lag lichkeiten der Liebe nie zu erfahren. Am liebsten hätte ich
nackt einen Freudenschrei ausgestoßen, doch ich beherrschte
vor mir und tat nichts, um sich zu bedecken. Mit der mich.
Hand-
fläche versetzte sie ihrem Venushügel kleine Klapse und
141
presste sie auf ihre Ritze. Sie fuhrte ihre Finger zum
Mund,
benetzte sie mit Speichel und befeuchtete damit ihre Mu-
schi, knetete sie mit Daumen und Zeigefinger in energi-
schen Kreisen. Ich vernahm das schmatzende Geräusch,
mit
dem sich der Saft ihrer Muschi mit ihrem Speichel
vereinte.
Ein Zittern durchlief Leila, sie presste ihre Schenkel anein-
ander, öffnete sie und schloss sie wieder, um sich dann
end-
gültig zu entspannen. Sie blieb reglos liegen und sah wie
ohnmächtig aus.
Ich machte auf dem Absatz kehrt. Leila kannte die Lust,
Allah sei Dank! Das beruhigte mich. Sie wusste sich also
allein Lust zu verschaffen, und ich war überzeugt davon,
dass sie dies in den Armen eines Mannes noch intensiver
erleben würde.War das auf meine theoretischen
Unterwei-
sungen oder auf die von Zouhour vermittelte Praxis zu-
rückzufuhren? Wie auch immer ... Leila war in der Lage,
Lust zu empfinden, davon hatte ich mich gerade überzeu-
gen können, und das war meine größte Freude. Ich
konnte
niemanden fur die Liebe öffnen, wenn er keinen Instinkt
fiir das Genießen besaß, und ich hätte das arme
37.
Als ich in mein Zimmer zurückkehrte, setzte das Bild der eine
Kleinen, die sich soeben selbst befriedigt hatte, meinen andere Art:
Körper in Brand. Auch ich verschaffte mir hin und wieder »Du willst doch wohl nicht behaupten, dass es mit
eigenhändig die Freuden der Liebe, entweder wenn ich Zouhour
keinen Schwanz zur Verfügung hatte oder wenn mein au- die Hölle war!«
genblicklicher Liebhaber mir dabei zusehen wollte. Ich er-
innere mich an R. Er nahm zwei Meter von mir entfernt
Platz, splitternackt, lehnte sich gegen die Wand und
bekam
einen tierischen Ständer, während ich mich mit der Hand
zwischen meinen Schenkeln zu schaffen machte. Sein
männlicher Blick war so lüstern, dass er meine Muschi
ge-
nauso in Erregung zu versetzen schien, wie ich es mit
mei-
nen Fingern tat.

Am Spätnachmittag, während eine sanfte Brise uns in


den
Duft von Jasmin hüllte, redete ich mit der Kleinen ganz
offen: »Du verlierst gar nichts, wenn du mit dem Mann
schläfst. Die Bedingungen sind ideal, weit und breit kein
Zeuge. Wir werden endlich Gewissheit haben, was deine
Jungfräulichkeit anbetrifft.«
»Das kommt gar nicht in Frage«, erwiderte sie und
steckte
eine vorwitzige Strähne, die sich unter ihrem Schleier
her-
vorgestohlen hatte, wieder zurück.
»Wenn er dir paradiesische Wonnen bereiten kann,
warum
willst du es dann nicht?«
»Wie Sie wissen, ist mir das Paradies versagt.«
Ich dachte bei mir, du Heuchlerin, wenn du allein bist,
genießt
du sehr wohl paradiesische u.-&nnen, versuchte es aber auf
»Das war gar nichts«, zog sie sich aus der Affäre und fen.«
flüch- Sie unterbrach mich:
tete auf die Terrasse, die als Garten diente. »Das haben Sie schon mal gesagt.«
Ich holte sie ein: Beruhigt über die Genauigkeit, mit der sie meine Worte in
»Gut, dann bist du also einverstanden, dass das nichts mit sich aufnahm, und erfreut über ihr Gedächtnis, fuhr ich
dem Wirt zu tun hat. Du musst dir vorstellen, dass er sich fort:
damit zufriedengibt, aus deiner Quelle zu trinken. Wenn
er
143
ein guter Liebhaber ist, sind ihm die Geheimnisse der
Liebe
nicht unbekannt.«
Ich erklärte ihr, dass eine Frau sehr wohl die
Liebestechni-
ken beherrschen sowie das Eindringen des Glieds verhin-
dern kann. Sie kann dafür sorgen, dass sich der Pimmel
am
Eingang ihrer Höhle hin und her bewegt, sich an ihren
Schamlippen reibt, ohne weiter vorzudringen. Auf jeden
Fall habe sie nichts zu fürchten. Ich fügte hinzu, dass sie
den
Schwanz ihres Liebhabers sogar zwischen ihre Brüste
klem-
men könne, um seine Bewegungen zu beobachten und
sei-
nen Erguss auf ihrer Brust zu spüren, den sie voller
Dank-
barkeit einmassieren solle, weil der heiße Samen eines
Mannes ein Wundermittel für die Haut sei.
Sie verzog angewidert das Gesicht.
»Ich persönlich provoziere die Männer manchmal mit
mei-
nem Hinterteil, aber ich will nicht, dass sie sich daran ge-
wöhnen. Sie können sich an meine Pobacken klammern,
sollen sich aber gefälligst auf die Öffnung konzentrieren,
die Gott dafür geschaffen hat, uns Frauen Lust zu
verschaf-
»Bring ihn dazu, dich zu küssen, dich zu lecken und zu Sie schien nachzudenken:
befeuchten.« »Ich kann mir schlecht vorstellen ... «

»Er wird annehmen, ich sei eine Nutte.« »Da niemand Zeuge deiner Sünde ist, tust du so, als habe

Oh, was für ein abscheuliches Wort aus diesem noch recht es

unerfahrenen Mund! sie nie gegeben«, beharrte ich.

»Das trifft auf wissende Liebhaber nicht zu. Wenn sie her- Ich bemerkte, dass sie nachzugeben begann.

ausfinden, dass ihre Partnerin über bestimmte Erfahrungen »Sag dir, dass dein Stamm weit weg ist und du endlich frei

verfugt, erhöht das ihre Lust um ein Vielfaches. Die Ehr- bist. Und sag dir, dass du keine Nutte zu sein brauchst, um
Lust zu empfinden. Bevor du wieder den Heimweg in dein
lichsten unter ihnen wissen, dass ihr Schwanz ... «
Dorf antrittst und dich in das Gefängnis deiner Schwieger-
»Schwanz, Schwanze, wiederholte sie und schnitt mir das
familie einschließt, bediene dich und genieße die Freiheit!
Wort ab. »Ich weiß nicht einmal, ob ich den Schwanz eines
Die Unrechtmäßigkeit ist manchmal die Garantie für
Mannes mögen werde.«
höchste Lust und das Verbotene die Quelle, an der sie sich
Ieh ignorierte ihre Gereiztheit.
gütlich tut.«
»Imrner endet es damit, dass man den Schwanz seines Ge-
liebten liebt. Abgesehen davon gestehe ich dir zu, dass ein
Sie hörte mir nur mit einem Ohr zu. Ich erkannte es daran,
Penis in Ruhestellung den traurigen Anblick der Nieder-
dass sie nur vorgab, mich intensiv anzusehen, aber in Ge-
lage bietet, schlaff und erbarmungswürdig hässlich. Aber
danken anderswo zu sein schien. Ihre Geistesabwesenheit,
wenn er sich aufrichtet, verwandelt er sich in eine Standar-
die sich in ihren Pupillen widerspiegelte, war wie ein schil-
te, in eine Lanze, die dem Tod und der Zeit die Stirn bietet.
lernder Schatten auf einem Teich. Und ich entdeckte in
Die Haut dehnt sich, ihre Farbe wird gleichmäßig, die Ko-
diesem Blick, der voller Fragen war, das Aufglimmen von
bra reckt sich, und ihr Kopf wird so rot wie der Leuchtturm
etwas Neuern, die Umrisse eines neuen Menschen. Leila
von Alexandria. Die Seele eines Mannes konzentriert sich stellte sich Fragen, und für mich war das ein Zeichen dafür,
voll und ganz darauf, auch sein Herz, denn es schlagt in dass sie jetzt wirklich lebte. Ihr Leben in Zebib verdiente
diesem Augenblick nur für die Frau, die er beglückt ... « kaum die Bezeichnung Leben, erinnerte eher an das eines
Sie unterbrach mich erneut. Tieres, das einfach funktionierte, schlief, aß, seinen Darm
»Ich werde mich nicht trauen, den Pimmel des Gasthofbe- entleerte, sich paarte, lebte, um zu leiden und schließlich zu
sitzers zu betrachten.« sterben. Ehrlich gesagt, hätte ich über Leilas ehemaliges Le-
»Im Gegenteil, mit einem unbekannten Liebhaber ist das ben nicht mehr berichten oder gar ein anderes Szenario
viel einfacher. Du kennst ihn nicht, er wird dich nie wie- entwerfen können. Ich konnte nur eine Chronik ihrer von
dersehen, es besteht also keine Gefahr eines gemeinsamen Langeweile geprägten Tage erstellen, die Bilanz eines Le-
Lebens oder der Zurückweisung.« bens ziehen, das so schemenhaft wie Trugbilder war.

I44 145
38.
Ihr Blick hellte sich auf, und sie sagte:
»Heute Abend lasse ich zu, dass er sich mir nähert. Aber
es
wird das einzige Mal sein.«
»Du musst dich ordentlich vorbereiten.« ch befahl ihr, sich zu entkleiden, und kehrte ein paar
»Warum? Ich werde ihn doch nicht
heiraten.«
I
zu-
Minuten später mit einer Schale Enthaarungswachs

»Na und?« rück. Ich fing beim Gesicht an, widmete mich dann den
»Man bereitet sich für seinen Ehemann vor, aber nicht für Armen und Achseln.
den Erstbesten«, brummelte sie. Sie wand sich vor Schmerzen, aber ich überhörte ihr Ge-
»Man gibt sich jedem Mann hin, als wäre er der erste und jammer. »Nicht den Rücken«, flehte sie, »das brennt!«
letzte. Man liebt so intensiv, als würde man am Tag »Sogar die Pobacken«, erwiderte ich und arbeitete
darauf unbeirrt
sterben, lautet eine Lebensweisheit deines Volkes. Man weiter und setzte ihr kleines Hinterteil in Brand. Dann
emp- drehte ich die Kleine auf den Rücken, schob ein Kissen
fängt einen Geliebten nie ohne die Absicht, ihn fiir immer
unter ihr Becken und spreizte ihre Schenkel weit
zu behalten, auch wenn man davon überzeugt ist, dass
auseinan-
er in
der. Ich beugte mich über ihre Grotte. Leilas Kätzchen
der nächsten Stunde das Weite suchen wird. Ja, mein
öff-
Kind,
nete sich ein wenig und zeigte sein rosiges Lächeln. Die
man putzt sich heraus fürs Liebesspiel. Wir umgarnen
Unschicklichkeit des weiblichen Geschlechtsteils ist doch
den
unglaublich, dachte ich. Es lächelt dem Erstbesten zu,
Geliebten, indem wir ihm vorgaukeln, dass wir seine
und
einzi-
wenn seine Lippen reden könnten, würden sie nur einen
ge Alternative zum Tod sind, dass wir die Ewigkeit
Satz hervorsprudeln, nur einen Wunsch äußern: »Nimm
verkör-
mich, trink meinen Nektar!« Denn trotz des Schmerzes,
pern, und sei es nur für einen Flügelschlag.«
den ich dieser Stelle zufugte, sah ich zusammen mit dem
»Wie bitte? Das alles ist viel zu schwierig für
Wachs kleine Tropfen auf meine Hand perlen. Ich lenkte
mich.«
ab
»Du brauchst nur meinen Anweisungen zu
und lachte: »Das ist deine zweite Hochzeitsnacht, deine
folgen.«
Muschi wird glänzen wie ein Spiegel.«
Wir begaben uns ins Bad. Ich brauchte ihre Haut nicht
mehr zu frottieren, sie war bereits glatt wie Seide. Bei
jeder
Berührung mit dem Handschuh stockte ihr Blut,
strömte
dann zurück in ihre Adern und hinterließ
Tätowierungen
in zartem Blau. Ich strich über ihre Arme,
ihren Hals, die
Rosetten ihrer Brüste, ihre Schenkel. Ich
drehte sie auf den

147
39.
Bauch, seifte ihr den Rücken und die Pobacken ein. Ich mit halbtrockenen Wänden, die bei Berührung wie Zucker
gab schmelzen, eingebettet in eine prachtvolle Mulde, in die
Ghassoul (Wascherde) auf ihr Haar, ließ es einwirken der
und Schwanz voller Freude gleitet und aus der er sich nur wi-
sagte: »Nun bist du dran, musst deine Öffnungen derwillig zurückzieht.«
reinigen: »Und was noch?«
den Mund, die Ohren, das Kätzchen, den Anus.«
Ich fügte hinzu:
»Vergiss nie, dich vorher und nachher zu reinigen. Wa-
schungen sind für die Liebe genauso wichtig wie für das
Gebet.«
»Warum?«, wollte sie wissen und wirkte eher überrascht
als
schockiert über meinen Vergleich.
»Reinlichkeit bereitet auf den Sex vor. Man muss alle Öff-
nungen durchspülen, selbst die der Nase, man muss sich
mit
kaltem Wasser waschen, das festigt die Vulva und zieht
die
Vagina zusammen. Du musst es selber erledigen, los!«
Ihre Hand fuhr über ihre Schenkel.
»Geh sorgsam mit deinem Kätzchen um. Reinigen
bedeu-
tet liebkosen und nicht angreifen. Weiter im Inneren
musst
du dich den Ecken und Nischen widmen, denn dort ver-
birgt sich übelriechender Schaum.«
Sie traute sich zu fragen und gebrauchte zum ersten Mal
das verpönte Wort:
»Tante, wie sieht denn für einen Mann eine schöne
Muschi
aus?«
»Sie sollte wohlgeformt und prall sein, füllig, aber in Ma-
ßen, genauso gut zum Küssen geeignet wie volle Lippen,
mit Schamlippen, die an tauge tränkte Anemonen
erinnern,
»Eine gute Ritze ist eng, ohne hinderlich zu sein, feucht, Ich rieb ihren Körper mit Arganöl ein und betupfte ihre
ohne allzu viel Saft abzusondern, heiß und muskulös. Ihr AchselhöWen mit Rosenwasser. Mit einem in
Venushügel schmiegt sich ganz von selbst in die Tulpenwasser
Handflä- getränkten Tuch benetzte ich ihre Scheide.
che, die ihn umfasst. Er fiihlt sich weich an, rund wie die
glatte Oberfläche eines Granatapfels oder leicht nach
149
unten
geneigt. Die Möse soll eine feuchte Grotte sein, die wie
eine Quelle sprudelt, wenn sich ein Finger, ein Schwanz
oder eine Zunge in ihr verirrt. Lass dir niemals einreden,
dass sie träge und passiv bleiben soll. Gott hat die
Mandel
der Frau und die Lust geschaffen. Beides! Wer
behauptet,
das Juwel sei nur fürs Kinderkriegen geschaffen, ist ein
Lüg-
ner. Wir würden es wissen, denn dann würden wir nichts
empfinden. Wer dir versichert, es sei ausschließlich für
die
Lust des Mannes bestimmt, ist ein Heuchler. Der wahre
Gläubige verbindet seine orgiastische Ekstase mit deiner
wie der Mystiker das Wollgewand mit seiner Haut.«
Ich verteilte Henna auf ihrem Körper, um ihre Haut noch
weicher zu machen. Dann spülte ich sie mit einem
großen
Wasserstrahl von Kopf bis Fuß ab.
Ich hüllte sie in einen schlichten Umhang und setzte sie
aufs Bett. Ich entfernte ihre Hornhaut an den Füßen,
mas-
sierte ihre Gelenke, cremte ihr Gesicht mit einer
Mischung
aus Kichererbsenpulver und Zitronensaft ein und ließ sie
ein Stück Nussbaumrinde kauen, damit ihre Zähne weiß
wurden und ihr Zahnfleisch rot.
Das Ritual gefiel mir, denn es diente als Vorspiel. Ich sah
bereits den glühenden Schaft des Wirts vor mir, der sich
verheißungsvoll aufrichtete.
»Palls sein Mund den Weg zwischen deinen Schenkeln Ingwer, der die Begierde anheizt, bereitgestellt
zu hatte.
deiner Muschi sucht, verbreitest du WoWgeruch. Wenn
er
sich verirrt, nimmt ihn deine Mandel wie ein Handschuh
auf, hält ihn gierig fest und wiegt ihn dann hin und her. 150

Und du, mein Schatz, öffnest dich und erlebst, wie gut dir
das tut.«
Ich beschloss, ihr den Ring des Salomo auf den
Venushügel
zu tätowieren. Sie fragte verängstigt:
»Ich hoffe, das ist keine weitere Versiegelung ... «
»Nein, das ist der Zauberring, der all deine Wünsche
erhö-
ren wird.«
Ich hatte bereits Wäscheblau zermahlen und mit Ruß in
einem Topf vermischt. Mit einer Nadel ritzte ich die Zeich-
nung auf ihren Venusberg. Blut spritzte, ich trocknete es
und streute Puder darauf.
»Das tut weh!«, stöhnte sie erneut. »Die Männer machen
nicht so viel Aufhebens, um den Frauen zu gefallen.«
Das stimmte allerdings. Doch ich hatte weder die Zeit
noch
die Geistesgegenwart, eine überzeugende Antwort zu ge-
ben, denn ich beschäftigte mich gerade mit ihrer Frisur.
»Wenn er zu dir kommt, löst du deine Zöpfe. Die
anmutige
Bewegung der Haare, die auf die Schultern fallen, regt
den
Mann zur Liebe an. Auch die Lässigkeit. Also warte nicht
auf deinen Liebhaber wie die Beute auf ihren Jäger, son-
dern geh unbekümmert zu Bett.«
Ich ließ sie allein, nachdem ich ihr Bett gemacht und am
Fußende einen Teller mit Kürbiskernen - gut fiir die Pro-
stata -, vier weich gekochten Eiern, Tee und kandidiertem
151
Ein paar Minuten später hörte ich meine Tür knarren, und
sie trat ins Zimmer.
»Was ist los?«
»Ich habe Angst ... «
»Warum?«
»Was ich tun werde, ist nicht erlaubt ... «
»Deine Hochzeit mit Tarek war erlaubt und doch warst du
nicht imstande, es wirklich gut zu machen. Geh jetzt, ich
will dich nicht mehr sehen.«
Ich zog mir zwei Kopfkissen über den Kopf, um nicht in
Versuchung zu geraten, zu lauschen, was nebenan geschah.
Ich schlief mit gutem Gewissen ein, da ich soeben eine gute
Tat vollbracht hatte.
40.
»Das war alles nur Torheit und Abkehr vom rechten Weg.
Das Richtige ist nicht das, was Sie mir beibringen, und auch
nicht das, was ich bisher erlebt habe.«
»Und was ist fiir dich das Richtige?«

