Chronologie des Unfassbaren: Wie es zum Mehrfachmord von Rupperswil kam.

Seite 18
4. März 2018
17. Jahrgang | Nr. 9
NZZaS.ch
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Raiffeisen:
So liefen die
Deals von
Ex-Chef Vincenz
Nach dem Eklat um den
früheren Raiffeisen-Chef wird
allmählich sichtbar, wie sich
Pierin Vincenz persönliche
Vorteile verschafft haben soll.
Es geht um Millionen.
Daniel Hug, Albert Steck
Seit dieser Woche sitzt mit Pierin
Vincenz einer der prominentes-
ten Schweizer Banker in Unter-
suchungshaft. Bei den Vorwürfen
gegen ihn und einen früheren Ge-
schäftspartner geht es um private
Geschäfte, bei denen er sein Wis-
sen als Chef der Raiffeisen-Grup-
pe missbraucht und sich persön-
lich bereichert haben soll.
Recherchen dieser Zeitung zei-
gen nun, wie er dabei vorgegan-
und sein Geschäftspartner ihre
Investition innert kurzer Zeit
mehr als verdoppeln.
Im anderen Fall, der Investnet,
kaufte die Raiffeisen-Gruppe sel-
ber die Mehrheit. Wie Johannes
Rüegg-Stürm, Präsident des
Raiffeisen-Verwaltungsrats, in
einem Interview mit der «NZZ am
Sonntag» sagt, war «es nicht
sichtbar, dass Vincenz sich offen-
bar bereits zu einem frühen Zeit-
punkt über Dritte privat an der
Gesellschaft Investnet beteiligt
hatte». Rüegg-Stürm zeigt sich
über die Entwicklung «scho-
ckiert»: «Wenn Sie falsche An-
gaben erhalten oder Ihnen wich-
tige Informationen vorenthalten
werden, können Sie sich kein kor-
rektes Bild verschaffen.»

gen ist. So soll er sich über Dritte
an Firmen beteiligt haben, die
später von der Raiffeisen-Gruppe
oder Firmen, an denen sie Anteile
hielt, erworben wurden. Im Zent-
rum stehen dabei sowohl die
Bank als auch das Kreditkarten-
Unternehmen Aduno.
So kaufte die Aduno, die von
Vincenz präsidiert wurde, 2007
eine Firma, deren wirtschaft-
licher Berechtigter er laut Ermitt-
lungen selber war. Aduno be-
zahlte laut Kennern des Dossiers
einen Betrag von 6 bis 7 Millionen
Franken. Damit konnten Vincenz
WirScheinreichen
Trotz den Vorgängen rund um
sein Institut will Rüegg-Stürm am
Verwaltungsrats-Präsidium fest-
halten und für weitere zwei Jahre
kandidieren. Er räumt jedoch
Fehler ein, auch bei der Einset-
zung von Vincenz’ Ehefrau als
Leiterin der Raiffeisen-Rechts-
abteilung. Dies sei eine «unglück- Wir leisten uns Kreuzfahrten, Nespresso-Kap- vermeintlichen Premiumprodukte sollen uns
liche Konstellation» gewesen, seln, Trüffelöl und eine Ausfahrt in der Stretch- über den Abstieg der Mittelklasse hinwegtrös-
sagt er. Pierin Vincenz bestreitet
die Vorwürfe gegen ihn. Es gilt die Limousine: Mit mittelmässigem Luxus wollen ten. «Premium Mediocre» nennt der Autor,
Unschuldsvermutung. wir uns von der Masse abheben – unser Leben Blogger und Raumfahrttechniker Venkatesh Rao
Seite 25–27 besser scheinen lassen, als es wirklich ist. Die dieses Phänomen. Hintergrund, Seite 20
Kommentar Seite 15

Über 100 erzwungene Kinderehen Auch Amerika manipuliert Weniger Gift

in der Schweiz pro Jahr
Die nationale Fachstelle Zwangs-
heirat muss sich praktisch jede
Woche um Opfer im Schutzalter
kümmern. Letztes Jahr haben die
Berater 43 Kinder unter 16 Jahren
unterstützt, die gegen ihren Wil-
len vermählt worden waren. Die
jungen Frauen stammen mehr-
heitlich aus Syrien, Afghanistan,
Somalia, Eritrea und Mazedo-
nien. Zudem erhielt die Fach-
stelle 64 Meldungen von Minder-
jährigen-Ehen mit 16- bis 18-jähri-
gen Betroffenen, wie ihre noch
unveröffentlichte Statistik zeigt.
In der Schweiz darf eine
religiöse Hochzeit erst nach der
Ziviltrauung und entsprechend
frühestens im Alter von 18 Jah-
ren vollzogen werden. Dennoch
akzentuiert sich das Problem der
Zwangsheiraten von Minderjäh-
rigen – speziell von Kindern im
Schutzalter – seit zwei Jahren. Bis
2015 war die Fachstelle lediglich
vereinzelt mit Eheschliessungen
von unter 16-Jährigen konfron-
tiert worden.
Das liegt laut Anu Sivaganesan,
der Präsidentin der Fachstelle,
zum einen an der veränderten Zu-
sammensetzung der Asylsuchen-
den. Zum anderen führe die
erhöhte öffentliche Sensibilität
zu mehr Meldungen. «Unsere
Bemühungen greifen», hält Siva-
ganesan fest. (asc.)
Seite 9
Wahlen anderer Staaten
Die russische Einmischung in die
US-Präsidentschaftswahlen 2016
mit Fake-News und Informations-
lecks sorgt in den Vereinigten
Staaten noch immer für helle Auf-
regung. Doch frühere Mitarbeiter
der US-Nachrichtendienste und
Ex-Diplomaten wissen: Niemand
mischte sich mehr in die Wahlen
anderer Länder ein als die USA.
Seit dem Ende des Zweiten Welt-
kriegs wurden unzählige Male
Falschaussagen in fremdländi-
schen Zeitungen placiert und ge-
nehme Politiker finanziell unter-
stützt oder nicht genehme abge-
setzt. Auch in Russland versuchte
die USA bis in die jüngste Vergan-
genheit, Einfluss zu nehmen, mit
dem Ziel eines Regimewechsels.
Vor allem die frühere Aussen-
ministerin Hillary Clinton stand
hinter dieser Politik. Die russi-
schen Interventionen waren
letztlich eine Vergeltung an die
Adresse von Clinton. (mnk.)
Seite 3
in neuer Zigi
Die Tabakkonzerne haben neu-
artige Produkte entwickelt, die
rund 90 Prozent weniger giftige
Substanzen abgeben sollen als
eine Zigarette. Erste unabhängige
Studien, unter anderem von der
Empa in Dübendorf, bestätigen
diese Aussagen. Anders als E-
Zigaretten, die auf Flüssigkeiten
beruhen, enthalten die Erhitzer
Tabak. Sie verbrennen ihn nicht,
sondern heizen ihn stark auf. (hir.)
Seite 51

Sport Kultur Kultur Gesellschaft

So lässt sich Fangewalt Von wegen Filz: Der Lukas Bärfuss über die Fabelwesen: Das
richtig bekämpfen 39 Oscar ist für alle da 57 mutlose Schweiz 61 Einhorn verfolgt uns

JUBILÄUMSAUSGABE

« Wir freuen uns an der Giardina-

09

Jubiläumsausgabe auf kleinem

Raum Grosses möglich zu machen.. »
9 771660 085003

– Enzo Enea
14.–18. März 2018 Messe Zürich giardina.ch
h
Aktuell
NZZ am Sonntag 4. März 2018

Trump droht EU Im Schneesturm mit Baggerschaufel Hoffnung auf Hilfskonvoi für das
Zölle auf Autos an Supermarkt geplündert eingeschlossene Ost-Ghuta
Von Nachteilen für Bourbon- Den Wintersturm «Emma» haben Syrische Truppen haben ihre
Die meistgelesenen

REUTERS

Whisky, Levi-Strauss-Jeans oder
Harley-Davidson-Motorräder
lässt sich Donald Trump nicht
einschüchtern. Kaum hat EU-
Kommissionspräsident Claude
Juncker angekündigt, Massnah-
men gegen die vom US-Präsi-
denten geplanten Strafzölle auf
Stahl und Aluminium zu ergrei-
fen, droht er nun mit Import-
zöllen auf weitere europäische
Produkte. «In diesem Fall werden
wir einfach eine Steuer auf ihre
Autos erheben, die frei in die
USA strömen», teilte er gestern
Samstag auf Twitter mit. (vmt.)
IMAGO
Plünderer in Irland genutzt, um Angriffe auf Ost-Ghuta gestern Artikel der Woche
auf besonders brachiale Art in Samstag unvermindert fort-
einen Supermarkt einzubrechen. gesetzt. Dabei gelang es ihnen, Wie Teenager missbraucht
Wie die Zeitung «Irish Indepen- aus östlicher Richtung weiter auf werden nzz.as/top1
dent» am Samstag berichtete, die Rebellenhochburg vorzu- Peter Madsen baute U-Boote –
hatten die Plünderer während des rücken. Vor einer Woche hatte der dann zerstückelte er eine
Unwetters am Vortag mit einer Uno-Sicherheitsrat eine 30-tägige Journalistin. nzz.as/top2
Baggerschaufel das Dach der Lidl- Waffenruhe gefordert. Heute Rauch über Ost-Ghuta.
Wer in Zürich wirklich die Macht
Filiale zertrümmert. Die Polizei Sonntag könnte erstmals seit
hat nzz.as/top3
hatte Mühe, überhaupt bis zum langem wieder Hilfe in die einge- Bewohner zu bewilligen. Die
Tatort im Westen Dublins vorzu- kesselte Region nahe Damaskus Luft- und Bodenangriffe auf Hintergräppelen ist das neue
dringen, und wurde mit Stein- gelangen. Die Regierung hat laut Ost-Ghuta haben seit Mitte Sibirien der Schweiz
würfen empfangen. Sie nahm dem Uno-Kinderhilfswerk signali- Februar mehr als 600 Tote nzz.as/top4
neun Personen fest. Der Lidl-Kon- siert, einen Konvoi mit Hilfe für gefordert. Durch Geschosse der Schweizer Jihadist plante erneu-
zern sprach von einem «sehr rund die Hälfte der knapp Rebellen auf Damaskus kamen ten Anschlag in Nizza
schweren Vorfall». (dpa/maz.) Lidl-Filiale in Dublin. 400 000 eingeschlossenen Dutzende ums Leben. (iro.) nzz.as/top5

Irland unter Beschuss

PARSCAL PROUST / MAXPPP/ KEYSTONE

der Brexit-Befürworter
Theresa May hatte der EU und Irland eine offene Grenze versprochen.
Nachdem die EU klarmachte, was das bedeutet, regt sich Widerstand
Martin Alioth, Dublin nun geforderte Zollunion mit

Mathilde Edey Gamassou mit Jeanne d’Arc. (Orléans, 19. Februar 2018)
Nationalisten hetzen gegen
die Jungfrau von Orléans
Ein Mädchen afrikanischer
Herkunft soll Frankreichs
Nationalheldin Jeanne d’Arc
verkörpern. Rechtsextreme
laufen dagegen Sturm.
Axel Veiel, Paris
Die Messlatte hängt hoch in
Orléans: Die junge Frau, die bei
den alljährlichen Feiern zu Ehren
Jeanne d’Arcs in die Rüstung der
französischen Nationalheldin
schlüpfen darf, hat es an Aus-
strahlung, Mut und Glaubens-
treue mit dem historischen Vor-
bild aufzunehmen. Dieses Jahr
war die Gesuchte schnell gefun-
den. Die 17-jährige Gymnasiastin
Mathilde Edey Gamassou mit den
kaum zu bändigenden Locken ist
wie geschaffen, um die kriegeri-
sche Bauerntochter zu verkör-
pern, die auch als Jungfrau von
Orléans in die Geschichte einge-
gangen ist. Die Französin erfülle
perfekt die im Pflichtenheft ge-
nannten Kriterien, erklärte das
Auswahlkomitee, bestehend aus
Stadtpräsident Olivier Carré, Mili-
tärs und Kirchenoberen.
Die Auserkorene hat als Kämp-
ferin zu überzeugen, zog doch
Jeanne d’Arc 1429 mit 17 Jahren
an der Spitze von Soldaten gegen
die Engländer in die Schlacht und
Der Vorsitzende einer Gruppe von
etwa 70 bis 80 konservativen
Unterhausabgeordneten, die
einen radikalen Bruch mit der EU
befürworten, hat Brüssel und das
Nachbarland Irland mit heftigen
Vorwürfen eingedeckt. In einem
Artikel für die nordirische Zeitung
«News Letter» bezichtigt Jacob
vertrieb die Belagerer der Stadt. Rees-Mogg die EU-Kommission
Mathilde hat Freude am Kampf, eines «Akts der Aggression». An-
in der Freizeit ficht sie mit dem lass ist der am Mittwoch von
Florett. Eine in Operngesangs- Brüssel vorgelegte Entwurf des
stunden gefestigte Stimme hat sie Austrittsvertrags. Er sieht vor,
obendrein. Der Glaubenstreue ge- dass Nordirland in der Zollunion
nügt sie ebenfalls: Jeanne d’Arc, mit der EU verbleibt, falls keine
die mit 19 Jahren, von einem pro- andere, gleichwertige Lösung ge-
englischen Gericht verurteilt, auf funden wird. Dieser Passus stützt
dem Scheiterhaufen endete, sich auf eine entscheidende Zusa-
wurde als Märtyrerin heilig- ge der britischen Regierung vom
gesprochen. Mathilde ist eine letzten Dezember, nämlich eine
sozial engagierte Katholikin. sichtbare Grenze innerhalb der
Wie Jeanne droht aber auch irischen Insel zu vermeiden.
ihre Darstellerin als Märtyrerin zu Eine EU-Zollunion Nordirlands
enden. In den sozialen Netzwer- ist jedoch laut Rees-Mogg in-
ken ist ein Shitstorm über sie her- akzeptabel für die britische Regie-
eingebrochen. Denn Rechtsnatio- rung. Ihr bleibe darum nur der
nalisten verübeln Mathilde Edey harte Bruch mit Brüssel, nämlich
Gamassou, dass sie ausländischer ein vertragsloser Zustand nach
Herkunft ist: Der Vater stammt dem Brexit. Als den Schuldigen
aus Benin, die Mutter kam in an dieser misslichen Lage sieht
Polen zur Welt. In anonymen Rees-Mogg den irischen Premier-
Tweets beklagen sie einen Ver- minister Leo Varadkar. Auf ihn
such, Frankreichs Geschichte geht die EU-Forderung nach einer
umzuschreiben, und zeigen die offenen Grenze zurück.
Auserkorene als Äffin, die Bana- Nun könnte man versucht sein,
nen essen solle. Nächstes Jahr Rees-Mogg nicht ernst zu neh-
werde man eine Burka-Trägerin men. Er gilt als schrullig und
als Jeanne d’Arc aufbieten, pro- bekleidet kein Regierungsamt.
phezeien sie. Die Staatsanwalt- Seine Kritiker verspotten ihn
schaft ermittelt wegen Anstiftung als «den Abgeordneten für das
zum Rassenhass. Für Mathilde 18. Jahrhundert». Doch Rees-
geht es nun darum, ihrem Vorbild Mogg wies in der protestanti-
nachzueifern und den Feind in schen Zeitung auf das entschei-
die Flucht zu schlagen. dende Detail hin: Die von der EU
IMAGO
Nordirland. Diese wurde schon
früher von Mays Juniorpartner in
der Regierung abgelehnt, der pro-
testantischen nordirischen DUP.
Am Freitag hatte May in ihrer
Grundsatzrede zum Brexit keine
alternative Lösung vorgelegt. Sel-
ten wohl ist eine Rede auf den
beiden Seiten des Ärmelkanals so
unterschiedlich interpretiert wor-
den. Die beiden zerstrittenen Flü-
gel der Tories reagierten gelassen
oder zustimmend, die Medien
lobten Mays Eingeständnis, dass
der britische Zugang zum EU-
Markt verringert werde. Zahlrei-
che Reaktionen aus der EU indes-
sen verlangten weiterhin mehr
Klarheit und argwöhnten, der
erwünschte, massgeschneiderte
Handelsvertrag mit der EU be-
deute Rosinenpickerei.
Mays Plan würde komplexe
Vereinbarungen erfordern, die
den Briten selektiven Markt-
zugang erlauben, ohne die Sou-
veränität ihres Parlamentes zu
schmälern. Im Güterverkehr wür-
den sich die Briten weitgehend an
EU-Normen halten – aber freiwil-
lig. Für die EU wäre dies wohl ein
unzumutbarer Eingriff in ihren
Binnenmarkt. Nächste Woche
will sie ihr Verhandlungsmandat
für den Endzustand präsentieren.
Selbst wenn Mays Kunststück
gelänge, stellt sich die Frage nach
dem Zweck. Der Kolumnist Jona-
than Friedland verglich Mays
Ansatz im «Guardian» mit einem
Gast in einem Restaurant, der den
Tagesteller ablehne, um à la carte
zu bestellen. Nach langer Über-
legung entscheide sich der Gast
für dieselbe Speisenfolge wie auf
dem billigeren Tages-Menu. Jacob Rees-Mogg will lieber den vertragslosen Zustand. (8. 2. 2018)

Baldige Rückkehr von Norwegens Verbrechern

Drei Jahre lang wurden
Schwerverbrecher in den
Niederlanden ins Gefängnis
gesteckt. Nun freuen sich
die Norweger, dass die
Kriminellen heimkehren.
Niels Anner, Kopenhagen
Seit drei Jahren sitzen die Mörder
und Drogenhändler im Hoch-
sicherheitsgefängnis Norgerha-
ven in den Niederlanden. Dabei
gehören sie gar nicht dorthin. Sie
stammen aus Norwegen. Dort gab
es jedoch zu wenig Gefängnis-
plätze, weshalb der norwegische
Justizvollzug kurzerhand 242
Einzelzellen in den Niederlanden
mietete und darin insgesamt 800
als gefährlich eingestufte Gefan- räre Umsiedlung kostete die Nor- mefilm viel versprochen worden, dort die Arbeitstage kürzer und parteien kritisierten sie auch als
gene eingesperrte. Diese Woche weger 100 Millionen Franken. doch weder der Fussballplatz das Taschengeld höher waren. Geldverschwendung. Sie forder-
hat man das einzigartige und um- Laut Listhaug war es das wert. noch der Fitnessraum seien zu- Dennoch musste rund ein Drittel ten, dass Norwegen selber neue
strittene Abkommen mit den Nie- Ausserdem habe man dank der gänglich, Skype funktioniere der Insassen unter Zwang über- Gefängnisse baue. Nun wird es
derlanden auslaufen lassen. Bis Auslagerung Renovationen in den nicht, in der Bibliothek gebe es führt werden. aber noch Jahre dauern, bis sol-
im Sommer werden die verblei- norwegischen Haftanstalten vor- kaum norwegische Bücher. Zu- Das grösste Problem der Aus- che Ausbauprojekte fertig sind.
benden 200 Insassen nach Nor- nehmen können. dem ergäben sich Kommunika- lagerung konnte aus naheliegen- Justizministerin Sylvi Listhaug
wegen zurückkehren. Die Justizministerin dürfte je- tionsprobleme mit den niederlän- den Gründen nicht gelöst wer- braucht das im Moment nicht zu
Offenbar besteht nun kein Be- doch vor allem froh sein, dass das dischen Angestellten, die unter den: der Abstand zur Heimat und kümmern, für sie ist mit dem Ab-
darf mehr für die Auslagerung. Kapitel abgeschlossen ist. Denn der norwegischen Gefängnislei- zu Angehörigen der Kriminellen. bau der Warteschlange der Auf-
Justizministerin Sylvi Listhaug so elegant die Lösung mit den tung arbeiteten. «Uns wurde Angesehene Juristen und der Ver- trag erfüllt. Experten weisen
sagte: «Wir konnten in den drei Niederlanden am Anfang aussah, etwas vorgegaukelt», erklärte ein band der Gefängnisangestellten allerdings darauf hin, dass dies
Jahren die Warteliste für Gefäng- sie brachte der rechtskonservati- bekanntes Mitglieder der Hells kritisierten, dass durch den man- nicht nur dem niederländischen
nisplätze abbauen.» In Norwegen ven Regierung eine Menge Kritik Angels. Die Behörden sprachen gelnden Kontakt zum Umfeld ein Gefängnis zu verdanken sei, son-
sind seit Jahren nicht nur die ein – von Juristen, dem Ombuds- von «Kinderkrankheiten» und ge- wichtiges Prinzip des Strafvoll- dern auch einem deutlichen
Haftanstalten überfüllt, zeitwei- mann sowie den Gefangenen sel- lobten Besserung. zugs nicht erfüllt sei. Dadurch Rückgang der Zahl der Verurteil-
lig konnten auch über 2000 Ver- ber. So klagten die Insassen über Zwar gewann mit der Zeit die sänken die Chancen auf eine er- ten. Grund dafür ist ein Stau bei
urteilte wegen Mangel an Gefäng- die Verhältnisse im Norgerhaven, Versetzung in die Niederlande in folgreiche Resozialisierung. den Gerichten – und diesen kann
niszellen ihre Strafe gar nicht in einem offenen Brief und in den norwegischen Gefängnissen an Die Auslagerung stand stets auch das reiche Norwegen nicht
rechtzeitig antreten. Die tempo- Medien. Ihnen sei in einem Rekla- Beliebtheit, unter anderem weil auf der Kippe. Die Oppositions- ins Ausland auslagern.
NZZ am Sonntag 4. März 2018
International USA 3

Wie Amerika Wahlen manipuliert

Gross ist die Empörung in den USA über die russischen Interventionen in den US-Wahlen von 2016. Die
wahren Profis dieses Metiers sind jedoch die Amerikaner selbst. Von Andreas Mink, New York

M
eddling heisst auf Englisch Ein-
MIKHAIL METZEL / AP / KEYSTONE

mischung. In den USA kommt das

Wort derzeit vor allem mit einem
bestimmten Attribut vor: «Russian
Meddling». Damit ist die Einmischung Russ-
lands in die Präsidentschaftswahlen von 2016
gemeint: Der russische Präsident Wladimir
Putin und seine Troll-Armeen sollen versucht
haben, mit Fake-News und Informationslecks
der demokratischen Kandidatin Hillary Clin-
ton zu schaden und ihrem Gegenspieler
Donald Trump zum Sieg zu verhelfen. Sonder-
ermittler Robert Mueller hat jüngst 13 Russen
angeklagt, die Teil dieser Verschwörung gewe-
sen sein sollen. Nachrichtendienste warnen
davor, dass die Russen auch die Zwischen-
wahlen 2018 manipulieren werden.
Die Empörung darüber, dass sich ausge-
rechnet Russen in ihre Demokratie ein-
mischen, ist gross unter den Amerikanern. In-
sider hingegen können darüber nur müde
lächeln. Die russischen Operationen seien
bloss eine Cyber-Version langjähriger ameri-
kanischer Praxis, sagte der Sicherheits-Exper-
te Loch K.Johnson jüngst in der «New York
Times»: «Wir machen solche Sachen, seit der
Auslandgeheimdienst CIA 1947 gegründet
wurde. Wir produzierten Plakate, Transpa-
rente, Pamphlete. Wir setzten Falschinforma-
tionen in ausländische Zeitungen. Wir nutzen
– was die Briten ‹König Georges Kavallerie›
nennen – Koffer voller Geld.» Im persönlichen
Gespräch mit dieser Zeitung bestätigen drei
frühere Top-Mitarbeiter des Aussenministe-
riums, des Pentagons und des Nationalen
Sicherheitsrates diese Aussagen. Alle drei ma-
chen aber auch klar: Die USA manipulierten
nicht nur Wahlen, sie griffen massiv in Politik
und Gesellschaft anderer Staaten ein.

Mehr als nur Geldköfferchen

Mit dem Ziel, den Vormarsch der roten Gefahr
aus Moskau zu stoppen, wurden nach dem
Zweiten Weltkrieg in Italien und in Frankreich
bevorzugte Kandidaten finanziert. Später Wladimir Putins Intervention in den US-Wahlen war auch eine Reaktion auf US-Einmischung: Hillary Clinton strebte einen Regimewechsel an. (Wladiwostok, 2012)
unterstützte die CIA verdeckt Zeitschriften
wie «Encounter» in London und arrangierte
Besuche von hochkarätigen Künstlern und Putin sah die brutale neue Regierung in Damaskus gewährte dem
Intellektuellen in Europa. Konzern bereitwillig Transitrechte. An Schlüs-
Doch es blieb nicht immer bloss beim Spiel
Ermordung Ghadhafis selpositionen des Aramco-Konzerns sassen
mit falschen Informationen und Geldköffer- im Fernsehen und rief CIA-Veteranen, die üppige «Spenden» an
chen. Die USA intervenierten auch rabiater,
um die Geschicke fremder Staaten zu beein-
spontan aus, dass die Potentaten und Politiker zahlten. Washington
hat solche Methoden noch während der acht-
flussen. Von Lateinamerika über Afrika bis Amerikaner das mit ihm ziger Jahre in Mittelamerika eingesetzt.
Südostasien organisierte Washington Coups nicht machen würden. Doch auch die Russen sind nicht erst seit
lokaler Militärs oder wurde direkt aktiv. 1963 den Wahlen 2016 im Geschäft des Meddling.
unterstützten die USA die Ermordung des Der Politologe Dov Levin hat in einem Ver-
südvietnamesischen Präsidenten Ngo Dinh gleich der beiden Mächte gezeigt, dass die
Diem. Zehn Jahre später trieben chilenische Amerikaner zwischen 1946 und 2000 min-
Militärs mit Zustimmung der Nixon-Regie- destens 81-mal bei Wahlen im Ausland inter-
rung den Präsidenten Salvador Allende in den venierten, der Kreml immerhin 36-mal. Der
Selbstmord. Die Zusammenarbeit mit auslän- frühere CIA-Chef James Woolsey sagte dazu
dischen Militärs wurde ein Eckpfeiler der US- schmunzelnd auf Fox News, Amerika sei sehr
Weltpolitik. Bis heute schulen die Amerikaner geübt in diesem Spiel. Aber die USA täten dies
Offiziere etwa aus autoritären Staaten wie für gute Zwecke und die Demokratie.
Ägypten und gewinnen so bleibenden Ein- Demokratie und Menschenrechte dienen
fluss, ohne dass dies sichtbar würde. den Amerikanern vor allem seit dem Kollaps
Zum globalen Kampf gegen den Kommu- des Sowjetimperiums als Rechtfertigung für
nismus gehörte auch die Kontrolle über Ölvor- ihre Einmischung. Das Mantra hiess seither:
kommen. Die CIA stand 1953 hinter einem Regimewechsel. So ergriffen die USA im Jahr
Militärputsch gegen den iranischen Minister- 2000 bei den Wahlen in Serbien Partei gegen
präsidenten Mohammad Mossadegh, weil die- den damaligen Machthaber Slobodan Milose-
ser die heimische Erdölindustrie verstaat- vic und finanzierten Berater sowie Millionen
lichen wollte. Schon 1949 hatte Washington von Abziehbildern mit der Parole «Er ist am
den ersten Militärputsch in Syrien unter- Ende» unter dem Symbol der Opposition,
stützt. Auch hier war Öl das Motiv. Konkret einer geballten Faust.
ging es um den Bau einer Pipeline, um das von Stuart Schwartzstein, der über 30 Jahre im
der amerikanischen Aramco in Saudiarabien Aussen- und im Verteidigungsdepartement
geförderte Öl ans Mittelmeer zu führen. Die gedient hat, sieht darin eine Überheblichkeit
Jared Kushner
Jared Kushner steht im Zentrum nach Kreditgebern und hat dazu streng geheime Unterlagen
Donald Trumps der Ermittlungen über die russi- Ende 2016 mit dem chinesischen eigentlich nicht einsehen. Trump
Schwachstelle sche Einmischung bei den letzten
US-Wahlen. Der Schwiegersohn
Anbang-Konzern verhandelt.
Anfang Woche sickerte aus
gewährte ihm deshalb eine
temporäre Freigabe. Doch
und Spitzenberater von Donald Geheimdienstkreisen durch, dass Anfang der Woche entzog ihm
Trump hat seit dem Sommer 2016 Beamte in China, Israel, Mexiko Stabschef John Kelly dieses Pri-
mehrfach Abgesandte Moskaus und den Vereinigten Arabischen vileg. Kurz darauf wurde
getroffen. Dabei wurde nicht nur Emiraten Kushner für naiv, uner- bekannt, dass Kushner 2017 im
belastendes Material über Hillary fahren und wegen der Schulden Weissen Haus Infrastrukturpläne
Clinton diskutiert. Kushner sprach für manipulierbar halten. mit Bankern diskutiert hatte, die
zudem mit einem russischen Kushner unterschlug 2017 Aus- seiner Firma danach eine halbe
Banker, der dem Kreml nahesteht. landkontakte und Finanzinforma- Milliarde Dollar geliehen haben.
Hintergrund sind Milliardenschul- tionen bei seinem Antrag auf In Washington gilt der 37-Jährige
den der Familienfirma Kushner Zugang zu Staatsgeheimnissen. deshalb zunehmend als
Companies aus Immobilieninvesti- Deshalb darf er für Aufgaben wie Schwachstelle der Regierung
tionen. Kushner sucht verzweifelt die Lösung des Palästina-Konflikts Trump. (mnk.)
der Amerikaner. «Die USA fühlen sich grund-
sätzlich überlegen. Gott steht angeblich auf
unserer Seite und gibt Amerika das Recht zur
Gestaltung der Welt nach eigenem Vorbild.»
Schlichter Eigennutz werde dabei gerne als
idealistisches Anliegen verkauft, sagt der frü-
here Diplomat: «Unsere gewaltige Macht hat
Amerika korrumpiert.»
Noch 1961 nannten
Putins Rache die Amerikaner den
Die Einmischung der Amerikaner in Russland südvietnamesischen
war besonders nach 1990 folgenschwer. Ein Präsidenten Ngo Dinh
Insider, der ungenannt bleiben will, erzählte Diem den «Winston
dieser Zeitung, er habe persönlich miterlebt, Churchill Südost-
wie die USA zunächst Präsident Boris Jelzin asiens». Als er ihnen
und ab 1999 Konkurrenten von Wladimir aber nicht mehr
Putin mit Millionen von Dollar unterstützten. passte, liessen sie ihn
«Das lief über zwanzig Jahre lang so und war 1963 eliminieren.
natürlich kein Geheimnis in Moskau.» 2006
erhielt der Oppositionspolitiker Alexei
Nawalny Geld aus Washington, und auch 2016
flossen amerikanische Gelder in die Wahl-
kampfkassen von Putin-Gegnern.
Hillary Clinton trat als Aussenministerin
unter Barack Obama im Namen von Humani-
tät und Freiheit besonders laut für einen
Regimewechsel etwa in Libyen ein. In Moskau
verstand man dies als Drohung. Ein Insider
sagt dazu: «Ich hörte direkt aus dem Kreml, Der ehemalige
Putin habe die brutale Ermordung Muammar Präsident Serbiens,
Ghadhafis durch libysche Rebellen nach Slobodan Milosevic,
einem Nato-Bombardement am Fernsehen war den Amerikanern
verfolgt und spontan ausgerufen haben: ‹Mit ein Dorn im Auge.
mir werden die Amerikaner das nicht ma- Deshalb förderten sie
chen!›» Dieser Moment sollte entscheidend im Jahr 2000 seinen
werden für die russische Einmischung in den Sturz mit der
US-Wahlen 2016. Das sehen unsere drei be- Unterstützung der
fragten Experten alle gleich: Wie die übrige Opposition im Land.
Welt – und Donald Trump wohl auch selbst –
habe Putin bei den Präsidentschaftswahlen
einen Sieg Clintons erwartet. Die russischen
Hackerangriffe und Social-Media-Kampagnen
waren daher vor allem Botschaften an die zu-
künftige Präsidentin: «Wenn du in Moskau
einen ‹Regimewechsel› anstrebst, dann schla-
gen wir zurück. Rabiat und innovativ.»
Präsident Donald Trump – das sieht man
bereits ein Jahr nach seiner Amtsübernahme
– wird die US-Politik der Einmischung grund-
legend verändern. Der frühere Spitzenbeamte
Stuart Schwartzstein sagt: «Trump hat die
Interventionen für Demokratie und humani-
täre Zwecke aufgegeben. Er bevorzugt Verein-
barungen, Deals mit Autokraten.»
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NZZ am Sonntag 4. März 2018
Die Taliban
sind nicht zu
besiegen
Afghanistans Präsident hat den
vorrückenden Radikal-Islamisten
ein Friedensangebot ohne
Bedingungen gemacht. Die Lage
seiner Regierung ist verzweifelt
Ulrike Putz, Singapur
Vor einem Jahr hatte Präsident
Ashraf Ghani noch kühne Pläne.
2018 würden die afghanischen
Sicherheitskräfte die Kontrolle
über 80 Prozent des Staatsgebiets
wiedererlangen. Schon jetzt ist
klar, dass das nicht geschehen
wird. Statt sich zurückdrängen zu
lassen, sind die Taliban auf dem
Vormarsch. Noch nie seit dem
Einmarsch der USA in Afghanistan
2001 kontrollierten die islamisti­
schen Extremisten mehr Territo­
rium als heute. Die BBC hat be­
rechnet, dass sie in über 65 Pro­
zent des Landes weitgehend un­
gestört agieren können. Die Hälf­
te der Bevölkerung lebe in Gebie­
ten unter Herrschaft der Taliban.
Um diesen Vorteil auszubauen,
überziehen die Aufständischen
derzeit das Land mit Gewalt.
Allein im Januar verübten sie 472
Anschläge. Ende Monat tötete
ein Selbstmordattentäter in der
Hauptstadt Kabul mehr als 100
Personen. Über 18 000 Afghanen
sind seit Jahresbeginn vor der Ge­
walt aus ihren Dörfern geflohen.
Obwohl sie von 14 000 US-Solda­
ten unterstützt werden, verlieren
die afghanischen Streitkräfte ste­
tig an Boden. Die Regierung steht
unter grossem Druck. Das ohne­
hin schüttere Vertrauen der Be­
völkerung schwindet.
Ein Friedensangebot an die
Taliban, mit dem Präsident Ghani
diese Woche bei einer internatio­
nalen Friedenskonferenz in Kabul
überraschte, wirkt vor diesem
Hintergrund wie der verzweifelte
Versuch, eine Lawine aufzuhal­
ten. Ghani bot an, ohne Vorbedin­
gungen mit den Taliban zu ver­
handeln. Er offerierte den Radi­
kalislamisten nicht nur eine Waf­
fenruhe und die Anerkennung als
politische Partei, sondern schlug
auch eine Amnestie und die Über­
arbeitung der Verfassung vor. Bis­
her galt ein Gewaltverzicht der
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meiner Zukunft.
International
SHAH MARAI / AFP
Taliban als Vorbedingung für jed­
wede Gespräche.
Die Kehrtwende ist damit zu
erklären, dass sowohl in Kabul als
auch in Washington die Einsicht
gereift ist, dass die Taliban militä­
risch nicht zu besiegen sind. «Es
gibt keinerlei Anzeichen dafür,
dass die amerikanischen und
afghanischen Truppen die Tali­
ban auf dem Schlachtfeld schla­
gen können», stellte Laurel Mil­
ler, bis vor kurzem Sondergesand­
ter der USA für Afghanistan und
Pakistan, Ende Januar fest.
Die Taliban sind aus den afgha­
nischen Mujahedin hervorgegan­
gen. Diese kämpften – unterstützt
vom Westen – zwischen 1979 und
1989 von Pakistan aus gegen die
damaligen russischen Besat­
zungstruppen in Afghanistan.
Nach dem Abzug der Russen setz­
ten sich die 1994 gegründeten
Taliban in einem blutigen Macht­
kampf durch und errichteten in
Kabul eine islamistische Diktatur.
Deren Führung gehörte fast aus­
schliesslich der Volksgruppe der
Paschtunen an.
Schreckensherrschaft
Die Schreckensherrschaft der
Taliban endete erst 2001, als die
Amerikaner nach den Anschlägen
vom 11. September in Afghanistan
einmarschierten, um den sich
dort versteckenden Terroristen­
chef Usama bin Ladin zur Strecke
zu bringen. Mehr als 16 Jahre
später und sieben Jahre nach der
Tötung bin Ladins fragen sich
viele Amerikaner, was die USA
noch in Afghanistan zu suchen
haben und warum sie den längs­
ten Krieg ihrer Geschichte noch
immer nicht gewonnen haben.
Der Erfolg der Taliban hat meh­
rere Gründe: Zum einen gelingt
es den Islamisten, aus dem Heer
zorniger junger Männer im Land
immer neue Freiwillige zu rekru­
tieren. Gingen Beobachter 2014
von 20 000 Kämpfern aus, wird
Börsen schwanken.
Betongold steht.
Investieren Sie in Sicherheit. Und einen persönlichen Grundbucheintrag.
Afghanische Soldaten üben, Taliban-Kämpfer zu überwältigen. Das Training hat sich nicht ausgezahlt. (Kabul, 17. Oktober 2017)
Im Griff der Gotteskrieger
Von den Taliban beherrschte oder bedrohte Gebiete Afghanistans
USBEKISTAN
TURKMENISTAN
Herat
Kabul
AFGHANISTAN
IRAN
Quelle: BBC
die Truppenstärke der Taliban
heute auf über 60 000 geschätzt.
Grund für den Zulauf aus allen
Volksgruppen ist laut Beobach­
tern Hass auf die Besatzer. Viele
Afghanen bezichtigen die USA,
die Bodenschätze ihre Landes
ausbeuten zu wollen. Sie empfin­
den es als ihre Pflicht, dagegen
Widerstand zu leisten. Dass die
Taliban mehrere hundert Fran­
ken Monatssold zahlen, ist in dem
von einer Wirtschaftskrise gebeu­
telten Land ein weiterer Anreiz.
von ihnen beherrschten Gebieten
treten sie als Hüter von Recht und
Ordnung auf und betreiben Reli­
gionsschulen und Spitäler. So er­
TADSCHIKISTAN kaufen sie sich bei den vom Staat
CHINA
im Stich gelassenen Bürgern Sym­
pathien. Gegen ihre strengen Sit­
ten, etwa Schulen nur für Buben,
haben, vor allem auf dem Land,
viele nichts einzuwenden.
Jalalabad INDIEN Pralle Kasse dank Drogen
Ein entscheidender strategischer
Vollständig von Vorteil der Taliban sei die Mög­
Taliban beherrscht
lichkeit, sich bei Bedarf nach
Mind. 2 Angriffe/Woche
Mind. 3 Angriffe/Monat
Pakistan zurückzuziehen, sagt
1 Angriff alle 3 Monate Thomas Ruttig vom Afghanistan
Kandahar Analysts Network, einer Denk­
Vollständig von der
Regierung beherrscht fabrik in Kabul. Die nördliche
PAKISTAN Die eingezeichneten Grenzregion Pakistans ist ein fast
Städte sind Ziel von rechtsfreier Raum, der von der
Terroranschlägen. Miliz seit dem russisch­afghani­
200 km (23. 8. bis 21. 11. 2017) schen Krieg als Zufluchtsort ge­
nutzt wird. In den Stammesgebie­
ten werden neue Kämpfer ausge­
bildet, durch sie gelangen Waffen
Den Taliban in die Hände spielt und Munition ins Binnenland
zudem die schlechte Figur, die Afghanistan. Die pakistanische
die gewählte Regierung in Kabul Regierung lässt die Taliban
abgibt: Sie gilt als elitär, korrupt gewähren, weil sie sich ihrer
und unfähig. Die Extremisten bedient, um Indiens Einfluss in
präsentieren sich als tugend­ Afghanistan klein zu halten. Ein
hafte, nationalistische Alterna­ Versuch der USA, die Pakistaner
tive zu dieser vom Westen ver­ durch die Streichung von Hilfs­
ordneten Staatsform. Sie nutzen geldern dazu zu zwingen, gegen
es aus, dass der Staat weder die die Terroristen vorzugehen, hat
Sicherheit und die Grundversor­ bisher keine Wirkung gezeigt.
gung der Bevölkerung garantie­ Geldsorgen haben die Taliban
ren kann noch gegen die verbrei­ nicht. Sie finanzieren ihren Gue­
tete Straflosigkeit vorgeht. In den rillakrieg grossenteils durch den
5
blühenden Rauschgifthandel. Der
Mohnanbau habe sich in den letz­
ten zwei Jahren fast verdoppelt,
erklärte die Uno im November.
Sorge bereitet den Experten, dass
die Radikalislamisten damit be­
gonnen haben, Opium in eigenen
Laboratorien zu Morphium und
Heroin zu verarbeiten. Das werde
ihre Gewinnspanne enorm er­
höhen und ihre Kriegskasse wei­
ter füllen. Präsident Ghani nannte
Heroin den «Treibstoff, der den
Krieg vorantreibt».
Doch auch die Taliban können
diesen Krieg nicht gewinnen.
Dass sie eines Tages wieder in
Kabul regieren und Afghanistan
zum Islamischen Emirat machen
könnten, ist mehr als unwahr­
scheinlich. Auch ihnen wird letzt­
lich nichts anderes übrig bleiben,
als einen Kompromiss auszuhan­
deln. Doch angesichts ihrer Er­
folge sehen sie derzeit wenig An­
reiz, ihre Offensive abzubrechen.
Zurzeit bedeutet jede weitere
Woche Krieg Geländegewinn. Das
erklärt auch, warum die Taliban
dem Friedensangebot von Staats­
chef Ghani vorerst eine Abfuhr
erteilt haben: Die Taliban verhan­
delten nicht mit der von den USA
gelenkten Marionettenregierung
in Kabul, hiess es auf einer Web­
site der Extremisten. «Wir wollen
nicht reden, wir werden den Wi­
derstand nicht aufgeben, und wir
werden auch nicht müde wer­
den», schreibt die Miliz.
.
6 International
Recherche mit tödlichem Ende
Als Jan Kuciak ermordet wurde, war er Italiens Mafia in der Slowakei auf der Spur
Paul Flückiger, Warschau
Matthias Knecht
Es war ein Doppelmord im Stil der
Mafia. Als die Polizei in der Nacht
auf Montag im Haus des Paares
eintraf, fand sie den Journalisten
Jan Kuciak leblos im Parterre, mit
Brust- und Kopfdurchschuss. Erst
der zweite Schuss in den Kopf
hatte den 27-Jährigen getötet.
Kuciaks gleichaltrige Verlobte
Martina Kusnirova fanden die slo-
wakischen Ermittler auf der Kel-
lertreppe, mit einem Kopfschuss.
Offenbar wollte die junge Frau
nach unten flüchten, in den Keller
ihres gerade erst gekauften Hau-
ses, das sie gemeinsam renoviert
hatten. Im Frühjahr hätte die
Hochzeit stattfinden sollen.
Wann genau das Paar so kalt-
blütig hingerichtet wurde, ist wie
so vieles nicht geklärt. Irgend-
wann zwischen Donnerstag und
Sonntag letzter Woche müssen
die Schüsse gefallen sein, keine
Zeugen, keine Aufzeichnungen.
Neben den Leichen wurden sorg-
sam placierte Patronen gefunden.
Dies gilt in italienischen Mafia-
kreisen als Warnung an alle weite-
ren Journalisten. Nur hatte der
Mord nicht in Kalabrien statt-
gefunden, sondern im slowaki-
schen Ort Velka Maca, 110 Kilo-
meter östlich von Wien.
Die Slowakei ist mit 5,4 Mil-
lionen Einwohnern ein kleines
Land, ähnlich gross wie die
Schweiz, ähnlich bergig und, wie
Gekauft bei galaxus.ch
einige behaupten, von ähnlicher
mentaler Verfassung. Man kennt
sich. Kuciak hiess bei seinen Kol-
legen schlicht Jano. Er galt als zu-
rückhaltend und bescheiden. Die
Fotos von ihm und seiner Ver-
lobten zeigen ein lebenslustiges,
fröhliches Paar. So ist das Entset-
zen gross, über die Grausamkeit
und über die vermutete Urheber-
schaft der Mafia. In 19 Städten
kam es zu Kundgebungen. In der
Hauptstadt Bratislava demons-
trierten 25 000 Personen.
Filz und Vetternwirtschaft
Janos Spezialgebiet war das, was
in der Kleinräumigkeit besonders
gedeiht: Filz, Vetternwirtschaft
und Korruption. Immer wieder
ging es um Steuerhinterziehung
und undurchsichtige Auftrags-
vergaben. Regierungschef Robert
Fico ist seit 12 Jahren an der
Macht, mit einer Unterbrechung.
Da kann sich einiges anhäufen.
Janos letzte Recherche nahm
allerdings eine ganz andere
Dimension an. Er war auf mög-
liche Verbindungen zwischen
Mitarbeitern Ficos und der italie-
nischen Mafia gestossen. Dazu
hatte Jano, der kein Italienisch
sprach, mit Kollegen in Tsche-
chien und in Italien zusammen-
gearbeitet. Um Letztere zu schüt-
zen, publizierte Janos Arbeit-
geber, das Internetportal «Aktua-
lity», den unvollendeten Text.
Andere zogen nach. Der Berliner
Axel-Springer-Konzern, zu dem
1099.–
NORR11 Mammoth
Regierungschef Robert Fico, Geldscheine. (Bratislava, 27. Februar 2018)
«Aktuality» gehört, brachte eine
deutsche Übersetzung.
Zentrale Figur in Janos Enthül-
lung ist der Italiener Antonino
Vadalà. Er flüchtete 2003 vor
der Justiz seines Heimatlandes
in die Slowakei. Dort hat er zur-
zeit 32 Unternehmen registriert,
posiert gerne mit Sonnenbrille
und italienischen Sportwagen –
und bestreitet jegliche Verbin-
dung zur Mafia. Doch die Indizien
sind erdrückend. Die italienische
Polizei hatte mindestens ein Te-
lefongespräch zwischen Vadalà
und einem Clanchef der ’Ndran-
gheta abgehört. In der Slowakei
hatte sich Vadalà mit einem wei-
Verkauft bei
galaxus.ch/secondhand
VLADIMIR SIMICEK / AFP
teren Boss der ’Ndrangheta ge-
troffen. Die Bande aus Kalabrien
beherrscht den europäischen
Kokainhandel. Ihre Tentakel rei-
chen – laut Jano – aber noch viel
weiter. Vadalà gehört demnach
einer Gruppe von fünf italieni-
schen Familien an, die die Agrar-
wirtschaft im Osten der Slowakei
kontrollieren und mindestens
100 Millionen Euro dort inves-
tiert haben.
Schon seit dem Mauerfall 1989
nutzt die Mafia Osteuropa zur
Geldwäsche. Doch Jano vermu-
tete noch ein Motiv, nämlich Sub-
ventionsbetrug. Das hiesse: EU-
Fördergelder für die Landwirt-
NZZ am Sonntag 4. März 2018
schrille Töne gegen Flüchtlinge.
BUNDAS ENGLER / AP / KEYSTONE
Das hob ihn wohltuend von sei-
nen nationalistischen Nachbarn
Polen und Ungarn ab, und so sah
man ihm in Brüssel manches
nach. Auch seine Schimpftiraden
gegen Journalisten.
Die schöne Maria
Zum Verhängnis werden könnte
Fico nun Maria Troskova. Offiziell
ist sie seine Hauptassistentin. Die
slowakischen Medien nennen sie
abwertend die schöne Maria.
Denn ihre einzige bekannte Qua-
lifikation besteht darin, dass sie
im Jahr 2007 Finalteilnehmerin
für Miss Universe war. Laut den
unvollendeten Recherchen Janos
kann die schöne Maria noch
Foto der Ermordeten, Kerzen. mehr: Sie hält den Kontakt zur
Mafia. 2011 hatte sie gemeinsam
mit Vadalà eine Firma gegründet.
schaft und die Solartechnik lan- Dort ist sie inzwischen wieder
den via Slowakei bei der ’Ndran- ausgestiegen und bestreitet im
gheta. Die slowakische Polizei Übrigen jegliche Mafiaverbin-
nahm Vadalà und sechs weitere dung. Weitere Mitarbeiter Ficos
italienische Geschäftsleute fest, gerieten auch in ein schiefes
liess sie aber wieder laufen. Licht. Es gab erste Rücktritte.
Das EU-Parlament kündigte für Wie sehr Fico in der Defensive
nächste Woche eine Delegation ist, zeigte seine bizarre Ankündi-
an. Das erhöht den Druck auf die gung am Montag. Er versprach
Behörden, wirklich zu ermitteln. eine Million Euro für Hinweise
Die grosse Frage ist allerdings, zur Aufklärung des Doppel-
wie weit Regierungschef Fico mordes. Die Belohnung präsen-
selbst verstrickt ist. Bisher genoss tierte er auf einem Tisch in bar, in
er im Ausland einen guten Ruf. Er ordentlich aufgereihten Geld-
positionierte die Slowakei als bündeln. Das alles sah nicht wie
wirtschaftliches EU-Musterland, der Auftritt eines Regierungs-
beteiligte sich getreulich an der chefs aus. Sondern wie der eines
Euro-Rettung und vermied allzu Mafiabosses.
GEBRAUCHT
470.–
NORR11 Mammoth
NZZ am Sonntag 4. März 2018
International 7

«Eine neuerliche Revolution

ist möglich. Irgendwann»
Ahmed Maher war ein Held des arabischen Frühlings in Ägypten. Nun will er nur eins wieder: seine Freiheit
Karin El Minawi, Kairo
PASCAL MORA

«Wir waren Helden. Wir wurden

von unserem Volk und der gan-
zen Welt gefeiert», sagt Ahmed
Maher. Er sitzt in einem Café in
Kairo und sieht erschöpft aus. Der
37-Jährige kommt gerade aus
seiner Gefängniszelle. Ahmed
Maher ist auf Bewährung. Täglich
muss er sich deshalb um 18 Uhr
auf der Polizeistation in Neu-
Kairo melden, verbringt dann
zwölf Stunden in einer kleinen
Zelle, mit zehn Kriminellen. Er
hat kein Bett, schläft auf dem
Boden, es gibt keinen Fernseher,
nicht einmal ein Radio. Nur ein
Buch und ein Block sind erlaubt.
Seine Heldenzeiten liegen sie-
ben Jahre zurück. Ahmed Maher
gehörte in Ägypten zu den wich-
tigsten Köpfen des arabischen
Frühlings. Damals erhob sich das
Land gegen den Präsidenten und
Diktator Hosni Mubarak. Männer,
Frauen, Muslime, Christen, Alt
und Jung. Auf dem Tahrir-Platz
kamen Tränengas, Schlagstöcke
und scharfe Munition zum Ein-
satz. Doch selbst die rohe Gewalt
von Mubaraks Schergen konnte
die Menge nicht verjagen. Nach
18 Tagen trat der Machthaber zu-
rück. «Das war ein unbeschreib-
liches Gefühl», sagt Maher.

Gefangener der Zeit

Doch die Freude über die Revolu-
tion währte nicht lange. Die Revo-
lutionäre wurden überrumpelt –
zuerst von den Muslimbrüdern,
dann vom Militär, viele landeten
im Gefängnis. Auch Maher. Drei
Jahre sass er wegen Verstosses
gegen das Demonstrationsrecht,
bis sie ihn vor einem Jahr auf Be-
währung freiliessen. «Jetzt bin
ich ein Gefangener der Zeit», sagt
er. Er hetzt von einem Termin
zum anderen. Ständig schaut er
auf die Uhr – wenn er seine Mut-
ter zum Arzt fährt, den Spengler
holt oder seinen Kindern ein Mär-
chen vorliest, schliesslich muss er
am Abend pünktlich in der Zelle
sein, sonst kommt er wegen
Fluchtversuch wieder vor Ge-
richt. Dann würde er wieder im
Gefängnis landen. Das Regime
hätte nichts lieber. «Einen Job
kann ich unter diesen Umständen
nicht finden», sagt Maher. Finan-
ziell kommen er und seine Fami-
lie vor allem dank der Hilfe seiner
Eltern über die Runden.
Was damals schiefgelaufen ist?
«Wir hatten nach dem Sturz
Mubaraks keinen Plan für da-
Ägypter feiern auf dem Tahrir-Platz die Verurteilung ihres gestürzten Diktators Hosni Mubarak. (Kairo, 2. Juni 2014)
Ex-Revolutionär: Ahmed Maher.
nach», sagt Maher nüchtern. Das
Militär habe bloss Gamal Mubarak
als möglichen Nachfolger seines
Vaters aus dem Weg räumen und
die Macht selbst ergreifen wollen.
Auch den Islamisten sei es nur
um Macht gegangen. Demokratie
und faire Wahlen hatten sie laut
Maher nie als Ziel. Anstelle von
Mubarak regiert nun der frühere
ägyptische General Abdelfatah al-
Sisi – noch repressiver als Muba-
rak vor dem Aufstand der Massen.
Unter Mubarak war Ahmed
Maher politisch aktiv, wurde
mehrmals verhaftet, auch ge-
foltert. Doch das schreckte ihn
nicht ab. «Ich wollte Demokra-
tie, Transparenz und vor allem
politischen Aktivismus», sagt er.
Daher gründete Maher mit an-
deren Aktivisten im März 2008
die «Jugendbewegung 6. April»,
wurde ihr Koordinator und Spre-
cher. Die Organisation unter-
stützte einen für den 6. April ge-
planten Streik von Arbeitern in
der Textilstadt Mahalla al-Kubra,
die gegen niedrige Löhne und
hohe Lebensmittelpreise kämpf-
ten. «Wir wollten die Menschen
über ihre Rechte aufklären», sagt
Maher. Über Facebook schlossen
sich Tausende Ägypter dieser
Bewegung an, vor allem liberale,
säkulare Jugendliche. Die Ju-
gendbewegung mobilisierte spä-
ter auch einen grossen Teil der
Bevölkerung für den Aufstand
2011. Sie trug entscheidend zum
Sturz Hosni Mubaraks bei, des-
wegen wurde sie sogar für den
Friedensnobelpreis nominiert.
Doch in Ägypten sollte es nicht
bei einem Aufstand bleiben. Als
nach Mubarak die Ägypter mit
Mohammed Mursi einen Islamis-
ten zum Präsidenten machten,
halfen die jungen Revolutionäre,
auch Mursi zu stürzen, den ersten
demokratisch gewählten Präsi-
denten. Doch dann übernahm das
Militär die Macht, und die Jugend-
bewegung wurde verboten.
Ahmed Maher und andere Füh-
rungsfiguren der Bewegung waren
zu diesem Zeitpunkt schon hinter
Gittern. Maher wurde in Einzel-
haft gesetzt. «Sie haben Angst vor
uns, noch heute. Sie haben Angst,
dass wir eine neue Revolution
starten, dabei waren wir nur Teil
des Aufstandes», sagt er bestimmt.
Das Regime sieht das anders: Es
sieht Maher und die anderen als
entscheidende Kraft und befürch-
tet, dass diese jederzeit erneut
ihre Netzwerke gegen das Regime
mobilisieren. Mahers Mitstreiter
sitzen noch immer hinter Gittern,
obwohl einige ihre Haftstrafen
längst abgesessen haben.
Kein Opfer
Die Revolution ist für Maher
längst vorüber. Er will heute
keine Politik mehr machen, auch
wenn er für ein Diplom in Politik-
wissenschaften lernt. «Bin ich
aktiv, werde ich auf dem Polizei-
posten noch schlechter behan-
delt», sagt er. «Sie haben mich
in der Hand.» Der Bauingenieur
möchte sich aber in der Zivil-
gesellschaft engagieren, in einer
Gewerkschaft etwa. Die Revolu-
tion sei trotz all den Rückschlä-
gen nicht gescheitert, beteuert er.
«Sie hat etwas in Gang gesetzt,
das ägyptische Volk beeinflusst.»
Dieser Einfluss werde zu etwas
Besserem führen. «Als Opfer
fühle ich mich nicht. Aber manch-
mal tue ich mir selber leid.»
Oft kämen fremde Menschen
auf der Strasse auf ihn zu, be-
dankten sich, bezeichneten ihn
als Helden. «Das baut mich auf»,
sagt Maher. Natürlich gebe es
auch die, die ihn beschimpften.
Daran habe er sich aber gewöhnt.
Seit der Revolution 2011 sei Ägyp-
ten gespalten in Befürworter und
Gegner, Islamisten und Säkulare,
Militär und Zivilisten.
Die Demokratie werde in Ägyp-
ten noch auf sich warten lassen.
«Eine neuerliche Revolution ist
möglich. Irgendwann», sagt er
und schaut nervös auf die Uhr.

Österreichs Rechte will TV-Gebühren streichen

Die Debatte in Wien erinnert lichrechtlichen Sender weiterhin Regierung. Vizekanzler Heinz- wurde aber auf Wunsch der FPÖ schaffung der Rundfunkgebüh-
ORF HANDOUT / KEYSTONE

an «No Billag». Die
Regierung versucht,
das Fernsehen an die
Kandare zu nehmen.
Wolfgang Rössler, Wien
Österreichs Medienminister Ger-
not Blümel ist privat kein Fan
des öffentlichrechtlichen Fern-
sehens. Daher zahlt der engste
Vertraute des konservativen Bun-
deskanzlers Sebastian Kurz seit
einiger Zeit nur noch eine redu-
zierte Rundfunkgebühr: Für um-
gerechnet 8 Franken im Monat
darf er privat bloss die Radio-
sender des ORF hören. Für den
Empfang des ORF-Fernsehens
müsste er viermal so viel zahlen.
Das sei es ihm aber nicht wert,
erklärte Blümel diese Woche.
Nach der Schweiz hat nun auch
Österreich seine Debatte darüber,
ob die Bevölkerung die öffent-
mit Gebührengeldern finanzie-
ren soll. Doch während in der
Schweiz das Volk heute Sonntag
über die allfällige Abschaffung
der Gebühren entscheidet, lieb-
äugelt in Österreich die Mitte-
Rechts-Regierung mit einer Ab-
schaffung von oben – ohne Volks-
abstimmung. Der ORF solle künf-
tig über das Haushaltsbudget
finanziert werden. Damit wären
die weitgehend unabhängigen
Sender dem Wohlwollen der Poli-
tik ausgeliefert: Redaktoren und
Opposition warnen vor Zustän-
den wie in Ungarn, wo der auto-
kratische Regierungschef Viktor
Orban die staatlichen Sender zum
Propagandaorgan umgebaut hat.
Die Abschaffung der GIS – wie
die Rundfunkgebühren-Behörde
in Wien heisst – ist ein Herzens-
anliegen der rechtspopulisti-
schen FPÖ, dem Juniorpartner
der bürgerlichen ÖVP in der
Christian Strache macht keinen
Hehl daraus, dass er den aus
seiner Sicht linkslastigen ORF an
die kurze Leine nehmen möchte.
Sein Hauptfeind ist der bekannte
Nachrichtenmoderator Armin
Wolf, dessen bissige Interviews
bei Politikern gefürchtet sind. Vor
zwei Wochen postete Strache auf
Facebook eine Foto, die einer PR-
Kampagne des ORF nachempfun-
den ist und auf der Wolf zu sehen
ist. «Es gibt einen Ort, an dem
Lügen zu Nachrichten werden»,
stand darauf. Moderator Wolf
klagte erfolgreich gegen die
Unterstellung, Strache musste
zähneknirschend Abbitte leisten.
Wenig später kam die nächste
Attacke. Die FPÖ empörte sich
darüber, dass in einem ORF-
Beitrag Befürworter eines Rauch-
verbots in Lokalen interviewt
wurden. Ein solches war in Öster-
reich bereits beschlossene Sache,
wieder aufgehoben. Nun wird der
Ruf nach einem Referendum laut,
laut Umfragen gibt es eine breite
Mehrheit für ein Rauchverbot.
Ausgerechnet Strache, der als
Oppositionspolitiker für die Stär-
kung der direkten Demokratie
nach Schweizer Vorbild kämpfte,
verhindert nun eine Abstim-
mung. Im Beitrag kamen frühere
ÖVP-Politiker zu Wort, die von
Kanzler Kurz ein Machtwort for-
derten. Darin sah die FPÖ «Mei-
nungssuggestion gegen die Bun-
desregierung». Der ORF verstosse
damit gegen sein vorgeschriebe-
nes Objektivitätsgebot.
Der ORF ist verpflichtet, aus-
gewogen zu berichten. Über die
Einhaltung der Regeln wacht eine
Rundfunkregulierungs-Behörde.
Die FPÖ ist bisher aber mit jeder
Anzeige abgeblitzt. Das könnte
sich nun ändern. Denn das im
Dezember präsentierte Koali-
ren noch nicht festlegen. Da-
hinter könnte Kalkül stecken.
Österreich übernimmt am 1. Juli
die EU-Ratspräsidentschaft, der
31-jährige Politstar Kurz will auf
der internationalen Bühne glän-
zen. Negative Schlagzeilen über
die Gängelung des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks in seinem
Land kann er nicht gebrauchen.
Zu hören ist, dass der Umbau des
ORF-Moderator Armin Wolf. ORF erst 2019 beginnen soll.
Schon jetzt berichten ORF-
Redaktoren über Druck von oben.
tionsabkommen der Regierung Denn der ORF wird von einem
Kurz sieht eine Verschärfung der Stiftungsrat kontrolliert, dessen
Medienaufsicht vor, um eine Mitglieder die politischen Par-
«objektive» Berichterstattung teien entsenden. ÖVP und FPÖ
sicherzustellen. Was das genau haben dort eine Mehrheit. Zumin-
heisst, ist unklar. dest Armin Wolf will sich nicht
Medienminister Blümel und gängeln lassen. «Wenn man die
Kanzler Kurz überlassen die Sendung so nicht mehr machen
Rüpeleien gegen den ORF dem könnte, wie wir sie jetzt machen,
Koalitionspartner. Die ÖVP will dann würde ich mir eine andere
sich in der Frage nach der Ab- Arbeit suchen», sagte er unlängst.
8 Schweiz
Beznau: SP
bekämpft
Betrieb
Der Reaktor Beznau I soll
bald wieder ans Netz. Die
Sozialdemokraten lancieren
dagegen eine Petition.
Andrea Kučera
Am nächsten Dienstag informiert
das Eidgenössische Nuklear-
inspektorat (Ensi), ob das Kern-
kraftwerk Beznau I nach bald drei
Jahren Stillstand hochgefahren
wird. Die SP Schweiz weiss offen-
sichtlich bereits, dass die Behörde
grünes Licht erteilen wird: «Diese
Aufweichung der AKW-Sicherheit
dürfen wir nicht zulassen»,
schreibt die Partei in einer Peti-
tion, die am Dienstag in Umlauf
gebracht werden soll.
Die Sozialdemokraten sind
nicht die Einzigen, die von der be-
vorstehenden Wiederinbetrieb-
nahme Wind bekommen haben.
Die atomkritische Energiestiftung
Schweiz verschickte ein Commu-
niqué, in dem sie das Ensi bezich-
tigt, «die wirtschaftlichen Inter-
essen der AKW-Betreiber über die
Sicherheit der Bevölkerung» zu
stellen. Auf der Website «Beznau-
Alarm» wird derweil zur Spontan-
kundgebung aufgerufen, und
Parlamentarier bereiten Vor-
stösse vor. Diesen Protesten der
Atomgegner steht aus verständ-
lichen Gründen das Schweigen
der Betreiberin Axpo gegenüber.
Man wisse nicht, wie das Ensi
entscheiden werde, sagte ein
Sprecher. Auf ein baldiges Hoch-
fahren deutet hin, dass der
Zugang zum Werk seit kurzem
gesperrt ist – wohl um die Anlage
vor Atomgegnern zu sichern.
Das Seilziehen um das älteste
AKW der Welt ging los, nachdem
im Sommer 2015 Mängel am
Reaktordruckbehälter von Block I
entdeckt worden waren. Die Wie-
derinbetriebnahme musste mehr-
mals verschoben werden, weil
das Ensi weitere Abklärungen for-
derte. SP-Nationalrat Beat Jans
findet, der Zeitpunkt zum Abstel-
len sei längst erreicht; die Erd-
bebensicherheit sei nicht ge-
geben. Die Axpo entgegnet, es
gebe keinen Hinderungsgrund für
einen sicheren Weiterbetrieb.
Genf plant Fahrverbote für alte Autos
Der Kampf gegen dreckige
Autos erreicht die Schweiz.
Als erster Kanton will Genf
künftig bei schlechter Luft
temporäre Fahrverbote
verhängen.
Daniel Friedli
Fahrverbote für Dieselautos sind
ein legitimes Mittel gegen zu
hohe Luftverschmutzung. Dieses
Urteil deutscher Richter ist am
Dienstag nicht nur in Stuttgart
oder Hamburg mit Freude aufge-
nommen worden, sondern auch
in Genf. Denn dort plant der
kantonale Umwelt- und Verkehrs-
direktor Luc Barthassat (cvp.)
nach dem Vorbild französischer
Städte eine Art Fahrverbot bei
Bedarf – und begrüsst darum den
deutschen Richterspruch. «Er
zeigt, dass sich in dieser Sache
etwas bewegt», sagt Barthassat.
Nur die Schweiz habe leider
Verspätung, «darum gehen wir in
Genf nun selber voran.»
In der Tat hat die Kantons-
regierung schon im Herbst ein
Projekt verabschiedet, das für die
Schweiz eine Premiere wäre: Sie
will bei starker Luftverschmut-
zung Autos mit hohem Schad-
stoffausstoss temporär von der
Strasse nehmen. Dafür hat sie
beim Grossen Rat die grundsätz-
Polit-Video übertrumpft Inserat
Im Abstimmungskampf um «No Billag» sind so viele Filme eingesetzt worden wie nie zuvor
Stefan Bühler
Mit der Abstimmung über «No
Billag» zur Abschaffung der Ra-
dio- und Fernsehgebühren geht
heute Sonntag eine lange und
intensive Abstimmungskampa-
gne zu Ende. Mit einer ironischen
Pointe: Finanziell profitieren die
Schweizer Zeitungsverlage von
der heftigen Kampagne kaum.
Profiteure sind die Online-Riesen
Facebook und Google. Und dies,
obwohl in den Debatten viel von
der medialen Grundversorgung
die Rede war, von Qualitätsjour-
nalismus, auf den unsere direkte
Demokratie angewiesen sei.
«Auf unserer Facebook-Seite
haben wir seit November rund
hundert Videos hochgeladen»,
sagt Mark Balsiger, Kampagnen-
Leiter des Komitees «Nein zum
Sendeschluss». Sportler, Musiker
und Schauspieler wandten sich in
kurzen Clips gegen die Initiative.
Viktor Giacobbo und Mike Müller
machten sich als Fredi Hinz und
Burri Hanspeter über «No Billag»
lustig. «Es ist die grösste Zahl an
oft hochwertig produzierten
Videos, die bisher in einer
Schweizer Abstimmungskampa-
gne verwendet wurde», sagt Bal-
siger. Zumal auch Akteure wie die
Operation Libero auf Online-In-
halte setzten. «Wir haben darauf
spekuliert, dass sich viele Krea-
tive in diesem Abstimmungs-
kampf engagieren werden», sagt
er, «deshalb lancierten wir früh-
zeitig unsere Page auf Facebook,
als Rampe für diese Videoclips,
die wir gratis erhielten.» Das Kal-
kül ist aufgegangen: «Seit Ende
Dezember erreichen wir so täg-
lich rund 200 000 Personen.»
Erosion bei den Inseraten
Auf der andern Seite setzten auch
die Initianten von «No Billag» auf
Videos. Sie waren zudem stark
auf Twitter aktiv (siehe Kasten).
Während im Internet die Debatte
tobte und im redaktionellen Teil
der Zeitungen die Initiative über
Wochen das beherrschende
Thema war, blieb die Zahl der
bezahlten Inserate hingegen ver-
gleichsweise tief. Das zeigt die
Analyse von «Année Politique
liche Kompetenz beantragt; die
genauen Details will sie später in
einem Reglement festlegen, in
enger Absprache mit den franzö-
sischen Grenzregionen.
Einige Eckwerte des angedach-
ten Systems nennt Barthassat
bereits heute: So ist analog zum
französischen System Crit’Air ge-
plant, die Autos mit farbigen Auf-
klebern in sechs Klassen einzutei-
len. Ältere Dieselautos kämen
demnach in die schlechteren
Klassen, womit ihre Besitzer eher
ein Fahrverbot riskieren. Ver-
hängt würden diese Verbote nur
zeitlich beschränkt und in be-
stimmten Zonen, wobei primär
die Innenstadt im Fokus steht. Als
Auslöser dafür sollen sodann eine
Reihe von Grenzwerten betref-
fend Feinstaub, Ozon oder Stick-
oxid gelten, die in Genf etwa drei-
mal pro Jahr während 2 bis 15 Ta-
gen überschritten werden.
Barthassats Vorschlag liegt der-
zeit bei der Verkehrskommission
des Grossen Rates, mit Chancen auf
eine Mehrheit. Denn Fahrverbote
sind nicht nur bei den Linken im
Kurs, das rechtspopulistische
Mouvement citoyens genevois
sieht darin eine Möglichkeit, die
ungeliebten Grenzgänger zu brem-
sen, die täglich mit dem Auto nach
Genf fahren. Ob das System der-
einst eingeführt werden kann, wird
Suisse» der Universität Bern:
«Hinsichtlich der Zeitungsinse-
rate kann keineswegs von einer
massiven Kampagne gesprochen
werden», heisst es da. Das Inse-
rateaufkommen sei im langjähri-
gen Vergleich durchschnittlich.
Bemerkenswert: «No Billag» ist
nach dem ebenfalls heftigen
Kampf um die Rentenreform die
zweite Abstimmung in Folge, bei
der das Inserateaufkommen ver-
gleichsweise schwach war.
Die Inserate-Forscher schlies-
sen einen Trend zu weniger Inse-
raten und stärkeren Online-Kam-
pagnen zwar nicht aus, «die uns
vorliegenden Zahlen lassen eine
solche Aussage aber nicht zu»,
sagt Anja Heidelberger. Sie ver-
weist auf die Abstimmungen zur
Der Musiker Sam National sorgte mit seinem Anti-No-Billag-Song «Das zahl ich nöd» für Aufsehen.
Problem «pollution»: Genf will bei schlechter Luftqualität in der Stadt gewisse Autos verbieten.
wohl nicht nur in Genf entschie-
den, sondern auch in Bundesbern.
Denn dort stellt man sich die Frage:
Dürfen die Genfer das überhaupt?
Schliesslich wird im Bundes-
haus seit Jahren über die Schaf-
fung von Umweltzonen mit spe-
ziellem Verkehrsregime gestrit-
ten. Und bisher gingen selbst lin-
ke Politiker davon aus, dass dafür
Energiewende und der Unterneh-
menssteuerreform, wo sehr viele
Inserate gebucht wurden.
Anders beurteilt das Kampa-
gnen-Experte Balsiger: «Es findet
eine Erosion weg von den Insera-
ten statt», sagt er. Und Matthias
Leitner, zuständig für Abstim-
mungs- und Wahlkämpfe bei der
FDP, stellt fest: «Das Inserat ist
nicht mehr zwingender Bestand-
teil jeder Kampagne wie noch vor
wenigen Jahren. Es wird bewuss-
ter und gezielter eingesetzt.» Das
ist auch aus anderen Parteien und
Komitees so zu hören. Online
liessen sich bestimmte Gruppen
oder Einzelpersonen direkt an-
sprechen, oftmals günstiger als
über Inserate, lautet der Tenor.
Diesmal haben die Zeitungsver-
eine neue, nationale Rechts-
grundlage nötig wäre. Der frühere
Verkehrsminister Moritz Leuen-
berger (sp.) hatte 2010 dazu einen
Anlauf genommen, die Übung
aber nach breiter Kritik wieder
abgebrochen. Im letzten Sommer
doppelte dann VCS-Präsidentin
und SP-Nationalrätin Evi Alle-
mann mit einer Motion nach, die
NZZ am Sonntag 4. März 2018
lage im Kampf um «No Billag» Operation Libero: In einer breit
aber selbst dann kaum profitiert, angekündigten Online-Sammel-
wenn die Komitees auf Druck- aktion kam genug Geld zusam-
erzeugnisse setzten: Sowohl men, um einmalig auf der ganzen
«Nein zum Sendeschluss» als Titelseite des Gratisblatts «20
auch die Initiativ-Befürworter um Minuten» ein Inserat zu placie-
den Gewerbeverband produzier- ren. 165 000 Franken habe das
ten eigene Abstimmungszeitun- gekostet, sagt Silvan Gisler. Zu-
gen. Mit den Kosten von 700 000 dem flossen kleinere Beträge für
Franken für die Verteilung und Inserate in regionale Zeitungen.
die Produktion von 3 Millionen Diese sind zwar nicht beson-
Exemplaren erreiche man mehr ders auflagenstark, dafür günsti-
Unentschlossene als mit 20 ganz- ger. «Und», erklärt FDP-Kampa-
seitigen Inseraten in der Sonn- gnenchef Leitner, «sie finden eine
tagspresse, was etwa gleich teuer bessere Beachtung, als oft ange-
käme, erklärt Balsiger. nommen wird.» So habe die FDP
etwa im Kampf gegen die Renten-
Gefragte Lokalzeitungen reform, als es auch um das
Trotzdem ist es zu früh für einen Ständemehr ging, gezielt Lokal-
Abgesang auf das Politinserat. zeitungen in besonders umstrit-
Das zeigt etwa die Aktion der tenen Kantonen berücksichtigt.
VIDEOSTILLS: SAM NATIONAL
Twitter
Sympathien bei
AfD-Politikern
Auf Twitter waren die Befür-
worter von «No Billag» beson-
ders aktiv: Obwohl sie bloss
17 Prozent der Nutzer aus-
machen, waren sie für rund
40 Prozent aller Tweets zur
Initiative verantwortlich. Das
zeigt einen Analyse des For-
schungsinstituts Öffentlichkeit
und Gesellschaft der Universi-
tät Zürich. Die Forscher Adrian
Rauchfleisch und Daniel Vogler
zeigen darin unter anderem
auf, dass die Debatte von deut-
schen Twitter-Usern aus dem
Umfeld der AfD aufgenommen
wurde – mit der Forderung, in
Deutschland selbst die Rund-
funkgebühren abzuschaffen. In
Deutschland seien in diesem
Zusammenhang vereinzelt
automatisierte Accounts,
sogenannte Bots, eingesetzt
worden, schreibt Vogler auf
Anfrage. Doch in der Schweiz
spielten Bots im politischen
Diskurs keine Rolle: «Die
Schweiz ist zu klein und die
Twitter-Sphäre zu stark ver-
netzt», so Vogler. (sbü.)
vom Bundesrat aber ebenfalls ab-
SALVATORE DI NOLFI / KEYSTONE
gelehnt wird.
Die Genfer Regierung vertritt
nun die Haltung, dass Fahrver-
bote durchaus erlaubt seien, so-
lange sie nur temporär und als
Teil eines umfangreichen Mass-
nahmenkatalogs verhängt wür-
den. In diesem Sinne interpretiert
zumindest sie auch ein Schrei-
ben, das Verkehrsministerin Doris
Leuthard unlängst nach Genf
geschickt hat. Politisch dürfte der
Punkt jedoch noch zu reden
geben. «Aus heutiger Sicht muss
man davon ausgehen, dass es
dafür eine Regelung auf Bundes-
ebene braucht», sagt etwa Thierry
Burkart, FDP-Nationalrat und
Vizepräsident des TCS. Man
werde daher genau beobachten,
wie es in Genf weitergehe.
Luc Barthassat lässt sich davon
nicht bremsen. «Auf eine nationa-
le Lösung können wir wohl noch
lange warten», meint er. «Hand-
lungsbedarf besteht aber bereits
jetzt.» An die Adresse der betrof-
500000 fenen Autofahrer sagt Barthassat,
man werde allfällige Fahrverbote
mit flankierenden Massnahmen
abfedern. Denkbar wären etwa
So viele Menschen fahren Gratisparkplätze ausserhalb der
täglich aus Frankreich und aus Stadt oder die kostenlose Benüt-
der Waadt in den Kanton Genf, zung von Zug, Tram und Bus.
viele von ihnen mit dem Auto.
Seite 30
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Kinder in der Schweiz werden vermehrt
Opfer von Zwangsehen
Fachleute müssen immer öfter Kinder beraten, die noch im Schutzalter sind. Das liegt etwa an einer
Zunahme syrischer Flüchtlinge und einer erhöhten Sensibilität an Schulen und im Asylwesen
Andreas Schmid
Rund 600 Personen waren dabei,
als im vergangenen Sommer eine
knapp 16­jährige Syrerin in
Bülach (ZH) mit einem über
40­jährigen Landsmann verhei­
ratet wurde. Nur wenige waren
dagegen einige Monate zuvor
Zeugen der Vermählung einer
ebenfalls 16­jährigen Afghanin,
die in Zürich in Anwesenheit
eines Imams am Telefon ein Ehe­
versprechen abgab. Ihr Partner,
ein Landsmann, war in Iran.
Dies sind zwei von 107 Fällen,
in denen die Fachstelle Zwangs­
heirat 2017 Jugendliche beriet,
nachdem sie davon erfahren
hatte. Derartige Ehen, in die unter
18-Jährige involviert sind, werden
als Kinderheiraten definiert. Spe­
ziell besorgniserregend ist für die
Experten die nach 2015 rapid stei­
gende Zahl von vermählten Kin­
dern im Schutzalter, also unter
16-Jährigen. 43 solche Fälle wur­
den letztes Jahr der Beratungs­
stelle zugetragen, wie ihre noch
unveröffentlichte Statistik zeigt.
Meist werden die jungen
Frauen auf Anordnung ihrer
Familien illegal getraut. Obwohl
die Ehen ungültig sind – in der
Schweiz darf eine religiöse Heirat
erst nach der Ziviltrauung vorge­
nommen werden –, gelten die
Minderjährigen in ihren Familien
als vermählt. Sie werden dem
vom Umfeld erwünschten Mann
zugeführt; frei gewählte Liebes­
beziehungen sollen sie nicht ein­
gehen können. Ausser Syrerinnen
und Afghaninnen sind vor allem
Somalierinnen, Eritreerinnen,
irakische Kurdinnen und Maze­
donierinnen betroffen. Einige
kommen getraut in die Schweiz,
andere heiraten hier.
Veränderte Migration
Bereits 2016 half die Fachstelle
Zwangsheirat 51 Jugendlichen im
sexuellen Schutzalter, die getraut
worden waren. In den Jahren zu­
vor waren die Berater noch kaum
mit Heiraten von Kindern im
Schutzalter konfrontiert. Die pro­
blematische Entwicklung erklärt
Anu Sivaganesan, die Präsidentin
der Fachstelle, einerseits mit der
veränderten Zusammensetzung
der Asylsuchenden. Syrische
Flüchtlingsfamilien zum Beispiel
verheirateten ihre Kinder oft in
Lagern in Jordanien, auch um sie
auf der Reise zu schützen. «In
Syrien werden zudem junge
Frauen zwangsvermählt, damit
sie vor sexuellen Übergriffen
bewahrt werden.» Andererseits
Bussen für Steuerhinterzieher steigen auf Höchststand
Der Bund hat letztes Jahr
fast 270 Millionen Franken
aus aufgedeckten
Steuerhinterziehungsfällen
eingenommen.
Lukas Häuptli
2017 war das Jahr der Selbst­
denunzianten: Mehr als 40 000
Steuerpflichtige haben sich bei
einem kantonalen Steueramt an­
gezeigt und dort ihre Schwarz­
gelder offengelegt. Alles in allem
wurden unversteuerte Gelder
von mehr als acht Milliarden
Franken gemeldet. Die Steuer­
pflichtigen müssen damit zwar
Nachsteuern zahlen, werden
aber nicht gebüsst. Möglich sind
Schweiz
Amnesty International
demonstriert in Rom gegen
Kinderheiraten in der ganzen
Welt. (26. Oktober 2015)
diese straffreien Selbstanzeigen
seit 2010. Wegen des automati­
schen Informationsaustauschs,
der faktisch im kommenden
Oktober in Kraft tritt, erreichten
sie jetzt aber einen Höchststand.
Angesichts dieser Entwicklung
könnte man meinen, dass im
Gegenzug die Zahl der Straf­
verfahren abnimmt, welche die
Eidgenössische Steuerverwal­
tung wegen des Verdachts auf
Steuerhinterziehung einleitet.
Doch das Gegenteil ist der Fall:
Die Zahl der neueröffneten Ver­
fahren stieg in den letzten drei
Jahren von 8 auf 22, wie eine
neue Statistik der Steuerverwal­
tung zeigt. Höher war die Zahl in
den letzten zehn Jahren einzig
führt Sivaganesan die Zunahme
der Beratungen von unter 16­jäh­
rigen Zwangsheirats­Opfern auf
eine höhere Sensibilität zurück.
In Schulen, in der Sozialarbeit
und im Asylbereich finde das Pro­
blem zunehmende Aufmerksam­
keit und Wahrnehmung. «Unsere
Bemühungen greifen», stellt Siva­
ganesan fest.
Häufig melden sich Ärzte, Per­
sonen aus dem Kollegenkreis,
2010. Noch klarer sieht das Bild
bei den Nachsteuern und Bussen
aus, die der Bund aus Steuer­
hinterziehungsverfahren ein­
nimmt: Im vergangenen Jahr
flossen auf diese Weise 268,7
Millionen Franken in die Kasse.
Das ist der höchste Wert seit
2008 (vgl. Grafik).
Dafür gibt es zwei Gründe, wie
Joel Weibel, Sprecher der Eid­
genössischen Steuerverwaltung,
sagt: «Einerseits führen einzelne
Untersuchungen zu sehr hohen
Beträgen an Bussen und Nach­
steuern.» Und andererseits wür­
den sich in einem Jahr immer
wieder Verfügungen aufgrund
von Untersuchungen aus Vorjah­
ren kumulieren, während in
dem schulischen Umfeld oder Be­
treuer aus dem Asylwesen bei der
Fachstelle Zwangsheirat. Die Op­
fer selber – grösstenteils junge
Frauen – haben Angst, gegen die
eigene Familie vorzugehen, und
fürchten sich vor Konsequenzen.
Das führt dazu, dass die Berater
die Betroffenen oft nicht direkt
kontaktieren können. Die Opfer
wollen oft explizit auf Anzeigen
verzichten. Die Fachpersonen
einem anderen Jahr nur wenige
solche Verfügungen anfielen. Bei
den 22 Verfahren, welche die
Eidgenössische Steuerverwal­
tung letztes Jahr eingeleitet hat,
steht der Verdacht im Raum, dass
Firmen und Privatpersonen
«grosse Steuerbeträge» hinter­
zogen haben. Nur in diesen Fäl­
len ist nämlich der Bund für die
Ermittlungen zuständig.
Die Zahl der Steuerstraf­
verfahren dürfte in den nächsten
Jahren deutlich steigen, unter
anderem aus folgendem Grund:
Die Steuerämter gelangen immer
öfter durch sogenannte Leaks zu
zusätzlichen Informationen über
Steuerhinterzieher. Zu diesen
Leaks zählen beispielsweise die
9
43
NURPHOTO / GETTY IMAGES
So viele Opfer von Kinder-
zwangsheiraten, welche die
nationale Fachstelle letztes Jahr
beriet, waren jünger als 16.
Gerichte oft nicht konsequent
und annullierten die Heiraten
nicht, kritisiert Sivaganesan. Das
führt dazu, dass illegal geschlos­
sene Ehen Jahre später, wenn
Mann und Frau volljährig sind,
für gültig erklärt werden. So prak­
tizierte es etwa die Genfer Justiz
im Fall einer im Alter von 14 Jah­
ren verheirateten Afghanin.
Politische Diskussion
Zur Situation bezüglich Kinder­
ehen muss sich diesen Montag in
der Fragestunde des Nationalrats
Bundesrätin Simonetta Somma­
ruga äussern. Die Zürcher SVP­
Abgeordnete Natalie Rickli will
wissen, wie sich die Zahl der
Zwangsheiraten von Minderjähri­
gen entwickelt und was der Bund
dagegen vorkehrt.
Juristin Sivaganesan betont,
dass dem Problem nicht mit straf­
rechtlichen Massnahmen beizu­
kommen sei. Vielmehr müsse die
Prävention verstärkt werden.
«Zudem braucht es mehr Schutz­
einrichtungen, zum Beispiel
Mädchenhäuser», sagt Sivagane­
san. Enorm problematisch wäre
es ihrer Ansicht nach, wenn reli­
giöse Heiraten ohne vorherige
zivile Trauungen legalisiert wür­
den. Dies fordert der Zürcher
SVP-Nationalrat Claudio Zanetti
mit einer parlamentarischen Ini­
tiative. «Käme diese durch, wür­
de dies Zwangsheiraten fördern»,
sagt Sivaganesan. Diesen Aspekt
habe er zu wenig bedacht, räumt
Zanetti ein. «Mit Blick darauf
müsste mein Vorstoss ergänzt
und korrigiert werden.»
Von grüner Seite wird die For­
derung laut, dass in der Heimat
geschlossene Zwangsehen min­
derjähriger Asylsuchender unter
versuchen, Schutzmassnahmen Umständen zu legalisieren seien,
zu veranlassen und die Kinder um die Frauen zu schützen und
wenn nötig sogar aus dem Fami­ Rückweisungen zu verhindern.
lienumfeld herauszulösen. Dieses Ansinnen sei gefährlich;
Seit 2013 gilt das Bundesgesetz illegale Ehen dürften nicht gut­
gegen Zwangsheiraten, das die geheissen werden, sagt Sivagane­
Ahndung des Tatbestands ermög­ san. Umso mehr, als gar kein An­
licht. Zudem können in der lass dazu bestehe. Das Asylrecht
Schweiz nur Volljährige – ab 18 – verlange keine Heirat, um einen
Ehen schliessen. Wenn sich die Familiennachzug zu erlauben.
Minderjährigen im Ausland ver­ Auch ein Zusammenleben ohne
mählt hätten, seien die hiesigen Trauschein reiche dafür aus.
Rekord im letzten Jahr «Paradise Papers» oder «Panama
Papers», die Einblick in zahllose
Nachsteuern und Bussen des Offshore­Konstrukte boten.
Bundes für Steuerhinterzieher So sagt Joel Weibel denn
auch: «Bei vier Voruntersuchun­
gen des Bundes wurde fest­
250 Mio. Fr.
gestellt, dass unter den betroffe­
nen Personen auch solche sind,
200 die in den besagten ‹Papers›
erwähnt sind.» Es handle sich
150 dabei um natürliche und juristi­
sche Personen. Und weiter sagt
100 er: «Im Weiteren ist der Eid­
genössischen Steuerverwaltung
50 bekannt, dass kantonale Steuer­
verwaltungen in mehreren
0 Dutzend Fällen Steuerhinterzie­
08 09 10 11 12 13 14 15 16 2017 hungsverfahren gegen Personen
eröffnet haben, die in den
Quelle: Eidgenössische Steuerverwaltung ‹Papers› erwähnt sind.»
10 Schweiz NZZ am Sonntag 4. März 2018

Schullager sind

auf der Kippe
Nach dem Entscheid des
Bundesgerichts zu den
Kosten für Schulangebote
harzt es bei den Buchungen
von Gruppenunterkünften.
René Donzé
Derzeit sind viele Schüler in den
Bergen in Skilagern unterwegs,
oder sie haben gerade eins hinter
sich. Ob sie künftig weiterhin mit
der Schule in den Schnee fahren
können, ist ungewiss. Im De­
zember hat das Bundesgericht
entschieden, dass obligatorische
Angebote von Schulen kostenlos
sein müssen. Erhoben werden
darf höchstens ein Beitrag von 16
Franken pro Tag für Verpflegung.
Oft sind die Kostenbeiträge heute
höher. Die Frage stellt sich, ob die
Gemeinden ein höheres Defizit
tragen können und wollen.
«Das Bundesgerichtsurteil hat
in vielen Kantonen Besorgnis
ausgelöst», sagt die Generalsekre­
KILIAN J. KESSLER
grenze lagen, wie die «Freiburger
Nachrichten» schreiben.
Die Verunsicherung in den
Kantonen führt zu einem Rück­
gang der Buchungen von Lager­
unterkünften. «Wir stellen
momentan eine sehr starke Zu­
rückhaltung im Buchungsverhal­
ten der Schulen fest», sagt Chris­
tina Aenishänslin, Geschäfts­
führerin der Branchenorganisa­
tion der Gruppenunterkünfte in
der Schweiz. In der Regel werden
um diese Jahreszeit bereits Unter­
künfte für die Winterlager der
nachfolgenden Saison reserviert.
Im Moment liegen die Buchungen
rund 15 Prozent unter den Vorjah­
ren. Noch keinen Rückgang ver­
zeichnen die Jugendherbergen.
Dennoch sei man im Moment dar­
an, ein Konzept für preiswerte La­
ger zu erarbeiten, damit Schulen
sich das auch künftig noch leisten
können, sagt eine Sprecherin.
Grosse Sorgen macht sich der Strahlende Kupferkabel im Garten: Evelyn Reimann hält es im Haus ihres Vaters im aargauischen Gipf-Oberfrick kaum aus. (7. Februar 2018)
Verein Schneesportinitiative

Reimanns gegen Swisscom

tärin der Erziehungsdirektoren­
konferenz, Susanne Hardmeier.
Für die konkreten Auswirkungen
verweist sie auf die Gemeinden
und Kantone, da Organisation
und Finanzierung von Lagern
deren Sache ist. Die Kantone
schätzen die Lage unterschiedlich
ein. Allein der Kanton Basel­Stadt
rechnet mit Mehrkosten von
600 000 Franken, wie die Regie­
rung schreibt. Der Kanton Zürich
hingegen glaubt, dass die gel­
tende Obergrenze von 22 Franken
im Rahmen des Zulässigen liegt.
Immerhin hätten die Bundes­
richter die Zürcher Verfügung als
beispielhaft aufgeführt, schreibt
das Volksschulamt.
Im Kanton Bern wiederum soll
das Limit von heute 30 Franken
nach unten angepasst werden.
Demnächst werden dort neue
Empfehlungen herausgegeben.
Im Kanton Freiburg haben Eltern
Lagerrechnungen retourniert,
weil sie mit 150 Franken für eine
Woche über der neuen Ober­
Schweiz, der von Bund, Kantonen
und der Schneesportbranche ge­
tragen wird. Man sei konsterniert,
sagt Geschäftsführer Ole Rauch.
Der Gerichtsentscheid bringe die
Massnahmen zur Förderung des
Schneesportes in Gefahr. Darum
ist er mit der Bitte an die Erzie­ Die Tochter von SVP-Nationalrat Maximilian Reimann leidet unter der
hungsdirektoren gelangt, einen
runden Tisch einzuberufen. Dort Strahlung von Kupferkabeln – nun wehrt sie sich auf rechtlichem Weg
sollen Vertreter von Schulen, An­
bietern und Politik Massnahmen
besprechen, um negative Auswir­ Marco Metzler strahlenden Glasfasern weichen, Druck: Ende 2017 wurde er Co­ untersuchen», sagt Peter. Nun
kungen abzufedern. Die Reaktion müssen sie auf dem Land immer Präsident der Parlamentarischen kämpfen Reimanns auf recht­
der EDK steht noch aus. Vorerst «Ich werde gefoltert», sagt Evelyn höhere Bandbreiten übertragen. Gruppe Nichtionisierende Strah­ lichem Weg gegen Swisscom. Im
wolle man die Auswirkungen des Reimann am Küchentisch des Reimanns zogen den Elektro­ lung und will so die negativen Fol­ Dezember 2017 machten ihre An­
Gerichtsentscheids in internen Einfamilienhauses ihres Vaters, biologen Josef Peter bei. Er erdete gen des Kupfer­Internets politisch wälte mehrere Rechtsmitteleinga­
Gremien diskutieren, sagt Hard­ des SVP-Nationalrats Maximilian das Haus elektrisch neu und einbringen. Er sei klar für schnel­ ben: beim aargauischen Amt für
meier, nicht nur bezogen auf Reimann. Der 38-Jährigen geht es schirmte es gegen Handymasten les Internet, aber über moderne Umwelt, beim Bakom, bei der
Schneesportaktivitäten. schlecht. Sie leidet laut ihrem ab, die 500 Meter entfernt im Dorf Glasfaser. «Es braucht die richtige Wettbewerbskommission, beim
Auch der Bundesrat wird sich Hausarzt an Elektrosensibilität. stehen. Als Reimann weiter litt, Balance zwischen technischem Preisüberwacher. Das aargauische
mit dem Thema beschäftigen Seit November 2015 kann sie sich machte Peter die Kupferkabel als Fortschritt und der Respektierung Amt für Umwelt wird aufgefor­
müssen: Gleich mehrere Par­ kaum mehr im Haus im aargaui­ Ursache aus: «Swisscom nutzt der Gesundheit von Mensch und dert, die Swisscom anzuhalten, in
lamentarier haben vergangene schen Gipf­Oberfrick aufhalten. diese wie Antennen, die Kurz­ Tier», sagt er. Gipf­Oberfrick und Umgebung die
Woche Vorstösse eingereicht. Sie Die Schuld trage die Swisscom. wellen aussenden.» Anders als Strahlung aus Kupferkabeln zu
fordern den Bund auf, zu prüfen, Vor dem Treffen bittet sie, beim Mobilfunk gehen die Wellen Kampf für Glasfaser eliminieren. Das Hauptargument
wie er Schullager verstärkt unter­ nur im Notfall anzurufen. Vor Ort durch Boden und Beton hin­ Für eine Schlichtung lud der ihrer Rechtsvertreter: Bisher habe
stützen kann. schalten wir alle Geräte auf Flug­ durch. Das könne man nicht Swisscom­Cheflobbyist im Herbst das Bundesgericht Mobilfunk­
modus. Im Flur steht ein ausge­ abschirmen. 2017 Nationalrat Reimann und antennen immer gestützt, weil es
steckter Cross­Trainer. Nach kur­ Swisscom schickte einen Mess­ den Elektrobiologen Peter zum technologisch keine Alternative
zer Zeit im Haus verschlechtert experten. Sein Fazit: Die Strah­ Gespräch mit Gregor Dürrenber­ gibt. Beim Internet könne man
MARCO ZANONI / LUNAX

sich ihr Zustand: «Ich bekomme
Kopfschmerzen, Herzrasen, kann
kaum atmen. Nach zwei Nächten
bin ich am Ende», sagt sie.
«Extrem wird es am Festnetz­
Telefon. So habe ich erstmals be­
merkt, dass etwas nicht stimmte.»
Vorher habe sie sich hier immer
wohl gefühlt: Sie schlief im Keller­
büro und war vor Handystrahlen
abgeschirmt. Schon beim ersten
Handy­Anruf 2000 schossen ihr
starke Schmerzen durch den
Kopf. Jahrelang stand sie in Be­
handlung. Ärzte rätselten. Mit
Tiefere Beiträge für Lager: Skischüler auf der Belalp. (21. März 2016) der Zeit kristallisierte sich eine
Diagnose heraus: Elektrostrah­
lungssensibilität.
lung liege weit unter den Grenz­
werten der Verordnung über den
Schutz vor nichtionisierender
Strahlung. Der maximale Mess­
wert werde nirgendwo durch das
Kupfer­Internet generiert. Peter
schlägt eine Lösung vor: Swiss­
com müsse im ganzen Quartier
Glasfaser in die Wohnungen zie­
hen. Doch diese lehnt ab. Evelyn
Reimann sieht sich gezwungen,
weiter in Luzern zu wohnen, wo
sie immer schlechter schlafe.
Sie könne nicht mehr arbeiten, sei
beruflich und sozial isoliert und
lebe von der Unterstützung ihrer
Eltern. «Ich bin nur noch am
Überleben. Es ist die Hölle.»
ger, der die Forschungsstiftung
Strom und Mobilkommunikation
leitet. Zwei Welten kollidierten:
Peter, der als Unternehmer 12 000
Elektrosmog­Betroffenen half,
und Dürrenberger, dessen Stif­
tung von Swisscom mitfinanziert
wird. Reimann verstand beim
technischen Meeting wenig – so
gehe es vielen Politikern: «Auf
welchen Experten man hört, ist
Glaubenssache.» Dürrenberger
spricht vom Nocebo­Effekt –
wenn Menschen psychosoma­
tisch auf eine scheinbar negative
Ursache reagieren. Doch endgül­
tig könne man nicht ausschlies­
sen, dass es eine ganz kleine Min­
aber Kupfer durch Glasfaser erset­
zen. Laut Umweltschutzgesetz
müssten unnötige Störemissio­
nen unterbunden werden, selbst
wenn sie nicht gesundheits­
gefährdend seien.
Doch wie weiss Frau Reimann,
dass ihre Symptome nicht auf ein
psychisches Leiden zurückgehen?
«Ich habe noch nie von Vectoring
gehört, als ich merkte, dass etwas
nicht mehr stimmt», sagt sie. «Es
gibt sicher Leute, bei denen es
psychisch ist – etwa aus ideologi­
schen Gründen. Aber ich würde
gerne ein Handy nutzen.»
Swisscom sagt, man sei nicht
an gesundheitsgefährdenden

Classe politique
Tim Guldimann, International-
rat, tut sich nicht nur mit seinem
Amt schwer, sondern nun auch
mit seinem Rücktritt. Eigentlich
wollte der SP-Parlamentarier,
der gemerkt hat, dass Berlin
nicht Zürich ist, Bern per Ende
Frühlingssession verlassen. Nun
wurde ihm zugetragen, dass bei
diesem Fahrplan sein Nachfolger
Fabian Molina erst im Sommer
vereidigt werden kann – und der
SP-Fraktion damit während
zweieinhalb Monaten ein Mann
fehlen würde. Guldimann hat
darum seinen Rücktritt noch-
mals um zwei Tage vorgezogen
und tritt also schon am 14. März,
dem Mittwoch der letzten Ses-
sionswoche, ab. Nun ist nur noch
offen, ob schon am Morgen oder
erst am Nachmittag.
Schon zweimal musste Evelyn
Reimann ein Studium abbrechen,
weil sie die Strahlung an der Uni
nicht aushielt. Als «philoso­
phisch­literarischer Mensch»
Thierry Steiert, Vorreiter, schrieb und veröffentlichte sie
galoppiert mit Vollgas vorwärts zwei Romane. Mitte 2015 zog sie
in die Vergangenheit. Der Stadt- nach Luzern um, wo sie ebenfalls
präsident von Freiburg lässt den
Müll auf den Strassen künftig
unter der Strahlung litt. Deshalb
beschloss sie, wieder aufs Land
mit Pferd und Anhänger zu ziehen. «Es war geplant, dass
abtransportieren. Nicht nur, dass ich ins Elternhaus zurückkehre.»
der SP-Mann so nur eine Pferde- Dann kamen die Symptome.
stärke braucht statt mehrere
hundert. Er demonstriert auch, Strahlende Kupferkabel
was wahre E-Mobilität bedeutet: Schuld daran sei die Swisscom.
das Vorankommen mit Equiden. Diese hat im Oktober 2015 in Gipf­
Oberfrick die Einführung von Vec­
toring abgeschlossen. Die neue
Technologie bringt schnelleres
Internet auf die alten Kupferkabel
und wird vor allem auf dem Land
verwendet. Nun geht zehn Meter
hinter dem Haus ein Kabel­Bün­
del durch Reimanns Garten, das
Tim Thierry Signale zu den Nachbarn über­
Guldimann Steiert trägt. Während die alten Kabel in
den Städten den neuen, nicht
«Mein Vater leidet mit und
setzt sich enorm ein», sagt sie. Der
SVP-Nationalrat macht politisch
Mobilfunk und schnelles Kupfer-Internet
Machen Strahlen krank?
Morgen Montag entscheidet
der Ständerat, ob er die Vorsor-
gegrenzwerte für die Mobil-
funkstrahlung lockern will, um
mehr Kapazitäten für den
neuen 5G-Standard zu schaffen.
Wissenschaftlich ist unklar, ob
die zunehmende elektromagne-
tische Strahlung für Menschen
schädlich ist. Eine vom Bundes-
amt für Umwelt einberufene
Ärztegruppe stellt fest, «dass
nichtionisierende Strahlen
messbare Veränderungen in
verschiedenen biologischen
und psychologischen Bereichen
bewirken und dass es Hinweise,
derheit an übersensiblen Leuten
geben könnte. «Man weiss es defi­
nitiv nicht. Niemand will das
aber bisher keine eindeutigen
Beweise dafür gibt, dass diese
als signifikante Krankheitsursa-
chen verantwortlich gemacht
werden können». Weder Schäd-
lichkeit noch Unschädlichkeit
lassen sich derzeit beweisen.
Das gilt auch für die Vecto-
ring-Technologie, die Swisscom
für schnelleres Internet ein-
setzt. Dabei zieht diese nur bis
zum Verteiler im Quartier Glas-
fasern. Von dort überträgt eine
Art Modem die Internet-Signale
über Kupferkabel in die Haus-
halte. Dabei wird ein kleiner Teil
der Signale abgestrahlt. (mtz.)
Technologien interessiert, und
wehrt sich, dass jemand – ohne
Kausalität nachzuweisen – Forde­
rungen stelle. Doch garantieren,
dass es harmlos ist, kann sie auch
nicht: «Forschung kann metho­
disch nie die Unbedenklichkeit
einer Technologie nachweisen»,
sagt die Sprecherin. Es gebe aber
keine wissenschaftlichen Be­
weise, dass die geringen Immis­
sionen der Kabel zu gesundheit­
lichen Beschwerden führten.
Laut Swisscom würde es bis
2040 dauern, um alle Gemeinden
mit reinem Glasfaser­Internet zu
erschliessen. Doch kann Reimann
bis 2040 so weiterleben? Bis in
der Umgebung alle Wohnungen
mit Glasfasern erreicht werden,
will die Familie den Rechtsstreit
durch alle Instanzen ziehen. Dann
könnte Evelyn Reimanns Leiden
enden – falls die Kupferkabel tat­
sächlich die Ursache waren. Das
aargauische Amt für Umwelt hat
Swisscom eingeladen, Stellung zu
nehmen.
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Schweiz 11

Er kam, brillierte und stolperte In Kürze

Radioaktive Abfälle:
Der Waadtländer Finanzminister Broulis verheddert sich in der eigenen Steuererklärung Vorarlberg mahnt
Andrea Kučera Eine «Menschen und Umwelt

ANTHONY ANEX / KEYSTONE

Pascal Broulis hat einen neuen
Übernamen: «Pascal Hybris» wird
der angeschlagene Waadtländer
Finanzminister von politischen
Gegnern genannt. Hybris, altgrie-
chisch für Übermut, ist gemäss
Lexikon gleichbedeutend mit
Selbstüberschätzung oder Hoch-
mut. Einher gehe sie oft mit Rea-
litätsverlust; anzutreffen sei die
Hybris vor allem bei Menschen in
Machtpositionen. Keine schmei-
chelhafte Bezeichnung für einen
Politiker, der einst als Nachfolger
von Bundesrat Pascal Couchepin
zur Debatte stand, und dessen
Name bis vor kurzem nur mit
positiven Nachrichten in Verbin-
dung gebracht wurde.
Der wirtschaftliche Boom der
Genferseeregion fällt in Broulis’
Zeit als Finanzminister. Das Wie-
dererstarken des Waadtländer
Freisinns gelang unter ihm als
Zugpferd. Und es ist weitgehend
dem guten Einvernehmen zwi-
schen ihm und SP-Staatsrat
Pierre-Yves Maillard zu verdan-
ken, dass in der Waadt glückte,
was auf eidgenössischer Ebene
scheiterte: die Unternehmens-
steuerreform in trockene Tücher
zu bringen. Nicht zuletzt ist es
über weite Strecken Broulis’ Ver-
dienst, dass der tief verschuldete
Kanton nach der Jahrtausend-
wende wieder schwarze Zahlen
zu schreiben begann.
«Nichts zu verbergen»
Ausgerechnet seine eigene
Steuerrechnung bringt den Stuhl
des Sohnes griechischer Ein-
wanderer nun aber ins Wanken.
Wobei weniger das Vergehen an
sich für Stirnrunzeln sorgt als
Broulis’ Umgang mit den gegen
ihn erhobenen Vorwürfen. Seine
Krisenkommunikation kann als
Lehrstück dafür herhalten, wie
man es nicht machen sollte.
Anfang Februar bezichtigte der
«Tages-Anzeiger» den FDP-Mann
der Steueroptimierung: Broulis
entrichte seine Steuern an sei-
nem Geburtsort Sainte-Croix im
Waadtländer Jura, obwohl er mit
Frau und Sohn mehrheitlich in
Lausanne lebe, wo der Steuerfuss
um neun Prozentpunkte höher
liegt. Sainte-Croix sei wohl nicht
zuletzt wegen der Steuerabzüge
interessant, schrieb der Journalist
weiter. Broulis, der zum Zeit-
punkt der Publikation des Arti-
kels an den Olympischen Spielen
in Südkorea weilte, wies in einer
«Notiz an die Medien» sämtliche
Vorwürfe zurück. Er habe nichts
zu verbergen: Er entrichte zwei
Drittel seiner Gemeindesteuern
in Sainte-Croix und einen Drittel
Beide wollten für die Freisinnigen in den Bundesrat, beide scheiterten: Pascal Broulis im Gespräch mit Isabelle Moret. (Bern, 20. 9. 2017)
Pascal Broulis
Deutsch ungenügend
Pascal Broulis wurde 1965 als
Sohn eines griechischen Gast-
arbeiters und einer Schweizerin
in Sainte-Croix im Waadtland
geboren. Er machte eine Bank-
lehre und dann Karriere bei der
Waadtländer Kantonalbank.
Broulis politisierte zunächst im
Gemeinderat von Sainte-Croix,
ab 1990 im Kantonsparlament.
2002 wurde er mit 37 Jahren in
in Lausanne, wo sein Sohn zur
Schule gehe, schrieb er. Beide Ge-
meinden seien mit diesem Ver-
teilschlüssel einverstanden. Er
wohne in den Schulferien und
an den Wochenenden in Sainte-
Croix. Auch unter der Woche wei-
le er gelegentlich dort, sofern es
sein Amt erlaube. In Sainte-Croix
habe er sein soziales Umfeld, dort
fühle er sich zu Hause. Ende der
Durchsage.
Womöglich dachte Broulis, mit
dieser Notiz sei der Fall erledigt.
Doch für einmal zeigten sich auch
testens nach diesen Enthüllun-
gen nicht Unterlassungen ein und
legte sein Steuerregime offen? Er
hätte auch eine Untersuchung
durch einen unabhängigen
Experten anordnen und so viel-
leicht die Lüftung des Steuer-
die Regierung gewählt. Seither geheimnisses umgehen können.
hat er die Finanzen unter sich.
2009 fiel Broulis in der FDP- Woher die Pendlerabzüge?
internen Ausmarchung um die Stattdessen schwieg Broulis fast
Nachfolge von Bundesrat drei Wochen lang. Und als er
Couchepin durch, vor allem schliesslich dem Westschweizer
wegen seiner schlechten Radio am vergangenen Mittwoch
Deutschkenntnisse. 2015 stand ein Interview gewährte, sprach er
er als Ständeratskandidat im nicht über sich, sondern über das
Gespräch, blieb dann aber im Schulregime für seinen Sohn so-
Waadtländer Staatsrat. (aku.) wie über die vertrackte Situation
der Waadtländer Nationalrätin
und Parteikollegin Isabelle Moret,
die lokalen Medien, die nicht für die seit sieben Jahren keine defi-
ihre Aufsässigkeit bekannt sind, nitive Steuerrechnung erhalten
hartnäckig. «Le Matin Dimanche» hat. Doch das ist eine andere
deckte auf, dass der Verteilschlüs- Geschichte. Und er fühlte sich
sel erst 2011 zustande kam, nach- bemüssigt, der Moderatorin eine
dem die Stadt Lausanne bei Brou- Lektion über guten und schlech-
lis interveniert hatte. Dabei ver- ten Journalismus zu erteilen.
fügte der FDP-Staatsrat zu die- Jetzt platzte auch der Zeitung
sem Zeitpunkt bereits seit meh- «24 heures» der Kragen: Monsieur
reren Jahren über einen Zweit- Broulis solle sich nicht in Beleh-
wohnsitz in der Kantonshaupt- rungen ergehen, sondern endlich
stadt, notabene ohne sich beim reinen Tisch machen, forderte
Einwohneramt gemeldet zu der Chefredaktor in einem gehar-
haben. Eine Lappalie? Vielleicht. nischten Kommentar. Unter dem
Aber warum räumte Broulis spä- wachsenden medialen Druck
nicht belastende Endlagerung
der radioaktiven Abfälle»
verlangt Vorarlbergs Landes-
hauptmann Markus Wallner
(ÖVP) von der Schweiz. Das
hielt Wallner in einem Brief an
das Bundesamt für Energie
fest, wie er am Samstag
bekannt machte. Vorarlberg
lehne die Kernenergie ab, bei
den Abfällen handle es sich um
ein «schwer zu verantworten-
des Erbe», schreibt Wallner.
Anlass für seine Eingabe ist die
Suche der Schweiz nach einem
Tiefenlager für ihren Atom-
müll. Drei Standorte stehen
noch zur Auswahl. Einer –
«Zürich Nordost» – liege nahe
an Vorarlberg, begründet der
Regierungschef. (sda)
Tötungsdelikt im
Kanton Wallis
Am Freitagnachmittag ist in
Brig im Wallis eine 39-jährige
Frau in einem Einfamilienhaus
getötet worden. Wie die Polizei
am Samstag mitteilte, wurde
ein 53-jähriger Tatverdächtiger
festgenommen. Wie die Frau
umkam, gab die Polizei nicht
bekannt; sie geht aber von
einem Tötungsdelikt aus. Opfer
und Täter sind Schweizer. Wie
sie zueinander standen, teilte
die Polizei nicht mit. (sda)
legte der Finanzminister in der
Samstagausgabe von «24 heures» Vermisster tot
schliesslich doch noch Verdienst
aufgefunden
und Steuerabzüge für 2015 offen.
Dabei zeigt sich: Broulis wies von Nach einem Lawinennieder-
allen Waadtländer Staatsräten gang im Val Ferret im Kanton
mit 172 700 Franken das tiefste Wallis haben Suchtrupps am
steuerbare Einkommen aus. Samstag einen Vermissten tot
Er erklärt dies mit Unterhalts- aufgefunden. Schneemassen
arbeiten an seinem Haus in hatten am Donnerstag zwei
Sainte-Croix und den Abzügen Männer mitgerissen. Einer war
für die Fahrten zwischen seinem am Freitag leblos aus der
Domizil und dem Arbeitsort Lau- Lawine geborgen worden. Wie
sanne. 60 Kilometer liegen zwi- die Polizei mitteilte, waren die
schen den beiden Gemeinden. Opfer 34 und 39 Jahre alt. (sda)
Stutzig macht die Tamedia-Jour-
nalisten, dass Broulis den von Bankraub im Jura
ihm genannten Pendlerabzug von
15 000 Franken nur rechtfertigen
gescheitert
könnte, sollte er an jeden Arbeits- Nach einem Überfall auf die
tag in Sainte-Croix schlafen. Dies Raiffeisenbank in Courrendlin
aber würde nicht mit den früher im Kanton Jura hat die Polizei
gemachten Aussagen von Broulis am Freitag drei Bankräuber
übereinstimmen, wonach er festgenommen. Zwei Mas-
unter der Woche hauptsächlich kierte hatten die Herausgabe
in Lausanne wohne. von Geld erzwungen; sie waren
Ein Finanzminister, der bei der mit einem Komplizen geflohen.
Steuererklärung trickst? Broulis Gegen Abend seien die Täter
wird sich am Dienstag erstmals gestellt worden, teilte die Poli-
im Grossen Rat den Fragen der zei am Samstag mit. Waffe und
Parlamentarier stellen. Bis dahin Beute wurden sichergestellt.
muss er eine gute Erklärung Wie viel Geld die Männer
für die Fahrkostenabzüge bereit geraubt hatten, gaben die
haben, sonst könnten erste Rück- Ermittler nicht bekannt. (sda)
trittsforderungen laut werden.

EU-Politik: Der Bundesrat drängt vorwärts Nur noch 26

Kilo Fleisch
Die Regierung will keine neue Ignazio Cassis nennt, sollen rasch derungen, die darauf abzielen,
pro Person
SALVATORE DI NOLFI / EPA / KEYSTONE

Diskussion über das Mandat
zum Rahmenabkommen.
Sie setzt offenbar auf ein
hohes Verhandlungstempo.
Stefan Bühler
Die ausführliche Diskussion im
Bundesrat über das weitere Vor-
gehen in der EU-Politik hat be-
reits vor zehn Tagen stattgefun-
den. Am Freitag hat er sich nun
auch noch formell auf eine Strate-
gie geeinigt. Offiziell wird am
Montag darüber informiert. Doch
auf der Basis der Informationen,
die in den letzten Tagen nach aus-
sen gedrungen sind, wird deut-
lich: Die Verhandlungen über ein
institutionelles Rahmenabkom-
men, das «Marktzugangsabkom-
men», wie es Aussenminister
vorangetrieben werden. So ist
laut bundesratsnahen Quellen
nicht vorgesehen, dass sich die
Kantone und aussenpolitischen
Kommissionen zu den Anpassun-
gen und Präzisierungen im Ver-
handlungsmandat äussern kön-
nen. Die Gremien würden dar-
über informiert, formelle Konsul-
tationen seien aber nicht geplant.
Gemäss einem Bericht der NZZ
vom Samstag hat sich an der
Stossrichtung des Bundesrats in
der letzten Woche nicht mehr viel
geändert. Stand in den Verhand-
lungen bisher ein Streitbei-
legungsverfahren mit dem Euro-
päischen Gerichtshof (EuGH) im
Zentrum, soll neu der von Brüssel
eingebrachte Vorschlag eines
Schiedsgerichts weiterverfolgt
Rasch verhandeln: Aussenminister Ignazio Cassis.(Genf, 26. 2. 2018) werden – freilich ergänzt mit For-
selbst den indirekten Einfluss des
EuGH möglichst klein zu halten.
Wie die «NZZ am Sonntag» bereits
vor einer Woche berichtete, sieht
der Bundesrat zudem davon ab,
das Rahmenabkommen mit
neuen Dossiers zu einem grossen
Paket zu verknüpfen. Weder ein
Dienstleistungs- noch ein Roa-
mingabkommen stehe derzeit zur
Debatte. Laufende Verhandlun-
gen über Lebensmittelsicherheit,
Landwirtschaft, Gesundheit und
vor allem über ein Stromabkom-
men sollen hingegen parallel wei-
tergeführt werden. Weiter hält
der Bundesrat an seinen roten
Linien fest: Die flankierenden
Massnahmen zur Personenfrei-
zügigkeit seien weiterhin aus-
drücklich von den Verhandlun-
gen ausgenommen, heisst es.
Die Schweizer Detailhändler ha-
ben im vergangenen Jahr weni-
ger Fleisch verkauft. Der Absatz
einheimischer und importierter
Ware sank um 0,7 Prozent auf
noch 221 468 Tonnen, wie das
Bundesamt für Landwirtschaft
in seinem jüngsten Marktbericht
Fleisch schreibt. Damit wurden
im Detailhandel gut 26 Kilo-
gramm Fleisch pro Einwohner
verkauft. Grössere Umsatzrück-
gänge verzeichneten etwa fri-
sches Schweinefleisch mit minus
1,8 und frisches Kalbfleisch mit
minus 2,6 Prozent – beides wird
zu über 90 Prozent in der Schweiz
produziert. An Beliebtheit ge-
wonnen haben hingegen Poulet
und Wurstwaren. (sda)
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NZZ am Sonntag 4. März 2018
Papier und Kugelschreiber schützen
die direkte Demokratie
E-Voting, das Abstimmen übers
Internet, schafft gewaltige
Risiken, bietet aber kaum
Vorteile. Man sollte es stoppen.
Nichts schädigt die Demokratie
stärker als Zweifel an der
Legitimität ihrer Entscheide,
schreibt Thomas Isler
Die Show
seinesLebens
Jimmy Kimmel, TV-Talker,
moderiert heute die Verleihung
der Oscars. Die Show wird in
Zeiten von #MeToo und Donald
Trump zum Ritt auf der
Rasierklinge. Findet Kimmel
die richten Worte, hat er mehr
als einen Oscar verdient.
Von Sacha Batthyany
Glatze? Egal
Den Haarausfall mit
Würde tragen 16
A
ls die Schweiz das letzte Mal
über die SRG abstimmte,
wurde es ganz knapp: 3649
Stimmen gaben den Ausschlag
für das neue Abgabesystem.
Das Bundesgericht verzichtete
auf die Anordnung einer Nachzählung.
Gleichwohl besteht am Resultat interessan-
terweise kein Zweifel. Die Methode, die
Bürger ihren Willen anonym per Papier und
Kugelschreiber äussern zu lassen, die Zettel
dann von Hand – aber dezentral und öffent-
lich – zählen zu lassen, geniesst grösste
Akzeptanz. Und als vor einem Jahr im
Kanton Wallis Stimmen zugunsten von
Regierungsrat Oskar Freysinger gefälscht
worden waren, flog das schnell auf. Es wurde
zur Sache der Staatsanwaltschaft.
Was wurde in jüngster Zeit nicht alles an
Gefahren für die Demokratie beschworen:
fabrizierte Nachrichten, Populismus, zu viel
Geld. Dabei lauert die grösste Gefahr nicht
bei der Manipulation der Willensbildung. Die
ist einigermassen bemerkbar. Ganz anders
als eine digitale Manipulation der Willens-
äusserung. Nichts zersetzt aber die Demo-
kratie schneller als Zweifel an der Legitimität
ihrer Entscheidverfahren.
Umso erstaunlicher ist es, dass Beamte in
einigen Kantonen und in der Bundeskanzlei
das E-Voting voranzutreiben versuchen, das
Abstimmen per Internet, das heute testweise
in einigen Kantonen praktiziert wird. Ein
bewährtes System soll durch ein mutmass-
lich unsicheres System ersetzt werden. Ohne
Not und ohne markanten Vorteil – getrieben
von diffuser Begeisterung für Digitales.
Seit dieser Woche ist klar, dass die Schweiz
eine Debatte über E-Voting erhalten wird –
zum Glück. Der Luzerner SVP-Nationalrat
Franz Grüter stört sich daran, dass die Bun-
deskanzlei E-Voting ohne demokratischen
Entscheid und mit mangelhafter gesetzlicher
L
ange Zeit stand der Late-Night-
Moderator Jimmy Kimmel
im Schatten seiner berühmten
Berufskollegen. Seine Witze
waren weniger böse als die von
Stephen Colbert, seine Monologe
weniger geschmeidig als die von Jimmy
Fallon. Doch die Ereignisse der vergangenen
Monate haben den biederen Sprücheklopfer
zum «Gewissen der Nation» gemacht, so
schrieb die «Washington Post».
Erst wurde Donald Trump ins Weisse Haus
gewählt, der mehrere Frauen sexuell beläs-
tigt haben soll. Dann wurde Harvey Wein-
stein gestürzt, ein Alphamann wie Trump
und einer der Könige Hollywoods. Schau-
spielerinnen wie Rose McGowan brachen ihr
Schweigen und erzählten von Vergewalti-
gungen und anderen Abscheulichkeiten mit
und ohne Bademantel, von denen offenbar
jeder in der Unterhaltungsbranche wusste
– zu der auch Kimmel gehört –, sich aber nie-
mand zu sprechen getraute.
Zwischen Trumps Aufstieg und Wein-
steins Niedergang metzelte ein amerikani-
scher Waffennarr in Las Vegas, der Stadt, in
der Kimmel aufwuchs, 58 Menschen nieder
– und Kimmels Frau brachte in Los Angeles
den kleinen Billy mit angeborenem Herz-
fehler zur Welt. Viel Drama für den Late-
Night-Talker, der seine Fernsehkarriere – wie
viele US-Komiker – im Sender Comedy Cen-
tral begann. Und der es sich hinter seinem
Tisch und seinen Allerweltswitzen, die nie-
manden störten, allzu bequem zu machen
schien. Kimmel aber tat, was gute Komiker in
Krisenzeiten immer tun: Er wurde besser.
13 Minuten lang sprach der italienisch-
irisch-stämmige Kimmel über die Geburt
seines Sohnes in seiner Show; fing bald an zu
weinen, fasste sich wieder, scherzte («Billy
hat nicht nur einen Herzfehler, der Arme hat
SANDRA NIEMANN
zu allem Übel meine Visage geerbt»), und
verknüpfte seine Leidensgeschichte mit
einem umstrittenen innenpolitischen
Konsum aus Angst
KEYSTONE
Unser Kampf gegen
das Mittelmass 20
Grundlage ausweiten will. IT-Unternehmer
Grüter sieht derzeit keine digitale Methode,
die genügend sicher ist. Zusammen mit
Interessierten aus verschiedenen Parteien
und mit der Hackervereinigung Chaos Com-
puter Club Schweiz will er eine Volksinitia- Anders als eine
tive formulieren. Sie soll das E-Voting nicht manipulierte
für immer und ewig verbieten, sondern seine Abstimmung
Einführung unter die Bedingung adäquater
ist das leere
Sicherheit stellen. Und sie will dem Volk
Konto vom
auch das letzte Wort dazu geben. Hacker
geniessen da möglicherweise die höhere Betroffenen
Glaubwürdigkeit als fortschrittsbeseelte zu erkennen
Verwaltungsjuristen. – und der
Befürworter von E-Voting reagierten auf
die Pläne statt mit Argumenten mit Spott. Schaden für
«Die Mehrheit möchte, dass immer alles so die Allgemein-
bleibt, wie es war und ist», twitterte FDP- heit ungleich
Ständerat Ruedi Noser. Das ist natürlich kleiner.
dumm, da hat er recht. So dumm, wie etwas
Neues einzuführen, nur weil es neu ist.
Politiker, die um jeden Preis modern sein
wollen, sollten einen stets misstrauisch
machen. Technikgeschichte lehrt auch Skep-
sis und Demut. In den siebziger Jahren
glaubten viele, in 20 Jahren werde keine
Schule ohne Sprachlabor eine Fremdsprache
lehren können. Heute kennt kaum mehr
jemand das Wort Sprachlabor.
So wird es beim E-Voting nicht heraus-
kommen. Vielleicht existiert in 20 Jahren ein
System, das nicht manipuliert werden kann.
Heute gibt es das noch nicht: Das Genfer
E-Voting-System ist gehackt worden, Ver-
suche mit E-Voting in verschiedenen Län-
dern Europas sind vorzeitig abgebrochen
worden. Die Euphorie für das E-Voting mutet
speziell irritierend an in einer Woche, wo
bekannt wird, dass das deutsche Aussen-
und das Verteidigungsministerium gehackt
worden sind. Dass die Schweizer Systeme so
viel sicherer sind, darf mit Fug bezweifelt
werden: Der Angriff auf den staatseigenen
Thema, dem Streit um die obligatorische
Krankenversicherung. Das Video seiner Rede
wurde zum viralen Hit, die Zeitungen
Kimmel tat,
sprachen von einem «rohen Moment in der
Fernsehgeschichte», von denen es heute
so wenige gebe.
was gute Und nun also die Oscar-Verleihung.
Komiker in Kimmel, 50, wird heute Abend das jährliche
Krisenzeiten Klassentreffen der Filmwelt moderieren.
Rohe Momente wird man kaum erleben, die
immer tun: Er Show folgt einem strengen Drehbuch, und
wurde besser. nur wenige nahmen sich bisher die Freiheit,
auszuscheren: Roberto Benigni tanzte einst
auf den Sitzreihen, der Dokumentarfilmer
Michael Moore schrie dem damals so ver-
hassten (und heute längst rehabilitierten)
Vierfacher Mord
Die unfassbare Tat
von Rupperswil 18
Rüstungskonzern Ruag war ein Jahr lang
unbemerkt geblieben.
Das oft gehörte Argument, die Menschen
würden ja auch unbesorgt auf E-Banking
setzen, geht in die Irre: Anders als eine mani-
pulierte Abstimmung ist das leer geräumte
Konto vom Betroffenen zu erkennen – und der
Schaden für die Allgemeinheit viel kleiner.
Den gewaltigen Risiken steht kein gewich-
tiger Vorteil gegenüber. Höhere Stimmbetei-
ligung? Das hat ein in Norwegen abgebro-
chene Versuch widerlegt. Beteiligung der
Auslandschweizer? Schweizer im Ausland
können sich bestens per Post äussern. Und
wo die Post nicht funktioniert, funktioniert
auch das heutige E-Voting nicht, bei dem ein
Code per Post verschickt wird.
Es bleibt das schwächste Argument: die
Bequemlichkeit. Soll man die Parole dereinst
wirklich dem Smartphone diktieren können?
Soll das Ja zum Steuergesetz zu einem Klick
auf den Gefällt-mir-Knopf werden? Das
Abstimmen ist in der Schweiz schon heute so
komfortabel wie kaum irgendwo. Und viel
bequemer sollte es gar nicht werden. Für
wichtige Rechtsgeschäfte – ein Testament
etwa oder ein Konkurrenzverbot – werden
Formvorschriften verlangt. Auch Abstimmen
ist ein wichtiger Rechtsakt.
Das Problem am E-Voting ist, dass es die
Anonymität des Stimmbürgers und seiner
Daten nicht völlig schützen und gleichzeitig
höchste Fälschungssicherheit bieten kann.
Das ist ein Zielkonflikt, den jedes Abstim-
mungsverfahren kennt. Das Handaufheben
im Gemeindesaal steht dabei für die eine
Extremvariante: null Anonymität bei hoher
Legitimität. Am anderen Ende der Skala
steht die Umfrage via Onlineportal: volle
Anonymität, tiefe Legitimität.
Das geltende Abstimmungsverfahren mit
Stimmcouvert und Kugelschreiber ist bis auf
weiteres der klügste Kompromiss.
Präsidenten George W. Bush zu, er solle sich
schämen. Und im vergangenen Jahr, als
Kimmel zum ersten Mal moderierte, wurde
ein falscher Gewinner ausgerufen, wobei es
sich nicht um Absicht, sondern um einen
Lapsus handelte. Als Kimmel den Fehler
bemerkte, sagte er: «Ich wusste, ich würde
die Show vermasseln.»
Verglichen mit heute ist auch der Vorwurf,
die Oscars würden bevorzugt an weisse
Schauspieler vergeben, nichts als ein Wind-
stösschen an Empörung, denn die ganze
Unterhaltungsbranche, die sich in der Oscar-
nacht sonst feiern lässt, wurde von einem
Orkan erfasst. Mit Weinstein wurden Dut-
zende Schauspieler, Komiker wie Louis C. K.
und Verlagsbosse überführt. «Die Zeit der
schrecklichen Männer ist um», sagte die
Talkmasterin Oprah Winfrey an der Golden-
Globe-Verleihung im Januar, woraus sich
nicht nur eine Bewegung formte mit eigens
kreierter Anstecknadel, Winfrey wurde
gleich zur Präsidentschaftskandidatin
erkoren – zumindest wollen das gewisse
Medien so, die ihre Begeisterung vor so viel
Show nicht verbergen konnten.
Und genau darin liegt die Schwierigkeit an
Kimmels Auftritt. Das sonst so staubfreie
Parkett im Dolby-Theater ist in diesem Jahr
ein Minenfeld. Die sexuelle Ausbeutung
und der Machtmissbrauch gewisser Männer
darf weder verschwiegen werden, noch zur
Farce verkommen. Es braucht keine Tränen,
keine moralischen Parolen vom Telepromp-
ter, weder Anstecknadeln noch Hysterie. Die
Mauer des Schweigens ist endlich gebro-
chen, die Zeit ist reif für echten Wandel, nur
ja keine falsche Show! Wo werden in Zukunft
die Grenzen gezogen, wie streng, wie korrekt
und vor allem – wie aufrichtig will dieses
Hollywood sein?
Mit den richtigen Worten kann der
Moderator Jimmy Kimmel die Spur vor-
geben. Gelingt es ihm, hat er mehr als einen
Oscar verdient.
14
Der Erste
Weltkrieg will
einfach nicht
vorbeigehen
In Europa werden die Dämonen
des Nationalismus wieder
stärker. Auch weil die EU viel zu
zentralistisch strukturiert ist
Paul Widmer
P
aris, November 1990. Die Staats- und
Regierungschefs der KSZE-Staaten
(Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa, heute
OSZE) prosteten sich zu. Eben hatten sie die
Charta für ein neues Europa unterzeichnet
und eine neue Friedensordnung angekün-
digt. Sie versprachen Europa ein Zeitalter der
Demokratie, des Friedens und der Einheit.
Tatsächlich hatten sie Grund zum Feiern.
Endlich war die traurige Hinterlassenschaft
des Zweiten Weltkriegs überwunden. Mit
einer klugen Politik war es nach dem Krieg
gelungen, die Bundesrepublik Deutschland
in einen einmaligen europäischen Einigungs-
prozess zu integrieren. In diesem Umfeld
fand die nationalsozialistische Ideologie
keinen Nährboden mehr. Mit dem Ende des
Kalten Kriegs brach auch das andere totali-
täre System, das sowjetische Imperium,
zusammen. Demokratie und Rechtsstaatlich-
keit schienen überall auf dem Vormarsch.
Doch ehe das neue Haus fertig aufgerich-
tet war, knisterte es schon im Gebälk. Die
Medienkritik
Entschuldigung, wir machen Fehler
Michael Furger
Julian Reichelt ist Chefredaktor der deut-
schen Boulevardzeitung «Bild» und hat
gerade den letzten Rest seiner Glaubwür-
digkeit vernichtet. Die Zeitung kroch dem
Satire-Magazin «Titanic» auf den Leim. Es
hatte «Bild» vor drei Wochen ein paar
anonym gefälschte E-Mails zugeschickt, die
beweisen sollten, dass Russland die Mit-
gliederabstimmung der SPD über die grosse
Koalition beeinflussen wollte. Absender
der E-Mails war ein fiktiver Informant
namens «Juri».
«Bild» überprüfte ihn nicht richtig, son-
dern baute die Front-Schlagzeile «Schmutz-
kampagne bei der SPD», «Titanic» liess die
Sache auffliegen, und seither versucht Rei-
chelt, die Pleite schönzureden. Man habe
die Story zu Recht publiziert, man habe
«alles getan», um die Echtheit der E-Mails
zu prüfen. Man sei Opfer professioneller
Betrüger geworden – schreibt die grosse
«Bild»-Zeitung über die kleine «Titanic»-
Redaktion. Reichelt schwafelt sich um Kopf
und Kragen. Es ist peinlich.
Sein Rückzugsgefecht demonstriert
wieder einmal die chronische Unfähigkeit
von Journalisten, Fehler einzugestehen.
Meinungen
Konflikte in Jugoslawien liessen sich kaum
noch unter Verschluss halten. Der Zufall
wollte es, dass in jenem Jahr ausgerechnet
Belgrad den Vorsitz in der KSZE innehatte.
Ich war damals Chef der KSZE-Sektion im
EDA. Wir alle, die wir mit der Vorbereitung Es war, als
der Konferenz zu tun hatten, sassen wie auf ob die alten
Nadeln. Wird Jugoslawien noch in der Lage Probleme
sein, die Präsidentschaft zu Ende zu führen?
seit 1918 nur
Es war höchst ungewiss. Ein halbes Jahr nach
dem Gipfeltreffen brach der Krieg offen aus, überwintert
und die Föderation zerbrach. hätten.
1991/92 nahm ich an der ersten Bericht-
erstatter-Mission in allen Republiken des
ehemaligen Jugoslawien teil. Wir gingen
nach Belgrad und Zagreb, nach Sarajevo und
Kosovo, wir sprachen mit der jeweiligen
Regierung, den Parteien, Dissidenten und
Minderheiten. Dabei zeigte sich eines: Min-
derheitenkonflikte und ein übersteigerter
Nationalismus brachen überall wieder auf.
Es war, als ob die alten Probleme seit 1918
nur überwintert hätten. Offensichtlich waren
die Wunden des Zweiten Weltkriegs verheilt,
jene des Ersten dagegen nicht. Diese Gedan-
ken brachte ich in den neunziger Jahren in
einigen Aufsätzen zur Sprache. Jüngst
fanden sie wieder Beachtung. Über hundert
Intellektuelle beriefen sich in einem «Mani-
fest 1918–2018» darauf.
Die Analyse trifft, meine ich, heute noch
zu – sogar mehr denn je. Denn etwas Wichti-
ges hat sich in der Zwischenzeit verändert.
Nach der Wende wirkte die Anziehungskraft
Natürlich machen Medien Fehler – und
zwar andauernd. In jeder Zeitungsausgabe
(natürlich auch in dieser) oder auf jedem
Online-Portal hat es Fehler. Im besten Fall
Tippfehler. Im schlechtesten Fall inhalt-
liche Falschaussagen. Nicht absichtlich,
sondern aus Unachtsamkeit, Unwissen,
Faulheit, wie auch immer. Man versucht,
sie zu vermeiden, vollständig gelingt es nie.
Böser Wille ist es in den seltensten Fällen –
und damit sind es auch keine Fake-News,
sondern einfach: Fehler. Dumme Fehler.
Es wäre kein Problem, sie einzuräumen,
aber das bringen viele Journalisten nicht
über sich. Sie fordern gerne eine «Fehler-
Journalisten kultur» von Politikern, Wirtschaftsführern
fordern und Fussballpräsidenten: Zugeben, wenn
gerne eine etwas falsch gelaufen ist. Doch für sie
selbst soll das nicht gelten. Sie befürchten
«Fehlerkultur» ein Glaubwürdigkeitsproblem.
von Politikern Das ist natürlich Unsinn. Glaubwürdig-
und Wirt- keitsprobleme bekommt nur, wer Fehler
schaftsfüh- verschweigt. Das Eingeständnis der eige-
nen Patzer wäre eine Massnahme, um den
rern. Doch für angeknackten Ruf der Medien wieder her-
sie selbst zustellen. Die «New York Times» macht das
soll das nicht schon lange. Mehrmals pro Woche korri-
gelten. giert sie in einer eigenen Rubrik jeden
Fehler, und sei es nur ein falscher Buch-
stabe in einem Nachnamen.
So weit sind die meisten Medien hier
noch lange nicht, aber ich fange einmal an:
Letzten Sonntag habe ich in einem Artikel
über die Macht in Zürich Genossenschafts-
wohnungen mit gemeinnützigem Woh-
nungsbau verwechselt. Ein blöder Fehler.
Ich bitte um Entschuldigung.
ILLUSTRATION: GABI KOPP
der EU Wunder. Alle Staaten des einstigen
Ostens hofften, der EU beitreten zu können.
Das trug mehr zur Konfliktbewältigung bei
als alle anderen Massnahmen zusammen.
Doch die Strahlkraft der EU ist am Verblas-
sen, nicht zuletzt durch eigenes Verschul-
den. Seit Maastricht geriert sich Brüssel
zunehmend zentralistisch und bürokratisch.
Das verträgt sich schlecht mit dem Verlangen
nach mehr Demokratie, wie es unser Zeit-
alter kennzeichnet. Dass die EU von oben
regulieren kann, hat sie bewiesen, dass sie
auch die Wünsche von unten integrieren
kann, weniger. Doch darum kommt die
Union nicht herum, wenn sie ihr Legitima-
tionsdefizit beheben will. Denn demokrati-
sche Legitimität wird nach wie vor in den
Nationalstaaten erzeugt.
Was kann man somit tun? Zweierlei: Ers-
tens den übersteigerten Nationalismus
weiter bekämpfen, zweitens einen Ausgleich
zwischen suprastaatlicher Einigung und
nationalstaatlichem Respekt suchen. Statt
endlos zu regulieren, muss sich die EU sol-
chen Aufgaben zuwenden, welche die Natio-
nalstaaten allein nicht bewältigen können,
etwa den Schutz der europäischen Aussen-
grenze. Von dieser Umorientierung hängt
vieles ab – wohl auch die Frage, ob Europa
die Altlasten von 1918 in einem neuen Anlauf
doch noch abtragen kann.
Paul Widmer ist Alt-Botschafter und lehrt
heute an der Universität St. Gallen.
Grenzerfahrung
Stachel im Fleisch
Barbara Hofmann
W
ann schläft dieser Mann eigent-
lich, fragt man sich, wenn man
sieht, wie viele parlamentari-
sche Anfragen er lanciert.
Andere Menschen bringt er sicher um den
Schlaf. Matteo Pronzini, der einzige Grossrat
des linken Movimento per il Socialismo
(Bewegung für Sozialismus), ist der Schre-
cken des Parlaments und der Regierung im
Tessin. Denn wo er Rauch riecht, ist meist
auch Feuer. Dann schlägt er lautstark Alarm.
Pronzini deckt Missstände in Altersheimen
auf, er wettert gegen Probleme im öffent-
lichen Verkehr, er ortet Schwachstellen bei
der kantonalen Spitalorganisation oder hakt
nach, wenn Firmen aus dubiosen Motiven in
Konkurs gegangen sind.
Anfang des Jahres 2017, als wenig ange-
messene Vergabepraktiken beim Tessiner
Sozialdepartement aufgeflogen sind, reichte
der beruflich für die Unia tätige Gewerk-
schafter nicht weniger als 80 parlamentari-
schen Anfragen innert knapp zwei Monaten
ein und trug damit zur Aufklärung des Falles
bei, der bis jetzt noch nicht abgeschlossen
ist. Damals trug ihm das eine Rüge des
Staatsrates ein, der ihn zu Mässigung
mahnte, da er die Regierungs- und Parla-
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Showdown
Stefan Bühler
H
eute Sonntag gewinnt Frau
Leuthard die Abstimmung
gegen «No Billag». Das hat
man längst lesen können.
Danach wird sie zurück-
treten, hat man auch schon
lesen können. Vorher räumt sie bei der
Post noch rasch auf. Frau Leuthard ist
sehr ordentlich, das weiss man seit der
Reportage über ihre vielen Schuhe. Das
Aufräumen bei der Post nimmt allerdings
etwas mehr Zeit in Anspruch als daheim
im Schuhgestell: acht Wochen, vielleicht
mehrere Monate. Oder Jahre. Dazu gibt es
nur Spekulationen. Aber wenn einmal die
Kassenzetteli bei der Post sortiert sind,
tritt Frau Leuthard ab. Spätestens Ende
2019. Das stand in jedem Blatt. Was sie
nachher tun will, ist hingegen noch nicht
klar – obwohl auch darüber schon viel
geschrieben wurde.
Es ist allerdings völlig irrelevant, wie
sich jetzt zeigt. Denn die Eidgenossen-
schaft steht kurz vor ihrem Ende. Das
weiss man seit diesem Freitag: Für den
Zusammenhalt des Systems Schweiz
brauche es die Partei von Frau Leuthard,
die CVP, zitierte der «Tages-Anzeiger»
einen prominenten Denker und führte
dessen Gedanken fort: Der Zustand der
CVP sei derzeit «schwierig», das eigent-
liche Schmiermittel in der politischen
Mitte sei deshalb nicht so sehr die Partei,
sondern Frau Leuthard selbst.
Leider schweifte der Autor dann ab zu
Frau Leuthards bedeutenden Kochküns-
ten und übersah dabei seine eigene uner-
hörte Enthüllung: Ohne Frau Leuthard
fällt die CVP auseinander und ohne die
CVP die Schweiz. Es ist die wichtigste
Nachricht seit dem Live-Ticker vom Rütli-
schwur! Und man muss sich Frau Leut-
hards Rücktritt also vorstellen, wie wenn
zwischen dem Aaretal und dem Schwar-
zenburgerland plötzlich das untere
Gürbetal fehlte – ein gewaltiges Loch, in
das alles krachend hinabstürzt. Kurz: als
Apokalypse der Eidgenossenschaft!
mentsgeschäfte lahmlege. Auch bei den Ver-
sammlungen des Kantonsparlaments kas-
siert er hin und wieder Schelte wie ein Schul-
bub, etwa weil er bei wichtigen Diskussionen
draussen gewesen sei – Pronzini dazu: «Ich
musste mal» –, weil er den Fotokopierer für
private Zwecke benützt habe oder weil er
sich eines unflätigen Tones gegenüber den
Grossratskollegen bediene.
Tatsächlich hat Pronzini etwas von einem
rüpelhaften Teenager. Den Kopf meist leicht
nach oben gereckt, das Kinn trotzig nach
vorn geschoben, schert sich der 47-Jährige
sehr wenig um Konventionen. Sicher ist bei
seinem manchmal sehr einsamen Kampf – er
sitzt ohne Fraktion im Grossrat – auch eine
gehörige Portion Geltungsdrang dabei, doch
gibt ihm der Erfolg immer wieder recht.
Kürzlich hat sein Movimento per il Socia-
lismo eine Referendumsabstimmung gegen
die hohen Löhne und Spesenbezüge der
Bellinzoneser Stadträte gewonnen.
Um Löhne und Spesenbezüge geht es auch
in seinem jetzigen Kampf. Pronzini deckte
auf, dass die Tessiner Staatsräte jahrelang
Spesen kassierten, für die es keine rechtliche
Grundlage gab. Bereits zum zweiten Mal trat
deshalb der Tessiner Generalstaatsanwalt in
Aktion und bestellte einige Staatsräte zur
Anhörung ein.
War es früher die Lega dei Ticinesi, die der
manchmal sehr verschworenen Tessiner
Parteilandschaft zusetzte, ist es nun ein
schlafloser Gewerkschafter mit einigen weni-
gen Kampfgenossen im Hintergrund.
Barbara Hofmann ist Korrespondentin für
deutschsprachige Medien im Tessin.
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Meinungen
Raiffeisen
Starke Chefs brauchen einen
starken Verwaltungsrat
Der Vorzeigebanker Pierin Vincenz sitzt in Unter-
suchungshaft. Ausgerechnet die Lichtgestalt der popu-
lären Raiffeisen soll sich bei der eigenen Bank illegal
bereichert haben? Bewiesen ist noch nichts, es gilt die
Unschuldsvermutung. Sollten sich die Verdachts-
momente aber bestätigen, wäre der Fall ein Paradebei-
spiel dafür, wie übergrosse Machtfülle ins Debakel
führt. Eine funktionierende Gewaltenteilung ist für jede
Firma von fundamentaler Bedeutung. Besonders dann,
wenn der Chef ein machtbewusstes Alphatier ist wie im
Fall von Pierin Vincenz. Deshalb hätte der Verwaltungs-
rat als oberstes Führungs- und Kontrollorgan für Vin-
cenz ein besonders starker Sparringpartner sein sollen.
Doch bei Raiffeisen trat das Gremium jahrelang nicht in
Erscheinung. Die gutbezahlten Mitglieder profitierten
lieber vom Glanz des Konzernchefs, der zeitweise wie
ein kleiner Sonnenkönig auftrat. Präsident Johannes
Rüegg-Stürm liess zu, dass Vincenz nicht nur seine
Ehefrau zur Rechtschefin ernannte, sondern auch hastig
teure Übernahmen einfädelte. Rüegg-Stürm findet, er
habe nichts falsch gemacht. Doch sollten sich die Vor-
würfe gegen Vincenz erhärten, hilft diese Verteidigung
nichts. Hat sich der Verwaltungsratspräsident wirklich
so täuschen lassen, kann er die Raiffeisen-Gruppe nicht
mehr glaubwürdig anführen. (sal.)
USA
Nur das Volk kann die
Waffenpolitik verändern
Als am Valentinstag der 19-jährige Nikolas Cruz an einer
Schule in Parkland, Florida, mit einer halbautomati-
schen Waffe 17 Menschen niederstreckte, waren sich die
Beobachter einig: Auch diese Tragödie wird in den USA
keine politischen Folgen haben, wird zu keinen restrik-
tiveren Waffengesetzen führen. Zu stark ist die Waffen-
lobby. Zu tief verankert ist die Auffassung bei den Ame-
rikanern, Waffen seien ein Symbol für Freiheit, Selb-
ständigkeit und, ja, für die Vereinigten Staaten von
Amerika an sich. Das Massaker in Parkland scheint nun
aber doch etwas zu bewegen in den USA. Nicht in der
Politik, die ist zu sehr abhängig vom Geld der Waffen-
lobby. Aber in der Gesellschaft. Mitreissend forderten
die Überlebenden des Massakers, die Schüler von Park-
land, härtere Waffenkontrollen und bewegten damit das
ganze Land. Nun distanzieren sich zahlreiche US-Fir-
men von der mächtigen Waffenlobby NRA. Darunter
immerhin auch die weltgrösste Fondsgesellschaft
Blackrock. Firmen sind keine moralischen Instanzen.
Doch sind sie feine Beobachter, wenn es um ihre
Kunden geht. Nimmt man sie als Indikator, ist Amerika
daran, sich zu verändern. Die Politik müsste darauf
reagieren. Es wäre dem Land zu wünschen. (ami.)
Bundesrat
Bürgerliche im Winterschlaf
Dass Bundesrat Berset die AHV mit einer gesalzenen
Erhöhung der Mehrwertsteuer von 7,7 auf 9,4 Prozent
stabilisieren will, erstaunt niemanden. Für Sozialdemo-
kraten sind Steuererhöhungen seit je geeignet, um
Probleme zu lösen. Bedenklich ist jedoch, dass mindes-
tens zwei bürgerliche Bundesräte dem Kurs zugestimmt
haben. Was ist los mit ihnen? Hat die Kälte sie in einen
Winterschlaf versetzt? Die demografische Entwicklung
zeigt: Die Zahl der Menschen, die in Pension gehen, liegt
bald viel höher als die Zahl jener, die in den Arbeits-
markt eintreten. Um eine Erhöhung des Rentenalters
kommt man nicht herum. Es ist besser, das Volk darauf
vorzubereiten, als die Steuern stark zu erhöhen. Und die
bürgerlichen Bundesräte mögen bitte aufwachen. (be.)
Chappatte
Der externe Standpunkt
Schweizer Richter sollen den Konflikt
mit Europa ruhig wagen
Wer sich bei der Anwendung von Schweizer Recht vorauseilend dem
Gerichtshof in Luxemburg anpasst, erweist Europas Recht keinen
Dienst. Er behindert dessen Entwicklung, schreibt Christian Huber
D
ass ein kürzlich gefälltes Urteil des
Zürcher Obergerichts Wellen gewor-
fen hätte, ist ziemlich untertrieben.
Die obere Instanz provozierte einen
Sturm, als sie einen Entscheid des Bezirks-
gerichts Winterthur korrigierte. Dieses hatte
einen 27-jährigen deutschen Schläger verur-
teilt und dabei festgestellt, der Mann habe
die öffentliche Ordnung in der Schweiz
gestört und es bestehe Rückfallgefahr. Er sei
deswegen gemäss Artikel 66a des Schweize-
rischen Strafgesetzbuches obligatorisch des
Landes zu verweisen. Das Obergericht hob
nun die Landesverweisung auf, unter ande-
rem mit der Begründung, es sei davon auszu-
gehen, dass das Freizügigkeitsabkommen
mit der EU Vorrang habe vor dem Landes-
recht. Beschränkungen der Personenfrei-
zügigkeit akzeptiere der Europäische
Gerichtshof (EuGH) aber nur zurückhaltend.
Hier ist nicht der Ort für eine Urteils-
schelte, zumal die Staatsanwaltschaft das
Urteil ans Bundesgericht weitergezogen hat,
womit es noch nicht rechtskräftig ist. Offen-
kundig birgt das Urteil aber politischen
Zündstoff, weil hier – folgt man der Bericht-
erstattung in den Medien – schweizerische
Richter die Frage, wann die öffentliche Ord-
nung der Schweiz in einem für eine Landes-
verweisung ausreichenden Mass gestört sei,
unter Berufung auf die in vorauseilendem
Gehorsam vorweggenommene Ansicht eines
ausschliesslich mit ausländischen Richtern
besetzten Gremiums beantworten. Die
Selbstbestimmungsinitiative lässt grüssen.
In unserem Fall wendet ein schweizeri-
sches Gericht Völkerrecht vor Landesrecht
an. Das ist nach der gegenwärtigen Rechts-
lage allenfalls begründbar, weil gemäss
Artikel 190 der Bundesverfassung Bundes-
gesetze und Völkerrecht für das Bundes-
gericht und die anderen rechtsanwendenden
Behörden massgebend sind. Man kann dies
als gesetzgeberischen Sündenfall verstehen,
weil der Konfliktfall zwischen Landesrecht
und Völkerrecht damit nicht geregelt ist und
weil damit das schweizerische Bundesgericht
die Verfassungsmässigkeit schweizerischer
Gesetze nicht überprüfen darf, wohl aber
deren Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.
Ein Schweizer Gericht nimmt hier also
vorweg, wie wohl der EuGH die Frage beant-
worten würde, wann die öffentliche Ord-
nung der Schweiz in erheblichem Ausmass
gestört sei. Aus ökonomischer Sicht mag es
für einen Richter tatsächlich keinen Sinn
ergeben, ein Urteil zu fällen, wenn er auf-
grund der Rechtsprechung in Lausanne und,
nachgeordnet, des EuGH mit einer Auf-
hebung seines Richterspruchs rechnen darf.
Dennoch ist dies aus zwei Gründen disku-
tabel. Zum einen ist zuallererst der schweize-
rische Richter – wer denn sonst? – zur
Prüfung der Frage berufen, wann die öffent-
liche Ordnung der Schweiz in einem für eine
Landesverweisung ausreichenden Mass
gestört sei. Sollte es zutreffen, dass das
Obergericht im Fall des deutschen Schlägers
diese Frage nicht nur nach den Kriterien der
schweizerischen Rechtsprechung beurteilt
Christian Huber
Christian Huber, 73, diente im Kanton
Zürich als Staatsanwalt, Oberstaatsanwalt,
Oberrichter und Präsident des Geschwore-
nengerichts. Von 1999 bis 2005 sass er
für die SVP im Zürcher Regierungsrat. Seit
seinem Rücktritt lebt er auf einem zum
Hausboot umgebauten Frachtschiff auf
den europäischen Wasserstrassen.
15
hätte, so wäre dies befremdlich. Befremdlich
deshalb, weil dann der Schweizer Richter
innerstaatliche Fragen wie solche der
nationalen Sicherheit und bald einmal der
Asyl- und Immigrationspolitik und der Ter-
rorismusbekämpfung nicht mehr selbst
beantwortet, sondern die Antwort bei Rich-
tern einholt, die als Mitglieder des EuGH
keine ausgebildeten Richter zu sein brau-
chen und die etwa aus Bulgarien, Griechen-
land, Kroatien, Litauen, Polen oder Slowe-
nien stammen können. Damit sei ihnen
nicht fachliche Kompetenz abgesprochen,
wohl aber die sachliche Urteilskompetenz,
wann die öffentliche Ordnung in unserem
Land in welchem Ausmass gestört ist.
Niemand kann dies besser beurteilen als der
nationale Richter.
Zum andern kommt man nicht um die
Tatsache herum, dass die Schweiz ganz
bewusst keine Verfassungsgerichtsbarkeit
kennt: Verfassungsrichter haben nämlich
eine derartige Gestaltungsmacht, dass ihre
Auswahl – das Beispiel des Supreme Court in
den USA zeigt es – ein hochpolitischer Akt
mit grossem Missbrauchspotenzial ist. Wen-
det aber ein Schweizer Richter das Recht, das
in einem demokratischen Gesetzgebungs-
prozess zustande gekommen ist, nicht an
und beruft sich dabei auf die möglicherweise
abweichende Rechtsprechung eines Euro-
päischen Gerichtshofes, so nimmt er für sich
nicht nur verfassungsrichterliche Kompe-
tenz in Anspruch. Nein, sein richterlicher
Kleinmut verhindert auch die Fortent-
wicklung der Rechtsprechung. Ein Entscheid
des EuGH kann sich im Laufe der Zeit als
falsch oder überholt erweisen. Fällt der
nationale Richter nun ein vom Präjudiz –
wenn es denn ein solches gibt – abweichen-
des Urteil, so gibt er damit dem Europäi-
schen Gerichtshof die Gelegenheit, seine
Rechtsprechung zu ändern oder aber, mit
erweiterter Begründung, seine Praxis zu
festigen. Eigenständige Schweizer Urteile
können sogar der Europäischen Rechts-
entwicklung dienen.
16
49 Prozent
Volles Haar, tote Hose
Patrick Imhasly
A
ls mein jüngerer Sohn vor ein
paar Jahren unsere Familie zeich-
nete, stellte er mich als eine Art
Papa Moll dar – eine Vaterfigur
zum Knuddeln mit fünf einzelnen Haaren
zuoberst auf dem Kopf. Als ich das sah,
wurde mir endgültig bewusst: Ich kriege
eine Glatze.
Der Prozess des Haarelassens hatte schon
lange vorher begonnen. Die ersten kahlen
Stellen zeigten sich an den Schläfen, wo sich
die Geheimratsecken immer weiter gegen
den Scheitel frassen. Die Stirn wurde höher,
das Haupt lichter. Heute ist es nur noch eine
Frage der Zeit, bis sich auf meinem Hinter-
kopf eine Tonsur bildet, die kahle Stirn sich
mit ihr verbindet und das Werk in seiner
ganzen Schlichtheit vollendet wird. Früher
habe ich mir noch den Luxus geleistet, bei
einer angesagten Hair-Designerin 80 Fran-
ken für den Haarschnitt plus Kopfmassage
hinzublättern, heute reichen 26 Franken alle
sieben Wochen in einem bescheidenen Coif-
feurladen für einen Maschinenschnitt. Wobei
ich die Hoffnung immer noch nicht ganz
aufgegeben habe, dass wenigstens ein biss-
Die E-Mail-Debatte
«Doris Leuthard als zukünftige
Freiwillige bei Greenpeace?»
Was dürfen Alt-Bundesräte tun? Andrea Caroni und Mattea Meyer streiten über
das Verhalten von Leuenberger, Merz, Dreifuss – und Widmer-Schlumpf
Mattea Meyer
Geschätzter Kollege, die Medien übertrump-
fen sich zurzeit mit Mutmassungen zum
angeblich baldigen Rücktritt von Bundes-
rätin Doris Leuthard. Einige sehen sie als
künftige Präsidentin der Raiffeisenbank. Ich
halte wenig von Spekulationen: Sie geht
dann, wenn sie geht. Trotzdem: Ein Rücktritt
aus dem Bundesrat bedeutet nicht zwingend
Ruhestand. Vor welchen Mandaten haben Sie
alt Bundesrat Hans-Rudolf Merz gewarnt, als
Sie seine rechte Hand waren?
Andrea Caroni
Geschätzte Kollegin, über den Rücktritt von
Bundesrätin Leuthard wissen wir dank ihrer
Ankündigung immerhin, dass er bis spätes-
tens Ende 2019 stattfinden wird. Somit wird
sie am Ende ihrer Bundesratskarriere höchs-
tens 56 Jahre alt sein. Damit erreicht sie
sogar nach sozialdemokratischen Vorstellun-
gen ihr Rentenalter noch nicht. Es ist also
naheliegend, dass sie sich noch Mandate in
der Wirtschaft anlachen wird. Die Situation
von alt Bundesrat Hans-Rudolf Merz war
beim Rücktritt 2010 anders, war er damals
doch bereits 68 Jahre alt. Eine Rückkehr ins
frühere Berufsleben stand nicht an, ebenso
wenig suchte er neue politische Mandate,
ganz nach dem Motto «servir et disparaître».
Sein einziges Mandat seither ist das ehren-
amtliche Präsidium der «Patenschaft für
Berggemeinden». Die von Ihnen erwähnte
Warnung hätte hingegen Ihr Parteifreund,
der ebenfalls 2010 zurückgetretene alt Bun-
desrat Moritz Leuenberger, gebrauchen
können, bevor er der Implenia beitrat. Sehen
Sie für solche Fälle Handlungsbedarf?
Mattea Meyer
Der nahtlose Wechsel des Ex-Infrastruktur-
ministers Moritz Leuenberger zu einer Bau-
firma, die staatliche Aufträge im grossen Stil
erhält, hat zu Recht Fragen aufgeworfen. Im
Nachgang dazu debattierte das Parlament
eine Wartefrist von zwei Jahren für zurück-
getretene Bundesräte, das hätte ich begrüsst.
Der Ständerat lehnte eine solche Regelung
Meinungen
chen etwas meiner ehemals seidenen Haar-
pracht übrig bleiben wird.
Ich bin beileibe nicht der Einzige, der sich
mit solch haarigen Problemen herumschlägt.
Laut Schätzungen leiden in der Schweiz rund
zwei Millionen Männer unter Haarausfall. Wenn Frauen
Dabei handelt es sich nicht um eine Krank- etwas an
heit, und doch macht der Verlust der Haare Männern stört,
vielen Männern heftig zu schaffen. Sie schä-
ist es nicht die
men sich, fühlen sich beschädigt und glau-
ben, sie seien vom Kreis der Starken und Glatze an sich,
Erfolgreichen für immer ausgeschlossen. sondern das
Nicht jeder kann Haare wie George Clooney ständige
haben, aber so etwas in der Liga des Bond- Klagen über
Darstellers Daniel Craig dürfte es schon sein,
denken viele. Doch was kann der Mann in die Glatze.
dieser schwierigen Situation tun?
Gänzlich abzuraten ist von der Einnahme
von Präparaten wie Propecia, die den Wirk-
stoff Finasterid enthalten. Zwar stoppen
diese den Haarausfall, aber nur, wenn man
sie ständig einnimmt. Werden die Präparate
abgesetzt, fallen einem die Haare in der
Regel noch viel stärker aus. Vor allem aber
greift Finasterid tief in den Hormonhaushalt
ein und hat mitunter böse Nebenwirkungen:
verminderte Libido, Erektionsstörungen und
vielleicht auch Depressionen – volles Haar,
aber tote Hose, wie die «Zeit» jüngst schrieb.
In Deutschland klagen deshalb jetzt betrof-
fene Männer gegen die Hersteller von Haar-
wuchspräparaten.
Beim Haarersatz durch eine künstliche
Kopfhaut – besetzt mit echten Haaren – sind
die gesundheitlichen Risiken eindeutig klei-
ner, nicht aber die Abhängigkeit, in die der
jedoch ab. Grundsätzlich lässt sich sagen:
Debattierer Bundesräte erhalten eine grosszügige Pen-
sion, sie sind nach ihrem Rücktritt nicht auf
fürstlich entschädigte Verwaltungsrats-
mandate angewiesen. Mich beeindruckt alt
Bundesrätin Ruth Dreifuss, die sich in Genf
freiwillig für die Rechte von Menschen ohne
Aufenthaltsbewilligung, die Sans-Papiers,
engagiert – zusammen mit Ihrem Parteikolle-
gen, FDP-Staatsrat und Fast-Bundesrat
Pierre Maudet. Das zeugt von Grösse.
Umweltministerin Doris Leuthard als
Mattea Meyer, 30, zukünftige Freiwillige bei Greenpeace? Das
ist Nationalrätin der wäre auch nicht schlecht, oder?
SP aus dem Kanton
Zürich. Sie ist Andrea Caroni
Co-Präsidentin der Was ich im Falle von alt Bundesrat Leuenber-
SP Winterthur ger geradezu unterirdisch fand, war seine
und Co-Präsidentin spätere Aussage, er sei nur zu Implenia
der Sans-Papiers- gegangen, um die SP zu ärgern. Zu Recht
Plattform Schweiz. hielt danach der Bundesrat in seinem Hand-
buch fest, dass ausscheidende Bundesräte
bei Erwerbs-Mandaten Sorgfalt walten
lassen und Interessenkonflikte mit dem frü-
heren Amt vermeiden sollen. Eine weiter-
gehende gesetzliche Karenzfrist braucht es
aber nicht. Schade wäre es, wenn Bundesräte
ihre enorme Erfahrung der Gesellschaft
völlig vorenthalten würden. Ob sie sich dabei
politisch, wirtschaftlich oder gesellschaftlich
engagieren wollen, müssen sie selber wissen.
Sie sollten aber eine klare Linie haben. Oder
Andrea Caroni, 37,
ist FDP-Ständerat
wie fanden Sie es, als alt Bundesrätin Wid-
mer-Schlumpf verkündete: «Sie werden von
aus dem Kanton mir sicher keine Kommentierung der Bun-
Appenzell Ausser- despolitik hören», dann aber flugs als
rhoden. Er arbeitet Schlachtross gegen die (eigene!) Unterneh-
als Rechtsanwalt
und ist Vizepräsident
menssteuerreform und später dann für die
AHV-Reform ins Feld zog?
der FDP Schweiz.
Mattea Meyer
Alt Bundesrätin Widmer-Schlumpf hat bei
der Debatte zur Unternehmenssteuer-
reform III das gemacht, was Sie wollen: ihre
Erfahrung in der Gesellschaft einbringen. Als
ehemalige Finanzministerin hat sie die
Reform ins Rollen gebracht – das Parlament
hat kein Mass gekannt und daraus einen
Mann mit dem schütteren Haar sich begibt:
Der Haarersatz kostet ein paar Tausend Fran-
ken und muss je nachdem alle zwei bis fünf
Monate ausgetauscht werden. Bleibt die
Option, aufs Ganze zu gehen und sich den
Schädel vollständig kahl rasieren zu lassen.
Das ist ein mutiger Schritt und als solcher zu
begrüssen – aber auch nicht ganz ohne
Gefahren. Vollglatzen stehen vor allem Män-
nern mit einem markanten Gesicht, rundem
Schädel und gebräunter Haut: Eigenschaf-
ten, die bei uns blutarmen Nordländern
leider nicht allzu häufig anzutreffen sind.
Eine Frisur allein macht allerdings noch
keine Ausstrahlung, deshalb sollte man die
Bedeutung der Haare nicht überbewerten
– vor allem aber ihren Verlust mit Würde
tragen. Es stellt ja auch eine grossartige
Chance für einen Mann dar, wenn seine
Erscheinung nicht mehr von den Haaren
dominiert wird und sich seine Persönlichkeit
stattdessen in den Gesichtszügen entfalten
kann. Schütteres Haar irritiert einen Mann in
erster Linie bei sich selbst, bei andern Män-
nern wirkt es wie selbstverständlich. Und
wenn Frauen etwas an Männern stört, ist
es nicht die Glatze an sich, sondern das
ständige Klagen über die Glatze. Ist Ihnen
übrigens aufgefallen, dass sich Roger Fede-
rers rechte Geheimratsecke verdächtig in die
Länge gezogen hat? Federer ist eine Stil-
ikone. Wir dürfen gespannt sein, wie er mit
dem Thema umgeht.
Patrick Imhasly ist Redaktor im Ressort
Wissen bei der «NZZ am Sonntag».
Selbstbedienungsladen für Grosskonzerne
gemacht. Es ist gerechtfertigt, dass sie als
verdiente Alt-Bundesrätin Stellung bezieht.
Grösseren Handlungsbedarf als bei Manda-
ten von zurückgetretenen Bundesräten sehe
ich bei uns selber, den amtierenden Parla-
mentarierinnen und Parlamentariern. FDP-
Bundesrat Ignazio Cassis war als Nationalrat
Präsident des Krankenkassenverbands Cura-
futura. Wohl nicht nur aus Liebe zum Arzt-
beruf, sondern auch zum Geld, hat er dafür
doch satte 180 000 Franken pro Jahr kassiert.
Hier braucht es Transparenz und Regeln.
Andrea Caroni
Es ist ein No-Go, sich als Alt-Bundesrätin in
die Geschäfte des Nachfolgers einzumischen.
Wer seine alten Dossiers weiterführen will,
soll sich der Wiederwahl stellen. Zum Parla-
ment: Just diese Woche folgte der Ständerat
meinem Antrag, dass wir Parlamentarier
offenlegen sollen, welche unserer Mandate
ehrenamtlich sind und welche entschädigt.
Dabei sind Krankenkassen nicht anders zu
behandeln als Umweltverbände oder
Gewerkschaften. Ich persönlich nehme über-
haupt keine Lobby-Mandate an – und Sie?
Mattea Meyer
Ich engagiere mich ehrenamtlich als Co-Prä-
sidentin der nationalen Plattform für Sans-
Papiers. Bezahlte Mandate hingegen finde
ich problematisch, denn damit wird Politik
käuflich. Die Demokratie bleibt auf der Stre-
cke. Ihr Antrag in Ehren, aber viel mehr als
ein Feigenblatt ist es nicht, solange nicht
auch angegeben werden muss, wie viel Geld
jemand erhält. Weshalb lassen Sie die Bevöl-
kerung darüber im Dunkeln?
Andrea Caroni
Ich habe den Antrag – anders als Sie im Natio-
nalrat – immerhin durchgebracht. Entschei-
dend ist der Grundsatz: Wo man etwas
erhält, entsteht eine gewisse Schuld – nicht
aber beim Ehrenamt. Eine Offenlegung der
exakten Löhne aber wäre mit Blick auf die
Privatsphäre unverhältnismässig.
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Alles, was Recht ist
Gute Luft vor
freier Fahrt
– aber wie?
Markus Felber
D
as deutsche Bundesverwal-
tungsgericht war diese
Woche vermutlich für viele
Bürger der Bösewicht der
Nation, weil es anstelle der
säumigen Politik eine Wei-
chenstellung vornehmen musste, die in
mehreren Städten zu Fahrverboten für
weniger saubere Dieselfahrzeuge führen
könnte. Freie Fahrt im eigenen Auto gilt
im nördlichen Nachbarland als eine Art
Grundrecht. Und das erklärt vermutlich,
warum Regierung und Verwaltung beide
Nasenlöcher verschlossen ob der dicken
Strassenluft in mancher Stadt. Umso
mutiger ist das Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts, das klar verlangt, dass gute
Luft vor freier Fahrt kommt.
Was aber, wenn die Politik sich einfach
weigern und Obstruktion machen würde?
Dass die Frage nicht ganz abwegig ist,
zeigt Bayern, wo das Verwaltungsgericht
München die Vorbereitung solcher Fahr-
verbote verlangt hatte. Vorgelegt wurde
von der Staatsregierung aber lediglich ein
Papier, das von der Richterin als «Blabla
auf einer halben Larifari-Seite» abgekan-
zelt wurde. Das Gericht verhängte des-
halb ein Zwangsgeld von 4000 Euro
gegen die Regierung. Erwogen, aber
verworfen wurde die Idee, als Druck-
mittel die Umweltministerin in Beugehaft
zu nehmen. Die Sanktionsmöglichkeiten
der Justiz seien beschränkt, räumte die
Richterin ein und meinte, es sei ein
Unding und im Gesetz nicht vorgesehen,
dass der Staat ein Gerichtsurteil miss-
achte. Besonders pikant: Das Zwangsgeld
muss vom Umweltministerium ans
Innenministerium bezahlt werden und
kostet den Staat daher unter dem Strich
rein gar nichts.
Justitia benötigt nicht nur eine Waage,
um austarierte Entscheidungen zu fällen,
sondern auch ein Schwert, um das Verdikt
zu vollziehen. Gegenüber Privaten setzt
der Staat die Urteile der Justiz durch.
Gegenüber dem Staat selber aber ist
Justitias Schwert stumpf. Das Bild zeigt
deutlich, dass der Rechtsstaat nur funk-
tioniert, wenn die drei Gewalten sich
gegenseitig respektieren.
Markus Felber war NZZ-Bundesgerichts­
korrespondent.
Strittis Schlagzeile
Zur chinesischen Beteiligung am
Autohersteller Daimler.
Die Chinesen
sollen lieber
den Berliner
Flughafen
fertig bauen.
Hermann Strittmatter ist Gründer und Leiter
der Werbeagentur GGK in Zürich.
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Meinungen 17