A m Morgen danach schnappte ich mir Leila in der Kü-


che. Sie wirkte aufgelöst und blickte finster drein.
Sie kam meiner Frage zuvor:
»Sex ist etwas fiir Mädchen, die ein verruchtes Leben fiih-
ren.«
»Und warum hat Gott dann alle Mädchen mit einer Man-
»Er konnte nichts tun, er sagte, ich sei eine Festung, er del ausgestattet?«, fragte ich und merkte, dass ich ebenfalls
habe verärgert war.
so etwas noch nie erlebt.« »Zur Lustbefriedigung der Männer. Sie scheinen nicht zu
»Und du? Hast du nichts empfunden?« wissen, dass unser Prophet, Gott segne ihn, das Hinterteil
»[edes Mal, wenn sein Schwanz mich berührte, spürte ich, seiner Tochter Fatima mit kaltem Wasser übergossen hat,
dass alles in mir hart wie Stahl wurde. Ich versuchte, mich damit alle gläubigen Musliminnen nach ihr kein Interesse
an Ihre Worte zu erinnern. Ich habe tief durchgeatmet und mehr am Sex hatten.«
die Augen geschlossen, um an etwas anderes zu denken. »Wer hat dir das erzählt?«
Nichts. Deine Öffnung ist versperrt, sagte er und stieß mich »Onkel Bechir.«
von sich.« Daraufhin machte sie auf dem Absatz kehrt und zog sich
Ich ließ ihr Zeit, sich zu beruhigen und sprach sie erst eine zurück.
Stunde später wieder an.
»Woran hast du gedacht, als du ihn auf dir gespürt hast?« Ich ging ebenfalls, war verzweifelt. Alles, was Leila gesehen,
»Ganz ehrlich? Irgendwas flüsterte mir immerzu ins Ohr, gefühlt, beobachtet und gehört hatte, löste sich in Rauch
dass das, was ich tue, nicht richtig sei ... « auf, sobald sie sich an ihren Onkel Bechir erinnerte. Meine
Ich begriff jetzt endlich, dass sie Lust mit Sünde gleichsetz- Unterweisungen waren nichts wert im Vergleich zu den
te, sobald sie mit einem Mann zusammen war. Die Sünde, Predigten ihres Onkels. Gern wollte ich glauben, dass
die sie mit Zouhour begangen hatte, zählte nicht oder besagter Bechir nicht log, aber wie konnte ich den Wahr-
schien nicht zu zählen, zumindest quälte sie sie nicht, als heitsgehalt seiner Worte überprüfen? Ich hatte keine Schu-
wäre es ein Kinderspiel, eine Nebensächlichkeit gewesen, le besucht und Leila auch nicht. Ich weigerte mich, seinen
die keine Folgen haben würde. Worten Glauben zu schenken, und lobpries Gott dafür, den
Ich war enttäuscht. »Du hast also gar nichts verstanden und Geist der alten Frauen befreit und den der jungen Frauen
keinen meiner Ratschlägen beherzigt ... « geschwächt zu haben.
Plötzlich legte sie die Hand an die Wange, wie ihre Schwes- Ich musste mir jedoch eingestehen, dass es mir nicht gelun-
ter Asmahan es zu tun pflegte, und rief

153
41.
»Und was soll ich jetzt tun?«
Da ich schwieg, fuhr sie fort:
gen war, Leila fiir die Freuden der Liebe zu erwecken, »Ohne Sie verärgern zu wollen,Tante, würde ich es vorzie-
und hen, das mit jemand anderem zu entdecken ... «
diese Feststellung erstickte die Begeisterung, die mich
seit
Beginn unserer Reise erfiillte. Der Kampf zwischen
Onkel
Bechir und mir, zwischen Zebib und mir, zwischen
Faterna
und mir war ungleich.
Faterna hatte ständig dieselbe Leier wiederholt: »Gott
hat es
fiir die Männer geschaffen und nicht fiir die Frauen, es
154
ge-
schieht ihnen recht, denn sie verdienen nicht mehr als
das«,
bevor sie bei allen Marabuts des Landes schwor: »Ich
bringe
meine Jungfrauen so schnell wie möglich unter die
Hau-
be.«
Fatema hatte noch vor Leilas Hochzeit das Zeitliche
geseg-
net. Ich fürchtete, dass sie den Körper ihrer Tochter
mit ins
Grab genommen hatte.

Ich befand mich in meinem Zimmer, grollte vor mich


hin
und packte unsere Sachen, damit wir aufbrechen
konnten.
Plötzlich stieß sie die Tür auf und fiel mir um den Hals
und
fragte, als ob nichts geschehen sei:
Folterungen be-
schrieb ein Werk aus seiner Feder, das den Titel Das
orange-
Jarbene Buch: Handbuch der 1001 Foltern trug und das er
gleichgesinnten Tyrannen bei nationalen Gedenktagen
und
ir befanden uns ganz in der Nähe von
W Ray, als ich
einen heftigen Schmerz im Rücken verspürte.
religiösen Festen zum Geschenk machte. In Ray
bestand
kein Bedarf nach der Hölle, denn dort tagte ständig das
Wir Jüngste Gericht, wie die Bewohner von Ray klagten.
mussten in dieser Stadt haltmachen, obwohl Der
ich mir ge- vermeintliche Emir war auch wegen seines
wünscht hätte, sie nie mehr betreten zu unersättlichen
müssen. Verlangens nach Frauen bekannt, die er zu zweit, zu
Ray wurde wegen ihres Präfekten, eines viert
gewissen Antar, und zu zehnt ehelichte und ihren Erzeugern das
eines Tyrannen der übelsten Sorte, die Stadt Gewicht
des Martyri- ihrer Töchter in Gold anbot. Natürlich sangen diese
ums genannt. Er bildete sich viel auf seinen darauf-
Emirtitel ein hin sein Lob in den Moscheen, küssten seine Hände
und schwor, Gott persönlich habe ihm das und
Szepter der Füße, beteten jedoch insgeheim, er möge durch ein
Macht übergeben. Als echter Satyr besaß er Un-
das Recht über glück oder eine unheilbare Krankheit ins Jenseits
Leben und Tod seiner ihm Anbefohlenen. Er befördert
tötete nach werden.
Lust und Laune, nahm gefangen, tauchte
seine Gegner in
155
Säure, warf sie lebend in die Kalkgrube oder
setzte sie in
der Wüste den Schakalen aus. All diese
42.
wir uns mit den Krämern unterhielten, die uns, den Kopf
voller boshafter Gedanken, spöttisch musterten. »Ich
reise
Für diese Väter gab es nur den Rückzug in ihr eigenes
mit ihr nach Ranger, um einen Ehemann fur sie zu
Haus,
suchen.
in dem sie ihre eigene Schreckensherrschaft ausübten,
Dann gehe ich auf Pilgerreise nach Mekka, inschallah!
unter
Ich
der vor allem ihre Frauen litten, die fur alle Sünden
möchte nicht ins Paradies eingehen, ohne am Grab des
bestraft
Propheten gebetet zu haben.«
wurden, die sie nicht begangen hatten. Die Überlebens-
strategie dieser Männer bestand darin, als absolute Herr-
scher über ihre Familien zu regieren, da sie anderswo ein
Niemand waren. Da sie kein Mitspracherecht bei
Belangen
ihrer Stadt besaßen, tyrannisierten sie zum Ausgleich
ihre
Frauen.

»So also musst du dir diese Stadt vorstellen«, erklärte ich


Leila und hielt mir den Rücken, der steif wie ein Brett
war.
»Woher wissen Sie das alles?«
»Von einem Cousin meines ersten Mannes.«
Natürlich war das eine Lüge, da ich das alles von D.
wusste,
dem schönsten und geheimnisvollsten meiner Liebhaber,
der sich an meinen Busen geflüchtet hatte, nachdem die
Hälfte seiner Familie in den Kerkern des Tyrannen umge-
kommen war.
Wir betraten die Stadt auf der Suche nach einer
Unterkunft
und gaben uns als Wahrsagerinnen aus, die ihrem
günstigen
Stern nach Süden folgten.
»Das ist meine Tochter«, behauptete ich wie üblich,
wenn
Innen-
hof. Kein einziges Fenster ging zur Straße, lediglich eine
Terrasse ermöglichte es, bei Einbruch der Dunkelheit
Ein Scheich mit rötlichem Bart, seinem Stand nach ein
den
Kadi, bot uns Gastfreundschaft an und geleitete uns zu
Himmel zu sehen. Wie wir im Laufe der nächsten Tage
sei-
er-
nem Haus, das sich unmittelbar neben einem baufälligen
fahren sollten, pflegten die Frauen des Kadis hier mit
Gebäude befand, in dem er arbeitete, das heißt auf
ihren
gelbem
Nachbarinnen zu plaudern. Man vernahm Lachen,
Papier die Geburten, Eheschließungen und Todesfälle
manch-
no-
mal kleine Streitereien. Wenn sie nicht auf der Terrasse
tierte, von denen er die Hälfte vergaß. Deshalb gelang es
sein
keinem Beamten aus der Hauptstadt, der mit der
konnten, hielten sie den Kontakt, indem sie an die
Volkszäh-
gemein-
lung beauftragt war, eine genaue Statistik über Ray und
samen Wände klopften, wobei eine bestimmte Anzahl
Umgebung zu erstellen, wie uns Chouchana, die
von
Verwalte-
Schlägen eine spezielle Botschaft beinhaltete.
rin, später erklärte.
Im Erdgeschoss befand sich eine Küche, die zu einem
lan-
Der Scheich klopfte an die Tür, und em schmächtiger
gen Gang fuhrte, in dem sich Krüge aneinanderreihten,
Schwarzer, dessen Augenweiß so strahlte, dass es die
die
Nacht
mit einem weißen Tuch zugedeckt waren - man hätte
hätte erleuchten können, öffnete uns. Als wir den Hof be-
mei-
traten, verneigte sich eine ebenfalls schwarze Frau
nen können, man sei bei Ali Baba. Ein Wohnzimmer
mehrere
schloss
Male und beeilte sich, ihrem Herrn seinen selham (Um-
hang) abzunehmen.
Das Haus bestand aus zwei Stockwerken und einem 157
44.
43.
Scheich
bei der Ehefrau, die er nachts beglückte. Im Übrigen
sich an, in dem der Ehemann seine männlichen Gäste trieb
emp- die jeweilige Begünstigte einen solchen Aufwand mit ih-
fing oder sich nach der Liebe erholte. Das Gästezimmer rem Äußeren, dass man wusste, wer an der Reihe war.
war Sie
ganz in der lokalen Tradition eingerichtet, mit Sofas, stand früh auf und begab sich als Erstes ins maurische
reich- Bad,
bestickten Kissen, einem niedrigen ziselierten Kupfertisch von dem sie wie aus dem Ei gepellt zurückkehrte. Ihre
und Berberteppichen. Im ersten Stock lebten die vier Haut
Ehe- verströmte Moschusduft, und ihre Augen waren schwarz
frauen, die jeweils ein eigenes Zimmer besaßen. Doch umrandet, was ihr Verlangen ausdrückte. Sie verbrachte
alle ei-
vier Räume glichen wie ein Ei dem anderen: ein großes
Bett, ein Kelim, ein Spiegel und ein Hinterglasbild, das
Sayyidna Ali darstellte, wie er mit dem Schwert das
Unge-
heuer bedrohte.
Die schwarze Verwalterin, die Sympathie fiir uns entwi-
ckelte - vermutlich, weil sie niemanden sonst zum Reden
hatte -, erzählte uns, dass Sidi, wie man den Kadi nannte,
jeden Tag vier Tragetaschen mit Lebensmitteln kommen
ließ - es waren immer dieselben.
Einmal pro Woche erhielt jede seiner Ehefrauen einen
Kul-
turbeutel mit einer Phiole Kajal, einem Pinsel mit Stachel-
schweingriff, wohlriechendem Asant, Henna,
Rosenwasser
und einem kleinen Tuch.
»Er legt Wert darauf, gerecht zu sein, und macht allen
seinen
Konkubinen dieselben Geschenke«, erklärte ich Leila.
Ich wettete, dass er seine Liebesstunden mit derselben
Ge-
nauigkeit plante, und gewann meine Wette, denn die
Schwarze bestätigte es uns:Jeden Mittag speiste der
stattliches
Gebäude mit kleinen Schlitzen, die als Fenster dienten,
nen Teil des Tages damit, Nussbaumrinde zu kauen, um und
ei- zwei mit einem großen Vorhangeschloss versehenen
nen frischen Atem zu bekommen, entspannte sich Türen.
nachmit- »Das ist das Haus des Gehorsams.«
tags, indem sie Teeaufgüsse trank, deren Aroma das »Was ist das?«, wollte Leila wissen, die derartige
gesamte Einrichtun-
Haus erfiillte. gen nicht kannte.
»Was fiir ein Aufwands, rief Leila, deren Stamm keine »Das ist ein Ort, an den ungehorsame Frauen verbannt
Viel- werden«, erwiderte Chouchana lakonisch.
ehe kannte, erstaunt. »Und ist dieser Sidi in jeder von »Wie die Flüchtlinge von Ichq ?«, fragte das junge
Gott Mädchen.
geschaffenen Nacht aktiv?«
»Offensichtlich«, erwiderte die Schwarze, »sonst
159
müssten
die Besuche der Frauen verschoben werden, und keine
wäre mehr zufrieden. Lediglich Krankheit kann ihn ans
Bett fesseln. Aber wenn er dann wieder auf den Beinen
ist,
muss er sich ranhalten und die Zeit der Krankheit wieder
aufholen.«

Wir wurden allen vier Konkubinen vorgestellt, aber keine


war freundlich oder zeigte auch nur das geringste
Interesse
an uns.
»Sie sind deprimiert, weil sie keine Kinder haben«,
erklärte
die Schwarze. »Das liegt an Sidi.Aber Gnade Gott der
Frau,
die es aussprechen oder sich gegen ihn auflehnen
würde, sie
würde dort drüben landen.«
»Was ist dort?«
Von der Terrasse aus zeigte uns Chouchana ein
45.
»Hier haben die unseligen Frauen zumindest die Chance, zurückkehren
wieder freizukommen«, erwiderte ich. wollen ... «
Die Verwalterin achtete nicht auf meinen Einwurf und fuhr
fort, wobei sie etwas ausführlicher wurde: 160
»Diese Einrichtung ist eine Besonderheit von Ray. Alle
Frauen, die sich gegen eine arrangierte Heirat auflehnen,
die es wagen, einem Ehemann zu widersprechen oder
sich
über ihr Schicksal zu beklagen, laufen Gefahr, dort einge-
sperrt zu werden. Dort landen auch die Hitzköpfe, die
Fluchtpläne aushecken, unwürdige Mütter und solche, die
sich weigern, den Haushalt zu machen. Schlimmer noch
ist
der Fall der Leichtfertigen, die sich hartnäckig ihrem
Mann
verweigern, da sie nicht wissen, dass sie von den Engeln
im
Himmel verflucht werden.«
Leila und ich mussten unwillkürlich lachen. Die Schwarze
verstand nicht, warum wir lachten, und wäre um ein Haar
eingeschnappt gewesen. Ich beruhigte sie, indem ich ihr
versicherte, dass unsere Reaktion nichts mit ihren Worten
zu tun habe, sondern mit einer länger zurückliegenden
Un-
terhaltung mit meiner Tochter.
Sie fragte uns, ob uns der Koloss vor der Tür des Hauses
aufgefallen sei, und fügte hinzu:
»Von Zeit zu Zeit verjagt er einen Mann, der seine Frau
eigenhändig bestrafen möchte. Es gibt drinnen auch eine
Wärterin, die jeden Abend den männlichen Mitgliedern
der Familie einen Bericht vorlegt. Es kann vorkommen,
dass bestimmte Frauen dieses Hauses die Lebensmittel
zu-
rückweisen, die ihre Männer ihnen gebracht haben, um
sie milde zu stimmen. Im Übrigen hört man häufig das
Wehklagen der Frauen, die nicht nach Hause
»Ich nehme an, dass sie letztendlich Schwänze aufgewachsen bist, den Geruch fremder Haut
immer nachgeben ... «, so
seufzte Leila. »Man nennt diese sehr liebst. Ich erkenne dich nicht wieder! Dich
Einrichtung sicher nicht interessiert
umsonst das Haus des Gehorsams«, weder das Gute noch das Böse, nicht wahr? Sondern nur
und die Augen meiner der Genuss des Körpers, wenn er seinen Höhenflug
SchutzbefoWenen ftillten sich mit antritt,
Tränen. die Lust der Möse, wenn sie Funken sprüht, das Glück
der
Leila war bereit, über das Unglück Schwänze, wenn auf ihrer Eichel die Gestirne und die Ko-
anderer Tränen zu ver- meten wilde Bahnen ziehen. Mach dir keine Sorgen,
gießen, und das war gut so, denn Zobi-
darüber vergaß sie ihr ei- da! Dank der Liebe wird die Seele von Missmut und
genes. Die Gazelle aus Zebib, die noch Ängs-
so wenig Erfahrung ten befreit wie der Himmel von seinem Wundbrand. Und
mit dem Körper und mit dem Ray von seinem Tyrannen.
Bewusstsein besaß - es sei
denn, es handelte sich um die Öffuung
ihrer Möse -, ent-
deckte die Heimsuchungen ihrer 161

GescWechtsgenossinnen
wie ein Träumer neue Landschaften, was
sie allerdings ab-
härten dürfte: Denn je mehr sie über die
grauenhaften
Schicksale anderer erfuhr, desto klarer
würde sie auf ihr ei-
genes Schicksal blicken.
Plötzlich spottete eine Stimme in mir, ich
hörte, wie sie mir
vorwarf: Aber, Zobida! Du wirst dich doch
nicht in eine
Seelenheilerin oder in eine Lehrerin für
moralische Stand-
haftigkeit verwandeln, nicht du, die du
mit dem Saft der
46.
Doch wir sollten noch weitere Überraschungen erleben.
Eine Stunde später beobachteten wir beide, wie Sidi
sich
wieder auf den Weg machte und erneut zur jüngsten
Kon-
kubine hinaufging, bei der er angefangen hatte. Und
ch zwang Leila, wach zu bleiben, um das Kommen man
I und
Gehen des polygamen Mannes zwischen dem ersten
sah ihn erst am späten Vormittag wieder.
»Glauben Sie, dass er bei jeder sein Vergnügen hat?«,
Stock und dem Erdgeschoss zu belauschen, in dem wir wollte
un- Leila wissen.
tergebracht waren. In der Nacht darauf stellten wir fest,
dass
er gegen den normalen Besuchsablauf verstieß, denn er
ver-
brachte nicht die ganze Nacht mit einer Konkubine, son-
dern suchte im Laufe der Nacht auch die anderen Frauen
auf.
An jenem Abend beobachtete Leila, wie er an die erste
Tür
klopfte, eine Stunde später an die zweite und dann an die
dritte. Er betrat den Raum, verließ ihn wieder, hüstelte
und
schlich auf Zehenspitzen zum nächsten, verschwand
dahin-
ter, tauchte wieder auf, um auf die nächste Tür
zuzusteuern.
Sein Schritt war jetzt schon viel schwerer. Im
Morgengrau-
en tauchte er wieder auf, kurzatmig und die Finger unter
dem Nachthemd verborgen.
»Was für ein Mann«, bemerkte ich Leila gegenüber.
»Jeden
Abend befriedigt er vier Frauen! Er verdient eine Trophäe
als bester Liebhaber aller Zeiten.«
Ich wurde mir bewusst, dass ich sie an meine Eskapaden
gewöhnt hatte. Langsam schien sie zu erraten, was für
»Aber ja. Sein Verlangen wird nicht so sehr dadurch ge- ein
weckt, dass er mit der einen und der anderen vögelt, son- Leben ich seit zehn Jahren führte ...
dern dadurch, dass ihm alle vier Frauen zur Verfügung »Du wirst noch glatt deinen Ehemann vergessen«,
ste- hänselte
hen. Mein Kind, das ist keine Liebe, sondern Mathematik. ich sie zum Spaß. »Und wenn das so weitergeht,
Dieser Mann erlebt schon bei der Vorstellung, mehrere verzichtest
Frauen ganz legal zu besitzen, einen Orgasmus.« du sogar auf sein Dingsda.«
Ich fugte herausfordernd hinzu: »Es geht weder um Liebe noch um Ehemänner, sondern
»Er könnte mit dem Gedanken spielen, es auch uns zu einzig und allein um Ihre Möse, liebe Tante, Sie selbst
besorgen, aber nach einem dermaßen kräftezehrenden haben
Rundlauf durch die Zimmer wäre er dazu nicht mehr im- mir das beigebracht.«
stande.« Als ich das Wort »Möse« aus Leilas Mund hörte, musste
»Nun, man müsste ihn dazu bringen, seinen Kurs zu an- ich
dern«, säuselte Leila. unwillkürlich an ihre Mutter denken. Arme Faterna, deine
»Du machst dich, meine Kleine. Nun denkst du dir sogar Tochter ist drauf und dran, sich deinem Einfluss zu
schon Pläne aus, um ihn zu ernpfangen.« entzie-
»Ich dachte dabei mehr an Sie, liebe Tante, damit wir bis hen, du würdest sie nicht wiedererkennen.
zu Doch ich sagte in gespielt vorwurfsvollem Ton:
unserer Abreise ein bisschen Spaß hatten.«
47.