Nachruf

Gesandter der Sowjetunion Luigi Taveri, 88

E
r war so populär, dass er als Zürcher
am Corso der Badenfahrt, des Bade-

Walentin Falin, Diplomat, Mitarchitekt der deutsch-sowjetischen Entspannung ner Volksfestes, teilnehmen durfte.
An zwei Augustsonntagen im Jahr
1967 fuhr Luigi Taveri von einer vieltausend-
und Berater von Gorbatschow, ist 91-jährig gestorben. Von Urs Tremp köpfigen Zuschauerschaft beklatscht in
voller Töffrennfahrermontur durch Badens

A
Altstadtgassen. «Räder machen Leute», hiess
m Ende hatte Walentin Falin für auch seine Frau, die gleichfalls fliessend das Festmotto. Ein Jahr zuvor war er auf

SVEN SIMON / IMAGO

Michael Gorbatschow nur noch
Verachtung übrig. «Prinzipienlos»
habe dieser gehandelt und so die
Chance für einen dauerhaften Frieden zwi-
schen Ost und West verspielt. Dabei war es
Falin selbst gewesen, der den letzten Gene-
ralsekretär der Kommunistischen Partei der
Sowjetunion ab Mitte der achtziger Jahre bis
zum Ende des Regimes beraten hatte.
Walentin Falin war zeit seines Lebens eine
schillernde Figur. Unter mehreren Sowjet-
herrschern gehörte er zur Parteinomenkla-
tura, und er billigte etwa ausdrücklich die
Niederschlagung des Prager Frühlings 1968.
Gleichzeitig aber war Falin auch nonkon-
formistischer Denker und intern Kritiker der
Sowjetpolitik.
Im Ausland, vor allem in Deutschland, wo
Falin von 1971 bis 1978 Botschafter war, galt
er als Ausnahmeerscheinung in der Diploma-
tenriege der grauen sowjetischen Apparat-
schiks. Er war jünger und pflegte einen eher
bürgerlichen Habitus. «Spiegel»-Herausgeber
Rudolf Augstein beschrieb ihn einmal als
Deutsch sprach – Freundschaften. Doch ein einer 125er-Maschine zum dritten Mal Welt-
Freund der Deutschen war er nicht. «Unter meister und zum Schweizer Nationalhelden
den 27 Millionen sowjetischen Bürgern, die geworden. Nicht nur die WM-Titel hatten
der Invasion Hitlers zum Opfer fielen, waren den Nachfahren italienischer Einwanderer
27 Menschen mit mir verwandt oder ver- zum Publikumsliebling gemacht. Der klein-
schwägert», sagte er einmal. Die meisten gewachsene Mann hatte keinerlei Star-
von ihnen waren Opfer der Leningrader allüren, war bereit, für seinen Sport alles zu
Blockade geworden, als die Deutschen die geben und wirkte dabei sympathisch.
Bewohner der Stadt verhungern und erfrie- 1929 war er in Horgen am Zürichsee zur
ren liessen. Das konnte und wollte Falin Welt gekommen. Als 22-Jähriger fuhr er erste
nicht vergessen. Ebenso allerdings vergass er internationale Rennen. In der Schweiz
nie die Angst, die er als Bub gehabt hatte, gewann er in den fünfziger Jahren mehrere
dass die Häscher Stalins während der soge- nationale Titel. International schaffte er den
nannten grossen Säuberungen den Vater Sprung nach ganz oben, als er ab 1962 auf
abholen könnten. «Ich war elf Jahre alt, als einer Honda-Maschine startete. Ende der
wir jeden Tag darauf warteten, dass er ver- sechziger Jahre beendete Taveri die Profi-
haftet wird. Ich habe ihm geholfen, die karriere, eröffnete in Wädenswil eine Karos-
Bücher aus seiner Bibliothek zu verbrennen, seriewerkstatt, widmete sich der Familie
da waren Schriften von Bucharin und und sagte rückblickend: «Ich bin von Dank
Trotzki. Eines davon hätte genügt, dass man erfüllt, dass mir auf den Rennstrecken nie
in die Verbannung oder gleich in den Tod etwas Schlimmes zugestossen ist.» (utr.)
geschickt wurde.»
Einfach war Falins Aufgabe als sowjeti-
scher Botschafter in der Bundesrepublik
Sridevi, 54

«eine übrig gebliebene Tschechow-Gestalt
mit Kummerkastengesicht».
Geboren wird Walentin Falin 1926 in
Leningrad. Seine Heimatstadt war einein-
halb Jahre zuvor von St.Petersburg in Lenin-
grad umgetauft worden. Falins Belesenheit
und sein Faible für die Kunst nährten später
das Gerücht, er stamme aus einer alten
russischen Adelsfamilie. Aber «mein Vater
stammte aus einer Bauernfamilie. Doch er
entwickelte früh eine Vorliebe für Bücher.»
Die Liebe zur Hochkultur, zu Kunst und Lite-
ratur ging offenbar an den Sohn über. Dass
Walentin Falin früh Deutsch lernte und die
deutsche Kultur liebte, sollte für sein Leben
entscheidend werden.
Anfang der fünfziger Jahre, nach dem
Studium an der Moskauer Diplomatenakade-
mie, gehörte Falin zur sowjetischen Kontroll-
kommission für Deutschland. Er war immer
wieder entscheidend beteiligt, wenn es um
das schwierige Verhältnis der Sowjetunion
zum Kriegsgegner Deutschland ging – um die
geteilte Nation, um den Status von Berlin.
Zwar liebte Falin die deutsche Kultur, und
mit einigen Deutschen verbanden ihn – und
Deutschland nicht. Zwar war er überzeugter
Sowjetkommunist. Doch er war auch ein
Pragmatiker mit dem Gespür für das Mög-
liche – und das Nicht-Mögliche. Dies, gepaart
mit gegenseitiger persönlicher Sympathie,
machten ihn und Egon Bahr, den Spitzen-
diplomaten auf deutscher Seite, zu einem
wirkungsmächtigen Duo. Falin sagte später,
sie hätten beide gewusst, dass man um eine
Wiedervereinigung Deutschlands nicht
herumkommen werde. Aber Anfang der
siebziger Jahre musste diese Frage noch aus-
geklammert werden. «Wandel durch
Annäherung» versprach darum der deutsche
Kanzler Willy Brandt. Daraus resultierte
immerhin der Grundlagenvertrag, für Falin
«eine der wirkungsvollsten Regelungen der
Nachkriegszeit».
Zeitweise liebäugelte Falin mit einem
Rückzug aus der Politik. Die Leitung der
Leningrader Eremitage hätte den Kunst-
freund gereizt. Doch er wechselte nach der
Botschaftertätigkeit in Bonn in die Inter-
nationale Abteilung des Zentralkomitees der
Partei in Moskau. Möglicherweise, weil ein
Stiefsohn sich in den Westen abgesetzt hatte,
war er dort allerdings bald nicht mehr gelit-
ten. Er übernahm Aufgaben bei der Zeitung
«Iswestija» und der Nachrichtenagentur
Nowosti. Gorbatschow holte ihn als Berater
zurück in die Diplomatie. Nun erlebte er an
Gorbatschows und Kohls Seite, was er zwan-
zig Jahre zuvor schon als unumgänglich
angesehen hatte: die deutsche Einheit.
Der Zusammenbruch der Sowjetunion war
für Falin dann aber ein «politisches Chaos
ohne Perspektive». Nun zog er sich endgültig
zurück. Er lebte einige Jahre in Hamburg,
schrieb die Habilitationsschrift als Historiker
(«Die zweite Front» über den Hitler-Stalin-
Pakt), veröffentlichte seine Memoiren und
trat öffentlich in Ost und West als Zeitzeuge
auf und tat – zuweilen gallig – seine Sicht der
Dinge kund. So fand er es etwa geschichts-
blind, dass seine Heimatstadt Leningrad
wieder zu St.Petersburg wurde: «Leningrad
ist ein selbständiger Begriff geworden und
ein Symbol dessen, was im Zweiten Welt-
krieg geschah: Eine Million Menschen star-
ben als Leningrader und nicht als Sankt
Petersburger. Oder sollen wir jetzt auch ihre
Grabmäler umbenennen?»
D
Moskaus deutsche
Stimme: Walentin en hinduistischen Gott Murugan als
Falin (links) im Kind zu spielen – das war 1967 die
Gespräch mit dem erste Rolle für Shree Amma Yanger
deutschen Kanzler Ayyapan. Aus dem damals knapp
Willy Brandt. (1970) vierjährigen Mädchen sollte später Sridevi
werden, einer der grössten Stars in Bolly-
wood. Schon zwei Jahre später übernahm sie
die erste Hauptrolle in einem Film. Rasch
schlossen sich weitere Engagements an,
wobei der Kinderstar in den vier indischen
Sprachen Tamil, Telugu, Malayalam und
Kannada auftrat. Später kam Hindi hinzu.
Geboren wurde sie 1963 im südindischen
Sivakasi. Ihre Mutter träumte davon, die
Tochter werde sich in der Welt der Musik und
des Tanzes betätigen. Das sollte sich erfüllen.
Sridevi spielte, sang und tanzte in Hunderten
von Filmen wie «Mr. India» und «Lamhe». In
den achtziger und neunziger Jahren, auf dem
Zenit ihrer Karriere, lehnte sie Angebote aus
Hollywood ab. Nach der Geburt ihrer zwei
Töchter zog sie sich für einige Jahre zurück.
Ihr Comeback mit «English Vinglish» wurde
2012 zum Grosserfolg. Nun starb Sridevi bei
einem Unfall in einem Hotel in Dubai. (dme.)

Das historische Bild Castelgandolfo, 20. Juli 1969

Ganz gefahrlos war der erste
Mondflug auch für die Kirche
nicht. Immerhin hätte man dort
oben Spuren finden können, die
zum Beispiel die Schöpfungs-
geschichte in Zweifel gezogen
hätten. Ob solcherlei Sorgen
den Papst dazu bewogen haben,
die Landung live am Fernsehen
mitzuverfolgen, ist unbekannt.
Fest steht, dass sich Paul VI.
für die Raumfahrt interessiert.
Weilt er in der Sommerresidenz
in Castelgandolfo bei Rom,
besucht er stets die Sternwarte.
Auch an jenem Tag betrachtet
er durch das Teleskop die Stelle,
an der Neil Armstrong bald
seinen ersten Schritt tun wird.
Um 22 Uhr 17 italienischer
Zeit setzt die Fähre auf. Paul VI.
hebt kurz seine beiden Arme.
Danach richtet er per Radio auf
Italienisch eine Botschaft an die
Welt, dann auf Englisch an die
Astronauten: «Ehre, Gruss und
Segen Euch, Eroberer des
Mondes, des bleichen Lichts
unserer Nächte und unserer
Träume.» Und wie um die Frage
nach dem Ursprung zu klären,
fügt er an: «Bringt dem Mond
die Stimme des Geistes, eine
Hymne auf Gott, unseren
Schöpfer und Vater.» (dme.)
BETTMANN ARCHIVE / GETTY IMAGES
 18 Hintergrund Kriminalität
Der Tatort: Polizisten und
Kriminaltechniker kurz nach der
Tat vor dem Haus der Familie
Schauer in Rupperswil.
(21. Dezember 2015)
PATRICK B. KRAEMER / KEYSTONE
WALTER BIERI / KEYSTONE
DerMördervon
Es ist eines der brutalsten Verbrechen der Schweizer Kriminalgeschichte. Der Vierfachmord von Rupperswil komm
A
m Anfang stand ein Feuer-
alarm. «Nr. 54 – 11:20 Brand/
Mittel, in Rupperswil, Lenz-
hardstrasse», steht im Proto-
koll der örtlichen Feuer-
wehr. Es ist der Morgen des
21. Dezembers 2015, eine
Nachbarin sieht Qualm aus einem Fenster des
einseitig angebauten Einfamilienhauses der
Familie Schauer dringen. Praktisch zeitgleich
treffen Carla Schauers Eltern ein. Sie wollen
Geschenke für die Tochter und die Enkel vor-
beibringen, vier Tage noch bis Weihnachten.
Der Vater stürzt ins Haus, doch er kommt
nicht weit; das obere Geschoss ist bereits vol-
ler Rauch.
Von diesem Moment an ist nichts mehr, wie
es einmal war. In Rupperswil (AG) – 5400 Ein-
wohner, ein ehemaliges Bauerndorf zwischen
Aarau und Lenzburg, in dem man sich auf der
Strasse noch grüsst – wird es fortan eine neue
Zeitrechnung geben: Es gibt ein Davor und ein
Danach. Das Ausmass des Schreckens sickert
portionenweise in das Bewusstsein der
Öffentlichkeit und wird von Stunde zu Stunde
unfassbarer. Die Feuerwehrmänner finden
vier Tote im Haus. Sie sind gefesselt und ge-
knebelt. Ihre Kehlen sind durchgeschnitten.
Tage später ist die Gegend tapeziert mit Zeu-
genaufrufen. Sie zeigen ein Bild von Carla
Schauer, aufgenommen von einer Über-
wachungskamera, als sie angespannt an
einem Bankschalter fast 10 000 Franken be-
zieht – in der Hoffnung, dass das Geld ihre
Kinder retten wird, die zu dem Zeitpunkt
schon Geiseln sind. Doch das tut es nicht.
Das Tötungsdelikt von Rupperswil ist grau-
samer, brutaler und aussergewöhnlicher als
die meisten anderen Verbrechen, die in der
Schweiz begangen wurden. Zum einen wegen
der zufälligen Auswahl der vier Opfer sowie
der Skrupellosigkeit und Kaltblütigkeit des
mutmasslichen Täters. Zum anderen, weil
eben dieser bis an jenem Montagmorgen als
unbescholtener Bürger galt, der nette Nachbar
von nebenan. «Er ist ein unbeschriebenes
Blatt», sagte Staatsanwältin Barbara Loppa-
cher 146 Tage nach der Tat und 24 Stunden
nach der Verhaftung von Thomas N. Jetzt, fast
zwei Jahre später, wird ihm der Prozess ge-
macht: Ab dem 13.März steht Thomas N. vor
Gericht. Die Verhandlung ist der vierte und
letzte Akt eines der dunkelsten Kapitel der
Schweizer Kriminalgeschichte.
1. Das Verbrechen
Er ist gut vorbereitet. In seinem Kopf hat er
wohl schon oft getötet. Er muss die Tat ge-
danklich immer und immer wieder durch-
Die Fahndung: Flugblatt zum
Zeugenaufruf mit einem Bild
der ermordeten Carla Schauer.
(24. Dezember 2015)
gespielt haben, bevor er sich frühmorgens
aufmacht, um vier Leben auszulöschen. Es ist
kurz nach sieben. Er beobachtet das Haus, in
dem Carla Schauer, 48, mit ihren Söhnen
Dion, 19, und Davin, 13, und mit ihrem
Lebenspartner wohnt. Drinnen schickt Carla
Schauer ihrem älteren Sohn via Facebook ein
Smiley mit Herzkuss – als Reaktion auf die
Meldung, dass sie seit fünf Jahren auf im
sozialen Netzwerk miteinander befreundet
sind. Ihr Lebenspartner macht sich derweil
bereit für die Arbeit, etwa um 7 Uhr 15 bricht
er auf. Kaum ist er weg, schlägt Thomas N. zu.
«Der Täter verschaffte sich mittels einer
List Zutritt zum Haus und brachte die vier an-
wesenden Personen unter seine Kontrolle»,
sagt Markus Gisin, Chef der Kriminalpolizei
Aargau, kurz nachdem Thomas N. alles ge-
standen hat. Im Haus befinden sich Carla
Schauer mit ihren Söhnen Davin und Dion so-
wie dessen Freundin Simona, 21; auch sie
wohnt in Rupperswil. «Indem Thomas N. den
jüngeren Sohn bedrohte, zwang er Carla
Schauer, den älteren Sohn und seine Freundin
zu fesseln und zu knebeln», sagt Gisin.
Was sich genau zuträgt in diesen letzten
Stunden in dem Haus, das zum makabren
Familiengrab werden sollte, weiss niemand
ausser dem mutmasslichen Täter. Wie gross
die Ängste und die falschen Hoffnungen der
Opfer sind, wird niemand je erfahren. Carla
Schauer muss den Mann zumindest vom Se-
hen her gekannt haben, wird vielleicht gerade
deshalb bis zuletzt geglaubt haben, dass er sie
alle gehen lässt, wenn sie tut, was er befiehlt.
Er befiehlt ihr, Geld zu besorgen. Bevor
Carla Schauer aufbricht, klingelt die Nachba-
rin an der Tür, es ist 9 Uhr 30. Sie will Chilli ab-
holen, Schauers Malteser-Hündin. Die Nach-
barin wird später aussagen, Carla Schauer sei
ungeschminkt gewesen, kurz angebunden.
Kein Wort über die Gefahr, das Drama bleibt
verborgen. Danach fährt Carla Schauer weg.
Um 9 Uhr 50 bezieht sie beim Geldautomaten
an der Poststrasse in Rupperswil 1000 Euro.
Er gibt zu wenig her. Sie fährt weiter, steht um
10 Uhr 10 am Schalter der Aargauischen Kan-
tonalbank Wildegg und hebt 9850 Franken ab.
Das Bild der Überwachungskamera zeigt ihr
angespanntes Gesicht, den Blick nach unten
gerichtet. Sie schlägt nicht Alarm. Zu gross die
Angst – oder gross genug die Hoffnung, das
gleich alles vorbei sein wird.
«Die Tötung der anwesenden Personen war
vom Täter von Anfang an geplant», wird
Staatsanwältin Barbara Loppacher später sa-
gen. Doch bevor er tötet, labt er sich weiter an
seiner absoluten Macht. Carla Schauer ist um
10 Uhr 30 zurück im Haus und übergibt ihm
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Das Tatwerkzeug: Ein Rucksack
mit Kabelbindern, Klebeband,
einer alten Armeepistole und
Stricken. Die Polizei hat ihn nach geht davon aus, dass er wei-
der Festnahme des Täters bei tere ähnliche Taten geplant
diesem zu Hause gefunden. Sie hatte.
KANTONSPOLIZEI AARGAU / KEYSTONE
das Geld. Statt dass er ihre Kinder losbindet
Die Ermittlung und alle gehen lässt, fesselt er nun auch sie.
in Zahlen Um sich danach dem 13-jährigen Davin zuzu-
wenden, den er sich womöglich gezielt ausge-
146
Tage dauerten die
sucht hat. Er missbraucht den Jungen sexuell.
Dann greift Thomas N. zum Messer und
schneidet einem nach dem anderen die Kehle
durch. Es ist ein intimes, nahes, unmittelbares
Ermittlungen der Töten, ohne Distanz. So mordet jemand, der
Polizei, bis Thomas N. die totale Kontrolle über Leben und Tod spü-
verhaftet wurde. ren und ausleben will.
Die Opfer liegen in ihren Betten in unter-
650
Hinweise hat die
schiedlichen Zimmern. Er übergiesst sie mit
Brandbeschleuniger, zündet sie an, ver-
schwindet so unsichtbar, wie er gekommen
ist. Das Messer wickelt er in Geschenkpapier
Polizei überprüft. und wirft es in Aarau in einen öffentlichen
Kehrrichtkübel. Es wird nie gefunden.
350
Personen wurden
2. Die Ermittlungen
Für die Angehörigen beginnt eine Zeit der un-
ermesslichen Trauer. Das Dorf versinkt in
befragt. einem dumpfen Gefühl der Unsicherheit und
des Misstrauens. Türen, die früher offenstan-
den, werden abgeschlossen. Die Feuerwehr-
männer, die nicht darüber reden dürfen, was
sie gesehen haben, zucken bei jedem Alarm
zusammen und hoffen: Nicht schon wieder.
Und die Kantonspolizei Aargau startet die um-
fangreichsten Ermittlungen ihrer Geschichte.
40 Mitglieder zählt die Sonderkommission
der Polizei. Etliche weitere Polizisten arbeiten
mit. Sie verteilen die Flugblätter, die Carla
Schauer in der Bank zeigen. Sie befragen rund
350 Personen, stellen die Angehörigen unter
Polizeischutz, sichten Dutzende Aufnahmen
von Überwachungskameras. 100 Polizisten
durchsuchen an Heiligabend den gesamten
Müll von Rupperswil. Profiler aus dem In- und
aus dem Ausland werden beigezogen. Eine
Rekordbelohnung von 100 000 Franken wird
ausgesetzt. 650 Hinweise gehen ein. Doch kei-
ner ist ein Treffer. Nichts.
Am Tatort hat die Spurensicherung zwar
Fingerabdrücke und DNA-Spuren gefunden,
die wohl dem Täter gehören – doch sie sind in
keiner Datenbank verzeichnet. Technisch
wäre es möglich, aus den codierenden Ab-
schnitten der DNA Merkmale des Täters her-
auszulesen: Augenfarbe, Haarfarbe, Hinweise
auf seine Postur. Doch rechtlich ist dies in der
Schweiz verboten. Carla Schauers Lebenspart-
ner bittet in Bundesbern um eine Ausnahme-
bewilligung. Vergebens. Doch später wird sein
Appell gehört; das Parlament beschliesst, die
Gesetzgebung zu ändern. Die Strafverfol-
gungsbehörden sollen künftig bei schweren
Straftaten auch die codierenden DNA-Ab-
schnitte auswerten dürfen.

nebenan
mt in wenigen Tagen vor Gericht. Der Täter ist geständig. Die Tat bleibt unfassbar. Von Christine Brand
Bereits kurz nach der Tat beantragt die
Staatsanwaltschaft beim Dienst Überwachung
Post- und Fernmeldeverkehr des Eidgenössi-
schen Justiz- und Polizeidepartements die
Daten der Handynutzer, die am 21.Dezember
2015 von den Antennen in der Nähe des Tat-
orts erfasst wurden. Die Daten von 30 000
Nutzern werden in unterschiedlichen Forma-
ten geliefert. Die Auswertung ist eine zeitrau-
bende Sisyphus-Arbeit. Nummern von Perso-
nen, die sich nur kurz im Bereich des Tatorts
aufhielten, sortiert die Polizei aus: Zugpend-
ler, Autofahrer, Passanten. Der Kanton Aargau
erhält vom Bund für die zur Verfügung gestell-
ten Daten eine gesalzene Rechnung von über
800 000 Franken, die er nicht bezahlen will.
Weil nicht sein kann, dass sich die Polizei
wegen administrativer Gebühren die Fahn-
dung nach einem Mörder nicht leisten kann.
Bund und Kanton streiten bis vor Gericht über
die Höhe der Rechnung, die der Bund schliess-
lich auf einen Bruchteil reduzieren muss.
Zeit vergeht. Sie ist der Feind jedes Ermitt-
lers. Je mehr Zeit nach einer Tat verstreicht,
desto kleiner wird die Chance, den Täter zu
fassen. Es wird Februar, März, April, immer
grösser der Raum für Mutmassungen und fal-
sche Verdächtigungen. Fast alle sprechen in
der Mehrzahl von den Tätern, weil es kaum
möglich scheint, dass einer allein die vier Men-
schen in Schach gehalten hat. Experten sind si-
cher, dass hier jemand tötete, der sich damit
auskannte. Ein Wiederholungstäter. Forensi-
sche Psychiater sprechen von einer «extremen
Ausnahmetat». Manche vermuten hinter den
Morden ausländische Profis, die sich über die
Grenze abgesetzt haben. Fremde müssen das
Böse nach Rupperswil gebracht haben.
3. Die Verhaftung
72 Stunden lang bereitet sich die Polizei auf
die Aktion vor: Am 12.Mai 2016 – 146 Tage
nach der Tat – verhaften Polizisten der Son-
dereinheit in einer Starbucks-Filiale in Aarau
Thomas N. Er wehrt sich nicht. Wenig später
ist klar: Seine Fingerabdrücke und seine DNA
stimmen mit den Spuren am Tatort überein.
Noch am selben Tag legt er ein Geständnis ab.
Thomas N. ist kein Fremder. Gemeinsam
mit seiner Mutter wohnt er rund 500 Meter
vom Tatort entfernt, spaziert beinahe täglich
mit seinen beiden Huskies Lumi und Baghira
am Haus der Familie Schauer vorbei. Vor der
Tat und auch in den Monaten danach. Als
wäre nichts passiert. Seine Verhaftung ist kein
Trost. Für das Dorf ist sie ein weiterer Schlag.
«Das war ein Schock», sagt Gemeindeammann
Ruedi Hediger, als der Fall gelöst ist. «Wir
haben immer gehofft, dass es nicht jemand
Der Täter: Thomas N., Junioren-
Fussballtrainer und Besitzer
von zwei Huskies.
aus dem eigenen Dorf ist.» Der Rupperswiler
Bernhard Trösch schreibt in einem Leserbrief:
«Ich bin mir nicht sicher, welches der grössere
Schock war – die Tat oder die Erkenntnis: Es
ist einer von uns.»
Thomas N., 34 Jahre alt, aufgewachsen in
Rupperswil. Besuch der Kantonsschule in
Aarau, wo er eine Maturaarbeit über Usama
bin Ladins Motive für seine Terroranschläge
verfasst. Abgebrochenes Jus-Studium. Später
schreibt er sich für Medizin ein, besteht den
Eignungstest und tritt das Studium nie an.
Keine Vorstrafen. Er lebt mit seiner Mutter in
einem Einfamilienhaus, seit der ältere Bruder
ausgezogen und der Vater, ein ehemaliger
Kantonsangestellter, gestorben ist. Oft sieht
man Thomas N. unterwegs mit seinen zwei
Huskies, meistens frühmorgens um sechs.
Wie er sich sein Leben verdient, ist unklar.
Ehrenamtlich arbeitet er als Juniorentrainer
und Administrator der Seetal Selection, eines
Verbunds des SC Seengen und des FC Sar-
menstorf. Seinen Klubkollegen macht er weis,
er studiere Medizin. Nach der Tat organisieren
die Fussballklubs einen Informationsanlass.
Viele Eltern der Junioren sind besorgt. Später
führt auch die Polizei Befragungen durch.
Doch es gibt keine Hinweise darauf, dass sich
Thomas N. schon früher Kindern und Jugend-
lichen in sexueller Absicht genähert hat.
Thomas N. ist ein grosser Mann, gutausse-
hend, freundlich, aber verschlossen, sagen
die, die ihn zu kennen glaubten. Er habe sel-
ten gelacht. Nie habe er einem in die Augen
geschaut, sagen andere. Am Abend nach der
Tat geht Thomas N. mit Fussballerkollegen im
Kasino Zürich Steak essen. Als wäre nichts
passiert. Als hätte es die Morde nie gegeben.
Zwei Tage später postet er fröhlich Weih-
nachtswünsche auf Facebook; über diesen
Kanal ist er vor allem mit anderen Liebhabern
von Huskies verbunden. «Wir wünschen euch
allen ein besinnliches Weihnachtsfest und
hoffen, die Wirbelwinde lassen bei allen die
Weihnachtsbäume stehen.» Zeilen, die im
Nachhinein wie ein Hohn anmuten. Er er-
gänzt sie mit mehreren Bildern von sich und
seinen Hunden. Eine Foto zeigt Thomas N. auf
einem schwarzen Ledersofa liegend, ein Hund
halb neben, halb auf ihm, der andere am
Boden, er krault ihn am Bauch. Die zweite
Aufnahme: Einer seiner Huskies mit der
Mütze eines Weihnachtsmanns auf dem Kopf.
Fotos, aufgenommen im Haus seiner Mut-
ter, das später auf Immobilienseiten zum Ver-
kauf ausgeschrieben sein wird: 175 Quadrat-
meter für 715 000 Franken. Die Innenaufnah-
men zeigen karg eingerichtete Räume, die
Aussenansicht ein Einfamilienhaus wie viele
19
Die Ermittler: Markus Gisin,
Chef der Aargauer Kriminalpoli-
zei (l.) und Barbara Loppacher,
leitende Staatsanwältin an einer
Medienkonferenz nach der Fest-
nahme des Täters. (13. Mai 2016)
ALEXANDRA WEY / KEYSTONE
«Wir müssen davon andere, ganz Schweizer Durchschnitt. Nichts
Auffälliges. Genau wie Thomas N.
ausgehen, dass der Dass jemand, der eine solch brutale Tat be-
Täter weitere, gleich geht, vorher nie aufgefallen ist, ist in der jün-
gelagerte Delikte geren Schweizer Kriminalgeschichte ein-
malig. Die Ermittler sagen nicht, wie sie auf
konkret geplant hatte», die Spur von Thomas N. gestossen sind. Um
sagt der Kripo-Chef. andere Täter nicht zu warnen. Nur so viel: Die
Antennensuchläufe und die dadurch ermittel-
ten Handynummern seien ein Puzzleteil ge-
wesen. Eine Weile machten Gerüchte die Run-
de, die Spurensicherung habe am Tatort wo-
möglich Haare und somit DNA seiner Huskies
gefunden, die er an seiner Kleidung getragen
habe. Doch das wurde nie bestätigt.
Als die Polizei das Haus von Thomas N. und
seiner Mutter durchsucht, findet sie einen
Rucksack, fertig gepackt: eine Pistole, Kabel-
binder, Fesseln, Klebeband. «Wir müssen da-
von ausgehen, dass der Täter weitere, gleich
gelagerte Delikte konkret geplant hatte und
diese auch ausgeführt hätte», sagt Kripo-Chef
Markus Gisin.
4. Der Prozess
Mehrfacher Mord. Mehrfache räuberische Er-
pressung. Mehrfache Geiselnahme. Mehrfa-
che sexuelle Handlungen mit einem Kind.
Mehrfache sexuelle Nötigung. Brandstiftung.
Mehrfache strafbare Vorbereitungshandlun-
gen. Über diese Anklagepunkte wird das Be-
zirksgericht Lenzburg ab Dienstag in einer
Woche befinden. Zudem wurde bei Thomas N.
kinderpornografisches Material sichergestellt.
Die Akten füllen 88 Bundesordner. Der Pro-
zess wird aus Platzgründen auf dem Stütz-
punkt der mobilen Polizei in Schafisheim
stattfinden. Es wird ein Ansturm nationaler
und internationaler Medien erwartet.
Die Staatsanwaltschaft gibt ihre Straf-
anträge erst am Prozess bekannt. Doch es ist
davon auszugehen, dass sie eine Verwahrung
für Thomas N. beantragen wird, wahrschein-
lich eine lebenslange. Denn am ersten Pro-
zesstag wird das Gericht zwei psychiatrische
Gutachter anhören. Zwei forensische Gutach-
ten sind nur dann nötig, wenn der Angeklagte
zu einer lebenslangen Verwahrung verurteilt
werden soll, die anders als die ordentliche
Verwahrung nicht regelmässig überprüft wer-
den muss. Nur wenn beide Psychiater zum
Schluss kommen, dass ein Täter untherapier-
bar ist und bleibt, kann der Richter eine
lebenslange Verwahrung aussprechen.
Während vier Tagen wird das Gericht über
Thomas N. verhandeln. Am Ende wird ein
Urteil stehen, um das Verbrechen von
Rupperswil zu sühnen. Gerechtigkeit wird es
nicht schaffen können.
20 Hintergrund Gesellschaft
Warumwirso
tun,alswären
wirreich
Kapselkaffee, Trüffelöl oder geleaster Neuwagen – der moderne Mittelstand
versucht mit sogenannten «Premium»-Produkten die Illusion eines guten Lebens
aufrechtzuerhalten. Das Phänomen beschäftigt Feuilletonisten und Soziologen
rund um die Welt. Der Autor Venkatesh Rao hat dafür einen neuen Begriff
erfunden: Premium Mediocre. Interview: Anja Burri
Trinken Sie Kaffee aus Ihrer Nespresso-
Maschine, oder fahren Sie einen geleasten
BMW? Mögen Sie die Biobutter Fleur de Sel,
das Käse-Praliné mit Trüffel, Premium-Ba-
nanen und andere Gourmetprodukte beim
Grossverteiler? Willkommen in der Premium-
Mittelmässigkeit! Sie geben Geld aus, um Ihr
Leben ein kleines bisschen besser aussehen
zu lassen, als es ist. Dafür kaufen Sie Quali-
tätsware, die gerade so gut ist, dass sie für
die breite Masse erschwinglich bleibt. Diese
Beschreibung trifft auf viele von uns zu.
Der amerikanische Autor Venkatesh Rao
hat dem Phänomen einen Namen gegeben:
Premium Mediocre, veredelte Mittelmässig-
keit heisst es auf Deutsch. Und es beschäftigt
gerade die Feuilletonisten und Gesellschafts-
wissenschafter von Seattle bis Frankfurt. Es
lässt sich auch mit der neuen Premium-Eco-
nomy-Klasse der Fluggesellschaften erklären:
Nachdem diese die Sitzreihen in den Flugzeu-
gen so eng aneinandergerückt haben, dass
grössere Passagiere in der Economy-Klasse
kaum mehr gerade sitzen können, wird die
Beinfreiheit als Zusatzprodukt verkauft. Diese
«Premium Economy» ist eine Art Trostpreis
für all die Mittelständler, die sich keine Busi-
ness-Klasse leisten können, aber trotzdem
gerne weit vorne sitzen. Die Kunden erkaufen
sich mit dem Preisaufschlag eine Illusion, zur
Elite aufzuschliessen.
NZZ am Sonntag: Venkatesh Rao, wie sind Sie
auf die Idee gekommen, dass wir unser mittel-
mässiges Leben mittels Konsum aufwerten?
Venkatesh Rao: Meine Frau und ich
waren in einem vegetarischen Restaurant
essen, einer Kette namens Veggie Grill. Das
Restaurant liegt irgendwo zwischen Burger-
Kette und Gourmet-Restaurant, in den USA
nennen wir das «Fast Casual». Ich ass
grüne Bohnen, als mir der Gedanke kam,
dass dieses Menu so viel besser aussieht, als
es tatsächlich schmeckt. Das ist eine neue
Art von Konsum, sagte ich zu meiner
Frau, veredelte Mittelmässigkeit, «Premium
Mediocre». Später fragte ich meine Face-
book-Freunde, was sie von dem Begriff
hielten. Die Leute hörten nicht mehr auf,
Beispiele zu machen.
Venkatesh Rao
Rao ist ein derzeit er seinen Blog Rib-
vielbeachteter bonfarm. Rao hat
Autor aus Seattle an mehrere Bücher
der US-Westküste. geschrieben, unter
Er wurde 1974 in anderem über die
Indien geboren und Entscheidungs-
kam als Raumfahrt- findung der Men-
ingenieur in die schen. Er arbeitet
USA. 2007 startete heute als Berater.
Können Sie ein paar nennen?
Wenn man über normale Pommes frites
ein bisschen künstlich hergestelltes Trüffelöl
träufelt, kann man diese für den doppelten
Preis verkaufen. Der massentaugliche Kom-
fort auf Kreuzfahrten. Und meine erste Woh-
nung in Seattle. Sie schaute toll aus. Neu,
schlicht, in skandinavischem Design einge-
richtet. Nach ein paar Monaten merkte ich,
dass die Einrichtung von billiger Qualität
war, dass man beim Holz gespart hatte. Das
ist aufgewertete Mittelmässigkeit.
Wer konsumiert veredelte Mittelmässigkeit?
Das sind vor allem die Kinder der alten
Mittelklasse. Die Umwälzungen der Wirt-
schaft, die Auflösung alter Gewissheiten
haben das mittelständische Leben radikal
verändert. Die Biografien der alten Mittel-
klasse waren stabil, die Leute hatten sichere
Jobs und Renten. Mit der Digitalisierung und
der New Economy, der Dienstleistungswirt-
schaft, wurde die wirtschaftliche Lage insta-
biler und mit ihr das Leben der Mittelklasse.
Die Jobs sind keine Selbstverständlichkeit
mehr, ganze Sektoren sind weggebrochen.
Wie soll da ein bisschen Trüffelöl helfen?
Die Leute wollen trotz allem so tun, als ob
sie immer noch ein gutes, finanziell abge-
sichertes Leben führten – wie ihre Eltern. Sie
spielen Theater, weil auch kulturelle Normen
und Chancen von diesem äusseren Eindruck
abhängig sind. Wenn Sie einen Job suchen,
dann müssen Sie den möglichen Arbeit-
gebern Signale senden, indem Sie sich auf
eine bestimmte Art kleiden zum Beispiel
oder indem Sie in gewissen Restaurants ver-
kehren. Das ist alles teuer. Darum müssen Sie
irgendwo sparen. Das können Sie, indem Sie
diese Premium-Mediocre-Produkte kaufen.
Diese erlauben es Ihnen, Ihr Leben besser
aussehen zu lassen, als es tatsächlich ist.
Glauben die Leute wirklich, dass sie sich auf
der sozialen Leiter nach oben bewegen, wenn
sie Biobutter mit Fleur de Sel kaufen?
Nein, es ist den meisten Leuten bewusst,
dass sie im Grunde ein mittelmässiges Pro-
dukt kaufen. Deshalb können wir alle sofort
Beispiele für Premium Mediocre nennen. Die
Produkte dienen nicht nur dazu, den ande-
ren Eindruck zu machen. Manchmal möchte
man sich einfach etwas gönnen. Ein eigenes
Haus ist für viele zum unerfüllbaren Traum
geworden. Dafür leistet man sich hin und
wieder einen schönen Cupcake. Man kauft
kleinere Erlebnisse ein, die einem immerhin
für fünf Minuten ein besseres Gefühl geben.
Sie haben geschrieben, wir spielen dieses
Theater auch für unsere Eltern. Warum?
Die Eltern wollen immer das Beste für ihr
Kind: Hast du eine gute Stelle? Hast du eine
nette Freundin? Führst du ein gutes Leben in
einer schönen Wohnung? Ja, ja, ja! So möchte
man als Kind auf solche Fragen antworten.
Premium Mediocre erlaubt es zu den tiefst
möglichen Kosten, die Eltern nicht zu ent-
täuschen. Wir senden übrigens nicht nur sol-
che Signale an unsere Eltern, sondern auch
an Menschen, die wir heiraten möchten.
Sie beschreiben im Grunde eine neue Klasse.
Tatsächlich ist Premium Mediocre kein
kulturelles, sondern ein wirtschaftliches
Phänomen. Jedes Mal, wenn die ökonomi-
NZZ am Sonntag 4. März 2018
sche Ungleichheit zunimmt und die Mittel-
klasse bedroht ist, gibt es eine Generation,
die sich in dieser Situation behaupten muss.
Dann tritt jeweils diese Art der Klasse in
Erscheinung. Natürlich sieht diese Klasse in
jeder Epoche anders aus. Der US-amerika-
nische Schriftsteller Tennessee Williams hat
in seinem Theaterstück «Endstation Sehn-
sucht» den Niedergang des alten Geldadels
der US-Südstaaten beschrieben. Damals, in
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, war
die Situation ähnlich: Es herrschte Ungleich-
heit, und viele Leute reagierten darauf, in-
dem sie in ihre Erscheinung investierten, um
reicher zu tun, als sie im Grunde waren. Das
ist eine rationale Reaktion. Wenn Sie ärmer
werden und auch so aussehen, dann will
niemand etwas mit Ihnen zu tun haben.
Heute ist die Veränderung der Wirtschaft
anders als vor hundert Jahren, nun ist es
die Digitalisierung, die alles verändert. Und
die Leute konsumieren andere Produkte, um
den Schein zu wahren.
Wo würden Sie die Premium-Mediocre-Klasse
in der sozialen Hierarchie verorten?
Premium Mediocre ist da, wo einst die alte
Mittelklasse war. Sie steht über den Verlie-
rern der Digitalisierung, jenen, die ihre Jobs
an die Roboter verlieren. Und unter der
Kryptobourgeoisie.
Schon wieder ein neuer Begriff. Was heisst das?
Die Mitglieder der Kryptobourgeoisie
haben berechtigte Hoffnungen, tatsächlich
Die Leute wollen trotz
allem so tun, als ob sie
immer noch ein gutes,
finanziell abgesichertes
Leben führten – wie
ihre Eltern.

wohlhabend zu werden. Sie haben ein viel-
versprechendes Startup gegründet oder be-
sitzen Geld, das sie investieren. Der Name
kommt von der Kryptowährung. Diese digi-
talen Zahlungsmittel bieten völlig neue Mög-
lichkeiten, reich zu werden. Die Premium-
Mediocre-Klasse hingegen hat keine realis-
tischen Hoffnungen, jemals wirklich erfolg-
reich und reich zu werden. Ihre Mitglieder
arbeiten als Angestellte für andere.
Ist es heute nicht eher einfacher geworden, die
soziale Treppe hochzusteigen?
Die soziale Mobilität in den westlichen
Ländern war nie schwächer. Es ist extrem
schwierig geworden, wirklich aufzusteigen.
Die New Economy erleichtert gewisse Dinge.
Man kann zum Beispiel aus dem Nichts her-
aus berühmt werden – wenn man sehr gut
Gitarre spielt und ein Musikvideo im Netz
veröffentlicht. Im Extremfall braucht man
dafür nur ein Smartphone. Das ist eine posi-
tive Seite. Neue Arten der sozialen Mobilität
sind möglich. Aber wenn man das Ganze be-
trachtet, hat die Mobilität abgenommen.
Sie leben in den USA. Wo würden Sie die Grup-
pe der klassischen Trump-Wähler ansiedeln?
Sie gehören definitiv nicht zur Premium-
Mediocre-Klasse. Die Trump-Wähler haben
sehr altmodische Erwartungen an ein gutes
Leben – selbst jene, die noch jung sind. Sie
wollen einen traditionellen, männlichen Job,
bei dem sie jeden Abend sehen, was sie ge-
leistet haben. Sie verachten die Premium-
Mediocre-Klasse als Heuchler – dabei sind sie
eigentlich frustriert über das allmähliche
Verschwinden ihres eigenen Lebensstils.
Wo ist eigentlich das gute alte Statussymbol
wie etwa ein teures Auto geblieben?
Wenn es Ihnen finanziell richtig gutgeht
und, sagen wir, Sie und Ihr Nachbar haben
beide grosse Häuser, können Sie zum Ver-
gnügen wetteifern, wer das schönere Auto
hat. Premium Mediocre ist ein viel enger ge-
fasster Typ des Statussymbols: Das ist keine
Kür, sondern eine Notwendigkeit. Sie müs-
sen gewisse Signale aussenden, um akzep-
tiert zu werden. In den USA sagt man, kleide
dich für den Job, den du willst, und nicht für
den Job, den du hast.
Ist Premium Mediocre nicht ein etwas gar billi-
ger Ersatz für den amerikanischen Traum?
Premium Mediocre ist kein Traum. Es ist
eher der Wartsaal für diesen Traum. Sie sind
am Flughafen und haben eigentlich kein gül-
tiges Ticket. Aber Sie warten trotzdem im
Wartebereich des Flughafens. Sie hoffen auf
die Chance, irgendwohin zu gehen.
Konsum als Trostpreis?
Ja, Sie haben keine Chance auf echten
Luxus. Darum trösten Sie sich mit kleinen
Ersatzhandlungen darüber hinweg.
Sie sagen, Premium Mediocre, das sei Essen,
das auf den sozialen Netzwerken besser aus-
sieht, als es schmeckt. Beschreiben Sie nicht
einfach ein Internet-Phänomen?
Wer heute dazugehören will, muss sicht-
bar sein. Und sichtbar macht man sich in den
sozialen Netzwerken. Noch vor 30, 40 Jahren
hätten Sie Ihr bestes Kleid angezogen und
wären durch das Stadtzentrum spaziert. Für
jüngere Menschen sind die sozialen Netz-
werke die Plattform für ihr soziales Leben.
Egal ob auf Twitter, Instagram oder Face-
book: Man führt ein idealisiertes Selbst vor,
das nicht so recht zum echten Leben passt.
Auf Facebook zeigt man ja nur die Höhe-
punkte, wenn man einen schönen Anzug
trägt, gut essen geht oder in die Ferien fährt.
Das tönt hohl.
Man kann das immer von zwei Seiten be-
trachten. Auf eine Art tönt dieses Leben
ziemlich inhaltsleer. Auf der anderen Seite
ist das Ganze einfach ein Spiel, eine Wette
auf ein besseres Leben. Wenn du gewinnst,
kriegst du einen Preis.
Sie haben Frankreich als Epizentrum des Pre-
mium Mediocre bezeichnet. Ausgerechnet das
Land, in dem guter Geschmack mehr zählt als
anderswo. Wie kommen Sie darauf ?
Das war eigentlich als Scherz gemeint.
Aber er hat einen wahren Kern. Die Leute in
Amerika haben ein sehr idealisiertes Bild von
Premium Mediocre ist
kein Traum. Es ist eher
der Wartsaal für diesen
Traum. Sie sind am
Flughafen und haben
kein gültiges Ticket.
Europa. Frankreich sehen sie als Inbegriff
des guten Lebens. Man denkt an Luxus, an
Wein und Käse. Sobald jemand nach Frank-
reich reist, merkt er: Das Bild deckt sich nicht
voll mit der Realität. Frankreich ist ein ziem-
lich grosses und kompliziertes Land. Man
sieht dort auch Armut und billigen Mist. Nur
von weitem erscheint alles so wunderbar.
Die Schweiz hingegen ist in vieler Hinsicht
das Gegenteil von Premium Mediocre. Natür-
lich habt ihr auch eure Probleme hier. Aber
ihr seid ein reiches Land, deutlich reicher
auch als alle umliegenden Länder in Europa.
Sie kommen immer wieder in die Schweiz. Wie
nehmen Sie das Land wahr?
Die Leute auf der Strasse sehen glück-
licher aus.
Tatsächlich?
Sie sind alle besser gekleidet, viele hier
verdienen zwei- bis dreimal mehr als Leute
mit vergleichbaren Jobs im Ausland. Es gibt
viele kleine Dinge, an denen man das sieht.
Wenn man den Lebensstandard in der
Schweiz mit dem in Deutschland vergleicht,
oder denken Sie nur einmal an Italien! In
der Schweiz haben es die Leute viel weniger
nötig, Premium Mediocre zu sein.
Produkte wie Trüffelöl-Spaghetti gibt es in der
Schweiz ebenfalls zuhauf. Die grossen Super-
marktketten haben sogar «Premium»-Linien
erfunden, das Sortiment reicht von der
«Chili-Sauce aus dem Tropenhaus Wolhusen»
21
ILLUSTRATION: PATRICK OBERHOLZER
Veredeltes
Mittelmass
Der Kapselkaffee
hat das Kaffeetrin-
ken zum Konsum-
erlebnis stilisiert.
Beinfreiheit im Flug-
zeug ist ein kleiner,
erschwinglicher
Luxus geworden.
bis zum «Fondue Prosecco».
Premium Mediocre ist ein globales Phäno-
men. Ausser vielleicht Nordkorea und Teile
Chinas ist kein Land davor sicher. Das Inter-
net verändert die Wirtschaft überall. In die- Kreuzfahrten sind
sem Sinne gibt es Premium Mediocre überall das neue Ferien-
– wenn auch in schwächerer oder anderer Statussymbol der
Ausprägung. breiten Masse.
Sie sagen von sich, selber Premium Mediocre
zu sein. Sind Sie unglücklich?
Klar, ein grosser Teil meines Lebensstils
ist Premium Mediocre. Viele meiner Woh-
nungen waren so, ich habe ein solches Auto,
und ich gehe oft in Restaurants essen, die
Premium Mediocre sind. Das macht mich
allerdings nicht unglücklich.
Das Label COS ist
Fühlen Sie sich also auch wie jemand, der sich die Premium-Linie
ständig gegen den sozialen und wirtschaft- der Billigkleider-
lichen Abstieg wappnen muss? Kette H&M.
Ich persönlich habe viel Glück gehabt. ALDI SÜD
Mein kleines Beratungsunternehmen läuft
gut, und ich liebe meine Arbeit. Natürlich
beobachte auch ich Abstiegsgefahren in
unserer Gesellschaft. Bis vor ein paar Jahren
sahen wir noch viel mehr positive Verände-
rungen. Das Internet bot unendlich viele
Möglichkeiten für so viele Menschen. Im
Moment sehen wir eher die Schattenseiten.
Jeder Supermarkt
Sie sind eigentlich Raumfahrt-Ingenieur. Nun verkauft jetzt auch
kreieren Sie als Blogger soziologische Begriffe. erschwingliche
Wie ist es dazu gekommen? Gourmet-Produkte.
Ich habe immer gern geschrieben. Wenn
ich über gesellschaftliche und kulturelle
Phänomene schreibe, tue ich das aus der Per-
spektive eines Ingenieurs. Für viele Sozial-
und Geisteswissenschafter ist das Internet
etwas, auf das man reagieren muss. Als Inge-
nieur habe ich vielmehr das Gefühl, auf der
Seite des Internets zu stehen, ich habe die
Fähigkeit, die Digitalisierung und die Ent-
wicklungen mitzugestalten.
Von daher kommt also Ihr Optimismus.
Wenn man die nötigen Fähigkeiten hat,
kann man die Zukunft mitgestalten. Wenn
man aber das Gefühl hat, nur auf Entwick-
lungen zu reagieren, wird man pessimistisch.
22 NZZ am Sonntag 4. März 2018

Über 2’229’000 Personen lesen

uns wegen den interessanten
Familienreportagen. Und Sie?

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gra tis!
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Sport, Kultur und AHV stärken!

Gemeinnütziges Geldspielgesetz

JA

Die Schweizer Lotteriegesellschaften und Casinos unterstützen jedes Jahr gemein- Mit einem JA zum neuen Geldspielgesetz, über
nützige Projekte in Sport, Kultur, Sozialem und Umwelt sowie die AHV mit rund einer das wir am 10. Juni 2018 abstimmen, sichern wir
Milliarde Franken. Davon profitieren unser Olympia-Team, Breitensportler, Künstler, die Finanzierung der gemeinnützigen Schweiz.
Vereine und Senioren gleichermassen.
Überparteiliches Komitee für ein gemeinnütziges Geldspielgesetz, Postfach, 8450 Andelfingen
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Leserbriefe 23

«Das lässt Hoffnung wachsen» So schreiben

Sie uns
«Man muss die Welt einfacher machen» Leserbriefe müssen

ALESSANDRO DELLA VALLE / KEYSTONE

NZZ am Sonntag vom 25. Februar bis Donnerstag-
Es ist eine gute Nachricht, über die der mittag eintreffen
Berner Geograf Peter Messerli berichtet: und mit der voll-
Anfang Januar 2016 sind 17 Ziele für eine ständigen Post-
nachhaltige Entwicklung der Welt in Kraft adresse des Absen-
getreten. Sie wurden von 193 Uno-Mitglied- ders versehen sein.
staaten einstimmig verabschiedet und sind Sie sollten sich auf
Bestandteil der Agenda 2030, deren Schluss- die letzte Ausgabe
bericht 2019 erscheinen soll. beziehen. Publiziert
Das Bemerkenswerte dieser Botschaft werden auch
liegt darin, dass es der Uno gelungen ist, ein Reaktionen, die auf
Nachfolgeprogramm zur Agenda 21 zu ent- nzz.ch/nzzas ,
wickeln. Denn im Nachgang zum Fall des Facebook und
Eisernen Vorhangs hat die Finanzwirtschaft Twitter erschie-
alles unternommen, die Debatte über drän- nen sind. Bearbei-
gende Umweltprobleme aus der politischen tungen sind vorbe-
Agenda zu verdrängen. Mit der Agenda 2030 halten.
wird es nun wieder möglich, die Menschen
daran zu erinnern, dass die Menschheit von
der Umwelt abhängig ist und nicht umge-
kehrt. Peter Messerli äusserte sich im Inter-
view wie folgt: «Vor 30 Jahren erklärte die
damalige Ministerpräsidentin Gro Harlem
Brundtland, es gebe drei Säulen der nachhal-
tigen Entwicklung: das Ökonomische, das
Soziale und die Umwelt. Das hat die Leute
zum Denken angeregt. In den letzten Jahren
hat man aber realisiert: Wir stossen an harte
Grenzen.» Dass die «NZZ am Sonntag» mit-
hilft, diese harten Fakten in Erinnerung zu
rufen, lässt Hoffnung wachsen.
Jean-Pierre Jaccard, Augst (BL)

Einen Punkt hat Peter Messerli vergessen.

Das exponentielle Wachstum der Bevölke-
rung in den Gesellschaften und Ländern, in
denen die grösste Armut, die geringste Bil-
dung und die höchste Korruption herrscht.
Die Folgen sind jedem bekannt.
Hugo Bremsbrode «Wer, wenn nicht die Schweiz, kann es sich leisten, die Welt neu zu entwerfen?», sagt Peter Messerli. (Bern, 24. Mai 2017)

«Ängste der Bevölkerung eine Rahmenbaubewilligung für das ganze trag, obwohl ich dies für mein Wohlbefinden «Kaputte Jeans aus Armut»
Gemeindegebiet erteilt. Die einzelnen mache – ich bin über 90 Jahre alt. Warum
werden ignoriert» Sendeanlagen können anschliessend nicht gibt es keinen Bonus, wenn im Jahr keine «Zerfranste Jeans sind ein Flirt mit der
«Die Wirtschaft drängt auf einen raschen mehr grundsätzlich in Frage gestellt werden. Arzt- und Medikamentenkosten anfallen? Armut»
Mobilfunkausbau» Es braucht also keine Anpassung der Strah- Ideen gibt es viele, wie Gesundheitskosten NZZ am Sonntag vom 25. Februar
NZZ am Sonntag vom 25. Februar lenschutzverordnung, sondern eine Korrek- gespart werden könnten, jedoch fehlt hier Der Bericht ist nicht ganz richtig, zerfetzte
Es ist der falsche Weg den Strahlenschutz tur im Planungs- und Baubewilligungs- der Platz dazu. Die Prämienzahler müssen Jeans müssen manchmal auch aus Armut
aufzuweichen, damit das 5G-Netz schneller verfahren. die Initiative ergreifen, damit die Prämien getragen werden. Willkommen sind dann
aufgebaut werden kann. Die Bevölkerung Cüneyd Inan, Luzern für alle bezahlbar sind. Von der Gesundheits- Mitträger, die Löcher und weitere Deforma-
benutzt das Mobilfunknetz intensiv, steht industrie (Ärzte, Spitäler, Pharma, Politiker) tionen der Kulthose gekonnt und gestylt in
den Mobilfunkmasten jedoch äusserst kri- ist nichts zu erwarten, denn in den letzten Szene setzen.
tisch gegenüber. Bisher wurde sie mit dem «Ich vermisse praktische dreissig Jahren ist nichts passiert. Das Ich bin arbeits- und obdachlos, und half
Argument beruhigt, dass die Grenzwerte in
der Schweiz zehnmal strenger als im Ausland
Vorschläge» Schweizer Gesundheitssystem liegt auf der
Intensivstation!
vor ein paar Jahren in einem Arbeitsintegra-
tionsprogramm einem jungen Mann, seine
seien und somit die Gesundheitsvorsorge «Ohne Drohungen geschieht im Gesundheits- Karl Mettler, Buchs (SG) Jeans zu flicken. Er wollte den Flick nicht aus
hoch gewichtet werde, denn man weiss wesen leider nichts» Jeansstoff, sondern aus ganz anderem Mate-
immer noch nicht schlüssig, was die lang- NZZ am Sonntag vom 25. Februar Der schwarze Peter im Spiel zur Eindäm- rial und anderer Farbe daraufgenäht haben.
fristigen Folgen der Dauerbestrahlung für die Mit Daniel Friedlis Analyse bin ich weit- mung der Kostenentwicklung ist ein Wan- Mit der Hose kam er dann arbeiten und
Gesundheit bedeuten. Sollen nun die gesetz- gehend einverstanden, aber ich vermisse derpokal: vom Bund an die Kantone, von den zeigte den Flick stolz, der auffiel, aber unter
lichen Vorgaben in dem Sinne angepasst praktische Vorschläge, wie Gesundheits- Kantonen an die Versicherer, von den Ver- vielen Randständigen und Obdachlosen
werden, dass die einzelnen Sendemasten kosten respektive Krankenkassenprämien sicherern zurück an die Kantone und den nicht weiter zum Thema gemacht wurde. Bei
deutlich stärker strahlen, verlässt man den stabilisiert und gesenkt werden können. Bund geschoben. Und so geht auch der bunte vielen Teilnehmern der Arbeitsintegration
bewährten Weg der Vorsorge, die eines der Wichtig ist, dass der Patient die Initiative Reigen der Expertengruppen weiter. Diese ist die höchste Priorität, dass man geduscht
Grundprinzipien des Schweizer Umwelt- ergreift, wenn Medikamente nicht mehr fordern vorgängig zur Strategiefindung mehr ist und saubere Kleider trägt, mitmacht oder
schutzes ist. Die Ängste von Teilen der nötig sind. Meistens kann die Menge redu- Daten und neue Statistiken. Damit reduziert zumindest mithalten kann und dort nicht
Bevölkerung werden ignoriert, und das Mit- ziert oder ganz abgesetzt werden. Vom Arzt- sich in Medizin und Pflege die Zeit am mit Drogen, Alkohol, Pöbeleien oder gar
spracherecht der betroffenen Anwohner system geht in der Regel keine Initiative aus. Patienten weiter zugunsten derjenigen am Schlägereien auffällt.
wird auf dem Verordnungsweg ausgehebelt. Blutverdünnung muss in der Regel alle vier Computer. Die Controller- und Codierer- Selbst Secondhandläden bieten ihre Ware
Die Lösung ist ein schwach strahlendes, Wochen vom Arzt kontrolliert werden. Um Stellen in den Spitälern werden aufgestockt. zu teureren Preisen feil, als sie ursprünglich
dichtes Mobilfunknetz, und zwar dort, wo Kosten zu sparen, könnte man dies selber Sie bereiten die neuen Daten auf und sorgen gekostet hat. Nur wenige getragene Kleider
die Nachfrage besteht: im Siedlungsgebiet machen oder von der Spitex oder der Apo- dafür, dass alle irgendwem verrechenbaren sind sehr günstig. Seit es die Epa und den
und entlang den Verkehrsachsen. Stichworte theke ausführen lassen. Leistungen auch in Rechnung gestellt ABM nicht mehr gibt, hat sich für Familien Schreiben Sie an:
dazu sind Mikro- und Femtozellen. Die Unsinnig ist, dass man von manchen werden. Die Kosten steigen. und Personen mit schmalem Budget viel NZZ am Sonntag,
Bevölkerung wird in der grundlegenden Krankenkassen einen Kostenbeitrag erhält, Verena Diener hat in Zürich vorgemacht, verändert. «Geflickt und sauber» gibt es Leserbriefe,
Ausrichtung des Versorgungsnetzes der wenn man nachweislich im Fitnessstudio dass politisch überleben kann, selbst wer heute immer noch, ausgetragen werden Klei- Postfach,
Gemeinde einbezogen, vergleichbar der Bau- trainiert. Ich selber marschiere viermal pro Spitäler schliesst. Wer wagt es nach ihr und der nach wie vor, vielleicht ist es nur nicht CH-8021 Zürich.
und Zonenordnung in der Raumplanung. Woche eine dreiviertel Stunde. Dafür erhalte schreitet vom Lippenbekenntnis zur Tat? mehr so offensichtlich. leserbrief.sonntag
Für die Standorte der Mobilfunkmasten wird ich von der Krankenkasse keinen Kostenbei- Barbara Fosco, Zürich Barbara Nigg, Zürich @nzz.ch

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Wochenrückblick
International
Der slowakische Enthüllungs-
journalist Jan Kuciak und seine
Verlobte Martina Kusnirova
werden in ihrem Haus regelrecht
hingerichtet, mit Schüssen in
den Kopf und in die Brust.
Kuciak hat über Korruption und
Vetternwirtschaft recherchiert
und ist in seiner Untersuchung
auf mögliche Verbindungen zwi-
schen der italienischen Mafia
und slowakischen Politikern
gestossen. Der amtierende
Regierungschef Robert Fico, der
selber in die Sache verstrickt
sein könnte, will eine Million
Euro Belohnung für Hinweise
zur Aufklärung zahlen.
Grossbritanniens Premierminis-
terin Theresa May will nach
dem Brexit eine so breite und
tiefe Partnerschaft mit der EU
wie möglich. Allerdings ist wei-
terhin unklar, wie diese konkret
aussehen soll. Ein Handels-
abkommen wie zwischen der EU
und Kanada lehnt sie ebenso ab
wie eine Mitgliedschaft im Euro-
päischen Wirtschaftsraum nach
dem Modell Norwegen. May will
keine Einführung von Zöllen
oder Beschränkungen.
Gleichzeitig soll Grossbri-
tannien Handelsverträge
mit Drittländern
abschliessen können.
Der abgesetzte
Regionalpräsident
Kataloniens,
Carles Puigde-
mont (Bild
rechts), ver-
zichtet auf
eine erneute
Kandidatur.
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Videoaufnahmen von Russlands neuen Atomwaffen. (1. März 2018)
rung in Madrid lehnt aber auch
den Ersatzkandidaten Jordi Sán-
chez ab. Dieser sitzt seit über
vier Monaten in Untersuchungs-
haft. Ihm werden Aufruhr und
Rebellion vorgeworfen, weil er
Kataloniens Unabhängigkeit
unterstützt.
Kurz vor der russischen Präsi-
dentenwahl am 18. März wendet
sich Staatschef Wladimir Putin
in seiner Jahresansprache
ans Volk. Auffällig lang
spricht er über eine Reihe
neuer Atomwaffen, gegen
die es keine Abwehr geben
soll. Die Rede ist eine
Machtdemonstration
an die Adresse des
Westens. Daneben
verspricht Putin
der Bevölkerung
mehr staatliche
Investitionen in
Infrastruktur-
bauten. Wich-
tigstes Ziel sei, die
Schweiz
Bundesrat Alain Berset nimmt
HANDOUT KREML / EPA
einen neuen Anlauf für die
Reform der Altersvorsorge mit
folgenden Eckwerten: die Mehr-
wertsteuer wird um 1,7 Prozent,
das Rentenalter für Frauen auf
65 erhöht. Und die Renten sollen
flexibel im Alter von 62 bis 70
bezogen werden können.
Rückschlag im Kampf gegen
die Lohndiskriminierung von
Frauen: Der Ständerat will
Unternehmen nicht zur Lohn-
analyse verpflichten. Er hat die
Vorlage an die Kommission
zurückgewiesen, mit dem Auf-
trag, Alternativen zu prüfen.
Lebensbedingungen zu verbes- Das Bundesamt für Polizei führt
sern. Rund 20 Millionen Men- das Verwaltungsstrafverfahren
schen lebten in Armut. Diese
Zahl müsse innert sechs Jahren
halbiert werden.
Wirtschaft
Afghanistans Präsident Ashraf
Ghani bietet den Taliban Frie-
densverhandlungen an, und Die USA schotten sich gegen
zwar ohne Vorbedingungen. Die vermeintlich zu billige Importe
islamistische Organisation soll ab: Das Handelsministerium hat
als legitime politische Gruppie- Strafzölle auf die Einfuhr
rung anerkannt werden. Dies soll mechanischer Röhren verhängt.
dazu beitragen, den 16-jährigen Erhoben werden diese auf
Krieg im Land zu beenden. kaltgewalzte Röhren aus der
(Agenturen/ami.) Schweiz, Deutschland, China,
Indien, Italien und Südkorea.
Produzenten dieser Länder
würden in den USA ihre Waren
weit unter deren «fairem Wert»
verkaufen.
Unser Newsletter Das deutsche Bundesverwal-
tungsgericht hat Fahrverbote
Stimmt Sie schon am Freitag aufs für Dieselautos in deutschen
Wochenende ein. Jetzt anmelden! Städten gestattet. Das Urteil
nzz.as/newsletter sieht aber Übergangsfristen und
Ausnahmeregelungen vor. Die
NZZ am Sonntag 4. März 2018
gegen die Post, beschliesst der Darunter leidet zeitweise der
Bundesrat. Dabei geht es um Bahn- und der Flugverkehr.
Unregelmässigkeiten beim
Bezug von Subventionen durch Der Bundesrat kommt den
die Postauto Schweiz AG. Schützen bei der Anpassung des
Waffenrechts an EU-Recht
Ein später Wintereinbruch sorgt entgegen: Sie dürfen weiterhin
für Temperaturen bis minus 20 mit halbautomatischen Waffen
Grad im Flachland und Schnee- schiessen, und die Dienstwaffe
fällen bis in die Niederungen. wird nach der Militärentlassung
weiterhin abgegeben. Dennoch
kündigen die Schützen ein
JEAN-CHRISTOPHE BOTT / KEYSTONE
Referendum an. Sie wehren sich
gegen eine Registrierungspflicht.
Papst Franziskus kündigt auf
den 21.Juni einen Besuch in
Genf an. Eine Delegation der
Landesregierung will ihn dann
zu einem offiziellen Gespräch
Wintereinbruch in Lausanne. empfangen. (rd.)
Preise für gebrauchte Diesel- bestreitet die Vorwürfe. Es gilt
autos geben in Deutschland die Unschuldsvermutung.
schon seit längerer Zeit nach.
Der Zementhersteller Lafarge-
Die Zürcher Oberstaatsanwalt- Holcim weist nach hohen Wert-
schaft eröffnet am Mittwoch ein berichtigungen einen Verlust
Verfahren wegen ungetreuer von 3,1 Milliarden Franken für
Geschäftsführung gegen den das Geschäftsjahr 2017 aus. Der
vormaligen Chef der Raiffeisen- Verwaltungsrat schlägt eine
Gruppe, Pierin Vincenz. Wie am Dividende von 2 Franken je
Freitag bekannt wird, sitzt der Aktie vor. 2018 erwartet die Füh-
Banker in Untersuchungshaft. rung ein Umsatzwachstum von
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm 3 bis 5 Prozent.
ungetreue Geschäftsbesorgung
Der Stellenvermittler Adecco
vor. Er soll bei Firmenübernah-
men der Kreditkartengesell- erwartet im neuen Jahr eine
schaft Aduno und der Invest- leichte Wachstumsverlang-
mentgesellschaft Investnet ein samung. An der Börse verliert
Doppelspiel gespielt und persön- die Aktie im Wochenverlauf
lich abkassiert haben. Vincenz zehn Prozent. (frp.)
geschenkt
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Syngenta Dieselverbote Lafarge-Holcim

SALVATORE VINCI
Die Firma braucht In Deutschland Der Firmenchef im
Milliarden 29 herrscht Chaos 30 Interview 31

«Der Fall Vincenz hat uns völlig

überrascht und schockiert»
Raiffeisen-Präsident Johannes Rüegg-Stürm nimmt erstmals Stellung zur Affäre
Vincenz. Er sagt, warum seine Bank erst jetzt Strafanzeige eingereicht hat und wie
er die Krise bewältigen will. Interview: Albert Steck, Daniel Hug

NZZ am Sonntag: Raiffeisen hat am Freitag

SALVATORE VINCI
einen Rekordgewinn präsentiert. Das Ergebnis
Johannes Rüegg-Stürm
wird aber durch die Affäre um den ehemaligen
CEO Pierin Vincenz getrübt. Hätten Sie diese
Krise nicht verhindern können?
St.Galler Professor
Johannes Rüegg-Stürm: Pierin Vincenz
hat enorme Verdienste für die Raiffeisen- Der 1961 geborene Studies an der Uni-
Gruppe. Die Tatverdachtsmomente, die Johannes Rüegg- versität St.Gallen
heute im Raum stehen, waren nicht wahr- Stürm präsidiert und Direktor des
nehmbar. Es war nicht sichtbar, dass Vincenz den Verwaltungsrat Instituts für Syste-
sich offenbar bereits zu einem frühen Zeit- von Raiffeisen seit misches Manage-
punkt über Dritte privat an der Gesellschaft 2011. Ins Gremium ment und Public
Investnet beteiligt hatte. berufen wurde er Governance. Er ist
2008. Sein Mandat Autor eines Buchs
Sind Sie von Vincenz angelogen worden? bei Raiffeisen übt er zum St.Galler
Er hat absolut relevante Sachverhalte in einem 50%-Pen- Management-
nicht offengelegt. sum aus. Daneben Modell. Rüegg-
ist der gebürtige Stürm ist verheira-
Haben Sie selber beim Kauf der Beteiligungs- Glarner Professor tet und Vater von
gesellschaft Investnet zu wenig genau hin- für Organization drei Kindern. (sal.)
geschaut?
Nein, wir haben alle geschäftsrelevanten
Angaben, die uns vorlagen, analysiert.

Der Verwaltungsrat ist das oberste Kontroll-

organ einer Gesellschaft, als Präsident sind Sie
doch verantwortlich.
Sämtliche relevanten Grössen in finanziel-
ler oder strategischer Hinsicht haben wir Die Kritik der Führungs-
geprüft. Doch wenn Sie falsche Angaben losigkeit weise ich
erhalten oder Ihnen wichtige Informationen
vorenthalten werden, können Sie sich kein
zurück. Mein Ausstand
korrektes Bild verschaffen. betrifft einzig das
Enforcement-Verfahren
Hinzu kommt jedoch, dass die Ehefrau von
Vincenz die Rechtsabteilung führte. Hat dies
der Finma gegen die Bank.
die Kontrolle nicht erschwert?
Rückblickend betrachtet war das eine Auch die Finanzmarktaufsicht Finma
unglückliche Konstellation. durchleuchtet derzeit Ihre Corporate Gover-
nance. Doch genau in dieser wichtigen Frage
Hat die Finanzmarktaufsicht Finma diese Art müssen Sie selber in den Ausstand treten. Ist
von Corporate Governance, also die Führungs- die Bank führungslos?
strukturen, kritisiert? Die Kritik der Führungslosigkeit weise ich
Das kann ich nicht kommentieren. zurück. Mein Ausstand betrifft einzig das
Enforcement-Verfahren der Finma gegen die
Hat es Sie als Präsident nicht gestört, dass die Bank. Als Präsident bin ich dagegen voll
Frau des CEO als Chefin der Rechtsabteilung handlungsfähig. Wenn es um die ergriffenen
agiert – bei einer Bank, die als systemrelevant Massnahmen zur Verbesserung der Struktu-
eingestuft wird? ren und Prozesse geht, agieren wir als gesam-
Das ist ein kritisches Spannungsverhält- ter Verwaltungsrat.
nis: Auf der einen Seite haben Sie diese Paar-
Beziehung, auf der anderen Seite ist die Planen Sie eine Entflechtung bei den eingegan-
Rechtschefin eine Person, die eine hoch- genen Beteiligungen?
qualifizierte Arbeit leistet. So habe ich das Zurzeit findet ein Paradigmenwechsel
angetroffen. Ich sah keine Veranlassung, statt: Wir wollen bei den Kooperationen mit
dagegen einzuschreiten. unseren Partnern keine Kapitalbeteiligung
mehr eingehen. Damit können wir Interes-
Doch die Machtbalance, die Checks and senkonflikten entgegenwirken, unser Kapital
Balances, waren mangelhaft. schonen und unsere Agilität erhöhen. Wir
Mit dem Wissen von heute würde ich dies nehmen zurzeit alle Beteiligungen genau
selbstverständlich anders handhaben. unter die Lupe.