»Schade, dass ich dich wie ein Mann über Sex reden
höre,
dabei wollte ich dir doch die reine Liebe nahebringen.«
»Sagen wir mal so, Sie haben mir geholfen, meinen
Körper
zu entdecken.«
»Aber ist es das Schicksal jeder Frau, bei dieser
W ie auch ~er: Leilas Worte erweckten meine Dä-
monen WIeder zum Leben, und mein Körper
schwelgte in angenehmen Erinnerungen. Ich beschloss,
Entdeckung mir
die Erinnerung an ihre Seele zu verlieren?« in der kommenden Nacht den Polygamisten zu gönnen.
Sie erwiderte heftig: Nachdem ich diesen Gedanken insgeheim für mich
»Tante, ich kann Ihnen nicht mehr folgen!« formu-
»Ich versteh mich ja selbst nicht mehr«, erwiderte ich, liert hatte, bekam ich unbändige Lust auf Sex. Mit
und solchen
wir brachen beide in ein verschwörerisches Lachen aus. Gedanken verhält es sich wie folgt: Selbst wenn man nur
mit ihnen spielt, zwingen sie einen zu handeln, gaukeln
ei-
nem vor, man habe sie bereits in die Tat umgesetzt.
Ich dachte, es würde genügen, dass Leila ihn abpasst,
wenn
er herunterkäme. Sie könnte ihn zu meinem Lager
drängen
und den Wachtposten spielen, worin sie bereits geübt
war,
erinnere dich, Ali, beim Ölhändler war das genauso.
Ich begab mich auf die Suche nach Leila und fand sie
erst
eine Stunde später. Sie erklärte mir, sie sei auf dem
Markt
gewesen, um Kajal zu kaufen. Ich hatte keine Zeit, ihr
vor-
zuwerfen, wie unvorsichtig es sei, sich allein auf den Weg
zu
machen, sondern beeilte mich, ihr meinen Entschluss
mit- ich
zuteilen. Ich erklärte ihr, dass sie uns sozusagen als liege im Sterben und er müsse mir schnellstens zu Hilfe
Beloh- eilen, wenn er keine Leiche im Hause haben wollte.
nung zusehen dürfe, und merkte schnell, dass sie sich Das stimmte, ich lag im Sterben, aber vor Lust! Sidi fand
nicht mich halb nackt im Bett. Er beugte sich über das
dagegen sträubte. Kopfende,
Leila passte Sidi unten an derTreppe ab und behauptete, und ich streckte sehnsüchtig die Hand nach ihm aus, ließ
48.
dass sein Schwanz größer und erregter wurde und
seine
Macht zunahm. Jede Nacht verfugte er als Emir über
sie auf seinem Knie liegen, streichelte wie zufällig seinen
einen
Schenkel und streifte seinen Schaft. Das genügte bereits,
Harem, in dem ich jetzt als funfte Konkubine meinen
da-
Platz
mit er Leilas Anwesenheit vergaß, es sei denn, die
einnahm.
Überzahl
weiblicher Wesen in seinem Haus hätte ihn längst dazu
ge-
bracht, Frauen mit Einrichtungsgegenständen zu
verwech- 166
seln. Er übersah also meine Schutzbefohlene, die wenige
Schritte von uns entfernt die Szene wie gebannt beobach-
tete. Sidi nahm mich von hinten, was offensichtlich seine
Lieblingsposition war, er keuchte über mir, während ich
ihm kleine Klapse aufs Hinterteil versetzte, um ihn anzu-
heizen, tiefer in mich einzudringen.
Ich bewunderte die Ausdauer und Kraft der Männer, die
mehrere Mösen gleichzeitig befriedigten. Sidi war
ausdau-
ernd und unermüdlich, er beherrschte mehrere Sprachen,
stammelte die Namen seiner Frauen und dann meinen,
den
er sich ganz genüsslich auf der Zunge zergehen ließ. Er
betonte besonders das Z und das B und presste dabei
den
Mund auf meinen Nacken. Diese Schizophrenie amüsier-
te mich königlich. Ich dachte mir, wenn ich von den Lie-
besdiensten, die er seinen Konkubinen zuteilwerden ließ,
etwas abbekam, dann zog auch er seinen Vorteil daraus.
Als
Neuerwählte bereicherte ich seine Auswahl an Frauen,
seine Macht würde zunehmen, seine Stimme würde noch
bestimmender werden und sein Schwanz sich wie ein
glücklicher Herrscher bewegen. Jede Möse trug dazu bei,
nunft. Sie erinnerte mich an unsere eigentliche Aufgabe
und behauptete, es sei an der Zeit, unsere Reise
In der dritten Liebesnacht löste sich meine Ausgeglichen- fortzuset-
heit auf wie Zucker in Wasser, und meine Fähigkeit, über zen. Nicht ohne boshaft zu lächeln, fügte sie hinzu, dass
meine freiwillige Zugehörigkeit zum Harem zu philoso- meine Rückenschmerzen längst vergessen seien und
phieren, wurde durch ein Gefühl ersetzt, das ich sofort nicht
ein- mehr als Vorwand zum Bleiben dienen könnten, denn sie
ordnen konnte: Eifersucht. habe sich ja hinreichend von der Stabilität meiner
Ich ertrug den Gedanken nicht, dass Sidi andere Frauen Knochen
ritt, überzeugen können ... Dieser Realitätssinn, der mich ei-
seinen Samen teilte, zehn Brüste gleichzeitig liebkoste gentlich hätte bewegen sollen, die neu gewonnene Reife
und des jungen Mädchens zu bewundern, verursachte mir je-
den Nektar von fünf Prauen in sich aufsog. Ich wollte, doch schlechte Laune.
dass »Ich will nicht weggehen«, maulte ich wie ein kleines

er nur mich besuchte, nur an meinem Tisch speiste. Ich Kind.


wollte die Einzige sein, aber wir waren zu funft, und ich
malte mir ein Szenario aus, bei dem ich mich von meinen Ich weiß, wie eigensinnig ich sein kann, und hätte das
Rivalinnen befreite. Feld
Erst durch Leilas Beharrlichkeit kam ich wieder zur Ver- bestimmt nicht kampflos geräumt, wenn nicht seltsame
Umstände unser Leben durcheinandergewirbelt hätten.
168

D ie Sonne stahl sich durch die Gässchen der


Altstadt,
als sich vor Sidis Haus Stimmengewirr erhob und
Chouchana die Anweisung erhielt, die »beiden Fremden«
auszuliefern. Der polygame Hausherr eilte im Nachtge-
wand herbei und zitterte angesichts der Uniformierten.
Man führte uns ihm vor, und sein Zorn hinderte ihn daran,
auch nur ein einziges Wort hervorzubringen. Als ich mich
ein letztes Mal nach dem Haus umwandte, sah ich die
Um-
risse von vier Gestalten auf der Terrasse.
Erst auf der Polizeiwache begriffen wir, was uns in diese
Lage gebracht hatte. Ich erfuhr, dass Leila der Grund
war!
Sie erklärte es mir mit der typischen Sorglosigkeit ihres
ju-
gendlichen Alters.

Ein paar Tage zuvor, so erzählte sie, hatte sie, als sie
auf der
Terrasse saß, eine Stimme vernommen.
»Du da! Mädchen! Komm runter, ich muss dich was fra-
gen.«
Leila sah sich um, wollte wissen, wem die Stimme
gehörte,
und entdeckte, dass sie aus dem Haus des Gehorsams
kam.
»Kornm runter! Ich bitte dich darum, kornm!«
Leila ging die Treppe hinunter und blieb vor der Luke des
Hauses des Gehorsams stehen. Sie sah niemanden,
vernahm
aber dieselbe Stimme:
»Darf ich dich um einen Gefallen
bitten?«
Leila fragte hastig: »Pardon, wer ... ?«
Ein Umschlag wurde unter derTür durchgeschoben.
»Nimm diesen Brief und bring ihn zu der Adresse auf Gehorsams in Brand setzen wollte, nachdem er den
dem Schwin-
Umschlag.« del entdeckt hatte. Er schlug Alarm, und die Polizei
»Ich kenne die Stadt nicht, und ich kann nicht lesen ... « erhielt
Die Stimme klangjetzt noch dringlicher, dann fast erstickt: den Befehl, uns wegen Mittäterschaft festzunehmen. In
»Bitte, bitte. Um Gottes willen! Mein Leben hängt davon der
ab.« allgemeinen Verwirrung nahmen sie auch Chouchana,
Und das Geräusch von Schritten verriet, dass die Person die
schnell ins Innere des Hauses eilte. schwarze Dienerin, mit.
Am Tag vor unserer Festnahme hatte eine Insassin des So hatte Leila mir nun den eigentlichen Grund verraten,
Hau- der sie vor kurzem durch die Gassen der Altstadt
ses des Gehorsams unter Zwang gestanden, dass sie getrieben
mit Hil- hatte ...
fe des jungen Mädchens, das gegenüber wohnte, eine Das Frauengefängnis befand sich am Ausgang der
Nach- Medina,
richt an ihren Geliebten gesandt hatte. Der Geliebte war ganz in der Nähe der Pforte der Reue. Kaum hatten wir
ihrem Ruf gefolgt, sie hatte ihn als ihren Bruder ausgege- die
ben, die Wärterin hatte nichts gemerkt, ihn Schwelle überschritten, vernahmen wir Geschrei und
vertrauensselig sahen
hereingelassen, und die beiden Turteltäubchen hatten Gendarmen in orangefarbener Uniform, die eine Gruppe
die grell geschminkter Frauen vor sich hertrieben. Einige
Nacht zusammen verbracht. Am Morgen danach tauchte Schwankten unter dem Einfluss von Alkohol, andere
überraschenderweise der Ehemann auf, der das Haus stießen
des
bei jeder Keffieh (Kopfbedeckung der Polizisten), an der Vielleicht hat mich die Vorsehung nur in dieses
sie Schlamassel
vorbeimussten, eine ganze Litanei von Flüchen aus. versetzt, damit ich mein Gewissen erleichtern kann.«
Man schob uns in eine Zelle im Untergeschoss, die man Und sie berichtete:
hinter uns abschloss. Ich fand keine Zeit, mich in Ruhe »Das Schicksal hat mich gezwungen, einen
umzusehen, weil die schwarze Haushälterin in Tränen unehrenhaften
aus- Beruf auszuüben«, stieß sie hastig hervor und musterte
brach: »Was ist los?« uns,
»Das Gefängnis ... «, wiederholte sie mehrere Male und als ob sie testen wollte, wie wir ihr Geständnis
ver- aufnahmen.
drehte die Augen. »Sie werden mich töten.«
Ich sah Leila an, die das Ganze nicht zu berühren schien. 170
Die Folgen ihres Missgeschicks schienen sie sogar zu
amü-
sieren. Das Gefängnis erregte eher ihre Neugier als ihre
Angst. Ich begriff, dass ich die Jugend um zwei Dinge be-
neidete: um ihre nicht vorhandenen Erinnerungen und um
ihre Sorglosigkeit!
Bei der Schwarzen verhielt es sich ganz anders, denn
ihre
Tränen strömten unaufhörlich. Ich trat zu ihr und nahm sie
in die Arme. Nur eine einzige Matte aus Weidenruten und
eine Kerze standen uns zur Verfiigung. Chouchana
wischte
sich die Tränen ab und entschuldigte sich für diese
zusätzli-
che Unannehmlichkeit.
Wir hörten ihre Stimme, konnten aber im Kerzenschein
ihre Augen nicht sehen. Leila und ich wurden uns
plötzlich
bewusst, dass diese Frau, die immer so ausgeglichen
gewirkt
hatte, eine schwere Bürde mit sich trug.
»[etzt, da mein Leben sich ändern wird, kann ich offen
reden.
Ich merkte, wie Leila den Blick senkte, zeigte selbst aber Kopf gefunden zu haben. Doch der Mann brachte sie in
keine Reaktion, sondern schaute die Frau aufmerksam einem übel beleumdeten Gasthof unter, zwang sie zur
an. Pro-
Zum ersten Mal entdeckte ich ihre feinen Gesichtszüge, stitution und kam nur vorbei, um sein Geld zu kassieren.
ihre langen, stellenweise eingeschnittenen Finger, ihren Eines Tages floh Chouchana und fand Zuflucht bei einer
traurigen Blick, der mir verriet, dass sie ScWimmes erlebt Puffinutter, die sie in die wahren Geheimnisse des Berufs
haben musste. einweihte: Sie brachte ihr bei, wie man sich in einem Kaf-
tan bewegt, der an den Schenkeln hoch geschlitzt ist, wie
man allen Kunden gerecht wird, wie man gekonnt alkoho-
Sie stammte aus einem Nachbarland und wurde
lische Getränke serviert und anmutig tanzt. Eifrig lernte
Choucha-
sie
na genannt, was dort Nachfahrin der Sklaven bedeutete.
die Methoden der Verführung, das Flirten, den
Als
aufreizenden
ihr Herr sie nach einem Jahr anhaltender Dürre nicht be-
Hüftschwung, das Beben des Unterleibs. Sie lernte, wie
halten konnte, verließ sie ihre Heimat und schloss sich
man mit der Zunge die Lippen der Freier stimuliert. Sie
einer
erfuhr, wie man sich im Bett verhielt, wie man die Beine
Gruppe Hirten an. Sie verdiente sich ihren Lebensunter-
spreizte, das Glied des Mannes in sich aufnahm und so
halt, indem sie vorgab, Unfruchtbarkeit heilen zu können.
tat,
Dann verliebte sie sich eines Tages in einen Mann, der
als erlebe man den Höhepunkt.
sie
zu lieben behauptete, und folgte ihm nach Ray.
171
Sie hatte geglaubt, einen Ehemann und ein Dach über
dem
Chouchanas Stimme versagte, als sie aufzahlen zu
wollte, wel- spielen und ihnen irgendwelche Gegenstände in den
che Misshandlungen ihr zugefugt wurden. Sadistische Hin-
Frei- tern zu schieben, vorausgesetzt, sie kreischten vor
er züchtigten sie mit der Peitsche und entleerten ihren Vergnü-
Darm über ihr. Einige Widerlinge pissten ihr ins gen.
Gesicht. »Diese Männer, die tagsüber die ehrenwerten
Total kaputte Typen bekamen nur einen Ständer, gläubigen
wenn sie Muslime spielten, verwandelten sich bei Nacht in den
auf ihr herumtrampelten, sie mit Fußtritten und las-
Schlagen terhaftesten Abschaum. Diese Männer waren
traktierten, ihr Hände und Füße fesselten, ihren verkommen,
Hintern so krank und vollkommen skrupellos, wenn es um ihren
lange peitschten, bis er blutete, ihre Brüste mit Schwanz ging.«
Wäsche- In manchen Nächten verkleidete sich Chouchana als
klammern spickten, ihren Venushügel und manchmal Mann,
auch um diesem Alptraum zu entgehen und nicht von der
die Augenbrauen rasierten, weil sie nur auf diese Poli-
Weise in zei aufgegriffen zu werden. Sie schlüpfte in einen
Erregung gerieten. Diese nach außen hin als ach so Burnus
gottes-
fürchtige Muslime auftretenden Männer zogen häufig
eine
ganze Kinderschar voller Respekt vor dem Propheten
und
dem Koran auf, kannten jedoch keinerlei Skrupel, die
Ehre
anderer Frauen zu beflecken, Hauptsache, die Ehre
ihrer
eigenen Frauen blieb makellos.
Einige Freier träumten, von einem Mann durchbohrt zu
werden, erzählte die Schwarze weiter, doch sie
konnten es
nicht und sie trauten sich auch nicht. Also bat man sie,
die
Freier in Spitze und Seide zu kleiden, selbst den Mann
und ging unbemerkt in irgendwelche Bars, in denen sie rinnen des Herrn haben die Aufgabe, sich fiir alle Men-
Drinks zu sich nahm, ohne erkannt zu werden. Dann schen bei Gott zu verwenden. Einige von ihnen haben
kam den
der Tag, an dem sie ihre härteste Prüfung bestehen Ruf, gefallene Mädchen zu schützen, und ihre Milde
musste. ge-
Trotz der Amulette, die die Puffmutter anfertigte, wurde hört in erster Linie Sünderinnen, wie ich eine bin.«
sie
dank der regelmäßigen Besuche eines Freiers Im Kloster des Sufi-Ordens schloss sie Freundschaft
schwanger. mit
Die Puffinutter schloss sie bis zur Niederkunft ein, einer anderen ehemaligen Prostituierten. Azriyya hieß
nahm sie
ihr dann das Baby weg - Chouchana erfuhr nie, ob es und war ein hübsches Mädchen. Sie kam aus einem
sich Stamm,
um einen Sohn oder eine Tochter gehandelt hatte -, der seine Mädchen einem seltsamen Ritual unterwarf.
hüllte Sie
es in ein Tuch und packte es in eine Tragetasche, die WUrden gezwungen, in Nachbarländer zu reisen, um
sie vor ihre
der Moschee abstellte. sexuellen Fähigkeiten zu vervollkommnen. Dann
Die Schwarze hatte endgültig genug, floh und suchte wurden
Zu- sie wieder aufgenommen, als sei nichts geschehen.
flucht in einem Kloster. Eines Abends beschlossen die beiden, eine
Strafexpedition
»Beim Grabe des Heiligen, das ist verboten!«, fiel gegen die Puffinutter zu unternehmen, die Chouchana
Leila, die das
immer noch hin und wieder Anfälle von Tugend
bekam, ihr 173
ins Wort.
»Nein, meine Schöne«, erklärte die Schwarze. »Die
Diene-
49.
höchstwahrscheinlich nicht mehr nach Hause zurück.
Das
Meer liebt sie so sehr, dass es nur selten bereit ist, sie
ihren
Frauen zurückzugeben. Und das Meer hat recht! Ihre
Frau-