Vor rund zwei Jahren wurden erste Verdachts-
momente laut, dass bei den Firmen, die Raiff-
eisen gekauft hatte, Privatinteressen im Spiel
waren. Was haben Sie damals unternommen?
Wir haben sehr früh einen internen Gover-
nance-Check eingeleitet: Wir haben uns die
gesamte rechtliche Konstruktion und die
sichtbaren Verflechtungen angeschaut.
Zudem haben wir abgeklärt, wo mögliche
Interessenkonflikte entstehen könnten.
Warum haben Sie erst diese Woche Straf-
anzeige gegen Vincenz eingereicht?
Mit der Eröffnung der Strafuntersuchung
sind für uns Verdachtsmomente sichtbar
geworden, die uns völlig überrascht und
schockiert haben. Eine Strafverfolgungs-
behörde hat ganz andere Mittel als wir, um
einen Sachverhalt zu klären. Die zutage
Johannes Rüegg- getretenen Verdachtsmomente haben uns
Stürm will noch zwei zutiefst enttäuscht.
Jahre Präsident von
Raiffeisen bleiben. Was genau hat Sie schockiert?
(Zürich, 2. März 2018) Dass die private Beteiligung an Investnet
kaschiert worden ist.
Wie beurteilen Sie den Reputationsschaden,
der durch diese Ereignisse für die Bank ent-
standen ist?
Dass deren Glaubwürdigkeit geschädigt
wurde, ist ausserordentlich bedauerlich.
Aber es geht bei dieser Angelegenheit nicht
um die Raiffeisen als Genossenschaft, son-
dern um eine Einzelperson. Das Tragische
ist, dass Herr Vincenz ungeheure Verdienste
für diese Bank erworben hat.
Was sagen Sie zur vermehrt geäusserten Kritik
gegen Ihren Verwaltungsrat, wonach es in
diesem Gremium an bankfachlichem Know-
how fehle?
Um die gegenwärtige Krise zu bewältigen,
braucht es nicht primär bankfachliche
Kompetenzen. Es geht um die Corporate
Governance.
Der Kauf der Privatbank Notenstein ging
ebenfalls auf Pierin Vincenz zurück. Ohne
vertiefte Prüfung der Bücher (Due Diligence)
haben Sie einen Betrag von 580 Mio. Fr. inves-
tiert. Doch die gekaufte Bank verwaltet heute
weniger Geld als 2012.
Die Diversifikation war ein langfristiger
strategischer Entscheid. Durch diese Akqui-
sition haben wir uns Fähigkeiten angeeignet,
die für die Raiffeisen-Gruppe wichtig sind.
Zudem haben wir an Reputation gewonnen.
Unsere Gruppe verfügt heute über ein breite-
res Wertschöpfungsspektrum.
Die Zukäufe in der Ära Vincenz betragen rund
eine Milliarde Franken. Ist es denkbar, dass
ähnliche Bereicherungskonstrukte auch bei
Fortsetzung Seite 26
 26 Wirtschaft Raiffeisen NZZ am Sonntag 4. März 2018

«Ein Gremium
wohlmeinender
Amateure»
Experten wie Professor Peter V. Kunz kritisieren den Verwaltungsrat
von Raiffeisen als zahnlos. Ausgerechnet diejenigen Personen, die
Ex-Chef Pierin Vincenz gewähren liessen, müssen die Bank nun aus der
Krise führen. Doch geht das? Von Albert Steck

D «Aus Sicht der Corporate

ie Erschütterung war dem Raiff-
eisen-Präsidenten Johannes Rüegg-
Stürm deutlich anzumerken. Immer
wieder ringt er im Gespräch nach
Worten. Ausgerechnet sein langjähriger Ver-
trauter und Weggefährte Pierin Vincenz sitzt
nun in Untersuchungshaft? Mit der Straf-
anzeige gegen den früheren Dominator der
Bank ist auch für ihn eine Welt zusammen-
gebrochen. Er beteuert, dass er keinerlei Indi-
zien für dessen mutmassliche persönliche
Bereicherung hatte. Dass zu lasche Kontroll-
prozesse einen Betrug erleichtert haben könn-
ten, weist er ebenfalls zurück.
Die spektakuläre Verhaftung von Vincenz
hat die Bank in eine schwere Krise geführt.
Wirtschaftlich steht sie auf solidem Funda-
ment, doch die Glaubwürdigkeit der Nummer
eins bei den Hauskrediten mit 3,7 Mio. Kun-
den und einer Bilanzsumme von 230 Mrd. Fr.
ist beschädigt. Denn Warnsignale zur mangel-
haften Führungs- und Aufsichtskultur in der
Bank gab es.
Geschäft und Privates vermischt
Weil Vincenz mit der Wachstumsstrategie im
Hypothekargeschäft Erfolg hatte, tolerierte
der Verwaltungsrat offensichtliche Missstän-
de aufgrund seines eigenmächtigen Gebarens.
In einer wilden Shopping-Tour raffte er für
rund 1 Mrd. Fr. ein Sammelsurium an Beteili-
gungen zusammen. Dabei tauchten stets seine
privaten Freunde an entscheidenden Stellen
dieser Beteiligungen auf. Geschäftliches und
Privates vermischte sich. Und dass seine Ehe-
frau die Leitung der Rechtsabteilung über-
nahm, erschwerte die unabhängige Kontrolle
von Interessenkonflikten zusätzlich.
All dies hat im letzten Herbst die Finanz-
marktaufsicht Finma auf den Plan gerufen,
welche im Rahmen eines sogenannten En-
forcement-Verfahrens die Führungs- und
Kontrollmechanismen der Bank untersucht.
Damit hat die Behörde schweres Geschütz
aufgefahren: Die Finma kann das Organi-
Governance gleicht
Raiffeisen einem
Bodybuilder, der noch
immer die Kleider eines
Primarschülers trägt.»
gramm verändern, personelle Wechsel anord-
nen oder im Extremfall gar eine Firma liqui-
dieren. Das Ziel ist es, den «ordnungsgemäs-
sen Zustand» wiederherzustellen, wie es im
Reglement heisst. Wie aus einer internen
Quelle verlautet, muss die Bank sogar den
E-Mail-Verkehr seit dem Jahr 2010 offenlegen.
Mit der Verhaftung von Vincenz und dem Ver-
dacht, die eigene Bank betrogen zu haben, ist
der Skandal jetzt eskaliert.
Wo ist der erfahrene Kapitän, der die Ge-
nossenschaftsbank wieder aus dem Sturm
herausnavigieren kann? Die Krise macht deut-
lich, welches Führungsvakuum der über-
mächtige Vincenz seit seinem Abgang vor
zwei Jahren hinterlassen hat. Besonders der
Verwaltungsrat, das oberste Führungs- und
Kontrollorgan, gilt nach Meinung namhafter
Experten als zu wenig profiliert. Peter V. Kunz,
Professor für Wirtschaftsrecht der Universität
Bern, spricht von einem «Gremium wohl-
meinender Amateure»: «Es fehlt vor allem an
bankfachlichem Know-how, welches auf-
grund der Systemrelevanz von Raiffeisen
erforderlich wäre.» Vor drei Jahren hat die
Nationalbank das Institut, analog zu UBS und
Credit Suisse, als «too big to fail» eingestuft –
sprich: als potenzielles Risiko für die Volks-
wirtschaft.
Die Führungsstrukturen der Bank hätten
mit dem rasanten Wachstum nicht Schritt ge-
halten, urteilt Kunz: «Aus Sicht der Corporate
Governance gleicht Raiffeisen einem Body-
builder, der noch immer die Kleider eines
Primarschülers trägt.» Seine Worte haben Ge-
wicht: Bereits 2013 warnte er öffentlich, dass
das System Raiffeisen im Falle einer Krise
überfordert sei – was ihm damals einen gehar-
nischten Brief von Pierin Vincenz eintrug.
Zehn der zwölf Verwaltungsräte stammen
aus der Ära Vincenz (vgl. Tabelle). Banker hat
es kaum darunter. Zum Gremium gehören
etwa ein Stadtrat, eine Alt-Regierungsrätin
oder ein Vertreter des Bauernverbandes. Auch
Präsident Rüegg-Stürm stiess im Jahr 2008
ohne Bankpraxis zur Raiffeisen. Als Professor
für Organization Studies der Universität
St.Gallen beschränkte sich seine Tätigkeit in
der Privatwirtschaft auf eine vierjährige
Projektarbeit beim Pharmakonzern Ciba-
Geigy. Das Raiffeisen-Präsidium, welches mit
480 000 Fr. im Jahr vergütet wird, übt Rüegg-
Stürm in einem 50%-Pensum aus
Befangenheit als Nachteil
Seine Nähe zu Vincenz erschwert die Aufgabe,
Raiffeisen neu auszurichten. Wichtigste Vor-
aussetzung für eine glaubwürdige Aufklärung
der Geschehnisse sei die Unabhängigkeit aller Es fehlen die Bank-Experten
Beteiligten, erklärt der Zürcher Professor
Hans Caspar von der Crone, der an der Er- Zusammensetzung des Verwaltungsrats von Raiffeisen
arbeitung des «Swiss Code of Best Practice»
zur Unternehmensführung beteiligt war: «Wer Name Beruf gewählt seit
selbst an den zu untersuchenden Entscheiden
Johannes Rüegg-Stürm Professor Universität St. Gallen 2008
mitgewirkt hat, ist befangen und kann des-
halb nicht Teil der Untersuchung sein.» Philippe Moeschinger Direktor Comptoir Immobilier 2008
Wie ein Damoklesschwert hängt zudem die Urs Schneider Stv. Direktor Bauernverband 2008
laufende Strafuntersuchung über der Raiff- Franco Taisch Ehem. Professor Universität Luzern 2008
eisen-Führung. Bei Vincenz’ Nachfolger,
Rita Fuhrer Alt-Regierungsrätin 2010
Patrik Gisel, stellt sich die Frage, ob er tatsäch-
lich keinen Verdacht zu den dubiosen Ge- Edgar Wohlhauser Partner BDO 2006
schäften schöpfen konnte. Immerhin war er Angelo Jelmini Stadtrat Lugano 2011
14 Jahre lang sein Stellvertreter. Bei der strit- Werner Zollinger Inhaber ProjectGo 2006
tigen Beteiligungsgesellschaft Investnet hielt Daniel Lüscher Vorsitzender Raiffeisen Aarau-Lenzburg 2008
er zeitweise das Präsidium.
Was unternimmt Rüegg-Stürm, falls auch Laurence de la Serna Leiterin Jean Gallay S.A. 2017
Gisel in den Strudel der Ermittlungen gerät? Olivier Roussy Gründer Major Invest S.A. 2014
Sein eigener Stuhl als Präsident wackelt ohne- Pascal Gantenbein Professor Universität Basel 2017
hin schon. Vor zwei Wochen musste er in
einem Communiqué Gerüchte dementieren, Quelle: Raiffeisen

«Der Fall Vincenz ...» neue Mitglieder portieren, deren zu tun, die für uns nicht erkenn-
SALVATORE VINCI

Namen wir demnächst nennen bar waren.

werden.
Fortsetzung von Seite 25 Sie sind seit sieben Jahren Präsi-

weiteren dieser Akquisitionen

mitgespielt haben, zum Beispiel
bei Notenstein?
Das kann ich nicht wissen.
Sie sprachen von einem nötigen
Paradigmenwechsel: Braucht es
bei einer solchen radikalen Neu-
ausrichtung auch neue Köpfe?
Die Verbesserung der Corpo-
rate-Governance-Strukturen
können wir ohne personelle
Veränderung bewältigen. Ohne-
hin steht der Verwaltungsrat vor
einem grösseren Generationen-
wechsel. Dabei werden wir
berücksichtigen, welche profes-
sionellen Kompetenzprofile wir
in Zukunft benötigen.
Neun der zwölf VR-Mitglieder
scheiden bis 2020 aus. Von der
Blutauffrischung in Ihrem Gre-
mium ist erst wenig zu sehen.
Wir werden an der Delegier-
tenversammlung im Juni zwei
Gab es in diesem Kontext, wie
kürzlich zu hören war, Gespräche
mit Bundesrätin Doris Leuthard?
Nein. Ich bedaure extrem,
dass solche Gerüchte entstanden
sind. Für Bundesrätin Leuthard
tut es mir leid, dass sie in diese
Spekulationen hineingezogen
wurde.
Gibt es Gruppierungen in der
Bank, die sich eine neue markante
Führungsperson wünschen?
Wie dieses Gerücht entstand,
ist mir nicht klar. Die in den
Medien genannte Headhunter-
Firma hatte keinen Auftrag, eine
Nachfolge für das Präsidium zu
suchen. Der Auftrag beschränkte
sich einzig auf die Suche von
VR-Mitgliedern.
Wollen Sie im Juni für weitere
zwei Jahre als Präsident von
Raiffeisen antreten?
Ja, ich werde im Juni wieder
kandidieren.
Für Bundesrätin
Doris Leuthard
tut es mir leid,
dass sie in diese
Spekulationen
hineingezogen
wurde.
Johannes Rüegg-Stürm übt das Präsidium in einem 50%-Pensum aus.
Haben Sie die dafür erforderliche
Unterstützung der 164 Delegier-
ten?
Es ist meine Aufgabe, diese
Unterstützung durch eine über-
zeugende Arbeit zu sichern.
Steht der Verwaltungsrat weiter-
hin hinter CEO Patrik Gisel?
Herr Gisel führt die Raiffeisen-
Gruppe sehr erfolgreich. Das
wird durch das Rekordergebnis
in diesem Jahr bestätigt. Er
geniesst unsere vollumfängliche
Unterstützung.
Allerdings war er zeitweise Präsi-
dent der Investnet, welche nun
Gegenstand der Strafunter-
suchung ist.
Ich betone nochmals: Wir
haben es hier mit Sachverhalten
dent der Raiffeisen und trotzdem
sind Sie praktisch nie in der
Öffentlichkeit aufgetreten.
Denken Sie, dass Sie sich schon
früher ein markanteres Profil
hätten erarbeiten sollen?
Rückblickend wäre es hilf-
reich gewesen, wenn ich als
Präsident nicht nur nach innen,
sondern verstärkt auch nach
aussen kommuniziert hätte. Wir
sind jetzt dabei, dies entspre-
chend zu korrigieren.
Reicht Ihr 50%-Pensum bei der
Raiffeisen, um diese Krise zu
bewältigen?
Dank meiner langjährigen
Erfahrung an der Universität
kann ich die zurzeit nötige Prä-
senz für das VR-Präsidium auf-
bringen. Inskünftig werden wir
prüfen, ob das heutige Pensum
für dieses Amt noch reicht. Ich
könnte mir vorstellen, dass mein
Nachfolger dereinst in einem
Vollzeitpensum arbeiten wird.

Die Versteckspiele von
Pierin Vincenz
Der Ex-Raiffeisen-Chef habe
DOMINIC BÜTTNER
sich über Dritte privat an
Firmen beteiligt, die danach zu
höherem Preis an die Bank
und ihre Beteiligung Aduno
verkauft worden seien, lautet
der Vorwurf. Es geht um
Millionen. Daniel Hug
Patrik Gisel, der heutige Chef der
Raiffeisen-Gruppe, hat mit sei-
nem Vorgänger gebrochen: «Falls
sich der Verdacht bestätigt, bin
ich und ist die ganze Raiffeisen-
Führung von Pierin Vincenz ganz
klar angelogen worden», sagte
Gisel am Freitag am Rande einer
Medienkonferenz.
Eigenartig ist freilich, dass
Raiffeisen bis vor einer Woche
nichts Auffälliges entdeckt haben
will, obwohl intern bereits 2016
eine Untersuchung angesetzt
worden ist. Die Kreditkartenfirma
Aduno hingegen, an der Raiff-
eisen 25,5% hält, hat letzten
November die Anwaltskanzlei
Baumgartner Mächler beauftragt,
die Vorgänge zu untersuchen. Be-
reits im Dezember legten die auf
Wirtschaftsstrafrecht speziali-
sierten Anwälte ihren Bericht vor.
Postwendend reichte Aduno am
21.Dezember Strafanzeige ein
gegen zwei frühere Organperso-
nen wegen Verdachts auf unge-
treue Geschäftsbesorgung. Pierin
Vincenz, bis 2016 Aduno-Präsi-
dent, und der ehemalige CEO der
Kreditkartenfirma sitzen seit
Dienstag in Untersuchungshaft –
wegen Kollusionsgefahr.
Der Aduno-Fall
«Die Frage ist immer, was man bei
einer Untersuchung sehen will»,
wonach Bundesrätin Doris Leuthard nach Bei der Genossen- heisst es aus dem Aduno-Umfeld.
ihrem angekündigten Rücktritt aus der Politik schaftsbank Raiff- Vielleicht war der Blick bei Raiff-
seine Nachfolge antreten werde. Sollte Rüegg- eisen bestimmen eisen getrübt, weil Vincenz seine
Stürm nicht selbst den Weg für einen perso- die 164 Delegierten, Entourage «ausserordentlich gut
nellen Neuanfang im Verwaltungsrat frei ma- wer in den Verwal- bezahlte», wie sich ein Raiffeisen-
chen, könnten auch die Genossenschafter der tungsrat kommt. Insider ausdrückt. Machtmensch
Bank dafür sorgen. Das formell oberste Organ Vincenz habe mit seinem Cha-
der Genossenschaftsbank ist die Delegierten- risma geführt. Und manche
versammlung. Die 164 Delegierten treffen sich haben sich davon offenbar blen-
einmal jährlich im Juni und nicken normaler- den lassen.
weise die Anträge des Verwaltungsrats ab. Aduno hat in den letzten Jah-
Diesmal könnten einzelne der 255 regionalen ren mehrere Firmen zugekauft.
Raiffeisen-Genossenschaften, welche die Commtrain Card Solutions
Delegierten stellen, einen Gegenkandidaten nannte sich eine dieser Firmen.
zu Rüegg-Stürm in Stellung bringen. Sie vertrieb die Kreditkartenleser,
Sicher ist das nicht. Doch wie ein Insider die eine grosse US-Firma produ-
berichtet, sei das Verhältnis zwischen der zierte – und stellte die dazu not-
nationalen Führung in St.Gallen und den wendige Software bereit. 2002
regionalen Präsidenten zunehmend ange- wurde Commtrain in Wil gegrün-
spannt. Die Ablösung von der Ära Vincenz det, mit einem Aktienkapital von
könnte bei Raiffeisen zu weiteren unvermit- 0,25 Mio. Fr. Zwei Jahre später
telten Erschütterungen führen. wird das Kapital verdoppelt.
Chronologie
Kritische Phasen der Ära Vincenz
30. Januar 2015. «Mit Erreichen 1. November 2017. Die Eidgenös-
WALTER BIERI / KEYSTONE
seines 60. Lebensjahrs» gibt Pierin sische Finanzmarktaufsicht
Vincenz seinen Rücktritt als Chef (Finma) leitet ein Verfahren gegen
der Raiffeisen-Gruppe auf den Mai Pierin Vincenz ein. «Ich bin von der
2016 hin bekannt. Er hatte diese Finma [...] informiert worden,
seit 1999 geführt. dass im Zuge des Verfahrens
gegen Raiffeisen Schweiz auch
1. Oktober 2015. Patrik Gisel über- gegen mich persönlich ein
nimmt früher als geplant die ope- Enforcement-Verfahren bezüglich
rative Führung der Bank. Grund ist Handhabung von Interessens-
die Nominierung von Pierin Vin- konflikten während meiner Zeit
cenz als Verwaltungsratspräsident bei Raiffeisen Schweiz eröffnet
des Versicherers Helvetia. Patrik Gisel, CEO Raiffeisen. worden ist», schreibt Vincenz in
einer Mitteilung.
11. April 2017. Vincenz tritt nicht
mehr für eine Wiederwahl als Ver- waltungsrats von Leonteq zurück, 6. November 2017. Raiffeisen-
waltungsratspräsident der Aduno «sobald ein geeigneter Nachfolger Chef Patrik Gisel nimmt in einem
an. Dieses Gemeinschaftsunter- gefunden» sei. Seit Anfang 2016 Interview mit der «Finanz und
nehmen verschiedener Kantonal- hatte er das Gremium präsidiert. Wirtschaft» Stellung zum Verfah-
banken sowie der Raiffeisen gibt Im November 2017 führte der ren der Finma. Eine Raiffeisen-
Kreditkarten heraus. Finanzdienstleister eine ausser- interne Untersuchung habe erge-
ordentliche Generalversammlung ben, dass das Tochterunterneh-
20. Juli 2017. Nach vier Jahren durch und wählte Christopher men Investnet im Fokus stehe.
tritt Vincenz als Mitglied des Ver- Chambers zum Nachfolger. «Es geht um die Entscheidungs-
Hat seine privaten Beteiligungen nicht offengelegt: Pierin Vincenz, ehemaliger Raiffeisen-Chef.
Im Jahr 2005 wird noch mehr gaben zum Kauf. Aber der Good-
Geld eingeschossen: Am 2.Juni will in der Bilanz steigt um 9,1
steigt das Aktienkapital von 0,5 Mio.Fr. und bezieht sich laut Er-
auf 1,0 Mio.Fr., im September auf läuterungen auf Commtrain so-
1,75 Mio. Fr. Im «Kapitalerhö- wie auf den Zukauf einer viel klei-
hungsbericht» vom gleichen Tag neren Firma im Tessin.
ist festgehalten: Die bisherigen Für die Kartenleser-Firma hät-
Aktionäre «verzichten ausdrück- ten zwar phantastische Projektio-
lich auf ihr Bezugsrecht». Die 750 nen von künftigem Wachstum
neuen Aktien zu 1000 Fr. werden existiert, faktisch sei die Firma
der Investorin i Finance Manage- aber überschuldet gewesen,
ment AG angeboten. Diese Zuger heisst es heute aus Aduno-Krei-
Firma ist kurz zuvor gegründet sen. 2009 verschwindet die
worden, am 27. Juni 2005. Allei- Firma Commtrain, weil sie in die
niger Verwaltungsrat ist Anwalt Aduno-Gruppe fusioniert wird.
Beat B., ein Vertrauter von Vin- Vincenz liess im gleichen Jahr
cenz. Hinter der i Finance stehen drei Gutachten zum Fall erstellen,
aber als Besitzer Pierin Vincenz von den Professoren Peter Forst-
und der Ex-CEO von Aduno, wie moser, Claudio Loderer und der
aus den bisherigen Untersuchun- Beratungsfirma Helbling. Bezah-
gen hervorgeht. len liess er übrigens Raiffeisen,
Am 17. November 2005 erfolgt obwohl die Genossenschaft
wieder eine Kapitalerhöhung, direkt nicht involviert war.
von 1,75 auf 2,0 Mio. Fr. Am glei- Bereits Forstmoser stellte fest,
chen Tag nimmt Anwalt Beat B. dass die private Beteiligung von
auch Einsitz im Commtrain-Ver- Vincenz zwar gegen «Best-prac-
waltungsrat. Am 29.März 2006 tice-Regeln» verstossen habe. Aber
wird das Kapital abermals erhöht, seine Investitionen in Commtrain
auf 2,5 Mio.Fr. Davon werden hätten in keiner Weise die Interes-
60% von der Firma i Finance ge- sen von Aduno beeinträchtigt.
halten, die restlichen 40% von Die Ermittler argumentieren
übrigen Aktionären. jedoch, Aduno habe für die Kar-
Im Jahr darauf folgt der Pau- tenlese-Firma massiv zu viel be-
kenschlag: Die Aduno-Gruppe zahlt – weil die Besitzer von
übernimmt in einem «strategi- Commtrain faktisch an sich
schen Schritt» am 4.April 2007 selbst verkauften. Vincenz hatte
Commtrain zu 100% – und be- als Aduno-Präsident dabei das
zahlt für die kleine Firma laut in- letzte Wort.
formierten Kreisen rund 6 bis 7 Am 10.November 2014 kaufte
Mio.Fr. Die Commtrain-Aktionä- Aduno erneut eine Kleinfirma,
re konnten ihren Einsatz somit die Eurokaution AG, die für Mie-
mehr als verdoppeln. Wie wird ter die Kaution garantiert. Sie
dieser Aufpreis verbucht? Im wurde 2009 mit einem Aktien-
Aduno-Geschäftsbericht 2007 kapital von 0,4 Mio.Fr. gegrün-
finden sich nur rudimentäre An- det. Im Juli 2013 wird das Kapital
prozesse, die zu der Beteiligung 15. November 2017. Die Unter-
geführt haben – wie die Verträge suchungen zur Rolle von Pierin
gestaltet und aufgegleist Vincenz weiten sich aus. Nach der
wurden», sagte Gisel. Finma nimmt nun auch Aduno
die Tätigkeit im eigenen Unter-
8. November 2017. Vincenz nehmen seitens des ehemaligen
bestätigt Presseberichte, wonach Raiffeisen-Chefs unter die Lupe.
er privat 15% an der Raiffeisen-
Tochter Investnet halte. 18. Dezember 2017. Pierin
Vincenz tritt als Verwaltungsrats-
präsident von Helvetia zurück.
Die Finma stellt das Verfahren
ANTHONY ANEX / KEYSTONE
gegen ihn ein, eine parallele
Untersuchung gegen Raiffeisen
zu Themen der Corporate Gover-
nance geht weiter.
21. Dezember 2017. Aduno reicht
Strafanzeige ein gegen zwei frü-
here Organe der Gesellschaft.
Damit sind Pierin Vincenz als ehe-
maliger Verwaltungsratspräsident
sowie der ehemalige Aduno-Chef
Mark Branson, Direktor Finma. im Visier.
27
auf einen Schlag auf 1,5 Mio.Fr.
verdreifacht. Ein Jahr später kauft
Aduno die defizitäre Firma für 5,6
Mio.Fr. in bar. Davon werden 3,9
Mio.Fr. als Goodwill verbucht.
Aduno rettet Eurokaution, denn
vor der Übernahme überstiegen
die kurzfristigen Schulden den
Wert der Aktiven. Wer alles bei
Eurokaution als Aktionär enga-
giert war, lässt sich heute aller-
dings noch nicht sagen. Sicher ist,
dass auch hier Vincenz als Präsi-
dent der Aduno in der Verantwor-
tung stand.
Der Raiffeisen-Fall
Am 28.Februar schliesslich
reichte auch die Raiffeisen Straf-
anzeige gegen ihren ehemaligen
Chef ein. Vorgeworfen wird ihm
«ungetreue Geschäftsbesorgung»
im «Aduno- und Investnet-Um-
feld». Raiffeisen hatte 2012 auf
Betreiben von Vincenz die Mehr-
heit an der Finanzgesellschaft In-
vestnet gekauft, die in KMU
investiert.
Auch hier sind die Besitzver-
hältnisse offenbar undurchsich-
tig. Laut Gisel gibt es ein «Treu-
handverhältnis», dessen Inhalt
der Raiffeisen-Führung nicht be-
kannt war. Gisel sprach am Frei-
tag von einer «kaschierten Betei-
ligung». Er sieht zwar eine Privat-
bereicherung als möglich an, ver-
neint aber, dass Raiffeisen da-
durch einen direkten Schaden er-
litten habe. Gisel ist jedoch in der
Sache befangen: Er agierte von
2012 bis 2015 als Präsident der
Verwaltungsrates der Investnet,
danach übernahm Pierin Vincenz
das Amt.
Ermittelnder Staatsanwalt Marc
Jean-Richard-dit-Bressel.
28. Februar 2018. Die Zürcher
Oberstaatsanwaltschaft eröffnet
ein Verfahren wegen ungetreuer
Geschäftsbesorgung gegen
Vincenz. Auslöser war die Straf-
anzeige von Aduno. Zudem
reichte nun auch Raiffeisen
Anzeige gegen den Ex-Chef ein.
(frp./sda)
28 Wirtschaft NZZ am Sonntag 4. März 2018

Mein Standpunkt Beat Kappeler

Personenund
Der letzte Handelskrieg endete mit einer Unternehmen
Schlappe für die Amerikaner Manor. Das grösste Warenhaus der

N
och schnell Bourbon-Whisky
und eine Harley-Davidson
kaufen und alle Stahl-Aktien
abstossen. So müsste man
sich gegen die Folge des Han-
delskrieges vorbereiten, der
zwischen den USA und der EU droht.
Weil US-Präsident Trump Importzölle von
25% auf Stahl und von 10% auf Aluminium
erheben will, droht EU-Kommissions-Präsi-
dent Jean-Claude Juncker mit Gegenmass-
nahmen. Die EU denkt daran, unter anderem
die Importe der schweren Motorräder und der
starken Getränke einzuschränken.
Gerade wegen potenzieller Gegenmass-
nahmen wird der Handelskrieg wohl nicht
stattfinden. Wir können ruhig auf dessen
letzte Generalprobe vor genau 16 Jahren
zurückblicken. Die ging für die USA auch
schief. Die Methoden des Angriffs und der
Verteidigung sind heute wie damals die glei-
chen. Das Scharmützel fand wunderbarer-
weise ohne Kanonenboote und Bomberein-
sätze statt. Denn am 5. März 2002 verfügte
Präsident George W. Bush ebenfalls Zölle auf
Stahl, sogar 30%. Die EU und die damals
mitbetroffene Schweiz drohten ihrerseits mit
gezielten Importblockaden. Und zwar gegen
Produkte aus US-Staaten, die für die anste-
hende Wiederwahl des George W. heikel
waren. Gemüse, Zitronen, Nüsse aus Florida
und Kalifornien, sowie Textilien, Papier und
Möbel aus den Südstaaten waren im Visier.
Der Streit nahm den gesitteten Weg über
die Welthandelsorganisation WTO. Eine
Expertengruppe urteilte am 10. November
2003, dass die US-Regierung keine Beweise
für schwere Störungen ihres Handels oder
der nationalen Sicherheit geliefert hatte.
Damit hätten die EU und die Schweiz mit
ihren Handelsschikanen gegen die USA legal
loslegen können. Präsident Bush knickte ein
und hob drei Wochen später die Zölle auf.
So dürfte es auch diesmal verlaufen. Die
angedrohten Zölle und Schikanen etwa
gegen die Harley-Davidson-Töffs könnten
auf eine eh schon tiefe Wunde Präsident
Trumps drücken. Er hatte diese Firma als
Muster amerikanischer Stärke vorgezeigt,
doch Ende Januar kündigte sie die Entlas-
sung von 800 Arbeitern in Kansas City an.
Trump könnte vor aller Augen nun der Fabrik
den letzten Sargnagel zu verpassen, wenn er
die EU zu Gegenmassnahmen veranlasst.
Trump scheint die Episode von
2002/2003 nicht zu kennen, wie so vieles
nicht. Er vermag die Macht friedlicher, aber
energischer WTO-Gegenzüge der anderen
Staaten nicht einzuschätzen, denn neben der
EU schreien auch China und Kanada auf.
Trump mit seiner kurzen «attention span»
handelt impulsiv aus relativ nichtigem
Anlass. Solange die legalen und organisatori-
schen Bande der USA und der internationa-
len Gemeinschaft aber halten, so lange muss
man sich keine Sorgen wegen der geistigen
Gesundheit dieses Präsidenten machen.
Einmal mehr sollte sich zeigen, dass die
lockeren Bande der WTO ausreichen, um die
freiheitliche weltweite Handelsordnung zu
sichern. Indem ein Bericht neutraler Exper-
ten Gegenmassnahmen erlaubt, ersticken
Handelskriege rasch. Das Vorgehen ist fried-
lich und rasch. Würde man vor dem inter-
nationalen Gericht in Den Haag oder vor der
Uno klagen, hätte man im einen Fall viele
Jahre zu warten, im andern Fall wohl poli-
tisch gefärbte Urteile.
Die Opponenten gegen den atlantischen
Freihandelspakt TTIP verurteilen die «gehei-
men Schiedsgerichte» solcher Pakte. Sie
scheinen die Mechanik der WTO nicht als
normale, eingespielte Realität zu kennen, so
Ökonomisch wenig wie Trump. Viele Leute verkennen
schadet den Wert vertraulicher Verhandlungen zwi-
Trump mit schen souveränen Staaten. Würden sie
immer gleich alles herausposaunen, jeden
seiner Mass- Vorschlag, jeden Einwand, könnte keine
nahme vor Verhandlungspartei ihr Gesicht wahren,
allem den wenn sie Kompromisse eingeht. Alle müss-
US-Konsu- ten maximalistische Slogans für ihre Wähler
zu Hause verkünden – und könnten nie
menten. Zoll- wieder zurückrudern.
geschützte Ökonomisch schadet Trump mit seiner
Produkte Massnahme vor allem den US-Konsumenten.
werden Zollgeschützte Produkte werden automa-
tisch teurer. Der Bierriese Anheuser-Busch
automatisch warnt bereits, höhere Dosenpreise könnten
teurer. nun bei ihm viele Arbeitplätze kosten. Die
geschützten Industrien schlafen ausserdem
ein und sind nie wieder international kon-
kurrenzfähig. Das sind langfristige Wirkun-
gen, die die «attention span» dieses Präsi-
denten vollends übersteigen.
Den unter Präsident Bush errichteten
Importhindernissen folgte dann eine ganze
planwirtschaftliche Eingriffswelle. Denn die
Amerikaner befreiten dann doch Importe
von Hunderten von Firmen für diese oder
jene Variante eines Stahl-Vorprodukts zwi-
schenzeitlich wieder von Strafzöllen.
Auch diesmal wird Trump viele Listen von
Stahlrohren, Stahlplatten, Drähten, heiss-
gewalztem, kaltgewalztem Stahl mit Sonder-
konditionen erstellen lassen und damit eine
ganze Branche planerisch einfrieren. Good
luck!
Schweiz beklagt erneut einen Abgang in
der Geschäftsleitung. Digitalchef Yoann
Le Berrigaud verlasse Manor auf eigenen
Wunsch, bestätigt ein Sprecher Recher-
chen der «NZZ am Sonntag». Er wolle
wieder näher bei seiner in Frankreich
lebenden Familie sein. Einen Nachfolger
wird es nicht geben. Der Bereich Digitales
wird in den neuen Geschäftsbereich
Marketing und Digitales integriert. Seit
vor gut einem Jahr Stéphane Maquaire
den langjährigen Chef Bertrand Jungo an
der Manor-Spitze beerbte, hat es sowohl
im Top-Management als auch auf der
zweiten Führungsebene verschiedene
Wechsel gegeben. Vor kurzem hat der
Finanzchef das Unternehmen verlassen,
wie die «NZZ am Sonntag» berichtete.
Zuvor gingen der Marketing-Leiter und
die Kommunikationschefin. (knu.)
Biomed Partners. Das auf Investitionen
in junge Pharmafirmen spezialisierte
Unternehmen hat seinen dritten Risiko-
kapitalfonds mit insgesamt 100 Mio. Fr.
geäufnet. Am Vehikel Biomed Invest III
beteiligen sich die Berner und die Basler
Kantonalbank sowie der Europäische
Investitionsfonds
(EIF). Gerüchteweise
sollen auch ehema-
lige Actelion-Aktio-
näre eingestiegen
sein. Biomed-Partner
Markus Hosang (Bild)
will keine Namen
nennen. Er sagt nur,
mehrere wichtige
Privatinvestoren
seien dabei. (vob.)

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NZZ am Sonntag 4. März 2018
«Prinzessin» Syngenta braucht Geld
Der Agrochemiekonzern muss den eigenen Verkauf nach China mit Schulden in Milliardenhöhe finanzieren
Franziska Pfister
Bei seinem ersten Auftritt in Basel
bekam Chairman Ren Applaus
von seiner Entourage. «Syngenta
ist für uns wie eine Prinzessin»,
sagte Ren Jianxin im Juni 2017
der «Basler Zeitung». Er hoffe auf
«viele Gelegenheiten», nach Basel
zu kommen. Ob er dort mit offe-
nen Armen empfangen wird, ist
eine andere Frage. Denn nicht
alles kam, wie der ChemChina-
Chef sich das gewünscht hatte.
«Das Führungsteam bleibt be-
stehen», hatte er noch im Juni er-
klärt. Wenige Monate später warf
Vizepräsident Michel Demaré
hin, was Syngenta an einem Frei-
tagnachmittag kommunizierte.
Nicht an irgendeinem Freitag,
sondern jenem vor dem Weih-
nachtswochenende 2017.
Von Chairman Ren kam kein
Wort des Dankes für den Mann,
der die Gruppe der unabhängigen
Verwaltungsräte führte. Demaré
schied Ende Jahr aus dem Verwal-
tungsrat aus, obwohl er zuvor
beteuert hatte, bleiben zu wollen.
Die Gründe liegen im Dunkeln,
nicht einmal sein engstes Umfeld
mag sich dazu äussern.
Enorme Verunsicherung
Zwei Jahre nach Bekanntgabe des
Kaufs durch ChemChina befindet
sich Syngenta im Umbruch. Die
chinesisch-schweizerischen Be-
ziehungen sind angespannt. Zahl-
reiche Abgänge auf mittleren und
höheren Führungsstufen deuten
auf grosse Verunsicherung hin.
Eine Baulücke auf dem Werks-
gelände gegenüber des Badischen
Bahnhofs erinnert die Basler Be-
legschaft auf dem Weg ins Büro
jeden Tag daran. Dort hatte ein
Hochhaus gestanden. Ein ge-
planter Neubau wurde fallenge-
lassen, da «viele Mitarbeitende
neu von Hause oder unterwegs»
arbeiteten, wie Demaré im Som-
mer sagte. Oder weil es in Zukunft
am Sitz weniger von ihnen
braucht?
Auch ein Jahr nach Vollzug der
Übernahme sind die Finanzen
eine Baustelle. Der Agrochemie-
konzern möchte im zweiten
Anlauf bis Ende März am Kapital-
A Small World will bei den Grossen mitspielen
Das soziale Netzwerk für
Reiche von Patrick
Liotard-Vogt will an die Börse.
A Small World wird eines
der kleinsten Unternehmen
im Tableau sein.
Ueli Kneubühler
Patrick Liotard-Vogt nutzt die
Gunst der Stunde. Er will sein
soziales Netzwerk A Small World
an die Börse bringen und befindet
sich damit in guter Gesellschaft.
Sensirion, Medartis, Gategroup
und Swissport: Sie alle drängen in
den nächsten Monaten aufs Par-
kett. Im Gegensatz zu diesen Fir-
men spielt A Small World in einer
kleineren Liga. Gut 5 Mio. Fr. Um-
satz soll das Unternehmen dem
Vernehmen nach mit seinen 40
Mitarbeitenden schreiben. Rund
3 Mio. Fr. stammen von den
28 000 Mitgliedern, die jährlich
100 Fr. Mitgliederbeitrag bezah-
len, den anderen Teil steuern Ser-
vices wie Events bei.
Der Emissionsprospekt ist ein-
gereicht, betreut wird A Small
World von der Zürcher Anwalts-
kanzlei Blum & Grob. Er soll
gleichzeitig mit der Ankündigung
des Datums des ersten Handels-
tages veröffentlicht werden.
Aus den wenigen Zahlen lässt
sich eine Marktkapitalisierung
Wirtschaft
Ein Forscher in Syngentas Biotech-Center, das 2012 in Peking eröffnet wurde. (19. 2. 2016)
«Syngenta ist
für uns wie
eine Prinzessin»,
sagte Ren Jianxin
im Juni 2017.
von etwas über 60 Mio. Fr. er-
rechnen, was für eine so kleine
Firma eine stattliche Bewertung
ist. Im Swiss-Performance-Index
wird A Small World aber zu den
Winzlingen zählen.
Das Netzwerk, das laut An-
gaben von CEO Jan Luescher
weltoffene und vielseitig interes-
sierte Leute und nicht nur Millio-
näre anvisiert, wird keine neuen
Aktien ausgeben. Geplant ist ein
sogenanntes direktes Listing
ohne Bankbegleitung, weil man
für die künftigen Wachstums-
schritte kein zusätzliches Kapital
benötige, teilte das Unternehmen
diese Woche mit. A Small World
ist von der Muttergesellschaft
ASW Capital finanziert. Ziel sei es
primär, mit dem Listing den
Handlungsspielraum zu erwei-
tern und den Bekanntheitsgrad
zu stärken, sagt der frühere Bera-
ter Luescher. Er ist seit eineinhalb
Jahren Chef der Plattform.
Zuletzt ist es ruhig geworden
um das als «Millionärs-Facebook»
betitelte Unternehmen. Nun will
Präsident Liotard-Vogt, er ist
Mehrheitsaktionär der Mutter-
gesellschaft ASW Capital, und
diese ist mit 60% grösste A-Small-
World-Aktionärin, an die Börse.
Ob der flamboyante Hauptaktio-
när, der in der Vergangenheit eher
in den Klatschspalten denn im
markt 5 Mrd. $ aufnehmen. Der
erste Versuch war im Herbst ge-
scheitert, obwohl Banker von
sechs Instituten wochenlang
Geldgeber gesucht hatten. Damals
hätten die Basler gern 7,5 Mrd. $
aufgenommen, jetzt haben sie
ihre Ziele zurückgesteckt.
Gleich zwei Hürden erwiesen
sich als unüberwindbar. Die chi-
nesische Agentur für Staatsbetei-
ligungen (Sasac) erklärte, Chem-
China müsse fortan ohne Staats-
garantie auskommen. Worauf die
Ratingagentur Standard & Poor’s
verlauten liess, Syngentas Kredit-
rating werde möglicherweise um
«eine oder mehr» Stufen redu-
ziert. Ob es dazu kommt, ist
Filmmogul Harvey Weinstein (r.) verkaufte A Small World an Patrick Liotard-Vogt. (Gstaad, 15. 12. 2012)
Chef Jan Luescher.
offen. Falls ja, muss das Unter-
nehmen für Obligationen deut-
lich höhere Zinsen zahlen.
Prozess wegen Genmais
Als Belastung erwiesen sich auch
Rechtsfälle in den USA. Sie stellen
sich als teurer als erwartet her-
aus. Für zwei von drei Millionen-
klagen konnte Syngenta inzwi-
schen Vergleiche schliessen. Be-
kannt ist, dass der Konzern US-
Farmern eine Strafzahlung von
1,5 Mrd. $ leistet. Ob auch für den
Vergleich mit dem Getreidehänd-
ler Archer Daniels Midland Geld
fliesst, ist nicht bekannt.
Im September kommt laut
Reuters zudem der Streitfall mit
Wirtschaftsteil auftauchte, den
Ausstieg sucht?
Über ein Direct Listing kann er
seine Anteile relativ einfach ver-
silbern. Das sei nicht der Fall, sagt
Luescher. Die Muttergesellschaft
ASW Capital habe sich verpflich-
tet, in den nächsten zwei Jahren
mindestens 50% an A Small
World zu halten.
Liotard-Vogt erwirtschaftete
sein Vermögen unter anderem
29
KIM KYUNG-HOON / REUTERS
Landwirtschaft
Chinesen verzehren
jedes zweite Schwein
Vorbei die Zeit, als die Chine­
sen bloss mit einer Schale Reise
satt werden wollten. Mit stei­
gendem Wohlstand bekom­
men Millionen Menschen Ap­
petit auf Fleisch: Jedes zweite
Schwein wird heute in China
verzehrt. Der Kauf Syngentas
soll dem chinesischen Staat
helfen, die Versorgung im Land
sicherzustellen. Die lokale
Landwirtschaft gilt als unpro­
duktiv, die Böden sind über­
düngt. Modernes Saatgut und
Pflanzenschutz aus dem Wes­
ten soll höhere Ernteerträge
bringen. Denn in den letzten
Jahren importierte das Land
laufend mehr Lebensmittel
und begab sich damit in
Abhängigkeit. Andere Schwel­
lenländer verhängten nach
Dürren oder Naturkatastro­
phen mehrfach Exportstopps
für Reis oder Getreide. Für
China sei deshalb wichtig, dass
im Rest der Welt genug Nah­
rung vorrätig sei, damit es sich
im Ausland eindecken könne,
zitiert die Zeitschrift «Fortune»
einen Agrarexperten. (frp.)
Cargill vor Gericht. Der Getreide- analysten der Zürcher Kantonal-
händler macht geltend, die chine- bank im Mai die Abdeckung
sischen Behörden hätten Contai- Syngentas ein, weil sie Chem-
nerschiffe mit mehr als 1,4 Mio. Chinas Bonität nicht einzuschät-
Tonnen Mais in die USA zurück-
geschickt, weil die Ladung Spu-
zen vermögen.
Die Chinesen stachen mit ihrer
ren von Gentechmais enthalten Barofferte von 43,5 Mrd. $ den
habe. Dadurch habe Cargill einen Rivalen Monsanto nicht zuletzt
Schaden von mehr als 90 Mio. $ dank ihrer Staatsgarantie aus. Die
erlitten, heisst es in der Klage- Hälfte der Kaufsumme stemmten
schrift, die der «NZZ am Sonntag» sie durch Kredite, den Rest laut
vorliegt. Juristen gehen davon Ren Jianxin mittels einer «inter-
aus, dass Cargill sich sehr sicher nen Finanzierung» und Beiträgen
ist und es deshalb auf einen Pro- von Finanzinvestoren und Ban-
zess ankommen lässt. ken. Ein Teil davon muss offenbar
Als nicht gerade hilfreich und abgelöst werden. Jetzt muss sich
vertrauensbildend erweisen sich Syngenta verschulden, um für
zudem die Finanzen des Mutter- den eigenen Verkauf aufzu-
hauses. So stellten die Kredit- kommen.
Netzwerk von Skandal-Filmpro-
DAVE M. BENETT / GETTY IMAGES
duzent Harvey Weinstein über-
nommen.
Ob die Aktie von A Small World
zum Fliegen kommt, hängt im
Wesentlichen davon ab, ob das
Unternehmen potenziellen Inter-
essenten eine gute Wachstums-
geschichte verkaufen kann und
ob diese sich vom Ruf des schil-
lernden Investors Liotard-Vogt
nicht abschrecken lassen.
Luescher ist überzeugt, dass
das möglich ist. «Wir haben die
Firma in den letzten eineinhalb
Jahren professionell aufgestellt,
Know-how ins Team geholt, Stan-
dardprozesse eingeführt und die
Plattform technisch ausgebaut»,
so der CEO. Jährlich würden rund
1000 Anlässe organisiert, um da-
mit die Online- mit der Offline-
Welt zu kombinieren. Das Durch-
schnittsalter der Mitglieder liegt
bei 37 Jahren, «eine gewisse
mit Beteiligungen an den Platt- Kaufkraft ist damit vorhanden,
formen Students.ch und Usgang. weshalb wir erfolgreich Zusatz-
ch, die an den Verlag Axel Sprin- services anbieten können».
ger Schweiz verkauft wurden. Die Und was seinen Hauptaktionär
finanzielle Grundlage stammt aus betrifft, sei man sich bewusst ge-
der Familie. Sowohl Grossvater wesen, dass mit dem Börsengang
als auch Urgrossvater waren alte Gerüchte um Patrick Liotard-
Nestlé-Konzernchefs, der Gross- Vogt aufgekocht würden. Die An-
vater später auch Verwaltungs- gelegenheiten seien aber vor lan-
ratspräsident. ger Zeit erledigt worden. «Uns ist
2009 hat Liotard-Vogt das vor bewusst, dass wir als Unterneh-
14 Jahren gegründete soziale men liefern müssen.»
30
Dieselchaos auf deutschen Strassen
Nach dem Urteil zu Fahrverboten für Dieselfahrzeuge herrscht Streit über die Umsetzung
Thomas Byczkowski,
Hamburg
Auf der Stresemannstrasse in
Altona kriecht die Autokolonne
durch eine Schlucht von Gründer-
zeithäusern, vorbei an schwarzen
Schneehaufen. Auf dem Gehweg
steht ein matt-grüner Container
des städtischen Luftmessnetzes
mit Antennen, Messfühlern und
Graffiti. Sie messen regelmässig
Hamburgs schlechteste Luft. Am
27. Februar um 12 Uhr waren es
genau 66 μg/m3 Stickstoffdioxid
(NO2), eineinhalbmal so viel wie
das erlaubte Jahresmittel.
Richter Andreas Korbmacher
vom Bundesverwaltungsgericht
in Leipzig hatte Situationen wie
diese vor Augen, als er letzte
Woche ein wegweisendes Urteil
fällte. Wenn es um die Luftrein-
haltung gehe, seien Fahrverbote
für Diesel-Kraftfahrzeuge zuläs-
sig. Städte können sie also an Or-
ten wie der Stresemannstrasse
verbieten.
Man habe nur auf das Urteil ge-
wartet, sagt Jan Dube, Sprecher
des Amtes für Umwelt und Ener-
gie. Schon im April sollen Teile
der Stresemannstrasse und der
Max-Brauer-Allee gesperrt wer-
den. Bundesweit wären das die
ersten Dieselfahrverbote.
6000 Tote im Jahr
Vor allem Dieselmotoren stossen
NO2 aus, ein Gift, an dessen Fol-
gen jedes Jahr etwa sechstausend
Menschen verfrüht sterben,
zitiert das Magazin «Report» im
Fernsehsender ARD das Umwelt-
bundesamt mit einer noch nicht
veröffentlichte Studie. Die euro-
päische Umweltagentur nennt
zehntausend Opfer. Die Deutsche
Umwelthilfe (DUH) hat deshalb
noch 17 weitere Städte verklagt
und 42 mit Klagen gedroht.
Und auch auf die Hersteller
rollt offenbar eine neue Klage-
welle zu. Die Anwaltskanzlei
Dr. Stoll & Sauer aus Lahr – nach
eigenen Angaben grösster Kläger
beim VW-Skandal – gibt an, dass
sich die Anfragen seit dem Urteil
verzehnfacht hätten. Autohänd-
ler rechnen mit weiterem Preis-
Reformkampf in Frankreich: Runde eins geht an Macron
Frankreichs streikfeste
Eisenbahner kämpfen für
den Erhalt ihrer Privilegien.
Doch das Volk schlägt sich
auf die Seite des Präsidenten.
Axel Veiel, Paris
Sie sprechen immerhin noch mit-
einander. In freundlichem Tone
habe man sich ausgetauscht, hat
Eric Meyer nach einem Treffen
mit Frankreichs Verkehrsministe-
rin Elisabeth Borne gesagt. Die
Miene des Mannes freilich wirkte
wenig freundlich. Der Vorsitzen-
de der Eisenbahngewerkschaft
Sud Rail und seine Kollegen
haben einen schmerzlichen Rück-
schlag zu verkraften.
Laut einer am Freitag von der
Tageszeitung «Figaro» veröffent-
lichten Umfrage des Instituts
Odoxa verweigert das Volk den
Gewerkschaften im Kräftemessen
mit Staatschef Emmanuel Macron
die Gefolgschaft: 72% der Franzo-
sen sind demnach dafür, den
Eisenbahnern über Jahrzehnte
hinweg gewährte Privilegien zu
entziehen. Die erste Runde im
letzte Woche eröffneten Reform-
poker der hoch defizitären fran-
zösischen Staatsbahnen SNCF
geht damit an den Präsidenten.
Mit Plänen, die weit über das
hinausgehen, woran seine Vor-
gänger gescheitert sind, hat der
Wirtschaft
verfall vor allem auf gebrauchten
Dieselfahrzeugen. Lieferdienste
und Handwerkslobby vermuten
eine Pleitewelle. Kanzlerin Mer-
kel beschwichtigt: Es gehe ja
nicht um die gesamte Fläche und
um alle Autobesitzer. Sonst
herrscht in Berlin Uneinigkeit.
Etwa wegen der blauen Plakette
zur Erkennung von sauberen
Autos: Verkehrsminister Chris-
tian Schmidt (CSU) lehnt sie ab,
Umweltministerin Barbara Hen-
dricks (SPD) fordert sie.
«Das reine Chaos», wettert Fer-
dinand Dudenhöffer, Direktor des
Center Automotive Research der
Universität Essen-Duisburg. «Seit
Jahren versucht die Regierung
alle Entscheidungen zu diesem
Zuviel dicke Luft: Ältere Dieselautos sollen an der Stresemannstrasse bald aus dem Verkehr gezogen werden. (Hamburg, 2. März 2018)
Die Arbeitsjacke französischer Bahnarbeiter als Kampfsymbol.
Staatschef die schlagkräftigen
Eisenbahngewerkschaften her-
ausgefordert. Es soll Schluss sein
mit dem Renteneintrittsalter von
52 Jahren, mit Beamtenstatus,
kostenloser medizinischer Ver-
sorgung und automatischen Ge-
haltserhöhungen, liess der Präsi-
dent seinen Premier Eduard
Philippe am Montag verkünden.
Thema auszusitzen.» Selbst der den Herstellern bisher zugunsten
Diesel-Gipfel nach dem VW-Skan- von Softwarelösungen verwei-
dal sei eine Farce gewesen. Mehr gerte Option. Bei Kosten zwi-
noch, seit Jahrzehnten wird Die- schen 1400 und 3000 € sollen sie
sel gegenüber dem Otto-Kraft- bis zu 70% weniger Schadstoffe
stoff subventioniert. Erst diese in Städten ausstossen. Innerhalb
Verbilligung hat den Dieselboom eines Jahres wäre die Serienreife
in Deutschland ermöglicht. möglich. Einsetzen will sich der
Rund 5 Mio. Dieselfahrzeuge ADAC auch für die Nachrüstung
der Euronorm 5 und 4 Mio. ältere älterer Motoren.
Selbstzünder sind in Deutschland
70
zugelassen. Wenn es nach dem
deutschen Automobilclub ADAC
geht, werden nicht alle diese % fessor für Verfahrenstechnik und
Autos in Zukunft vor Verbots-
zonen stehen müssen. Der Auto- Eine mechanische Umrüstung
mobilclub hat Prototypen für die der Fahrzeuge soll möglich sein
mechanische Aufrüstung von und könnte den Ausstoss von
Euro-5-Fahrzeugen getestet – NO2 um 70% senken.
eine lange diskutierte, aber von
Frankreich blockieren und die
BENOIT TESSIER / REUTERS
Regierung in die Knie zwingen»,
kündigte Laurent Brun an, Gene-
ralsekretär der CGT-Cheminots,
der stärksten der vier Arbeitneh-
merorganisationen. Sprecher der
anderen Verbände warfen der
Regierung vor, «zur Gewalt zu
greifen», plädierten für «soforti-
gen massiven Streik».
So einig sich die Gewerk-
schaftsführer in ihrem Zorn auf
Präsident und Regierung aber
auch sind: Bei einem am vergan-
genen Dienstag einberufenen Kri-
sentreffen gelang es nicht, sich
auf gemeinsame Gegenwehr zu
verständigen. Die Entscheidung,
wann definitiv gestreikt wird, soll
nun am 15. März fallen. Die am
Freitag verkündeten Umfrage-
ergebnisse nähren freilich Zwei-
fel, ob man eine feste Streikfront
zustande bringt. Selbst der Griff
zu Dekreten ist im Volk auf Zu-
stimmung gestossen: 53% Fran-
zosen billigen das Hauruckver-
fahren. Vielleicht, weil sie wissen,
Ohne sich auf langwierige parla- dass es nicht anders geht.
mentarische Debatten einzulas- Die Reform der französischen
sen, werde man die Privilegien im Bahnbetriebe gehört nämlich fast
Zuge einer grossen Bahnreform schon zum Standardprogramm
bis zum Sommer entsorgen. jeder neuen Regierung. Macrons
Für die Gewerkschaften der Vorgänger, François Hollande,
staatlichen Eisenbahngesell- knickte im Juni 2014 nach 10 hef-
schaft SNCF kommt das einer tigen Streiktagen ein. Der Still-
Kriegserklärung gleich. «Wir wer- stand der Bahnen kostete allein
den einen Monat lang streiken, die Firmen der Region Paris täg-
Viele wollen dafür die Herstel-
ler zur Kasse bitten. Doch Auto-
spezialist Dudenhöffer schlägt
vor, dass der Staat die Umrüstung
übernehmen solle: «Wenn die
Mineralölsteuer für Diesel ange-
glichen würde, könnte man das
Geld spielend einbringen.» Gün-
ther Schuh aus Aachen findet
Kaufanreize für neue Autos sinn-
voller. Ältere PKW könnten damit
kosteneffizienter aus dem Ver-
kehr gezogen werden, so der Pro-
Chef von e-GO, einem neuen Her-
steller elektrischer Kleinwagen.
Laut Urteil sollen Autofahrer
nicht unverhältnismässig belastet
und Übergangsfristen sowie Aus-
nahmeregelungen zugelassen
THOMAS BYCZKOWSKI
lich 30 Mio. €. Heute schlägt sich
die Mehrheit der Bevölkerung
vielleicht auch deshalb auf die
Seite der Regierung Macron, weil
der grundsätzliche Bedarf an Ver-
änderung ausser Frage steht. Die
Schulden des Bahnkonzerns
summieren sich auf 45 Mrd. €,
jährlich kommen im Schnitt
3Mrd. dazu. Die Anfang 2019 an-
stehende vollständige Öffnung
des Streckennetzes für ausländi-
sche Konkurrenz verlangt Einspa-
rungen. Die bei der SNCF entste-
henden Kosten pro Produktions-
einheit lägen 30% über denen der
Konkurrenz, versichert Regie-
rungschef Philippe.
Die öffentliche Unterstützung
für die Bähnler ist auch deshalb
eher tief, weil die Regierung auf
ursprünglich geplante unpopu-
läre Massnahmen einstweilen
verzichten will. So sollen wenig
befahrene, defizitäre Strecken
vorerst nicht angetastet werden.
Um 9000 Kilometer Schiene geht
es. Zwar nutzen diese Strecken
nur 2% der Passagiere. Sie sind
aber für die Landbevölkerung
Lebensadern.
Macron hat die Pläne auch in
anderen Punkten entschärft. Die
geplante Abschaffung der Eisen-
bahnerprivilegien soll nur Neu-
einstellungen betreffen. Alt-
gediente Kräfte wahren ihren Be-
sitzstand. Und bei der anvisierten
NZZ am Sonntag 4. März 2018
werden. Euro-5-Diesel dürften
erst ab September 2019 gestoppt
werden. Eine finanzielle Aus-
gleichspflicht hingegen bestehe
nicht.
Unklar bleibt, was die Zukunft
von Autos mit der neueren Euro-
norm 6 angeht. Nur solche mit
der Schadstoffklasse 6d sind
tatsächlich sauberer als die bald
eingeschränkten Euro-5-Modelle.
Schuh warnt, dass weitere Rei-
nigungsmassnahmen moderne
Motoren um ein Vielfaches teurer
machen. «Auf der Strecke bleibt,
wer sich dann kein neues Auto
mehr leisten kann.»
Gebrauchte Diesel stehen
schon seit dem VW-Skandal wie
mit platten Reifen bei den Händ-
lern – im Durchschnitt 102 Tage
lang, zwei Wochen länger als Ben-
ziner. Da blieben nur noch Export
oder Versteigerung, so Martin
Endlein von der Analyse-Firma
Deutsche Automobil Treuhand
GmbH. Schon Anfang 2018 waren
drei Jahre alte Gebrauchtwagen
laut deren Statistik rund 5%
weniger wert als Benziner. Ob das
Urteil die Preise weiter drückt,
könne man aber erst in zwei
Monaten sagen.
Luft wird besser
Auch ohne Fahrverbot wäre fest-
zuhalten: Inzwischen scheint sich
die Luft generell zu verbessern.
19-mal wurde vor zehn Jahren
noch der Grenzwert an der Strese-
mannstrasse überschritten, vor
fünf Jahren nur noch 5-mal und
letztes Jahr einmal. Nach ersten
Schätzungen des Umweltbundes-
amtes nahm die Zahl der Kommu-
nen mit Grenzwertüberschreitun-
gen von 90 auf 70 ab. Bringt das
Urteil deshalb mehr Schaden als
Gewinn?
Unerheblich. In Hamburg wird
jetzt erst mal umgesetzt. Die
Polizei werde auf alle Fälle Stich-
proben machen und Fahrzeug-
scheine kontrollieren, so Jan
Dube vom Amt für Umwelt und
Energie – auch bei Autos aus dem
Ausland. «Jeder ist hier betroffen,
der in der Stresemannstrasse kein
Restaurant oder Freunde besu-
chen will.»
Umwandlung der SNCF in eine
Aktiengesellschaft soll sicher-
gestellt werden, dass die Anteile
dauerhaft in Staatsbesitz bleiben.
Trotzdem überrascht, dass sich
die Franzosen im Eisenbahner-
konflikt auf die Seite des Präsi-
denten schlagen. Der Staatschef
bringt es derzeit in Beliebtheits-
umfragen nur auf magere 43%
Zustimmung. So wenig war es
bisher nur im vergangenen Sep-
tember gewesen.
Die Gewerkschaften wollen die
Zeit bis zum nächsten Krisentref-
fen Mitte März nutzen, um die
Mehrheit der Franzosen doch
noch für den Arbeitskampf zu ge-
winnen. Dabei spielt den Eisen-
bahnern in die Hände, dass SNCF-
Chef Guillaume Pepy gerade er-
freuliche Geschäftszahlen vorge-
legt hat. 10% mehr Passagiere hat
die SNCF 2017 befördert, einen
Nettogewinn von 1,3 Mrd. € er-
zielt. Nach so einem Geschäfts-
ergebnis von den Beschäftigten
Opfer zu verlangen, leuchte nicht
ein, findet Sud-Rail-Chef Meyer.
Auch wenn der Entscheid zum
angedrohten Streik noch nicht ge-
fallen ist, wappnen sich die Fran-
zosen. Den 22. März hat die Ge-
werkschaft CGT schon mal zum
landesweiten Protesttag erklärt.
Und alle wissen: Um Frankreich
lahmzulegen, reicht die Macht
der Gewerkschaften allemal.
NZZ am Sonntag 4. März 2018
«Diese Kursbewegung hat mich
natürlich enttäuscht»
Der neue Lafarge-Holcim-Chef Jan Jenisch stoppt das Aktienrückkauf-Programm und investiert stattdessen
in Wachstum. Der plötzliche Strategiewechsel verunsichert die Aktionäre. Interview: Markus Städeli
NZZ am Sonntag: Wir haben
seit heute den Eindruck, dass bei
Lafarge-Holcim nicht der Ver-
waltungsrat die Strategie vorgibt,
sondern Sie, der CEO.
Jan Jenisch: Nein, das ist
ein falscher Eindruck. Wir als
Konzernleitung haben die neue
Strategie erarbeitet; der Ver­
waltungsrat hat sie genehmigt
und unterstützt sie.
Sie kommt einem Richtungs-
wechsel gleich.
Die Fusion liegt hinter uns,
jetzt verfolgen wir eine Wachs­
tumsstrategie, nachdem wir uns
die letzten 2,5 Jahre auf Integra­
tion und Synergien konzentriert
haben. Mit unserer neuen Strate­
gie 2022 werden wir Marktchan­
cen im wachsenden Baustoff­
markt identifizieren und nutzen.
Bis jetzt lag der Fokus darauf,
den Aktionären möglichst viel
Geld zurückzugeben. Kaum sind
Sie da, macht die Firma wieder
Akquisitionen, sie stoppt das
Aktienrückkaufprogramm und
belässt die Dividende auf dem
Vorjahresniveau.
Der Geldfluss ist nicht auf
dem Niveau, den es brauchen
würde, um den Aktionären noch
mehr zurückzubezahlen und
gleichzeitig in Wachstum inves­
tieren zu können. Die 2 Fr. Divi­
dende entsprechen 85% des
Reingewinns. Das ist eine hohe
Quote. Wir brauchen die ange­
kündigte neue Strategie, um den
Cashflow in den nächsten Jahren
verdoppeln zu können.
Noch vor kurzem redete man bei
Lafarge-Holcim davon, dass es
Überkapazitäten gebe und dass
daher eine Konsolidierung und
ein Abbau nötig seien. Sind diese
Überkapazitäten nun plötzlich
verschwunden?
Man kann nicht über Zement­
kapazitäten weltweit sprechen,
sondern nur über einzelne
Länder. Letzte Woche haben wir
bekanntgegeben, dass wir eine
neue Fabrik in Indien bauen.
Dies, weil wir in diesem Land an
die Kapazitätsgrenze gestossen
sind und der Markt weiter­
wächst. Dass wir in Deutschland
Überkapazitäten haben, ist dabei
unerheblich, weil man Zement
nicht transportieren kann. Einen
Baustoffkonzern müssen sie von
den Märkten her führen, nicht
aus der Konzernzentrale heraus.
Dieses Führungsverständnis
sieht man auch an unserer neuen
Konzernstruktur.
Inwiefern?
Ich habe eine Führungsebene
herausgenommen, jene der
Regionen. 35 Länder berichten
nun direkt an die Konzern­
leitung. Ein Länderchef hat die
volle Verantwortung, auch für
die Preissetzung und die Kapazi­
tätsplanung. Wir in der Zentrale
verfügen gar nicht über die nöti­
gen Informationen, um für ein­
zelne Länder die richtigen Ent­
scheide zu treffen.
Das alles erinnert an Sika, deren
Chef Sie zuvor waren: Die Wachs-
tumsstrategie, die grosse Autono-
mie der Landesgesellschaften.
Beide Firmen sind in der Bau­
stoffbranche tätig. Das ist ein
lokaler Markt mit lokaler Pro­
duktion, lokalen Kunden und
lokalen Umweltvorschriften. Da
kann man keine Strategie fahren
wie der Hersteller eines iPhones,
das für die ganze Welt an einem
Wirtschaft
Will auch den doppelten Konzernsitz in Paris und Zürich einer Prüfung unterziehen: Jan Jenisch. (Zürich, 2. März 2018)
Ort gefertigt wird. Wir betreiben
rund 2300 Produktionsstand­
orte weltweit. Ich glaube nicht,
dass wir die zentral führen soll­
ten. Ich verpflichte die Länder­
Wir betreiben chefs aber zu Wachstum, Profit
2300 Produktions- und Cashflow­Generierung.
standorte. Die Steigen die Risiken, wenn einzelne
sollten wir nicht Länder grosse Freiheiten genies-
zentral führen. sen? Lafarge-Holcim muss sich
derzeit ja vor Gericht verantwor-
ten. Die früheren Verantwort-
lichen für Syrien haben dem IS
Geld bezahlt, um die Fabriken
am Laufen zu halten.
Die Länder haben die Verant­
wortung. Doch niemand kann
einfach machen, was er will.
Lafarge­Holcim ist heute ein
anderes Unternehmen, und wir
haben die Lehren gezogen aus
dem Fall Syrien, der auf Ereig­
nisse vor der Fusion zurückgeht.
Im Compliance­ und Audit­
Bereich haben wir deutliche
Fortschritte gemacht und sehr
gute Prozesse installiert.
Sie haben Wertminderungen in
der Höhe von 3,8 Mrd. Fr. vor-
genommen. Damit bestätigt sich
ein altbekanntes Muster. Wann
immer ein neuer CEO anfängt,
schreibt er auf Teufel komm raus
ab, um nachher einen schönen
Aufwärtstrend zeigen zu können.
Zusammen mit unserer
Finanzchefin, die seit zwei
Monaten im Amt ist, haben wir
eine umfassende Risikoeinschät­
zung für die einzelnen Länder
gemacht und die jeweiligen Ver­
mögenswerte im Einklang mit
den Grundsätzen der Rech­
nungslegung – ob der Goodwill
eine Wertminderung erfahren
hat – überprüft. In einigen Märk­
ten wie Algerien oder Brasilien
stimmten diese Werte der Akti­
ven nicht mehr mit der Realität
überein. Das haben wir nun in
einem einzigen Schritt ange­
passt. Es handelt sich um eine
grosse Summe, die aber nicht
Cash­wirksam ist. Es ist gut, dass
wir diese Bereinigung vorge­
nommen haben.
Auch gut für Sie. Von jetzt an geht
es nur noch aufwärts.
Ich habe mir das nicht
gewünscht. Ohne diese Wert­
minderungen hätten wir ein
schönes Jahresresultat verkün­
den können mit steigendem
Umsatz und überproportionalem
Anstieg der Profitabilität. Sie
waren notwendig und wurden
auch von den Auditoren über­
prüft. Wir werden an dem
gemessen, was wir auf Stufe
operativer Gewinn versprochen
haben. Das wird von diesen
Wertminderungen nicht beein­
flusst.
Der Aktienkurs ist stark eingebro-
chen. Was hat die Investoren so
verschreckt?
Wir haben heute eine ambi­
tiöse, aber auch realistische Stra­
SALVATORE VINCI
tegie vorgestellt. Es hat wohl
einige überrascht, dass wir uns
für eine umfangreiche Bereini­
gung der Bilanz entschieden und
das Aktienrückkaufprogramm
im Interesse des Wachstums
eingestellt haben. Diese Kurs­
bewegung hat mich natürlich
enttäuscht. Aber wir orientieren
uns nicht an Tageskursen.
Sie nehmen eine Management-
ebene heraus und schliessen die
Büros in Singapur und Miami.
Gleichzeitig leistet sich Lafarge-
Holcim aus fusionspolitischen
ANZEIGE
Die Führende.
31
Jan Jenisch
Der 51-Jährige ist erst seit
Oktober an der Spitze des
Zement- und Baustoffriesen
Lafarge-Holcim. Zuvor amtete
Jenisch als Chef von Sika. In
seiner Ära, die im Januar 2012
begann, hatte sich der Börsen-
kurs von Sika verdreifacht, und
die Aktie wurde in den Schwei-
zer Leitindex SMI aufgenom-
men. Jenisch ist verheiratet
und hat zwei Kinder. (stä.)
Gründen einen Doppelsitz Zürich-
Paris. Das ist nicht effizient.
Heute haben wir bekannt
gemacht, dass wir jährlich 400
Mio. Fr. sparen wollen. Dafür
reichen die angekündeten Mass­
nahmen nicht aus. Es ist erst der
Auftakt einer Überprüfung.
Das heisst, auch dieser Doppelsitz
wird unter die Lupe genommen?
Ja, wir schauen alles genau an.
Aber es sind noch keine Ent­
scheidungen getroffen worden.
Sie kreieren ein viertes Segment
namens Solutions und Products
– die anderen drei sind Zement,
Zuschlagstoffe und Transport-
beton. Wovon reden wir da
eigentlich?
Das sind etwa vorgefertigte
Betonelemente. Es werden
heute auf den Baustellen mehr
und mehr solche Elemente ange­
liefert für Säulen, Treppen oder
ganze Wände. Die Verschalung
wird also nicht mehr auf der
Baustelle, sondern schon in der
Fabrik gemacht. Auch Beton­
Endprodukte wie Röhren, das
Asphalt­, Mörtel­ und Baudienst­
leistungsgeschäft gehören zu
diesem neuen Segment. Mit
diesen fünf Aktivitäten, die wir
in einzelnen Ländern bereits
machen, kommen wir schon
heute auf einen Umsatz von über
2Mrd. Fr. und erzielen recht gute
Margen. Jetzt wollen wir den
Ausbau forcieren.
Erfordert das hohe Investitionen?
Nein, diese Aktivitäten wach­
sen schnell, binden aber nicht
viel Kapital.
Wie gross könnte dieses neue
Segment werden?
Solutions und Products
kommt bereits auf 2,1 Mrd. Fr.
Es wäre schön, wenn wir dieses
Segment zügig verdoppeln
könnten, auch mit kleineren
Akquisitionen.
Invest
Irren ist leider allzu menschlich –
das gilt auch in Sachen Geldanlage
Die Psyche verleitet Anleger oft dazu, unvernünftig zu investieren. Die Fallen sind
bekannt, aber man muss sie auch vermeiden. Von Carmen Schirm-Gasser
D
ie Anleger sind nervös. Der neue
Chef der US-Notenbank, Jerome
Powell, will die Zinsen munter wei-
ter erhöhen. Derweil schürt Präsi-
dent Trump mit der Ankündigung von Zöllen
auf Stahl und Aluminium die Ängste, eine Ära
von Handelskriegen stehe bevor. Wenn es zu
Ausverkäufen an den Börsen kommt, finden
sich immer Gründe dafür. Doch oft sind die
wahren Ursachen für volatile Märkte nicht in
harten ökonomischen Fakten zu suchen, son-
dern liegen vielmehr im Menschen selbst.
Wissen und tun ist nicht dasselbe
Die Wirtschaftswissenschaft hat dies längst
bewiesen. Doch: «Das Wissen über mögliche
Fehler verhindert leider nicht, dass diese pas-
sieren», sagt Fabian Waltert, Ökonom bei der
Credit Suisse, und nennt ein Beispiel. Es
waren Daniel Kahneman und Amos Tversky,
die 1979 mit ihrer Prospect Theory gezeigt
hatten, dass Anleger ein Verlust stärker
Frische Namen für die Schweizer Börse
Geldspiegel
Eugen Stamm
E
in Börsengang ist wie eine Initiation,
er bedeutet, dass ein Unternehmen
in einen illustren Kreis aufgenom-
men wird. Eine Firma, die sich an die
Börse wagt, stellt sich freiwillig unter stren-
gere Aufsichtsregeln, um Zugang zum Kapi-
talmarkt zu erhalten. In der Schweiz gehen
zwei Firmen an den Start, die sich schon
einen guten Ruf erarbeitet haben. Sensirion,
an der ETH Zürich geboren, ist innert zwei
Jahrzehnten auf über 735 Mitarbeitende
angewachsen. Die Firma führt bei der Ent-
schmerzt, als ein gleich hoher Gewinn sie er-
freut. Anders gesagt, verläuft die Nutzenfunk-
tion (siehe Grafik) bei Verlusten steiler als bei
Gewinnen. Ein Verlust von 100 Fr. ist für
einen Anleger bedeutsamer als ein Gewinn
derselben Summe. Bei Verlusten werden
Investoren risikofreudiger, bei Gewinnen ist
das Gegenteil der Fall. Dabei bringt mehr
Risiko hier nicht mehr Rendite.
Möglichkeiten, sich selbst zu betrügen, gibt
es noch andere. Etwa den Dispositionseffekt.
Oder simpel ausgedrückt: Bei Gewinn ver-
Niemand will mit
Verlust verkaufen.
Selbst bei einem Minus
von 90 Prozent hofft
man, doch noch einen
Gewinn zu erzielen.
wicklung von Sensoren. Medartis wiederum
belegt die robuste Innovationskraft des
Medizinaltechnik-Sektors in unserem Land.
Aus Sicht von aktiven Investoren ist jede
Neukotierung eine Bereicherung, auch,
wenn sie nicht bei jeder mitmachen. Denn
das frische Blut tut dem Aktienmarkt gut.
Die Neuzugänge dämpfen einen Trend, der
für private Anleger nicht sehr erfreulich ist.
Grundsätzlich geht nämlich die Auswahl an
Firmen an den Börsen zurück. In den ersten
zehn Jahren seit 2000 zählte die SIX Swiss
Exchange 96 Börsengänge. In den acht
Jahren seit 2010 waren es erst 33. Das könnte
dem schlechten Umfeld nach der Finanzkrise
geschuldet sein. Doch Zahlen aus dem
wichtigsten Aktienmarkt der Welt, den USA,
zeigen in die gleiche Richtung.
1996 waren an den US-Börsen 7322 Unter-
nehmen kotiert. 2006 waren es nur noch
3671. Attraktive Firmen werden aufgekauft
und verschwinden vom Börsentableau. Die
Neigung, an die Börse zu gehen, sei nur noch
halb so hoch wie vor 20 Jahren, der Nutzen
einer Kotierung sei geringer, schreibt die
Credit Suisse in «The Incredible Shrinking
Universe of Stocks». Im Schnitt seien kotierte
kauft man zu früh, bei Verlust hält man zu
lange. Man redet sich ein, Verluste seien tem-
porär. Als langfristiger Anleger habe man ja
Zeit. Und in fünf Jahren sei alles anders, oder
in zehn. Niemand will mit Verlust verkaufen.
Selbst bei einem Minus von 90% hofft man
noch, aus der Verliererwette einen Gewinn zu
erzielen. Dabei verpasst man Gelegenheiten
anderswo. Einziger Trost: Mit diesem Verhal-
ten sind Anleger in guter Gesellschaft. Den
meisten geht es ebenso. «Private wie auch
institutionelle Investoren machen häufig den
gleichen Fehler. Sie verkaufen ihre Wertschrif-
ten zu schnell, wenn der Kurs gestiegen ist,
oder halten sie zu lange, wenn der Preis ge-
sunken ist», sagt Fabian Waltert.
Das Auto von VW, das Handy von Samsung,
den Wein aus Australien. Ganz selbstver-
ständlich kaufen Schweizer Anleger auslän-
dische Produkte, nur an der Börse nicht. Da
findet sich dann eine Nestlé im Depot, eine
Novartis und eine UBS, aber keine ausländi-
Firmen heute grösser und älter als früher.
Häufig wird die beschwerliche Regulierung
als Grund für den Rückgang genannt.
Gewichtiger ist aber das Argument, dass es
für Unternehmen andere Wege gibt, um
Kapital zu beschaffen. Institutionelle Inves-
toren mit prallen Kassen pumpen Milliarden
in Jungunternehmen und machen sie von
den öffentlichen Kapitalmärkten unabhän-
gig. Manche Eigentümer verweigern sich
auch einer Publikumsöffnung, weil die
potenziell das kurzfristige Denken der Fir-
menführung fördere. Kapitalbeschaffung
mittels Kryptowährung, eine bis vor kurzem
inexistente Finanzierungsform, hat 2017
gemäss der Fintech-Studie des Instituts für
Finanzdienstleistungen Zug allein in der
Schweiz 271 Mio. Fr. eingebracht. Der Beginn
von etwas Grösserem?
Für den privaten Anleger ist es auf jeden
Fall wünschenswert, dass ein substanzieller
Teil der Firmenwelt börsenkotiert und damit
zugänglich und durch Transparenzregeln der
Kontrolle durch die Öffentlichkeit unterwor-
fen bleibt. Wenn es sich bei den Neulingen
um innovative Firmen wie Sensirion und
Medartis handelt, umso besser.
DAVID GRAY / REUTERS
Ausländische
Produkte wie Wein
aus Australien
kauft man ganz
selbstverständlich,
nur bei auslän-
dischen Aktien
sind viele Anleger
zu skeptisch.
(Barossa Valley,
Australien,
10. Juni 2017)
Die schlechteste Woche hatte...
Matt Levatich, Harley-D.
Das hat dem Chef des legendä-
ren Motorradherstellers gerade
noch gefehlt. Donald Trump
schrieb diese Woche in einem
besonders dummen Tweet,
dass Handelskriege gut seien.
Der US-Präsident will Strafzölle
auf Stahl und Aluminium ein-
führen. Daraufhin hat EU-
Kommissions-Präsident Jean-
Claude Juncker postwendend
die Motorräder von Harley-
Davidson als eines jener Pro-
dukte benannt, die unter Ver-
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Stärker gewichtete Verluste
Hypothetische Nutzenfunktion
gemäss der Prospect Theory am Beispiel
von 20 Franken Gewinn und Verlust
Nutzen (U)
U (20 Fr.)
Verlust Gewinn
–20 Fr. 20 Fr.
U (–20 Fr.)
Quelle: Kahneman/Tversky (1979), Credit Suisse
schen Titel. Der Grund dafür: Wir meinen,
Werte aus der Heimat besser zu kennen. Das
ist eine Kontroll-Illusion. Ökonomen nennen
es den Home-Bias-Effekt oder Vertrautheits-
effekt. Wer am liebsten in heimische Aktien
investiert, geht ein höheres Risiko ein. Fällt
der SMI, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass
auch Nestlé, Novartis und UBS im Minus lie-
gen. Gleichzeitig kann der amerikanische
Dow-Jones- oder der japanische Nikkei-Index
im Plus liegen. Deshalb gilt: Das Risiko immer
streuen. Diversifikation ist das Zauberwort
beim Anlegen.
Nicht den einfachsten Weg gehen
Als grösster Fehler gilt der Bestätigungsfehler.
Dieser bedeutet nichts anderes, als dass wir
uns wohl dabei fühlen, wenn wir recht haben.
Unbewusst sortieren wir Informationen da-
nach, ob sie unserer Meinung entsprechen
oder nicht. Ausserdem sind wir oft faul und
suchen nach einem schnellen und möglichst
einfachen Weg. Unliebsame Informationen
blenden wir aus. «Stattdessen sollten wir nach
Fehlern suchen und nach Dingen, die schief-
gehen könnten» sagt Fabian Waltert. Kaufen
wir ein Auto, wollen wir ja auch, dass dieses
auf Fehler untersucht wurde und einen Crash-
test bestanden hat. Ist man von einer Aktie
überzeugt, sollte man bewusst nach Gründen
suchen, weshalb diese eine schlechte Anlage
sein könnte. Das erspart Verluste und Ärger.
Eine weitere Falle lauert in selektierten In-
formationen. Und da kommt der Ankereffekt
ins Spiel. In diversen Studien wurde gezeigt,
dass sich Investoren übermässig stark von be-
reits vorhandenen Informationen beeinflus-
sen lassen. Sie wirken wie ein Anker. Dum-
merweise liegen diese «Ankerwerte» immer in
der Vergangenheit und führen dazu, dass sie
zu lange brauchen, um sich neuen Realitäten
anzupassen. Börsianer nehmen meist den
Einstandskurs als Anker, das ist der Preis, zu
dem sie eine Aktie gekauft haben. Richtig hin-
gegen wäre es, diesen aus dem Gedächtnis zu
löschen. Stattdessen sollte man regelmässig
überprüfen, ob die Aktie noch Chancen hat
und es sich lohnt, sie zu behalten, oder es
nicht besser wäre, das Geld in andere Anlagen
zu investieren.
Wer kein emotionaler, sondern ein strategi-
scher Investor sein will, sollte Folgendes be-
achten: «Macht man sich Verhaltensanoma-
lien immer wieder bewusst, können Fehler
vermieden werden» sagt Fabian Waltert.
geltungsmassnahmen der EU
REUTERS
zu leiden hätten. Nicht immer
ist es von Vorteil, ein ikoni-
sches Gut herzustellen. Die
Aktien von Harley-Davidson
gaben diese Woche 6% nach.
Es wäre verheerend, wenn
Harley zum Spielball in einem
Handelskrieg würde. Denn mit
den berühmten Bikes geht es
schon länger bergab: Innert
Jahresfrist verloren die Harley-
Aktien einen Viertel ihres
Wertes. Dies, weil die Verkaufs-
zahlen 2017 gesunken sind. Ein
Aderlass, der laut dem Manage-
ment dieses Jahr weitergehen
wird. Die Aussichten sind so
düster, dass die Firma sogar die
Lancierung eines Elektro-
Motorrads plant. Für einge-
fleischte Harley-Fans ist das
schlimm genug. (stä.)