E ndlich erreichten wir Ranger! Diese Stadt, in der wir


endlich Zoubida finden wollten, machte einen höchst
merkwürdigen Eindruck auf uns. Überall herrschte Toten-
en sind dermaßen hässlich, dass es angenehmer ist, in
der
Umarmung der Wellen zu sterben als in den Armen
stille, mit Ausnahme des Plätscherns der Wellen und der
dieser
sanften, steten Brise, die wie säuselnder Gesang wirkte.
abscheulichen Geschöpfe.«
Ihre
»Und hier hat sich Zoubida niedergelassen?«, fragte
Gassen, die sich die Bucht entlangschlängelten,
Leila
schienen
mich.
zum Meer zu streben, und ihre eng
»Offensichtlich«, erwiderte ich eifrig. »Diese Stadt scheint
aneinandergedrängten
Stadtviertel erweckten den Eindruck, als ob sie sich das Geheimnis selbst darzustellen.«

gerade-
wegs ins Meer stürzen wollten.
Wir gingen die Allee der Gewissensbisse entlang, kamen
am
Haus des Vergessens vorbei und bogen in die
Sackgasse der
Seufzer ein: Dieser Ort wirkte wie eine Geisterstadt, in
der
unsichtbare Erzähler anjeder Kreuzung Posten standen,
um
eine Geschichte zu erzählen. »Das ist eine Stadt der
Seeleu-
te und Fischer und der Menschen, deren Blick so uner-
gründlich ist wie der Meeresgrunds, erklärte uns ein
Mann,
der auf einer Bank saß und aufs Meer blickte. »Eines
Tages
fahren sie frühmorgens aufs Meer hinaus und kehren
wir sind vermutlich noch nicht am Ende angelangt.«
»Ich hoffe doch, liebe Tante. Es wird Zeit, dass wir
Zoubida
Wir beschlossen, in einer Pension zu wohnen, die einem
finden. Wir sind jetzt mehr als zwanzig Tage unterwegs.
Juden namens Azoul gehörte. Schnell schlossen wir
Meine Familie macht sich bestimmt Sorgen, auch mein
Freund-
Mann.«
schaft mit ihm. Sein listiger Blick und seine Fähigkeit, die
»Kornm, lass uns gehen!«
Gedanken der Frauen zu erraten, ermutigten uns, ihm
Ich drängte sie, sich in Bewegung zu setzen, damit sie
den
nicht
Grund unseres Hierseins zu verraten. Er beruhigte uns
wieder an ihre Familie dachte, sich nach ihr sehnte und
und
erneut in Tränen ausbrach.
empfahl uns, die Stadt zu besichtigen, während er sich
Da uns niemand kannte und diese Stadt weltoffen wirkte,
dar-
schlug ich vor, kein Kopftuch zu tragen. Außerdem konn-
um kümmern würde, Zoubida zu fmden. Keine Bewohne-
ten wir uns ziemlich sicher darauf verlassen, dass Leila
rin von Ranger würde sich weigern, ihm Auskunft zu er-
für
teilen, denn alle nahmen seine Dienste in Anspruch, um
eine Fremde gehalten wurde, weil das Aussehen der
ihre Ehemänner auszuspionieren.
Frauen
»Gott ist im Begriff, uns dank diesem Sohn des Mose die
von Ranger - wir konnten uns davon überzeugen - ganz
Aufgabe zu erleichtern«, sagte Leila im Gebetston. »Wir
im Gegensatz zur Schönheit der jungen Frau aus Zebib
verdienen dieses gute Ende nach all den Tagen der
stand.
Mühsal
und ... «
» ... der Überraschungen«, beendete ich den Satz. »Doch 177
Doch ich irrte mich. Innerhalb von vierundzwanzig Stun- und an seine Stelle der reinigende Gesang des Windes
den wussten die Bewohner dieser Stadt, dass Leila der trat.
Re- Wenn sie die Hauptstraße hinunterging, wurden
ligion des Propheten angehörte, folgten ihr wie Schlaf- Fensterlä-
wandler durch die Straßen und wussten nicht, ob sie den geöffnet und Türen aufgerissen, und die Männer
diese schau-
entschleierte Muslimin bewundern oder zurechtweisen, ten heraus, unwillkürlich angetan von der Sünde. Ich
ihr sagte
den Hof machen oder sie lynchen sollten. Die einen zu Leila:
fanden »Wenn wir ein paar Tage hier bleiben, werden die
sie schamlos, die anderen mutig oder unbedarft. Stunden
Natürlich und Orte des Gebets deinem Erscheinen angepasst.
wandten sich ein paar Bärtige um und spuckten aus, Man
wenn wird nicht mehr die abfahrenden Schiffe beobachten,
sie vorüberkam. Doch die übrigen Gläubigen priesen hin- son-
ter ihrem Rücken die Lebensweisheit des Propheten: dern deine Gestalt, wenn sie in die Küstenstraße
»Gott einbiegt,
ist schön und liebt die Schönheit!«

Tags darauf eilte der alte Azoul auf uns zu und strahlte
über
das ganze Gesicht. Wir dachten, er habe Zoubida
gefunden.
Er beeilte uns, zu berichten, welche Stimmung in der
Stadt
herrschte, und zwar wegen meiner Leila, denn die
Männer
von Ranger hätten sich alle unsterblich in sie verliebt,
und
zwar alle gleichzeitig. Ich sagte, das sei wohl ein Scherz,
doch er erwiderte, dass wir seine Worte bestätigt sehen
würden.
Seit sich meine Schutzbefohlene zeigte, hatte man
tatsäch-
lich den Eindruck, dass der Lärm in der Stadt leiser
wurde
deine Haare, die im Wind flattern. Ich werde hinter dir »Zum Glück hat Gott eure Jatmas (arabische Frauen) ein-
her- gesperrt«, verkündete Azoul laut lachend. »Wären sie
gehen, um das allzu brennende Verlangen und die frei,
ungezü- hätten sie Zwietracht gesät und für einen Skandal
gelte Gier im Zaum zu halten.« gesorgt.«
Ich besaß nun endgültig den Beweis für die Aha, auch die Israeliten verwendeten den Begriff Zwie-
außergewöhn- tracht.
liche Schönheit des jungen Mädchens und überzeugte Azoul machte sich einen Spaß daraus, einen kräftigen
mich schwarzen Kerl aus eigener Tasche zu bezahlen, der fiir
von der Notwendigkeit, sie zu beschützen. un-
sere Sicherheit sorgen sollte, solange er weiter nach
Als Azoul von einem Spaziergang zurückkehrte, Zoubi-
berichtete da suchte.
er uns, dass Wetten abgeschlossen würden, wem es Am Abend, als wir uns aus dem Innenhof zurückzogen,
gelänge, um
sich Leila zu nähern, ein paar Worte an sie zu richten Zum ScWafen in den ersten Stock hinaufzugehen, klopfte
oder ein Mann mit ausländischem Aussehen an Azouls Tür.
ihr ein Lächeln zu entlocken. Die Väter standen im Wett- Zu
streit mit ihren Söhnen, die Diener mit ihren Herren, und meiner großen Verblüffung würdigte er Leila keines
die Epheben trieben ihre Liebhaber zurVerzweiflung, Blickes,
wenn Sondern heftete seine blauen Augen auf mich. Ich hielt
sie den Namen der Schönen erwähnten. Unter dem sei-
Schlei-
er brodelte es in den Köpfen der monsterähnlichen Ehe- 179
frauen, die von Eifersucht und Missgunst zerrissen wur-
den.
nem Blick stand und musterte diesen Kerl mit dem er wollte auch nicht wissen, woher ich kam, noch, wie
hellen vie-
Teint, der um die dreißig sein musste. Er trug ein le Liebhaber ich vor ihm gehabt hatte. In den Augen
makellos dieses
weißes Hemd und schwarze Schuhe. Unbekannten war ich eine neue Frau, bereit fiir eine
Ich richtete es so ein, dass ich ganz nah an ihm neue
vorbeiging. Liebe. Mein Leben ist noch nicht zu Ende, sagte ich
Ich tat so, als wolle ich hinausgehen, besann mich mir
dann je- leise, und meine Wangen wurden von dem rosigen
doch eines anderen. Er verzog keine Miene, doch sein Hauch
Blick der Jugend überzogen, den ich dem Blick des
strahlte so viel Zärtlichkeit aus, wie ich es selten bei Fremden ver-
einem dankte.
Mann beobachtet hatte. Ich lüftete leicht meinen Leila schlief noch. Ich war davon überzeugt, dass sie
Schleier im
und lächelte ihn an. Traum durch die Stadt lief, mit wiegendem Gang und
Als ich oben in meinem Zimmer war, sah ich, wie er stolz
sich erhobenem Haupt, sich ihres Körpers, der ihr jetzt lieb
auf das Kranzgesims gegenüber stützte und mein und
Fenster vertraut geworden war, voll bewusst. Sie sammelte
nicht aus den Augen ließ. Kompli-
Nachts träumte ich von ihm. Ich ging am Strand
entlang, 180

und er begleitete mich.Wir gingen Arm in Arm. Er


halfmir
in ein Boot, und wir überquerten den Ozean. Der
Druck
seiner Finger auf meiner Taille raubte mir den
Verstand, und
am Morgen pochte meine Muschi wilder als mein Herz.
Ich erhob mich leichtfußig und gut gelaunt. Der junge
Mann, den ich gestern Abend zum ersten Mal gesehen
hat-
te, schien sich nicht an meinem Alter zu stören. Ich
denke,
181
mente wie andere Muscheln am Strand. Man flüsterte
ihr
zu, sie sei sehr schön, und diese Bestätigung würde
sie bis
zum Erwachen verfolgen. Dann hätte sie die
endgültige
Gewissheit, wirklich schön zu sein.

Ehrlich gesagt, Ali, weiß ich nicht genau, ob es mein oder


Leilas
Traum ist, den ich dir hier erzähle.
Z
von
wei schlechte Nachrichten erreichten uns zur selben
Zeit. Die erste betrafLeila. Das Netz der Megären
waren so schwer wie mein Herz. Hatte sie meine
Schwäche
für den Fremden erraten?
Azoul hatte vergeblich nach Zoubida gesucht. Die einzige
Hoffnung: Eine reiche Fischhändlerfamilie erinnerte sich, 182
eine Frau dieses Namens, die aus dem Norden stammte,
beherbergt zu haben. Doch sie sei vor zwei Wochen in
den
Süden gereist, zur Oase von Sabia.
Ich erfuhr, dass der Fremde ebenfalls abgereist war.
Azoul,
der so feinfühlig war, kein Erstaunen über meine Frage
zu
zeigen, vermutete, dass auch er den Weg nach Sabia
einge-
schlagen habe, wo eine Gruppe von Arbeitern aus
seinem
Land im Einsatz war.
Leila zeigte ihre Leichenbittermiene, und ich hatte genug
von Ranger. Das Bestreben, das junge Mädchen zu
trösten,
und die Bitterkeit über meine unerfullten Träume wogen
schwerer als der Wunsch, mich länger in Ranger
aufzuhal-
ten. Also beschlossen wir, unsere Reise fortzusetzen.

Wir ließen die Küste hinter uns und folgten dem Weg ins
Hinterland.
Leila drehte sich immer wieder um, als wolle sie die Erin-
nerungen an die Stadt, die ihr so viele Huldigungen
entge-
gengebracht hatte, wie das Meer Wellen ans Ufer spült,
fur
immer in ihr Gedächtnis eingraben.
Ich warf Leila von der Seite einen Blick zu. Ihre Schritte
Die Landschaft veränderte sich von einer Minute zur Leila betrachtete mich verblüfft. Sie war inzwischen daran
ande- gewöhnt, dass ich über Sex redete, aber es schockierte
ren. Die Vegetation wurde karg, und so weit das Auge sie
reich- offensichtlich, dass ich mich so wenig ehrerbietig an Gott
te, sah man nur Sand. Kein Flügelschlag, keine feucht wandte.
glän- Ich erklärte ihr, während ich vorausging, dass es in
zende Spiegelung eines Blatts. Gott musste diesen Land- meinem
strich, den er ohne Schutz durch Sträucher den Winden Berber-Heimadand üblich war, mit Allah zu reden, der
und Stürmen aussetzte, als einziges Bollwerk die Wüste uns
und genauso nahesteht wie unser nächster Nachbar. Die
die Stille, verflucht haben. Hirten
Ich blickte zum Himmel hoch und nahm meinen Schleier rufen Ihn genauso herbei wie ihre Herde,jene, die
ab. Perlende Tropfen benetzten mein Gesicht, und stolpern,
Schweiß werfen Ihm vor, dass Er ihnen den Weg versperre, die
rann meinen Körper entlang und sammelte sich in meiner Be-
Pospalte. Ich vermutete, dass Allah uns sah, wie wir uns trunkenen vertrauen sich Ihm an, damit Er ihnen den rich-
wie tigen Weg zeige, die Bauern beschimpfen Ihn an den
zwei kleine Ameisen vorwärtsbewegten, die Jungfrau und Tagen,
ich, und ich jammerte: an denen der Regen ausfällt, und die Frauen klettern auf
»Mein Gott! Du hättest es sehr wohl einrichten können, ihre Terrassen, um gleichberechtigt, sehr gestenreich
mich in einem milderen Land zur Welt kommen zu und
lassen, manchmal auch mit Beschimpfungen mit Ihm zu reden.
dann hätte ich auch den Schleier besser ertragen.« M.eine Cousins verbrachten ihre Zeit damit, sich Allahs
Wohnstätte vorzustellen, in der Er uns nach unserem Tod das
empfangt. Sie bevölkerten das Paradies mit ihren Vertrauen entziehen, Ihm einen Schlappschuh nachweijen,
Fantasie- das tut
gestalten, drängelten sich aber vor, um vor jedem der VVt?lt nur gut. Aber man muss auch niederknien, um
anderen Seine
Gläubigen die Huris (Iungfrauen) ausfindig zu machen, Verzeihung zu erbitten, Ihn mit einem Gebet milde stimmen,
um Ihn
die schönsten fiir sich selbst zu reservieren. Außerdem mit ganzem Herzen anrufen. Wenn es Ihn nicht gäbe,
woll- würde
ten sie endlich Gelegenheit haben, Gott zu beschreiben, man sich fragen, mit wem man plaudern oder streiten
seinen langen gepflegten Bart, seine Tunika, die von den soll.
kleinen Händen der Engel und Feen gewebt wurde, seine Er nimmt uns nie etwas übel. Wir wissen es, und Sein
Füße, die nackt waren oder in billigen Sandalen steckten.
Und wenn man ihnen glauben wollte, ließ Gott sein schal-
lendes Lachen oder seinen heiligen Zorn in Form von
star-
ken Regengüssen auf uns niederprasseln. Sie erblickten
Ihn
in aufrechter Haltung vor den Toren Seines Königreichs,
wie er die Schar der Gläubigen musterte, die sich
geduldig
in langen WartescWangen anstellten, um sich der letzten
Prüfung, dem Jüngsten Gericht, zu unterziehen. Einer
nach
dem anderen trat vor, neugierig und eingeschüchtert, und
bewunderte den Einzigen, der links und rechts von
seinen
Propheten eingerahmt wurde, die ihm als Ratgeber dien-
ten, und zwar in einer Hitze, die das Verlangen nach dem
Garten Eden ganz erheblich schmälerte. Sie vermittelten
Seine Bemerkungen, Seine Urteile, Seine
Zurechtweisun-
gen und Sein Lob.
»Wie mein Vater bereits sagte: Allah ist unser Herr im
Himmel,
man kann mit Ihm schimpfen, Ihm Vonvüife machen, Ihm
Schweigen spricht für sich, denn es gleicht der Stimme einen blauen, dreifach geschlungenen Turban trug und
der uns
Tauben.« in die Karawane aufnahm.
»Die Tauben haben eine Stimme?« Wir machten an der ersten Wasserstelle Rast und
»Anscheinend ja, denn sie ist die Stimme Gottes. Seine verzehr-
Weisheit ist einzigartig.« ten ein frugales MaW aus Datteln und getrocknetem
Fleisch.
Ich wusste, dass meine Antwort als schleimen ausgelegt Dann bildete sich ein Kreis um einen jungen Märchen-
wer- erzahler, der auf einer Matte Platz nahm. Zuerst richtete
den konnte, aber ich wollte Allah gefallen, ein kurzes Au- er
genzwinkern, ein Geschenk, das darin bestand, Ihn als ein Dankgebet an Gott, dann berichtete er in Versen und
Herrn Reimen von den Ereignissen vergangener Zeiten, vom
über alles, was uns widerfahrt, anzuerkennen, weil ich Schicksal der Könige und von fernen Ländern, von
die Fürsten
Gründe dafür schlicht und ergreifend nicht kapierte. und Leibeigenen, von schönen und weniger schönen Da-
Gott ist dem Zauber meiner Worte vermutlich erlegen men, von Fischern und frommen Gläubigen.
und Ich betrachtete Leila. Ihre Augen nahmen die
verzieh mir meine Unverschämtheit, denn Er schickte Geschichten
uns des Poeten und Sängers wie liebliche Landschaften auf.
eine Karawane, die zur Oase von Sabia zog. Man stellte Zum ersten Mal bemerkte ich ihre Liebe zur Sprache,
uns aber
dem Karawanenführer vor, einem Mann um die fünfzig, ich War weit entfernt davon zu ahnen, an welchem Punkt
der der junge Mann seine Sprache verlieren würde.
50.
51.

würden, nicht nur durch die Schuld falscher Propheten,


sondern auch weil die Liebe aus der Mode gekommen sein
dürfte. Der junge Märchenerzähler sagte es auf seine Weise
und feuerte die Frauen an: »Singen Sie, singen Sie! Bald
so ging es eine ganze Woche lang. Wir erholten uns werden die Männer das freie Wort einsperren, die Worte,
nachts, bauten morgens in aller Frühe unser Lager ab die am Körper kleben, den Speichel der Gazellen, die be-
und rasteten in der quälenden Mittagshitze. vorzugte Tinte der Poeten!«
Wir machten einen Bogen um bestimmte Oasen, wie zum Neben mir schmolz Leila dahin.
Beispiel um Bandär, die vom Cousin des Kalifen von Sama- Der Vater rief nach seinem Sohn und tat so, als ermahne er
ra, einem gewissen Taleb, regiert wurde, der seinen Stamm ihn vor all den anderen:
im Stich gelassen hatte. Es ging das Gerücht, er sei ein Hei- »Mein Junge, ich habe dich aufgezogen, damit du nach
liger mit unzähligen Tugenden. Er ernähre sich von Baum- meinem Tod die Karawane anfuhrst und nicht den Gesang!
rinde, gehe unter seinem Chasuble aus Wolle nackt und Ich wünschte mir, dass du dir die Stille und die Geduld der
trage einen Bart, der ihm bis zum Bauchnabel reiche, so Kamele zu eigen machtest, damit sie dich als ihren Herrn
dass die Kameltreiber, die in den Dünen auf ihn stießen, ihn anerkennen würden - und was machst du, du spielst dich
fiir einen Dschinn des Sandes hielten und sich schleunigst als Herr der Worte auf. Der Teufel ist mein Zeuge: Ich habe
aus dem Staub machten. Taleb wollte alle Gebote Gottes bei deiner Erziehung versagt!«
wieder einfuhren und sie um seine ergänzen, da er der Mei- Dann lachte er fröhlich: Man erkannte unter den verschlei-
nung war, dass seine Zeitgenossen nicht genug taten, um erten Gesichtern auch das der Mutter, das ebenso viel
den Einen und Einzigen zufriedenzustellen. Er wollte die Glück
Sklaverei wieder einfuhren, forderte den Tod durch Viertei- ausstrahlte wie das ihres Mannes.
lung für diejenigen, die dem Alkohol frönten, und wollte
Mädchen bei lebendigem Leibe begraben lassen. Er verbot In der Abenddämmerung des siebten Tages erblickten wir
Gesang,Tanz und Malerei, so dass seine Oase der einen Palmenhain und das Ockergelb von Gebäuden aus
»Friedhof Terrakotta, das in den letzten Sonnenstrahlen leuchtete.
der Lebenden« genannt wurde. »Sabia, Sabia«, riefen die Kameltreiber, die den Zug anfuhr-
ten.
Die Frauen in unserer Karawane dagegen liebten es zu sin- Man hatte uns Sabia als Nomadenlager beschrieben, doch
gen, legten dabei eine Hand auf die Wange und die andere wir stellten mit Erstaunen fest, dass es sich um einen
aufs Herz. Und es waren sehr schöne Balladen, die von den großen
Qualen und den Freuden der Liebe erzählten. Ich dachte, Marktflecken handelte, der in eine riesige Düne eingebettet
dass diese Gesänge vermutlich irgendwann verschwinden lag.
Die Karawane musste in einiger Entfernung von Sabia ihre
186
Zelte aufschlagen. Wir sollten uns also von unseren 188