Unternehmen der Woche
Furcht vor konjunktureller
Abschwächung belastet Adecco
E
in Minus von 9,5% in einer Woche,
und das in einer Phase der Hochkon­
junktur. Gewöhnlich sind es vor
allem Jungunternehmen, die nach
einem Rückschlag Terrain einbüssen. Dies­
mal waren die Aktien des Zeitarbeitsvermitt­
lers Adecco betroffen, die immerhin zum
Kreis der 20 am höchsten kapitalisierten
Schweizer Unternehmen gehören. Was ist
passiert? Der Konzern gab diese Woche das
Jahresergebnis bekannt und wies für das
vierte Quartal rückläufige Gewinnmargen
aus. In wichtigen Märkten wie Nordamerika,
Grossbritannien sowie Deutschland/Öster­
reich/Schweiz sank die operative Marge um
140 bis 150 Basispunkte. Das Management
Gewinnmitnahmen
Aktienkurs von Adecco über
die vergangenen 12 Monate
78 Franken
76
74
72
70
68
M A M J J A S O N D
2017
Quelle: SIX
Swiss Life schüttet fast die
Hälfte des Gewinns aus
Gut, solide, leicht über den Erwartungen
kommentierten die Analysten den Zahlen­
kranz, den Konzernchef Patrick Frost am
Dienstag vorlegte. Unter dem Strich hat
Swiss Life einen Reingewinn von etwas über
1 Mrd. Fr. ausgewiesen, 9% mehr als im Vor­
jahr. Die Dividende soll deshalb von 11 Fr. auf
Fr. 13.50 erhöht werden. Damit schüttet
Swiss Life rund 46% des Gewinns aus. In der
Schweiz sind die Prämieneinnahmen aller­
dings gesunken, weil sich die Vollversiche­
rung im Pensionsgeschäft immer weniger
auszahlt. Der Versicherer fokussierte deshalb
vermehrt auf teilautonome Lösungen. Statt­
dessen läuft das Geschäft ennet der Grenze,
etwa in Deutschland, aber insbesondere in
Frankreich. Dort stiegen die Prämieneinnah­
men um 15%. Treiber des Wachstums waren
die Lebensversicherungen. Schneller als
erwartet ist Swiss Life unterwegs bei den
Kommissionen. Die Erträge sind um 8%
gestiegen, der daraus resultierende Gewinn
legte um 11% zu. Anleger nahmen das Ergeb­
nis wohlwollend auf. Die Aktie ging am
Dienstag leicht höher aus dem Handel. (knu.)
Wall Street
Schlicht und einfach dumm
Jens Korte, New York
M
anche Dinge lassen sich ganz ein­
fach ausdrücken. Schlicht und
einfach als «dumm» bezeichnete
China die Strafzölle der USA auf
Stahl- und Aluminiumimporte. «Trade wars
are good, and easy to win», twitterte Donald
Trump. Da braucht es keine Sprachexperten,
um die Positionen der beiden grössten Volks­
wirtschaften der Welt festzulegen.
Die USA würden doch seit Jahrzehnten von
Europa und Asien ausgenutzt, erklärte Han­
delsminister Wilbur Ross, der selbst ein Ver­
mögen mit Stahl gemacht hat, in einem Inter­
wies darauf hin, dass die Feiertage im ersten
Quartal 2018 ungünstig lägen und dadurch
die Bruttomarge um 30 Basispunkte zurück­
gehen werde. Es war vor allem diese War­
nung, welche am Finanzmarkt besorgt auf­
genommen wurde.
«Das verhaltenere Wachstumstempo zu
Jahresbeginn [ist] wenig erbaulich», schreibt
Marco Strittmatter, Analyst der Zürcher
Kantonalbank. Er wirft die Frage auf, ob
der Höhepunkt des konjunkturellen Zyklus
bereits überschritten sei oder ob Adecco
bloss eine temporäre Wachstumsabschwä­
chung durchlaufe. Konzernchef Alain
Dehaze bemühte sich, Letzteres herauszu­
streichen: Das Geschäft habe sich seit Jahres­
beginn nicht strukturell verändert, es handle
sich lediglich um eine temporäre Wachs­
tumsdelle.
Adecco gehört zu den konjunktursensi­
tivsten Papieren im SMI. Zieht die Wirtschaft
an, dreht der Kurs zügig nach oben, kommt
dagegen die Furcht vor einer Abschwächung
auf, korrigiert er sofort und überproportio­
nal. Denn Zeitarbeiter gehören zu den
ersten Arbeitskräften, welche die Unterneh­
men abbauen, sobald sie weniger Aufträge
erhalten.
Der Kursrückgang relativiert sich mit Blick
auf die längerfristige Entwicklung. Ende
Januar hatten Adecco noch bei 80 Fr. notiert,
J F
ein Mehrjahreshoch. Das bewog wohl den
2018
einen oder anderen Anleger zu Gewinnmit­
nahmen. Am Freitagabend schloss der Kurs
WALTER BIERI / KEYSTONE
Swiss-Life-Chef
Patrick Frost an der
Bilanzmedien-
konferenz. (Zürich,
27. Februar 2018)
view. Dass etwa Autoimporte in Europa oder
China deutlich stärkeren Zöllen ausgesetzt
sind als in den USA, ist nicht verkehrt. Aber
die protektionistische Keule auszupacken,
dürfte sich als schädlich für die US­amerikani­
sche Wirtschaft entpuppen.
Zehntausende Jobs sind in der US-Stahl­
industrie seit Ende der 90er Jahre verloren ge­
gangen, rechnet Ross vor. Das stimmt. Zehn­
tausende Jobs sollen nun zurückgeholt wer­
den. Das dürfte kaum passieren. Die Industrie
hat sich verändert. Und selbst wenn mehr
Stahl oder Aluminium in den USA produziert
werden sollte, wird das mit der modernen
Technik nicht Tausende neue Arbeitsplätze
bringen. Dafür dürften die Preise mittelfristig
steigen, was zu Lasten der Konsumenten
geht. Wenn sich jetzt die Kosten etwa für Cola­
oder Suppendosen leicht erhöhen, wird das
die Amerikaner nicht in den Ruin treiben. Was
die Wall Street vor allem beunruhigt, sind
mögliche Gegenmassnahmen. Exporte von
Autos oder Flugzeugen könnten etwa belastet
LAURENT GILLIÉRON / KEYSTONE
Die Aktien des Zeit- bei Fr. 68.86, obwohl das Unternehmen ein
arbeitsvermittlers Aktienrückkaufprogramm angekündigt hat
Adecco sind und für 2017 eine höhere Dividende auszah­
diese Woche fast len wird als im Vorjahr. «Das allgemeine
10 Prozent Wirtschaftsumfeld kommt Adecco in den
eingebrochen. meisten Regionen allgemein zugute»,
schreibt Michael Foeth, Analyst der Bank
Vontobel. Sein Kursziel beträgt 81 Fr., liegt
also ungefähr auf dem Niveau von Ende
Januar. Das deutet darauf hin, dass die
Markterwartungen damals eingepreist waren
und in nächster Zeit keine grösseren Avancen
zu erwarten sind. (frp.)
Flughafen Zürich verliert die Gunst
der Anleger
Viele Jahre kannte die Aktie des Flughafens sich die Aktie inzwischen von den Höchst­
Zürichs praktisch nur eine Richtung: auf­ ständen des letzten Spätsommers mit minus
wärts. Der Trend scheint seit einiger Zeit aber 15% klar entfernt. Angesichts der kurzfristi­
gebrochen. Die Jahresresultate 2017, letzten gen Wachstumsprognosen scheint das über­
Freitag veröffentlicht, haben die Anleger trieben. Die Gretchenfrage ist allerdings, ob
auch nicht begeistert. Dabei stiegt die Anzahl die Infrastruktur des Flughafens langfristig
der Passagiere, die im Flughafen Gebühren mit dem Reisebedarf mitwachsen darf. (vob.)
bezahlten und in den Läden Umsätze gene­
rierten, um 6,3%. Die Gewinne und Umsätze
trafen die Erwartungen der Analysten. Die Deutlicher Rücksetzer
Aussichten mit einem Passagierwachstum
von 3,5% bis 4% sind nun etwas verhaltener. Entwicklung Flughafen-Aktie seit 3 Jahren
Das Immobilienprojekt Circle konnte in letz­
ter Zeit mit neuen Büromietern und Restau­ 240 Franken
rantbetreibern punkten. 60% der Flächen 220
seien inzwischen vermietet. Eröffnung ist
200
Ende 2019. Aber die meisten Finanzanalys­
ten waren etwas enttäuscht und bemängel­ 180
ten vor allem den vorsichtigen Ausblick.
160
Dazu kommt eine Dividende, die nicht so
stark ansteigt wie erhofft. 140
Diesen Freitag mag ein besonders schwa­ 120
cher Markt das Seine zum Minicrash der 2015 2016 2017 18
Aktie beigetragen haben. Die Titel verloren
4,25% und schlossen mit Fr. 211.80. So hat Quelle: Swissquote
werden. Stahl und Aluminium sind nicht die
einzigen Importe, die mit Strafzöllen belegt
werden. Vor einem Jahr hatte Donald Trump
die Einfuhr von Bauholz aus Kanada verteu­
ert. Massive Zölle auf Waschmaschinen und
Solaranlagen sollen erhoben werden. Jetzt Donald Trump
kommen Stahl und Aluminium hinzu. Welche scheint derzeit
Branche ist als nächste dran?, fragen sich die mehr auf
Investoren an der Börse. Laut Goldman Sachs
Hardliner zu
könnten die jüngsten Strafzölle zudem ein
Vorbote für ein mögliches Ende der Nafta-Ver- hören als auf
handlungen sein. Donald Trump scheint der­ seine gemäs-
weil zumindest mehr auf Hardliner wie Wil­ sigten Berater.
bur Ross oder Peter Navarro zu hören als auf
gemässigte Stimmen wie etwa seinen Wirt­
schaftsberater und ehemaligen Goldman­
Sachs­Vize Gary Cohn.
Die Börse hat allergisch auf die Handels­
eskalationen reagiert. Der Dow Jones knickte
am Donnerstag um über 400 Punkte ein. Frei­
tag ging es zeitweise erneut um fast 400
Punkte nach unten. Kurz vor Wochenschluss
fing sich die Wall Street etwas. Es blieb ein
33
Fünf Fragen
an Nick Payne
Payne ist seit
Mitte 2017 bei Old
Mutual Global
Investors für den
Bereich Schwellen-
länder verant-
wortlich.
Ihr Fonds hat ein konzentriertes Portfolio
von nur 30 bis 40 Aktien. Nach welchen
Qualitäten suchen Sie?
1
Wir interessieren uns für Unterneh­
men, die eine Rendite auf dem inves­
tierten Kapital von über 10% erwirt­
schaften. Das ergibt immer noch eine Aus­
wahl von etwa tausend Titeln aus allen
Sektoren und Ländern. Ein weiteres Kri­
terium, das wir anwenden, ist eine ver­
nünftige Bewertung.
Schwellenländer-Aktien sind wieder in
Mode gekommen. Macht das Ihre Arbeit
einfacher oder schwieriger?
2
Unsere Arbeit bleibt immer die glei­
che. Seit Anfang 2016 steigen die Ge­
winne pro Aktie in Schwellenländern
wieder, darum war auch die Performance
dieser Aktien gut. Die Analysten rechnen
auch dieses Jahr wieder mit einem Ge­
winnwachstum von 16%. Es ist also noch
Kurspotenzial da.
Eine Ihrer Top-Positionen ist Localiza Rent
A Car aus Brasilien. Wird dieses Geschäfts-
modell nicht durch den Fahrdienst Uber
bedroht?
3
Im Gegenteil, das Unternehmen profi­
tiert sogar von Uber. Denn zahlreiche
Fahrer, die sich kein neues Auto leis­
ten können oder nur zu bestimmten Zeiten
fahren wollen, mieten ihre Fahrzeuge bei
Localiza. Die Firma ist mit einem Markt­
anteil von 30% in Brasilien führend. Weil
sie derart viele Neuwagen kauft, bekommt
sie von den Herstellern substanzielle
Rabatte. Diese sind so hoch, dass sie die
Wagen nach zwölf Monaten Gebrauch noch
mit Gewinn verkaufen kann.
Mit Bank Mandiri aus Indonesien, Sber-
bank aus Russland und HDFC Bank aus
China sind gleich drei Banken in Ihren Top
Ten. Was mögen Sie an Bankaktien?
4
Die Konkurrenz in diesen Ländern ist
beschränkt, darum gelingt es diesen
Banken, hohe Renditen zu erwirt­
schaften. Sie haben ausserdem intakte
Wachstumsaussichten. Diese Länder befin­
den sich im Aufschwung, anders als die
USA, die sich bereits am Ende des Kon­
junkturzyklus befinden.
Sie haben ausserdem in die chinesische
Sportswear-Marke Anta Sports investiert.
Was ist der Grund dafür?
5
Der Sportswear­Markt in China
wächst mit 7–8% pro Jahr. Anta Sports
ist die führende heimische Marke, sie
sponsert das chinesische Olympiateam.
Die Produkte von Anta sind ausserdem
günstiger als die von Adidas oder Nike.
Interview: Eugen Stamm
Wochenminus von 3%. Die Wall Street stand
schon vor den Zöllen unter Druck.
Jerome Powell hatte am Dienstag seinen
ersten grossen öffentlichen Auftritt. Der frisch
gekürte Notenbankchef sprach erstmals vor
einem Kongressausschuss über die Wirt­
schaftslage und Geldpolitik. Laut Powell ten­
dierten die Notenbanker auf der letzten Befra­
gung im Dezember dazu, die Zinsen in diesem
Jahr dreimal zu erhöhen. Seitdem habe sich
die wirtschaftliche Situation eher noch ver­
bessert. Die Trader zogen aus den Worten den
Schluss, dass die Zinsen möglicherweise sogar
viermal angehoben werden könnten. Ob das
passiert, weiss heute noch niemand. Aber
wenn die Löhne weiter steigen und durch
Handelsbeschränkungen die Preise steigen,
könnte Inflation ein Thema werden und die
Notenbanker zum Handeln zwingen. Mit der
abgelaufenen Woche hat die Wall Street zwei
neue Baustellen bekommen. Nun wartet die
Börse gebannt auf Details zu den Strafzöllen
sowie auf die Arbeitsmarktdaten am Freitag.
34 NZZ am Sonntag 4. März 2018

Verkauf Wohneigentum

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Vorbeugen und verzögern
Heute sichern viele ihr Zuhause mit smarter Elektronik. Am besten ist es aber
immer noch, die Schwachpunkte eines Gebäudes vor Einbrechern zu schützen
Erik Brühlmann, Marius Leutenegger
Mindestens 37 000 Mal ist es im Jahr 2016
passiert: Einbrüche mit Diebstahl sind in der
Schweiz keine Seltenheit. Dazu kommen noch
fast 10 000 sogenannte Einschleichdieb-
stähle: Diebstähle, bei denen Einbrecher ohne
Gewaltanwendung durch offenstehende
Fenster und Türen eindringen konnten. Wei-
tere 12 504 zusätzliche Einbruchsversuche
blieben erfolglos, wie die Polizeiliche Krimi-
nalstatistik (PKS) zeigt. Bei jedem Einbruch
entsteht gemäss Angaben des Winterthurer
Versicherers Axa ein durchschnittlicher Scha-
den in Höhe von 5500 bis 6000 Fr.
Einbrecher kommen somit auf einen fürst-
lichen Stundenlohn, denn ein Einbruch be-
nötigt nur sehr wenig Zeit. «Je nach Wider-
stand der vorhandenen Fenster und Türen
dauert es zwischen 10 und 60 Sekunden, bis
Einbrecher in den Wohnräumen sind», sagt
Stefan Oberlin, Sprecher der Kantonspolizei
Zürich (Kapo). «Die durchschnittliche Verweil-
dauer der Einbrecher am Einbruchort beträgt
lediglich drei bis vier Minuten.»
Safe oder nicht Safe?
Dass vor allem Einfamilienhäuser angegangen
werden, lässt sich an der Realität nicht fest-
machen. «Es wird sowohl in Einfamilien-
häuser als auch in Wohnungen eingebro-
chen», sagt Oberlin. «Das Verhältnis ent-
spricht etwa dem vorhandenen Bestand.»
SVIT Immobilien-Messe 2018
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Konkret: Es wurden knapp doppelt so viele
Einbrüche in Mehrfamilien- wie in Einfami-
lienhäuser registriert. Entscheidend ist für
die Täter die Umgebung: Objekte mit guten
Fluchtwegen und viel Sichtschutz spielen
ihnen in die Karten.
Am liebsten schlagen Einbrecher dann zu,
wenn niemand zu Hause ist. Es geht ihnen um
Geld und Geldwerte, nicht um Gewalt. Bevor-
zugt wird dabei handliche Beute wie Geld,
Schmuck und kleine Wertgegenstände. Einen
50-Zoll-LCD-Fernseher in kürzester Zeit un-
gesehen abzutransportieren, ist schliesslich
so gut wie unmöglich.
Bietet es sich also an, seine Wertsachen im
Safe zu lagern? Oberlin: «Sobald die Kosten für
einen sehr guten Kassenschrank den darin zu
deponierenden Wert übersteigen, ergibt er
keinen Sinn.» Ein Safe lohne sich deshalb vor
allem für Sammler teurer Gegenstände. Und
auch dann nur, wenn der Schrank hochwertig
und professionell verbaut sei.
Auch Alarmanlagen können Bewohner in
falscher Sicherheit wiegen. «Praktisch alle
Alarmanlagen reagieren erst, wenn der Ein-
bruch bereits erfolgt ist», sagt Oberlin. Der
Schaden an der Gebäudehülle ist damit be-
reits entstanden. In letzter Zeit häufen sich
zudem Einbrüche, bei denen sich die Täter
trotz heulender Sirene im Objekt aufhielten.
Die Kantonspolizei Zürich empfiehlt des-
halb vor allem, die Schwachpunkte eines Ge-
bäudes zu schützen. Und das sind in der Regel
Woh
n-
ang
ebo
im R te
aum
Züri
ch
die Fenster. Am häufigsten steigen Einbrecher
nämlich durch Fenster und Fenstertüren ein,
bevorzugt auf der Gebäuderückseite.
«Bieten Fenster und Türen jedoch ge-
nügend Widerstand, lässt der Einbrecher vom
Objekt ab», weiss der Polizist. Denn je länger
jemand an einem Fenster herumwerkelt,
desto grösser ist die Chance, dass er einem
aufmerksamen Nachbarn auffällt. Hier setzt
eine neue Entwicklung des Emmentaler Fami-
lienunternehmens Swiss Fine Line an: Die
Sicherheitsfenster der Einbruchwiderstands-
klasse RC4 garantieren eine Widerstandszeit
Langfinger stehen auf Privatgemächer
Einbruchdiebstähle in der Schweiz
nach Gebäudeart
Mehrfamilienhaus
Einfamilienhaus
Verkaufsräume
Geschäftsräume
Betriebsräume
Restauration
Freizeit-/Sportanlagen
Andere
Total
Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), 2016
Freitag, 16. März 2018
Samstag, 17. März 2018
Sonntag, 18. März 2018
svit-immo-messe.ch
35
RUDOLF BRANDSTÄTTER / APA / KEYSTONE
Gaunerzinken
Zeichen im Türrahmen
Einst wurden sie von Einbrechern gern
verwendet, um Komplizen und Kollegen
Informationen über das jeweilige Objekt zu
hinterlassen: Gaunerzinken sind für das
ungeübte Auge nur als Kratzer zu identifi-
zieren. Die oft an Briefkästen hinterlassene,
heute nur noch selten verwendete Geheim-
schrift sagt Dinge wie «Bissiger Hund»
oder «Nichts zu holen». Eingezogen hat
eine neue Methode, wie die Polizei warnt.
Einbrecher stecken von aussen kleine
Kunststoff- oder Holzstücke zwischen
Eingangstür und Türrahmen, um festzu-
stellen, ob Bewohner im Hause sind.
Bleiben die Stücke stecken, ist niemand da.
Erik Brühlmann
gegen äussere Einwirkung von zehn Minuten.
Selbst dann müsste ein Einbrecher schweres
Gerät auffahren, um sie zu überwinden. Wei-
tere digitale Sicherheitskomponenten wie
eine Positions- und Verschlussüberwachung
steigern die Schutzwirkung zusätzlich. Apro-
pos Fenster: Katzentüren stellen laut Stefan
Oberlin kein Problem dar – wenn die dahinter-
liegenden, irgendwie erreichbaren Fenster
mit einem Schloss abgesichert sind.
Haussicherheit ist derzeit auch ein Mega-
trend in der Smart-Home-Branche. Experten
schätzen, dass der Home-Security-Markt
bis 2020 weltweit 47 Mrd. $ umsetzen wird.
Technikaffine lassen sich von elektronischen
Türspionen Livebilder aufs Smartphone sen-
den, installieren Kameras oder Türschlösser
mit Fingerabdruckscannern. Der Home-Secu-
rity-Spezialist Brinks stellte kürzlich eine Tür-
verriegelung vor, die mit Schlüssel, iPad oder
Smartphone bedient werden kann. Der Status
von Schloss und Tür kann per App von überall
Ungebetene her überwacht werden.
Gäste suchen nach Solche Systeme hätten ihren Nutzen, sagt
einfachen Einstiegs- Kapo-Sprecher Oberlin. Ausschliesslich ver-
chancen – etwa lassen sollte man sich darauf jedoch nicht.
schlecht gesicher- Denn eine Überwachungskamera zum Bei-
ten Fenstern. spiel liefert ja nur ein Live-Bild des Einbruchs,
verhindert ihn aber nicht. Heikel ist zudem
das Thema Datenschutz: So sollte für jeden
deutlich erkennbar sein, dass eine Videoüber-
wachung installiert ist.
Prävention ist die halbe Miete
Neben der weniger komplizierteren und oft-
mals günstigeren mechanischen Sicherung
der Gebäudehülle empfiehlt die Kantons-
polizei Zürich, vor allem in die Prävention zu
investieren – sprich, es so aussehen zu lassen,
als sei jemand im Haus oder in der Wohnung.
Dies lässt sich zum Beispiel traditionell über
Zeitschaltuhren lösen. Das Zürcher Startup
14 098 Mitipi hat mit Kevin einen einfach zu bedie-
nenden virtuellen Hausbewohner entwickelt.
7845 «Wir sprachen im Vorfeld mit Einbruchsop-
2280 fern und stellten fest, dass für fast alle die Ver-
2036 letzung der Privatsphäre schwerer wiegt als
1872 der finanzielle Schaden», sagt Mitgründerin
Laura Schilliger. Mithilfe personalisierbarer
1803
und aufeinander abgestimmter Licht- und
1617 Soundszenarien simuliert das unauffällige
5419 Gerät deshalb, dass jemand zu Hause ist. Und
36 970 nichts schreckt Einbrecher mehr ab als poten-
zielle Zeugen ihres Schaffens, egal, ob im
Haus oder ausserhalb.
Zürich-Seefeld | lake-side.ch
15.00 - 19.00 Uhr
11.00 - 17.00 Uhr
11.00 - 17.00 Uhr
svit_immo_messe
36 NZZ am Sonntag 4. März 2018

ANLAGEFONDS
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Quelle: Swiss Fund Data AG E-Mail: helpdesk@swissfunddata.ch

Reihenfolge Fondsinformationen: Fondsname, Rechnungswährung, Konditionen Ausgabe / Rücknahme, Kursbesonderheiten, Inventarwert, Ausgabepreis
oder Börsenschlusskurs (Werte vom Freitag, 02.03.2018, Abweichungen siehe Besonderheiten), Performance 2018 in %, Jahreshöchstwert und Datum

Banque Cantonale
de Genève
Tel. 058 211 21 11
bcge.ch/funds
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Aktienfonds BGF FixedIncGlbOpps A2 USD USD 3/1 el 14.07 0.5 14.20 29.01. Carmignac Sécurité A EUR Acc EUR 1/1 e 1762.35 0.6 1765.68 07.02. FBG Global Bal. Strategy EUR 1/1 e 49.04 -2.1 50.90 24.01. Franklin GCC Bond A (acc) USD 1/1 e 12.76 -0.5 12.89 01.02.
Synchrony All Caps CH A CHF 1/1 e 181.72 -5.5 197.44 09.01. Aktienfonds Obligationenfonds FBG Global Managed CHF 1/1 e 74.83 -3.0 78.37 09.01. Templeton Global Bond A (Acc) USD 1/1 e 29.20 -0.3 29.87 19.01.
Synchrony Emerging Equity A USD 4/3 f 121.79 2.2 128.88 26.01. BGF Asian Dragon A USD USD 2/1 el 46.67 1.8 50.23 26.01. Carmignac Unconstr.Glbl Bd A EUR AccEUR 1/1 e 1422.18 1.4 1429.54 07.02. FBG Global Return Strategy 1 EUR 1/1 e 45.58 -1.3 46.51 09.01. Templeton Global TR A (Acc) USD 1/1 e 30.20 -0.3 30.92 19.01.
Synchrony Europe Equity A EUR 4/3 f 176.03 -0.7 183.71 23.01. BGF Asian Grwth Lead Fd A2 USD 1/1 e 21.30 0.9 22.91 26.01. Aktienfonds Templeton Global TR A CHF-H1 CHF 1/1 e 14.20 -0.8 14.58 19.01.
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Synchrony Small & Mid Caps CH A CHF 1/1 e 221.04 -2.4 237.33 19.01. BGF Glbl MA Income Fd A2 USD 1/1 e 13.17 -1.0 13.52 24.01. Carmignac Emerg.Disc. A EUR Acc EUR 1/1 e 1541.27 0.6 1596.15 26.01. Franklin India A (Acc) USD 1/1 e 39.94 -5.5 43.94 23.01.
Synchrony Swiss Equity CHF 4/3 e 147.24 -6.4 161.69 09.01. BSF EM Eq Strat A2 USD 1/1 e 173.04 5.7 185.27 25.01. Carmignac Emergents A EUR Acc EUR 1/1 e 921.37 -3.0 981.74 09.01. Franklin Technology A (acc) USD 1/1 e 18.46 7.6 18.91 26.02.
Synchrony US Equity A USD 4/3 e 200.65 0.9 213.78 26.01. BSF EM Flexi Dynamic A2 USD 1/1 e 119.18 -0.3 121.62 01.02. Carmignac Euro-Entrepr A EUR Acc EUR 1/1 e 372.19 -0.3 388.57 23.01. Templeton Asian Smaller Co A (acc) USD 1/1 e 50.54 0.8 52.98 26.01.
Immobilienfonds BSF Glbl Event Dr A2 USD 1/1 a 109.64 1.6 109.64 28.02. Carmignac Grande Eur. A EUR Acc EUR 1/1 e 192.32 -3.0 205.57 23.01. Templeton EM Smaller Co A (acc) USD 1/1 e 12.93 0.9 13.49 26.01.
Synchrony Swiss Real Est FoF A CHF 1/1 a 110.23 -2.2 113.12 04.01. BSF MMAS A2 USD 1/1 e 103.09 0.6 103.71 02.02. Carmignac Invest. A EUR Acc EUR 1/1 e 1230.03 2.0 1279.71 26.01. Templeton Euroland A (acc) EUR 1/1 e 24.24 0.9 25.24 23.01.
BSF Style Adv A2 USD 1/1 e 109.01 -0.5 111.73 31.01. Strategiefonds Andere Fonds
Strategiefonds Carmignac Emerg.Pat. A EUR Acc EUR 1/1 e 120.49 0.1 123.94 26.01. Franklin Global Convert Sec A (Acc) USD 1/1 e 13.78 3.9 14.06 26.01.
BGF GlobAll A USD USD 2/1 e 57.06 -0.2 59.60 24.01. Carmignac Euro-Patr. A EUR Acc EUR 1/1 e 367.63 2.9 368.77 28.02. Franklin K2 Alternative Strat A (acc) USD 1/1 e 11.21 0.5 11.37 26.01.
Carmignac Patrimoine A CHF Acc Hdg CHF 1/1 e 113.03 -0.0 117.04 26.01.
Carmignac Patrimoine A EUR Acc EUR 1/1 e 649.30 -0.1 672.65 26.01.

JPMorgan Asset Management (CH) GmbH LB(SWISS) INVESTMENT AG PIMCO (SCHWEIZ) GMBH
Tel. +41 44 206 86 00 Tel. +41 44 225 37 90 Tel. +41 44 512 49 10
Weitere Fonds unter: investment@lbswiss.ch www.europe.pimco-funds.com PvB Pernet von Ballmoos AG RESPONSABILITY INVESTMENTS AG
www.jpmam.ch Tel. +41 44 205 51 51 -- www.pvbswiss.com www.responsAbility.com

Obligationenfonds Aktienfonds Obligationenfonds Aktienfonds Andere Fonds

JPM EM Corp Bond A acc USD USD 2/2 e 152.62 -0.8 155.02 12.01. Swiss Opportunity Fund - P CHF 1/1 e 250.89 -2.9 269.91 23.01. Capital Securities Fd Inst acc CHF 2/2 e 15.38 -0.3 15.71 26.01. PvB Swiss Equity Futures Fund A CHF 1/1 b 108.09 -9.6 118.16 31.01. rA Fair Agriculture B1 CHF 2/2 b 97.52 0.1 97.52 28.02.
JPM Flexible Credit Fd A Acc USD USD 4/4 e 15.42 -0.6 15.60 29.01. Diversified Income Inst Hdg CHF 1/1 e 13.20 -1.6 13.43 16.01. PvB Swiss Equity Futures Fund I CHF 1/1 b 112.60 -9.4 122.99 31.01. rA Fair Agriculture B2 EUR 2/2 b 99.95 0.1 99.95 28.02.
JPM Income Opp A(Perf)acc CHF (h) CHF 3/1 e 98.12 -0.2 98.52 29.01. Emerging Local Bond Inst Unhdg CHF 1/1 e 9.63 1.0 9.76 12.01. Immobilienfonds rA Micro and SME FF B USD 4/1 b 155.09 0.3 155.21 31.01.
Aktienfonds Euro Bond Inst Hdg CHF 1/1 e 33.52 -0.4 33.72 08.01. Synchrony Swiss Real Est FoF A CHF 1/1 a 110.23 -2.2 113.12 04.01. rA Micro and SME FF H CHF CHF 4/1 b 123.73 -0.2 124.09 31.01.
JPM Asia Growth A acc-USD USD 2/2 el 32.53 2.0 34.48 26.01. Global Bond Inst Hdg CHF 1/1 e 32.50 -0.9 32.81 08.01. Synchrony Swiss Real Est FoF I CHF 1/1 a 100.23 -1.2 101.83 04.01. rA Micro and SME FF H EUR EUR 4/1 b 138.65 -0.1 139.00 31.01.
JPM EM Opportunities A acc USD USD 4/4 el 316.62 3.2 335.20 26.01. Global High Yield Bd Inst Hdg CHF 1/1 e 16.28 -1.3 16.61 09.01. Alternative Investments
JPM Euroland Dyn A(Perf)acc EUR EUR 4/4 e 238.88 -2.1 259.79 22.01. Global Inv Grade Credit Inst Hdg CHF 1/1 e 16.75 -1.5 17.02 08.01. PvB Andante - Emg Mkts K (CHF) CHF 2/1 bf 12757.40 4.2 12757.40 31.01.
JPM Europe Dynamic A acc-EUR EUR 2/2 el 23.27 -3.0 25.13 29.01. Income Fund Inst (Hdg) acc CHF 2/1 e 11.24 -1.1 11.38 08.01. PvB Andante - Emg Mkts K (USD) USD 2/1 bf 16330.95 4.0 16330.95 31.01.
JPM Europe Eq A acc-EUR EUR 2/2 el 18.10 -3.0 19.41 24.01. Total Return Bd Inst Hdg CHF 1/1 e 11.04 -1.9 11.24 03.01. PvB Andante - Global K (CHF) CHF 2/1 bf 11146.75 2.3 11146.75 31.01.
JPM Europe Eq Plus A(Perf)acc EUR EUR 2/2 el 16.57 -3.3 17.77 19.01. Aktienfonds PvB Andante - Global K (USD) USD 2/1 bf 13928.65 2.3 13928.65 31.01.
JPM Europe Tec A acc-EUR EUR 2/2 el 40.53 -1.2 44.00 22.01. MLP & Energy Infrastructure Inst acc USD 2/1 e 7.69 -3.6 8.75 23.01. Andere Fonds
Strategiefonds PIMCO RAE Fdtl PLUS EM Inst acc USD 4/4 e 14.60 4.4 15.62 26.01. PvB Asset-Backed Securities Fund A USD 2/3 bf 3694.25 1.0 3694.25 31.01.
JPM Global Income A div CHF (h) CHF 3/1 el 118.24 -2.0 122.23 24.01. PIMCO RAE Fdtl PLUS Gbl Dev Inst accUSD 4/4 e 15.31 -0.3 16.49 26.01. PvB Asset-Backed Securities Fund I CHF 2/3 bf 1659.79 0.6 1659.79 31.01.
JPM Global Macro Op A Acc CHF CHF 4/4 el 121.79 4.5 123.46 19.01. PIMCO RAE Fdtl PLUS US Inst acc USD 4/4 e 16.79 -0.4 18.08 26.01. PvB Asset-Backed Securities Fund I USD 2/3 bf 1676.45 1.1 1676.45 31.01.
Strategiefonds PvB Asset-Backed Securities Fund S USD 2/3 bf 259.06 1.0 259.06 31.01.
Global Multi-Asset Inst acc USD 1/1 e 16.97 -0.6 17.84 26.01.

Erklärung Indizes
Konditionen bei der Ausgabe und Rücknahme von Anteilen:
Die erste Ziffer verweist auf die Konditionen bei der Ausgabe von Anteilen:
1. keine Ausgabekommission und/oder Gebühren zugunsten des Fonds (Ausgabe erfolgt zum Inventarwert)
2. Ausgabekommission zugunsten der Fondsleitung und/oder des Vertriebsträgers
SCHRODER INVESTMENT MANAGEMENT
(kann bei gleichem Fonds je nach Vertriebskanal unterschiedlich sein)
(SWITZERLAND) AG, LUX-SICAV 3. Transaktionsgebühr zugunsten des Fonds (Beitrag zur Deckung der Spesen bei der Anlage neu zufliessender Mittel)
www.schroders.ch, Tel. 0800 8 4444 8 WYDLER ASSET MANAGEMENT AG 4. Kombination von 2) und 3)
contact@schroders.ch www.wydlerinvest.ch 5. Besondere Bedingungen bei der Ausgabe von Anteilen
Die zweite, kursiv gedruckte Ziffer verweist auf die Konditionen bei der Rücknahme von Anteilen:
Obligationenfonds Obligationenfonds 1. keine Rücknahmekommission und/oder Gebühren zugunsten des Fonds (Rücknahme erfolgt zum Inventarwert)
Em Mkts Dbt Ab Return A Acc USD 2/2 e 28.73 1.8 29.32 25.01. Wydler Global Bond Fund CHF 1/1 e 131.99 -0.2 134.58 23.01. ANLAGEFONDS – 2. Rücknahmekommission zugunsten der Fondsleitung und/oder des Vertriebsträgers
(kann bei gleichem Fonds je nach Vertriebskanal unterschiedlich sein)
EURO Corporate Bond A Acc EUR 2/2 e 22.31 -0.4 22.49 23.01. Aktienfonds
3. Transaktionsgebühr zugunsten des Fonds (Beitrag zur Deckung der Spesen beim Verkauf von Anlagen)
Gl Cred.Dur.Hgd A Acc EUR 2/2 e 113.28 -0.1 114.47 05.02. Wydler Global Equity Fund CHF 3/3 a 234.94 0.6 248.16 23.01. TRANSPARENTE UND 4. Kombination von 2) und 3)
Global Corporate Bond A Acc USD 2/2 e 11.06 -1.6 11.25 08.01. 5. Besondere Bedingungen bei der Rücknahme von Anteilen
Strategic Bond A Acc USD 2/2 e 148.37 2.4 148.70 28.02. BEWÄHRTE FINANZ-
Besonderheiten:
Aktienfonds a) wöchentliche Bewertung
Emerging Markets A Acc USD 2/2 e 17.19 3.0 18.23 29.01.
PRODUKTE. MEHR UNTER: b) monatliche Bewertung
c) quartalsweise Bewertung
European Large Cap A Acc 257.44 -1.4 275.31 23.01.
European Value A Acc
EUR 2/2 e

EUR 2/2 e 65.61 -1.6 70.21 24.01.

WWW.SWISSFUNDDATA.CH d) keine regelmässige Ausgabe und Rücknahme von Anteilen
e) Vortagespreis
Gl Climate Change Eq A Acc USD 2/2 e 14.79 -0.6 15.80 25.01. f) frühere Bewertung
Global Energy A Acc USD 2/2 e 15.18 -7.5 17.94 25.01. g) Ausgabe von Anteilen vorübergehend eingestellt
h) Ausg. und Rückn. von Anteilen vorübergehend eingestellt
Global Equity A Acc USD 2/2 e 25.79 1.6 27.37 29.01.
i) Preisindikation
Middle East A Acc USD 1/1 e 12.46 3.4 12.90 25.01. l) in Liquidation
Swiss Equity Opp. A Acc CHF 2/2 e 192.59 -4.8 208.67 24.01. x) nach Ertrags- und/oder Kursgewinnausschüttung
Swiss S&M Cap Equity A Acc CHF 2/2 e 47.09 -1.7 50.41 24.01. Wertangaben ohne Gewähr
NAV / Issue Price exklusive Kommissionen

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Erscheinungsdatum
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 NZZ am Sonntag 4. März 2018

Episches Duell Fangewalt im Fussball

Wie Pluschenko und sein Warum die Polizei auf Freizeit-
sport
Gegenspieler Lambiel den Dialog statt auf Härte So gelingen
Eiskunstlauf prägten setzen sollte Velotouren
42 39 47
DANIELA FRUTIGER / FRESHFOCUS, MELANIE DUCHENE / KEYSTONE

KeinLichtleinbrennt
Wegen eines Stromausfalls im St.-Jakob-Park fällt das Spiel zwischen dem FC Basel und
dem FC Zürich aus. Der FCZ fordert einen Forfait-Sieg. Seite 45
38 NZZ am Sonntag 4. März 2018

NZZ AM SONNTAG-LESERKONFERENZ

Ihre Meinung interessiert uns.

Kommen Sie zu uns in die Redaktion.
Wir zeigen Ihnen, wie wir arbeiten und möchten uns mit Datum
Ihnen zu Themen und Machart der Zeitung austauschen, Mittwoch, 28. März 2018
Der Schwerpunkt der nächsten Diskussion wird auf der 18 Uhr bis 19 Uhr
Berichterstattung und Kommentierung zu «Internationales / mit anschliessendem Apéro
Schweiz» liegen.
Ort
In entspannter Atmosphäre wollen wir mit Ihnen Ihre «NZZ am Sonntag»-Redaktion
Ideen und Anregungen diskutieren. Dazu laden wir Falkenstrasse 11, 8008 Zürich
15 Leserinnen und Leser in die Redaktion der
«NZZ am Sonntag» ein. Eintritt frei
Exklusiv für Abonnenten der «NZZ am Sonntag»
Teilen Sie uns bitte im Vorfeld unter dem angegeben Link
mit, warum Sie gerne an der Leserkonferenz teilnehmen Anmeldung
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N Z Z- LI B RO.C H

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«2018 wird sich 1968 zum 50. Mal jähren. Auf
gut 200 Seiten bietet er eine dicht gefügte histo-
rische Collage. Sie setzt mit den Fünfzigerjahren
ein und reicht bis in die Siebzigerjahre.»
RUEDI MÄDER, Basler Zeitung
In 14 Porträts wird das Liebesleben berühmter
Schriftstellerinnen und Schriftsteller beleuchtet.
Das Buch zeigt, wie die Liebe ihr Werk beeinflusst
hat, z.B. das von Simone de Beauvoir, Annemarie
Schwarzenbach und Friedrich Dürrenmatt.
«#Frauenarbeit tanzt zwischen Management-
und Leadership-Ratgebern aus der Reihe, weil es
der Leserin anhand von Beispielen beibringt, wie
sie die richtigen Connections knüpft, sich im All-
tag organisiert oder aus der Masse heraussticht.»
KARIN ZWEIDLER, 20 Minuten Friday
«Es war ein Knaller, der die Schweiz veränderte.
Vor 100 Jahren rief Bauernführer Rudolf Minger
mit einer legendären Rede in Bern zur Gründung
einer neuen Partei auf.»
STEFAN v. BERGEN, Berner Zeitung

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/ UNTERSCHRIFT
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Sport
Aufgeladene Stimmung: Fanmarsch der FCZ-Anhänger durch die Berner Altstadt vor dem Cup-Final 2014.
«DieFronteninder
Schweizsindverhärtet»
Fussballspiele ganz ohne Gewalt seien illusorisch, sagt Fanexperte Alain Brechbühl. Doch eine dialogbereite
Polizei bringe gemässigte Fans dazu, auf Gewalttäter aufmerksam zu machen. Interview: Christine Steffen
NZZ am Sonntag: Warum gehen Fussballfans
Alain regelmässig aufeinander los?
Brechbühl Alain Brechbühl: Es gibt verschiedene
Arten von Konflikten. Zum einen die klassi­
schen Treffen, an denen Hooligans abma­
chen, um zu prügeln. Eine mögliche Erklä­
rung dafür ist das «sensation seeking». Der
Reiz ist, immer wieder neue, extreme Erfah­
rungen zu machen. Einen Ausgleich zu
finden zu einem ereignisarmen Alltag, den
Kick zu erleben. Bei Zusammenstössen, die
situativ entstehen, ist wichtig, wie sich die
Parteien verhalten. Die Forschung zeigt, dass
auch die Polizei eine entscheidende Rolle
Der Sportwissen- hat, ob es zu Gewalt kommt. Das heisst nicht,
schafter ist Projekt- dass wir der Polizei den schwarzen Peter
verantwortlicher zuschieben. Durch ihr Auftreten und ihre
der Forschungs- Strategie kann sie aber mitbeeinflussen, ob
stelle Gewalt bei es ein friedliches Fussballspiel gibt.
Sportveranstaltun-
gen. Sie gehört zur Sie betonen in Ihrer Arbeit die Wichtigkeit des
Uni Bern. Brechbühl Dialogs zwischen Fans und Polizei. Wie muss
arbeitet eng mit der man sich den Dialog konkret vorstellen?
Fussball- und der Was ich vorausschicken muss: Die Fronten
Eishockeyliga, mit in der Schweiz sind verhärtet. Das hat damit
Sicherheits- und zu tun, dass in den letzten Jahren der repres­
Polizeikräften und sive Apparat stark heraufgefahren worden
der Fanarbeit zu- ist, Stichwort Hooligankonkordat. Verschie­
sammen. Er hat ver- dene Ereignisse zwischen Fans und Polizis­
schiedene Unter- ten haben ebenfalls dazu beigetragen. Von
suchungen über die Fanseite wird der Dialog mit der Polizei zum
Verminderung von Teil abgelehnt.
Fangewalt durch-
geführt. Wie soll er denn trotzdem stattfinden?
Im Ausland zeigen sich vielversprechende
Resultate mit Dialogteams der Polizei. Sie
verzichten fast ganz auf repressive Funktio­
nen, sind nicht bewaffnet und klar gekenn­
zeichnet. Sie versuchen, sich möglichst nahe
bei den Fans zu bewegen. Langfristig soll es
dazu führen, dass gemässigte Fans auf Grup­
pen aufmerksam machen, die auf gewalt­
tätige Auseinandersetzungen aus sind.
Natürlich braucht es hier einen Vertrauens­
aufbau. Und es ist klar, dass es Fans gibt, die
nicht bereit sind, auf diesen Dialog einzu­
gehen, die andere Ziele haben.
Was macht man mit ihnen?
Es gibt verschiedene Massnahmen, ange­
fangen beim Stadionverbot über das Rayon­
verbot bis zur Meldeauflage, bei der sich
Personen zu bestimmten Zeiten, etwa wäh­
rend Spielen, bei der Polizei melden müssen.
In Zürich finden die Auseinandersetzungen
zwischen FCZ- und GC-Fans irgendwann,
irgendwo statt. Ist das neu?
Für mich ist das Phänomen eher neu. Aber
die Gewalt hat sich grundsätzlich verlagert:
weg von den Stadien. Die Swiss Football
League hat viel investiert, um sie gewaltfrei
zu halten. Gewalt tritt zurzeit mehrheitlich
auf den Anreisewegen auf.
Die Verhältnisse in Zürich sind besorgniserre-
gend. Ein Fan kann in der Stadt angegriffen
werden, nur weil er einen Klubschal trägt.
Wenn es so weit kommt, sind das bedenk­
liche Zustände. Ich habe gehört, es seien
neue Gesichter, die zum Teil bandenmässig
unterwegs sind. Wenn es in Richtung organi­
sierte Kriminalität geht, wie etwa in Italien,
wäre das eine neue Dimension.
Die Klubs wollen nicht verantwortlich sein
für Randale in der Stadt, die Polizei nimmt sie
in die Pflicht. Wer ist verantwortlich?
Wichtig ist, von Schuldzuweisungen weg­
zukommen. Weder die Klubs, noch die Liga,
noch die Polizei will Gewalt. Es ist auch nicht
so, dass sich die Klubs diese Fans aussuchen.
Auch die Medien haben einen Anteil. Wenn
ich am Wochenende Action haben und
gewalttätig sein will, bietet mir Fussball die
ideale Plattform, es wird regelmässig darüber
berichtet. Es ist mittlerweile ein Selbstläufer.
Sie sagen, die Klubs können sich ihre Fans
nicht aussuchen. Aber warum distanzieren sie
sich nicht deutlich? Warum sagt nicht der Cap-
tain des Teams: Euch wollen wir nicht?
Das gab es durchaus, in Basel zum Bei­
spiel. Aber es ist ja auch grundsätzlich nicht
so, dass die Fankurven gewalttätige Fans nur
gut finden. Keine Kurve kann diktieren, wie
sich jede Fangruppierung zu verhalten hat.
Aber die gemässigten Kräfte könnten die Übel-
täter melden. Warum tun sie es nicht?
Das ist eine Schlüsselfrage. Es gibt teil­
weise die Haltung in den Kurven, dass sie die
verschiedenen Arten dulden, die Fankultur
auszuleben. Dazu kommt wieder die Verhär­
tung der Fronten. Die Fans fühlen sich durch
den Repressionsapparat in die Ecke gedrängt
und weigern sich, Namen weiterzugeben.
Unternehmen die Klubs genug?
Gerade was Videotechnik angeht, ist man
mittlerweile sehr weit, dort läuft viel im Hin­
tergrund. Man versucht, die Gewalttäter zu
identifizieren. Die meisten Klubs haben Fan­
verantwortliche und die Fanarbeit. Sie ver­
suchen, eine positive Fankultur attraktiv zu
machen. Es ist jedoch für die Klubs unmög­
lich, die vollständige Kontrolle über ihre
Fans zu haben.
Sind bei den Ausschreitungen Drogen im Spiel?
Alkohol wird konsumiert, ist aber bei den
Leuten, die sich schlagen wollen, weniger
ein Thema. Dort sind es die härteren Drogen,
zum Beispiel Kokain.
Muss man mit einem bestimmten Mass an
Gewalt leben? Oder anders gesagt: Was ist der
beste Zustand, der erreichbar ist?
Wir müssen nicht diskutieren: Jede
gewalttätige Handlung im und ausserhalb
des Stadions ist eine zu viel. Aber wir
müssen uns von der Illusion verabschieden,
dass in einem derart emotionsgeladenen
Umfeld wie im Sport immer nur friedliche
Stimmung herrscht. Wenn es um viel geht,
ist Frustration und Wut dabei. Da kommt es
zu Reibereien. Wenn Leute an Leib und
Leben bedroht sind – davon muss man fort­
kommen, gerade wenn Waffen im Spiel sind.
In Zürich finden die Konflikte zum Teil mit
Wenn es in Richtung
organisierte
Kriminalität geht,
wie etwa in Italien,
wäre das eine neue
Dimension.
39
LUKSA LEHMANN / KEYSTONE
Waffen statt. Oft zeigen nicht einmal die Opfer
von Attacken die Angreifer an.
Das gehört auch zum Kodex. Wobei zum
klassischen Hooliganverständnis gehören
würde, dass man keine Waffen benutzt.
Handelt es sich also um andere Gruppen?
Es ist schwierig, in die Kultur der Splitter­
gruppen zu schauen. Die Identifikation der
Täter ist eine riesige Herausforderung. Im
juristischen Bereich kommt man mit der
Verfassung in Konflikt. Wie weit darf man
gehen bei der Stadionkontrolle, beim
Abhören von Leuten? Die Identifikation ist
die grosse Problematik, und sie ist essenziell.
Warum ist es so schwer, Leute zu identifizieren?
Heute hat man zwar viel mehr Kameras als
früher – nicht nur im Stadion, sondern auch
ausserhalb sind Kamerateams unterwegs.
Doch die Stadt ist weitläufig. Wo setzt man
diese Kamerateams ein? Am Ende ist man so
weit wie in London, wo es im öffentlichen
Raum sehr viele Kameras gibt. Das hat eine
hohe gesellschaftliche Brisanz: Wie weit will
man die Leute überwachen?
Sie sprechen häufig von Dialog mit den Fans.
Ist das nicht einfach ein Kuschelkurs?
Es geht nicht darum, einfach zu allen Fans
netter zu sein. Aber es geht darum, möglichst
auf das Individuum bezogen zu agieren.
Fortzukommen vom Ansatz, den Fan per se
zu kriminalisieren. Man soll konsequent
gegen die Einzeltäter vorgehen.
Das klingt nach Theorie.
Ich beziehe mich auf Erkenntnisse aus
Forschung und Praxis. Es wäre ja einfach,
wir könnten bei jedem Spiel 600 Polizisten
hinstellen, und es wäre friedlich. Die Praxis
zeigt, dass es genau nicht so ist. Für mich ist
entscheidend, was funktioniert. Wenn wir
600 Polizisten hinstellen und gewaltige Ein­
satzkosten haben, wird man sich bald an uns
wenden mit der Frage, wie man den Apparat
hinunterfahren kann. Die Kapo Bern setzt
zum Beispiel auf Dialog, sie konnte ihre Ein­
satzkosten massiv reduzieren. In der
Schweiz wie auch international tendiert man
in diese Richtung: Fronten abbauen, den
Dialog suchen. Das wirkt.
40 Sport NZZ am Sonntag 4. März 2018

LetzterKreuzzug
Real Madrid ist dabei, sich noch einmal mit seinem alternden Superstar Ronaldo zu versöhnen. Dennoch
ist klar: Ein Umbruch steht an – und keiner weiss, wie er aussehen soll. Von Florian Haupt, Barcelona

A
ls die Partie gewonnen war

JUANJO MARTIN / EPA

und sich grosse Erleichte-
rung breitmachte, wich Emi-
lio Butragueño sogar vom
Skript ab. Der einstige Stür-
merstar von Real Madrid ist
heutzutage Klubdirektor
und Vereinssprecher: Seine hochseriösen TV-
Interviews sind zu einem Ritual geworden.
Jedes Wort erscheint geschliffen, wenn er
streng an den ihm gestellten Fragen bleibt.
Vor zweieinhalb Wochen aber, nach dem so
dringend benötigten wie euphorisch bejubel-
ten 3:1 in der Champions League gegen Paris
St-Germain, eröffnete Butragueño von sich
aus das Thema des Abends. «Wir müssen über
Cristiano sprechen», sagte er. «Immer wieder
Cristiano. Immer wieder. Es ist ein Privileg,
ihn zu haben.»
Die Lobeshymne fernab des Protokolls be-
stätigte, was zuletzt auch auf anderen Kanä-
len zu vernehmen war – in der ewigen Seifen-
oper zwischen fünffachem Weltfussballer und
zwölffachem Europapokalsieger stehen die
Zeichen wieder auf Versöhnung. Die von
Ronaldo seit langem geforderte und vom Klub
zunächst abgelehnte Gehaltserhöhung könnte
doch noch kommen. Die Chancen steigen,
wenn Real den 3:1-Vorsprung am Dienstag im
Rückspiel in Paris verteidigt und die Hoffnung
am Leben hält, die Champions League zum
dritten Mal in Folge zu gewinnen. Auch
kommende Saison dürfte der 33-Jährige dann
weiter in Madrid spielen. Wenigstens eine
Sicherheit, wo doch sonst nur zwei Dinge klar
scheinen: Ein Umbruch steht an. Und keiner
weiss, wie er aussehen soll.
Der Portugiese, seit neun Jahren im Klub,
ist das Gesicht einer Mannschaft, die seit Jah-
ren kaum verändert wurde, deren Anführer
Sergio Ramos (Abwehr), Luka Modric (Mittel-
feld) sowie Ronaldo (Angriff) über 30 sind und
die sich wohl auf ihrem letzten Kreuzzug be-
findet. Noch einmal sollen sie die Tore Ronal-
dos über die Linie tragen, wo die Meister-
schaft so früh verloren wurde wie noch nie –
quasi als Pointe einer Generation, die selbst in
besten Tagen nie eine so belastbare Spielidee
wie Erzrivale Barcelona transportierte und da-
her nicht zufällig öfter den Sprint der Cham-
pions League gewann als den Liga-Marathon.
Wie sehr sich Real im Alltag quält, war
unter der Woche wieder bei Espanyol Barce-
lona zu bestaunen (0:1). Nicht mal Trainer Zi-
nédine Zidane scheint sich noch motivieren
zu können: Ausser den immergleichen Rota-
tionen, die zu den immergleichen Punktver-
lusten führen, hat er nur minimale Varianzen
vorgeführt, nie wirklich System oder Taktik
geändert. Real bleibt beim Heldenfussball,
und der funktioniert nicht mit müden Helden
oder halben Helden, der funktioniert allen-
falls noch, wenn die Stammelf an ihr Limit
geht und dazu das nötige Matchglück hat wie
im Hinspiel gegen Paris.
Ironischerweise fehlt der Generation
Ronaldo derzeit vor allem ein Spieler, wie es
Ronaldo früher war. Mit 33 Jahren ist der Por-
tugiese zum Mittelstürmer konvertiert, dank
Schusstechnik, Kopfballstärke, Instinkt und
Hartnäckigkeit macht er auch das exzellent.
Doch alte Qualitäten wie Antritt und Rhyth-
Alternde Chefs
Cristiano Ronaldo,
33 Jahre, könnte
doch noch die ihm
so wichtige Gehalts-
erhöhung bekommen.
Sergio Ramos,
31 Jahre, besitzt
bei Real Madrid
noch einen Vertrag
bis zum Jahr 2020.
Luka Modric,
32 Jahre, gilt nach
wie vor als wichtige Weltberühmte Jubel-Pose: Cristiano Ronaldo im Santiago Bernabeu nach seinem Tor zum 2:1 im Hinspiel gegen PSG. (Madrid, 14. 2. 2018)
Stütze im Mittelfeld
der Galaktischen.
muswechsel hat er verloren. Laut «CIES
Observatory Football» gehört er bei den Dribb-
lings nicht mal mehr zu Europas Top 100. Der
dauerverletzte Bale und der dauerphlegmati-
sche Benzema kompensieren das nur in Ein-
zelfällen, der junge Asensio meist nur von der
Bank, und der bereits für 45 Millionen Euro
verpflichtete Brasilianer Vinicius, 17, wird es
höchstens mittelfristig tun. Daher das Interes-
se an Künstlertypen wie Neymar oder Hazard,
das – im Falle von Ronaldos Verbleib – ernster
zu nehmen ist als das an Mittelstürmern wie
Kane oder Lewandowski.
178 Millionen Euro an Reserven weisen die
Vereinskonten auf, nachdem sich der einstige
Grossinvestor Real in den letzten drei Jahren
derart zurückhielt, dass er unter Europas
Profiklubs nur Rang 29 der Transferausgaben
belegte. Vorigen Sommer etwa verzichtete
man auf die Verpflichtung des Wunderkinds
Kylian Mbappé, die schon als perfekt galt und
eigentlich dem traditionellen Muster von Prä-
sident Florentino Pérez entsprach: in perio-
dischen Abständen durch einen teuren Star-
einkauf die Fussballwelt unterwerfen, die
Marke potenzieren und die eigene Belegschaft
aufmischen. So hatte man es von Figo oder
Beckham zu Beginn des Jahrtausends bis zu
Ronaldo oder Bale praktiziert. Doch ange- Real bleibt beim
sichts der jüngsten Erfolge und eines Konti-
nuitätsplädoyers von Zidane zauderte Pérez
Heldenfussball,
und liess sich von der parallelen Offerte des und der funktioniert
PSG ausstechen.
Die Franzosen haben mit dem Sponsoring
nicht mit müden
aus Katar finanzielle Massstäbe gesetzt, die Helden oder
einem mitgliedergeführten Traditionsverein halben Helden.
wie Real echte Kraftakte abverlangen. Zu
allem Überfluss ist Madrid selbst ein Erdöl-
fonds aus Abu Dhabi als Namenssponsor des
Stadions abgesprungen.
Vergleichsweise günstig gibt es im Fussball
allenfalls einen Trainerwechsel. In den letzten
Jahren changierte Pérez seine Übungsleiter
nach dem Prinzip «bad cop, good cop». Auf
einen Konzepttrainer, der Strukturen durch-
setzte (Mourinho, Benítez), folgte ein Spieler-
versteher, der für eine Entspannung der
Atmosphäre sorgte (Ancelotti, Zidane). Letz-
tere räumten die Europapokaltitel ab, aber im
Klub ist man überzeugt, dass es dafür auch die
Vorarbeit der ersten brauchte. Ob es die auch
von Zidane geben kann? Butragueños letzte
Ehrerbietung an den Trainer hörte sich nicht
ganz so überschwänglich an. «Wir sehen ihn
noch stark und sind glücklich mit ihm», sagte
er. Auf Nachfrage.

Paris St-Germain

Neymars Presnel Kimpembe ist 22, Innen- Bulletin, wie das bei Sportverlet- Kräfte freigesetzt werden, die serem Hause begnügt man sich
AP

verteidiger und kommt aus der zungen sonst der Fall ist, son- den unbestreitbaren Qualitäts- damit, hübsch auszusehen und
eigenen Jugend. «Schon wieder dern Theater für eine ganze verlust kompensieren. an der Geige die Partitur zu spie-

Fehlen Neymar!», rief Kimpembe diese

Woche aus. «Neymar hier,
Woche, bis er in seiner brasiliani-
schen Heimat operiert wurde.
Doch wenn es läuft wie
immer, wird Paris die europäi-
len. Und wenn dann der Klassen-
rüpel mit der E-Gitarre kommt,

könnte Neymar da, Neymar überall. Was Die Ironie an der Geschichte: sche Bühne trotzdem beim duckt man sich verschreckt weg
soll ich sagen? Wenn er ausfällt, Jetzt, wo es wirklich ernst wird, ersten Stresstest der Saison ver- und klagt über die Ungerechtig-
fällt er halt aus.» zum Schicksalsspiel für PSG – da lassen. Voriges Jahr beim legen- keit der Welt, aka: die Schieds-

Kräfte Seit Verkündung des 222-Mil-

lionen-Euro-Rekordtransfers
ist Neymar plötzlich nicht hier
oder da. Sondern weg.
dären 1:6 in Barcelona (nach 4:0
im Hinspiel) kulminierte ja nur
richter. Welche es den Franzosen
in der Tat nicht einfach machen.

freisetzen ging es ja wirklich nie um
jemand anders. Neymars Präsen-
tation. Neymars Privilegien.
Neymars Elfmeterstreit mit
Edinson Cavani. Neymars Wech-
selgerüchte. Neymars Geburts-
tagsparty (über drei Tage). Und
jetzt also: Neymars Mittelfuss-
knochen. Auch da gab es natür-
lich nicht einfach Diagnose und
Verletzt: Neymar im Rollstuhl.
Nicht nur Kimpembes Reak-
tion legt nahe, dass viele Kolle-
gen das gar nicht so schlimm
finden. Auch Madrids Trainer
Zidane vermutet, dass Neymars
Ersatz – wahrscheinlich Ángel Di
María, womöglich Julian Draxler
oder Javier Pastore – «erst recht
zeigen will, was er draufhat».
Ohne die nervige Diva könnten
die Tendenz all der Jahre unter
katarischer Eigentümerschaft
seit 2011: Selten war das mit
Petrodollars aufgerüstete Paris
fussballerisch unterlegen, immer
fehlten Fortüne, Wettkampf-
härte und Siegermentalität.
Auch die 1:3-Hinspielnieder-
lage in Madrid passt in diesen
Raster. Wie die Tochter aus bes-
Trainer Unai Emery sprach
das nach der Partie in Madrid
höflich an, ohne daraus bisher
eine schlüssige Opfererzählung
zu konstruieren, die seine
Truppe positiv anstacheln
könnte. Sollte es am Dienstag
wieder schiefgehen, dürften
seine Tage zum Saisonende
gezählt sein. Florian Haupt
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Sport 41

DerBesessene
Kari Jalonen gilt als Trainer, der es wie kaum ein anderer versteht, erfolgreiche Teams noch erfolgreicher zu
machen. In den Play-offs soll er das mit dem SC Bern erneut beweisen. Von Daniel Germann

E 42
r lacht oft und viel, und er hat «Okay zu spielen,

PATRICK B. KRÄMER / KEYSTONE

Kari Jalonen in
ja wirklich auch gut lachen.
Obwohl: Als Lachen kann man
Zahlen ist für mich nicht gut
es eigentlich gar nicht bezeich- genug. Ich werde mich
nen. Es ist mehr ein Lächeln.
Die Mundwinkel zucken leicht
nie damit zufrieden­
nach oben, um seine Augen geben, durchschnittlich
vertiefen sich die feinen Falten. Man weiss zu sein.»
dann nie mit letzter Sicherheit: Ist dieses Spiele für Calgary
Lächeln nun Ausdruck von Freude oder nicht und Edmonton be-
doch eher Spott über eine jener Journalisten- stritt Jalonen in der voraus, sich zuweilen in einen Berserker zu
fragen, die wieder so weit von dem entfernt NHL. Den Grossteil verwandeln. Doch davon hat man in Bern
ist, was Kari Jalonen Wirklichkeit nennt? der Karriere spielte noch nichts gesehen. In stoischer Ruhe pflegt
Es ist Donnerstagnachmittag. In zehn Ta- er in Finnland, wo er er die Spiele an der Bande zu verfolgen. Wirk-
gen beginnen im Schweizer Eishockey die zwischen 1989 und lich laut geworden, sagt einer aus dem Umfeld
Play-offs. Jalonen sitzt in seinem schmuck- 1993 mit Turku vier- der Mannschaft, sei Jalonen bisher eigentlich
losen Büro im Bauch der Postfinance-Arena. mal Meister wurde. nur einmal. Das war Ende Januar, als der SCB
Und im Raum steht die Frage: Wie, Kari Jalo- in Lugano 0:4 verlor.

nen, gehen Sie damit um, dass sie in den kom-
menden Play-offs mit ihrem SC Bern nur ver-
lieren können?
Zehn Sekunden lang bleibt es still im Raum.
Dann steigt jenes für ihn typische Lächeln in
Jalonens Gesicht. «Wir haben keinen Druck.
Der Klub hat letztes Jahr den Titel gewonnen.
Die Spieler haben noch gar nichts gewonnen.
Es ist ein neues Team.» Das ist insofern eine
erstaunliche Aussage, als 16 der 21 der desi-
gnierten Stammspieler bereits in der vergan-
genen Saison für den SCB gespielt haben. Neu
sind nur die Ausländer Mika Pyörälä und
5
Jalonen sagt, er sei selber zu lange Spieler
gewesen, um nicht zu wissen, was sie brau-
chen. Wider das Klischee, das Finnen anhaf-
tet, ist er ein hervorragender Zuhörer. Gerade
eben hat er wieder mit jedem seiner Olympia-
Meistertitel hat teilnehmer eine halbe Stunde zusammen-
Jalonen als Coach gesessen und ihm zugehört, was er von
bisher gewonnen: Pyeongchang zu erzählen hatte.
2005, 2007, 2008 Jalonen interessieren andere Meinungen.
mit Kärpät, 2011 im Er diskutiert gerne und oft mit seinem Um-
Helsinki IFK und feld. Selbst die Meinungen von Journalisten
2017 mit dem SCB. scheinen ihn zu interessieren. Doch entschei-
den tut er dann ganz alleine. Einer seiner

Mason Reymond sowie Gaëtan Haas.
Doch das ist eben Jalonens Wirklichkeit.
Und offensichtlich versteht er es, seine Wirk-
lichkeit auch zur Wirklichkeit der Spieler zu
machen. Jedenfalls verfolgt den 58-jährigen
Finnen der Ruf, wie kaum ein anderer die
Gabe zu besitzen, erfolgreiche Teams noch er-
folgreicher zu machen. Wo sich unter anderen
Trainern die Sättigung breitmacht, gelingt es
ihm, seine Spieler noch etwas mehr anzutrei-
ben. Das war bereits beim finnischen Klub
Kärpät Oulu so, den er in vier Jahren zu drei
Titeln führte. Und nun scheint sich das in Bern
zu wiederholen. Vom gefürchteten Meister-
blues jedenfalls ist nichts zu spüren. Im ersten
Jahr unter Jalonen verteidigten die Berner im
vergangenen Frühjahr als erstes Team seit 15
Jahren im Schweizer Eishockey den Titel. Und
nun dominierte der SCB die Liga bis zur Weih-
nachtspause, wie es schon lange kein Team
mehr getan hat. Zwischenzeitlich betrug der
Vorsprung in der Tabelle 18 Punkte und mehr.
Ein hervorragender Zuhörer
Die Frage liegt auf der Hand: Warum sind Sie
so erfolgreich, Kari Jalonen?
Wieder bleibt es sekundenlang ruhig, wie-
der lächelt Jalonen. Dann sagt er: «Ja, warum?
Wenn man als Coach das Gefühl hat, die Dinge
bewegen sich in die falsche Richtung, dann
muss man sofort intervenieren. Es ist normal,
dass es bessere und schlechtere Abende gibt.
Aber einfach nur okay zu spielen, ist für mich
nicht gut genug. Ich werde mich nie damit zu-
friedengeben, durchschnittlich zu sein.»
Jalonen gilt als Besessener, als ein Coach,
der kontrolliert, was er kontrollieren kann.
Aus Finnland eilte ihm der Ruf in die Schweiz
2
Grundsätze lautet: Warum soll ich verändern,
was funktioniert? Einer der Leidtragenden da-
von ist der Verteidiger Maxim Noreau, der mit
den Kanadiern in Pyeongchang eben Olympia-
bronze gewonnen hat und ins Allstar-Team
Jahre (von 2014 bis gewählt worden ist. Dennoch will Jalonen
2016) betreute Jalo- Noreau nicht mehr. Noreau nimmt sich nach
nen auch das finni- dem Verständnis seines Coaches zu viele tak-
sche Nationalteam. tische Freiheiten heraus. Deshalb wechselt
2016 in Moskau hol- der Verteidiger nach Zürich.
ten die Finnen unter
ihm WM-Silber. Uneingeschränktes Vertrauen
«Kari», sagt der Sportchef Alex Chatelain, «hat
seine Linie. Er kann aber auch stur sein. Er tut
das, was er für das Team für das Beste hält,
und lässt sich nicht beirren.» Das beeindruckt
einen Mann, der ebenso stur sein kann wie
Jalonen: den CEO Marc Lüthi. Der ist deshalb
sogar von seinem Grundsatz abgewichen, kei-
nen Trainer vor Weihnachten des letzten Ver-
tragsjahrs zu verlängern, und hat den Finnen
bereits Mitte Oktober für zwei weitere Jahre
an den SCB gebunden. «Die Resultate», sagt
Lüthi, «sprechen für sich.»
Jalonen ist es gewohnt, Forderungen zu
stellen, und meistens setzte er die auch durch.
Sein Ruf im europäischen Eishockey ist ausge-
zeichnet. Er war auch schon finnischer Natio-
naltrainer und arbeitete in der russischen
KHL. Bevor er vor zwei Jahren in Bern unter-
schrieb, verhandelte er auch mit den ZSC
Lions. Die Zürcher verloren das Interesse an
ihm, weil Jalonen in den Verhandlungen zu
viele Forderungen stellte. In Bern wird ihm
jeder Wunsch erfüllt. Er zahlt das Vertrauen in
jener Währung zurück, die dem CEO Lüthi
wichtiger ist als jede andere: in Erfolg. Jalonen
Stellt Forderungen – und setzt sie durch: Kari Jalonen, SCB-Cheftrainer. (Kloten, 30. 1. 2018) lächelt; er will dafür sorgen, dass es so bleibt.

Die Herausforderer des SC Bern

Luganos Klasse, Zürichs Breite, Zugs Konstanz

Seit der Entlassung von Patrick Fischer vor Die ZSC Lions sind das einzige Team, das Der EV Zug war vor einem Jahr der Final-
FOTO-NET

FOTO-NET

KEYSTONE

gut zwei Jahren hat der HC Lugano eine
erstaunliche Entwicklung gemacht: Im Früh-
jahr 2016 gewannen die Luganesi erstmals
nach zehn Jahren wieder eine Play-off-Serie
und scheiterten erst im Final. Vor einem Jahr
erreichten sie immerhin die Halbfinals.
Gestoppt wurden sie jeweils vom SCB.
Lugano besitzt die spielerische Klasse, um
den SCB erneut herauszufordern. Linus Klaa-
sen allerdings war in dieser Saison häufig
verletzt, und Damien Brunner sucht nach der
Form. Fraglich ist auch, wie gut die Verteidi-
gung ist. Philippe Furrer ist der einzige Natio-
nalspieler. Der stärkste Verteidiger in den
vergangenen Play-offs war aber Julien Vau-
clair. Am Freitag haben die Tessiner den Ver-
trag mit dem 38-Jährigen um eine weitere
Saison verlängert. Es wird seine 18. in Lugano.
ähnlich viel Qualität und Tiefe im Kader
besitzt wie der SCB. In den beiden letzten
Jahren scheiterten die Zürcher in den Play-
offs jeweils schon im Viertelfinal. In dieser
Saison verpassten sie in der Qualifikation
einen Platz unter den ersten vier und damit
den Heimvorteil in der ersten Runde.
Das muss kein Nachteil sein. Bern gewann
den Titel vor zwei Jahren nach einer verpatz-
Defensiv-Leader? ten Qualifikation von Platz 8 aus. Ähnlich wie
Luganos Julien damals die Berner kämpften in diesem Win-
Vauclair. ter auch die Zürcher mit vielen Verletzungen.
Entscheidend für ihre Perspektiven wird sein,
ob Robert Nilsson sich rechtzeitig von seiner
Hirnerschütterung erholt. Ohne den schwedi-
schen Spielmacher war die nominell erste
Linie mit Fredrik Pettersson und Pius Suter
nur noch halb so gefährlich.
gegner des SCB und beendet 2018 die Quali-
fikation erneut auf Platz 2. Doch die Bilanz
der Zuger gegen die Berner ist verheerend.
Diesen Winter verloren sie alle vier Qualifika-
tionsspiele.
Zug baut auf ein starkes Ausländerquar-
tett mit den Schweden Victor Stahlberg und
Carl Klingberg, dem Amerikaner Garrett Roe
und dem Kanadier David McIntyre. Entschei-
Wieder gesund? dend aber wird sein, ob die Schweizer Spieler Steigerung? Der
ZSC-Spielmacher ihre Topleistung erreichen. Der Verteidiger Zuger Torhüter
Robert Nilsson. Rafael Diaz war nicht mehr so dominant, der Tobias Stephan.
Stürmer Lino Martschini nicht mehr so treff-
sicher wie letzten Winter. Der Schlüsselspie-
ler aber ist der Torhüter Tobias Stephan, der
letztes Jahr das Duell gegen den Berner Leo-
nardo Genoni klar verlor. Mit 34 Jahren wartet
er immer noch auf den ersten Titel. (gen.)
 42
FeuerundEis
Stéphane Lambiel und Jewgeni Pluschenko
sind die grossen Antipoden des Eiskunstlaufs
– Kunst und Lauf, Verletzlichkeit und
Stärke, West und Ost. Nun tritt Pluschenko
zum letzten Mal bei Art on Ice auf, der
Kontrast verschwindet. Ein Epos aus
dem ewigen Eis. Von Samuel Tanner
J
ewgeni Pluschenko kommt aus der
Kälte. Am 3. November 1982 wurde
er in Dschamku geboren, einer klei-
nen Siedlung in Sibirien. Mit vier
Jahren stand er in Wolgograd zum
ersten Mal auf dem Eis. Die Sowjet-
union ging unter, die Welt wurde
neu sortiert, aber das Eis blieb immer gleich.
Pluschenko fuhr auf Schlittschuhen durch die
Zeiten, er zeigte Pirouetten und Vierfach-
sprünge, und wenn er fiel, stand er wieder auf.
Nach seinem ersten Olympiagold in Turin im
Jahr 2006 trat er zurück. Er zog in das Parla-
ment von Sankt Petersburg ein, er nahm für
Russland am Eurovision Song Contest teil. Am
Ende kehrte er aber wieder auf das Eis zurück.
Im Winter 2014, als die Olympischen Spiele in
Sotschi stattfanden, trat Pluschenko noch ein-
mal für sein Land an. Er sagte: «Viele dachten,
ich sei am Ende. Sie dachten, es gebe einen
neuen König. Aber den gibt es nicht. Ich bin
noch da. Was zählt, ist nur die Liebe des Vol-
kes. Und die habe ich.» Er gewann seine zwei-
te Goldmedaille.
Seine Geschichte führt ihn an diesem Don-
nerstag in das Hallenstadion von Zürich Oerli-
kon. Es läuft die Hauptprobe für Art on Ice, auf
den Plakaten in der ganzen Stadt steht: «Zum
letzten Mal mit Olympiasieger Jewgeni Plu-
schenko». Er trägt einen schwarzen Pullover
mit der Aufschrift PLUSH, und seine ewige
Frisur, die ihn wie ein Pony aussehen lässt. Im
Licht gleiten Frauen als Prinzessinnen vorbei,
oder sie schweben an weissen Flügeln unter
der Decke, aber Pluschenko bleibt cool. Er
Sport Eiskunstlauf
steht am Rand und schaut mit seinen Eis-
würfelaugen auf die Szenerie. Solange er das
Eis im Blick behält, bleibt es gefroren. Seine
eigene Probe hat er schon absolviert, ohne
Originalkostüm und fast ohne Aufwärmen.
Die Haare wirbelten zu dem Playback «The
Storm», das Gesicht blieb unergründlich. Die
Sprünge liess er aus, er fuhr nur Positionen ab.
Jetzt dröhnt aus den Lautsprechern eine
kleine Einführung in das Schaffen von Vaclav
Nijinski: «Sein Werk war die Geburt des
modernen Tanzes.» Nijinski gehörte zu dem
legendären Ensemble der Ballets Russes, er
konnte in der Luft anhalten und war ein Poet
des Sports. Heute, sagt der Speaker im Hallen-
stadion, werde seine Arbeit interpretiert von
Stéphane Lambiel aus Saxon, Kanton Wallis.
Das Licht geht an, und Lambiel fährt in schnel-
len Schritten auf das Publikum zu, das noch
gar nicht da ist. Aus dem Hintergrund beglei-
tet ihn eine junge Cellistin. Er hebt ab und
trägt sein Kostüm, einen weissen Umhang,
den er in den nächsten Minuten ausziehen
wird – wie auch seinen Pullover und seine
Handschuhe. Es ist eine Vorstellung von Ver-
letzlichkeit und von Wärme.
Tanz der Systeme
Stéphane Lambiel, 32, und Jewgeni Plu-
schenko, 35, kennen sich seit über 15 Jahren.
Wenn sie sich begegnen, treffen zwei Welten
aufeinander. Lambiel war immer der Künstler,
Pluschenko der Läufer. Das war der Reiz der
Veranstaltung. Der eine bildete den Kontrast
zum anderen. Ein Tanz der Systeme.
NZZ am Sonntag 4. März 2018
«Wir sind komplett verschieden. Er ist soft, ich bin stark»: Jewgeni Pluschenko (rechts) über sein Gegenüber Stéphane Lambiel
Ihre grossen Erfolge Nach ihrer Karriere als Wettkämpfer wur-
den sie zu den Stars der grossen Eisrevuen,
liegen zehn Jahre die einem erfolgreichen Eiskunstläufer ein
zurück, aber die zweites Leben schenken. Sie heissen Fantasy
Veranstalter verkaufen on Ice, Snow King, Stars on Ice. Auf dem aktu-
ellen Plakat von Art on Ice stehen die beiden
mit ihrem Duell noch Namen von Lambiel und Pluschenko in fetten
immer die Tickets. Buchstaben – ihre grossen Erfolge liegen zehn
Jahre zurück, aber die Veranstalter verkaufen
mit ihrem Duell noch immer die Tickets.
Im Zenit ihres Schaffens trafen sie sich im
Winter 2006 an den Spielen von Turin. Plu-
schenko trat an zur Filmmusik von «Der Pate»,
es war ein cooler Auftritt, er zeigte alle seine
Sprünge, und er gewann. Lambiel tanzte zu
den vier Jahreszeiten von Vivaldi, und er trug
dazu eine Art Zebrakostüm. Er habe in dem
Musikstück ein Wiehern gehört, sagte er da-
mals der NZZ, und darin die Geschichte eines
Zebras gesehen, das sich in die Wälder des
Wallis verirrt hat, das einsam ist und traurig –
das dann aber Freunde findet und Freude an
der neuen Natur. Am Ende des Programms
trägt es Flügel. Im Jahr davor verkörperte
Lambiel noch König Arthur. «Damals wollte
ich kämpfen», sagte er, «jetzt will ich fliegen.»
Er gewann die Silbermedaille.
Im Leben von Stéphane Lambiel scheinen
nicht nur die Auftritte auf dem Eis choreogra-
fiert. Er spricht vier Sprachen und ist in allen
fähig zur Poesie. Er sagte einmal: «Wenn ich
das Eis sehe, überkommt mich diese Lust zu
gleiten, vorwärts zu gehen, in die Lüfte zu
drehen. Die Bewegung. Zu tanzen und zu fal-
len. Ich liebe das.» «Wir hatten es gut miteinander

FOTOS: CAROLINE MINJOLLE
Pluschenkos Bilanz
Ein Bub
Die Geschichte von dem dünnen
GRIGORY DUKOR / REUTERS
Buben, der immer kränkelt, bis
ihn die Mutter erstmals auf die
aus
Eisbahn schickt, wird gerne
erzählt, wenn es um einen der
prominentesten Sportler Russ-
Sibirien
lands geht. Jewgeni Pluschenko
hebt schon früh ab – im wahrsten
Sinn des Wortes. Mit 14 Jahren
prägte
katapultiert er sich erstmals so
hoch in die Luft, dass er sich
viermal um die eigene Achse
den Sport
drehen kann. Kurz darauf wird
Ilya Kulik 1998 der erste Olym-
piasieger mit einem Vierfach-
sprung. Genau das hat der Trai-
ner Alexej Mischin mit seinem
Schüler Jewgeni vor, der 1992 als
Elfjähriger ganz allein zu ihm
nach Sankt Petersburg gekom-
men ist. Mischin mag den ehr-
geizigen Jüngling. «Eiskunst-
läufer müssen sein wie hungrige
Hunde» sagt der brillante Coach.
Pluschenko ist hungrig. Bald
macht er schon dem Leitwolf der
Trainingsgruppe, Alexej Jagudin,
das Futter streitig. Die Olympi-
schen Spiele 2002 in Salt Lake
City werden zum Showdown
zwischen dem jungen Springins-
feld und dem ausgereiften
Kufenkünstler. Wir befinden uns
noch in der Urzeit des Eiskunst-
laufs, als die Entscheidungen
einem knappen Dutzend pau-
schal urteilender Preisrichter
überlassen ist. Jagudin erhält
viermal die Traumnote 6.0 und
deklassiert Pluschenko. Doch an
diesen Spielen werden die Wei-
chen im Eiskunstlauf für Plu-
schenko gestellt. Missstände in
der Paarlauf-Entscheidung
erzwingen nämlich die Reform
des Wertungssystems. Jetzt gibt
es Punkte, und zwar fein säuber-
lich aufgeschlüsselt für jedes
einzelne Element.
Damit schlägt die Stunde des
Analytikers Mischin. Für Plu-
schenko tüftelt er Programme
aus, welche die Jagd nach Punk-
ten perfektionieren. Nicht nur an
atemlosen Sprungkombinatio-
nen feilt er, auch an immer ver-
zwickteren Pirouetten. Beson-
ders ästhetisch sind die nicht. Zu
der Zeit taucht immer öfter ein
l. (Zürich, 1. März 2018) junger Läufer in den vorderen
Lambiel wurde Weltmeister in Moskau und «Die Kunst ist die Lüge, die uns die Wahrheit
in Calgary, in den Jahren 2005 und 2006. Er erkennen lässt.» Die Eiskunstläufer treten ver-
war der erste Schweizer seit Hans Gerschwiler kleidet auf. Hinter ihnen leuchten die Bilder
im Jahr 1947. Ein Mann wie eine unwirkliche der grossen Meister, gemalt von dem fast so
Erscheinung, als sei er einem französischen grossen Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi.
Märchen entstiegen. Lambiel galt als eine Art Der Titel der diesjährigen Ausgabe heisst «Das
Chansonnier des Eissports, bekannt vor allem Original».
für seine Pirouetten und sein Gefühl.
Als er seine Probe für die Premiere von Art Leben vom Gegenüber
on Ice beendet hat, kommt er in die Athleten- Das Eiskunstlaufen lebte immer schon von
lounge, die irgendwo hinter den verschlosse- der Überhöhung in die Kunst, Art on Ice bildet
nen Gängen des Hallenstadions liegt. Er sagt, den Rahmen dafür. Es gibt in dem Sport eine
es sei ihm vorher auf dem Eis wichtig gewe- Ebene, die es in anderen Sportarten nicht gibt.
sen, eine Verbindung zu der Cellistin aufzu- Die Amerikanerin Sarah Hughes soll auf die
bauen, die ihn bei seinem Auftritt begleitet. Er Frage, was das Interessanteste am Eiskunst-
freut sich noch immer auf die Shows. Er sagt: lauf sei, einmal geantwortet haben: «Das Eis.»
«Du arbeitest sehr viel und sehr streng, aber Was soll man dazu sagen? Der Sport ist sehr
wenn das Licht angeht, musst du loslassen – populär in Amerika.
sonst wirst du deine eigene Grenze nie passie- Die Tiefe kommt durch die Musik und die
ren. Das ist aber genau das Ziel. Wenn ich über Geschichten, die die Athleten erzählen. Sté-
die Grenze hinaus fahre, spüre ich das Glück.» phane Lambiel und Jewgeni Pluschenko
Er schliesst die Augen, als er das sagt. schreiben das lange Epos der Pole fort. Sport-
Es bleiben immer nur vier Minuten, um das ler wie Künstler lebten immer auch von einem
Publikum zu berühren. Stéphane Lambiel Gegenüber, Picasso von Matisse wie Federer
sagt: «Ich möchte versuchen, als Bild in den von Nadal wie Frisch von Dürrenmatt. Zufäl-
Köpfen der Leute zu bleiben. Es ist wie mit lige Paare, zusammengewürfelt von der
einem Besuch im Museum. Wenn du wieder Geschichte. Friedrich Dürrenmatt schrieb in
zu Hause bist, hast du vielleicht nur noch ein den «Stoffen» über die Beziehung zu seinem
Bild im Kopf, das bleibt – das stark war. Alle Gegenüber: «Bei Frisch habe ich das Gegenteil
anderen sind verschwunden.» von mir bewundert, und das Gegenteil ist oft
Das ist der Wettbewerb, in dem er immer wichtiger als das, was man selbst tut.»
noch gefangen ist, zusammen mit Jewgeni Jewgeni Pluschenko sieht in Stéphane Lam-
Pluschenko. Wer bleibt in Erinnerung? biel, wer er nicht ist. Er ist in den Garderoben-
Art on Ice ist ein Fest der Illusionen. Am trakt des Hallenstadions gekommen, um über
r, er ist ein unglaublicher Athlet»: Lambiel (rechts) über Pluschenko. Anfang der Show steht ein Zitat von Picasso: seine Beziehung zu seinem Weggefährten zu
43
Bei Olympia 2006 triumphierte Pluschenko (rechts) vor Lambiel.
Rängen auf, dem die ganze Welt in Erinnerung: Lambiel, der
die schönsten Pirouetten attes- Traumtänzer, Pluschenko, der
tiert. Der Schweizer Stéphane Sprungvirtuose. Nach den Spie-
Lambiel wird zuerst nur darauf len verkündet der Olympia-
reduziert. «Nice spins», sagen sieger, dass er nicht mehr an
die amerikanischen Kommenta- Wettkämpfen antreten will, son-
toren etwas abschätzig und ver- dern nur noch Geld verdienen
folgen lieber, wie sich der Russe mit dem Eiskunstlauf. Lambiel
mit der blonden Mähne die Luft- sichert sich vier Wochen später
hoheit sichert. Doch einer schaut mit seinem wohl besten Lauf in
genau hin. Mischin merkt, dass Calgary den zweiten WM-Titel.
Lambiel etwas hat, was er Plu- Zweimal wird Pluschenko
schenko auch mit dem grössten danach noch seinen Rücktritt
Aufwand nicht beibringen kann: vom Rücktritt geben. Der Ehr-
das tiefere Verständnis für die geiz treibt ihn an die Spiele von
Kunst auf dem Eis. Vancouver, wo er sich von einem
Als Lambiel an den Europa- Amerikaner ohne Vierfach-
meisterschaften 2003 auch noch sprung geschlagen geben muss.
seinen ersten Vierfachsprung Zur Teilnahme in Sotschi wird er
schafft, bald in Kombination mit von der russischen Führung
einem Dreifachen, wird klar, gedrängt, weil kein anderes
dass hier kreative Konkurrenz männliches Talent in Sicht ist.
für Pluschenko erwächst. Das Mit Müh und Not sichert er die
Kurzprogramm der Weltmeister- Goldmedaille für sein Land im
schaften 2005 in Moskau wird Team-Wettbewerb. Wohlweis-
allerdings der einzige Wettkampf lich sagt er danach aber die Teil-
bleiben, in dem der Schweizer nahme an den Einzelwettkämp-
den Russen direkt besiegt. Plu- fen ab. Dort wären die Jungen
schenko gibt nach der Niederlage wohl über ihn hinweg geflogen.
in der ersten Runde auf, und Der heutige Eiskunstlauf mit
Lambiel wird Weltmeister. Ein fünf verschiedenen Vierfach-
Jahr später gewinnt Pluschenko sprüngen ist die konsequente
in Turin Gold und Lambiel die Fortsetzung des Weges, den der
Silbermedaille. Analysiert man Bub aus Sibirien einst vorgespurt
heute die Olympia-Programme hatte. Er konnte nie mehr als den
der beiden Rivalen, erstaunt ihre Toeloop vierfach. Da lächeln die
Deckungsgleichheit in techni- heutigen Champions nur müde.
scher Hinsicht. Trotzdem bleibt Ruth Spitzenpfeil
sprechen. Er sagt: «Stéphane und ich, wir sind
komplett verschieden, komplett.»
Was bedeutet das?
«Er ist soft, ich bin stark.»
Pluschenko spricht ein Englisch, das einen
grossen Spielraum für Interpretationen offen-
lässt. Manchmal fällt ihm ein Wort nicht ein,
dann lächelt er. Im Programmheft von Art on
Ice steht: «Jewgeni Pluschenko verabschiedet
sich dieses Jahr von seinen Schweizer Fans. Es
ist heute also das letzte Mal, dass Sie den Eis-
zaren (...) bewundern können.» Pluschenko
sagt dazu: «No, no. Ich beginne erst.» Er grinst
schief. Die Organisatoren von Art on Ice woll-
ten ihn zwar nicht mehr verpflichten, aber er
werde mit einer eigenen Eisshow zurückkeh-
ren. Er scheint den Entscheid der Veranstalter
nicht richtig zu verstehen, aber vielleicht ist
das eine falsche Interpretation. Der Presse-
chef von Art on Ice sagt später: «Irgendwann
hast du ihn auch einmal gesehen.»
Stéphane Lambiel sagt: «Wir waren immer
eine gute Kombination für eine Show, weil wir
so verschieden sind. So sah das Publikum das
ganze Panorama, das es gibt. Wir hatten es gut
miteinander, er ist ein unglaublicher Athlet.»
Wenn er weg sei, sagt Lambiel zum Schluss,
dann fehle ihm leider der Gegenpol.
Am Abend, an der Premiere von Art on Ice,
gibt es viel Applaus für Jewgeni Pluschenko
und stehende Ovationen für Stéphane Lam-
biel. In der Zugabe kommen sie gemeinsam
auf die Bühne und winken ins Publikum.
Lambiel blickt zur Westtribüne, Pluschenko
nach Osten. Dann ist die Show vorbei.
44
Gelbe Karte
An den Leichtathletik-Hallen-
weltmeisterschaften werden
so viele Athleten disqualifi-
ziert, dass der Weltverband
selbst in die Kritik gerät:
Sind die Regeln zu streng?
Ski alpin
1. Hirscher (AUT) 2:20,76
2. Kristoffersen (NOR) +1,66
3. Pinturault (FRA) +2,51
12. Meillard (SUI) +5,16,
17. Zurbriggen (SUI) +5,89
Marcel Hirscher hat hoch überle-
gen den Weltcup-Riesenslalom in
Kranjska Gora gewonnen, womit
er gleich doppelt triumphierte.
Neben dem Tagessieg holte er
sich auch die kleine Kugel für den
Disziplinen-Weltcup. Loïc Meil-
lard war als 12. bester Schweizer.
Hirscher lag bei Halbzeit be-
reits 73 Hundertstel vor Henrik
Kristoffersen. Am Ende waren es
sagenhafte 1,66 Sekunden, um
die er den Norweger auf Platz 2
verwies und sein 56. Weltcup-
Rennen gewann.
In beiden Läufen realisierte der
Salzburger Bestzeit. Erneut blieb
der Konkurrenz nur das Staunen
über den in einer eigenen Liga
fahrenden Riesenslalom-Olym-
piasieger, der in diesem Winter
nun schon elf Siege errungen hat.
«Kranjska Gora ist einer meiner
Lieblingsorte», sagte Hirscher
hinterher, «dass ich hier zehn
Jahre nach meinem allerersten
Podestplatz immer noch am Sto-
ckerl bin, ist wunderbar.»
Die Schweizer konnten wie
schon an den Olympischen Spie-
len nicht brillieren. Loïc Meillard
klassierte sich als bester Mann
von Swiss Ski auf Platz 12. Der
21-Jährige hatte schon nach dem
ersten Durchgang in dieser Posi-
tion gelegen, zwei Ränge hinter
Teamkollege Justin Murisier, der
seinerseits im zweiten Lauf auf
dem Innenski ausrutschte und
ausschied. Neben Meillard fand
nur noch Elia Zurbriggen als 17.
Aufnahme im Klassement. (sda)
Eishockey National League
4 EHC Biel
7. Schmutz. 39. Rajala. 44. Rajala.
59. Schmutz.
1 ZSC Lions
57. Chris Baltisberger.
Eine Woche vor Play-off-Beginn
befinden sich die ZSC Lions im
sportlichen Niemandsland. Sie
verloren ihr zweitletztes Spiel der
Qualifikation in Biel ebenso sang-
und klanglos, wie sie zwei Tage
zuvor beim 1:3 in Lugano den
Kürzeren gezogen hatten.
Am Montag im Hallenstadion
geht ihre Qualifikation mit einem
weiteren Spiel gegen die Seelän-
der zu Ende. Als Play-off-Haupt-
probe wird dies aber nur bedingt
tauglich sein, denn die Zürcher
werden den Viertelfinal auswärts
beginnen, weil sie die Top 4 der
Tabelle verpasst haben. Dieses
Ziel hat dafür der EHC Biel er-
reicht. Er scheint bereit, ganz im
Gegensatz zu den ZSC Lions. Von
ihnen kam einmal mehr zu we-
nig. Ihr Viertelfinal-Gegner wird
Zug, Biel oder Lugano heissen.
Spielt aber keine Rolle. Ohne Stei-
gerung werden die Lions gegen
niemanden eine Chance haben.
Ulrich Pickel
Sport NZZ am Sonntag 4. März 2018
Durchbruch Zahl Verliererin
44,7
Stefanie Vögele Sarah Höfflin
AP
KEYSTONE
Nach acht verlorenen Halbfinals Schock für die Olympiasiegerin:
hat es für Stefanie Vögele Die Slopestylerin zog sich beim
geklappt. In Acapulco erreichte Trainingssprung zum Weltcup
die Aargauerin mit 27 Jahren
erstmals das Final eines WTA-
Turniers. Sie siegte im Halbfinal
% in Silvaplana bei einem heftigen
Sturz eine Hirnerschütterung
zu. Nach der Untersuchung
gegen die Schwedin Rebecca konnte sie aber das Spital
Peterson, die Nummer 139 der Um so viel sind die Personal- wieder verlassen. Besser erging
Weltrangliste, 6:4, 7:6 (7:5). Das kosten des FC St. Gallen es Andri Ragettli. Er musste sich
Final fand in der Nacht auf im zweiten Halbjahr 2017 beim Heim-Weltcup nur dem
Sonntag mitteleuropäischer gestiegen. Die alte Führung Amerikaner Alexander Hall
Zeit statt. (sda) muss sich nun rechtfertigen. geschlagen geben. (sda)
Immer wieder Holdener
ALESSANDRO DELLA VALLE / KEYSTONE
1. Weirather (LIE) 1:02,17#
2. Veith (AUT) +0,36#
3. Holdener (SUI) +0,38#
4. Gisin (SUI) +0,51. 7. Gut (SUI)
+0,59. 9. Hählen (SUI) +0,77.#
Eigentlich hätte dieser Super-G
nur eine Trainingsfahrt sein sol-
len – eine Trainingsfahrt für den
Sonntag, wenn in Crans-Montana
die Kombination stattfindet,
diese Disziplin, in der Wendy Hol-
dener als Favoritin startet, wie sie
selber sagte. Und die Gelassen-
heit, mit der sie am Samstag diese
Worte sprach, liess vermuten,
dass Holdener zuletzt einiges
richtig gemacht hatte. Sie war als
erfolgreichste Schweizerin von
den Olympischen Spielen heim-
gekehrt, mit drei Medaillen und
im Bewusstsein, dass grosser
Rummel drohte. Doch Holdener
nahm sich primär Zeit für sich sel-
ber, sie zog es sogar vor, in ihrem
Heimatdorf nicht mit Pauken,
Fahnen und Trompeten empfan-
gen zu werden. Allzu nahe war ihr
der Trubel 2017 gegangen, als sie Strahlen auf dem Podest in Crans-Montana: Wendy Holdener freut sich über den 3. Rang im Super-G.
in St. Moritz zwei WM-Medaillen
gewann – und sich überfordert
und leer fühlte, als sie kurz darauf Diesmal fühlte sie Weirather und Anna Veith schnel- Speed-Hündin würde – aber im wieder Holdener. Anders Lara
nach Crans-Montana reiste. ler fuhren, zwei Spezialistinnen Slalom fährt sie so stark, dass es Gut. Sie scheint nicht unfroh,
Diesmal fühlte sie sich so be-
sich so befreit, dass quasi. Holdener startete erst zu leichtsinnig wäre, diese Disziplin dass das Ende naht in der Come-
freit, dass die Trainings- fast zu die Trainings- fast ihrem siebenten Weltcup- zu vernachlässigen. Über konkre- back-Saison nach dem Kreuz-
einer Triumphfahrt wurde. «Su-
che das Limit», so redete sich Hol-
zu einer Triumph- Super-G, bis vor dieser Saison war
sie nie besser als 24. gewesen. Ihr
te Pläne für nächste Saison redete
sie noch nicht, doch sicher werde
bandriss. Im Super-G-Weltcup fiel
sie am Samstag auf Rang 2 zu-
dener zu, weil sie wissen wollte, fahrt wurde. lag die technisch anspruchsvolle sie dem Super-G mehr Aufmerk- rück, 46 Punkte hinter Weirather.
was für den Sonntag und die Piste, sie sei «noch nicht so der samkeit schenken. Aber noch Will sie die Wertung gewinnen,
Kombination mit Super-G und Speed-Hund», sagte Holdener. scheint es, als könne die Saison muss sie im letzten Rennen noch
Slalom möglich sei. Und sie fand Daraus sprach, dass sie früher für sie nicht lange genug gehen, einmal den Speed-Hund wecken.
das Limit so sehr, dass nur Tina oder später wohl nicht ungern zur sie reiht Erfolg an Erfolg, immer Benjamin Steffen, Crans-Montana
Sport im TV
Langnau nimmt sich aus dem Play-off-Rennen Freestyle
7.55 SRF 2: Skicross in Sunny Valley.
3 SCL Tigers
32. Pascal Berger. 33. Gagnon.
52. Pascal Berger
auch während zwei Minuten mit
zwei Mann mehr nicht ins Tor.
Minute gespielt, da traf Klotens
Hollenstein bereits zum 1:0. Der
mals auseinandergerissen hatte,
um neue Impulse zu setzen. Die
Ski alpin
9.25 SRF 2: Slalom Männer in Kranjska
Die Langnauer hatten sich Captain spielte mit neuen Linien- Rochade machte die Klotener Gora. 1. Lauf.
nicht wie ein Play-off-Kandidat partnern, da der Headcoach zumindest in der Anfangsphase 10.25 SRF 2: Kombination Frauen in
5 Kloten
1. Hollenstein. 7. Bader. 34. Hollen-
stein. 39. Bozon. 60. Grassi.
präsentiert. Es war noch keine Schläpfer seine Paradelinie erst- unberechenbarer und über alle
Blöcke ausgeglichener. Der Top-
skorer Praplan spielte nach seiner
Crans-Montana. Super-G.
12.25 SRF 2: Slalom Männer in Kranjska
Gora. 2. Lauf.
13.25 SRF 2: Kombination Frauen in
Unterschrift (Einjahresvertrag) Crans-Montana. Slalom.
MARCEL BIERI / KEYSTONE
Während der Olympiapause lebte
Eishockey NLA beim NHL-Team San Jose befreit
die Hoffnung der SCL Tigers auf und bekräftigte, dass er ge- Langlauf
noch: Die Play-offs schienen dank 49. Runde: Biel - ZSC Lions 4:1. Davos willt wäre, auch den Umweg über
- Lugano 4:3 n.P. Genf/Servette - Bern 11.40 SRF 2: 10 km Frauen in Lahti.
einem guten Januar in Griffweite 2:3. Lausanne - Fribourg-Gottéron 4:1. das AHL-Farmteam zu nehmen. 14.30. SRF 2: 15 km Männer in Lahti (A).
zu sein. Doch die Emmentaler SCL Tigers - Kloten 3:5. Zug - Ambri- Dass der Klotener Vorsprung
kompromittierten ihre Chance Piotta 5:3. bis zur Spielmitte hielt, hatten die Leichtathletik
am letzten Mittwoch mit einer ge- Zürcher ihrem Goalie Poulin zu
1. Bern 49 101 15.45 BBC 2: Hallen-WM in Birmingham.
hemmten Leistung gegen Genf/ verdanken, der viele Fehler sei-
Servette. Danach blieb ein Stroh- 2. Zug 49 91 ner Vorderleute ausbügelte. Der Fussball
halm: zwei Siege gegen Kloten. 3. Biel 49 86 Kanadier kam erstmals zu Ein-
Doch die Langnauer nahmen sich satz, weil sein Landsmann Abbott 12.25 TC Zoom: Serie A. Genoa - Cagliari
4. Lugano 49 83
14.45 TC Zoom: Ligue 1. Caen - Stras-
mit zu vielen Fehlern gleich sel- 5. Davos 49 75
verletzt ausfiel. bourg.
ber aus dem Rennen um den letz- Die Langnauer Play-off-Hoff- 15.45 SRF 2: Super League. Lugano - YB.
6. ZSC Lions 49 75
ten Platz an der Play-off-Sonne. nung flackerte nach Spielhälfte 18.00 SRF 2: Super League. Goool.
Dabei lagen die Vorteile in der 7. Fribourg-Gottéron 49 74 nochmals kurz auf, als die Tigers
turbulenten Schlussphase beim 8. Genf/Servette 49 69 gegen die desorientierte Klotener Rad
Heimteam; trotz 3:4-Rückstand. 9. SCL Tigers 49 64 Abwehr zwei Tore innert 62 15.20 RTS 2: Paris–Nizza. 1. Etappe.
Die Schiedsrichter verhängten 10. Lausanne 49 63 Sekunden erzielten. Hollensteins
allein in den letzten zehn Minu-
11. Ambri-Piotta 49 54
Treffer nur 57 Sekunden danach Allgemeines
ten fünf zweifelhafte Zweiminu- und Bozons 4:2 waren dann bis
12. Kloten 49 47 18.00 SRF 2: Sportpanorama.
tenstrafen gegen die Klotener, zur Schlussphase die Partykiller.
doch die Emmentalern trafen Klotens Goalie Kevin Poulin. Yves Tardent, Langnau i. E.
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Aufgefallen
IMAGO, AP Y
Fussball Super League
0
GC
0 Lausanne
Die Grasshoppers und Lausanne-
Sport trennten sich in einem
schwachen Spiel 0:0. 3100 Zu-
schauer sahen im Letzigrund viel
Leerlauf – und einen einzigen
Schuss, der auf eines der beiden
Tore flog. Die Westschweizer
kamen so immerhin zum ersten
Punkt im neuen Jahr.
Das statistische Highlight der
Partie gab es kurz vor der Pause.
Nach einem Angriff der Grasshop-
pers über die linke Seite und einer
zu kurzen Abwehr von Lausannes
Keeper Thomas Castella kam GC-
Stürmer Jeffrén an den Ball – und
schoss auf das Tor. Sein Versuch
wurde von Alexandre Pasche
kurz vor der Linie zwar abge-
wehrt, dennoch: Es war am Ende
der einzige Schuss, der in Rich-
tung eines der beiden Tore kam.
Die Grasshoppers waren wäh-
rend fast der gesamten 90 Minu-
ten bemüht, den erlösenden Tref-
fer zu erzielen. Doch nur mit dem
Tropfenzähler kamen sie in den
gegnerischen Strafraum. Nach
der Pause standen sie einem Tref-
fer in der 82. Minute am Nächs-
ten. Symptomatischerweise war
es ein Gegner, der ihnen beinahe
zum Erfolg verhalf. Lausannes
Abwehrchef Alain Rochat lenkte
eine Flanke einen Meter am eige-
nen Tor vorbei.
GC-Trainer Murat Yakin war
hinterher verärgert: «Wir hatten
nicht die richtige Mentalität. Kei-
ner wollte Verantwortung über-
nehmen. Nach diesem Spiel müs-
sen wir unsere Ziele revidieren.
Jetzt muss keiner mehr von der
Europa League reden.» (sda)
Fussball Bundesliga
Reus bringt Dortmund alte Tugenden zurück
1 Leipzig
29. Augustin.
1
Dortmund
38. Reus.
Allmählich lässt sich ermessen,
was der Dortmunder Borussia
fehlte in den quälend langen acht
Monaten, in denen sie ohne den
verletzten Marco Reus antreten
musste. Beim 1:1 in Leipzig traf
Reus zum Dortmunder Ausgleich,
nachdem Jean-Kevin Augustin
die Leipziger in Führung gebracht
hatte. Es war der dritte Treffer
seit seiner Rückkehr, viermal hat
er seitdem für die Borussia in der
Bundesliga gespielt. Die Varian-
ten, die sich den Dortmundern im
Angriff bieten, sind nun weit
zahlreicher. In guten Momenten,
mögen diese gegenwärtig auch
noch nicht die Regel sein, erin-
nert Reus an jenen Spieler, auf
den auch Bundestrainer Joachim
Löw nur ungern verzichtet.
Die Monate der Verletzung hät-
ten manches für ihn relativiert,
sagte Reus kürzlich. Er achte nun
Sport 45
Zitiert Gewinnerin
Josep Guardiola
Wird er es auch heute Sonntag
an der Stamford Bridge tragen?
«Jemand setzt etwas Selina Büchel
Die 800-Meter-Läuferin
hat an den Hallen-Welt-
Büchel meisterte die
Herausforderung
jedoch mit Bravour. Die
Davon ist auszugehen. Man-
chester-City-Trainer Guardiola
hat angekündigt, dass er trotz
in die Welt, andere meisterschaften in Bir-
mingham den Einzug in
den Final am Sonntag
zweifache Hallen-
Europameisterin
wurde nach einem
Strafandrohung der FA weiter-
hin die gelbe Schlaufe – das
Zeichen der katalanischen Sepa-
schreiben es ab.» geschafft. Die Ausgangs-
lage hatte sich als schwie-
rig präsentiert: Nur jeweils
starken Schlussspurt
in 2:01,84 Minuten zwar
nur Zweite, schaffte aber die
ratisten – tragen werde. Er die Schnellste jedes Vor- insgesamt drittbeste Zeit. Für
werde nicht auf sein Recht auf
Jochen Saier, Sportvorstand im SC Freiburg, laufs und die drei Zeit- die 26-jährige Toggenburge-
Meinungsäusserung verzichten, dementiert das Gerücht, dass Freiburgs Trainer schnellsten qualifizierten rin ist es der zweite WM-Final
sagte Guardiola. (ram.) Christian Streich zu Bayern München wechselt. sich für den Final der Top 6. in der Halle.(sda)
Jetzt fehlt dem FCB auch noch Strom
Der FC Basel ist 2018 weiterhin
MELANIE DUCHENE / KEYSTONE
ohne Heimsieg. Doch anders als
Super League
vor ein paar Wochen, als Lugano
und St. Gallen als Sieger aus dem 24. Runde: Grasshoppers - Lausanne
0:0. Basel - Zürich: verschoben.
St.-Jakob-Park heimreisten, traf Sonntag: Lugano - Young Boys. Sitten
den Serienmeister diesmal kein - Luzern. Thun - St.Gallen (alle 16.00).
Verschulden, wenigstens kein
sportliches: Der Match gegen 1. Young Boys 23 52
Zürich wurde nicht einmal ange- 2. Basel 22 41
pfiffen. Gut eine halbe Stunde vor 3. St.Gallen 23 33
dem geplanten Spielbeginn fiel
4. Zürich 23 32
der Strom aus. Um 19 Uhr 45,
dreiviertel Stunden nach dem ge- 5. Grasshoppers 24 31
planten Beginn, sagte Schieds- 6. Lugano 23 31
richter Nikolaj Hänni den Anlass 7. Luzern 23 30
definitiv ab. 8. Lausanne 23 26
Ihm gab es – trotz eifrigem Be-
9. Thun 23 24
mühen der Basler Industriewerke
10. Sitten 23 20
– zu wenig Licht im grössten
Fussballtempel der Schweiz. Die
Stimmung war teilweise geradezu
weihnachtlich. Zuerst waren alle
perplex, als im grössten Stadion Filiale der Grund für den Strom-
des Landes das Licht ausfiel – bis ausfall gewesen sein.
auf die Notstromanlage. Was bei Wie geht es weiter? Hänni
Weihnachten Kerzen gewesen schreibt der Liga einen Rapport
wären, waren bei dieser Gelegen- des Inhalts, «dass ich den Match
heit die leuchtenden Handys. abgesagt habe». Die Liga ent-
Ein Problem war die Kommu- scheidet dann entweder auf – was
nikation, die Lautsprecheranlage zu erwarten ist – eine Neuanset-
fiel ebenfalls aus. Zuerst hiess es, zung oder auf ein Forfait für den
es werde nicht vor 19.15 begon- FCZ. «Ich rechne mit drei Punkten
nen. Die Spieler liefen sich ein, Unverrichteter Dinge ins Warme und wieder nach Hause: FCZ-Stürmer Michael Frey nach der Absage. für uns», sagte FCZ-Sportchef
zeitweise im Dunkeln, weil auch Thomas Bickel schon mal. Zur
jene Reste an Licht wieder ver- Erinnerung: Vor einem Jahr dach-
schwunden waren, die zuerst Die Liga wird lich, also urteilte Hänni definitiv: Beide Teams verabschiedeten ten die Zürcher das auch, als ihr
Hoffnung auf ein gutes Ende ge- «Es war für meine Assistenten sich von ihren Fans, die (ratlosen) Match in Aarau wegen eines
weckt hatten. Um 19.15 wurde die
entweder auf keine ausreichende Sicht gewähr- FCB-Vertreter sagten: «Wir wis- Stromausfalls ausfiel. Er wurde
Entscheidung nochmals hinaus- Forfait oder auf leistet.» sen immer noch nicht, was der zwei Monate später nachgeholt,
geschoben, es war wieder mehr
Licht da. «In der Hoffnung, es
eine Neuansetzung Mit Megafonen aus der Mut-
tenzerkurve wurden die Zu-
Grund für den Stromausfall ist.»
Keinerlei Bestätigung gab es für
weil Aarau kein Verschulden
nachzuweisen war. Die Frage des
kann garantiert werden, wann entscheiden. schauer informiert. Die Fans hat- die Aussage, die Hänni früher am «Verschuldens» ist auch im neuen
das Problem gelöst ist», sagte ten die Zeit singend überbrückt, Fernsehen gemacht hatte – es Fall der entscheidende Punkt.
Hänni. Das aber war nicht mög- die Stimmung war nie aggressiv. solle ein Brand in einer Migros- Hansjörg Schifferli, Basel
Fussball Fifa
Der Videobeweis kommt –
wohl auch an der WM
IMAGO
Bundesliga
Zwei Jahre hat das Experiment der Schiedsrichterentscheidun-
25. Runde: Schalke 04 - Hertha Berlin 1:0. gedauert, jetzt ist es offiziell be- gen korrekt, vor dem Video-
Eintracht Frankfurt - Hannover 96 1:0.
Augsburg - Hoffenheim 0:2. Hamburger endet, und laut der Ifab, den Re- beweis waren es 93 Prozent. Zah-
SV - Mainz 05 0:0. Wolfsburg - Bayer gelhütern des Weltfussballs, ist es len, welche die Verantwortlichen
Leverkusen 1:2. RB Leipzig - Borussia geglückt, der Videobeweis wird am Samstag ständig wiederhol-
Dortmund 1:1. offiziell ins Fussball-Regelwerk ten. Es war ihre Art, sich gegen
Freitag: Borussia Mönchengladbach -
Werder Bremen 2:2. aufgenommen. Damit ist der Weg die Zweifler zu wehren, denn das
Sonntag: 1. FC Köln - VfB Stuttgart für die Fifa frei, den Videobeweis zweijährige Experiment verlief
(15.30). SC Freiburg - Bayern München an der WM im Sommer einzuset- nicht ohne Nebengeräusche: Da
(18.00)
zen. Offiziell beschlossen ist das waren Videoassistenten, die bei
1. Bayern 24 60 10. Hannover 25 32
2. Schalke 04 25 43 11. Berlin 25 31
noch nicht, es gilt jedoch als jeder Kleinigkeit ins Spiel eingrif-
3. Dortmund 25 42 12. Stuttgart 24 30 Formsache, dass der Fifa-Council fen, lange Spielunterbrüche und
4. Frankfurt 25 42 13. Freiburg 24 29
5. Leverkusen 25 41 14. Bremen 25 27
diese Entscheidung treffen wird, verärgerte Fans.
6. Leipzig 25 39 15. Wolfsburg 25 25 wenn er am 15. und 16.März in Infantino sagte, das werde an
7. Hoffenh. 25 35 16. Mainz 05 25 25
8. Gladbach 25 35 17. Hamburg 25 18
Bogotá zusammenkommt. «Wir der WM nicht passieren. Vorsich-
9. Augsburg 25 32 18. 1.FC Köln 24 17 hoffen, den Council ermutigen zu tiger formulierte es der Fifa-
können, eine vorteilhafte Ent- Schiedsrichterchef Massimo
Marco Reus (rechts) gelingt der dritte Treffer seit seiner Rückkehr. scheidung zu treffen. Wir sind Busacca: «Ich kann nur die Garan-
positiv», sagt der Fifa-Präsident tie geben, dass wir die Schieds-
Gianni Infantino am Samstag. richter optimal vorbereiten.» Die
mehr auf das, was ihm der Körper dem Coach Peter Stöger unge- net hatte und was ihnen unter 972 Wettbewerbsspiele in über seien seit Versuchsstart im Um-
mitteile, wozu auch Pausen zähl- schlagen. Doch der Unterschied Stögers Vorgänger Peter Bosz zeit- 20 Ländern waren ausgewertet gang mit dem Videobeweis ge-
ten: «Nach sieben, acht Monaten zu den Wochen zuvor war un- weilig abhanden gekommen zu worden, in allen kam der Video- schult worden, zudem wurden
mal für ein oder zwei Spiele übersehbar. Es war ein Match von sein schien: Jene Aggressivität, beweis zum Einsatz. Das Fazit der die Videoassistenten ausgebildet:
draussen zu sein, das ist dann Klasse, intensiv geführt nicht welche die Grundlage für Konter Ifab und der Fifa ist positiv, die 20 bis 25 von ihnen dürften im
auch nicht mehr die Welt.» bloss von den Dortmundern. Die ist, deren sich der Gegner nur Fehlerquote der Schiedsrichter Sommer in der Videozentrale in
So blieb Dortmund mit Reus im zeigten zumindest eine Halbzeit schwer erwehren kann. konnte minimiert werden – mit Moskau jedes Spiel verfolgen.
zehnten Bundesligaspiel unter lang, was sie früher ausgezeich- Stefan Osterhaus, Berlin Videobeweis sind 98,8 Prozent Andreas Babst, Zürich
ImFokus
Basketball-Superstar LeBron James wird immer politischer. Er charakterisiert Präsident Trump
als Spalter – und wird heftig angefeindet. Von Jürgen Kalwa, New York
SprecherderSchwarzen
M
an kann als berühmter
Basketballer eine Menge
tun und trotzdem aus-
serhalb der Stadt, in der
man wohnt, nicht die
kleinste Schlagzeile
provozieren. So wie
LeBron James vor ein paar Jahren, als er den
Schulbehörden seines Heimatortes Akron
1000 Computer schenkte. Eine Spende mit
einem Gesamtwert von einer halben Million
Dollar. Und selbst bei seinem jüngsten Pro-
jekt hält sich das Echo in Grenzen. Es handelt
sich hierbei gleich um eine komplette Schule
für Kinder mit Lernschwierigkeiten. Kosten:
45 Millionen Dollar.
Der 33-Jährige sagt, die Schule sei das
Wichtigste, was er bisher auf die Beine
gestellt habe. «Abgesehen davon, drei Kinder
zu haben, meine Frau geheiratet und meine
Mutter in die Lage versetzt zu haben, dass sie
sich für den Rest ihres Lebens keine Sorgen
mehr machen muss. Meisterschaften, Aus-
zeichnungen, Körbe, Rebounds, Vorlagen
– das Zeug gehört im Vergleich dazu eher in
die Kategorie ‹Was soll’s?›»
Gezielt Menschen zu helfen, die im «Rost-
gürtel» der USA schwere Zeiten durch-
machen, ist keine zufällige Idee. James, der
unehelich auf die Welt kam, als seine Mutter
sechzehn war, kennt Akron hauptsächlich als
sozialen Brennpunkt. Gloria James schaffte
es kaum, sich und ihren Sohn durchzubrin-
gen, und zog bis zu dessen Schulabschluss
zwölfmal innerhalb der Stadt um.
James entkam der amerikanischen Unter-
schicht trotzdem, weil man schon früh sein
aussergewöhnliches sportliches Talent ent-
deckte. So wechselte er direkt von der Schule
in die NBA, wo er seitdem keinem Geringe-
ren als Michael Jordan, dem bisher besten
Basketballer, den Rang abzulaufen versucht.
Als einer weithin sichtbaren Figur, der so
viel verdient wie kein anderer amerikani-
scher Sportler und es auf ein geschätztes
Vermögen von einer halben Milliarde Dollar
gebracht hat, wird ihm zunehmend Respekt
zuteil. Und das auch, weil er sich zu brisan-
ten gesellschaftspolitischen Fragen äussert.
Aber für Amerikaner wie ihn gelten nach wie
vor andere Massstäbe. Erst recht seit der
Amtsübernahme von Donald Trump, der zu
einem Hoffnungsträger für weisse Rassisten
geworden ist. Für solche, die dies offen
zeigen, und jene, die es auf eine kaum ver-
hüllte Weise ausleben. Wie jemand, der im
letzten Jahr das Schimpfwort «Nigger» auf
das Eingangstor von James’ Zweitwohnsitz
in Los Angeles schmierte. Der reagierte mit
Bedacht: «Egal, wie reich du bist oder wie
berühmt, es ist hart, in Amerika als Mensch
mit schwarzer Hautfarbe zu leben. Wir haben
noch einen langen Weg vor uns, ehe wir uns
wirklich gleichberechtigt fühlen.»
Aber auf die Zunge beisst er sich längst
nicht immer. Die Folge: Je schärfer er sich
Die Sportwoche Von Benjamin Steffen
Hakan Yakin GC-Trainer? Obermegasuper-Skurrilitäten
Nach dem Derby FC Zürich - GC vom vergan-
ANDY MÜLLER / FRESHFOCUS
genen Sonntag wirkte der neue FCZ-Trainer
Ludovic Magnin laut NZZ nicht unzufrieden;
der Matchplan sei nicht schlecht aufgegan-
gen. Der FCZ hatte 0:1 verloren. Und der FCZ-
Spieler Michael Frey lobte den Trainer, Joël
Magnin habe sehr viel Herzblut für Fussball.
So begann also diese Sportwoche. Das
Dumme: Sie ging so weiter.
Am Montag gab der 100-Meter-Welt-
rekordhalter Usain Bolt bekannt, er habe bei
einem Fussballteam unterschrieben. Von
seinem Herzblut für den Fussball wusste die
Welt längst, aber wo würde er es vergiessen?
Bei Manchester United? Borussia Dortmund?
Am Dienstag fand der erste Cup-Halbfinal
statt, was überraschte, weil noch gar nicht
bestimmt war, wo der Final stattfinden
sollte. YB traf auf den FC Basel und siegte
2:0, ein Tor fiel nach umstrittenem Penalty.
Der TV-Experte Mario Eggimann sagte: «Ich
würde sagen: eher kein Elfmeter – aber ich
NZZ am Sonntag 4. März 2018
etwa beim Streit um den Sportler-Protest
JOE MURPHY / NBAE / GETTY IMAGES
während des Abspielens der Nationalhymne
LeBron James
als Trump-Gegner profilierte («Er schert sich
einen Scheiss um die Menschen»), desto Mit 33 Jahren hat
herber werde die Verbalinjurien, die ihm LeBron James be-
entgegenfliegen. Beispielsweise vor drei reits ein gewaltiges
Wochen, als eine Moderatorin des rechts- Pensum hinter sich
gerichteten Fernsehsenders Fox News seine gebracht: 1122
politischen Äusserungen als «kaum ver- Spiele in der regulä-
ständlich» kritisierte und bemängelte, dass ren Saison, 217 Play-
er sich mit so wenig Schulbildung in die off-Begegnungen.
politischen Debatten einmische: «Halt den Mit 30 417 Punkten
Mund und dribble den Ball», forderte sie. steht er auf Rang
James, der quer über seine Schultern in sieben der ewigen
grossen Lettern die blasphemisch anmu- Scorer-Liste und
tende Tätowierung «Chosen 1» («Der Auser- könnte dort dem-
wählte») trägt, reagierte gelassen, weil er nächst Michael Jor-
weiss, dass er über eine Plattform mit einer dan (32 292 Punkte)
Reichweite verfügt, die grösser ist als ameri- überholen. James
kanische Kabelfernsehkanäle. Bei einer trägt die Rücken-
Pressekonferenz sagte er: «Ich habe hier die nummer des mut-
Gelegenheit, über soziale Ungerechtigkeit, masslich besten All-
Gleichberechtigung und darüber zu reden, round-Basketballers
weshalb eine Frau bei einem ganz bestimm- der Geschichte. Jor-
ten Sender beschlossen hat, mir zu sagen, ich dan kam in seiner
solle den Mund halten und dribbeln. Vielen Karriere auf sechs
Dank an sie, egal wie sie heisst. Ich weiss Titel – James hat
wirklich ihren Namen nicht.» Die Essenz: erst drei errungen.
Ernst, gepaart mit Sarkasmus.
Oft genug allerdings erweckt James den
Eindruck, dass er liebend gerne darauf ver-
zichten würde, als Sprecher des schwarzen
Amerikas aufzutreten. So nervt ihn an
Trump besonders dessen spaltende Feind-
bild-Ideologie: «Der Mann, dem wir diese
Aufgabe übertragen haben», versuche stän-
dig, «uns auseinanderzutreiben, und nutzt
den Sport als Plattform», klagte er neulich in
einem Video.
Die Unterstützung des Eigentümers der
Cleveland Cavaliers scheint James jedenfalls
zu haben, obwohl der Trump im Wahlkampf
viel Geld gespendet hatte: «Profisportler,
Klubbesitzer und auch die Ligen würden
sehr von einem offenen Dialog profitieren,
der alle einschliesst und ermöglicht, dass alle
Meinungen und Gesichtspunkte angespro-
chen werden», sagte Dan Gilbert. So etwas
sei «gesund und konstruktiv».
Möglicherweise sind die Sympathien für
seinen Spieler auch taktischer Natur. Ende
der Saison läuft der Vertrag von James aus,
und es wird gemunkelt, dass er das Team
zum zweiten Mal verlassen will. Nach dem
Abstecher 2010 nach Miami lautet diesmal
das Wunschziel wohl Los Angeles Lakers.
«Egal, wie reich
du bist oder wie
berühmt, es ist hart,
in Amerika als Mensch
mit schwarzer
Hautfarbe zu leben.» Der Beste seiner Generation: LeBron James, hier beim Match gegen die Memphis Grizzlies.
Jöel und Hakan? verstehe jeden, der sagt: Es ist ein klarer obermegasupergeil.» Ich weiss nicht, ob er
Eher nicht – der Elfmeter.» Entschiedener war der FCB-Spie- die richtigen Worte fand, da bin ich ehrlich.
neue FCZ-Coach ler Michael Lang. Er sagte: «Jetzt, als Verlie- Aber als Verlierer hätte Canepa gesagt, dass
Ludovic Magnin (l.) rer, sage ich natürlich, dass man dieses Spiel man dieses Spiel nicht überbewerten darf.
begrüsst seinen nicht überbewerten darf. Als Sieger hätte ich Was er als Sieger auch sagte: dass der Cup-
alten Kumpel Murat anders geredet, da bin ich schon ehrlich.» Final hoffentlich nicht in Bern stattfinde.
Yakin vor dem Am Mittwoch fand der zweite Cup-Halb- Am Donnerstag gab der Fussballverband
Derby am letzten final statt, was überraschte, weil noch immer bekannt, der Cup-Final finde in Bern statt.
Sonntag. (Zürich, nicht bestimmt war, wo der Final stattfinden Meine Meinung ist klar. Ich würde sagen:
25. Februar 2018) sollte. Bloss nach Bern, in die Heimat von YB, eher eine schlechte Wahl – aber ich verstehe
würde er nun nicht mehr vergeben werden jeden, der sagt: Es ist eine gute Wahl.
können, so viel schien klar. Der FCZ traf auf Am Freitag blieb Zeit für die Suche nach
GC, diesmal ging der Matchplan des GC- dem Videobeweis im Fall Magnin. Die richti-
Trainers Hakan Yakin nicht schlecht auf, der gen Wörter lauten: «Ich bin da für die grossen
FCZ siegte 2:1. Danach sagte ein Reporter Spiele.» Magnin wäre also ein Trainer für
zu Magnin, er habe ja gesagt, ein Mann für Joël Bolt, aber Bolts Herzblut-Vergiessen
die grossen Spiele zu sein. Darauf Magnin: beschränkt sich auf ein Benefizspiel. Doch er
«So habe ich es nicht gesagt. Ich denke, die hatte die Welt neugierig gemacht, sein
Pressekonferenz wurde gefilmt, die richtigen Matchplan ging nicht schlecht auf.
Worte sollten zu finden sein. Ich habe gesagt, Wie bitte? Weiter oben steht, der GC-
man spielt Fussball für grosse Spiele.» Der Coach heisse Hakan Yakin? Bestimmt nicht!
FCZ-Präsident Ancillo Canepa sagte: «Das ist So habe ich es nicht geschrieben.
Freizeitsport 47

Um Velotouren zu geniessen,
muss man sie richtig planen Sportberatung
Paolo Colombani
Nach den Winterferien beginnt
SUSANNE KREMER / SCHAPOWALOW

die Vorbereitung für den

Sommerurlaub. Eine Anleitung Was aktive
fürs Organisieren von
Veloreisen in Europa.
Menschen
Von Urs-Peter Zwingli trinken
Nichts befreit den Kopf so schnell von All-
sollten

D
tagssorgen und füllt ihn mit neuen Bildern
wie das Verreisen mit dem Velo. Jeder Tag
hat seine Phasen: Mal singt der Velofahrer ie Olympischen
vor sich hin, während er der schwach befah- Spiele in Pyeong-
renen Küstenstrasse N-632 im Norden Spa- chang sind vorbei;
niens folgt. Später verflucht er das endlose mit 15 Medaillen
Auf und Ab ebendieser baskischen bis galizi- für die Schweiz
schen Küste – nur um am Abend beim werden sie in guter
Anblick der grünen Hügel, die bis ans Meer Erinnerung bleiben. Kaum
reichen, versöhnt zu werden. jemand weiss noch, dass die
Spanien ist nur ein Beispiel dafür, dass Schweiz vor 90 Jahren an den
Europa den Veloreisenden viel zu bieten hat. Sommerspielen in Amsterdam
ebenfalls 15 Medaillen gewann.
Keine Spezialvelos nötig Der Schweizer Turner Georges
Es braucht dafür weder ein Tourenvelo noch Miez war mit dreimal Gold und
bergeweise Outdoorkleider. Ein wenig Vor- einmal Silber gar der erfolg-
bereitung ist aber schon nötig. Mit einem reichste Athlet der Spiele.
Platten und ohne Essen auf einer Land- Der damalige Generalsekretär
strasse liegenzubleiben, ist vermeidbar. des Schweizerischen Olympi-
Laut dem Branchenverband Velosuisse schen Komitees schrieb einen
rollen rund vier Millionen Velos durch die grossen Anteil des Schweizer
Schweiz. Material ist also genug vorhanden Erfolgs einem Getränk zu. Dieses
– und wer das Veloreisen einfach mal Getränk stand ein paar Jahre
ausprobieren will, kann oft sein Alltagsvelo später an den Sommerspielen
nehmen. Der teure Carbon-Renner bleibt 1936 bei vielen Ländern auf dem
aber daheim: Ein robustes Velo aus Stahl täglichen Speiseplan: ein
oder auch Aluminium eignet sich zum berühmtes Schweizer Schokola-
Touren besser. Mit dem Rennvelo fährt es dengetränk, mit dem man es
sich am geschmeidigsten. Und mit seinem gemäss Slogan nicht besser, aber
geschwungenen Lenker bietet es viele Griff- länger machen kann.
möglichkeiten, dank denen der Velofahrer Seit etwa 1990 sind Milch und
die Sitzposition wechseln kann. Das beugt Schokoladenmilch auch Thema
Verspannungen vor. in der Sportwissenschaft. Die
Auf jeden Fall sollte ein Velomechaniker Auf dem Jakobsweg hat es auch Das Velo trägt nicht nur uns weit, sondern dem ist empfehlenswert, vom ersten Tag an heutigen Erkenntnisse bestäti-
das Gefährt vor der Reise checken. Pannen- für Velofahrer noch Platz. auch unser Gepäck. Viele Velos sind bereits eine Velohose zu tragen und Sitzcrème gegen gen quasi im Nachhinein den
geschützte Reifen sind eine gute Idee, denn mit Gepäckträgern bestückt. Und auch für das Entstehen von wunden Stellen auf- frühen Einsatz des Milch-
jeder ungewollte Stopp kostet Zeit und bricht Renn- und Alltagvelos gibt es Optionen ohne zutragen. Nach längeren Tagesetappen hilft getränks an den Olympischen
den Flow. Die Fähigkeit, einen Platten zu Geschraube: Sogenannte Bikepacking- Stretching, um die Muskeln zu lockern. Sommerspielen zwischen den
flicken, ist unerlässlich. Wer dann noch Taschen werden mit Schlaufen am Rahmen Natürlich sind die Ansprüche an den Kom- beiden Weltkriegen. Zusammen-
weiss, wie man eine Kette zusammennietet befestigt oder einfache Gepäckträger mit fort verschieden: Die einen essen in Restau- gefasst lässt sich sagen, dass
und ein Schaltkabel austauscht, den kann einem Schnellspanner an der Sattelstütze. rants und schlafen im Hotel, andere ernäh- Milch und insbesondere Schoko-
fast keine Eventualität mehr aufhalten. Der Beim Packen gilt: Reduktion! Im Sommer ren sich aus dem Supermarkt, kochen selber ladenmilch die Erholung nach
Besuch eines Veloflick-Kurses kann allfällige reichen für die Zeit neben dem Velo ein und übernachten im Zelt. einer sportlichen Belastung posi-
Wissenslücken schliessen. warmer Pulli und Sneakers oder besser Flip- Damit sich Velofahrer darin nicht verlie- tiv unterstützen. Im Vergleich zu
Besonders wichtig ist das frühe Voraus- Flops. Dazu statt Jeans leichte Leinenhosen ren, bietet sich altmodisch eine Strassen- Kontrollgetränken führen sie zu
planen der An- und Abreise, sofern diese per und ein schnell trocknendes T-Shirt. karte an. Auf Google-Maps allein sollte man einem besseren oder zumindest
Zug erfolgen soll. In Europa wird es immer sich nicht verlassen. Für Frankreich gibt es gleich guten Ausgleich von
schwieriger, Velos per Bahn zu transportie- Ballast weglassen beispielsweise Michelin-Karten, auf denen schweissbedingten Flüssigkeits-
ren, auf vielen Langstrecken ist die Mit- Beim Veloreisen geht es auch darum, intensi- malerische Strassen extra markiert sind. verlusten sowie dem Wieder-
nahme mittlerweile verboten. Und sonst gibt ver zu leben und inneren wie äusseren Bal- Aber Achtung: Auf diesen Karten sind keine auffüllen der Energiespeicher in
es pro Zug jeweils nur wenige verfügbare last wegzulassen. Mit Fünftage-Bart und Höhenkurven verzeichnet. Wer will, kauft den Muskeln. Und hinsichtlich
Veloplätze. Diese sind reservierungspflichtig nicht ganz frischen Socken arrangiert sich sich ein GPS-Gerät für Velofahrer, das der Reparatur von kleinen Mus-
– und oft rasch ausgebucht. Bei den meisten der Velofahrer darum gern. Nicht aber mit speziell verkehrsarme oder steigungsarme kelschäden oder generell des
Fluggesellschaften kann das Velo hingegen Kälte und Nässe: Regenzeug inklusive Routen vorschlagen kann. Muskelaufbaus nach dem Sport
ohne Aufpreis mitgenommen werden, wenn Überschuhe gehört dazu. Ausserdem lange Und schliesslich: Bevor es losgeht, lohnt sind Milch oder Schokoladen-
es unter der Gewichtslimite pro Passagier Sachen (Arm- und Beinstulpen) und eine es sich, das Material und die eigene Gesin- milch sogar top.
bleibt und vorschriftsmässig verpackt ist. Windjacke. nung zu testen. Bei einer längeren Tour am Es erstaunt daher nicht, dass
Für die Verpackung eignet sich ein Velokar- Der Körper wird beim Veloreisen gefor- Wochenende bemerkt man Probleme, die Fachleute der Sporternährung
ton, den man bei vielen Veloläden gratis oder dert. Zwingend ist, immer genug Proviant vor der Reise gelöst werden können – und bei der Wahl des Erholungsge-
für einen bescheidenen Preis erhält. (süss und salzig) auf sich zu haben. Ausser- stimmt sich schon mal auf den Trip ein. tränks im Sport immer wieder
auf Milch oder Schokoladen-
milch setzen. Voraussetzung ist
natürlich eine gute Verträglich-
Diese drei keit des Milchzuckers, die in der
GETTY IMAGES

LOUKAS HAPSIS / IML / LAIF

EISELE-HEIN / HUBER IMAGES

Schweiz bei rund 80 bis 85 Pro-

Routen sind zu zent der Erwachsenen gegeben
ist. Da zudem laut Gesamtheit
empfehlen der entsprechenden Forschung
ein positives Bild bezüglich
Milchkonsum und geringere
Häufigkeit vieler Zivilisations-
krankheiten vorliegt, spricht
vieles für die Milch.
Die tägliche Empfehlung von
drei Portionen Milch und Milch-
1. Den Jakobsweg erfahren 2. Völkerwanderung an der Donau 3. Der Rhone entlang ans Mittelmeer produkten für gesunde Erwach-
sene ist somit gut begründet.
Der Jakobsweg erfreut sich ungebrochener Der Donauradweg von der Quelle in Süd- Wer es sportlich mag, startet mit der Wer regelmässig sportlich aktiv
Beliebtheit, 2017 wurde ein neuer Pilger- deutschland bis zur Mündung ins Schwarze Schweizer Rhone-Route in Andermatt und ist, kann gar auf vier Portionen
rekord erreicht. Doch Pilgern kann man auch Meer gilt als einer der beliebtesten Radwege überwindet den Furkapass, bevor er durchs erhöhen und einen guten Teil
mit dem Velo. Der Einstieg könnte zum Bei- Europas. Entsprechend voll sind in der Wallis auf den Genfersee zuhält. Doch die davon für die Erholungsphase
spiel in Bordeaux gemacht werden, danach Hochsaison die Radwege entlang des mächti- eigentliche Via Rhona beginnt in Genf und einplanen. Die konkrete Emp-
warten kulturreiche Städte wie Pamplona gen Flusses. Der Weg ist rund 3000 Kilo- ist der ideale Radweg für Geniesser. Die fehlung liegt bei einem halben
und Bilbao und am Ziel natürlich Santiago de meter lang, weshalb sich einzelne Abschnitte Route führt von Genf bis ins Flussdelta am Liter Milch oder Schokoladen-
Compostela. Am besten folgt man dem anbieten, etwa zwischen Passau und Wien. französischen Mittelmeer über weitgehend milch nach dem Sporttreiben.
Camino del Norte, welcher der atemberau- Neben der ehemaligen Kulturhauptstadt flache und befestigte Radwege. Diese sind
bend schönen, klimatisch milden, aber auch Linz mit ihrem rauen Charme durchquert meist gut beschildert: Die Rhone im Fluss- Paolo Colombani ist
hügeligen Nordküste Spaniens entlangführt. man dabei auch die Wachau, eine hügelige tal dient als Wegweiser und Begleiter der Ernährungswissenschafter. Nach
In Pilgerherbergen lässt es sich auch als Velo- Landschaft, die für ihre Burgen und den rund 800 Kilometer langen Reise. fast zwanzig Jahren Forschung
fahrer günstig übernachten. Mirabellen-Anbau bekannt ist. Urs-Peter Zwingli an der ETH Zürich arbeitet er
jetzt als Selbständiger.
Mobilität
Autotest
Renault Alpine A110 – Comeback des
französischen Plattfischs
S
eit seinem Abschied sind
40 Jahre vergangen. Von
1961 bis 1977 wurde der
Renault Alpine A110 Ber-
linette in der französischen Nor-
mandie von Hand gebaut, dann
war Schluss. Nun kehrt der
Alpine A110 zurück und sieht
aus, als wäre er nie weggewesen:
Elegant und doch sportlich wirkt
die Neuinterpretation des wohl
bekanntesten Sportwagens aus
Frankreich, der auch im Rally-
sport Erfolge gefeiert hat. Es ist
den Designern gelungen, die
geschwungenen Linien und zeit-
lose Stilelemente des Ur-Alpine
A110 zu imitieren. Charakteris-
tisch sind die zwei runden
Nebellampen, die in die Front-
partie eingelassen sind. Auf den
ersten Blick wird klar, dass man
einen A110 des 21. Jahrhunderts
vor sich hat, vor allem wenn er in
der Farbe blau lackiert ist. Als
weitere Farben sind weiss und
schwarz erhältlich.
Auch sonst geht vieles auf die
goldenen 1970er Jahre zurück.
Eine Spezialität von Jean Rédélé,
dem Gründer der Marke Alpine,
war der konsequente Leichtbau.
Seine Autos brachten aber nicht
nur wenig Gewicht auf die
Waage, sondern waren auch
kompakt, agil und alltagstaug-
lich. Am Heckantrieb änderte
sich auch dann nichts, als Rédélé
seine Firma an Renault übertrug.
Idealgewicht verfehlt
Eine Vorgabe für die Entwick-
lung des neuen Alpine A110 Ber-
linette betraf das Gewicht: Das
Auto, das früher je nach Version
zwischen 575 und 730 Kilo-
gramm schwer war, durfte nicht
mehr als maximal 1100 Kilo-
gramm wiegen, was in der heuti-
gen Zeit eine grosse Herausfor-
derung darstellt. Schliesslich
entstand ein Fahrzeug mit einem
Leergewicht von 1103 Kilo-
gramm für die Première Edition
mit zusätzlicher Ausstattung,
von der es als Referenz an das
Gründungsjahr der Firma ledig-
lich 1955 Exemplare gibt und die
schon längst ausverkauft sind.
Ziel also knapp verfehlt? Nein.
Der Renault Alpine A110, der ab
dem ersten Quartal 2018 von
sechzig Händlern in elf europäi-
schen Ländern vertrieben wird
und den es in den Versionen
Pure und Légende gibt, wiegt
1080 Kilogramm. Die Preise sind
noch offen. Sowohl der Motor
IDDEAL FÜR KINDER ZWISCHEN 9 UND 14 JAHREN
Nicht mehr als 1100 Kilogramm. Diese Vorgabe erhielten die Entwickler für den Renault Alpine A110.
wie auch das Chassis bestehen
zu 96 Prozent aus Aluminium,
was dem Zweisitzer auch Steifig-
keit gibt. Die Sitze wiegen nur je
13,1 Kilogramm, und auch sonst
wurde abgespeckt, wo es ging
und sinnvoll war. Gar eine Welt-
neuheit ist die in die Hinterrad-
bremsen integrierte Parkbremse,
wodurch 2,5 Kilogramm gespart
wurden. Geblieben sind aber die
Renault Alpine A110 knappen Abmessungen. Auffäl-
Berlinette lig ist insbesondere die geringe
Höhe von nur gerade 1,25 Meter,
Motor 4-Zylinder was etwa Hüfthöhe entspricht
Hubraum 1798 cm3 und dem historischen A110 den
Kosenamen Plattfisch eingetra-
Leistung 252 PS bei gen hatte.
6000 U./min
Drehmoment 320 Nm
Durch diese Autoarchitektur
hat der Alpine einen sehr tiefen
Getriebe 7-Gang-Automat Schwerpunkt und eine tolle
Aerodynamik (Luftwiderstand-
Antrieb Heck
beiwert 0,32). Deshalb kommt
V max. 250 km/h das Fahrzeug ohne Heckspoiler
Sprint 4,5 s auf 100 km/h aus und liegt gleichwohl wie ein
Abmessungen L×B×H: 4,18 / 1,98 / Brett ideal auf der Strasse. Für
1,25 Meter den Antrieb sorgt ein neu ent-
wickelter 1,8-Liter-Turbobenzin-
Leergewicht 1103 kg motor mit vier Zylindern und mit
Verbrauch 6,1 l/100 km einem sonoren Klang, der sich je
CO2-Ausstoss 138 g/km nach Fahrmodus – Normal, Sport
oder Race – verändert. Angepasst
Preis 62 000 Fr.
werden auch die Empfindlich-
keit des Gaspedals, die Drehzahl
beim Gangwechsel, die Ein-
stellung des elektronischen
Stabilitätsprogramms und die
Darstellung der digitalen Tacho-
Informationen. Geschaltet
wird entweder automatisch über
ein 7-Gang-Doppelkupplungs-
getriebe oder, was sich auf Renn-
strecken empfiehlt, manuell mit
den Schaltwippen am Lenkrad.
Alltagstauglich
Natürlich handelt es sich beim
A110 um einen Sportwagen. Er
verfügt aber auch über rund 200
Liter Stauvolumen, und zwar je
zur Hälfte im Kofferraum und
unter der Fronthaube. Zusätzlich
finden zum Beispiel kleinere
Taschen oder Jacken hinter den
Sitzen Platz. Dass es überhaupt
für einen Kofferraum gereicht
hat, hängt mit dem Motorenkon-
zept zusammen: Das Aggregat ist
etwas zur Mitte hin placiert. Im
Innenraum dominieren minima-
listisches Design, Leder, Alumi-
nium und Karbon. Bleibt nur die
Frage, warum Renault mit der
Wiederbelebung der Marke
Alpine so lange gewartet hat.
Michael Baumann
Erfahrungen
Mühelos Klassenbester
H
eute gilt der Porsche
JÜRGEN LEWANDOWSKI
911 als der erfolg-
reichste Sportwagen
aller Zeiten – wovon
auch Zehntausende von Siegen
auf allen Rennstrecken Zeugnis
ablegen. Er wandelt damit auf
den Spuren des Porsche 356, der
einst ebenfalls zuhauf Siege ein-
sammelte. Doch als Porsche im
Spätherbst des Jahres 1964
begann, den Porsche 911 auszu-
liefern, sollte es erst noch seine
Zeit dauern, bis der Neunelfer
auf den Rennstrecken antrat –
das war jedenfalls der Plan des
Rennleiters Huschke von Han-
stein. Zwar hatte man bereits im
Januar 1965 einen Neunelfer zur
Rallye Monte Carlo geschickt, wo
das Rennfahrer-Team Peter Falk
und Herbert Linge einen nie
erwarteten 5. Rang erreichte.
Aber für die grossen Rennen war
es noch zu früh – noch war der
Wagen nach Meinung von Ferdi-
nand Piëch, dem Chef der Por-
sche-Rennabteilung, nicht genug
ausgereift.
Doch nun stand am 5. Februar
1966 der zweite jemals in die
USA ausgelieferte Elfer am Start
der 24 Stunden von Daytona,
gemeldet von einem Privat-
Team: Bill Bencker, Jack Ryan
und Lindley Coleman. Huschke
von Hanstein versuchte den
Start zu verbieten – doch der 911
News
VCS: Finger weg
von Diesel-Autos!
«Noch immer sind 19 von 20
Neuwagen mit einem konventio-
nellen, ineffizienten Benzin-
oder Dieselantrieb ausgestattet»,
schreibt der VCS in seiner
«Umweltliste» 2018. Der Ver-
kehrsverband veröffentlicht seit
35 Jahren einen Ratgeber für den
ökologischen Autokauf. Trotz
Marketingwirbel der Hersteller
um E-Modelle verharrt das
Angebot an umweltfreundlichen
Fahrzeugen auf tiefem Niveau.
In der Schweiz seien 50 Modelle
VCS-Liebling: Volkswagen E-Up!
NZZ am Sonntag 4. März 2018
«Was für eine Geschichte!»
Diesen Porsche fuhr der Autor.
gehörte, mit mehr als 30 000
Meilen auf dem Tacho, Jack
Ryan. Dieser wollte starten – und
es war sein Auto. So trat das
Team mit dem nahezu serien-
mässigen Neunelfer in Daytona
an, gewann die 2-Liter-Klasse
und kam im Gesamtklassement
auf Rang 16. Was für eine
Geschichte – und da ich den
Wagen aus der faszinierenden
Sammlung von Miles Collier in
Naples zu Beginn dieser Woche
ein paar Meilen weit fahren
konnte, kann ich bestätigen: Dies
ist ein serienmässiger früher
Porsche, der bei einem der bru-
talsten Rennen nach 548 Runden
auf Anhieb problemlos Klassen-
sieger wurde. Bei manchen
Autos genügen eben ein paar
Kilometer, um einen Eindruck
fürs Leben zu hinterlassen.
Jürgen Lewandowski
erhältlich, mit denen schon
heute weitgehend fossilfrei
gefahren werden könne, schreibt
der VCS. Bei schadstoffarmen
Verbrennungsfahrzeugen führt
der erdgasbetriebene VW Polo
die Rangliste an – vor dem Seat
Ibiza. Auch bei den E-Modellen
gewinnt VW mit dem «E-Up!».
Vom Kauf von Dieselmodellen
rät der VCS aufgrund von un-
sicherem Stickstoff-Ausstoss
ab.(brk.)
Porsche nähert sich
der Steckdose
Porsche Mission E heisst das
erste vollelektrische Modell, das
2019 in Zuffenhausen (D) vom
Band rollen wird. Gemäss den
ersten optischen Eindrücken soll
der Mission E ein coupéhafter
Sportwagen mit vier Türen
werden. Porsche-Chef Oliver
Blume hat kürzlich verraten,
dass das E-Modell bis zu 600 PS
Leistung erreichen soll. (brk.)
 NZZ am Sonntag 4. März 2018
49

E
s gilt als das klassische
abschreckende Beispiel für
überambitionierte Chirur-
gen: Vor beinahe sechzig
Jahren entschied sich der
Amerikaner Leonard Cobb,
neun Patienten im Namen
der Wissenschaft zum blossen Schein zu
operieren. Er machte einen Schnitt in ihre
Haut – und dann die Wunde unverrichteter
Dinge wieder zu; den betäubten Probanden
täuschte er nur vor, eine Ader in ihrer Brust
abzuschnüren.
Cobb unternahm dieses ungewöhnliche
Experiment, weil er misstrauisch geworden
war. Das simulierte Manöver, die soge-
nannte Ligatur der Mammaria-interna-Ar-
terie, galt seinen Kollegen 1959 als das neue
Wundermittel bei verkalkten Herzgefässen
und drohendem Infarkt. Sie hatten Kurz-
schlüsse entdeckt, die von dieser Brustader
zu den verstopften Koronararterien zogen.
Durch das Erzeugen eines Staus in der
Mammaria interna wollten die Chirurgen
frisches Blut in die Herzkranzgefässe
umleiten und die atherosklerotischen Eng-
stellen überbrücken.
Aber brachte dieses Verfahren den
Patienten tatsächlich einen Nutzen? Um
das herauszufinden führte Cobb bei acht
weiteren Versuchspersonen mit einer koro-
naren Herzkrankheit (KHK) die echte Liga-
tur durch. Das Ergebnis dieser weltweit
ersten Placebo-Operation machte Furore:
Egal, ob zum Schein behandelt oder nicht,
allen Untersuchten hatte der Eingriff gleich
gut geholfen. «Die vom Patienten empfun-
dene Verbesserung durch die Ligatur ist
wahrscheinlich rein psychologischer
Natur», erklärte der Mediziner, sprich ein-
gebildet. In der Folge verschwand die Ope-
ration für immer in den Geschichtsbüchern
der Medizin. So dachte man zumindest.
Doch jetzt probiert Christian Seiler am
Inselspital Bern das gescheiterte Verfahren
erneut an Patienten aus. Knapp 90 Men-
schen hat der stellvertretende Leiter der
Berner Kardiologie schon auf diese Weise
operiert. Angesichts der kleinen Teilneh-
merzahl in Cobbs Studie weigert sich der
Herzspezialist, deren ernüchterndem
Ergebnis Glauben zu schenken – 17 Proban-
den sind tatsächlich ein recht schwaches
Argument. Zudem, sagt Seiler, habe man
die Heilkraft der arteriellen Kurzschlüsse
bis jetzt völlig unterschätzt. Ähnlich wie
bei der Mammaria interna liessen sich diese
auch an vielen anderen Stellen des Körpers
nutzen, um den Patienten grössere Ein-
griffe, Beschwerden oder mitunter sogar
Infarkte zu ersparen.
Christian Seiler gilt als Experte für ein
Forschungsgebiet, das in einem von lukra-
tiven Stent- und Bypass-Operationen domi-
nierten Fach eher ein Schattendasein führt:
die Wissenschaft der Kurzschlüsse und
Querverbindungen der Herzarterien, der
SPL / KEYSTONE

Kollateralen, wie der Fachmann sie nennt.

Der 61-Jährige wunderte sich schon Anfang

Verengte Adern können zu einem Infarkt führen: Menschliches Herz mit Blutgefässen. Fortsetzung Seite 50

Rettungauf
Umwegen Gegen verstopfte Arterien weiss sich der Körper des Menschen selbst
zu helfen: Er leitet das Blut über Gefässe um, die sich in einer Art
Dornröschenschlaf befunden haben. Ein Berner Arzt will die Bildung
dieser Gefässe am Herzen gezielt fördern. Von Michael Brendler

Rauch-Ersatz Lawinen Festplatten Demenz

Wie gefährlich sind Geophone erfassen Speicherplatz hat es Starkes Trinken
Tabakerhitzer? 51 alle Abgänge 53 nie genügend 54 erhöht das Risiko 55
50
Rettung auf ...
Fortsetzung von Seite 49
der 1990 Jahre, dass eine bis dahin geltende
medizinische Regel bei seinen Forschungen
nicht aufzugehen schien. Ende des 19.Jahr-
hunderts hatte der deutsche Pathologe Julius
Cohnheim den Grundsatz von der «letzten
Wiese» formuliert. Herz und Hirn, postu-
lierte er, seien durchzogen von sogenannten
Endarterien, die ganz auf sich allein gestellt
ein eigenes Gebiet versorgten. Hätten Kalk
oder Blutgerinnsel diese Gefässe verschlos-
sen, sei das entsprechende Gewebe rettungs-
los verloren. «Das wurde immer so in den
Raum gestellt», sagt Seiler, überprüft hätte
Cohnheims Thesen jedoch niemand. Bei
Hunden, stellte der Berner fest, war aber das
Gegenteil der Fall. Ihr Herz war durchfloch-
ten von Adern, die diese angeblich letzten
Wiesen zu zweit oder gar zu dritt mit Blut
versorgten. Warum sollte das beim Men-
schen anders sein, fragte er sich.
In der Zwischenzeit konnte Seiler bewei-
sen: Wenn der Mensch im Labor kräftig in die
Pedalen eines Velotrainers tritt, beginnen
sich in seinem Herz plötzlich Gefässe zu
öffnen, die sich vorher in einer Art Dornrös-
chenschlaf befunden haben. Diese Kollatera-
len helfen, den stärker arbeitenden Herz-
muskel mit Blut zu versorgen. Selbst wenn
man eine Koronararterie kurz verschliesst,
kommt hinter der Abdichtung noch Blut an
– weil es durch diese Umgehungsgefässe um
das Hindernis herum fliesst. Sind bei einer
koronaren Herzkrankheit die Adern chro-
nisch verengt, beginnen diese Kollateralen
sogar zu wachsen, wie Seiler erklärt.
Bei manchen Patienten geht das sogar so
weit, dass sie trotz übelster Verschlüsse nur
gerade ein Zwicken spüren, wenn andere mit
Luftnot und Brustschmerzen schon den Not-
arzt rufen. Über 1800 KHK-Patienten hat der
Berner Kardiologe seither untersucht und
ihre Daten ausgewertet. Das Ergebnis deckt
sich mit demjenigen anderer Kollegen: Gute
Koronar-Kurzschlüsse lindern oft nicht nur
die Symptome, sie senken auch das Sterbe-
risiko um bis zu 40 Prozent. Und selbst bei
einem akuten Infarkt, wenn dem Gefäss
eigentlich keine Zeit bleibt, neue Kollatera-
len zu bilden, ersticken bei bereits ausgebil-
deten Querverbindungen in der Regel weni-
ger Herzmuskelzellen.
Neues Paradigma in der Neurologie
In der Nervenheilkunde hat die Entdeckung
der Kollateralen das ganze Fachgebiet umge-
krempelt. Noch Ende der 1970er Jahre, so
berichtet Hermann Zeumer, der frühere
Direktor der Klinik für Neuroradiologie des
Hamburger Universitätskrankenhauses,
wurde in einen Patienten mit einem schwe-
ren Schlaganfall nicht mehr viel Mühe inves-
tiert. Spätestens nach fünf Minuten, so
dachte man, seien bei einem solchen Infarkt
im Kopf die Nervenzellen rettungslos ver-
loren. Wozu und womit also sich für diese
hoffnungslosen Fälle engagieren, fragten
sich die Ärzte, wenn die meisten ohnehin
erst Stunden nach dem Schlaganfall bei
ihnen eintrafen.
Als man irgendwann genauer hinschaute,
wurde der fatale Fehlschluss schnell korri-
giert: Das Hirn war gar nicht auf einen Schlag
tot. Es zeigte sich, dass die einzelnen Zentren
Königspinguine müssen umziehen
Wegen des Klimawandels
verlagern sich die Jagdgebiete
der Königspinguine nach
Süden. Das könnte die Existenz
der Vögel bedrohen
Königspinguine leben auf ein paar Inseln im
Südpolarmeer der Antarktis. Sie mögen
ganzjährig niedere Temperaturen, aber nicht
allzu viel Eis – damit sie brüten und ihre
Jungen optimal aufziehen können, müssen
die von ihnen bewohnten Inseln Sand- oder
Kiesstrände haben und dürfen nicht voll-
ständig von Meereis umschlossen sein. Man
könnte also meinen, dass die Erwärmung des
Klimas und das Abschmelzen des Eises in der
Antarktis diesen wundersamen Vögeln nicht
viel anhaben kann. Doch dem ist nicht so,
wie jetzt eine internationale Forschungs-
gruppe unter der Leitung des Evolutions-
biologen Emiliano Trucchi von der Universi-
tät Ferrara in einer Studie festgestellt hat
(«Nature Climate Change», online). Rund 70
Prozent der weltweiten Kolonien der Königs-
Wissen
Nachschub für das Herz
Ärzte wollen Querverbindungen der Mammaria-interna-Arterie zum Herz, die perkardiophrenischen Äste,
nutzen, um Engstellen in den Koronararterien zu überbrücken und Infarkte zu verhindern
Obere
Hohlvene
Mammaria-
interna-
Arterie
(rechts)
Perkardio-
phrenischer
Ast der M.
interna
Koronar-
arterien
Untere
Hohlvene
Nerv
Quelle: Christian Seiler, Inselspital Bern
Kann Christian Seiler
die Medizingeschichte
umschreiben? Ende
des Jahres wird man es
wissen, dann soll die
Studie beendet sein.
pinguine könnten bald Teil der Vergangen-
heit sein, weil der Klimawandel sie zwingt, in
weiter südliche Gebiete zu ziehen. Das Pro-
blem ist, dass es im Südpolarmeer nur
wenige Inseln gibt und beileibe nicht alle für
Königspinguine geeignet sind. «Heute geht
es den Populationen der Königspinguine
recht gut, aber je nach Entwicklung könnte
der Grossteil von ihnen in 40 bis 50 Jahren
verschwunden sein», sagt Emiliano Trucchi.
Der Grund für dieses düstere Szenario hat
auch mit der speziellen Lebensweise der
Königspinguine zu tun. Männchen und
Weibchen wechseln sich im Bebrüten der
Eier und der Aufzucht der Jungen ab. Wer
nicht mit dem Nachwuchs beschäftigt ist,
geht im Meer auf die Jagd nach kleinen
Fischen, Krill und Tintenfischen. «Manchmal
sind die Elterntiere während Tagen unter-
wegs und entfernen sich dabei bis zu 400
Kilometer von ihrer Insel», erklärt Trucchi.
Bisher konnten sich die Königspinguine
für die Jagd auf die sogenannte antarktische
Polarfront verlassen. In dieser Zone trans-
portiert ein Strömungssystem kalte Wasser-
massen aus der Tiefe an der Oberfläche und
schiebt diese unter wärmeres Wasser aus
NZZ am Sonntag 4. März 2018
die Arbeit stattdessen oft erst nacheinander
und mit grosser Verzögerung einstellten.
«Das war eigentlich nur auf eine Art zu erklä-
ren», erklärt Zeumer. «Es musste Kollatera-
len geben, die in der Lage waren, das Rand-
gebiet des Infarkts weiter mit Sauerstoff zu
versorgen.» Auf diese Weise wurde es eine
Weile am Leben erhalten. Inzwischen weiss
man, dass es im Gehirn kaum eine Region
gibt, die nicht von mehreren Adern auf
einmal versorgt wird. Schlaganfallpatienten
werden deshalb heute in eine speziellen
Mammaria- Stroke Unit oder in ein Katheter-Labor
interna- gebracht. Dort versucht man, die gewonnene
Arterie Zeit zu nutzen, um die verstopfenden Blut-
(links) gerinnsel mit Medikamenten aufzulösen
oder mit Kathetern herauszuziehen.
Ausdauertraining fördert Blutfluss
Aorta Perkardio- Viele Patienten kann man auf diese Weise
phrenischer vor Behinderung oder dem Tod bewahren,
Ast der M. bei anderen kommt jede Hilfe zu spät – auch
interna weil bei ihnen das Netz der Kollateralen
weniger dicht geknüpft ist. Nicht alle Men-
schen bildeten im gleichen Ausmass
Umgehungskreisläufe, erklärt Elisabeth
Deindl vom Walter-Brendel-Zentrum für
experimentelle Medizin der Ludwig-Maximi-
Lungen- lians-Universität München. Das hat geneti-
arterie sche Gründe.
Lungen- Vor zwanzig Jahren begann die Ärztin, sich
vene mit den Ursachen und den Einflussfaktoren
der Kollateralbildung zu beschäftigen. Die
Ergebnisse ihrer Arbeit lassen sich sehen: Mit
einem Wirkstoff-Cocktail kann sie bei
Mäusen das Ader-Wachstum gezielt anregen.
Das Abbinden ihrer regulären Gefässe ste-
cken diese fast ohne Schaden weg. Denn die
Medikamente locken eine bestimmte Klasse
Abwehrzellen, sogenannte Mastzellen, zum
Ort des Geschehens und regen sie an, eigene
Botenstoffe auszuschütten. Und die lassen
wiederum neue Arterien wachsen.
Auf die Frage, ob Ähnliches auch beim
Menschen gelingen könnte, reagiert Deindl
Koronar- nur verhalten optimistisch. Der Grund: Die
arterien Entzündungszellen fördern nicht nur die
Kollateralenbildung, sie heizen womöglich
auch umgekehrt die Atherosklerose an.
«Beide Prozesse sind eng miteinander ver-
Grafik: Elisa Forster
wandt», sagt die Forscherin. Christian Seiler
hat wegen ähnlich schlechter Erfahrungen
Herz Nerv die Suche nach derartigen Medikamenten
bereits vollständig eingestellt.
Es gibt aber weniger riskante Hoffnungs-
träger: Vor zwei Jahren konnten Leipziger
Wissenschafter belegen, dass sich mit zwei
bis zweieinhalb Stunden täglichem Aus-
KEYSTONE
dauertraining der Kollateralfluss am Herzen
fast verdoppeln lässt. Sport, das zeigen auch
viele andere Arbeiten, führt zu einem
Ausbau der Umgehungsverbindungen. Aller-
dings lässt sich nicht jeder Patient für eine
derart anstrengende Therapie gewinnen,
auch deshalb wagt sich Seiler nun erneut an
die verfemte Mammaria-interna-Ligatur.
Erste Ergebnisse deuten an, dass nach
dem Eingriff tatsächlich wieder mehr Blut
durch die Koronargefässe fliesst. Nun soll
eine zweite, grössere Studie folgen. Diesmal
werden den 50 Patienten mit Ligatur 50 wei-
tere mit einer Schein-Operation gegenüber-
stehen. Das sollte reichen, glaubt Christian
Seiler, um Cobbs Placebo-Experiment aus
den 1950er Jahren zu widerlegen. Kann
Seiler die Medizingeschichte noch einmal
umschreiben? Ende dieses Jahres wird man
Behandlung nach Herzinfarkt: Sterberisiko um 40 Prozent gesenkt. es wissen, dann soll die Studie beendet sein.
Für die Jagd nach dem Norden. Mit diesem Auftrieb gelangen
GETTY IMAGES
Fischen tagelang auch üppige Fischvorkommen in ein relativ
im Meer unterwegs: begrenztes Gebiet. Gemäss der Prognosen
Königspinguine. der Forscher um Emiliano Trucchi verschiebt
sich die antarktische Polarfront wegen des
Klimawandels nun aber nach Süden – und
damit immer weiter weg von den Inseln,
welche die Königspinguine heute bewohnen,
insbesondere die Crozetinseln, die Kerguelen
sowie die Marion-Insel.
Das führt dazu, dass die Elterntiere künf-
tig längere Distanzen schwimmen müssen,
um an Nahrung zu gelangen. «Die Grenze
liegt bei etwa 700 Kilometer», erklärt Truc-
chi. Werden die Jagdzüge noch länger,
besteht die Gefahr, dass die Elterntiere in
nützlicher Zeit nicht mehr genügend Nah-
rung für ihren Nachwuchs finden und die
Populationen zusammenbrechen. Noch
besteht Grund zur Hoffnung: Wie die Studie
auch zeigt, haben die Königspinguine ähn-
liche, wenn auch weniger schnelle Verände-
rungen schon früher überwunden. Und es
besteht die Chance, dass zumindest einige
von ihnen dereinst Inseln besiedeln können,
die heute noch vollständig von Eis bedeckt
sind. Patrick Imhasly
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Wissen 51

ZumAbgewöhnen
Neue Tabakerhitzer produzieren weniger Schadstoffe als die Zigarette, sagt die Tabakindustrie.
Kann man ihren Studien trauen? Von Andreas Hirstein

M
arlboro ist die wert- Philip Morris

PHILIPPE ROY / IMAGE SOURCE / VARIO IMAGES

vollste Zigarettenmarke
der Welt. Aber ihr
Schöpfer, der Tabak-
multi Philip Morris
International (PMI), will
davon nichts mehr
wissen. Eine «rauchfreie Zukunft» hat das
Unternehmen als Ziel ausgegeben: Alle Rau-
cher, die der Nikotinsucht nicht entkommen
können, sollen «so schnell wie möglich auf
rauchfreie Produkte umsteigen». Ähnliche
Ziele verfolgen die Tabakkonzerne British
American Tobacco (BAT) und JT Internatio-
nal (JTI). Auch sie haben neuartige und
potenziell weniger schädliche Tabakpro-
dukte entwickelt und verkaufen sie in der
Schweiz.
Philip Morris betreibt eines von weltweit
zwei Entwicklungszentren in Neuenburg.
Gleich neben der alten Tabakfabrik, in der
1957 die erste Marlboro-Zigarette «made in
Switzerland» hergestellt wurde, steht «The
Cube» – ein modernes Büro- und Labor-
gebäude mit verglaster Fassade und Blick
direkt auf den Neuenburgersee.
In den Neuenburger Labors haben PMI-
Ingenieure in den letzten Jahren ein Tabak-
produkt entwickelt, das mittlerweile in mehr
als 30 Ländern erhältlich ist. Es heisst Iqos
(«I quit ordinary smoking») und enthält eine
Mixtur aus feingemahlenem Tabak, den
Flüssigkeiten Glyzerin und Propylenglykol.
Das getrocknete Gemisch wird elektrisch
auf rund 350 Grad erhitzt – nur rund halb so
hoch wie in einer konventionellen Zigarette.
Der Tabak verbrennt dabei nicht, statt Rauch
erzeugt das Iqos-Gerät ein Aerosol, das weni-
ger krebserregende und andere schädliche
Substanzen enthält als eine Zigarette. «Heat-
not-burn» (HNB) nennt der Hersteller das
Verfahren.
Schnell ins Blut
Das suchtauslösende Nikotin dagegen
gelangt genauso schnell ins Blut, was Rau-
chern den Umstieg erleichtern soll und ein
Vorteil gegenüber den weniger wirksamen
Nikotinpflastern darstellt. Neben Iqos von
Philip Morris verkauft BAT den Tabakerhit-
zer Glo, der bei 240 Grad Celsius arbeitet.
Etwas anders funktioniert das Konkurrenz-
produkt Ploom Tech von JTI. Hier wird bei
30 Grad ein Glyzerin-Propylenglykol-
Gemisch verdampft, das anschliessend das
Tabakpulver durchströmt, um dort Aroma-
stoffe und Nikotin aufzunehmen. Unter-
scheiden muss man Iqos, Glo und Ploom
Tech von den heute noch üblicheren E-Ziga-
retten, die keinen Tabak enthalten. Sie ver-
dampfen ein flüssiges Glyzerin-Propylen-
glykol-Gemisch, dem Nikotin und beliebige
Aromen zugesetzt sein können.
Die Hersteller versprechen eine Reduktion
der krebserregenden Stoffe von rund 90 Pro-
zent gegenüber einer Referenzzigarette.
In ihren Labors haben die Konzerne die Kon-
zentrationen der wichtigsten krebserregen-
Dampf und Rauch
den Substanzen gemessen. Auch Tierversu-
che und klinische Studien mit Rauchern
haben sie durchgeführt.
Doch wie glaubwürdig sind solche von
den Tabakkonzernen finanzierten Studien?
Wer will einer Industrie glauben, die wissen-
schaftliche Erkenntnisse jahrzehntelang
unterdrückt hat?
Dass es einen Mangel an unabhängigen
Studien gibt, ist unbestritten. Zu den Aus-
nahmen zählt eine noch unveröffentlichte
Studie der Empa in Dübendorf. Die Forscher
konnten die Analysen von Philip Morris im
Wesentlichen bestätigen, sagt der Studien-
leiter Ari Setyan. Gefährliche Substanzen
liessen sich nur in sehr tiefen Konzentratio-
nen nachweisen. Das deutsche Bundes-
institut für Risikoforschung (BfR) in Berlin
berichtet Ähnliches. «Bei den meisten kan-
zerogenen Substanzen haben wir 95 bis 99
Prozent tiefere Konzentrationen fest-
gestellt», sagt Frank Henkler-Stephani, wis-
senschaftlicher Mitarbeiter des BfR.
«Aufgrund der grossen Schadstoffreduk-
tion vermute ich, dass Heat-not-burn-Ziga-
retten weniger gesundheitsschädlich sind als
gewöhnliche Zigaretten», sagt Henkler-Ste-
phani. Eine genaue Bewertung sei aber noch
nicht möglich, weil das Risiko nicht notwen-
digerweise linear von der Schadstoffdosis
abhängt. Diesen Effekt kennt man von
gewöhnlichen Zigaretten: Eine Halbierung
des Konsums führt nicht zu einer ebenso
grossen Verringerung des Risikos.
Ohnehin ist die Toxizität des Aerosols nur
einer von mehreren Aspekten für die epi-
demiologische Bewertung der neuen Pro-
dukte. Genauso wichtig ist, ob die Konsu-
pocht darauf, dass
nur Raucher
als Kunden gewonnen
werden, aber keine
Nichtraucher.
menten die herkömmliche Zigarette voll-
ständig aufgeben oder nebenbei weiter rau-
chen. Dann würde der allfällig positive Effekt
von HNB- und E-Zigaretten schnell ver-
puffen. Immerhin: Laut der amerikanischen
Akademie der Wissenschaften gibt es aus
bisherigen Studien «begrenzte Hinweise»,
dass E-Zigaretten die Raucherentwöhnung
wirksam unterstützen. Noch ist dies aber
eine vorläufige Einschätzung.
Unter jungen Nichtrauchern könnten die
neuen Produkte aber einen gegenteiligen
Effekt haben. E-Zigaretten und Tabakerhit-
zer könnten sie zum späteren Rauchen her-
kömmlicher Zigaretten verführen. In der Tat
gibt es laut der amerikanischen Akademie
der Wissenschaften bereits heute Anhalts-
punkte, dass E-Zigaretten diesen Effekt
haben. Gesichert sind aber auch diese
Erkenntnisse noch nicht.
Verkauf nur an Raucher
Falls sich die Befürchtung aber bestätigt und
wieder mehr junge Menschen zum Rauchen
verleitet werden, würde es die epidemiologi-
sche Gesamtbeurteilung von Tabakerhitzern
und E-Zigaretten natürlich verschlechtern –
trotz den niedrigeren Schadstoffkonzentra-
tionen im Aerosol.
Philip Morris pocht deshalb darauf, dass
nur bestehende Raucher als Kunden gewon-
nen werden, aber keine Nichtraucher. «Sämt-
liche für uns in der Kommerzialisierung
tätigen Personen müssen sicherstellen, dass
Konsumenten, die sich für Iqos interessie-
ren, volljährig und Raucher sind. Nur dann
verkaufen wir das Iqos-System», sagt Marija
Sommer von Philip Morris.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammen-
Test eines hang ein Streit, den der Konzern letztes Jahr
Tabakerhitzers. mit Forschern der Universitäten Bern, Lau-
Eine Leuchtdiode sanne und Genf ausgetragen hat. Die Wissen-
simuliert den schafter hatten der Aussage von Philip
glühenden Tabak. Morris widersprochen, wonach Iqos keinen
Rauch, sondern nur ein Aerosol produziere.
«Wir haben krebserregende Substanzen
nachgewiesen, die bei der thermischen Zer-
setzung von Tabak entstehen», sagt Reto
Auer, der Studienleiter von den Universitä-
ten Bern und Lausanne. Es gebe Rauch auch
ohne Feuer. Philip Morris reagierte auf die in
einer Fachzeitschrift publizierte Studie nicht
nur mit einem Leserbrief, sondern inter-
venierte auch schriftlich «wegen methodi-
scher Mängel» bei den Vorgesetzten der For-
scher. Ob der Hersteller einen Rückzug der
Studie verlangt hat oder nicht, stellen beide
Parteien unterschiedlich dar.
Der Streit ist erstaunlich, weil er toxikolo-
gisch eigentlich unbedeutend ist. Dass auch
Iqos und andere Tabakerhitzer krebs-
erregende Stoffe in geringeren Mengen emit-
tieren, bestreitet die Industrie nämlich nicht.