Freun-
den verabschieden und weiterziehen.
Leila machte ein finsteres Gesicht und suchte mit den Bli-
cken Amir, denn so hieß der Poet. Er äußerte
unverblümt,
dass er es riskant finde, wenn zwei Frauen allein nach
Sabia
gingen und dort übernachteten, was bestimmt für unge-
heuren Wirbel sorgen würde.
Daraufhin traf der Anführer der Karawane eine Entschei-
dung. Er befahl seinem Sohn, uns in die Stadt zu
begleiten
und abends wieder zurückzubringen, und schwor, uns
erst
dann ziehen zu lassen, wenn wir eine sichere Unterkunft
in
der Oase gefunden hätten.
Doch es kam anders.Auch wenn ich im Allgemeinen
Ritter-
lichkeit sehr schätze, lehnte ich Amirs Angebot ab, uns
nach
Sabia zu begleiten. Ich wollte nicht, dass der junge Mann
den
Grund unserer Reise erfuhr, auch wenn er
verständnisvoll
und diskret war, was ich der Poesie zuschrieb, die ihn
zwei-
fellos vor den Erfahrungen der harten Realität rettete.
die großen Wasserbecken setzen.
Die anfangs noch misstrauischen alteingesessenen
Bewoh-
ner fielen schnell auf die Versprechungen der Weißen

D ie Kameltreiber berichteten uns, dass Sabia eine


selt-
same Entwicklung durchgemacht habe, ohne dass die
her-
ein. Welchen Besitz konnten diese Fremden ihnen
letztlich
Einwohner daran wirklich teilhatten. In dieser Sandwüste nehmen? Was konnten sie ihnen rauben, was ihnen nicht
wurde »der Schatz« als Erstes entdeckt. Wie durch schon ein missgünstiges Schicksal geraubt hatte: Der
Zauber- Him-
hand traten die Blauaugen in Erscheinung, und der Wali mel war nicht geneigt, der unfruchtbaren Erde auch nur
bot den geringsten Tropfen zu gönnen. Künftig würden sie
ihnen an, seine Oase bis ins Innerste aufzuwühlen, Die sich
Wei- im Schatten der Palmen räkeln, Mittagsruhe halten
ßen unterschrieben beidhändig, lächelten und können
verbeugten und Von heißen Mösen träumen, während die Blauaugen
sich und überschlugen sich, um der Bevölkerung Behag- darauf achteten, dass nichts Unvorhergesehenes
lichkeit und Frieden anzubieten. Sie begannen, in der geschah. Da
Wüs- sich die Fremden um alles kümmerten, würden sie
te Pisten anzulegen, um »den Schatz« zu heben, dann künftig
bau- darauf verzichten können, ihre Kinder in die Schule zu
ten sie Straßen und Brücken, ja sogar Spielhallen. Sie schicken oder sie ein Handwerk lernen zu lassen.
woll- SOmit vernacWässigten sie ihre Oase und kümmerten
ten das Wasser aus dem Sand sprudeln lassen, und
sich
Fische in
wohner von Sabia den Gebrauch ihrer Hände zugunsten strahlendem Gesicht davor, um sich in den Blick des
dem ihrer Ohren verlernt hatten! Poeten
Wenn die Oase also den Grund unseres Besuchs zu versenken, der seine Augen zwischen ihr und seiner
kannte, Holztafel hin- und herschweifen ließ.
wer konnte uns dann helfen? Offensichtlich niemand, Ich musste mich den Tatsachen stellen. Seit unserer
denn Ankunft
wir erhielten keinen Hinweis, welche Richtung Zoubida betrachtete sich Leila häufig in dem kleinen Spiegel, den
eingeschlagen hatte. sie
Zu meiner Verblüffung schien Leila nicht so verstimmt an der Zeltwand angebracht hatte, wühlte in ihren
wie Sachen
in Ranger zu sein, als sie von Zoubidas Abreise erfuhr. auf der Suche nach einem passenden Gewand, verließ
Sie das
lief leichtfußig zur Karawane zurück und wirkte keines-
wegs wie jemand, den das Scheitern unserer
Bemühungen
niederdrückte.

Dennoch setzten wir unsere Nachforschungen fort, aller-


dings vergebens. Schließlich erklärte Leila, sie sei müde
und
erschöpft. Sie brach in Tränen aus und sagte, sie verliere
die
Hoffnung und schwor bei allen Himmeln, dass wir Zoubi-
da niemals finden würden. Ihre Mutlosigkeit beunruhigte
mich. Ich erklärte ihr: »Weder mein Jungfernhäutchen
noch
meine Ehre stehen auf dem Spiel, und ich habe keinen
Mann, der auf meine Rückkehr wartet.« Warum also
wollte
sie aufgeben?
Sie erriet meine Frage. Wie die anderen Male bemerkte
ich,
dass ihre Laune sich besserte, wenn wir zur Karawane
zu-
rückkehrten. Sie eilte zu unserem Zelt und setzte sich mit
Zelt erst, wenn sie ihr Haar glatt gestrichen, ihre Augen »Ich hätte diese Reise nicht antreten dürfen, um meine
mit Ehre zu retten, sondern um lesen und schreiben zu ler-
Kajal umrahmt und ihr Tuch hübsch über der Stirn arran- nen.«
giert hatte. »[a, Gott empfiehlt eine Reise nach China, um Wissen zu
Sie stellte sich vor Arnir, der sie anscheinend bereits erwerben. Aber er hat keine Reisen vorgesehen, um
erwar- versie-
tete. Er saß auf einem Kamelsattel vor dem gelte Jungfernhäutchen zu öffnen.«
gegenüberlie- Sie war taub fiir die Ironie meiner Worte.
genden Zelt, neben sich das Tintenfass, das in einer »Ich möchte bei dieser Karawane bleiben und Arnir
Mulde bitten,
im Sand steckte. Er sah sie an, neigte den Kopf, um zu mir das Lesen beizubringen.«
schreiben, und ließ erneut den Blick auf ihr verweilen. »Du möchtest weise ins Dorf zurückkehren? Das wird
Plötzlich wurde mir bewusst, wie schön der junge Mann dei-
war. Noch nie hatte ich solch pechschwarzes Haar ne Familie in höchstem Maße entzücken.«
gesehen, Und wieder ignorierte sie meinen spöttischen Ton. Ich
solch volle Lippen und einen solch tiefgründigen Blick, fuhr
der fort:
an einen geheimen Zufluchtsort gemahnte. »Du hast doch wohl nicht vergessen, was ganz Zebib
von
An jenem Nachmittag, als ich aus Sabia zurückkehrte, dir erwartet? Dass du den Beweis lieferst, dass deine
wo- Möse
hin ich mich allein begeben hatte, ließ Leila verlauten: intakt ist. Dein Kopf interessiert sie nicht die Bohne. Und

19 193
2
die Verse dieses jungen Mannes nehmen leider nicht den zwischen uns entstehen zu lassen. Unser Alter und mein
Bann von deinem Jungfernhäutchen.« Status als Fremde würden uns sicher bald erlauben, die
Ich war über meine eigene Strenge erstaunt, aber ich Vor-
sagte schriften der Moral zu umgehen und die
mir, dass ich eine Verpflichtung eingegangen war, eine Sprachschwierig-
Auf- keiten zu überwinden.
gabe übernommen hatte, ich weigerte mich aufzugeben.
Das Wissen war nicht mein Ding, die Liebe sehr wohl.
Weder dieser Poet, der unbedingt Reime verfassen
wollte,
noch diese Kleine, die davon träumte, Wissen zu
erwerben,
würden mich einschüchtern können.
Ich fuhr fort, und mein Ton schwankte zwischen Ernsthaf-
tigkeit und Spaß:
»Wenn du es wirklich willst, dann lass ich deinen Dichter
wie einen Schlafwandler zu dir kommen.«
Sie erhob sich in einem Anflug von Verstimmung, und ich
schloss daraus, dass ihre Bewunderung für den jungen
Mann
allein mit ihrem Kopf zu tun hatte.
Irgendetwas störte mich. Ich stellte zum ersten Mal fest,
dass Leila keine Lust hatte zu antworten, und zwar nicht
aus
Scham, sondern ganz bewusst. In ihrer Entfernung von
mir
lag die Möglichkeit einer Zuflucht, die mir bislang unbe-
kannt war. Welche Kraft verlieh ihr diese neue Selbst-
sicherheit, die wie eine Herausforderung wirkte?
Eigentlich hatte ich ihr von meiner Begegnung mit einem
Teppichhändler in Sabia erzählen wollen, aber da ihre
Hal-
tung mich irritierte, verzichtete ich darauf.
Tatsächlich hatte ich kaum zwei Sätze mit dem guten
Mann
gewechselt, aber das hatte genügt, um große Sympathie
Ich vertraute ihm ohne weitere Einzelheiten an, dass wir, verweigert. Im Übrigen hat sie mich an ihre bei den
»rneine Tochter« und ich, in Sabia nach einer Schwes-
Verwandten tern weiterempfohlen, die ich auch beglücken darf. Ja,
suchten, als ich auf eine junge Frau aufmerksam wurde, mei-
die ne Liebe! Sechsundachtzig Jahre alt und drei Jungfrauen
aus dem hinteren Teil seines Ladens auftauchte und sehr aus
eilig verschwand, den Schleier tief ins Gesicht gezogen. dem Paradiesk
Ich ))Was zum Teufel kann eine junge Frau Besonderes an
zog ihn wegen der Besuche des »jungen Gemüses« auf, dir
doch er versicherte mir, dass er nicht vorhabe, mich zu finden? Und warum sollte sie deine körperliche Nähe su-
be- chen? Bei allem Respekt«, fügte ich hinzu und
eindrucken, um mich zu verführen, denn ich sei für unterdrück-
seinen te ein Lachen, »ich kann nicht begreifen, wie man einen
Geschmack viel zu alt, doch er wolle mir »der Wahrheit« untätigen Arbeitslosen einem dynamischen Arbeitenden
zuliebe von seinen Eroberungen erzählen. vorzieht.«
»Ich bin sechsundachtzig Jahre, und die junge Frau, die ))Meine Gute, ich habe nie behauptet, dass sie mich
ge- mehr
rade meinen Laden verlassen hat, ist fünfundzwanzig. lieben als ihre Männer. Unterstell mir keine Worte, die ich
Nachts nicht gesagt habe.«
ist sie bei ihrem Ehemann, tagsüber bei mir.« »Dann erklär mir, warum sie zu dir kommen, wenn sie
»Und wie kommst du zu der Gunst einer so jungen doch
Frau?« angeblich in ihre Ehemänner verliebt sind?«
»Das ist ganz einfach. Ich gebe ihr das, was ihr ))Diese jungen Frauen genießen die Vorstellung, ihre
Ehemann ihr Man-

19 195
4
52.

ner zu betrügen, so einfach ist das! Du weißt so gut wie ich, Und ich provozierte den Alten:
dass sie sich, solange sie Jungfrauen sind, bewahren, sich »Und wie machst du es diesen jungen Frauen? In deinem
aber allen darbieten, wenn sie erst einmal entjungfert sind. Alter kann man ja mit dem Schwanz nicht anders umgehen
Niemand wird es nachprüfen können. Frauen sind die als die Tauben mit den Ohren, die Einarmigen mit den
klügsten Geschöpfe, die ich kenne. Göttinnen! Männer Händen und die Bösewichte mit dem Herzen.«
wissen so wenig über sie. Sobald sie ihnen auch nur einen Er wieherte vor Lachen.
winzigen Freiraum lassen, huschen sie in meinen Laden. »Hast du vergessen, dass ich noch meinen Mund, meine

Ich Finger und meine Füße besitze? Sie sind nach wie vor neu-

danke euch, meine Geschlechtsgenossen, eure Dummheit gierig und lüstern. Ich verzichte auch nicht auf bestimmte
beschert mir hübsche Entschädigungen.« Hilfsmittel, und das bringt mein junges Gemüse, wie du es
Ich tat so, als verlöre ich die Geduld: nennst, auf Hochtouren. Die jungen Frauen sind der Mei-
»Genug geschwafelt, unterhalten wir uns ernsthaft!« nung, dass keine Untreue vorliegt, wenn keine Penetration

»Ich bin ernsthaft, beim Barte des Propheten! Diese Mäd- stattfmdet.«
chen, die es gewohnt sind, sich im Verborgenen zu bewe- »Als ob Untreue nur darin besteht, einen anderen Schwanz
gen, empfinden nur dann Lust, wenn sie verboten ist. Mein als den des Ehemanns in sich aufzunehmen! Es genügt der

Laden ist ihr Geheimnis, und das Geheimnis ist ihr Aphro- geringste außereheliche Gedanke, ein Hauch von Herz-
disiakum, und das Aphrodisiakum ist ihre Rache an ihren klopfen - und der Ehebruch ist gegeben. Ach, Männer! Sie
Ehemännern.Verstehst du?« sind wirklich geistig behindert, wenn es darum geht, Frau-
»Das bedeutet also, dass sie weniger Lust empfinden wür- en zu verstehen!«
den, wenn sie ganz nach Belieben vögeln könnten?«
»Das Verbotene ist die halbe Lust.« Als ich den Alten erneut aufsuchte, dachte ich an Leila. Si-
»Ach, das ist doch alles nur das Gesabbere eines alten cher saß sie wieder einmal dem Poeten gegenüber. Ich er-
Man- riet den Glanz in Amirs Augen, die Bewegungen seiner
nes!«, widersprach ich. Hand, während er seine Gedanken eifrig zu Papier brachte.
Mir fiel ein, wie ich Leila gegenüber einmal das Verbotene Und ich kam zu dem Schluss: Es erübrigt sich, darauf zu
als wichtigen Teil der Lust gepriesen hatte. Doch als ich den warten, dass dieser Edelknabe meiner Schutzbefohlenen
Alten reden hörte, wie er seine Abenteuer zum Besten gab, Lektionen in körperlicher Liebe erteilt, er kann lediglich
empfand ich fur diese Theorie denselben Ekel, den man ihren Kopf mit Gedichten fullen. Sie bewundert sein Dich-
empfindet, wenn ein kostbarer Gegenstand in unwürdige tertalent, nicht seinen Schwanz. Das erschwerte meine Auf-
Hände gefallen ist. gabe zusätzlich und zögerte ihre Entjungferung endlos hin-
Ich würde meiner Gazelle beibringen, dass Lust nicht nur aus.
das umfasst, was List und Zusammenleben zulassen. Ich
würde ihr erklären, dass man in erster Linie lieben mUSS.
I97
Was tun? Wir mussten unsere Reise fortsetzen, wenn »Vielleicht hält sich der Fremde, den wir in Ranger
auch kurz
leider mit versiegelter Mandel. gesehen haben, ebenfalls in Sour auf ... «, unterbrach
Noch am selben Abend erklärte ich Leila, dass wir sie
unsere mich.
Suche nach Zoubida wieder aufuehmen würden und Wenn ich einst ihren Scharfsinn bewundert hatte, so
uns bedau-
von der Karawane trennen müssten. Ich nahm an, die erte ich ihre derzeitige Blindheit, die ich ihrer
Frau aufkeimen-
habe sich vermutlich auf der Insel Sour, einige Meilen den Liebe für die Poesie zuschrieb. Leila hatte nicht
von be-
Sabia entfernt, niedergelassen, weil sie dort jede merkt, dass ich zuweilen ohne Anlass verschwand.
Menge Sie hatte
Barrikaden zwischen den Schenkeln junger Mädchen gar nicht mitbekommen, dass ein realer Liebhaber die
er- Er-
richten konnte, da die Eltern seit der Ankunft der Blau- innerung an den erträumten Liebhaber längst
augen um die Unschuld ihrer Töchter furchteten. verscheucht
»Sorge hatte. Jede zweite Nacht ließ ich mich in der
dafur, dass ihr Jungfernhäutchen doppelt vernäht Abenddäm-
wird«, merung in den Dünen oder unter den Palmen von
würden die Väter Zoubida anflehen, während die Arnirs
Mütter
stöhnen würden: »Diese Fremden sind die geborenen
Ver-
führer. Sie haben die üble Angewohnheit, den
Mädchen
hinterherzulaufen und ihnen fiir nichts und wieder
nichts
die Fingerspitzen zu küssen.« Zoubida habe zweifellos
eine
einträgliche Einnahmequelle entdeckt, erklärte ich,
weil das
Vordringen der Ungläubigen gebot, die
jungfernhautchen
zu verschließen, damit nicht alle jungen Mädchen
verge-
waltigt würden.
Vater vögeln. Aus diesem Grund suchte ich auch in wissen
Sabia nicht, dass der Kopf der Frauen nicht immer dasselbe
nicht nach dem Fremden. will
Ich fuhr fort, als habe ich ihre Bemerkung nicht gehört: wie ihre Möse, denn wenn die Möse entbrannt ist,
»Diese Dummköpfe in Sour glauben, dass sie ihre verlieren
Töchter sie als Erstes den Kopfl«
unantastbar machen, indem sie ihnen die Köpfe
verhüllen Ich glaube, ich hatte gar nicht mal so unrecht ...
und die Mösen versiegeln! Was für ein Unsinn! Sie

199
ott ist mein Zeuge, dass wir nur zwei Stunden von allein die Lösung von Leilas Problem bieten könnte, in
G
bemerk-
Sabia entfernt waren, als ich meinen Irrtum Händen.
Als ich die niedergeschlagene Miene meiner
te. Ich war so kurz vor dem Ziel und hätte es beinahe aus Schutzbefoh-
Unachtsamkeit verfehlt. Ich konnte Zoubida vergessen! lenen sah, die seit unserem Abschied von der Karawane
Ganz sicher hatte ich diese Reise nicht unternommen, un-
da- aufhörlich schluchzte, fiel es mir wie Schuppen von den
mit Leila sich in die Worte verliebte. Ich musste jedoch
ein-
räumen, dass die Lösung ihres Problems davon
abhängen
konnte. Man hatte mir so etwas nicht beigebracht. Ich
per-
sönlich schmolz angesichts der Avancen eines Mannes
und
seiner Verführungskünste dahin, war der Meinung, die
Lie-
be liege in der Hand, die mich liebkost, in der Brust, die
sich hebt und senkt, im Blick, der verführt, und im einla-
denden Schweigen. Ich wusste nicht, dass die Liebe
auch
durch Poesie entstehen kann. Ich fragte mich, wie ein
Mann,
der Leila mit keinem Finger berührt hatte, der sich darauf
beschränkte, ihr Verse vorzutragen, sie derart bezaubern
konnte. Sind Frauen also doch romantisch? Dient ihnen
das
Wort als Ersatz fur die Liebkosung, die Verehrung als
Ersatz
furs Vögeln? Sie geraten also beim Gemurmel der
Buchsta-
ben, beim Klang der Silben in Ekstase? Der alte Teppich-
händler würde sich ins Fäustchen lachen, wenn er es
wüsste.
Und ich hielt endlich den Schlüssel unserer Reise, der
Augen: der Poet! Sie liebte ihn zweifellos. Wir mussten Der alte Teppichhändler zog gerade den Rollladen
nach seines
Sabia zurückkehren, und zwar schleunigst. Geschäfts hoch und murmelte dabei ein paar Formeln,
die
»Nichts wie zurück, bevor unsere Freunde die Zelte einen guten Geschäftsverlauf verheißen sollten.
abbau-
Meine Anwesenheit erregte die Neugier der wenigen
en.«
Pas-
Sie fragte nicht, warum, sondern fiel mir um den Hals,
santen, die ihre Siesta schon beendet hatten. Doch
küsste meine Augen und meine Stirn, rannte den Weg
keiner
zu-
hätte mich gefragt, was ich hier tue und warum ich mich
rück und vollführte dabei ausgelassene Freudensprünge,
mit einem Mann unterhalte. Hier wie anderswo glauben
die
die törichten Männer, dass eine Frau über dreißig zur
schönste Gazelle der Wüste.
Un-
person wird, zu einem asexuellen Wesen, einem
Als wir die Karawane erreichten - ich gab vor, eine wichti- Geschöpf,
ge Angelegenheit habe uns nach Sabia zurückgetrieben, dem die Lust verlorengeht wie das Mark den Knochen.
und stellte die unübersehbare Freude des Poeten fest -, Le-
wies diglich ihr fortgeschrittenes Alter erlaubt es einer Frau,
man uns ein anderes Zelt zu und teilte uns mit, dass der sich
Stamm am übernächsten Tag das Lager abbrechen in Augenhöhe mit einem Mann zu unterhalten. Du lieber
werde. Bimmel!
Ich wusste genau, was ich zu tun hatte, und stand bei
Ich begrüßte den alten Mann, der sich zu freuen schien,
Ein-
bruch der Nacht auf dem Markt von Sabia.