Zigaretten und weniger gefährliche Alternativen
Wer als Erwachsener täglich
raucht, verliert durchschnittlich
14 Lebensjahre. Allein in der
Schweiz sterben täglich 25 Men-
schen vorzeitig an den Folgen
des Tabakkonsums. In der
Schweiz gibt es heute rund zwei
Millionen Raucher.
Neuartige Tabakprodukte wie
Iqos, Glo, Ploom Tech erhitzen den
Tabak auf maximal 350 Grad Cel-
sius, statt ihn zu verbrennen. Des-
wegen entstehen weniger schäd-
liche Substanzen. Laut Studien
erreicht man eine Reduktion von
mindestens 90 Prozent.
Snus ist ein in Skandinavien
beliebter Oraltabak. Die Portions-
beutelchen werden hinter der
Ober- oder Unterlippe placiert,
und das Nikotin über die Schleim-
häute aufgenommen. In der
Schweiz ist der Import zum Eigen-
gebrauch erlaubt.
Verbannen will sie aber das Wort «Rauch»,
weil es die Tabakerhitzer im Passivraucher-
schutz mit Zigaretten gleichstellen würde.
In geschlossenen, öffentlich zugänglichen
Räumen würden sie genauso verboten wie
Zigaretten. «Wir sind der Ansicht, dass Pro-
dukte, die keinen Rauch erzeugen aufgrund
ihres unterschiedlichen Risikoprofils, nicht
genauso behandelt werden sollten wie Ziga-
retten», sagt Marija Sommer. So sieht es auch
ihre Kollegin Nastasja Sommer von JT Inter-
national: «Ob man die derzeitigen Rauchver-
bote auf die neuen Tabakverdampfer auswei-
ten soll, ist zu hinterfragen.»
Beim Entwurf des neuen Tabakprodukte-
E-Zigaretten verdampfen eine gesetzes, das im Jahr 2022 in Kraft treten
Flüssigkeit («Liquid») bei 40 bis soll, konnte sich die Industrie bisher aller-
70 Grad Celsius. Grundsätzlich dings nicht durchsetzen. «Auch wenn sie
könnten sie die sicherste Niko- weniger schädlich als herkömmliche Zigaret-
tinquelle sein. Allerdings ist das ten sind, enthalten die neuen Produkte toxi-
Angebot an Verdampfern und sche Stoffe, von denen einige krebserregend
Liquids unüberschaubar und sind. Dritte müssen deshalb vor den Emissio-
daher nur schwer zu beurteilen. nen dieser Produkte geschützt werden», sagt
Adrien Kay vom Bundesamt für Gesundheit.
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NZZ am Sonntag 4. März 2018
Wissen 53

DasZittern

URS FLÜELER / KEYSTONE

sagtalles
Lawinen generieren Bodenerschütterungen
und Schallwellen. Die automatische Erfassung
der Signale könnte helfen, Lawinenprognosen
zu verbessern. Von Lukas Denzler

Lawinen sind an seismischen Wellen erkennbar: Niedergang bei Gurtnellen (UR). (23. Januar 2018)

L
awinen gehören zu den spekta- Lawinen – eine Bei der automatischen Erfassung der Eine mögliche Anwendung besteht laut van tion, das Wetter und Stürme bestimmt wird,
kulärsten Naturereignissen in tödliche Gefahr Lawinenaktivität stellen sich den Wissen- Herwijnen bei Lawinensprengungen in Ski- registrieren sie Erdbeben, Explosionen,
den Bergen. Nachts aber blei- schaftern jedoch einige Hindernisse in den gebieten oder oberhalb von Verkehrswegen. Bergstürze sowie grosse Rutschungen und

ben sie den Beobachtern ver-
borgen. So wie die Lawine, die
am 22. Januar 2018 um 22.05
Uhr im Dischmatal bei Davos
niederging. Nur die Geophone von Forschern
des Instituts für Schnee- und Lawinenfor-
schung (SLF) schlugen aus, als die Schnee-
massen zu Tal donnerten. «Lawinen erzeu-
gen messbare Bodenerschütterungen und
tieffrequente Schallwellen», sagt Alec van
25
Weg. Lawinen erzeugen nur schwache seis-
mische Signale. Noch vergleichsweise starke
seismische Wellen verursachen wegen ihres
Gewichts die Nassschneelawinen. Staub-
lawinen wirken weniger stark auf den
So viele Menschen Boden, verwirbeln aber die Luft und erzeu-
sterben durch- gen daher mehr Infraschallwellen. Ein ande-
schnittlich jedes res Problem sind die «Störquellen»: Flug-
Jahr in der Schweiz zeuge und Helikopter; wenn ein Skigebiet in
in einer Lawine. der Nähe liegt, erzeugen auch Skilifte oder
An Stellen, wo immer wieder Lawinen künst-
lich zu sprengen sind, erfolgt deren Aus-
lösung auch über sogenannte Sprengmasten.
Ein Messsystem, das lawinenbedingte
Erschütterungen automatisch aufzeichnen
würde, könnte zuverlässig angeben, ob eine
Sprengung erfolgreich gewesen ist. Damit
erübrigte sich eine Kontrolle vor Ort.
Eine andere Möglichkeit, um den genauen
Zeitpunkt einer Lawine zu bestimmen,
Lawinen. Ab einer Magnitude von etwa 1,5
auf der Richter-Skala werden einzelne Ereig-
nisse automatisch detektiert und lokalisiert.
«Lawinen erreichen aber relativ selten diese
Schwelle», sagt Donat Fäh vom SED. Anders
als bei Erdbeben sei auch die Bestimmung
des Ortes schwieriger. «Erdbeben zeigen ein
typisches seismisches Wellenbild mit deut-
lichen Welleneinsätzen, während die Signale
von Lawinen diffuser sind.» Eine Lawine

Herwijnen vom SLF. Mit seinem Team ver-
sucht er, die seismischen Signale mit Geo-
phonen einzufangen und zu entschlüsseln.
Bei einem Lawinenniedergang entstehen
seismische Wellen im Untergrund, weil der
abrutschende Schnee Kräfte auf den Boden
überträgt. Die abrupten Druckänderungen in
der Luft erzeugen zudem sogenannte Infra-
schallwellen. Diese Wellen mit einer Fre-
quenz von weniger als 20 Hertz sind für den
Menschen nicht mehr hörbar.
«Erst einige Zeit nach einem Lawinen-
abgang wird sichtbar, wo im Gelände das
Ereignis stattfand», sagt van Herwijnen. Der
genaue Zeitpunkt der einzelnen Lawinen sei
somit oft nicht bekannt. Gelänge es aber, die
Lawinenaktivität in einer Region automa-
tisch zu erfassen und die Lawinenorte zu
lokalisieren, so wäre dies sehr nützlich –
etwa als ergänzende Informationen zur Ein-
schätzung der Lawinengefahr. Die jeweils
aktuelle Lawinenaktivität liefert nämlich
wichtige Hinweise zur Schneedeckenstabili-
tät und zur Art und Grösse von zukünftig zu
erwartenden Lawinen.
90
Pistenfahrzeuge Erschütterungen.
Kameraaufnahmen zur Kontrolle
Wie sind die aufgezeichneten Signale am
% besten zu interpretieren? Um das heraus-
der verschütteten zufinden, placierten die Forscher in einem
Menschen haben Lawinenhang oberhalb von Davos mehrere
den Niedergang Geophone. Mindestens vier Messorte sind
der Lawine selbst notwendig, um den Ursprungsort einer
ausgelöst. Lawine anhand der Laufzeiten der seismi-
schen Signale zu bestimmen. Gleichzeitig
dokumentierten die Wissenschafter die
Lawinenaktivität mit automatischen Kame-
ras. Dadurch wird erkennbar, welche seismi-
schen Signale von Lawinen stammten. «Mit
unseren Messinstrumenten können wir
Lawinen in einem Umkreis von bis zu vier
Kilometern erfassen», sagt van Herwijnen.
Das Ziel der Forscher besteht nun darin,
dass ein Computerprogramm ohne Abgleich
mit den Bildern der Kameras feststellen
kann, ob die aufgezeichneten seismischen
Signale von einer Lawine stammen. Schnee-
bretter und Nassschneelawinen erkennt die
Software bereits heute ziemlich zuverlässig.
könnte auch das Messnetz des Schweizeri-
schen Erdbebendienstes (SED) an der ETH
Zürich bieten. Die sehr empfindlichen Seis-
mometer liegen durchschnittlich 30 Kilo-
meter voneinander entfernt. Eine Station
befindet sich auch im Dischmatal bei Davos
– ideal gelegen, um die dort aufgezeichneten
Signale mit jenen der SLF-Testfläche zu ver-
gleichen. Erste Ergebnisse zeigen, dass sich
die Lawinenaktivität einer Region mit einer
seismischen Station gut überwachen lässt.
Die nationalen Messstationen zeichnen
die seismische Aktivität permanent auf. Ein-
gebettet in ein Hintergrundrauschen, das
durch den Tag-Nacht-Rhythmus der Zivilisa-
Eine Lawine verursacht
während ihres
Niedergangs entlang der
ganzen Sturzbahn
über mehrere Sekunden
Erschütterungen.
verursacht während ihres Niedergangs ent-
lang der ganzen Sturzbahn über mehrere
Sekunden Erschütterungen.
Langfristige Überwachung nötig
Dass die Detektion von Lawinen aber mög-
lich ist, konnte Conny Hammer vom SED am
Beispiel des Lawinenwinters 1999 aufzeigen.
Sie verglich die von der seismischen Station
Linth-Limmern registrierten Signale mit den
in der Datenbank des SLF verzeichneten
Lawinenereignisse und konnte so den Zeit-
punkt der Lawinenniedergänge relativ
zuverlässig bestimmen. Zur Bestimmung des
Ortes anhand der seismischen Signale wären
hingegen mehrere Messstationen zu berück-
sichtigen. Und dafür ist das nationale Erd-
beben-Messnetz in den meisten Alpenregio-
nen vermutlich zu wenig engmaschig. Fäh
hält es jedoch für möglich, dass sich in lang-
fristigen Beobachtungsdaten Muster erken-
nen lassen, die sogar die Lokalisierung von
Lawinen mit nur einer Messstation erlauben
würden. Hierfür wäre aber ein langfristiges
Überwachungsprogramm notwendig.

Neues aus der Wissenschaft

Wie der Geruch die
Liebe beeinflusst
Die Berner Studie von 1995 gilt
heute als Allgemeinwissen: Man
liess Frauen an T-Shirts schnüf-
feln, die Männer über längere
Zeit getragen hatten, und analy-
sierte das Erbgut aller Versuchs-
personen. Offenbar bevorzugten
Frauen den Duft jener Männer,
deren Immunogene von ihren
eigenen möglichst verschieden
waren. Damit verfügten poten-
zielle Nachkommen über eine
bunte Mischung von Immuno-
genen. Zudem wäre es evolutio-
när vorteilhaft, weil Inzucht
vermieden würde. An einem
solch direkten Zusammenhang
zwischen Schweissgeruch,
Immunogenen und Partnerwahl
beim Menschen sind seither
Zweifel geäussert worden. Nun
zeigen Verhaltensexperimente
eines deutschen und eines
Schweizer Forschers mit
Mäusen, dass sie begründet sind
(«Biologie in unserer Zeit»,
online). Sie schlossen, dass das
Gesamtduftbouquet der flüchti-
gen Substanzen – also Schweiss
– bei Mensch und Maus nicht von
Immunogenen beeinflusst wird.
Es sei aber möglich, dass wir das
unbewusst erlernte Duftbouquet
naher Verwandter mit Fremden
vergleichen und uns auf jeman-
den einlassen, der anders, aber
trotzdem angenehm riecht. (ruf.)
Leben in extremer
Trockenheit entdeckt
Keine Wüste der Erde ist trocke-
ner als die Atacama-Wüste in
Südamerika. Hier können Jahr-
zehnte verstreichen, bis es
wieder regnet. Bisher war
unklar, ob Mikroorganismen
unter diesen Umständen länger-
fristig überleben können. Nun
haben Forscher diesen Nachweis
erbracht: Nach einem der selte-
nen Regengüsse sind sie in der
Atacama-Wüste auf speziali-
sierte Bakterien gestossen, die
durch die Feuchtigkeit aus ihrem
Ruhezustand erwacht sind
(«PNAS», online). Das zeigt laut
den Forschern, dass auch auf
dem Mars Leben vorhanden sein
könnte. Auch dort ist es sehr
trocken, wobei Wasserrück-
stände vorhanden sind. (mna.)
Zirpen die Grillen,
arbeitet es sich besser
Wie Menschen versuchen, sich
trotz Umgebungslärm beim
Arbeiten am besten zu konzen-
trieren, kann man im Gross-
raumbüro beobachten: Manche
lassen sich via Kopfhörer mit
Musik stimulieren, andere stöp-
seln sich mit Ohropax in die
Stille, tragen einen Pamir oder baum lässt verschiedene sozio- dagegen über weitere Strecken.
Noise-Cancelling-Kopfhörer. ökonomische Untersuchungen Und schliesslich lässt sich bele-
Wer das Büro in einer verkehrs- zu. So zeigt sich, dass vor 1850 gen, dass die Langlebigkeit nur
armen Gegend stehen hat, öffnet der Durchschnitts-Ehepartner zu einem kleinen Teil von den
am besten das Fenster. Forscher ein Verwandter vierten Grades Genen abhängt: Fünf Jahre
der Universitäten Chicago und war, heute ist es ein Verwandter können sie ausmachen. Rauchen
Kalifornien kamen nämlich zum siebten Grades. Weiter sind in hat einen grösseren Einfluss, es
Schluss, dass natürliche Geräu- den letzten 300 Jahren Frauen entreisst einem zehn Lebens-
sche sich besonders positiv auf häufiger migriert, Männer jahre. (mna.)
die kognitive Leistung auswir-
ken («Cognition», online). Sie
spielten Probanden sowohl
urbane wie natürliche Klang- Schluss-Strich von Nicolas Mahler
landschaften vor und liessen sie
dazu Aufgaben lösen. Das Ergeb-
nis: Bei natürlicher Geräusch-
kulisse schnitten die Teilnehmer
deutlich besser ab als bei Auto-
hupen und Motorenlärm. (ruf.)
Forscher präsentieren
grössten Stammbaum
Er reicht 500 Jahre zurück und
umfasst 13 Millionen Menschen
aus 11 Generationen: Wissen-
schafter haben im US-Fachblatt
«Science» (online) den bisher
grössten wissenschaftlich
geprüften Stammbaum ver-
öffentlicht. Die Informationen
dafür trugen sie von geni.com
zusammen, einer Website für
Ahnenforschung. Der Stamm-
Computer&Technik
NZZ am Sonntag 4. März 2018

EsbrauchtmehrPlatz
Sollen Datenspeicher gross und günstig oder möglichst schnell sein? Beides: Der Unterschied
zwischen Magnetfestplatten und Flash-Speichern verwischt. Von Henning Steier

D
as globale Datenvolumen Frage ist nur, wann HAMR reif für den Mas-

wächst weiterhin exponen-
tiell: So schätzt etwa das
Marktforschungsunterneh-
men IDC, dass 2025 jährlich
rund 163 Zetabyte generiert
werden. Das wären zehnmal
so viele digitale Daten wie heute. Diese
müssen irgendwo gespeichert werden. Wie
aber kann der wachsende Speicherhunger
von Unternehmen und Privatpersonen
gestillt werden, ohne dass die Kosten dafür
ebenfalls exponentiell steigen?
Magnetfestplatten sind relativ günstig.
Doch die Technologie stösst zunehmend an
ihre Grenzen. Festplatten bestehen aus
gestapelten Metallscheiben, sogenannten
Platter. Jede hat einen eigenen magnetischen
Lese- und Schreibkopf. Dieser schreibt, liest
und löscht die Bits auf dem Platter. Je mehr
Bits auf dem Platz unterzubringen sind,
desto höher die Kapazität. Allerdings lassen
sich diese Bits nicht beliebig verkleinern,
weil irgendwann die Dichte so gross wird,
dass die magnetisierten Bereiche ihre Orien-
tierung verlieren. Vereinfacht gesagt, haben
Festplattenentwickler die zuvor im Platter
liegenden Bits aufgerichtet und wie Domino-
steine aneinandergereiht. Das ermöglicht
Speicher mit viel mehr Bits pro Fläche.
Die Bits verkleinern
Doch auch diese Weiterentwicklung hat ihre
Grenzen. Deshalb wurde 2014 Shingled
Magnetic Recording (SMR) präsentiert: Wie
Dachschindeln werden dabei die Bitspuren
übereinandergelegt. Das klappt, weil der
Lesekopf der Festplatte kleiner als der
Schreibkopf ist. Möchte man diese Platter
aber überschreiben, muss der ganze Daten-
bereich ausgelesen werden, ehe er zwischen-
gespeichert und neu beschrieben wird. Das
ist aufwendig und somit eher für den Cold-
Storage-Bereich eine Alternative. Darunter
versteht man Daten, die selten abgerufen
werden, etwa alte Gehaltsabrechnungen, die
auf Unternehmensspeichern lagern.
Wie aber kann man die Bits verkleinern,
um die Kapazität zu erhöhen? Der Festplat-
tenhersteller Seagate setzt auf Heat-Assisted
Magnetic Recording (HAMR): Ein Laser heizt
das zu beschreibende Magnetmaterial kurz
auf, dann wird es beschrieben und kühlt ab.
Durch die Erwärmung ist eine geringere
Feldstärke zum Beschreiben notwendig, die
Köpfe können etwas dünner werden – und
somit auch die magnetischen Spuren. Mit
HAMR sind laut Marc Re, Chef des Unterneh-
mens, bereits heute Kapazitäten bis zu 2 TBit
pro Quadratzoll möglich, 2019 sollen es min-
destens 20 TByte sein. HAMR ist vor allem
für Unternehmenskunden interessant. Die
GETTY IMAGES
senmarkt ist. Ende 2016 wollte Seagate die
ersten Speicher mit dieser Technologie an
Pilotkunden ausliefern. Nun ist immerhin
von Ende 2018 die Rede.
Klar ist: Unternehmenskunden werden
auch in Zukunft grosse, relativ preiswerte
Festplatten brauchen. Daher setzt auch Wes-
tern Digital (WD) auf eine Optimierung des
Magnetspeichers – mittels Microwave Assis-
ted Recording (MAMR). Die Aufgabe des
Lasers übernimmt dabei ein Mikrowellen-
sender (Spin Torque Oscillator). Dieser
erzeugt Mikrowellen, die wiederum Reso-
nanzen bilden, die das Energiefeld des
Schreibkopfes verstärken. Dieser kann dank
der höheren Feldstärke kleinere Abschnitte
auf der Spur magnetisieren. Ein Vorteil: Der
Platter bleibt auf Raumtemperatur.
Western Digital (WD) kombiniert in man-
chen seiner Festplatten SMR und MAMR.
Ausserdem setzt WD in einigen Fällen – wie
Seagate und der Anbieter HGST – auf mit
Helium statt Luft gefüllte Festplatten. Das
Gas verringert die Reibung, was den Einbau
einer weiteren Scheibe im Festplattenstapel
ermöglicht. Allerdings müssen die Festplat-
ten aufwendig versiegelt werden, und das ist
teuer. 2019 will Western Digital erste MAMR-
Festplatten auf den Markt bringen. Sie sollen
40 TByte fassen.
Unternehmenskunden setzen vor allem
für stark frequentierte Anwendungen, etwa
von Online-Shops, auf Solid State Drives
(SSD). Durch das Fehlen beweglicher Bau-
teile sind SSD im Vergleich zu Magnetfest-
platten mechanisch wesentlich robuster,
haben sehr kurze Zugriffszeiten und erzeu-
gen keine Geräusche. Je nach Kapazität sind
sie aber bis zu zehnmal teurer. Deshalb
werden heute nur bessere Notebooks und
Desktop-PC mit SSD ausgeliefert.
Für den gesättigten PC-Markt prognosti-
zieren Marktforscher von Gartner aber für
SSD in den kommenden fünf Jahren ein jähr-
liches Absatzplus von 20 Prozent. Dem-
entsprechend würden Magnetfestplatten
Marktanteile verlieren. Letztgenannte Ent- dafür: Die Speicherdichte pro Chip steigt, meter Fläche schafft, erreicht die neuste Um die Festplatte
wicklung dürfte noch schneller gehen, wenn, nicht aber der Preis. Denn Hersteller setzen Generation des 3-D-NAND knapp 4 GBit. dreht sich alles:
wie ebenfalls vorausgesagt, in den nächsten zunehmend auf eine 3-D-Architektur von Dieses Jahr werden 96 Schichten zur Norm, Das Innenleben
fünf bis sechs Jahren bei SSD der Preis pro Flash-Speicher, der Basis eines SSD. mit Samsung und Toshiba haben bereits die eines Computers.
GByte um 75 Prozent sinkt. Wichtiger Grund beiden grössten Flash-Produzenten den
Speicherdichte wächst stark Umstieg angekündigt. Das würde einer Spei-
Das Stapeln von Flash-Zellen in vielen cherdichte von deutlich über 6 GBit auf
Nach dem Stapeln ist vor Schichten, also 3-D-NAND, macht das Ent- einem Quadratmillimeter entsprechen. Auch
wickeln immer kleinerer Strukturen über- das reicht aber wohl nicht. Deshalb schichten
dem Stapeln. Auch flüssig. Die erste Generation 3-D-NAND, die die Flashhersteller künftig nicht mehr nur
hier gilt ein alter Spruch Samsung 2012 herausbrachte, hatte 24 Zellen, sondern ganze 3-NAND-Blöcke auf-
der IT-Branche: Schichten aus Flash-Zellen. Mittlerweile sind
es 64. Die Speicherdichte wächst dadurch
einander. Nach dem Stapeln ist also vor dem
Stapeln, denn auch hier gilt ein alter Spruch
Gegen Speichermangel stark: Während selbst der neueste 2-D-Flash der IT-Branche: Gegen Speichermangel hilft
hilft nur Speicher. nur etwas mehr als 1 GBit pro Quadratmilli- nur Speicher.

Laufen und shoppen News

Mit Apps und Bezahlfunktion
macht die neue Sportuhr
Vivoactive 3 von Garmin den
Smartwatches Konkurrenz
Die Sportwatch Vivoactive 3 der Navigations-
und Wearable-Spezialistin Garmin ist auf
Menschen mit aktivem Lebensstil ausgerich-
tet, dank Apps ist sie zugleich eine Smart-
watch. Die 43 Gramm schwere Uhr mit 30
Millimeter Durchmesser ist aus Stahl und
Kunststoff gebaut und mit 11,7 Millimetern
recht flach. Bedient wird sie über eine Taste
und das farbige, transreflektive Touch-Dis-
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play mit MIP-Technik (Memory in Pixel). Die
Anzeige ist im Sonnenlicht gut zu lesen, bei
Berührung wird die Beleuchtung aktiviert.
Wie eine Smartwatch signalisiert die Vivo-
active auf dem Handy eintreffende Mails,
SMS und Mitteilungen durch Vibrieren und
zeigt den Inhalt an. Besitzer eines Android-
Handys können SMS auch via Uhr beantwor-
ten, beim iPhone geht das nicht. Auch der
Musikplayer des Smartphones lässt sich über
das Armgelenk steuern.
Die Vivoactive 3 ist das erste Modell der
Herstellerin, die dank NFC-Funk und Garmin
Pay als Portemonnaie dient. Nach der Akti-
vierung der Kreditkarte in der App konnten
wir mit der Uhr an Kassen mit NFC-Terminal
flink kontaktlos bezahlen. Unterstützt
werden Karten von Visa und Mastercard
mehrerer Kartenherausgeber.
tragen. Die Vivoactive registriert auch alltäg-
liche Daten wie Schritte, Treppenstufen, die
Schlafphasen, und über die Herzfrequenz-
variabilität errechnet sie den Stressfaktor.
Wie sich im Test gezeigt hat, tut sie dies
genau: Träumt man schlecht, schlägt auch
die Stressanzeige obenaus.
Über einen App-Store lässt sich die Uhr
erweitern. Hier findet man Zifferblätter und
Apps von der Smarthome-Steuerung bis zur
Info-App für Uber-Taxis. Für die Visualisie-
rung der Aktivitäten und Messwerte war
Die Sportuhr Vivo- Garmins Handy-App Connect (Android/
active 3 kostet iPhone) schon bisher die Messlatte. In der
rund 300 Franken. Version 2.0 legen die Amerikaner noch
einmal zu, was die statistischen Details und
die übersichtliche Darstellung angeht.
Eine Klasse für sich ist die Vivoactive 3
bei der Akkulaufzeit. Diese hängt von den
Bill Gates kritisiert Bitcoin
Die Microsoft-Gründer Bill Gates macht die
Kryptowährung Bitcoin für den Tod von
Menschen verantwortlich. Mit dem Krypto-
geld würden tödliche Drogen wie Fentanyl
gekauft und es würde von terroristischen
Netzwerken genutzt, meinte Gates. Der Mil-
liardär rät auch zur Vorsicht bei sogenannten
ICO (Initial Coin Offerings), die Firmen zur
Finanzierung ihrer Tätigkeit durchführen.
Statt Aktien geben sie dabei Firmenanteile in
Form von Krypto-Münzen aus – ohne Beteili-
gung von Banken oder der Börse. (hir.)
Flash-Format verschwindet
schneller als vermutet
Das Multimediaformat Flash von Adobe ver-
schwindet schneller aus dem Internet als
gedacht. Flash-Inhalte dienen zum Beispiel

9
15 Aktivitäts-Apps von Yoga über Laufen Aktivitäten und der gewählten Helligkeit ab. dazu, Bewegtbilder auf Webseiten einzubin-
neu und Schwimmen bis zu «Gassi gehen» sind Laut Garmin liegt die Laufzeit bei maximal den. Sie gelten jedoch auch als Sicherheits-
BANANA auf der wasserdichten Uhr vorinstalliert. Das
auch mit Barometer, Kompass und Thermo-
7 Tagen. Bei 50 Prozent Helligkeit haben wir
im Durchschnitt allerdings nur 5,5 Tage
risiko, weil Hacker schon häufiger bösartige
Flash-Dateien programmiert haben. Jetzt
BUCHHALTUNG
WINDOWS - MAC - LINUX - ANDROID - IOS
meter ausgestattete Modell zeichnet viele geschafft. Damit ist die in Shops für rund zeigt eine Erhebung von Google, dass die
Daten wie Zeit, Distanz, Pace, Herzfrequenz 300 Franken erhältliche Vivoactive 3 aber Benutzer des Chrome-Browsers kaum noch
Für kleine Unternehmer,
Freiberufler, Vereine und Private und selbst die Temperatur, Wind- und Geo- immer noch ein Dauerläufer im Vergleich zur Flash-Dateien laden. Nur noch 8 Prozent der
nur CHF Daten auf. Dank GPS werden absolvierte Konkurrenz, die bereits nach zwei Tagen Nutzer würden täglich eine Seite mit min-
www.banana.ch 129.- Strecken detailliert auf Google Maps einge- schlappmacht. Claude Settele destens einem Flash-Inhalt laden. (hir.)
Mensch& Medizin
Starkes Trinken
steigert Demenzrisiko
Wer oft und sehr viel
Alkohol konsumiert,
erhöht das Risiko, vor
dem 65. Lebensjahr
an einer Demenz
zu erkranken. Von
Gerlinde Felix
A
lkohol wirkt neurotoxisch.
Sowohl er selbst als auch sein
Abbauprodukt Acetaldehyd
schädigen direkt die Nerven-
zellen. Wie französische und
kanadische Mediziner berich-
ten, wurde die Gefährlichkeit der flüssigen
Droge aber bisher unterschätzt. Die im Fach-
blatt «The Lancet Public Health» veröffent-
lichten Ergebnisse der bisher grössten Studie
zum Thema zeigen: Alkoholkonsum erhöht
das Risiko für eine Demenzerkrankung noch
stärker als bisher gedacht – und insbesondere
vor dem 65. Lebensjahr.
Laut Definition der Weltgesundheitsorga-
nisation gilt bei Männern ein Konsum von
mehr als 0,7 Liter Wein oder 1,5 Liter Bier pro
Tag als gefährlich, bei Frauen sind es 0,5
Liter Wein oder 1 Liter Bier. Dabei wirkt Alko-
hol nicht nur als direktes Nervengift. Starkes
Trinken über längere Zeit kann einen Vit-
amin-B1-Mangel und infolgedessen Gedächt-
nisstörungen verursachen. Zudem steigt das
Risiko für Gehirnschäden durch Kopfverlet-
zungen, Epilepsie und Leberversagen. Alko-
holmissbrauch wird auch indirekt mit Durch-
blutungsstörungen im Gehirn assoziiert,
weil es Risikofaktoren wie Bluthochdruck
begünstigt. «Der pathophysiologische Link
zwischen Alkoholmissbrauch und Demenz
ist im Detail aber noch nicht geklärt», sagt
Thomas Leyhe, Leiter Alterspsychiatrie
Universitäre Psychiatrische Kliniken und
Felix-Platter-Spital Basel.
Für ihre Studie nutzten Michael Schwar-
zinger von der Université Paris Diderot
und dem Translational Health Economics
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Übermässiger Alkoholkonsum ist eine der Hauptursachen für eine früh einsetzende Demenz.
Network in Paris und seine Kollegen die
Krankendaten von mehr als 32 Millionen
Patienten, die zwischen 2008 und 2013 in
französische Spitäler eingeliefert wurden.
Etwa 1,1 Million dieser Patienten litten an
einer Form von Demenz. Bei knapp 950 000
der 32 Millionen Patienten hatten die Medizi-
ner Alkoholmissbrauch festgestellt. Wie die
Analyse ergab, war der Anteil von Demenz-
patienten bei der Gruppe mit problemati-
schem Alkoholkonsum erhöht. So wiesen
Alkoholkranke bzw. -abhängige Patienten ein
über 3-mal so hohes Demenzrisiko aus im
Vergleich zu Personen ohne Alkoholproblem.
«Das stellt eine sehr deutliche Risiko-
erhöhung dar», sagt Leyhe.
Stigma verhindert Diagnose
Besonders ausgeprägt war der Zusammen-
hang zwischen Alkoholkonsum und Demenz
vor dem 65. Lebensjahr. Insgesamt litten
etwa 57 000 Personen an einer Frühform von
Demenz – zwei Drittel Männer und ein Drittel
Frauen. Bei 39 Prozent dieser Personen
waren die Hirnschäden erwiesenermassen
alkoholbedingt, bei weiteren 18 Prozent lag
eine Diagnose von Alkoholmissbrauch vor.
Der Zusammenhang zwischen Demenz
und Alkoholkonsum könnte sogar noch stär-
ker sein, da in dieser Studie nur berücksich-
tigt werden konnte, wenn der Alkoholmiss-
brauch als solcher diagnostiziert wurde.
Aufgrund der Stigmatisierung der Betroffe-
nen wird die Diagnose laut Leyhe aber oft
nicht gestellt. «Die Studienergebnisse deuten
an, dass starker Alkoholkonsum und Alko-
holerkrankungen sehr wichtige Risikofakto-
55
Ständiger
Blasendrang
PETER ZELEI / GETTY IMAGES
Diagnose
Andrea Six
M
it Fieber und einem nie
enden wollenden Harn-
drang schleppt sich der
62-Jährige ins Spital.
Zwar hatte man ihm erst
vor kurzem Antibiotika
verschrieben, weil man seine Beschwer-
den für eine Harnwegsinfektion hielt.
Sechs Wochen musste er die Medika-
mente einnehmen – geholfen haben sie
aber nicht. Weiterhin muss der Mann
permanent zur Toilette und kehrt relativ
erfolglos und mit Schmerzen im Damm-
bereich zurück.
Im Spital grübeln die Ärzte über der
Krankenakte. Die Antibiotika-Therapie
hätte eigentlich anschlagen müssen. Und
eine Prostataoperation vor einigen Jahren
ist auch unproblematisch verheilt. Sie
beschliessen, eine neue Testreihe mit den
10
ren für eine Demenz sind und besonders im nötigen Laborparametern durchzufüh-
Zusammenhang mit jenen Demenzformen ren. Doch alle Werte sehen normal aus.
relevant sind, die vor dem 65. Lebensjahr Auch ein Ultraschall von Nieren und Blase
g beginnen und zu einem vorzeitigen Verster- zeigt lediglich gesunde Organe.
ben führen», sagt Jürgen Rehm vom kanadi- Schliesslich taucht auf dem Bildschirm
Alkohol entsprechen schen Centre for Addiction and Mental des Ultraschallgeräts eine Schwellung auf,
etwa 1 dl Wein oder Health, der ebenfalls an der Studie beteiligt die nicht normal ist: Dort wo sich eine
einer Stange Bier. war. Die Lebenserwartung verkürze sich kleine Drüse an die Harnröhre schmiegen
Bei Männern gelten durch eine Alkoholerkrankung um mehr als sollte, stimmt etwas nicht. Beim gesun-
mehr als 60 Gramm 20 Jahre, und eine Demenzerkrankung sei den Mann produziert die erbsengrosse
reiner Alkohol pro laut Rehm eine der Haupttodesursachen. Bulbourethraldrüse den «Lusttropfen»,
Tag als gefährlich, der vor der Ejakulation austritt. Eine
bei Frauen mehr als Hausärzte sind gefordert Magnetresonanztomografie zeigt jedoch,
40 Gramm. Alkoholinduzierte Gehirnschäden und dass sich eine eitrige Entzündung in der
Demenz sind vermeidbar, sagt Rehm. Er for- Drüse gebildet und abgekapselt hat.
dert deshalb Konsequenzen. Als Gegenmass- Erneut werden dem Mann Antibiotika
nahmen empfehlen die Studienautoren gespritzt und man entlässt ihn scheinbar
unter anderem ein Werbeverbot und höhere gesund.
Steuern auf alkoholische Produkte. Leyhe Nach zwei Wochen erscheint der
sagt: «Wichtig ist, dass Hausärzte bei ihren Patient allerdings schon wieder. Schlim-
Patienten stärker auf Alkoholmissbrauch mer sei es geworden, berichtet er. Ein
achten und Betroffene auf das Problem Ultraschallbild zeigt jetzt, dass die Ent-
ansprechen.» Gerade das Risiko, frühzeitig zündung bereits auf den Penis übergreift.
an einer Demenz zu erkranken, liesse sich Bei einer Operation entfernen Chirurgen
durch Verzicht auf übermässigen Alkohol- das vereiterte Gewebe erfolgreich. Ein
konsum deutlich verringern. neuer Test ergibt, dass ein bisher über-
Welcher Alkoholkonsum gilt als unbe- sehener aggressiver Eitererreger am Werk
denklich? Als allgemeiner Orientierungs- war. Dieses Mal erhält der 62-Jährige
rahmen für einen risikoarmen Konsum endlich die heilenden Medikamente und
gelten laut dem schweizerischen Bundesamt muss sie für vier Wochen über einen
für Gesundheit folgende Mengen: 1 bis maxi- Schlauch direkt in die Harnröhre applizie-
mal 2 Standardgläser pro Tag für eine ren. Nach dieser Behandlung ist er
gesunde erwachsene Frau, 2 bis maximal 3 endgültig von seinem Leiden befreit.
Standardgläser pro Tag für einen gesunden
erwachsenen Mann. An zwei Tagen pro Quelle: «Urology Case Reports», Bd. 15,
Woche sollte zudem ganz auf Alkohol ver- S. 48.
zichtet werden. Weniger ist besser!
HIRSLANDEN
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DerOscarstehtfür
Chancengleichheit
Heute Nacht werden in Los Angeles zum 90. Mal die Academy Awards verliehen. Der Preis
spiegelt den Zeitgeist und ist als Chiffre des American Dream der Beweis dafür, dass
dank Talent und harter Arbeit jeder und jede reüssieren kann, schreibt Christian Jungen
W
enn die Fuss-
ball-WM beginnt,
freuen sich die
Sportredakteure.
Wenn die Saison
der Mode-Schauen
vor der Tür steht,
verspüren Stil-Gurus ein Kribbeln im
Bauch. Wenn die Academy Awards anste-
hen, schnöden jedoch viele Filmkritiker,
obwohl der Oscar der einzige Kulturpreis
ist, für den sich eine breite Öffentlichkeit
interessiert. Eine Milliarde Zuschauer welt-
weit verfolgt die Übertragung am Fernse-
hen, viele fiebern ihr entgegen. Zum Ver-
gleich: Die Eröffnung der letzten Olympi-
schen Winterspiele schauten 300 Millio-
nen. Der Vorwurf der Kritiker: Oscars =
Hollywood = Kommerz = pfui. Es gewinne
ohnehin immer jener Film, für den die
mächtigen Studiobosse (ihr Lieblingskli-
schee) am meisten Geld ausgeben.
Vorgetragen wird dieses Argument meist
von Kritikern des geistigen Jahrgangs 1968
und ihren Jüngern – oft Leute, die noch nie
in Los Angeles waren und zuweilen die
Academy of Motion Picture Arts and Scien-
ces (die Oscar-Academy) mit der Motion
Picture Association of America (die Lobby-
organisation der Studios) verwechseln.
Das Argument ist nachweislich falsch.
Wenn es nur ums Geld ginge, warum hat
dann 2010 die kleine Indie-Produktion
«The Hurt Locker» (Einspielergebnis 49
Millionen Dollar) den grössten Kassen-
schlager aller Zeiten «Avatar» (2,8 Milliar-
den) geschlagen? Warum gilt denn dieses
Jahr laut «Hollywood Reporter» in der
Kategorie «bester fremdsprachiger Film»
das chilenische Drama «Una mujer fantás-
tica» über eine Transsexuelle als Favorit?
Grössere Vielfalt als früher
Der von Neidgenossen gegenüber dem
sechsfachen Oscargewinner Arthur Cohn
bemühte Vorwurf, man könne Oscars mit-
tels Gefälligkeiten «kaufen», zeugt ohnehin
von Ignoranz oder im besten Fall von Naivi-
tät: Die Oscar-Academy zählt 8300 Mitglie-
der. Die Wahlberechtigten küren den
besten Film nach dem Präferenzsystem,
das heisst, sie hierarchisieren die neun
Nominierten nach ihrem Gusto, wobei der
erste Titel am meisten Punkte, der letzte
am wenigsten bekommt. Da ist es schlicht
und einfach unmöglich, genügend Stim-
men zu «kaufen». Natürlich gibt es, wie in
allen Bereichen des Lebens, Günstlinge, die
Geschenke annehmen. Aber die meisten
Mitglieder sind kunstsinnige Cineasten wie
zum Beispiel Markus Imhoof, die seriös die
Filme schauen und Exzellenz honorieren.
Dass weniger Geld als vielmehr Qualität
zählt, zeigt das diesjährige Tableau der
Peter Haffner
Er legt einen starken
Krimi vor 59
NZZ am Sonntag 4. März 2018
57
Kategorie «bester Film»: Obwohl Warner
Bros. viel Geld in die Kampagne steckte,
fehlt die langatmige Fortsetzung «Blade
Runner 2049». Dafür figurieren darauf das
experimentelle Meisterwerk «Dunkirk» von
Christopher Nolan, der schwule Liebesfilm
«Call Me by Your Name» des Italieners Luca
Guadagnino, der unabhängig produzierte
Erstling «Lady Bird» der 34-jährigen Greta
Gerwig und der Überraschungshit «Get Out»,
ein satirischer Horrorfilm über den Rassis- «The Shape of Water»
mus von weissen Liberalen. Das Schöne an von Guillermo del Toro ist in
dieser Vielfalt ist, dass sie nicht von einem 13 Kategorien nominiert.
Gremium am Reissbrett entworfen wurde,
wie das oft an Filmfestivals geschieht, wo
Jurys gerne politisch korrekte Kompromiss-
Palmarès erstellen. Sie sind das Resultat
einer freien demokratischen Abstimmung.
Sie lieben den Underdog
Und dies hebt die Oscars denn auch von
anderen Filmpreisen ab: Der Gewinner erhält
die Anerkennung von den Besten seines
eigenen Fachs. Deshalb ist der Academy
Award das Eintrittsticket in den Kanon. Und Das Coming-of-Age-Drama
allen Disputen über einzelne Entscheide zum «Lady Bird» von Greta Gerwig
Trotz muss man anerkennen, dass die ist für fünf Oscars nominiert.
Gewinner vor der Geschichte bestand haben,
auch in Nebenkategorien wie beste visuelle
Effekte oder bestes Kostümdesign.
Der Oscar soll «heute ausgezeichnete
Leistungen anerkennen und so andere dazu
inspirieren, morgen noch bessere Leistungen
zu vollbringen», hielt MGM-Mogul Louis
B.Mayer, einer der Gründerväter des Oscars,
1927 fest. Tatsächlich steht der Oscar für den
American Dream und ist ein Beweis dafür,
dass jeder und jede es dank Talent und Fleiss
zu Erfolg bringen kann, so wie es die jüdi- «Una mujer fantástica»
schen Einwanderer aus Osteuropa vormach- hat laut «Hollywood Reporter»
ten, die Anfang des 20. Jahrhunderts die 38 Prozent Siegeschancen.
Studios gründeten. Das protestantische
Ethos von «hard work» wird von der Aca-
demy besonders honoriert. Deshalb gewin-
nen oft Stars, die an die Leistungsgrenzen
gingen wie Robert De Niro, der für «Raging
Bull» boxen lernte und 27 Kilo anfutterte.
Das sei doch alles nur ein Mythos, entgeg-
nen Kritiker, ethnische Minderheiten seien
unterrepräsentiert und hätten geringere
Chancen zu gewinnen als Weisse. Das
stimmte zwar, aber die Academy hat nach
dem #OscarsSoWhite-Protest von 2015 Geheimtipp: Der Horrorfilm
(über-)reagiert und sehr viele Frauen, «Get Out» von Jordan Peele ist
Schwarze, Asiaten und Latinos aufgenom- für 4 Oscars nominiert.
men. Dass die Oscars nur eine Selbstbeweih-
räucherung der Privilegierten seien, ist eine
Stammtischbehauptung, die den Fakten
nicht standhält. Gerade weil Hollywood
und die Oscar-Academy von Einwande- Der Oscar ist 34
rern gegründet wurden, haben sie ein Zentimeter gross, drei
Faible für den Underdog. Und weil sie Kilogramm schwer und
mit einer 24-karätigen
Fortsetzung Seite 59 Goldschicht überzogen.
Lukas Bärfuss AfD und Alt-Right Trend bei Museen
«Die Schweiz ist Rechts marschieren, Sie setzen wieder auf
des Wahnsinns» 61 links posieren 62 ihre Sammlungen 63
58 Kultur Sponsored Content für Südtirol NZZ am Sonntag 4. März 2018

FOTOS: TOURISMUSVEREIN KALTERN (HELMUTH RIER), TOURISMUSVEREIN MARLING (DAMIAN PERTOLL), TOURISMUSVEREIN ALGUND (FRIEDER BLICKLE)

Der Weinweg am Kalterer See führt

durch eine wahre Bilderbuchlandschaft.

WeingenussinbesterLage
Südtirol macht gute Laune – mit einer Vielfalt edler Tropfen und lehrreichen Wanderwegen durch
eine einzigartige Kulturlandschaft. Von NZZ Content Solutions
Wein ist ein Erlebnis für die Sin- wöhnliche Vielfalt auf nur 5400 farben leuchtet, seinen Namen de rundum überzeugt haben. Für Weinguts Schloss Plars geführte
ne: Man sieht, riecht, schmeckt. Hektar. Südtirol, eines der kleins- gegeben. Dieser unkomplizierte Kaltern ist die Charta beides, eine Touren mit Verkostung entlang
Wein aus Südtirol
Jeder Schluck ein Genuss, der die ten Anbaugebiete Italiens, zeigt Genuss mit weichen Gerbstoffen Hommage und ein Versprechen – des Algunder Weinlehrpfads an.
grosse Tradition des Weinbaus grosse Klasse. und angenehmer Säure wird – na- die Zukunft des Weins hat hier
spürbar werden lässt. In Südtirol Das kann jeder selbst erfahren, türlich – aus der autochthonen schon begonnen. Der Marlinger Rundweg
findet diese jahrtausendealte der sich auf den Weg macht nach Vernatschtraube gekeltert. Sie ist Der wahre Star des «WeinKultur-
Kulturtechnik ideale Bedingun- Kaltern, Algund oder Marling. die meist angebaute Südtiroler Neuer Lehrpfad in Algund Weg Marling» ist die Kulturland-
gen. Rebsorte, Boden, Wetter, Einfach feste Schuhe anziehen, Rebsorte und rankt sich traditio- Weindorf, Apfeldorf, Gartendorf: schaft. Pergeln und Spalieranbau,
Wind und Winzerkönnen – es und ab geht’s durch Kulturland- nell an «Pergeln» entlang. Diese Die milde Luft des Südens meint Wein und Obst, der Blick über die
muss alles stimmen, damit aus schaften, in denen der Weinbau Form der Reberziehung gibt es es besonders gut mit Algund bei Terrassenlagen von Marling, auf
Trauben edle Tropfen werden. bereits seit drei Jahrtausenden zu nur hier zu sehen. Dabei wird die Meran. Schon früh im Jahr ver- hohe Gipfel und sanfte Moränen-
An Etsch und Eisack ist das Zu- Hause ist und seit jeher Genuss, Rebe an einem Holzgerüst hoch- wandelt sich der Ort mit dem sub- hügel – ein Gesamtkunstwerk, Traubenlese auf dem Weingut
sammenspiel von Klima und Ter- Natur und Lebensfreude zu ver- gezogen, Triebe und Rebschenkel mediterranen Mikroklima in ein das sich tief in die Erinnerung Schloss Plars in Algund.
roir geradezu perfekt. Denn im binden weiss. Beginnen wir mit sind hoch über dem Boden aufge- Blütenmeer. Erst kommen die eingräbt. 2016 wurde der Rund-
Norden blocken die Alpen kalte Kaltern, das zu den schönsten bunden und bilden eine Art Dach, Mandeln, dann Kirschen und Äp- weg angelegt. Auf zahlreichen – Mit einer Rebfläche von 5400
Winde ab. Von Süden wiederum, und beliebtesten Weindörfern eine Pergola, die typische Pergel. fel. Obst- und Weinbau haben in metallenen Info-Stelen, die Fass- Hektar und 1 Prozent der nati-
dort wo Oliven- und Feigenbäume Europas zählt. Was diesen Ort so Wer seine Wanderung in Kal- der Kulturlandschaft am Algun- dauben nachempfunden sind, er- onalen Weinproduktion ist
prächtig gedeihen, wirken warme unverwechselbar macht? Vieles! tern beginnt, am besten auf dem der Waal eine jahrhundertelange fährt man en passant alles über Südtirol eines der kleinsten
Strömungen auf das Land. Diese Wer hat schon, zum Beispiel, eine beliebten «wein.weg», kann die Tradition. Auf dem neu errichte- Land und Leute – und über den Weinbaugebiete Italiens.
besondere Lage mit mehr als 300 eigene «Charta» für den heimi- Pergeln gar nicht übersehen. Los ten Wein- und Themenlehrpfad Weinbau damals und heute. Wer – 20 Rebsorten finden hier dank
Sonnentagen pro Jahr beschert schen Wein? Doch eins nach dem geht’s am Marktplatz, dem Dreh- lässt sich vieles entdecken und sich den Alltag der Weinmacher unterschiedlichem Terroir und
Südtirol ein unvergleichlich mil- anderen. und Angelpunkt des malerischen Wissenswertes mühelos erwan- nicht so recht vorstellen kann, ist einzigartigen klimatischen Be-
des, alpin-kontinentales Klima. Ortes. Etwa 3 Stunden benötigt dern – auch ein Beitrag gegen das in Marling genau richtig. Drei Tra- dingungen perfekte Standorte.
Grosse Temperaturunterschiede Pergeln am Kalterer See man für die 9,3 Kilometer lange schleichende Vergessen. ditions-Werkzeuge im XXL-For- – Etwa 60 Prozent der in Süd-
zwischen Tag und Nacht, genü- Die am Fuss des Mendelkamms Route, die in einer Art Achter- 15 Info-Stelen, geformt wie mat erzählen ihre Geschichten: tirol produzierten Menge ent-
gend Niederschläge – all das ist gut gelegene Marktgemeinde mit ih- schleife über einen bereits beste- Weinblätter, säumen den Pfad und Der Reber, ein gebogenes Reb- fallen auf Weissweine, 40 Pro-
für den Wein. Vor allem aber ren 8000 Einwohnern besticht henden Rundwanderweg zum erzählen von alten Rebsorten, von messer, das noch heute zum Ein- zent auf Rotweine, darunter
punktet Südtirol mit einem brei- schon auf den ersten Blick durch Kalterer See führt, vorbei an ro- Trockenmauern und ihren kleinen satz kommt; ein Moster, ur- der fruchtig-frische Vernatsch
ten Spektrum an verschiedenarti- ihre Nähe zu den Bergen und ei- mantischen Weinhöfen und ge- Bewohnern, von Gesteinssorten sprünglich zum Zerstossen der aus dem Anbaugebiet von Kal-
gen Böden. Sie verwandeln die nem wunderschön gelegenen Al- schichtsträchtigen Lagen, den so- und Mythen aus grauer Vorzeit. Maische verwendet, und die Pa- tern am See.
sonnigen Hänge auf 200 bis 1200 pensee: Der bekannte Kalterer See genannten Riegeln. Immer wieder Sie erklären für jeden verständ- zeide, ein uraltes Wein- und – Seit über 100 Jahren werden
Metern Höhe in einzigartige Wein- hat dem hiesigen, fast noch be- tritt man hier auf Schwellen aus lich, wie man anbaut, erntet und Messgefäss, das im Original exakt neben den autochthonen
lagen mit mehr als 20 verschiede- rühmteren Rotwein, der manch- Kalkstein mit historischen Rie- verarbeitet, und was es mit dem 6,366 Liter fasst. Weinsorten Vernatsch,
nen Rebsorten. Eine ausserge- mal hell, manchmal kräftig rubin- gelnamen, die aus dem Rätoroma- «Saltner» in seiner imposanten Auf der 4 Kilometer langen Lagrein und Gewürztraminer
nischen stammen: Vial, Prunar, Tracht auf sich hat. Ein wichtiger Route sollte man häufiger Station auch alle anderen wichtigen
Puntara oder Palurisch, Salt und Mann, so ein Saltner: Er musste machen, unbedingt. Zum Beispiel klassischen Rebsorten ange-
Plantaditsch – das tönt stark nach früher die reife Ernte schützen bei der Kellerei Meran Burggräf- baut: Blauburgunder, Merlot
«Süden». Doch wer in Kaltern, und Traubendieben das Hand- ler, der einzigen Genossenschaft und Cabernet, Ruländer oder
dem Süden im Norden, als Winzer werk legen. in Meran und Umgebung. 400 Chardonnay.
reüssieren will, muss höchsten Weinbauern sind unter ihrem – 98 Prozent der Südtiroler Reb-
Qualitätsansprüchen genügen. Touren mit Verkostung Dach vereint. Oder man kehrt bei flächen sind DOC-klassifiziert,
Und damit kommen wir zurück Entlang des 6 Kilometer langen einem der Winzer ein, zum Ver- ihre Weine weisen also eine
zur Charta: Diese Selbstverpfl
flich- Waalwegs, der oberhalb von Al- kosten, Besichtigen und Fachsim- kontrollierte Ursprungsbe-
tung ist das Herzstück einer Qua- gund im Burggrafenamt verläuft, peln. In Marling liegen ausserge- zeichnung auf. Das ist italien-
litätsoffensive, die die Weinwirt- bieten sich dem Wanderer herrli- wöhnlich viele Weingüter gleich weit spitze.
schaft des Dorfes vor wenigen che Ausblicke über das gesamte im Dorf, ihre Keller stehen für – Der bekannte Weinführer Itali-
Jahren gestartet hat. Unter dem Etschtal. Und wer noch nicht Gäste immer offen. Da fehlt noch ens «Vini d’Italia» aus dem Ver-
Label «wein.kaltern» geht es um weiss, was «Waale» sind, erfährt etwas zum guten Schluss? Selbst- lag Gambero Rosso verleiht an
Authentizität, um erstklassige es hier an Ort und Stelle: Alte, verständlich, auch zwei Grappa- die Weine des Landes seit Jah-
Qualität im Weinberg wie im Kel- künstlich angelegte Wasserläufe, Brennereien liegen auf dem ren die meisten Höchstnoten
ler und um strenge Prüfung durch die zum Teil auch heute noch der «WeinKulturWeg Marling». (cg) im Verhältnis zur Rebfläche.
internationale Weinfachleute. Ein Bewässerung von Feldern und www.kaltern.com
jährlicher Härtetest. Das begehrte Fluren dienen. Noch weitere Wis- Dieser Artikel wurde von www.algund.info
Gütesiegel dürfen nur jene Kalte- senslücken? Keine Sorge, jede NZZ Content Solutions im Auftrag www.marling.info
Stelen am «WeinKulturWeg Marling» geben Auskunft. rer-See-Weine tragen, die am En- Woche bieten die Winzer des von Südtirol erstellt.
NZZ am Sonntag 4. März 2018
Kultur 59

ErkenntdieWelt
Peter Haffner hat mit
AYSE YAVAS

«So schön wie tot»

einen witzigen und
abgründigen Berliner
Krimi geschrieben:
Ein Buch, das in
der Tradition von
Raimond Chandlers
Detektiven steht.
Von Manfred Papst

L
arry B. Hardy ist ein Privat-
detektiv, wie er im Buch steht:
abgebrannt, mit seiner Frau
verkracht, ohne Aufträge, seit
er aus blossem Missgeschick
den falschen Mann erschossen
hat und der Fall durch die
Presse geschleift wurde. Da sitzt er nun in
Berlin, drittes Stockwerk, zweite Tür rechts,
in seiner typischen Arbeitshaltung – die
Füsse auf dem Tisch, die Hände hinter dem
Kopf –, als es tatsächlich klingelt.
Ein junges Mädchen in Minirock und
Sneakers sucht seine Hilfe. Auf der Innen-
seite ihres linken Oberschenkels ist eine
langstielige Rose tätowiert. Ein selbst-
bewusstes Gör für seine vielleicht sechzehn
Jahre, «charmant wie eine frischgeschlüpfte
Kobra». Maddie McCullen ist die Tochter
eines berühmten Krimiautors, und der ist
seit einer Woche spurlos verschwunden.
Larry soll ihn finden. 10 000 Euro beträgt die
Anzahlung. Ihr Vater habe keine Feinde, sagt
Maddie, «bis auf seine Frau».
So beginnt der neue Kriminalroman des
Zürcher Journalisten Peter Haffner, bekannt
als Korrespondent in Amerika, Polen und
Deutschland. Der 1953 geborene Autor, der
nach vielen Jahren beim «NZZ-Folio» und
beim «Magazin» als selbständiger Reporter
arbeitet, zählt zu den Besten seines Fachs.
Nicht ohne Grund wurde er mit dem Egon-
Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet. In seinen
Reportagen und philosophisch-politischen
Essays verbindet er genaue Beobachtung
und Gründlichkeit mit glänzendem Stil.
Witzig und belesen ist er ohnehin.
Im Showdown gewinnt
die Geschichte eine
Dringlichkeit und
Wucht, die über alles
raffinierte Entertainment
hinausgeht.
Natürlich steht sein Roman «So schön wie
tot» in einer Tradition. Es ist die der «Hard-
boiled»-Autoren Raymond Chandler und
Dashiell Hammett, die mit Philip Marlowe
und Sam Spade klassische Ermittler schufen:
hartgesottene Burschen, die oft am Rande
der Legalität agieren, ganz anders als Sime-
nons Kommissar Maigret und Glausers
Wachtmeister Studer, die ihre Fälle durch
Zuhören und Nachdenken lösen.
Peter Haffner beherrscht die Technik der
Detective-Story aber nicht nur, er parodiert
sie auch und dreht sie weiter. Zunächst denkt
Larry, die 10 000 Euro seien leicht verdientes
Geld; schliesslich kann ein bekannter Ameri-
kaner in Berlin ja nicht so schwer zu finden
sein. Doch dann wird es rasch komplizierter.
Larry ist seinen Vorschuss sehr schnell
wieder los, seine ukrainische Assistentin, die
beste, die er je hatte, muss weiter auf ihren
Lohn warten, und Larry findet die Ehefrau
des Gesuchten – heimtückisch ermordet in
ihrer Badewanne. Damit nicht genug: Als-
bald zählt er selbst zu den Tatverdächtigen.
Jemand hat ihm einen Dietrich untergeju-
belt, mit dem die Badezimmertür geöffnet
worden sein soll.
Jetzt wird es richtig eng und ungemütlich.
Zu Larrys Ärger mit seiner Ex kommen seine
Schwierigkeiten mit der russischen Mafia. Ist
er noch der Ermittler oder nicht vielmehr der
Verfolgte, einer, der immer tiefer in die Bre-
douille gerät?
Haffner versteht es, die verschiedenen
Handlungsstränge seines Romans trefflich zu
verknüpfen und der Geschichte immer neue
Wendungen zu geben. Wir beginnen zu
ahnen, dass hier alles auf geheimnisvolle Art
zusammenhängt, und folgen der Geschichte
so gespannt wie amüsiert. Im Showdown
aber gewinnt sie eine Wucht und Dringlich-
keit, die über alles raffinierte Entertainment
hinausgeht. Da lesen wir eine Parabel von
Schuld und Sühne, von Selbstgerechtigkeit,
religiösem Fanatismus und vernichtender
Schicksalsverstrickung, die uns in die Kno-
chen fährt. Beim ersten Lesen dieser
Abschnitte mögen wir irritiert sein, weil mit
ihnen eine so ganz andere Tonalität ins Buch
kommt, doch dann merken wir, dass der
Wahn konsequent einer der Hauptpersonen
zugeordnet ist und von Larry nicht als eigene
Gedankenwelt referiert wird.
An diesem Roman fasziniert, dass Peter
Haffner zwar über einen unverkennbaren
Stil, aber auch über eine breite Palette von
Ausdrucksformen verfügt. Er kann schnelle
Dialoge von trockenem Humor schreiben.
Wer Sätze wie «Ich brauche jetzt etwas gegen
die Gesundheit» und «Schwarze Seelen
tragen weisse Hemden» oder Wörter wie
«Migrationsvordergrund» zu schätzen weiss,
kommt hier auf seine Rechnung. Haffner
kann aber auch gleichsam im Vorübergehen
die «Nemesis Divina», das unheimliche Buch Peter Haffner zählt
über die «göttliche Rache» aus der Feder des zu den namhaften
schwedischen Naturforschers Carl von Linné Journalisten im
(1707–1787), erklären, das Werk eines beses- deutschen Sprach-
senen Systematikers, der Ordnung in das
Chaos der Moral bringen wollte und sich
raum. Bekannt
wurde er vor allem
dabei die grausamsten Spiegelstrafen aus- durch seine Essays
dachte. «Womit einer sündigt, damit wird er und Reportagen.
bestraft.» Das ist notabene nicht einfach ein
kleiner bildungsbürgerlicher Exkurs, son-
dern hat seinen genauen Platz im Text. Da
wird es richtig heftig.
Peter Haffner versteht es, uns die ver-
schiedensten Milieus nahezubringen. Die
Berliner Szenekneipe «Zwiebelfisch» am
Savignyplatz, wo der faule alte Kater Zappa
auf der Bartheke liegt, wird bei ihm ebenso
lebendig wie eine Nobelhochzeit im Manda-
lay Bay Hotel in Las Vegas, wo die Barbaren
Champagner mit Brandy trinken, bevor sie in
der Stretchlimousine zur weissen Trauungs-
kapelle fahren.
Dieser Autor kennt die Welt. Er betrachtet
sie mit Skepsis, wachem Verstand und sou-
veränem Spott, aber auch mit Liebe und Ver-
ständnis. Eines seiner bewährten Stilmittel
ist – wie bei Woody Allen – der bewusst über-
treibende Vergleich. Eine reizvolle Technik,
aber auch eine höchst gefährliche, weil die
Dosierung so heikel ist. Hier funktioniert sie
– als Teil eines rundum gelungenen, mit
sicherer Hand und köstlichem Humor
geschriebenen Romans.
Peter Haffner: So schön wie tot. Nagel &
Kimche. 302 S. Fr. 31.90, E-Book 23.–. Buch-
vernissage: Kosmos, Zürich, 7. März, 20 Uhr.

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Der Oscar... dem Regisseur und Drehbuchautor von Mode, Schönheitsideale, Moralvorstellungen
REUTERS

«Moonlight», ein Afroamerikaner, der in und Politik der Zeit.

Fortsetzung von Seite 57
alles dem Erfolg unterordnen, gilt die Devise
«talent is king». So kommen im Film, wie im
Fussball, wo oft hungrige Secondos zu Stars
avancieren, seit je die Emporkömmlinge zum
Zug. Ein typisches Beispiel dafür ist der Italo-
Amerikaner Sylvester Stallone. Er wuchs in
armen Verhältnissen im New Yorker Quartier
Hell’s Kitchen auf – der von ihm selbst
geschriebene «Rocky» gewann 1977 trotz
Konkurrenz von «Taxi Driver» und «All the
President’s Men» den Oscar als bester Film.
Historiker Emanuel Levy schreibt im Buch
«All About Oscar», dass der Oscar ein «Vehi-
kel für Mobilität nach oben» sei, mehr als die
Hälfte der bisher nominierten Schauspiele-
rinnen und Schauspieler stammen aus
«armen, bildungsfernen Familien». Gerade
letztes Jahr reüssierte mit Barry Jenkins,
armen Verhältnissen in einem Schwarzen-
Ghetto in Miami aufgewachsen ist. «Die
Oscar-Awards stehen für grundlegende ame-
rikanische Werte wie Demokratie, Gleichheit,
Individualismus, Wettbewerb, Aufstiegs-
möglichkeiten, harte Arbeit, beruflichen und
monetären Erfolg», bilanziert Levy.
Dass die Show so glamourös ist, hat auch
mit der Sehnsucht der Aufsteiger nach Klasse
und Anerkennung zu tun. Gerade weil die
Anziehung des Oscars auf alle Schichten
unwiderstehlich ist, stimuliert der Preis
sozialpolitische Debatten: Zuletzt über die
Karrierechancen von Minderheiten und
heuer über Sexismus in der Traumfabrik.
Vertreterinnen der Bewegung Time’s Up, die
gegen sexuelle Belästigung kämpft, erhalten
während der Verleihung Redezeit. Die
Awardshows kommen dann als Einmach-
gläser des Zeitgeistes ins Archiv. Wer Auf-
nahmen von früher schaut, erfährt viel über
Bleibt der Vorwurf, die Show sei langwei-
lig. Stimmt schon, da wird prickelndes Enter-
tainment für zwei auf vier Stunden ausge-
walzt. Aber come on, wir klagen auf hohem
Niveau. Die Moderatoren spielen mit ihren
frechen Sprüchen ironisch auf Filme an, die
schlichte Kommemoration der Toten ist
berührend, und generell changieren die Pro-
Sozialer Aufsteiger: duzenten der Show grandios zwischen der
Barry Jenkins protokollarischen Feierlichkeit einer Nobel- Landestheater Detmold
mit seinem Oscar
für «Moonlight».
preis-Zeremonie und Bad-Taste-Einlagen
einer Shopping-Mall-Einweihung. Und das Die
Frotzeln über schlecht angezogene Stars und
ungelenke Dankesreden gehört zum Ritual.
Csárdásfürstin
Operette von Emmerich Kálmán
Natürlich werden morgen Montag um 6 Uhr,
8. bis 11. März
wenn alles vorbei ist, wieder viele schwören:
nie mehr! – und nächstes Jahr wieder zur
Viewing-Party erscheinen und voller Freude
die Favoriten auf dem Wettzettel ankreuzen. 052 267 66 80
theater.winterthur.ch
90. Oscars ab 00.40 Uhr live auf SRF 2.
60 NZZ am Sonntag 4. März 2018

KINO
Basel
Capitol 1+2 kitag.com
am SONNtag
Cinedome 1–8
The Post – Die Verlegerin
Criminal Squad
8.30
8.45
… Fortsetzung
D
D
OPER THEATER KONZERTE Eine Agenda für alles: www.kulturzüri.ch
Do 8. März, 20.30, Chorgasse. Mohamed Debussyy, Ravel,, Coupperin,, Jolivet
OPERNHAUS ZÜRICH
Di chli Häx 3 Dialekt
Die Biene Maja – die Honigspiele 3 D Kinok kinok.ch
Black Panther 6/9 E/d/f Leaning into the Wind 11 Ov/d Achour erzählt Casablanca. Gastspiel des Kelterborn UA,, Kessler
I, Tonya
The Shape of Water
6
9
E/d/f
E/d/f
Bis ans Ende der Träume
Michelangelo: Love and Death
12.50
2.30
Ov/d
Ov/d
044 268 66 66, opernhaus.ch Schauspiel Köln
kult.kino atelier 1–5 kultkino.ch China’s Van Goghs 4.20 Ov/d So 4. März, 11.15, Porträtkonzert Heinz
Michelangelo: Love and Death 11.15 E/d
Avant la fin de l’été
Loving Vincent
6
7.45
Ov/d
E/d/f Holligger. Brunchkonzert. 13.00 und GLARISEGGER CHOR
A Long Way Home
Das Erste und das Letzte
Maleika
11.30/5.20
12
12
Ov/d/f
Dialekt
D
Rex Studio 1–3
The Post – Die Verlegerin 2.30/5.15/8.15
kitag.com
E/d/f
15.00, Hexe Hillaryy geht in die Opper für THEATER RIGIBLICK 044 206 34 34, glariseggerchor.ch
Der Klang g der Stimme 1.15/7 Dialekt Three Billboards Outside Ebbing, Missouri 2.30/8.15 E/d/f Kinder ab 6 Jahren. 044 361 80 51, theater-rigiblick.ch Sa 17. März, 19.30, Tonhalle Maag
Di chli Häx 1.45 Dialekt
Brüder Löwenherz 2 D
Gotthard – One Life, One Soul
I, Tonya
3/5.30/8.30
5.15
Ov/d/f
E/d/f
19.00, Lunea. Oper von Heinz Holliger. So 4. März, 18.00. Pink Floyyd meets Edggar G. VERDI: REQUIEM. Zürcher Symphoni-
Call Me by Your Name 2/8.40 E/d/f
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri 2.15/6.10/8.30 E/d Scala 1–6 kitag.com Premiere Allan Poe mit Tribute-Band «Crazy ker. Leitung: Heinz Bähler
The Florida Project
Die vierte Gewalt
3/8.45
4
E/d/f
Dial/d/f
Red Sparrow
Wunder
2/5/8.15 D
2/8.30
5.15/8.30 E/d/f
D
Mo 5. März, 12.00, Porträtkonzert Heinz Diamond». Spiel: Daniel Rohr
Lucky
L’amant double
4.10/6.50
4.30/8.50
E/d/f
F/d
Black Panther – 3D 2.15/8.30 D 5.15 E/d/f Holligger. Lunchkonzert Di 6. März, 20.00. Tribute to Queen.
Di chli Häx 2.15/5 Dialekt
Le sens de la fête – C’est la vie
Phantom Thread
4.30/9
6.15
F/d/f
E/d/f Die Biene Maja – die Honigspiele – 3D 2.30 D Di 6. März, 19.00, Un Ballo. Choreografi- Premiere. Mit der A Cappella Band
Die Gentrifizierung bin ich. 6.45 D Wendy 2 – Freundschaft
Fift
f für immer
f y Shades of Grey – Befreite Lust
2.30
5.15/8.45
D
D en von Jiř í Kylián, Benoît Favre, Filipe BLISS, DJ Daniel Rohr und Musikern
Beichte eines Finsterlings
kult.kino camera 1+2 kultkino.ch
The Shape of Water
Darkest Hour – Die dunkelste Stunde
5.30
8
E/d/f
E/d/f
Portugal und Cayetano Soto Mi 7. März, 20.00. Kurt Weill: Die sieben
Bis ans Ende der Träume 10.30 D/d/f
Winterthur Mi 7. März, 18.00, Parsifal. Oper von Todsünden. Satirische Oper für eine
Ex Libris: The New York Public Library 10.45 E/d
Loving Vincent 12.10 E/d/f Kiwi Center 1–11 kiwikinos.ch Richard Wagner Sängerin, vier Sänger und Orchester
Darkest Hour 2/6 E/d
Mario 2.10/8.30 Dialekt Black Panther – 3D 2/5/8 D Do 8. März, 19.30, Lunea. Oper von Do 8. März, 20.00. Édith Piaf - Petite
Wendy 2 – Freundschaft f für immer 2 D
Dene wos guet geit
D’après une histoire vraie
4.20
4.30/8.45
Dial/d/f
F/d Die Biene Maja – die Honigspiele 2.15 D Heinz Holliger Grande Dame mit Sarah Madeleine
Papa Moll 2.15 Dialekt
7 jours pas plus 6.45 F/d
Di chli Häx 2.30/4.15 Dialekt Sa 10. März, 18.00, Oppernball Zürich Kappeler, Sylphe, Alexandre Pelichet.
Neues Kino neueskinobasel.ch Game Night 2.30/5.45/8.15 D So 11. März, 17.30, Parsifal. Oper von Glarisegger Chor am Sa 17. März
Keine Vorstellungen Hilfe, ich habe meine Eltern geschrumpft
f 2.30 D Regie: Anna Justice
Pathé Küchlin 1–8 pathe.ch Jumanji: Willkommen im Dschungel
The Post – Die Verlegerin
2.45/5.30/8.15
2.45/5.30/8.15
D
D
Richard Wagner Fr 9. März, 20.00. Erst versppottet - dann
Di chli Häx 10.15/1.30 Dialekt 10.45 D Die letzte Pointe 3/6/8.30 Dialekt
THEATER verehrt . Zur Komponistin Mel Bonis.
Darkest Hour – Die dunkelste Stunde
Wunder
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri
10.30
10.30
11
E/d/f
D
E/d/f
Wunder
Maze Runner – Die Auserwählten
3/5.45/8.30
4.45/8
D
D Mit Andrea Wiesli, Graziella Rossi. NEUE KONZERTREIHE ZÜRICH
Red Sparrow
Black Panther
11.10/2/5/8
3D: 11.50/7.50 E/d/f
2D: 6.30
D
5.10 D
D
in der Todeszone – 3D
Mario
Darkest Hour – Die dunkelste Stunde
5/8
5.15
Dialekt
D
SCHAUSPIELHAUS ZÜRICH Konzept: Armin Brunner 044 206 34 34, hochuli-konzert.ch
Mo 12. März, 19.30, Tonhalle Maag
Die Biene Maja – die Honigspiele 11.50/1.45/3 D Red Sparrow 5.15/8.30 D 044 258 77 77, schauspielhaus.ch Sa 10. März, 19.00. Nomozart - Youngg
Dieses bescheuerte Herz 1 D C’est la vie – Das Leben ist ein Fest
f y Shades of Grey – Befreite Lust
Fift
8.15
8.30
D
D So 4. März, 19.00, Pfauen. Homo faber Performance in Zürich. Lucerne Festival Vilde Frangg & Friends
f y Shades of Grey – Befreite Lust 1/8.10
Fift D
Papa Moll 1.15 D Kiwi Loge 1–3 kiwikinos.ch nach dem Roman von Max Frisch. on Tour Arensky, Enescu und Veress
The Post – Die Verlegerin
g 1.20 E/d/f 3.15/7.30 D
Ferdinand – Geht STIERisch ab!
Jumanji: Willkommen im Dschungel 3.45
3.30 D
D
Darkest Hour – Die dunkelste Stunde
The Shape of Water
2.15
2.30/5.30
E/d/f
E/d/f Regie: Bastian Kraft So 11. März, 18.00. Thomas Mann: Der
Game Night 3.50/6.15 D 8.30 E/d/f
/ Maleika
Gotthard – One Life, One Soul
3
5.30
D
Ov/d/f
19.00, Schiffbau/Halle. Zur schönen Zauberbergg. «Fülle des Wohllauts»
Bolschoi Theater Moskau: 4 Ov
The Flames of Paris Der Klang der Stimme 6 Dialekt Aussicht. Eine Komödie von Ödön von Spiel: Alexandre Pelichet. Regie: H.
Wendyy 2 – Freundschaft f für immer 4 D Call Me by Your Name 8 E/d/f
The Shape of Water 5.45 E/d/f Three Billboards Outside Ebbing, Missouri 8.15 E/d/f Horváth. Regie: Barbara Frey Betschart
Hilfe, ich habe meine Eltern geschrumpft
f 6 D I, Tonya 8.30 E/d/f
C’est la vie – Das Leben ist ein Fest 6.15 D Maxx 1–6 kitag.com
19.30, Pfauen/Kammer. Supper Food
Alles Geld der Welt
Maze Runner – Die Auserwählten
8.30
8.45
D
D Red Sparrow 2/5/8.15 D Heroes von Clara Dobbertin und KONZERT
in der Todeszone – 3D
I, Tonya 9.15 E/d/f
Die Biene Maja – die Honigspiele – 3D
The Post – Die Verlegerin
2.15
2.15/8.30
D
D Ensemble
Mo 5. März, 19.30, Pfauen/Kammer.
TONHALLE-ORCHESTER ZÜRICH
Wendy 2 – Freundschaft f für immer 2.15 D
Rex 1+2 kitag.com Black Panther – 3D 2.30/5.30/8.45 D
The Post – Die Verlegerin
Red Sparrow
2/5/8
/
2.30/8.30
E/d/f
E/d/f
g
Game Night 2.30/5.30/8.45 D Zündels Abggangg nach dem Roman von
Gotthard – One Life, One Soul 5.30 Ov/d/f
Di chli Häx
Fift
f y Shades of Grey – Befreite Lust
4.45
5.15/8.30
Dialekt
D Markus Werner. Regie: Zino Wey 044 206 34 34, tonhalle-orchester.ch
Stadtkino stadtkinobasel.ch Gotthard – One Life, One Soul 5.15 Ov/d/f
Junun 1.30 E/d Alles Geld der Welt 8.30 D 20.00, Pfauen. Der zerbrochne Krugg. So 4. März, 19.30, Tonhalle Maag Vilde Frang & Friends
Tirez sur le pianiste 3.15 F/d zürich Ein Lustspiel von Heinrich von Kleist. Kammermusik-Soiree
Are You Listening! 5.30 Bengali/e
g
Boogie Nights 8 E/d/f Abaton 1–10, a+b kitag.com Regie: Barbara Frey. Unterstützt von Julia Fischer, Violine
Bern Ferdinand – 3D
Red Sparrow
2
2/5/8.15 D
D
5/8.15 E/d/f
der Hans Imholz Stiftung Yulianna Avdeeva, Klavier ORPHEUM
Alhambra The Post – Die Verlegerin
Black Panther – 3D
2/8 E/d/f
2.15/5.15/8.30
5.15/8.15 D
D
Di 6. März, 20.00, Schiffbau/Halle. Zur Brahms,, Szyy manowski,, Schostakowitsch 044 381 12 22, orpheum.ch
Eröffnung am 8. März 2018
CineABC quinnie.ch
5.45/8.45 E/d/f schönen Aussicht . Eine Komödie von Mi 7./Do 8. März, 19.30, Tonhalle Maag Mi 14. März, 19.30, Tonhalle Maag
4DX: 2.30/8.30 D 5.30 E/d/f
Maleika 1.30 D Coco – 3D 2.15 D Ödön von Horváth. Einführung 19.15 Tonhalle-Orchester Zürich orppheum – youngg soloists on stagge
The Florida Project 3.45 E/d/f Di chli Häx 2.15/2.30 Dialekt
Loving Vincent 6.15 E/d/f Hilfe, ich habe meine Eltern geschrumpft
g f 2.30 D 20.15, Schiffbau/Box. Hello,, Mister Ton Koopman, Leitung Tonhalle-Orchester Zürich
Phantom Thread 8.30 E/d/f Wendy 2 – Freundschaft
Wunder
f für immer 2.30
2.30/8.30
D
D
MacGuffin! von René Pollesch. Regie: Christian Tetzlaff, Violine Michael Sanderling, Leitung
CineBubenberg quinnie.ch
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri 3.30/6/8.30 E/d/f Die Biene Maja – die Honigspiele – 3D 2.45
I, Tonya 5
D
D
René Pollesch Hayydn,, Viotti,, Rebel Sheku Kanneh-Mason, Cello
Fr 9. März, 19.30, Tonhalle Maag Emmanuel Tjeknavorian, Violine