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0
mich wiederzusehen. Nach em paar belanglosen Worten dem Staub zu machen, nachdem er ganz legal ein Mädchen
brachte ich meine Bitte vor: edler Abstammung gevögelt hat.«
Und dann erzählte er mir die folgende Geschichte emes
»Bist du bereit, einer armen Witwe zu helfen?« jungen Mannes aus einem Nachbarland.
»Wenn es in meiner Macht liegt, gern.«
»Meine Tochter ... von der ich dir erzählt habe ... « Ein reicher Kaufinann hatte eine junge Frau geheiratet, die
»Vergiss es!« so schön wie der Morgen, aber eigensinnig wie ein Maul-
»Aber nein, du Dummkopf Begnüg du dich mit deinen esel war. WoW reizte sie ihn mit ihrem Hinterteil, verwei-
Jungfrauen. Ich will meine Tochter verheiraten. Aus Liebe. gerte ihm aber das Vögeln. Eines Tages sprach er in einem
Finde mir einen Imam unter deinen Freunden.« Anfall von Zorn den verhängnisvollen Satz, der das Band

»Was genau willst du?« der Ehe wie ein Schwert zerschneidet:

»Insgeheim zwei jungen Leuten eine Liebesnacht sehen- »Ich verstoße dich, ich verstoße dich, ich verstoße dich«,

ken.« wiederholte er dreimal. Doch dann bedauerte er seinen

»Und das nennst du Liebe?« Entschluss auf der Stelle und wollte seine Frau zurückha-

»[a, in der Liebe gibt es keine Zeit.« ben. Aber das Sprichwort sagt: »Ins Hammam zu gelangen

»Sind beide ungebunden?« ist schwieriger, als es zu verlassen.« Der Kaufinann suchte

Ich zögerte mit der Antwort. Trotz seines ehebrecherischen den Richter auf und erkundigte sich, wie er auf gesetzliche

Verhaltens konnte der alte Händler zu der Sorte von Gläu- Weise wieder an sein Eigentum gelangen könne. Dieser
antwortete:
bigen gehören, die in Sachen Moral ein Auge zudrücken,
wenn es ihnen in den Kram passt, aber sehr wohl die Stirn »Du kennst den Brauch. Bevor du dich wieder auf deine

runzeln, wenn es um das Leben der anderen geht. Selbst Frau legen kannst, muss sie sich unter einen Gläubigen le-

wenn sie sündigen und gegen die Gesetze des Korans ver- gen, und sei es nur ein einziges Mal.«

stoßen, legen sie doch Wert darauf, sich einen Zipfel vom »Ich will nicht, dass ein Mann mein Eigentum anfasst«, em-

Heil zu bewahren, indem sie sich streng an zwei oder drei pörte sich der Ehemann und stellte sich vor, wie ein ande-
rer Mann seine Ware abtastete.
rituelle Praktiken halten, die sie um einige, nicht so wört-
lich zu nehmende Aussprüche des Propheten ergänzen, um »Es geht doch nur um eine einzige Nacht. Das ist eine

ihre Chance zu wahren, dem Höllenfeuer zu entgehen. Nacht zu wenig oder zu viel, egal. Du verbindest dir die

Dennoch beschloss ich, die Wahrheit zu sagen. Augen und die Ohren, um nichts mitzubekommen. Und
danach ist alles vergessene, versicherte ihm der Mann des
»Der junge Mann ist ungebunden, Leila aber nicht.«
Gesetzes.
»Dann vergewissere dich, dass dieser Kameltreiber nicht
))Aber ich liebe sie doch.«
von Sklaven abstammt, denn dann wäre er fähig, sich aUS

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»Das ist kein ausreichender Grund, Gottes Gebote zu über- »Sie werden dich töten!«, rief die Angebetete und drückte
treten«, erwiderte der Richter, indem er den weinerlichen ihn an ihr Herz.
Ton des Kaufmanns nachahmte. »Ich gebe dir einen Rat«, »Vielleicht«, erwiderte der Schwarze düster. »Aber dich be-
fügte er hinzu, als er die Verzweiflung seines kommen sie nicht. Solange ich dich nicht verstoßen habe,
Gesprächspart- solange ich es nicht dreimal ausgesprochen habe, gehörst
ners bemerkte. »Such dir einen Mann aus bescheidenen du
Verhältnissen, lass ihn pro forma deine Frau heiraten und mir, und mein Herr kann gar nichts dagegen tun. Ich ver-
befiehl ihm, sie nicht zu berühren - natürlich gegen gute stoße dich nicht, auch wenn ich dafür mein Leben lassen
Bezahlung. Er wird öffentlich behaupten, sie gevögelt zu muss.«
haben, und deine Ehre ist gerettet.« »Was bleibt für eine Lösung?«, fragte die junge Frau, die
Und so geschah es. Der Kaufmann ließ einen seiner von
Sklaven dem Geliebten aufs vorzüglichste befriedigt worden war.
namens Nadjm kommen. Dieser war so schwarz wie die »Fliehen, mich versteckenl«
Nacht und schön wie der Messias von Afrika. Er schlug ihm Und so lebte Nadjm also jahrelang im Verborgenen. Tags-
den Handel für den Preis seiner Freilassung vor. über verkleidete er sich und nachts schlich er zu seiner Ge-
Die Hochzeit wurde gefeiert, und der Kaufmann drängte liebten. Vergeblich suchte man in der Stadt nach ihm,
Nadjm ins Bett seiner zukünftigen Ex-Frau mit der Anwei- durchkämmte die umliegenden Felder, niemandem gelang
sung, sich in gebührendem Abstand zu halten und keine es, ihn aufzuspüren. Doch wenn die Nacht ihren Schleier
Sekunde den Blick auf ihr verweilen zu lassen- Doch er über die Welt breitete, glaubte man, einen Schatten wahrzu-
hatte nicht berücksichtigt, wie schnell ein Schwanz reagiert, nehmen, der mit der Behendigkeit der Katzen über die Dä-
wenn er sich einer Möse gegenübersieht. cher huschte, von einer Terrasse zur anderen sprang, bevor
Als Nadjm den Blick auf die ehemalige Gattin des Kauf- er verschwand. Nadjm legte sich auf seine Geliebte, die un-
manns richtete, verliebte er sich unsterblich in sie. Er vergaß ter seiner schwarzen Haut glänzte, und es war, als vereine
den Vertrag und küsste und vögelte seine Ehefrau bis zum er
ersten Hahnenschrei. Als er wieder zur Besinnung kam und sich mit dem Mond selbst.
ihm klarwurde, dass er sie für immer verlassen musste, füW-
te er, dass es ihm leichter fallen würde, seine Seele Ich erzählte Leila die Geschichte und erklärte ihr meinen
aufzuge- Plan. Ich konnte ihr mit der Hoffnung auf Entjungferung
ben als seine Ehefrau für eine Nacht. Er vergoss Tränen eine Nacht in den Armen des jungen Poeten verschaffen,
und aber sie musste mir versprechen, ohne ihn zurückzukehren.
sagte: Sie akzeptierte ohne Zögern und dachte vermutlich nur an
»Meine Loyalität gebietet mir, dich aufzugeben, aber mein den Augenblick, in dem sie in Arnirs Armen liegen würde.
Herz weigert sich. Du bist meine Frau vor Gott. Ich kann Eine Stunde später kehrte ich zum Händler zurück.
nicht mehr ohne dich leben, noch dich einem anderen »Was gibt es noch?«
überlassen. Ich liebe dich.«
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Ich hatte meinen Plan geändert.
»Ich schlage vor, du berätst meine Tochter, bevor sie in
die
Arme ihres Verlobten sinkt.«
Ȁnderst du immer deine Meinung so schlagartig, liebe
Cousine?«
Ich fuhr fort:
D er Mann ließ uns seinen Laden durch die Hintertür
betreten und kehrte ein paar Minuten später wieder
zurück, nachdem er den Rollladen heruntergelassen
»Da ich weiß, dass Männer erst ihr Bestes geben, wenn hatte.
sie Wir gelangten über den Vorraum in den Geschäftsraum,
beinahe impotent sind, dass sie die Zärtlichkeit erst in in
spä- dem Dutzende von Teppichen gestapelt lagen.
ten Jahren lernen und die Geduld, wenn sie kurz vor der Der alte Mann betrachtete intensiv Leilas Gesicht, nahm
Senilität stehen ... « ihr
»Kürz deine theoretischen Ausführungen ab und erspar den Schleier ab und forderte sie auf, Platz zu nehmen.
mir Mit
deinen Sarkasmus.« einem diskreten Wink bedeutete er mir, mich in den Vor-
»Ich dachte, du seiest am besten geeignet, meiner
raum zurückzuziehen.
Tochter
Er wusste genau, dass ich von dort aus die Szene
eine andere Art der körperlichen Liebe beizubringen! Da
beobach-
du deine Männlichkeit eingebüßt hast, kannst du mein
ten konnte, denn es gab keine Tür und ich brauchte nur
Kind mit Aspekten der Liebe vertraut machen, die die den Kopf zu recken.
jun- Ich sah, wie er sie drehte und wendete, und überlegte,
gen ungeduldigen Männer nicht kennen. Auf diese
dass
Weise ist
ich so etwas nie bei mir dulden würde. Er trug einen
sie nicht völlig unbeleckt, wenn sie ins Bett ihres Liebha-
wirren
bers schlüpft.«
Bart, hatte weißen Schaum in den Mundwinkeln und ge-
Er fing an zu lachen, und ich wusste nicht, ob er sich
nau dieselben mit Pigmentflecken übersäten Hände wie
über
einst mein Ehemann.
meine Worte oder über meinen Vorschlag amüsierte.
Er rollte die Kleine auf den Bauch und bat sie, die Augen
zu
Natürlich musste ich Leila davon überzeugen, aber ich
schließen. Leila sagte kein Wort, aber ich erriet, wie sehr
wusste, dass es leicht werden würde, weil das Argument
sie
hieb- und stichfest war: Ich würde behaupten, der alte
sich bemühte, keinen Widerstand zu leisten.
Mann habe diese Belohnung fur das Besorgen des
Der Alte begann unverblümt:
Imams
»Ich würde dir gern einen richtigen Schwanz zeigen,
und der Zeugen gefordert.
damit
du ihn dir aus der Nähe anschaust. Du kannst ihn schön SChwanz; er ist nicht dafiir geschaffen, bewundert zu
oder hässlich finden. Aber wie auch immer er aussieht, wer-
er den, sondern um in die Tiefe deiner Grotte vorzudringen.
soll dich nicht abschrecken. Denn ein Schwanz ist ein

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6
Da sich meiner nicht mehr rührt, werde ich ihn dir gegen- warf mir einen Blick zu, und ich gab ihm durch ein Zei-
über nicht bloßstellen, sondern ihn einfach nur nennen, chen zu verstehen, dass er weitermachen solle, und deutete
damit du lernst, seinen Namen auszusprechen, sooft du mit den Händen eine runde Form an.
kannst, sooft du willst und immer wenn du feucht werden »Auch fur das weibliche Geschlechtsteils, fuhr er fort,
willst. Vielleicht ist das nicht so angenehm fürs Herz oder nachdem er meine Bitte verstanden hatte, »kennt unsere
für die Moral, aber deiner Scheide tut es auf jeden Fall gut. Sprache viele schöne Wörter:Vulva,Vagina, Scheide, Ritze,
Du sollst wissen, dass dein Volk große Mühe darauf verwen- Möse, Loch, Kätzchen, Schnecke, Höhle, Grotte, Muschel,
det, verschiedene Bezeichnungen fur das männliche Ge- Knospe, Rose, Feige, Mandel,Juwel, verborgene Frucht. Ich
schlechtsteil zu erfinden. Wiederhole: Glied, Schaft, Rute. muss zugeben, dass Mösen hübscher anzuschauen sind als
Man nennt es auch: Pimmel, Latte, Speer, Derwischstab, Schwänze. Es gibt sie in allen Ausfuhrungen: hervorsprin-
Lunte, Schwert, Lanze, Florett, Stab, Dolch, Phallus, den gende, fleischige, weiße, gewölbte, bauchige, hohe, flache,
Va- unbehaarte, trockene, feuchte, kalte, zittrige, kleine wie ein
ter der Wonnen, den Schrecken der Jungfrauen, den Schlei- Schlitz geformte, kaum erkennbare, erhabene, große, die
fer, Schwengel, Schwanz, Stachel, Zipfel.« Pforte des Paradieses überragende, Venushügel, die an die
Mit geschlossenen Augen wiederholte Leila gebetsmühlen- Höcker des Kamels erinnern, feste oder weiche Schamlip-
artig die verschiedenen Bezeichnungen. pen, füllige oder asymmetrische, aufgerichtete oder einge-
»Frauen lieben es, wenn der Schwanz sich mit Leben füllt, sunkene, tänzelnd wie Mohnblumen im Frühling oder dick
sich aufrichtet und zum Angriff übergeht, wenn er beweg- wie getrocknete Feigen zwischen den Schenkeln eingebet-
lich ist, ohne brutal zu werden, wenn er als Erster erwacht tet. Es gibt Frauen, die eine diskrete, verborgene Rosette
und als Letzter ermüdet, wenn er feurig ist, dich reizt, lieb- besitzen, andere, die ungeachtet der Witterung vorwitzig
kost und nass macht. Auch du wirst in Verzückung geraten, die Nase rausstrecken, außerdem bohnen- und pflaumen-
wenn der Schwanz beim Liebesspiel mehrmals in Erregung große, rnandelförmige. Und alle sind dafür geschaffen, von
gerät,jedes Mal seine Kraft neu entfaltet und als vorwitziger einem Gutgläubigen erobert zu werden.«
Gast an deine Pforte klopft, den du mit der Hand geleiten Nach diesen Worten schwieg er, schob seinen Kittel zur
kannst, damit er in deine Höhle eindringt. Du wirst den Taille hoch und drückte mit seinem ganzen Gewicht auf
Eindruck gewinnen, dass sein Schwanz eins mit dir gewor- das Hinterteil der Kleinen. Er streichelte ihren Nacken in
den ist, dass er zum Glück den Weg zu deinem Juwel gefun- regelmäßigen Bewegungen, seine Finger spielten mit ihrem
den hat, und du wirst dir nicht mehr vorstellen wollen, dass Üppigen Haar und massierten ihren Hinterkopf, er drückte
er irgendwo anders als in deinem Hafen landet.« den Mund auf ihr Ohr, umkreiste es mit der Zunge und
lutSchte an ihrem Ohrläppchen. Dann schob er Leilas Kleid
Der Alte sprach leise, betonte die Substantive und die Ad- bis iib "
u er die Pobacken hoch, umfasste sie, tätschelte und
jektive mit der Ernsthaftigkeit eines Ulemas (Gelehrten). Er

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209
zwickte sie und spreizte sie schließlich, um den Anblick Schenkeln.
der rosigen Spalte zu genießen, in die er sein Gesicht
ver- Ich überlegte, wie übel die Alten dran wären, wenn sie
senkte. ihre
Dann richtete er sich auf und bat Leila, sich auf den Rü- Zunge verlieren würden, so wie sie ihre Haare oder
cken zu legen. Das junge Mädchen hielt noch immer die Zähne
Augen geschlossen und unterdrückte jeglichen Laut, was
ich daran erkannte, dass sie die Fäuste ballte. Er
krempelte
ihr das Gewand bis zum Hals hoch, löste ihren
Büstenhalter,
so dass ihre Brüste unbedeckt waren. Er massierte
geschickt
eine nach der anderen, dann beide gleichzeitig, legte
seinen
Mund auf eine Brustwarze, umkreiste sie mit der Zunge,
wobei er heftig atmete. Er nuckelte wie ein Baby an ihrer
Brust, seine bläulichen Lippen bildeten eine Art Saugnapf
an den Knospen, er ließ sie los und nahm sie dann
wieder
voller Gier in seinen Mund. Seine Lippen bewegten sich
dann weiter nach unten. Er küsste den Bauchnabel der
Jungfrau, legte die Hand auf ihren Venushügel und strei-
chelte ihn, wieder und wieder. Er beugte sich zu ihrer
Möse
herunter, um daran zu riechen, ihren Duft einzuatmen.
Dann öffnete er ihre Schamlippen und drang mit Daumen
und Ringfinger gleichzeitig in sie ein und ließ die Finger
gleichmäßig kreisen. Mit der anderen Hand holte er unter
den Teppichen einen Topf mit einer goldenen Flüssigkeit
hervor. Er tröpfelte ein wenig davon auf ihren Venushügel
und benetzte damit ihre Mandel, die sich voller Vorfreude
auf das Festmahl zeigte. Er hob Leilas Beine hoch, legte
sie
auf seine Schultern, spitzte seine Zunge, die rot und lang
war, und sein Kopf verschwand zwischen ihren
verlieren. Die Zunge blieb die letzte Waffe der Alten, die wirkte der Alte so glücklich, dass er alles um sich herum
einzige, die unversehrt pulsierte, während ihr männliches zu
Glied nicht mehr einsetzbar war, da es schlaff und träge vergessen schien, mich, seinen Laden, die Häuser, das
geworden war. Während ich das Auf und Ab seines Vier-
Kopfes tel, den Himmel, ja die ganze Welt ... Alles konzentrierte
beobachtete, konnte ich genau erraten, was sich dort ab- sich auf das Juwel zwischen Leilas Schenkeln, das fiir ihn
spielte. Er umkreiste mit der Zunge den Venushügel, zu
rollte einem Jungbrunnen und einem Pfand der Ewigkeit
sie dann zusammen, vollführte einen kleinen Tanz vor gewor-
dem den war.
Juwel, um sich einen Weg zu bahnen, leckte daran und
drang behutsam ein. Der Mann gab leise, abgehackte Als er den Kopf hob und mich sah, lächelte er mir zu. An
Ge- seinem feuchten Bart konnte ich seinen Speichel vom
räusche von sich, die sich zu intensivem Keuchen Saft
steiger- der Kleinen und dem Honignektar nicht mehr unterschei-
ten. Zunge und Lippen lutschten an der Mandel, saugten den. Ich sah, wie Leilas Lider zuckten, ihr Körper bebte
sie aus bis in die tiefste Mulde und labten sich an ihrem und
Saft. ihr Unterleib sich hob und senkte wie der plötzlich be-
Ganz abgesehen von dem Eifer, mit dem er zu Werke Schleunigte Puls des Lebens.
ging,

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D er alte Händler hielt Wort und trieb noch am selben
Abend einen Imam und zwei Zeugen auf. Er zeigte
sich sogar so großzügig, seinen Laden für die
chen geben. Wenn es Amir gelingt, es zu durchdringen,
urnso besser, ansonsten machen wir uns wieder auf die
Su-
»Hochzeits- che nach Zoubida.«
nacht« anzubieten.
Am Vorabend geriet Leila in Panik. Sie liebte den Etwas später saß sie sichtbar beruhigt mitten im Zelt und
Poeten, fragte:
das stand außer Zweifel, aber sie hatte Angst. Nicht, weil »Ich werde mit einem Mann die Liebe erleben, und ich
sie weiß nicht, wie ich ihn nennen soll - Geliebter oder Ehe-
ihren Ehemann betrog, nein, diesen Gedanken erwog sie mann? Tante, bitte klären Sie mich auf, welcher
keine Sekunde lang - Gott möge ihr vergeben! Sie Unterschied
fürchte- zwischen beiden besteht?«
te sich bei der Vorstellung, ihren Amir zu enttäuschen, »Mein Herz, gute Ehemänner sind nicht zwangsläufig
wenn gute
es ihr nicht gelänge, ihm zu helfen, die Mauer in ihrer Liebhaber. Sie meinen, dass die Frau, wenn sie erst mal
Möse in
zu durchdringen. ihrem Bett liegt, keine Bedingungen mehr stellt, sie glau-
Als ich sah, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen, ben, sie können auf die Verführung verzichten. Der Lie-
er- besakt wird allmählich zu einer Gewohnheit, wie pinkeln
innerte ich mich an ihre erste Hochzeitsnacht und an ihre gehen oder essen.Würdest du dich extra herrichten, um
Bestürzung. Doch ich stellte mit Freude fest, dass sie seit auf
unserer Abreise große Fortschritte gemacht hatte. Leilas die Toilette zu gehen? Weil sie nach einigen Jahren den
Skrupel hatten nichts mehr mit der Pflicht gegenüber der Ge-
Familie, der Moral zu tun. Für sie zählten nur· noch die schlechtsverkehr mit ihren Frauen langweilig und schal
Liebe und ihre Gebote. fin-
»Er wird sagen, ich sei verschlossen, und wird mich has- den, gehen sie zu Nutten.«
sen.« Sie fragte ohne Umschweife:
»Dein Poet gehört nicht zu dieser Art von Mannern. Er »Tante, erklären Sie mir, was ein guter Stecher ist?«
wird geduldig sein und dir den Himmel öffnen, das ver- »Er hat in erster Linie einen potenten Schwanz«,
spreche ich dir.« erwiderte
Sie erwiderte, sie wolle es doch anders versuchen, und ich schlagfertig. Insgeheim amüsierte ich mich über die
be- vulgären Worte, die Leila jetzt gebrauchte, ohne zu
stand darauf, dass wir weiter nach Zoubida suchten. erröten,
Wei- als ob sie selbstverständlich wären und sie nicht mehr
nend küsste sie meine Hände. Ich unterbrach sie: scho-
»Diese Nacht wird uns Aufschluss über dein Jungfernhäut-
ckieren konnten. »Nun, der alte Händler hat nicht immer
recht, denn er versicherte dir ungeniert, dass alle muss
Schwänze er doch eine ansehnliche Größe haben und potent sein.
gut fiirs Vögeln seien. Dem widerspreche ich. Auch wenn Es
ein Schwanz nicht unbedingt schön zu sein braucht, gibt so kleine Pimmel, die dir beim geringsten Niesen aus

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deiner Möse rausfallen. Und solche, die so lang und dick Eine Frau mag es, wenn ihr Liebhaber während desVögelns
sind, dass sie dich zu zerreißen drohen. Ideal ist ein stets von neuem in Erregung gerät, denn jede neue Erek-
Schwanz tion beweist, dass ihre Möse Funken sprüht, an denen sich
mit draufgängerischer Eichel, prall, ohne monströs zu sein, sein Schwengel auf ein weiteres entzündet.«
den du in dir fühlst, der sich nicht verirrt, der dich ein- »Also keinen Mann, der einen vorzeitigen Samenerguss hat
nimmt, dich erobert, ohne dir weh zu tun, der dich so gut oder der Mühe hat, zum Orgasmus zu kommen. Welche
vögelt, dass sich dein ganzes Sein auf deinen Unterleib kon- bleiben dann noch übrig?«
zentriert.« Ich dachte bei mir, wie selbstsicher sie doch geworden ist.
»Und was muss ich, abgesehen von der Art des männlichen »Es gibt nichts Besseres als einen Schwanz, der auf dem
Geschlechtsteils, noch beachten?« Weg
»Es gibt leidenschaftliche, aber allzu hastige Liebhaber, feu- zum Ziel kraftvoll wird, der voller Elan in dich eindringt
rige, die aber schnell fertig und nicht bereit sind, noch mal und der sich aufreizend bewegt; es gibt nichts Göttlicheres
von vorn anzufangen. Darunter sind auch viele, die einen als einen Mann, der sein Glied behutsam wieder zurück-
vorzeitigen Samenerguss haben, also rasch in dich eindrin- zieht, der sich nicht unvermittelt erhebt und nach dem Lie-
gen und sofort ihren Orgasmus haben. Erinnere dich an besakt sofort einschlaft. Im Übrigen ist es besser, wenn er
den Hirten, auf den wir zu Beginn unserer Reise gestoßen ein wenig angesäuselt ist. In einem Zustand der
sind. Es gibt Männer, die dich nehmen, als gingen sie auf Beschwipst-
die Jagd, die in erster Linie nur selbst befriedigt werden heit verhält sich der Mann viel ungehemmter, weniger ge-
wollen. Ihnen musst du aus dem Weg gehen, denn du dienst zügelt. Er konzentriert sich dann weniger auf deine Reak-
ihnen nur als Samenergussgefäß. Ganz anders verhält es tionen, lässt sich gehen und amüsiert sich ungeniert, er lie-
sich fert sich dir aus und bewegt sich mit Leichtigkeit im Reich
mit denen, die glauben,Vögeln sei ein Marathon, eine Turn- der Sinne.«
übung, die verlangt, dass man so lange wie möglich ohne »Chouchana hat Männer erwähnt, die Misshandlungen lie-
Pause durchhält. Sie mühen sich ab, bearbeiten eine Frau ben ... «
stundenlang und sind, auch wenn sie ihr Möglichstes tun, »Zum Glück ist diese Sorte Mann selten und vor allem bei
dennoch unfähig, dich erneut zu entflammen. Auch wenn anderen Völkern als unserem zu finden«, erwiderte ich be-
es angenehm fiir eine Frau ist, dass ein Mann sich zurück- wusst lakonisch. »Das Beste aber habe ich dir bis zum
hält, damit sie ihren Orgasmus bekommt, ist es lästig, wenn ScWuss aufgespart: Ein guter Liebhaber ist ein Mann, der
er ewig an ihr rummacht, ohne seinen Samenerguss zu be- dich betrachtet, der dich beim Liebesspiel mit seinen Augen
kommen, das erzeugt sogar eher Widerwillen. Auch wenn verschlingt, der den Puls deiner Lust erfühle, um seine Stei-
sie deinem Körper schmeicheln, indem sie so lange einen gerung deiner anzupassen. Jener, der dich immer wieder in
Ständer haben, verweigern sie ihm das Vergnügen, erneut die Arme nimmt, der dich küsst, bis ihm der Atem ausgeht,
in und der sich nach dir richtet. Er wird dir seinen Samen im
Erregung zu geraten, was noch viel schmeichelhafter wäre.

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richtigen Augenblick schenken, denn die Ejakulation er-
höht deine Ekstase und die Wollust ist grenzenlos, wenn
sein Sperma in deine Vagina fließt. Vergiss nicht, dass die
Männer, die den gemeinsamen Orgasmus anstreben, die
besten sind, mein Kind. Sie versenken sich neugierig in dei-
ne Höhle und bleiben für immer gefangen.«
»Woran kann ich erkennen, ob der Mann Lust empfindet?«
E s war mitten in der Nacht, und die silbernen Strahlen
des Mondes stahlen sich ins Zelt. Man hätte meinen
können, der Strom eines geschmolzenen Sterns fließe zu
»Manner haben nicht dasselbe Lustempfinden wie die Frau- uns herab. Die Müdigkeit drohte mich zu übermannen,
en, auch nicht an denselben Stellen. Viele mögen es gar doch ich weigerte mich standhaft, ihr nachzugeben.
nicht, dass man ihr Hinterteil und ihre Brüste berührt. Man Leila zeigte sich so beflissen, zu lernen, was sie lieben wür-
braucht ihnen auch nicht den Rücken zu streicheln oder de, und ich begriff, dass sie diese theoretische
das Ohrläppchen zu küssen. Die Lust konzentriert sich bei Unterweisung
ihnen auf den Unterleib, während Gott so gütig war, alle nur aus der Perspektive der bevorstehenden Praxis betrach-
Stellen des weiblichen Körpers fiir die Lust empfänglich zu tete.
machen.« Die junge Frau entdeckte die Liebe und wollte ihren Lieb-
haber beeindrucken. Hinter ihrer Begierde, mehr zu erfah-
ren, entdeckte ich etwas, das ich schon immer vermutete:
Leila gehörte zu den Frauen, deren Körper eine feurige
Glut barg, in der die Laszivität brodelte.

»Sie haben mir das Porträt des guten Liebhabers entworfen.


Aber was muss ich tun, um eine gute Geliebte zu sein?«
»Sei nicht ungestüm bei den Romantikern und nicht zor-
nig bei den Sanften. Manche Männer bekommen schon
einen Ständer, wenn sie sehen, wie sich deine Wangen
rosig
färben, andere nur dann, wenn du dich wie eine Nutte auf-
fuhrst. Einige sind sogar den Frauen ähnlich und ohne Ge-
ftiW bewegt sich gar nichts bei ihnen. Bei vielen Männern
dOminiert jedoch der Schwanz über das Herz. Alles hängt
Vom Alter des Mannes ab, von seinem Charakter und seiner
Vergangenheit. Eine echte Geliebte ist gut und ungestüm
gleichzeitig, unschuldig und pervers, naiv und verdorben,

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6
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überzeugt von ihrem Körper, ohne ihn je zu vergessen. vögle immer erst, wenn du das Bedürfuis danach
Kurzum, eine Nutte, die sich vergisst.« verspürst,
»Kann man lernen, eine gute Geliebte zu sein?« wie beim Essen.«
»Das Lernen ist lediglich eine Ergänzung, aber nicht »Und wenn ich immer das Bedürfuis verspüre?«
alles. »Dann zeig es nicht. Und lass deinen Mann warten, das
Es verstärkt das, was bereits vorhanden ist, die macht ihn nur noch geiler.«
Begabung des »Soll ich im Bett aktiv werden?«
Körpers, die Intuition fiir die Lust und die Disposition fiir »Natürlichl Sei vor allem nicht träge oder steif. Beweg
die Liebe. Denn kein Verfahren der Welt kann diesen dich
Fun- geschmeidig, als ob es dir angeboren wäre. Wechsle
ken ersetzen, den ein wohlwollender Teufel entzündet deine
hat,
diese Vorbestimmtheit, den Schwanz eines Mannes zu
mö-
gen, ihm zu huldigen, ihn zu umsorgen, wie man sein
Baby
umsorgt und an ihm zu knabbern, als sei er ein
Grundnah-
rungsmittel. Denk auch an Folgendes: Der Mann spürt,
dass
du eine gute Geliebte bist, wenn er feststellt, dass du
beim
Vögeln auch dich selbst liebst, denn wenn du geneigt
bist,
ihn in dich aufzunehmen, dann findest du am Ende des
Wegs dich selbst wieder.«
Ich glaubte, ihr genug erklärt zu haben. Doch nachdem
sie
kurz überlegt hatte, wandte sie sich noch einmal an
mich:
»Wie kann man seinen Mann zur Liebe auffordern?«
»Diese Einladung muss nachdrücklich, aber nicht
aufdring-
lich sein, deutlich, ohne gebieterisch zu sein. Lock ihn an
und halte dich dann zurück. Leite ihn nach Belieben und
lass ihn glauben, dass er die Initiative ergriffen hat. Aber
Stellung nicht erst auf seine Befehle oder Vorschläge hin. Ent-
Komm seinen Wünschen und Phantasien zuvor. Passe wicklung durch die Moral geprägt, könnte sonst leicht
den schockiert sein.«
Rhythmus deiner Bewegungen dem seinen an, pass dich »Chouchana sagte, die Männer würden geil werden,
ihm an und achte darauf, dass die Vereinigung eurer Ge- wenn
schlechtsteile nicht unterbrochen wird. Leite ihn, ohne es sie vulgäre Worte hören?«
zu zeigen. Gehorch ihm, ohne es zu offenbaren. Tu so, »Du kannst dir ein paar Obszönitäten erlauben, sofern
als die
erwachse deine Erfahrung aus der Intuition, sei raffmiert, Worte vulgär sind, ohne dass du es bist. Es genügt, wenn
ohne auf die aufreizende Wirkung von Gesten und du
Worten so tust, als wiederholtest du die Worte deines Partners,
zu verzichten. Spiel mit deiner Stimme, spiel die Erregte. oder
Achte darauf, dass dein Mund heiß ist und dein Blick du sprichst sie aus, wenn er dich darum bittet. Und jedes
schmachtend. Hab keine Scheu, zu schluchzen, zu Mal fugst du etwas Eigenes hinzu.Wenn du dich mitten
stöhnen, im
zu riechen, zu schnuppern, zu gurren, und vergiss nicht, Paradies befindest, ist dein Bewusstsein nicht mehr
seinen Penis regelmäßig mit deinem Speichel zu scharf
befeuch- genug, um zu merken, was du sagst, und du erfindest
ten. Gib dich beiläufig lasterhaft und freizügig, ohne zwangsläufig Formulierungen, die du eine Stunde später
lieder- leugnen wirst. Das ist gut so. Denn du musst darauf
lich zu sein.Vergiss aber das eine niemals: Alles, was du achten,
tust, dass diese Wörter auf das Bett beschränkt bleiben und
muss in Übereinstimmung mit deinem Geliebten gesche- nicht
hen, denn der Mann, der zu schwach ist und in seiner

21 219
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220
überall gebraucht werden. Wenn sie aus dem
Zusammen-
hang gerissen werden, zersetzen sie sich wie Früchte
ohne
Schale und schmecken bitter. Du wirst immer darauf ach-
ten, dass die Intimität der Liebe gewahrt bleibt und nur
andeutungsweise darauf angespielt wird und dass die
Dinge
niemals unverblümt ausgesprochen werden, auch nicht
im
Spaß. Die Lust achtet eifersüchtig auf ihr Geheimnis und
hasst die Geschwätzigkeit.«
»Bitte, nennen Sie mir ein paarVerderbtheiten der
Liebe!«
»Das ist noch nicht der richtige Moment. Lerne erst mal
die
hübschen Ausdrücke, die anderen erfährst du noch früh
ge-
nug!«
Leila räkelte sich nachdenklich auf ihrer Liege.
»Tante, was meinen Sie, wer hat am meisten von der
Lie-
be?«
»Natürlich die Frauen. Wenn sie heiß und verliebt sind,
wenn sie einen eifrigen Schwanz zu schätzen wissen,
kann
er ihre Muschi derart zur Ekstase treiben, dass sie einen
Schwächeanfall erleiden. Hat man je erlebt, dass ein
Mann
beim Vögeln in Ohnmacht gefallen ist? Frauen aber
schon.«
Tradition verlangte, lauschte Arnir - der selbstverständlich
nicht wusste, welcher Preis für diese provisorische Ehe-
schließung gezahlt wurde - dem Imam, der die Fatiha
ver-
eila konnte in dieser Nacht kein Auge zutun. Doch die las.Arnir legte die Hand aufs Herz, um den Zeugen zu
L Jugend besitzt einfach beneidenswerte Privilegien,
denn am Morgen danach strahlte meine Schutzbefohlene
dan-
ken, und küsste dem Händler die Stirn.
frisch wie der Frühling, keine dunklen Schatten unter den Auf ein Zeichen des Teppichhändlers zog ich mich
Augen, kein einziges Fältchen. Ich hüllte sie in eine diskret
Dschel- zurück und verließ den Laden. Als ich die Rollläden quiet-
laba aus Seide, umgürtete ihre Taille mit Tüchern, die zu schen hörte, betrachtete ich die Passanten und dachte,
einem Gürtel geflochten waren, und zauberte eine kunst- dass
volle Frisur aus ihren Locken, die ihr bis zur Taille sie keine Ahnung hatten, was sich dahinter abspielte.
reichten. Ich Zurrte meinen Schleier fest und folgte dem Alten, der
Sie ließ mich gewähren, fiihlte sich glücklich und vor mir herging. Ich betrachtete seinen gebeugten
aufgeregt Rücken,
zugleich. seinen schweren Gang, seinen Sarouel, der auf dem
Boden
schleifte, und seine Pantoffeln mit den goldenen
Die Zeremonie fand beim Teppichhändler in Gegenwart
Bommeln
der vorgeschriebenen zwei Zeugen und eines Imams
statt.
Während ich mit Leila ein wenig abseits stand, wie es die 221
an den Spitzen. Ein Sechsundachtzigjähriger in den und so heftig geschlagen, dass sie den Verstand
Babu- verl~ren hat-
schen eines Jugendlichen wirkte ziemlich grotesk. te, erklärte mir der Händler. Sie irrte bei Tag und bei
Männer Nacht
kommen mit dem Alter genauso wenig zurecht wie mit umher, schlief in den Vorräumen der Hammams, in
Schmerzen. Sie akzeptieren es nicht, selbst wenn sie verfal-
kurz lenen Häusern und verbrachte manchmal die Nacht
vor dem Exitus stehen. Abgesehen von all den sogar
Nachteilen, auf dem Friedhof. Häufig traf man sie mit einem Mann,
die das Alter ihnen beschert! Frauen haben zumindest der
ihre sich auf sie legte und behauptete, dies sei das beste
Tricks, ihren Schleier, ihren Kajalstift, der einen Mittel,
feurigen ihren Wahnsinn im Zaum zu halten.
Blick zaubert. Ich hörte zu und dachte an meine erste Ehe, die auch
»Und du?«, hörte ich mich sagen. Der Gedanke an mich
mein in den Wahnsinn hätte treiben können, und an Leilas
eigenes Altern, die Vorstellung einer senilen Zobida, Ehe,
hilflos, die gerade vollzogen wurde. Möge Gott dafür sorgen,
mit erloschener Vulva zwischen ihren Schenkeln, hätte dass
mir sie sich an meine Ratschläge erinnerte, sich nicht
fast die Laune verdorben. Ich beschleunigte meinen sträubte,
Schritt
und dachte an etwas anderes. 222
Schier endlos durchstreiften wir die Gassen der
Medina.
Der Händler blieb von Zeit zu Zeit stehen, um Atem zu
schöpfen. Wenn ich ihn einholte, gab er mir einen
kurzen
Bericht über den Ort, an dem wir uns gerade
befanden,
und über die Menschen, die hier verkehrten, wie zum
Bei-
spiel jene Frau, die an uns vorbeigehuscht war und die
von
den Leuten angespuckt wurde. Ihr Mann hatte sie so
oft
sondern öffnete WIe die Rose, die den Tau in sich auf- Noch nie hatte ich einen Mann weinen gesehen. Das
nimmt! war
Die Morgendämmerung schmuggelte sich heimlich in wohl nur bei einem Dichter denkbar.
die
Medina, in der das fortwährende nächtliche Treiben
und
der nie verstummende Lärm den Eindruck erweckten,
als
sei dieser Ort nur für die Nacht geschaffen. Wir
beeilten
uns, zum Laden zurückzukehren.

Als ich die Tür aufstieß, rannte Leila mir entgegen und
schmiegte sich unter Tränen an mich. Panik erfasste
mich,
weil ich fiirchtete, dass sie immer noch versiegelt war.
»Du willst mir doch nicht sagen, dass ... «
»Keine Sorge, Tante, es sind Freudentränen ... «
Ich hob den Kopf und entdeckte den Poeten, der in
223
Tränen
aufgelöst in einer Ecke des Raumes saß.
abia lag weit hinter uns, und die Sanddünen, die es wieder
S um-
gaben, verschwanden nach und nach. Unser Blick traf
an ihren Poeten.
Lange hatte ich versucht, sie zur Vernunft zu bringen, sie
auf kümmerliche Grünpflanzen. auIThyrnian- und Rosma- an
rinbüschel, bald jedoch auch auf Olivenhaine und Toma-
tenfelder. Wie durch Zauberhand sahen wir plötzlich eine 224
grüne Landschaft vor uns.
Wir hatten die Oase zwei Wochen zuvor verlassen und
wa-
ren jetzt in der unmittelbaren Nähe von Zebib angelangt.
Ich fiihlte mich glücklich, denn ich fand, dass ich meine
Aufgabe erfolgreich zu Ende gebracht hatte und mit einer
veränderten Leila ins Dorf zurückkehrte. Die Aussicht,
wie-
der zu Hause zu sein, das Glück der Einsamkeit und die
Frei-
heit der Liebe zu genießen, erfüllte mich mitVorfreude.
Ganz anders verhielt es sich mit der jungen Geliebten
des
Poeten, die den ganzen Weg lang unaufhörlich schniefte
und schluchzte und sich immer wieder nach dem Ort um-
drehte, an dem sie ihren Geliebten zurückgelassen hatte.
Der Abschied hatte sich sehr schwierig gestaltet. Ich
musste
die beiden mehr oder weniger gewaltsam auseinanderrei-
ßen und laut ausschimpfen, damit sie aufhörten zu
weinen.
Die junge Frau hatte gedroht, bei ihrem Poeten zu
bleiben,
weil sie sich unfähig fühlte, ihn zu verlassen. Sie hatte
sich
schließlich damit getröstet, dass sie ihren Geliebten
wieder-
sehen würde. Dann besann sie sich jedoch eines
Besseren,
erinnerte sich an ihren gedemütigten Ehemann, an ihren
Vater, der nun ganz zurückgezogen lebte, und dann
die Erwartungen und die Hoffnungen ihrer Familie erin- Wir befinden uns auf halbem Weg nach Zebib, wir reiten
nert und an meine Aufgabe, sie zurückzubringen. Sie auf dem Muli, das uns der Poet zur Verfügung gestellt
woll- hat.
te nichts davon wissen. Ich fasse Leila um die Taille und nutze die Gelegenheit,
dass
Mir blieb nur eine Möglichkeit, um sie zumindest für den sie mir den Rücken zukehrt, um zu sagen:
Augenblick von dieser Geschichte abzulenken: ihr die »Leila, ich muss dir ein Geheimnis verraten.«
Wahrheit zu sagen. Aber wie sollte ich es anstellen?Wo Offensichtlich klingt meine Stimme verändert, denn sie
soll- dreht sich um, und ich sehe, wie Überraschung ihren
te ich anfangen? Und würde es etwas bringen? Blick
trübt.
Nein, Ali, mach dir keine Sorgen. Ich habe Leila nichts »Was für ein
verraten. Geheimnis?«
Lass nicht zu, dass deine Feder meiner Erzählung Ich sage freiheraus.
zuvorkommt, »Weißt du, meine Tochter, Zoubida gibt es gar
denn sie würde lügen. Ich verzichtete darauf, die junge Frau in nicht.«
das »Wie bitte?«
Geheimnis einzuweihen, obwohl mich nichts daran hinderte. Sie bewegt sich so heftig, dass ich sie mit beiden Armen
Ich festhalten muss.
stellte mir jedoch die Szene vor, ganz eindringlich, mit Gesten »Aber ... ?«
und
Entgegnungen. Sie hätte sich folgendermaßen abspielen 225
können:
53.
»Es gab mal eine gewisse Zoubida im Dorf, aber niemand »Und Tarek ... «
weiß, wohin sie gezogen ist und ob sie überhaupt noch am »Er hatte einfach Bammel, das ist alles. Du hattest Angst vor

Leben ist.« seinem Florett und er vor deiner Möse.«

»Wer hat mich dann Sie verstummte. Ich spürte, wie sie zitterte, und fuhr fort:

versiegelt?« »Nur weil man dich eines Tages nackt mit einem Mann
konfrontiert und von dir verlangt, dich fur ihn zu öffnen,
»Ich.«
bist du noch lange nicht von Herzen dazu bereit. Ich habe
Leila zuckt so heftig zusammen, dass das Muli sich er-
das selbst erlebt, habe von der Hochzeit etwas anderes er-
schreckt und uns beinahe abgeworfen hätte. Ich trete ihm
wartet.«
mit den Hacken in die Seite, damit das Tier weiterläuft, und
»Was hat das mit Ihrer Hochzeit zu tun?«
drücke Leila fester an mich. Das ist im Augenblick die beste
»Sie hat mich gelehrt, dass man nicht zwangsläufig in der
Position, um die Wirkung meiner Worte und ihre Reaktio-
Hochzeitsnacht beginnt, Spaß am Sex zu haben und dass
nen abzufedern.
ein Ehevertrag beim adul (Notar) keine Gefuhle garan-
»Das war noch zu Lebzeiten deiner Mutter. Sie hat mich
tiert.«
gebeten, dich zuzunähen.«
»Warum waren Sie dann bereit, mich zu versiegeln?«
»Warum haben Sie mir das nie gesagt? Warum dann diese
»Um deiner Mutter nicht zu widersprechen.«
lange Reise?«
Sie antwortet nachdenklich:
»Urn dich über deine Hochzeitsnacht hinwegzutrösten, ich
»Und dennoch wollte ich nicht, dass meine Familie entehrt
meine, über die erste.«
wird. Ich hätte alles getan, um ihr diese Schande zu erspa-
»Sie machen sich wohl über mich lustig?«
ren.«
»Und damit du die Liebe kennenlernst.«
»Genau das hast du gewollt .. «
»Das verstehe ich nicht.«
Sie fährt fort, wie im Selbstgespräch:
»Ich habe diese Geschichten mit der Versiegelung schon
»Der Poet hat mich entsiegelt.«
immer für leeres Gerede gehalten. Der Beweis dafür: Du
»Es war die Liebe und nichts anderes. Los, beeilen wir uns,
hast es geschafft, ohne dass wir Zoubida um Hilfe bitten
bevor die Nacht hereinbricht.«
mussten.«
»Das hätte mit meinem ersten Ehemann ebenfalls passieren
können.«
»Das glaube ich nicht. Du hast Tarek nicht genug geliebt,
um ihn in deinen Körper eindringen zu lassen. Vielleicht
war dein Jungfernhäutchen tatsächlich zu widerstandsfähig,
aber der eigentliche Grund ist, dass du dich dagegen ge-
sträubt hast, ihn in dich aufzunehmen.«
227

226
Z ebib tauchte in der Ferne auf, eingebettet in die
Mul-
de zwischen den Hügeln. Es war Ende Juli. Eine sanf-
Irrtums gewesen? Die erste unter Zwang vollzogene
Hoch-
zeitsnacht mit deinem Ehemann oder die Nacht in gegen-
te Brise wirbelte die liegen gebliebenen Strohhalme der seitigem Einvernehmen mit deinem Geliebten?«
frisch abgeernteten Felder auf. Die Stimme des Muezzins »Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht mehr.«
drang bis zu uns, und eine seltsame Besorgnis Sie schwieg einen Augenblick, doch dann verriet ihr fla-
bemächtigte ckender Blick erneut ihre Besorgnis:
sich meiner. Plötzlich fand ich mich unvorsichtig, ja tö- »Und was wird Tarek sagen? Wie kann ich ihm verber-
richt, weil ich erwogen hatte, mich der jungen Frau anzu- gen ... «
vertrauen. In all den Jahren in Zebib habe ich stets »Glaube mir, Tarek zieht eine gelöste Frau im Bett einer
größtes verklemmten Jungfrau vor. Der Poet hat dir eine
Stillschweigen über mein Leben gewahrt, und ich sollte liebesbe-
daran auch nichts ändern, nicht einmal um Leilas Erzie- reite Möse zum Geschenk gemacht, und das ist eine
hung zu vervollkommnen oder um ihr einen Grund zur WoW-
Hoffnung zu geben. tat fur deinen Mann.«
Erneut ging mir ihr Schluchzen durch und durch, doch ich »Und wenn Tarek nicht zu der Sorte Mann
begnügte mich damit, sie mit diesen Worten zu trösten: gehört?«
»Die Liebe hat deinen verschlossenen Kelch geöffnet. Du »Dann wird er dich lieber als Jungfrau wollen.«
solltest eigentlich überglücklich sein.« »Aber das bin ich nicht mehr.«
»Tante, sprechen Sie nicht von Liebe zu einem »Ich verbiete dir, dich weiterhin so blöd anzustellen! Es
Zeitpunkt, gibt
da ich meinen Geliebten verlassen habe.« nichts Leichteres als ihm vorzugaukeln, dass du es noch
»Doch, denn man liebt nur einmal im Leben.« bist!«
Ich lockerte meinen Griff um ihre Taille. Sie stieg ab und Ich erriet, dass in ihrem kleinen Gehirn Chaos herrschte.
schmiegte sich an mich. Sie wusste nicht, wie sie sich entscheiden und welchen
»Aber ich habe trotzdem Angst. Angst, dass meine Nacht Weg
mit dem Poeten nicht die Nacht der Liebe war, son- sie einscWagen sollte. Ich musste ihr weiterhelfen.
dern ... « »Ich biete dir zwei Möglichkeiten an: Erstens, ich nähe
»Sondern was?« dich
»Die Nacht des Irrtums.« wieder zu, und deine Ehre ist gewahrt. Dein Mann wird
»Was ist deiner Meinung nach die eigentliche Nacht des gar
nichts merken.«
228 »Und zweitens?«
»Du erzahlst Tarek alles, spielst dich wie eine Nutte vor
ihm
auf und sagst: Entweder du nimmst mich so, wie ich bin, oder
du dest dich fiir deinen Geliebten.«
lässt mich gehen.«
»Und was gibt es dazwischen?«
229
»Du schickst deinen Ehemann in die Wüste und
entschei-
54.
»Aber ich kann aus dem Geliebten keinen Ehemann ma-
chen!«
»Das ist ein riesiger Vorteil!«
»Und meine Familie? Ich ertrage es nicht, eine Frau ohne
Anhang zu sein.«
»Du meinst wie ich?«
»Ich wollte nicht ... «
»Schon gut. Hätte ich jemanden kennengelernt, der mich
geleitet hätte, so wie ich es fiir dich getan habe, wäre mein
Leben anders verlaufen. Ich musste mit der Heuchelei und
der Lüge fertig werden, aber du brauchst dich nur mit der
Wahrheit auseinanderzusetzen!«
Sie hatte auf einem Stein Platz genommen und wirkte ir-
gendwie verloren.
Ich legte ihr die Hände auf die Schultern und sagte:
»Du musst dich jetzt entscheiden. Ich hoffe, du hast es ge-
lernt, eigenständig zu denken.«
Sie bettelte:
»Sie können mir doch helfen, eine Entscheidung zu tref-
fen ... «
»Nein!«
Ich war darauf gefasst, dass sie nicht lockerlassen würde. Sie
fragte:
»Warum haben Sie die weite Reise mit mir unternorn-
men?«
»Vielleicht wirst du es eines Tages erfahren.«
Plötzlich wurde mir mit Erstaunen bewusst, dass sie mich
nie gefragt hatte, woher ich all mein Wissen über Sex hatte.
Dafiir gab es mehrere Hypothesen: Entweder kannte Lei-
la - und folglich ganz Zebib - mein Leben und mein Ge-
heimnis und tat so, als ob es nicht der Fall wäre, was mir

230
ziemlich unwahrscheinlich erscheint, weil ich den Bewoh-
nern von Zebib wenig Toleranz gegenüber Sünderinnen
zutraue. Oder es war in den Augen des jungen Mädchens
selbstverständlich, dass Erwachsene alles über die Liebe wis-
sen und dass das Alter ihnen, genau wie die weißen Haare
oder der Diabetes, eine ungewöhnliche Intuition fiir Lie-
besdinge beschert. Vielleicht hielt mich Leila auch für eine
Prophetin der Liebe und verzichtete in der Art der guten
Gläubigen darauf, über Inhalt und Ursprung der Gebote
des Glaubens zu diskutieren.

231

In Wirklichkeit heiBe ich Badra wie die Tochter meiner


Cousine Arem, die zu Beginn dieses Berichts zehn Jahre
als war. Nur das s ich in einer Zeit der Ignoranz und der
Satyrn lebte und sie, wie ich hoffe, eine bessere Zeit erleben
wird. Sie hat die Chance, lesen zu lernen und die Welt zu
bereisen, viel1eicht sogar die Schonheiten fremder Erdteile
zu bewundern. Ich wünsche ihr einen total verrückten Ge-
liebten, der weder Sadek noch Tarek heiBt, sondern zum
Beispiel Driss, ein Name, der mir gefillt, einen Geliebten,
der schon und perfide ist, verspielt und tiefsinnig, der es
versteht, die Herzen zu entfl.ammen und die Mosén im
Funkeln der Sterne zu entzünden!
Ich habe meine Erfahrungen zu Hause gesammelt, musste
in meinem Berberdorf auf die Jagd gehen, wie die Lówin in
ihrem Territorium jagt, bevor ich von einem Dorf zum an-
deren und schlieBlich nach Zébib zog.Auch wenn ich mei-
ne Liebhaber und meine Marktfl.ecken haufig gewechselt
habe, mein Jagdrevier befand sich stets zwei Meilen von
meinem Wohnort entfernt. Ich nutzte den Winter, um rnich
in irgendeinem Alkoven zu verkriechen, und im Sommer
verbrachte ich meine Schaferstündchen unter freiem Him-
mel, auf den Feldern, in den Obstgarten, manchmal sogar
auf Friedhofen. Ich hatte mir zwei Gebote auferlegt. Ers-
tens: niemals einen Mann zu Hause empfangen - mit ganz
seltenen Ausnahmen -, denn wenn jemand mein Geheim-
nis ausplauderte, ware ich verloren und mein Zuhause den
Flammen ausgeliefert. Und zweitens: immer weit von mei-

235
ner Heimatstadt entfernt, da niemand meine Herkunft er- alle Mal ein boser Bann auf der jungen Frau las te te, der sie
fahren sollte. Als geheime Lustsklavin stahl ich rnich in die von einem Unglück ins nachste stürzte, was rnich amüsier-
Herzen und die Korper der Manner und gebrauchte ver- te. Es kursierte auch das Gerücht, sie habe sich in ein Wesen
schiedene Tricks, Zaubereien und Notigungen, darnit sie aus der Anderswelt verliebt und nenne sich jetzt Selma. Ein
schwiegen. Und es funktionierte. Kaufrnann behauptete, sie in einem Bordell in Zouirat ent-
Warum habe ich all das getan? Um den Sex kennenzuler- deckt zu haben, ein anderer glaubte, sie in der Pension eines
nen, wie andere fremde Lander kennenlernen. Ali würde Israeliten in Ranger gesehen zu haben. Ein Hirte schwor
behaupten, um meinen Korper von dem Wundbrand zu beim Stab des Mose, dass sie von der Flut hinweggetragen
heilen, den mein erster Ehemann hinterlassen hatte. worden sei. Er habe rnit eigenen Augen gesehen, wie si e,
Nachdem ich genug Befriedigung erfahren hatte, bekam angetan rnit dem Gewand der verheirateten Frau, aufrecht
ich Lust, meine Erfahrungen an eine junge Frau weiter- im Wasser stehend hinweggeschwemmt wurde!
zugeben - und Leila befand sich gerade in meiner Reich- In letzter Zeit regnete es in Strómen, so dass die Bache über
weite. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kann es sein, dass die Ufer traten, was Ernten und Vieh vernichtete.
sie eines Tages Badra begegnet.
Unter meinen bewundernden Blicken brachte Ali seinen
Ich hatte keineswegs vor, nach meiner Rückkehr aus Sabia letzten Satz zu Papier:
die Bekanntschaft des Grundschullehrers Ali zu machen, »Diese Erde hat kein Verlangen nach Leila, und wenn man sie
wollte auch nicht von Leila und ihrem Poeten die Macht findet, wird man sie hangen. «
der Worte kennenlernen, Schicksale zu schmieden. Mein Er sagte, an rnich gewandt:
Schicksal hat rnir den Lehrer geschickt, darnit ich in den »Dieses Fazit gilt auch fiir dich, mein Katzchen. Die ge-
Genuss sowohl seines Schwanzes als auch seiner Feder ge- ringste Torheit, und ich verlasse dich!«
lange - und das war eine groBe Chanceo Und er stürzte sich auf mein Hinterteil.
Und so erzahlte ich Ali, der seine Nachte darauf verwende-
te, zu schreiben und rnich zu vogeln, meine Geschichte.
Gestern ist Ali rnit meiner Geschichte unter dem Arm in
Wir waren beim letzten Kapitel angelangt, als ich erfuhr,
die Hauptstadt gefahren. Er hat versprochen wiederzukom-
dass Leila in den Süden geflohen war. Ihre groíie, bedin- men. Wenn ich rnir vorstelle, dass die Leute dort von mei-
gungslose Liebe hatte gesiegt - sie hatte sich von allen Fes- nem Leben erfahren, fühle ich rnich unbehaglich. Es ist, als
seln befreit. würde ich alles nochmals erleben, ware splitternackt und
Zum zweiten Mal sorgte die Tochter der Farnilie Ornrane zitterte von Kopfbis FuB, wahrend die Leser ihre Blicke auf
in Zébib fiir einen Skandal. Niemand sah die Ursache fiir mich richteten. Und inzwischen konnte ich meiner Man-
Leilas Flucht in unserer Reise, es hief vielmehr, dass ein fiir del die wohlverdiente Ruhepause gonnen.

236
237
55.
Heute Nachmittag werde ich der Familie Omrane Trost
spenden, denn Ashmahan wurde wegen der »Missgeschi-
cke« ihrer Schwester von ihrem Mann verstoBen. Im Übri-
gen wird es mir Freude bereiten, die Bewohner von Zébib
zu beobachten, wie sie mit den FüBen stampfen und sich
aufregen, da sie in diesen Zeiten der angekündigten Zwie-
tracht nicht mehr wissen, was sie tun sollen und was nicht,
ob sie sich um die Ehre ihrer Frauen oder die Ankunft der
Blauaugen kümmern sollen, die vor den Toren Zébibs war-
ten und ihnen vielleicht einen kostbareren Schatz als Leilas
Mose rauben werden!
Die franzosische Originalausgabe dieses Buchs erschien 2009 unter dem Titel
»La Traversée des sens« bei Editions Plon, Paris.

'Vorspiel zum 'Vorspiel

Besuchen Sie uns im Internet:


www.droemer-knaur.de

DFSC
www.fsc.c:wg

MIX
Papler .u. ver-
antwortungsvonen
Quellen

FSC" C014496

Deutsche Erstausgabe Juni 20Il


Copyright © 2009 by Plon
Copyright © 20Il der deutschsprachigen Ausgabe bei Droemer Verlag.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise - nur mit
Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Werner Wahls
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Umschlagabbildung: finePice, München
Satz: Adobe InDesign im Verlag
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Poflneck
Printed in Germany
ISBN 978-3-426-19871-1

2 4
n diesem Leben ist es den einen gegeben, gute Manieren
I zu erlernen, den anderen, ihren Geist zu bilden und den
Glauben zu starken. Ich besaB nicht das Privileg, die eine
oder andere Unterweisung zu erhalten, da ich, so wie Gott
mich schuf, eine Schwache fiír die Lust verspürte, da ich
weder lesen noch schreiben konnte, geschweige denn über
sonstige Kenntnisse verfugte. Mir blieb nur eine M6glich-
keit, vor meinem Tod ein gutes Werk zu vollbringen: ir-
gendein junges Madchen mit den Freuden der Liebe ver-
traut zu machen. Selbstverstandlich mit gr6Bter Diskretion.
Dieses Land hat beschlossen, den Sex zu verpónen und sich
hinter dem Schleier falscher Sittsamkeit zu verbergen. Ich
werde verhaftet, falls es gelingen sollte, meine Identitat zu
lüften.
P/O: ZobidaAi"t Lemséne
Nedima
Wilde Feigen
Roman

Aus dem Franzosischen von


Antoinette Gittinger

Droemer

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