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CineCamera quinnie.ch Fift
f y Shades of Grey – Befreite Lust 5.15/5.30/8 D
Mario
Di chli Häx
1/5.45/8.30
3.30
Dialekt/f
Dialekt/f
Jumanji: Willkommen im Dschungel 5.15/8.15
Game Night 5.30/8.30
D
D BERNHARD THEATER Jugend Sinfonieorchester Zürich Werke von Dvořák, Schostakowitsch,
CineClub quinnie.ch Shape of Water –
Das Flüstern des Wassers
5.30 D 044 268 66 99, bernhard-theater.ch David Bruchez-Lalli, Leitung Brahms
The Post – Die Verlegerin 3/5.30/8 E/d/f Criminal Squad 8.30 D So 4. März, 11.00. Stefan Mickisch. Der Martin Frutiger, Englischhorn
Cinématte cinematte.ch Arena Cinemas 1–19 arena.ch
The Curious World of Hieronymus Bosch 4.30 Ov/d Coco 10.45/2 D
Meisterpianist spielt und erklärt Philippe Litzler, Trompete
Under the Sun
Transformance
6.30
8.45
Korean/d
Ov/d
Di chli Häx 10.45/1.45 Dialekt Wagners Parsifal. 17.00. Pension Ives,, Beethoven,, Coppland
Ferdinand – Geht STIERisch ab! 10.45/2 D 1.25/4 E/d/f
CineMovie 1–3 quinnie.ch Maleika 10.50 D Schöller. Eine klassische Komödie So 11. März, 11.30, GZ Loogarten
Wendy 2 – Freundschaft f für immer 10.50/2 D
Leaning into the Wind 11/6.30 E/d Kammermusik für Kinder
GESSNERALLEE ZÜRICH
Darkest Hour 12 E/d/f Papa Moll 1.25 Dialekt
Ella & John – Das Leuchten der Erinnerung 12 E/d/f Die Biene Maja – die Honigspiele
Die Dschungelhelden
1.30/3.45
1.30
D
D
Trompeter des TOZ
Die vierte Gewalt 2/6.10 Dial/d/f
Call Me by Your Name 2.30/5.30/8.15 E/d/f Hilfe, ich habe meine Eltern geschrumpft
Maze Runner – Die Auserwählten
f 1.30/4
1.45/5/8.15
D
D
044 225 81 10, gessnerallee.ch Achtungg, fertigg, Tromppete!
Lucky 2.35 E/d/f
Der Klang g der Stimme 4.15 Dialekt/f in der Todeszone So 4. März, 18.00. Showroom. Piet So 11. März, 17.00, Johanneskirche am
Bis ans Ende der Träume 4.35 Ov/d/f The Post – Die Verlegerin 2/5.30/8.20 D 4.45 E/d/f
I, Tonya 8.30 E/d/f Jumanji: Willkommen im Dschungel 3D/4DX: 2.10/8 D Baumgartner & Rio Wolta Limmatplatz
The Shape of Water 8.30 E/d/f 2D: 4.40 D Kammermusik um 5
MILLER’S
Wunder 2.10 D
gotthard kitag.com
The Post – Die Verlegerin 2/8 E/d/f
Black Panther 2D: 2.15/4.20/8.30
4.50/8.30
D
E/d/f
Musikerinnen und Musiker des TOZ Sheku Kanneh-Mason
Gotthard – One Life, One Soul 5 Ov/d/f 3D/4DX: 2.15/5.20/8.25 D 044 387 99 79, millers.ch Beethoven
Jura 1–3 kitag.com 2D/4DX: 5 E/d/f
Fack Ju Göhte 3 2.30 D So 4. März, 10.00. Krokodilfarm: Familien- So 11. März, 17.00, Tonhalle Maag
Di chli Häx
Die Biene Maja – die Honigspiele
Wendy 2 – Freundschaft
g – 3D
f für immer
2.15
2.30
2.30
Dialekt
D
D
f y Shades of Grey – Befreite Lust 2.30/5.20/8.40
Fift
Pitch Perfect 3 3.45/6.30
D
D programm mit Müller-Z’morgen Publikumsorchester ZÜRCHER SING-AKADEMIE
Black Panther – 3D
Game Night
5.15/8.15
5.30/8.30
E/d/f
E/d/f
Paddington 2
Red Sparrow
3.55
4.30/8.20
D
D Mo 5. und Di 6. März, 20.00. Heute Gemein- Christopher Morris Whiting, Leitung 043 344 56 60, sing-akademie.ch
The Shape of Water 5.30 E/d/f I, Tonya
The Greatest Showman
5
5.25 E/d/f
D
6.35 D
deversammlungg. Ausverkauft Rafael Rosenfeld, Violoncello Sa 10. März, 19.30, Johanneskirche LU
Fift
f y Shades of Grey – Befreite Lust 8.30 D
Kellerkino kellerkino.ch
Game Night 6/8.15 D So 11. März, 14.00 und 19.00. KIRAKU- Rossini,, Saint-Saëns,, Tschaikowskyy So 11. März, 17.00, St. Jakob Zürich
Mord im Orient Express 6.10 D
Sami – A Tale from the North 11.15 Ov/d/f Gotthard – One Life, One Soul 6.30/8.55 Ov/d/f Za. Japanische Musik & Unterhaltung Lera Auerbach: 72 Anggels
Weg vom Fenster 1.30 Dialekt/f Alles Geld der Welt 8 D
Meditation auf die 72 Engelsnamen
La Novia del Desierto
Longing
g
Dene wos guet geit
3
4.30
6.30
Sp/d/f
Hebr/d/f
Ov/d/f
C’est la vie – Das Leben ist ein Fest 8
Criminal Squad
Dieses bescheuerte Herz
8
8.20
D
D
D
THEATER NEUMARKT CAMERATA VARIABILE Zürcher Sing-Akademie
Die Gentrifizierung bin ich. 8 D/f Hot Dog 8.55 D 044 267 64 64, theaterneumarkt.ch Konservatorium Zürich, camerata-variabile.ch Raschèr Saxophone Quartet
Beichte eines Finsterlings The Commuter 8.55 D
Kino in der Reitschule kino.reitschule.ch Arthouse Alba arthouse.ch So 4. März, 17.00. Urban Prayyers Zürich So 4. März, 17.00. Meteoriten Leitung: Andreas Felber
Mein Leben als Zucchini 1.30 D The Post 1.40/6.10/8.35 E/d/f
Lichtspiel lichtspiel.ch Loving Vincent 4.10 E/d/f
Kurze Filme aus dem Lichtspiel-Archiv 8 Ov Arthouse Le Paris arthouse.ch
Pathé Westside pathe.ch Wajib 12.15 Ov/d/f
Black Panther 3D: 9.45/2.45/6.15/9 D Call Me by Your Name 2.45/5.45/8.35 E/d/f
Hot Dog g
2D: 6.30
9.45
D
D
Arthouse Movie 1+2 arthouse.ch Neue Konzertreihe Zürich
Game Night 10/12.30/3/5.30/8
/ D Wonder Wheel 11.20 E/d/f
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f y Shades of Grey – Befreite Lust 10.30/1/3.30/6/8.30 D Darkest Hour 11.30 E/d/f TONHALLE MAAG
Wunder 10.30/6.15/8.45 D Leaning into the Wind 1.30/6 E/d
Di chli Häx 10.45/12 Dialekt Der Klang der Stimme 2/6.30 Dial/d Montag, 12. März 2018, 19.30 Uhr
Die Biene Maja – die Honigspiele 10.45/1.45/2.15/4.15 D Three Billboards Outside Ebbing, Missouri 3.30/8 E/d/f
Ferdinand – Geht STIERisch ab!
Maleika
Red Sparrow
10.45/3.30
10.45
11/2/5.45/9.20
/ /
D
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Mario
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arthouse.ch Vilde Frang & Friends
Wendy 2 – Freundschaft f für immer 11.30/12.30/4 D Maria by Callas 11.10 E/F/d/f «Atemberaubende Finesse» Dallas News
Coco 12.45 D Kedi: Von Katzen und Menschen 11.30 Ov/d
Dieses bescheuerte Herz 1 D Das Erste und das Letzte 1.25 Dialekt
Hilfe, ich habe meine Eltern geschrumpft
f 1/6 D Weit – Ein Weg um die Welt 1.25/6.25 D Veress – Arensky – Enescu

Suche
Papa Moll 1.15
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri 1.15
Dialekt
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L’amant double
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Jumanji: Willkommen im Dschungel 2D: 3.45 D BillettkassenTonhalle Maag,Tel.044 206 34 34 (11-18 Uhr)
3D: 9 D Arthouse Uto arthouse.ch
The Post – Die Verlegerin 3.45/5.30/8.15 D La Novia del Desierto 12.15 Sp/d/f und Credit Suisse, Paradeplatz 8 (9.00 -16.30 Uhr)
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Das Flüstern des Wassers Wendy 2 – Freundschaft f für immer 2 D
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Le pas suspendu de la cigogne 11 Ov/d/f Black Panther 5/8.30 E/d/f
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S’Bloch – Ein lebendiger Brauch 11 Dialekt

im Appenzellerland I, Tonya 2/5/8 E/d/f wiegend klassischer Texte, die er stets
Weit – Ein Weg um die Welt 11 D Wunder 2.30/5.30 E/d/f
Köhlernächte 11.40/4.20 Dialekt Alles Geld der Welt 8.30 E/d/f auswendig vorträgt.
Die ggöttliche Ordnung 11.50 Dial/d
Der Klang der Stimme 1.30/6.40 Dial/d Houdini 1–5 kinohoudini.ch
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri 1.30/8.50 E/d/f Grace Jones: Bloodlight and Bami 11.30 E/d
Die vierte Gewalt 1.50 Dial/d/f Maleika 11.30 D
I, Tonya
The Post
1.50/8.50
3.30/5.50/8.30
E/d/f
E/d/f
I, Tonya
Köhlernächte
11.40/4.20/6.30/9.10
11.40
E/d/f
Dial/d
28. NOVEMBER 2018 –13. JANUAR 2019
Call Me by Your Name 3.50/8.10 Ov/d/f The Post 12/1.50/4.10/6.10/6.40/9 E/d/f
Leaning into the Wind 4.10 E/d Di chli Häx 2 Dialekt musical.ch
Phantom Thread 6.10 E/d/f Die Biene Maja – die Honigspiele 2 D
The Shape of Water 6.20 E/d/f Hilfe, unser Lehrer ist ein Frosch 2.10 D
Capitol 1–6
Red Sparrow 2/5/8.15
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D
Ex Libris: The New York Public Library 2.30
A Long Way Home 4.20/7/8.50
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri 4.30/7/9.30
E/d
Ov/d/f
E/d/f
FRÜHJAHRSAUKTIONEN
Black Panther – 3D 2.15/5.15/8.30 E/d/f
Di chli Häx
5.15/8.30
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Dialekt
Black Panther – 3D 9.10 E/d/f Schweizer und
Kosmos 1–6 kosmos.ch
Wendyy 2 – Freundschaftf für immer 2.15
f y Shades of Grey – Befreite Lust 2.30/5.30/8.45
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D Homo Sapiens 11 ohne Dialog Internationale Kunst
Dienstleistungen
Gotthard – One Life, One Soul 2.30/5.30 Ov/d/f Bis ans Ende der Träume 11.15 D
The Post – Die Verlegerin
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Darkest Hour – Die dunkelste Stunde 8.15 E/d/f 7 jours pas plus 11.25/6.25 F/d
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Longing 11.25/4.10 Hebr/d/f Sammlungen und Nachlässe
The Artist’s Garden: 12 E/d
Di chli Häx 2 Dialekt American Impressionism
Red Sparrow
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Die Biene Maja – die Honigspiele
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NZZ am Sonntag 4. März 2018
«IchhabedasRecht,meine
Stimmezuerheben»
Lukas Bärfuss kämpft als Schriftsteller gegen die Mutlosigkeit der Schweiz. Er sagt, das Land habe ein
problematisches Verhältnis zur Wirklichkeit. Interview: Martina Läubli
NZZ am Sonntag: Sie sind ein Schriftsteller,
der Öffentlichkeit sucht. Hören alle hin, wenn
Sie etwas sagen, weil Sie Lukas Bärfuss sind?
Lukas Bärfuss: Darüber denke ich kaum
nach. Ich versuche, einen Text zu schreiben,
meine Gedanken zu entwickeln, in ein Ver-
hältnis zu den Menschen zu treten. Dass ich
Lukas Bärfuss bin, hilft mir nicht.
Trotzdem ist Ihre Position in der Schweizer
Öffentlichkeit eine besondere. Sie schalten sich
aktiv in Debatten ein, wie kürzlich zur «No
Billag»-Initiative. Sie trennen Ihre Arbeit als
Schriftsteller nicht von der Welt, in der wir
leben. Das wird auch im neuen Essayband
«Krieg und Liebe» deutlich.
Mich erstaunt dieser Einwand immer
wieder. Es gibt doch eine Tradition des
Schreibens über die Genres hinweg. Ich
denke da an Heinrich Heine oder Georg Büch-
ner, die sich stets mit ihrer Zeit auseinander-
gesetzt haben. Die Trennung, von der Sie
sprechen, ist ziemlich jung, und für mich war
sie nie eine Option. Als freier Schriftsteller
bin ich darauf angewiesen, dass es eine
Öffentlichkeit gibt. Und ich nehme an ihr teil.
Sind Sie das moralische Gewissen der Schweiz?
Das hoffe ich nicht. Ein Gewissen kann
nur ein einzelner Mensch haben. Die
Gemeinschaft funktioniert anders. Ich ver-
stehe mich zuerst als Künstler, als Dichter.
Das Politische folgt aus der Lebenserfahrung,
es ist nichts Theoretisches. Es geht darum,
wie wir miteinander leben. Und das betrifft
immer auch die politischen Umstände.
Was treibt Sie an, sich zu Wort zu melden?
Ich habe keine Agenda. Es gibt für jeden
Text eine Gelegenheit. Und dann sollte man
den Mut haben, sie am Schopf zu packen.
Spielt auch Wut eine Rolle?
Wut ist ein Gefühl, das ich selten emp-
finde. Ich kann mich ärgern, das schon. Aber
wenn man ein Gefühl sucht, das mein Schaf-
fen grundiert, ist es sicher nicht die Wut.
Was dann?
Eher so etwas Zweifelhaftes und Alter-
tümliches wie die Melancholie.
Das müssen Sie erklären.
Melancholie ist eine Empfindung, die
durch das Denken zustande kommt. Traurig-
keit über die eigenen Einsichten. Und dass
man mit den Einsichten an kein Ende kommt.
Einige Leute halten Sie für einen Provokateur.
Ein klarer Gedanke schneidet. Das kann
schmerzen. Daher auch die Melancholie.
Polemik ist eine wichtige Form der öffent-
lichen Auseinandersetzung. Sind die Fronten
verhärtet, bleibt manchmal nichts anderes.
Was zeichnet die Position des Schriftstellers aus?
Der freie Schriftsteller hat keine Institu-
tion im Rücken und keinen Arbeitsvertrag,
der ihn zu Loyalität zwingt. Er spricht für
sich, ungeschützt und leicht. Die Menschen
anerkennen das, immer noch.
Sie sprechen auch von der Schwarzen Kunst
der magischen Worte. Was meinen Sie damit?
Viktor Klemperer schreibt in seinem sehr
bedeutenden Werk «LTI – Notizbuch eines
Philologen», der erste Schritt hin zu einer
totalitären Sprache sei die Verarmung. Die
Verarmung an Zweideutigkeiten, an Wort-
schatz, an grammatischer Struktur – bis hin
zum Moment, wo Worte zu Schlagworten
werden. Losgelöst von ihren Zusammenhän-
gen, werden sie zu Kampfbegriffen. Wir
erleben das ja täglich.
Zum Beispiel?
Mich beschäftigt der Wandel der Bezeich-
nung ‹Fluchthelfer› hin zu ‹Schlepper›. Der
‹Fluchthelfer› war zur Zeit des Eisernen Vor-
hanges positiv konnotiert. Er war ein Mensch,
der andere Menschen in die Freiheit bringt.
Das hat sich geändert. Der ‹Schlepper› ist
heute kriminalisiert. Wir sollten versuchen,
Kultur
Lukas Bärfuss, 46, solche Veränderungen zu begreifen. Die Ver-
an der Aare in seiner armung der Sprache droht eigentlich immer.
Heimatstadt Thun.
(1.März 2018) Was halten Sie ihr entgegen?
Wir verstehen die Dinge nur in Zusammen-
hängen. Wir können nicht den Mond
ansehen, ohne ein Gesicht zu sehen. Als Dich-
ter bemühe ich mich um Vielfalt, in allem.
Deshalb schreiben Sie jetzt auch auf Englisch,
wie im Kunst- und Gedichtband «Contact».
Das ist vielleicht eine Kinderei, aber eine
kostbare. Ich liebe meinen Beruf, weil ich mir
als Schriftsteller solche Dinge erlauben kann.
Die Frage der Wahrheit ist für Sie zentral –
gerade auch dann, wenn Sie sich an Journalis-
ten und Journalistinnen wenden.
Zuvorderst im Berufskodex der Medien-
schaffenden steht, dass man sich um die
Wahrheit zu bemühen habe. Das ist ein sehr
hoher Anspruch. Man muss sich darüber
Rechenschaft ablegen, ob man die Wahrheit
geschrieben hat oder nicht.
Ist dieser Anspruch der Grund, weshalb Sie mit
dem Journalismus so hart ins Gericht gehen?
Dass es in der Schweizer Medienlandschaft
grosse Turbulenzen gibt, habe nicht ich
erfunden. Ich denke an den personellen Ader-
CASPAR MARTIG
Alle Männer sollten die
#MeToo-Bewegung auch
als ihre Befreiung
verstehen. Sie spricht
an, was uns alle betrifft:
Wem gehören wir?
lass bei der NZZ, der nicht nur mich beschäf-
tigt, sondern auch viele Professoren. Die
wichtigen Stimmen werden immer weniger.
Dabei wäre ein Konzert vieler Stimmen nötig,
um in einer deliberativen Gesellschaft für
einen gehaltvollen Diskurs zu sorgen. Wir
brauchen eine freie Presse. Ich weiss, dass die
Arbeitsverhältnisse in den Redaktionen in
den letzten 20 Jahren sehr viel prekärer
geworden sind. Das wurde oft mit Wettbe-
werb begründet. Ich habe nichts gegen den
Wettbewerb. Aber wenn die Öffentlichkeit
nur noch nach dem Wettbewerbsprinzip
funktioniert, ist das eine Verarmung und
führt zu Konformität.
61
Lukas Bärfuss
Der 1971 in Thun Literaturhaus
Geborene ist der Zürich den Essay-
streitbarste unter band «Krieg und
den Schweizer Liebe» (Wallstein)
Schriftstellern. vor. Ebenfalls
Lukas Bärfuss hat neu erschienen ist
zahlreiche Theater- der mit Michael
stücke und Essays Günzburger heraus-
und drei Romane gegebene Band
geschrieben. Am «Contact» (Edition
7.März stellt er im Patrick Frey). (läu.)
Ihre Kritik richtet sich also primär gegen die
Marktkonzentration im Journalismus.
Es ist trotz allem eine individuelle Ent-
scheidung, welchen Text man schreiben will.
Und darüber hat man sich Rechenschaft
abzuliefern. Man kann diese Verantwortung
nicht an eine Institution abgeben.
Die Schweiz treibt Sie um. Sie schreiben: «Die
Schweiz ist des Wahnsinns.»
Das war diese Aktion der Migros – Suisse-
mania! Ich habe nur ihren Namen ins Deut-
sche übersetzt. Das Verhältnis zur Wirklich-
keit in diesem Land kommt mir manchmal
seltsam vor. Wenn man beginnt, zu viel Ord-
nung zu sehen, sollte man aufpassen. Dann
wird es gefährlich, denn das kennzeichnet
die Manie, die Paranoia. Und die Schweizer
sind erpicht auf Ordnung. Doch alles hat
noch eine andere Seite, eine Hinterseite.
Bei aller Polemik scheint Ihnen die Schweiz
doch am Herzen zu liegen.
Ach Gott, ich bin hier geboren! Und man
hat mich nie gefragt, ob ich das wollte. Aber
es ist nun so, und ich habe das Recht, meine
Stimme zu erheben.
Der Schweiz fehlen die Ziele, sagen Sie. Man
begnüge sich mit gewissen Bildern von sich.
Ja, der Chauvinismus droht überall. Mein
Buch ist auch eine Auseinandersetzung mit
der Idee eines Vorranges, einer kulturellen
oder gedanklichen Hierarchie. Das wider-
strebt mir zutiefst. Die europäische Erfahrung
müsste zeigen, dass wir keinen Grund zu
Hochmut haben. Sondern zur Demut. Vieler-
orts spüre ich Isolation und Mutlosigkeit.
Was wären denn Perspektiven für unsere
Gesellschaft?
Ich habe Kinder, und sie stellen die Frage
nach der Zukunft. Unsere Gesellschaft war
lange beseelt vom Pathos, dass es unseren
Kindern einmal besser gehen soll als uns
selbst. Unsere bürgerliche Verfassung basiert
darauf, dass wir bestrebt sein sollen, die
Lebensbedingungen für alle zu verbessern.
Ich wüsste nicht, warum das nicht mehr
gelten sollte. Ich glaube, es braucht Frische.
Und Resignation kann nie frisch sein.
Eine gesellschaftspolitische Dimension erhält
vor dem Hintergrund der #MeToo-Debatte
auch Ihr Text «Eroberungen». Darin fragen Sie
unabhängig vom Geschlecht, wer die Macht
über unsere Körper hat.
Genau deshalb sollten alle Männer die
#MeToo-Bewegung auch als ihre Befreiung
verstehen. Sie spricht eine Frage an, die uns
alle betrifft: Wem gehören wir? Ich glaube,
viele Männer sind einfach noch zu dumm
oder zu ängstlich, um das zu verstehen. Viel-
leicht auch zu korrumpiert.
Liegt es nicht daran, dass viele Männer Über-
griffe nicht persönlich erfahren haben?
Nein, das kann nicht sein. Ich habe mein
ganzes Leben mit Frauen verbracht und
weiss doch, was sie beschäftigt, welche
Kämpfe sie ausfechten. Gerade in der
Schweiz, wo das Frauenstimmrecht erst 1971
eingeführt wurde, müsste das Problem auch
den Männern klar sein. #MeToo ist letzten
Endes eine Frage der Lebensqualität. Es lebt
sich besser unter Gleichberechtigten.
62
WiedieRechtenmit
«alternativ»einenlinken
Begriffumdeuteten
Ob AfD in Deutschland oder Alt-Right in den USA: Die Gegenkultur kommt heute von rechts und verbindet
ihre reaktionäre Kulturkritik mit einer linken Punk-Ästhetik, schreibt Adrian Lobe
Z
ur Freiheit des Bürgers gehört es,
Alternativen zu haben. Eine
andere Partei zu wählen, einen
anderen Radiosender zu hören
oder eine andere Automarke zu
fahren. Der Begriff der Alterna-
tive hat jedoch meist eine konsumkritische,
gegenkulturelle und linke Stossrichtung. Der
Pop entstand als Alternative zur Klassik;
Alternative mit Vertretern wie Robert Smith
oder Björk ist sogar ein eigenes popkulturel-
les Genre. Und die kalifornische Internetkul-
tur entsprang der Gegenkultur um den Hip-
pie-Aktivisten Stewart Brand und dessen
legendäres Magazin «Whole Earth Catalog».
So wie sich die Kunstrichtung Art Brut von
tradierten Malformen abhob, grenzten sich
Anhänger alternativer Wohnformen wie die
Kommunarden der 68er Bewegung von tra-
ditionellen, als spiessig und biedermeierlich
empfundenen Wohnformen ab.
Das Problem ist nur, wenn die alternativen
Daseinsformen zum Mainstream und vor-
mals «Alternative» selbst zu Biedermeiern
werden. Dann wird das Alternative zur polit-
historischen Klamotte. Spätestens als die
britische Premierministerin Margaret That-
cher in den 1980er Jahren die Losung «there
is no alternative» ausgab und die Fraktion
ihrer Anhänger in Europa immer grösser
wurde, hatte die Alternative als politisches
Prinzip ausgedient.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela
Merkel bemühte wiederholt die politische
Formel der Alternativlosigkeit (etwa bei der
Euro-Rettung), was lange Zeit auch auf ihre
Person zutraf. «Alternativlos» wurde von der
Gesellschaft für deutsche Sprache zum deut-
schen Unwort des Jahres 2010 gekürt. Zur
Begründung hiess es damals: «Das Wort sug-
geriert sachlich unangemessen, dass es bei
einem Entscheidungsprozess von vornherein
keine Alternativen und damit auch keine
Notwendigkeit der Diskussion und Argu-
mentation gebe. Behauptungen dieser Art
sind 2010 zu oft aufgestellt worden, sie
drohen die Politikverdrossenheit in der
Bevölkerung zu verstärken.» Als würde sich
die Geschichte persiflieren, hat die politische
Rechte den Topos der Alternativlosigkeit
okkupiert.
Als Reaktion auf Merkels Diktum der
Alternativlosigkeit, das faktisch ein Apodik-
tum war, hat sich die Alternative für
Deutschland (AfD) gegründet, die das Wort
im Parteinamen trägt und zu Beginn für eine
Alternative zur scheinbar alternativlosen
Euro-Rettungs-Politik eintrat – und den Eli-
tenkonsens aufkündigen wollte. Im Schlepp-
tau von AfD und Pegida hat sich eine kleine,
rechte Gewerkschaft namens «Zentrum – die
alternative Gewerkschaft» gegründet, deren
Farbgebung aber keine grüne Alternative,
sondern eine patriotische mit deutschnatio-
naler Gesinnung meint.
Parallel dazu ist in den USA die Alt-Right-
Bewegung, ein Sammelbecken aus Neokon-
servativen, «White Supremacists» und Neo-
nazis als ein ideologischer Gegenentwurf zur
Political Correctness und zu vermeintlich
unverrückbaren Moralvorstellungen wie
etwa zur Ehe für alle entstanden. Ein grosser
Teil von Trumps Wählerreservoir speiste sich
aus dieser «alternativen» Rechten. Der Gipfel
der Absurdität wurde erreicht, als Trumps
Sprecherin Kellyanne Conway den Begriff
der «alternativen Fakten» einführte, als gäbe
es eine Alternative zum Faktischen, was ja
immer nur das Antifaktische, sprich nicht
objektiv Prüfbare sein kann. Spätestens hier
wurde klar, dass mit der Alternative zu
Fakten eine Waffe ins Feld geführt wurde,
Kultur
Pop-Star der Rechten: Milo Yiannopoulos, 33, verlässt nach einer Rede den Uni-Campus in Berkeley. (24. 9. 2017)
Steve Bannon um die Faktizität anzufechten und eine
zweite erkenntnistheoretische Ebene einzu-
ziehen, in der nicht das Faktum, sondern
Emotionalität der Prüfmassstab ist. Alterna-
G
tiv ist, wer sich seine Wahrheit selbst strickt.
avin Mueller hat in einem
brillanten Essay mit dem
Titel «No Alternative» für das
Magazin «Real Life» aufge-
schrieben, wie das Kultur-
Jamming selbst «gejammed»
wurde. Culture Jamming ist
Der ehemalige eine ursprünglich aus Kanada stammende
Chefstratege von Kunstform, deren Theoretiker sich auf
Donald Trump will Umberto Ecos Konzept der semiotischen
den Staat dekon- Guerillakriegführung berufen und mit par-
struieren und odistischen Mitteln, etwa dem Verfremden
zurückbauen. Er und Entstellen von Markenlogos («Murder
kommt am nächsten King» statt «Burger King») Konsumkritik
Dienstag auf üben. Die Kommunikationsguerilla setzte
Einladung der sich gegen Standardisierung, Zensur und
«Weltwoche» nach einen paternalistischen Kulturbegriff zur
Zürich und hält ein Wehr. Dieses Culture Jamming, so Mueller,
Referat über die habe seine Apotheose mit der US-Präsident-
nationalistischen schaftswahl erlebt, als «Internetphänomene,
Bewegungen von Hacker, Verschwörungstheorien, Informa-
unten. Es ist sein tionsmüllhalden und üble Scherze die
erster Auftritt in Medien skandalisierten und die Unterstüt-
Europa. zung für den alternativen Aussenseiter-
kandidaten galvanisierten».
Fake-News-Seiten, die zum Teil wie rich-
tige, authentische Nachrichtenseiten aus-
sahen und semiotisch mit den Zeichen der
Medien spielten, seien Culture Jamming in
Reinkultur gewesen. Die Rechte hat die Sym-
bolik der Alternativen kopiert – und die Linke
mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Trumps
ehemaligem Chefideologen Steve Bannon
ging es darum, mit seinem Medium «Breit-
bart» die kulturelle Hegemonie zu brechen.
Alternative, schreibt Mueller, sei eine unzu-
längliche Konsumentenprärogative gewesen,
eine Forderung nach mehr Wahlfreiheit, die
blind war für das, was den Inhalt dieser Aus-
wahl betraf. Was ist der Bezugsrahmen? Der
Kapitalismus mit seinem immergleichen
Warenangebot – uniforme Einkaufsstrassen,
standardisierter Online-Handel – lässt kaum
noch Wahlfreiheit zu. Der neue Flachbild-
NZZ am Sonntag 4. März 2018
schrecken und schon gar kein politisches
WALLY SKALIJ / LA TIMES / GETTY IMAGES
Statement setzen. Die gesamten Eliten
hätten sich der «feministischen Orthodoxie»
verschrieben, schreibt der Provokateur und
stellt die rhetorische Frage: «Fragen Sie sich
selbst, was mehr Aufschrei verursachen
würde: Ein CEO, der sagt, er sei ein Feminist,
oder ein CEO, der sagt, er sei kein Feminist?»
Das Alternative liege gerade im Reaktionä-
ren, im Nonkonformismus.
Ein Bruder im Geiste ist der maskuline
Autor Jack Donovan, der die Gender-Artikel
(sic!) der Site AlternativeRight editierte. In
seinem Buch «The Way of Men» beklagt er
den Verlust der Männlichkeit in einer zuneh-
mend feminisierten Gesellschaft. Man muss
nicht schwul sein, um für Schwulenrechte
einzutreten, man kann als Schwuler aber
genauso homophob und antifeministisch
sein – die ideologischen Grenzen sind in der
Postmoderne fluide. Man kann eine reaktio-
näre Kulturkritik mit den Insignien den
S
Linksalternativen führen.
ystemkritik kommt heute nicht
mehr mit dem Gestus des Welt-
verbesserertums daher (allen-
falls die idealistischen Mani-
feste der Silicon-Valley-Philan-
thropen), sondern als Kritik an
einer Ordnung, die im Namen
einer höheren Moral Dinge für sakrosankt
Alternativ zu sein, erklärt. Die Alternativen von rechts – von der
AfD bis zu Alt-Right – wollen nicht die Welt
bedeutet eben nicht, verbessern, sondern eine Akzeptanz für die
moralisch, sondern, Unverbesserlichkeit der Welt schaffen. Der
im Gegenteil, Mensch, so die anthropologische Prämisse,
hat eben Vorurteile, er ist ungehobelt, «aus
unmoralisch, politisch krummem Holz», um es mit Kant zu sagen,
inkorrekt zu sein. doch es nicht Aufgabe der Politik, das gera-
dezuzimmern. Der Moralismus schlägt hier
in einen radikalen Pragmatismus um.
fernseher hat einen Internetzugang, ob man Wo die Studentenbewegung der 68er
will oder nicht. Und im Internet muss man Bewegung mit moralischem Furor gegen die
Cookies und Tracker akzeptieren. Eine Alter- Verkommenheit und Prinzipienlosigkeit der
native zum Kapitalismus scheint nicht in Eliten agitierte, wird heute ein Feldzug gegen
Sicht. Diese ökonomische wie kulturelle den Tugendterror geführt. Alternativ zu sein,
Alternativlosigkeit habe erst den Raum für bedeutet eben nicht, moralisch, sondern, im
die Alt-Right-Bewegung geschaffen, argu- Gegenteil, unmoralisch, politisch inkorrekt
mentiert Mueller. Auch in der No-Billag- zu sein. Genau das war das Erfolgsgeheimnis
Debatte weigerte sich die SRG standhaft, von Donald Trump, dessen Wahlsieg man
einen Plan B vorzulegen, was die Libertären auch als Gegenrevolte bezeichnen könnte.
am rechten Rand umso lustvoller tun – was Man muss diese Alternativen von rechts
zeigt, dass die grossformatigen Gesell- nicht mögen. Doch Alternativen zu haben, ist
schaftsentwürfe nicht mehr von links, son- in einer pluralen, demokratischen Gesell-
D
dern von rechts kommen. schaft alternativlos.
ie Ironie ist, dass das Esta-
blishment nun mit genau ANZEIGE
jenen subkulturellen Prakti-
ken attackiert wird, die sich
früher die Linke zu eigen
machte: Hacking, Punk,
Rock. Wohl kaum ein Zwei-
ter verkörpert diesen kulturellen Appropri-
ierungsprozess so sehr wie Milo Yiannopou-
los. Der ehemalige «Breitbart»-Journalist und
«Rockstar» der Rechten, dessen Homosexua-
lität und äusseres Erscheinungsbild mit
gefärbten Haaren und Ohrringen so gar nicht
zum evangelikalen Milieu passen will,
schafft es, reaktionäre Inhalte mit einer
linken Ästhetik zu verbinden. In seinem letz- Dem Himmel so nah und
ten Beitrag für «Breitbart» erhob er Konser- weit weg vom Alltag
vatismus zur Gegenkultur sowie zum «neuen
Punk». «Ich habe jedem gesagt (...), dass Erleben Sie Winterferien
rechts die neue Gegenkultur ist, der neue
Punk, ein Akt der Rebellion in Zeiten von
vom Feinsten
politischer Korrektheit, sicheren Räumen, Winter 2017/18 | 10. Dezember - 15. April
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Establishment schon lange nicht mehr ver-
NZZ am Sonntag 4. März 2018
RausausdemDepot!
Blockbuster-Ausstellungen mit internationalen Leihgaben zu organisieren, ist für Schweizer Museen oft zu
teuer. Nun konzentrieren sie sich auf ihre eigenen Bestände – mit Gewinn. Von Gerhard Mack
D
as Kunstmuseum Basel
überrascht mit einem neuen
Ausstellungstyp. Statt des
grossen Epochenbilds oder
der massgeblichen Werk-
retrospektive lenkt Direktor
Josef Helfenstein den Blick
auf Basel und in die Depots des eigenen
Hauses. Für einmal gibt es keinen Roman,
sondern «Short Stories». In neun Kapiteln
werden Aspekte aus der Geschichte der Stadt
behandelt. Dazu gehören erwartbar der
Humanismus mit Erasmus von Rotterdam,
Holbeins toter Christus und Friedrich Nietz-
sche, aber auch das Eistanz-Duo Frick &
Frack und die Frauenrechtlerin Iris von
Roten. Da Helfenstein weiss, dass man
gemeinsam weiter kommt als allein, hat er
Künstlerinnen und Künstler als Co-Kurato-
ren eingeladen und auch andere Museen vor
Ort eingebunden. Entstanden sind unter-
schiedlich dichte, aber stets anregende asso-
ziative Landschaften, in denen man ein
Leben, eine Epoche, eine Bewegung über
Memorabilia, Schriften und Kunstwerke aus
verschiedenen Perspektiven betrachten
kann. Der Feminismus und der Basler Frie-
denskongress von 1912 gehören dazu. Das
Kunstmuseum versteht sich als Ort zur Dis-
kussion kultureller Identität und durchfors-
tet dafür seine Bestände. Das Depot wird
vom Notlager zur Schatzkammer.
Gewiss, in dieser Neuentdeckung der eige-
nen Depots liegt ein gerüttelt Mass Pragma-
tismus. Die Begeisterung über Blockbuster
ist leiser geworden. Selbst bei Politikern hat
man wahrgenommen, dass sie ständig teurer
werden. Und Kuratoren wissen, dass Top-
Werke schwerer zu bekommen sind, weil sie
fragiler werden. Immer öfter ist abzuklären,
ob eine Ausleihe der Vermarktung einer Aus-
stellung dient oder dem besseren Verständ-
nis einer künstlerischen Position.
Um Sammler werben
Warum also nicht aus der Not eine Tugend
machen und mit dem wirtschaften, was man
hat! Ausstellungen, die extensiv mit der eige-
nen Sammlung arbeiten, haben zunächst
einmal den Vorteil, dass man weiss – oder
endlich kennenlernt –, was da alles im Depot
schlummert. Kein Kurator kann von Anfang
an die ganzen Bestände im Kopf haben. Ent-
halten diese doch oft vieles, was dem jeweils
herrschenden Zeitgeist verdankt und bald
wieder vergessen ist. Manches gute Stück ist
Kultur
als Schenkung ins Haus gekommen. So drü-
Reiche eigene
Bestände cken solche Ausstellungen auch die Wert-
schätzung gegenüber freigebigen Sammlern
aus. Und motivieren vielleicht lebende
304000 Kunstfreunde, über Gaben nachzudenken.
Nicht zuletzt erlauben solche Ausstellungen
Werke umfasst die die Schärfung eines eigenen Profils. Auch
Sammlung des wenn in der Schweiz viele Kunstmuseen eine
Kunstmuseums ähnliche Sammlungsgeschichte aufweisen,
Basel inklusive den ist jedes Haus anders. Wer sich mit dem
Beständen des Kup- eigenen Bestand auseinandersetzt, hat eine
ferstichkabinetts. grössere Chance, sich vom globalen Einerlei
der Musts und Have-Seens abzuheben.
8000
In den letzten Jahren haben Schweizer
Museen dafür verschiedene Modelle ent-
wickelt. Für die kleineren von ihnen ist das
eine Chance. Sie haben oft heterogene
Arbeiten in den Bestände, die sich auch einmal unterhalb des
verschiedensten Höhenkamms der Kunstgeschichte befinden.
Medien umfasst Allen gemeinsam ist, dass sie Geschichten
die Sammlung des erzählen wollen. Nicht nur über den Wandel
Bündner Kunst- der Formen, wie es die Kunstgeschichte im
museums in Chur. engeren Sinn lange tat, sondern über die
Lebens- und Mentalitätsverhältnisse, aus
denen sie hervorgegangen sind. Und diese
19000 Geschichten haben ihren perspektivischen
Punkt in Fragen von uns heute.
Wie Alltägliches einen frischen Blick auf
Werke vornehmlich eine Sammlung initiieren kann, zeigte das
zur Schweizer Kunst Bündner Kunstmuseum in Chur 2016 bei der
vom 18. Jahrhun- Eröffnung seines neuen Hauses. Dessen
dert bis zur Gegen- künstlerischer Direktor Stephan Kunz ging
wart machen die mit seinen Co-Kuratoren Juri Steiner und
Bestände des Stefan Zweifel vom Wandern aus, das für
Aargauer Kunst- viele ein Grund ist, den Kanton Graubünden
hauses in Aarau aus. zu besuchen. Dazu gesellte sich ein kunst-
historisches Motiv: Alberto Giacometti hat
das Gehen zum Gegenstand vieler Plastiken
gemacht. Der Bergeller ist einer der zentralen
Künstler des 20.Jahrhunderts. Eine seiner
Skulpturen «L’homme qui marche» bildete
den Mittelpunkt der Ausstellung «Solo
Walks», von dem aus sich Fluchtlinien aus
den Bündner Tälern in die Metropolen der
westlichen Welt, von der Kunst in den Alltag
und von der Vergangenheit in die Gegenwart
Bleibt zu hoffen, dass
Politiker in Basel, Chur
und sonst wo erkennen,
wie viel staatsbürgerliche
Erziehung Museen
leisten.
JULIAN SALINAS
ULLMANN.PHOTOGRAPHY
Unbekanntes wiederentdecken:
Paul Zoellys «Paar» (um 1930) im
Aargauer Kunsthaus.
ziehen liessen. Natürlich genoss man auch
die Qualität der einzelnen Werke. Sie spiel-
ten aber nicht die Hauptrolle. Wichtiger
waren das Feld, das sie aufspannten, und die
überraschenden Verbindungen, in denen sie
zueinander in Beziehung traten.
Pink Floyd geben den Takt vor
Das Kunstmuseum St. Gallen, das viele Jahre
geschlossen war die Sammlung nicht fort-
bauen konnte, entwickelte eine wahre Meis-
terschaft darin, solche Felder in Ausstellun-
gen aufzufächern. Den Sommer über zeigt es
meistens einen Mix aus Verschiedenem –
vom Altmeisterbestand bis zur unmittelba-
ren Gegenwart. «The Dark Side of the Moon»
aus dem Konzeptalbum der britischen Rock-
band Pink Floyd von 1973 lieferte 2016 die
Headline: Von Albrecht Dürers Grafikzyklus
zur Offenbarung des Johannes bis zu Martin
Dislers wilden Skulpturen wurden dunkle
Seiten unserer Existenz angedeutet, von
denen auch die Musik sprach. Spielerisch
und frei bot die Schau Anknüpfungspunkte
für eigene Erfahrungen.
Im Aargauer Kunsthaus wird das Prinzip
seit einigen Jahren kunsthistorisch zurück-
63
Johannes Grützkes Promi-Bild «Böcklin,
Bachofen, Burckhardt und Nietzsche auf
der Mittleren Rheinbrücke in Basel» (1970).
gewendet. Sammlungsausstellungen richten
sich auf noch wenig beleuchtete Flächen der
Schweizer Kunstgeschichte, der sich das
Museum in besonderer Weise verpflichtet
weiss. Und sie beziehen private Sammlungen
mit ein. So zeigt man derzeit unter dem Titel
«Wild Thing» Schweizer Kunst der 1980er
Jahre, die sich schon länger in den Depots
befand oder 2016 aus der Sammlung von
Betty und Hartmut Raguse-Stauffer ans
Kunsthaus gekommen ist. Und die Haupt-
schau «Blinde Passagiere» setzt die Zusam-
menarbeit mit dem Basler Sammler und
Künstler Peter Studer fort, dessen Trouvail-
len bereits vor fünf Jahren als «Stille Reser-
ven» zu sehen waren. Jetzt führt die «Reise
durch die Schweizer Malerei» vom 19.Jahr-
hundert in die Gegenwart und gruppiert
Werke zu Themen. So kann man beispiels-
weise beobachten, auf wie viele Weisen wir
schauen und wie der Blick durch die jewei-
lige Zeit geprägt ist. Die Darstellung von
Natur und Stadt pendelt zwischen akribi-
scher Aufzeichnung und dem fast abstrakten
Erfassen von Stimmungen. Stets tritt das
Einzelbild zurück und lädt uns ein, es mit
den Nachbarn zu vergleichen.
Schauen wir noch einmal nach Basel. Hier
bietet die Ausstellung allen Besuchern unge-
wohnte Assoziationen, gleich, ob sie Kunst-
Aficionados oder Heimatinteressierte sind.
Vor allem aber richtet sie sich an die Men-
schen vor Ort. Das Museum spricht die Stadt
an, in der es steht, es wendet sich an die Bür-
gerinnen und Bürger und möchte sie mit
Facetten ihrer Geschichte bekannt machen.
Das wird honoriert. Beim Besuch an einem
beliebigen Werktag waren viele zu sehen, die
vor Exponaten diskutierten, die sich erinner-
ten oder Erinnerungen korrigierten. Sie
erlebten, dass Kunst mit ihnen zu tun hat,
weil sie ihnen zeigt, wo sie leben und woher
sie kommen. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen,
dass auch Politiker in Basel, in Chur und
anderswo erkennen, wie viel staatsbürger-
liche Erziehung Museen en passant leisten
und sie mit den entsprechenden Mitteln
ausstatten. Denn selbst der erfindungs-
reichste Umgang mit den hauseigenen Res-
sourcen kommt nicht ohne Mittel aus.
Sammlungsausstellungen sind sparsam, zu
Sparveranstaltungen taugen sie aber nicht.
Short Stories: Kunstmuseum Basel, bis 21. Mai.
Blinde Passagiere und Wild Thing:
Aargauer Kunsthaus, Aarau, bis 15. April.
 Tipps
Musik und Theater NZZ am Sonntag 4. März 2018

Pop, Rock, Jazz

Als Rätselwesen Kundry im Mittelpunkt: Starsopranistin Nina Stemme (kniend).
Aus dem Erlöser
wird ein Führer
Oper ★★★✩✩
Richard Wagner: Parsifal. Opern-
haus Zürich, 7. und 11. März.
«Gutes Durchhaltevermögen»
wünschte uns die junge Gardero-
biere – vermutend, dass Richard
Wagners 5 Stunden und 25
Minuten dauernder «Parsifal»
jedem zusetzen müsse. Doch
dieses Werk ist für Opernfreunde
keine Belastung, sondern ein
erhabener Traum, der bei idea-
len künstlerischen Bedingungen
nicht lang genug dauern kann.
Die Liebhaber sind im ausver-
kauften Opernhaus für einmal
fast unter sich. Welch ein Ver-
gnügen ist es, sich ihre bissig-
Phantastisches
Bücher
munteren Pausenkommentare
anzuhören. «Ich sehe ‹Parsifal›
seit 50 Jahren – es wird immer
schlechter», wird einer von
ihnen zum Schluss klagen.
Kann Zürich mit dieser pres-
tigeträchtigen Wiederaufnahme
in einem Vergleich mit München
oder Berlin nicht mithalten?
Dirigentin Simone Young
entwarf anfänglich einen wun-
dersam flächigen-dunklen
Klang. Aber daraus entwickelt
sich wenig, es fehlten bald die
Fein- und Zartheiten. Das setzte
sich naturgemäss auf der Bühne
bei den Sängern fort: Forcieren
war hier Programm.
Wenn jemand das so über-
legen und eindrücklich tut wie
Nina Stemme als Kundry, ist es
trotz Schärfen noch ein Genuss.
Aber schon beim Titelhelden
DANIELLE LINIGER
Stefan Vinke wird vieles rau und
glanzlos, ganz zu schweigen von
den anderen. Christof Fischesser
als Gurnemanz hingegen singt
sehr verständlich, aber das
Lyrisch-Balsamische fehlt ihm.
Regisseur Claus Guth lässt
Parsifal in zauberhaften Schloss-
räumen herumirren, im Kontext
des Ersten Weltkrieges eine
Lebensschule durchlaufen:
Daraus kann man Geistreiches
schöpfen, auch wenn zu denken
gibt, dass der Erlöser zum Führer
wird. Doch ohne musikalischen
Sog wirken diese Bilder blass.
«War es schön?», fragte die
Garderobiere zum Schluss hoff-
nungsvoll. Und wir murmelten
– den Kopf voller «Parsifal»-Ge-
danken – «sehr». Jetzt, wo sie
geordnet sind, hiesse es eher:
«Geht so.» Christian Berzins
Kurz und knapp
Klassik Ein Ereignis ★★★★★
Intendanten erwähnen es in
jedem Gespräch, wenn sie
bange an die Zukunft des Kon-
zertes denken: «Wir müssen
aus jedem Abend ein Ereignis
machen.» Das beginne beim
hohen musikalischen Niveau,
reiche über die Location weiter
zum Buffet und ende beim
Kontakt zum Publikum. All das
verbindet die wirblige Kam-
merformation Chaarts in der
Alten Kirche Boswil und ihrem John Wolf Brennan, 64, aus Weggis.
neuen Foyer. «Tavolata» heisst
die Veranstaltungsreihe, die
Andreas Fleck ins Leben geru-
fen hat. Unter dem Titel «1001 Fliegender Teppich
Nacht» wurde vor einer Woche
Rimski-Korsakows «Schehera- Pilgrims: Oriental Orbit. Leo Records 802.
zade» kunstvoll mit Musik von
Saxofonist Daniel Schnyder Der Komponist und Pianist John Wolf Bren-
verbunden, die er für arabische nan ist ein Phänomen. Ein Avantgardist und
Instrumente geschrieben hat. Grenzgänger zwischen Jazz, Welt- und E-Mu-
Und nach dem Jubel genossen sik, der auch vor populären Klängen keine
die Musikfreunde an einer
langen Tafel orientalisch inspi-
Angst hat. Von sublimen Klaviervariationen
zu James Joyce über die wienerisch einge-
rierte Köstlichkeiten. Die färbte Musik seines langjährigen Quartetts
nächste «Tavolata» (17. 3.) führt Pago Libre bis zur grossen Oper reicht sein
nach Wien, trägt den Titel Spektrum. Für seine neue CD hat sich der
«Mozart und Brahms zwischen Schweizer mit irischen Wurzeln zum zweiten
Bier, Ruhm und Sauerkraut». Mal mit zwei Musikern ganz verschiedener
Auf bald! (bez.) Herkunft zusammengetan: Der italienisch-
schweizerische Gitarrist Marco Jencarelli
kommt vom Blues und Rock her, ist aber
auch ein Meister auf der sechs- und zwölf-
saitigen akustischen Gitarre, der Sänger und
Multiinstrumentalist Tony Majdalani stammt
aus Palästina und bringt arabische Klang-
sprachen mit. Er ist in Haifa aufgewachsen,
in einer orthodoxen christlichen Familie,
und trägt drei Traditionen in sich.
Die drei Musiker begeben sich nach ihrem
formidablen Debüt von 2013 abermals auf
eine Pilgerreise durch verschiedene Kultur-
kreise und deren spirituelle Lehren. «Orien-
Saxofonist Daniel Schnyder. tal Orbit» ist ein so ehrgeiziges wie gelunge-
nes Konzeptalbum, das mit seinen 75 Minu-
ten Laufzeit früher einer Doppel-LP entspro-
chen hätte und auch deren programmatische
Ansprüche erfüllt. Es ist dicht und durch-

Urban Gardening
Kinderbuch
Albert Wendt: Henrikes Dach-
garten. Das Wunder auf der
Krummen Sieben. Mit Illustratio-
nen von Linda Wolfsgruber. Jung-
brunnen, Wien 2018. 88 S., Fr.
21.90 (ab 9 J.).
Saisongerechter wäre es, diesen
Buchtipp aufzusparen, bis die
Birken ihr erstes Grün zeigen.
Aber Albert Wendt erzählt nun
mal so verschmitzt und verzau-
bernd von zwei Bäumen auf
einem Dach, dass die Freude an
dem Buch möglichst gleich ver-
breitet sein muss. Oben auf dem
seine Geschichten just die Art
von Heiterkeit und Sprachspiel-
glück, die Erwachsene sehn-
süchtig in Kinderbüchern su-
chen. Hans ten Doornkaat
Starke Zeitbilder
Roman
Wilhelm Genazino: Kein Geld,
keine Uhr, keine Mütze. Hanser,
München 2018, 176 S, Fr. 29.90.
Der 2004 mit dem Büchnerpreis
ausgezeichnete deutsche Autor
Wilhelm Genazino (*1943) zählt
zu jenen Autoren, die man nach
den ersten Sätzen erkennt. Und
er zählt zu jenen Autoren, die
immer wieder das gleiche Buch
schreiben. Sein Thema ist der
Alltag männlicher Aussenseiter
in der Bundesrepublik, die sich
irgendwie durch ihr Angestell-
tenleben quälen, durch die Stadt
stromern, unglücklich mit sich
und der Welt, dabei aber höchst
begabt als Seismografen: Ihre
kleinen Wahrnehmungen über-
zeugen, wir folgen ihnen Satz für
Satz. Sogar ihre freudlose Sexbe-
sessenheit, bei der uns der Autor
kein unappetitliches Detail
erspart, nehmen wir hin. Einen
Plot gibt es auch in diesem
neuen Buch Genazinos nicht. Ein
schwerblütiger Mann flaniert
und sinniert. Kauft sich Socken,
lebt mit Frauen, die sich ge-
legentlich die Brüste amputieren
lassen müssen oder sterben,
überlegt sich, am Eingang eines
Kaufhauses als Hosenberater
tätig zu werden. Genazinos Hel-
den sind verschrobene Egoisten,
hinreissend manchmal, biswei-
len kaum zu ertragen. Sie hadern
mit ihrem Schicksal. Merken
alles und ändern nichts. Das war
schon so in der «Abschaffel»-
Trilogie, mit welcher der Autor
in den 1970er Jahren die Bühne
betrat. Starke Zeitbilder! (pap.)
HOSAM KATAN
dacht, es gibt kein Füllmaterial, die subtile
Polyrhythmik überrascht ebenso wie der
Reichtum der Klangfarben.
Die drei Musiker nehmen uns mit zu einer
Traumreise auf einem fliegenden Teppich.
Virtuosität wird vorausgesetzt, sie steht aber
im Dienst des Ganzen. Keltische und arabi-
sche Musik kommen hier aufs Wunder-
samste zusammen. Und John Wolf Brennan
bringt erneut das Kunststück fertig, Hingabe
mit Humor zu verbinden. Er spielt neben
(mitunter präpariertem) Klavier auch Har-
monium, Glockenspiel und sogar Melodica.
Das Trio experimentiert mit arabischen Ska-
len und ausgefallenen Takten. Es verbindet
zum zweiten Mal Gedankengut der Mystik
mit Mathematik auf faszinierende Weise. Ein
Höhepunkt des Albums ist die weit ausgrei-
fende Komposition «Another Choice: for
Finnegan’s Sake», auf der Brennan die hin-
reissende Rezitation einer Passage aus dem

Mietshaus hat sich eine moosige
Stelle gebildet. Dort spriessen
Birken und andere Pflanzen,
magisch rasch und doch nur
dank dem Zutun von Henrike
und Dachdecker Henne.
Was sich nun entspinnt, ist
kinderbuchtypisch: Das Mäd-
chen und der Alte sind gleich
verspielt, also auch gleich lei-
denschaftlich beim Gärtnern
und Fabulieren. Doch eine ord-
nungssüchtige Mieterin und die
Hausbesitzer wollen das kleine
Paradies verbieten.
Noch attraktiver als der still-
anarchische Garten sind die
Dialoge zwischen Henrike und
Henne und die eigensinnigen
Gedanken des Dachdeckers, der
viel gesehen hat im Leben.
Eigentlich müsste Albert Wendt
längst mit allen grossen Preisen
für Poesie und Träume ausge-
zeichnet worden sein, aber noch
immer sind die Werke des ehe-
maligen Heizers, Ringers
und Traktoristen ein
Geheimtipp, trotz
vielen Theater-
stücken, Hör-
spielen und
Buchver-
öffentlichun-
gen. Dabei
enthalten
Die Menschen in
Aleppo bewahren
ihre Würde
Hosam Katan: Yalla Habibi –
Living with War in Aleppo.
Kehrer, Heidelberg 2017. 152 S.,
80 Farbabbildungen, Fr. 49.90.
Als Hosam Katan das Mädchen
sah, war gerade das Haus ihres
Onkels bombardiert worden,
und sie lehnte an der Hauswand
gegenüber. Der Fotograf wurde
1994 in Aleppo geboren. Als
der Bürgerkrieg ausbrach, fing
er an, den Alltag der Menschen
im Ostteil der Stadt zu doku-
mentieren. Die Bilder, die er von
Spätwerk von James Joyce mit kongenialer
Musik nicht etwa bloss unterlegt, sondern
raffiniert verflicht.
Schwer ist es, diese Musik einer Sparte
zuzuweisen. Sie passt in keine Schublade.
Doch sie müsste all jene faszinieren, die eine
Ader für «Psychedelik» haben. Wer Brennans
Musik unter diesem Aspekt hört, der fühlt
sich hernach bei Pink Floyd & Co. wie auf
dem Kinderspielplatz. Manfred Papst
Kurz und knapp
Nickless: Chapters. Phonag.
22 Jahre jung ist der Zürcher Sänger und
Gitarrist Nicola Kneringer, der sich als
Künstler Nickless nennt. Er schreibt und
singt eingängige Popsongs, die durch ihre
Leichtigkeit überzeugen. «Chapters» ist
bereits sein zweites Album – und mehr als
eine Talentprobe. (pap.)
Charles Lloyd & Chico Hamilton: The
Complete 1960/61 Sessions. Phono/MV.
Bevor der US-amerikanische Saxofonist und
Flötist Charles Lloyd (*1938) mit seinem
2013 bis zu seiner Flucht 2015
machte, zeigen die Zerstörun-
Quartett, dem der blutjunge Keith Jarrett
angehörte, 1966 die Popszene eroberte und
gen durch Bomben, Menschen, zum Weltstar wurde, spielte er in der Band
die Angehörige verloren haben,
und solche, die andere zu retten
des Schlagzeugers Chico Hamilton. Und
die war damals höchst originell besetzt: mit
versuchen. Kinder spielen in Gitarre, Bass und Cello. Lloyd ist schon hier
Trümmern, ein Mann füttert ein Meister der virtuosen, romantischen
Katzen. Ein eindringliches Girlande, und Chico Hamiltons Timing ist
Dokument über den Versuch, umwerfend. Ein Muss für Jazz-Fans. (pap.)
die Würde zu bewahren. (gm.)

Kino
Die Rolle als verliebter Teenager brachte Timothée Chalamet eine Oscar-Nomination ein.
Elio liebt Oliver
Call Me By Your Name ★★★★★
I/F/BRA/USA, 132 Min. Regie:
Luca Guadagnino. Mit Timothée
Chalamet, Armie Hammer.
Wenn der Vater (Michael Stuhl-
barg) am Ende nur nicht diesen
Vortrag halten würde, in dem er
seinem weinenden Sohn Elio
(Timothée Chalamet) versichert,
dass er kein Problem mit dessen
Homosexualität habe. Denn die
Frage, ob so eine Liebe akzepta-
bel sei oder nicht, spielt im Rest
des Films nie eine Rolle.
Ähnlich wie im genauso fein-
fühligen, aber roher inszenierten
Drama «God’s Own Country»
interessiert auch in «Call Me by
Your Name» einzig die Liebe:
Wie sie sich an kaum fassbaren
Kleinigkeiten entzündet, Lei-
denschaft mit sich bringt und
auch Schmerz. Zwischen wem
das geschieht, ist egal. Die ein-
zige Bedrohung, die es für Elio
gibt, ist der Abreisetag von Oli-
Das Leben als
Home Cinema
Superheld ist hart
Serie ★★★★✩
The Tick. 12 Folgen à 30 Min.
Von Ben Edlund. Mit Peter Serafi-
nowicz, Griffin Newman, Valorie
Curry. Läuft auf Amazon.
Der Tick ist blau und hat Fühler,
die Reflexe einer olympiataug-
lichen Dschungelkatze, ist so
stark wie eine ganze Bushalte-
stelle voller Männer, und das
Schicksal spricht direkt zu ihm.
Das ist wenig überraschend,
denn er ist ein Superheld. Natür-
lich ist er unverwundbar. Dafür
herrscht in seinem Oberstüb-
chen gähnende Leere. Deshalb
benötigt er einen Sidekick, und
den findet er im unscheinbaren
Buchhalter Arthur. Dieser wie-
Ermittlungen
TV
im dunklen Tann
Tatort Waldlust
SRF 1/20.05/Krimireihe
Das Ludwigshafener Ermittler-
team fährt zu einem Fort-
bildungswochenende mit Trai-
ner Simon Fröhlich (Peter Trab-
ner). Frau Keller hat ein einsam
gelegenes Schwarzwaldhotel
gebucht, und schon bei der
Ankunft wird klar, warum die
Konditionen so günstig sind: Die
guten Tage des Lorenzhofs sind
definitiv vorbei. Und die beiden
Betreiber Bert Lorenz (Heiko
Pinkowski, Foto),
Humpe genannt,
und seine Nichte
Doro (Eva Bay)
wirken mindes-
tens so seltsam wie
die alte Schauspie-
ver (Armie Hammer), seiner
ersten grossen Liebe.
In intimen, sinnlichen und
manchmal voyeuristischen Bil-
dern, wie man sie aus den Vor-
gängerfilmen «Io sono l’amore»
und «A Bigger Splash» kennt,
erzählt Luca Guadagnino davon,
wie die Liebe den 17-jährigen
Elio zu verändern anfängt und
die Leidenschaft und der
Schmerz ihn erwachsen werden
lassen. Bevor Oliver ankommt,
der Doktorand, der Elios Vater
den Sommer über assistieren
darf, ist Elio ein tagträumender
Teenager, der auf der Suche ist
nach seiner Identität. Mal lässt er
KEYSTONE
Regisseur Luca Guadagnino, 46.
derum hat psychische Probleme,
weil der Bösewicht Terror seinen
Vater getötet hat, als er noch ein
Kind war. Eher widerwillig
stimmt Arthur zu, mit Tick zu-
sammenzuarbeiten, um es mit
der Unterwelt in ihrer Stadt
aufzunehmen.
Der Engländer Christopher
Nolan hat das Superhelden-
Genre mit seiner Batman-Trilo-
gie düsterer gemacht. An dem
kommt auch Tick nicht vorbei.
1986 als Comic von Ben Edlund
im Teenageralter erschaffen,
wurde die Superhelden-Parodie
bereits zweimal in eine Serie
verpackt: 1994 in eine animierte
und 2001 in einer Realverfil-
mung. Die Version von 2001 ist
absurder und daher lustiger,
dafür orientiert sich die Amazon-
Serie mehr an der Realität: Die
Welt ist hart und brutal, und
lerin Lilo Viardot (Ruth Bickel-
haupt), die als Dauergast durch
das marode Hotel geistert. Zwar
lassen sich die Ludwigshafener
Gäste erst mal nicht von den
Äusserlichkeiten abschrecken.
Als sich allerdings im vegetari-
schen Tagungsessen Knochen-
splitter finden und schon bald
als menschliche identifiziert
werden, ist die Ermittlerneugier
geweckt. Zumal sich heraus-
stellt, dass Humpe wegen Mor-
des an seiner Schwägerin zwölf
Jahre Gefängnis abgesessen hat
und eine Privatfehde gegen den
Ortspolizisten Brunner (Jürgen
Maurer) pflegt. So beginnen
Hauptkommissarin Odenthal
(Ulrike Folkerts), Kollegin Johan-
na Stern (Lisa Bitter) und der
Rest der Abteilung, Teamcoa-
ching hin oder her, Nachfor-
schungen zu betreiben und las-
sen dabei auch das für die Gäste
gesperrte Zimmer 237 nicht aus.
sich von seiner französischen
Mutter eine mittelalterliche
Liebesgeschichte vorlesen; mal
probiert er mit seiner Freundin
die Reize ihrer beider erwachsen
werdenden Körper aus. Und
dann kommt Oliver. «Eindring-
ling», nennt ihn Elio, als er
widerwillig sein Zimmer für ihn
freiräumt. Aber bald besetzt der
gutaussehende Charmeur nicht
nur sein Zimmer, sondern auch
das Herz des Teenagers.
Das alles spielt sich 1983 ab, in
und um ein Landhaus in Crema,
einem bildungsbürgerlichen
Paradies, in dem es keine Sünde
gibt. Hier gedeiht Elio und
wächst an der Liebe. Eine der
schönsten Szenen ist, als die
beiden «Call me by your name»
- «Nenn mich bei deinem
Namen» – spielen: «Oliver», sagt
Oliver zu Elio. «Elio», sagt dieser
zu ihm. Wenn die Mutter am
Ende nach ihrem Sohn ruft, so
ruft sie auch nach demjenigen,
der jetzt in Elios Herz wohnt und
dessen Liebe ihn zum Mann
geformt hat. Denise Bucher
auch Superhelden sind nur feh-
lerhafte Menschen. Der Film
«Deadpool» hat 2016 dem Main-
streampublikum die Absurdität
von Superhelden aufgezeigt,
«The Tick» baut diese Einsicht
aus. Und so wird Arthur vom
intelligenten Schiff Dangerboat,
Superheld The Tick (Peter Serafinowicz) mit seinem Sidekick.
Tipps des Tages
Spotlight
SRF zwei/20.05/Drama
Das als «Spotlight» bekannte
Investigativteam des «Boston
Globe» wird 2001 auf einen
katholischen Priester angesetzt,
dem sexueller Missbrauch Min-
derjähriger vorgeworfen wird.
Die drei Tage des Condor
Arte/20.15/Thriller
Joe Turner (Robert Redford)
arbeitet für die CIA. Eines Tages
werden alle seine Kollegen aus
der Abteilung ermordet, und
eine gnadenlose Jagd beginnt.
Ein Sommer auf Mallorca
ZDF/20.15/TV-Romanze
Victoria (Katharina Müller-
Elmau) will sich scheiden lassen.
Doch als sie ihren Noch-Ehe-
Kurz und knapp
Dene wos guet geit ★★★★★
Cyril Schäublin (*1984) erzählt
in seinem Erstling von einer
Call-Center-Mitarbeiterin, die
alte Frauen ausnimmt. Diese
Story dient ihm aber lediglich
als Vorwand, um das an Anto-
nioni gemahnende Sitten-
gemälde einer empathielosen
Gesellschaft zu zeichnen, in der
die Menschen über Zahlen wie
Passwörter definiert werden
und ständig über Geld reden.
Endlich mal ein junger Schwei-
zer Regisseur, der über Bilder
erzählen kann, ohne bloss eine
Stilblüte hervorzubringen. (cj.)
The Post ★★★✩✩
Den Inhalt der Pentagon
Papers publizieren oder nicht?
Erst als sich die Verlegerin der
«Washington Post» (Meryl
Streep) diese Frage stellt,
gewinnt dieses interessante,
aber visuell und dramaturgisch
flach geratene Lob von Steven
Spielberg auf den investigati-
ven Journalismus an Fahrt. (cj.)
Das Erste und das Letzte
★★★★✩
Jacqueline von Kaenel erhält
eine schlimme Diagnose. Sie
blickt zurück auf ihre Kindheit
in einer rigiden Familie im
Franco-Spanien und nimmt
würdevoll Abschied von ihren
Söhnen. Kaspar Kasics war
beim Prozess mit der Kamera
dabei und hat daraus einen
unaufgeregten, sehr berühren-
den Dokfilm gemacht. (cj.)
Gotthard ★★★★✩
Liebevoll gestalteter
Dok von Kevin Merz
über die Schweizer
Rock-
band.
(cj.)
das in ihn verliebt ist, in der
Dusche mit einem Wasserstrahl
sexuell belästigt oder von Tick in
einem Anzug mit Flügeln aus
dem Fenster geworfen, um wie
ein toter Schmetterling auf dem
Dach eines Autos zu landen.
Murièle Weber
mann (Christoph M. Ohrt) trifft,
flammt die alte Liebe wieder auf.
The Revenant
SRF zwei/22.10/Actionthriller
USA 1823: Der Trapper Hugh
Glass (Leonardo DiCaprio)
kämpft mutig gegen hungrige
Bären, rachsüchtige Ureinwoh-
ner und verräterische Freunde.
Hugh Glass (Leonardo DiCaprio).
65
Haupt,
Kopf, Grind
und Birne
Zugabe
Manfred Papst
A
us gutem Grund
haben wir ganz
verschiedene
Wörter für die
gleiche Sache. Am
Karfreitag werden
wir wieder Paul Gerhards Kir-
chenlied «O Haupt voll Blut und
Wunden» singen. Es käme uns
nicht in den Sinn, in diesem
Zusammenhang das Wort «Kopf»
zu verwenden. Das Haupt ist
etwas Edleres, selbst wenn wir
es bisweilen mit leiser Ironie
bedenken. «Der Vater schüttelte
sein weises Haupt»: Da schwingt
ein Hauch von Zweifel mit.
Umgekehrt können wir, so
weise wir auch sein mögen, nicht
von «Hauptweh» sprechen. Wir
bringen es bestenfalls zum Kopf-
weh oder manchmal, wenn wir
zum Beispiel nächtens einem
Château Migraine zugesprochen
haben, sogar nur zum Grindweh.
Bisweilen fordert auch die
Schönheit des Verses ihren
Tribut: «Des Morgens, wenn ich
früh aufsteh’, / dann tut mir
meine Birne weh.» Da würden
weder Haupt noch Kopf noch
Grind in die Satzmelodie passen.
Asche dagegen können wir uns
rätselhafterweise nur aufs Haupt
streuen, und der Hauptbahnhof
ist nicht unbedingt ein Kopf-
bahnhof.
Was wir wichtig finden, das ist
für uns eine Hauptsache. Diese
ist aber vielleicht eine Herzens-
angelegenheit, also sicher nicht
kopflastig. Verkopft wollen wir
nicht sein, aber behaupten
müssen wir uns schon. Kopflos
handeln wollen wir nicht. Und
wenn wir sagen, etwas sei so
unnötig wie ein Grind, meinen
Blickpunkt wir damit nicht einen dummen
Schädel, sondern den gleich-
Heinz namigen Wundschorf.
Spoerli Über dem Haupt steht das
Oberhaupt. Wir würden zögern
Aus den «Zürcher bei der Formulierung, der Papst
Pfingsten mit Bal- sei der Oberkopf oder der Ober-
lettmeister Heinz grind der katholischen Kirche.
Spoerli» wird nichts: Handkehrum kennt das Schwei-
Das Zürcher Kam- zerdeutsche für einen sturen,
merorchester bornierten Menschen das schöne
schreibt auf Anfrage, Wort «Grindueli». Meines Wis-
dass man nach «reif- sens geht es nicht erst auf unse-
licher Überlegung» ren gegenwärtigen Finanzminis-
die «Goldbergvaria- ter zurück, sondern hat schon
tionen» (19./21.5.) eine längere Tradition. Aller-
absagen müsse, da dings passt der Begriff Ueli
sich die Aufführung Maurer wie angegossen.
im Schauspielhaus Wir können enthauptet oder
nicht durchführen geköpft werden. Die beiden
lasse. Schade, ist es Massnahmen laufen letztlich
nicht möglich, eine aufs Gleiche hinaus, die Ent-
andere Produktion hauptung hat aber etwas gleich-
zu zeigen. Der Direc- sam Aristokratisches. Da putzt
tor’s Cut mit Spoerli sich der Scharfrichter heraus,
am 8.5. – ein Ge- zieht seine Sonntagskleider an
sprächskonzert und legt sogar etwas Rasierwas-
– findet statt. (bez.) ser auf. Beim Köpfen und Ent-
grinden geht es rustikaler zu. Da
hat der Scherge möglicherweise
noch nicht einmal geduscht, und
der letzte Eindruck, den wir von
der Welt mitnehmen, ist sein
Müffeln. Unerfreulich!
Barhaupt treten wir bisweilen
aus dem Hause, also ohne Kopf-
bedeckung, aber weder barköp-
fig noch ohne Hauptbedeckung.
Figura zeigt: Die Sprache macht,
was sie will. Aber etwas wollen
tut sie. Das bekopfe ich jetzt
einfach einmal. Ob es Ihnen ins
Haupt will oder nicht.
Ich hirne, ich hirne, mir platzt
schon gleich die Birne!
 Wetter
NZZ am Sonntag 4. März 2018

Wetterprognose Aussichten für kommende Woche

Alpennordseite Aussichten bis Sonntag:

Schaffhausen Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag Sonntag Am Montag ist es in den Alpen-
tälern leicht föhnig. Auf der
–2° 10°
Basel Alpennordseite zeigt sich nach
0° 11° St. Gallen etwas Nebel und trotz Wolken-
feldern oft die Sonne. Im Süden
Zürich 0° 10°
gibt es etwas Regen.
–2° 10° 10° 6° 6° 9° 10° 15° 7° Am Dienstag dominieren
2° 2° 2° 1° 2° 3° 5° überall die Wolken, und zeit-
La Chaux-de-Fonds
Luzern Glarus weise fällt Niederschlag.
–2° 6°
Am Mittwoch bleibt es
Bern –1° 10° –2° 10°
Alpensüdseite unbeständig mit vielen Wolken
–2° 8° Chur Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag Sonntag und Regen oder in höheren
Freiburg
2° 13° Lagen Schnee.
–1° 8°
Interlaken Am Donnerstag dürfte sich
–1° 9° nach den jetzigen Unterlagen
Gotthard
Lausanne St. Moritz eine leichte Wetterbesserung
Montreux –9° –3° durchsetzen.
0° 8° –12° 4°
2° 10° 8° 8° 8° 10° 12° 11° 9° Am Freitag steigen die
2° 3° 3° 2° 2° 2° 5° Temperaturen bei veränder-
Genf Sitten lichen Verhältnissen etwas an.
–1° 10° Locarno
–1° 8° Am Samstag und Sonntag
Martigny –2° 9°
sieht es im Süden eher grau und
0° 11°
Lugano Sonne und Mond Bergwetter zeitweise nass aus. Nördlich der
0° 8°
Alpen scheint vor allem der
Sonne Deutschschweiz Samstag dank Föhneinfluss
Aufgang: 7.00 Wind km/h/
/h °C
C noch freundlich zu sein. Am
Allgemeine Lage: Die Schweiz Alpennordseite, Wallis, Nord- Alpensüdseite und Engadin: In Untergang: 18.15 3000 m SW 30– 60 –5° Sonntag wird es auch im
liegt auf der Vorderseite eines und Mittelbünden: Im Mittel- den Tälern ist es etwas dunstig. 24 min mehr Sonne 2000 m SW 25– 50 2° Norden wieder nass.
Tiefdruckgebietes über dem land startet der Sonntag teilwei- Abgesehen davon scheint oft als vor einer Woche 1000 m S 10– 20 9°
Atlantik und den Britischen se neblig. Der Nebel löst sich im die Sonne, es ziehen lediglich Trend für übernächste Woche:
Inseln. Über den Alpen entsteht Tagesverlauf auf. Ansonsten ist harmlose Wolkenfelder durch. Mond Alpensüdseite Die Wetterentwicklung ist noch
somit eine Südföhnlage. Mit es trotz vorüberziehenden Wol- Das Temperaturniveau ist Aufgang: 21.14 Wind km/h/
/h °C sehr unsicher. Nach den
der südwestlichen Höhenströ- kenfeldern freundlich und teil- leicht tiefer als nördlich der Untergang: 8.28 3000 m SW 25 – 50 –8° jüngsten Trends dürfte es eher
mung wird deutlich mildere weise sonnig. In den Alpentä-
Alpentä Alpen. Im Südtessin reicht es Abnehmend 2000 m SW 20 – 40 –2° mild, aber auch ziemlich
Luft zu uns geführt. lern kommt Föhn auf. trotzdem für knapp 10 Grad. Füllgrad: 93% 1000 m S 5 – 15 3° wechselhaft weitergehen.

Allgemeine Lage heute Sonntag um 13 Uhr Schneebericht

Tiefdruck- Tal Berg Tal Berg Tal Berg

–6° zentrum
Tromsö Adelboden 16 cm 203 cm Flims-Laax 65 cm 483 cm Riederalp 179 cm 229 cm
T Andermatt 95 cm 490 cm Flumserberge 110 cm 170 cm Saas Fee 120 cm 470 cm
Arosa 130 cm 200 cm Grindelwald 8 cm 230 cm Savognin 35 cm 160 cm
Hochdruck-
zentrum
Crans-Montana 63 cm 356 cm Gstaad 20 cm 200 cm Schuls 35 cm 180 cm
1025
–1° Davos 123 cm 246 cm Hoch-Ybrig 40 cm 160 cm St. Moritz 85 cm 148 cm
Reykjavik H Engelberg 15 cm 620 cm Lenzerheide 115 cm 275 cm Verbier 98 cm 350 cm
5 Elm 25 cm 300 cm Les Diablerets 40 cm 230 cm Zermatt 150 cm 350 cm
101 Isobaren
–8° Luftdruck
1005 –4° –8° in hPa
St. Petersburg
Oslo –4° Helsinki
Stockholm
10
05
Kaltfront
Wetter gestern / Extremwerte
995 2°
Edinburg –2°
–8°
Werte gestern Tagesmin. Tagesmax. Regen
Kopenhagen
Moskau 6 Uhr 12 Uhr Regen bis 12 Uhr Jahr Grad Jahr Grad Jahr mm
Warmfront
5°
Dublin 9° 9° 2° –3° T Zürich –4,7° 0,3° 0,0 mm 1965 –17,1 1997 19,8 2001 25,6
London Amsterdam Berlin Warschau 995 Basel –1,4° –0,1° 0,0 mm 1965 –13,4 1998 22,5 2006 53,6
T 9°
Brüssel –5°
Bern –5,8° 0,0° 0,0 mm 1890 –15,7 1920 18,6 1931 30,3
985 Kiew Okklusion Genf –1,4° 1,0° 0,7 mm 1965 –13,1 1977 19,1 1959 33,7
9° 4°
9° Paris Prag –1° Lugano 1,7° 4,2° 0,0 mm 1890 –6,5 1938 22,8 1959 45,8
Brest –1°
10° Wien
8° München Budapest –5°
Bern Odessa
995 0°
12°
Bordeaux
Belgrad –1°
Bukarest Wetterlexikon: Wetter und Klima
12° 12°
Nizza
T 13°
Dubrovnik
Die Begriffe Wetter und Klima Erdoberfläche herrscht. Spür- grundsätzlich und über längere
12° 15° Rom 15°
Madrid Barcelona Istanbul werden oft miteinander ver- und messbare Parameter für das Zeit möglich sind, sowie ihre
15° wechselt, deshalb sei hier nun Wetter sind etwa die Dauer des typische Aufeinanderfolge.
15° Palma
Lissabon 17° 19° Klarheit geschaffen. Das Wetter Sonnenscheins oder die Menge Man könnte auch sagen: Das
Athen 18°
Palermo Antalya beschreibt den Zustand der des Niederschlags. Das Klima Klima ist eine Theaterbühne, auf
21°
16° Tunis
Gibraltar 19° Atmosphäre, wie er kurzzeitig hingegen beschreibt alle Wetter- der jeden Tag ein anderes Stück
Algier 22°
T Nikosia an einem bestimmten Ort der zustände, die an einem Ort – das Wetter – gespielt wird.

27°
Tel Aviv MeteoNews AG | Peter Wick | meteonews.ch
Das Schweizer Wetter Fernsehen: meteonews.tv
1005 MeteoNews iPhone App: iphone.meteonews.ch
Ihre persönliche Wetterberatung: 0900 575 775
(CHF 2.80/Min. vom Schweizer Festnetz)

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jeweils von Experten der Redaktion recherchiert und von der Leserschaft sowie dem Fachpublikum
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Hatten Sie als Kind einen Traumberuf?
Als kleiner Junge: Buschauffeur. Als
Jüngling: Dirigent. Dann auch: Künstler
Inhalt
und Unternehmer. Ich träumte davon,
eigene Möglichkeiten zu erkunden.
Arbeitswelt — Arbeitsstress
Doch die Vorstellung eines eigenen Gemäss Job-Stress-Index der Gesund-
Berufes war noch sehr weit weg. heitsförderung Schweiz leidet ein Vier-
tel der Erwerbstätigen an Stress am
Haben Sie Ihre Laufbahn genau vor Arbeitsplatz. Die Einbussen als Kon-
sich gesehen? sequenz daraus veranschlagt die Studie
Die wichtigsten Schwerpunktthemen auf 5,7 Milliarden Franken jährlich. 6
hatte ich mit Anfang zwanzig identifi- Unternehmensleitung, GL 2
ziert. Die Umsetzung war mir allerdings Banken, Versicherungen 2
zu jenem Zeitpunkt nicht klar. Das
Consulting, Recht 3
Erkennen und Nutzen von glücklichen
Zufällen und Begegnungen spielte eine Medizin, Gesundheit 4
wichtige Rolle. Chemie/Pharma 4
Marketing, Verkauf 4
Was würden Sie anders machen, wenn Stellengesuche 5
Sie nochmals neu beginnen könnten?
Ein Schritt nach dem anderen führte Anzeigenverkauf
zu dem, was ich heute gern tue. Damit Tel. 044 258 16 98, Fax 044 258 13 70
war auch jeder Schritt richtig und wich- inserate�nzz.ch
tig für meine Geschichte – die Erfolge Stellenmarkt www.jobs.nzz.ch
und die Misserfolge. Letztere vielleicht
sogar noch mehr.

Wie wurden Sie von Ihren Lehrern ein-

geschätzt? Impressum
Ich war kein Topschüler. Mit Aus-
nahme ausgerechnet meiner Pubertäts- Chefredaktion: Eric Gujer. Verantwortlich für
jahre vor dem Gymnasium war ich diese Beilage: Walter Hagenbüchle. Redaktion
fokussiert. Ab dann meinten sie, wenn und Verlag: Neue Zürcher Zeitung AG, Postfach,
wohlwollend: «Du wirst deinen Weg Pascal Geissbühler ärgert sich über Selbstbezogenheit, Selbstverliebtheit und Selbstüberschätzung. GORAN BASIC / NZZ 8021 Zürich, Telefon, 044 258 11 11.
schon finden.» Im Studium dann: «Du
hast ausgeprägte Interessengebiete.
Öffne und vernetze dich.»

«Das Wichtigste ist, sich seines

Jugendlichen im Reitsport.
Auf welche ausserschulische Leistung
in Ihrer Jugend sind Sie noch heute Ist die Management-Ausbildung auf

Profils bewusst zu werden»

stolz?
Mein Geld mit zu verdienen, ab 14
beim damaligen Anti-Brumm-Herstel-
ler Eduard Vogt in Herrliberg, ab 15 im
Programmverkauf des Opernhauses
Zürich sowie im Unterrichten von
der Höhe der Zeit?
Der Ausbildungs- und Weiterbil-
dungsmarkt ist enorm gewachsen und
ist kaum mehr zu überblicken. Das
Wichtigste ist, sich seines Profils
33 Fragen an Pascal Geissbühler, Inhaber Biographis Creating Careers, Zürich Fortsetzung auf Seite 3

Hochschulleitung
Unternehmerischer Gestaltungsspielraum
Die Psychiatrie Baselland (www.pbl.ch) zählt zu den führenden
Die Pädagogische Hochschule Zürich ist mit über 3500 Studierenden eine der grössten psychiatrischen Institutionen in der Deutschschweiz. Sie gewähr-
Lehrerinnen- und Lehrerbildungsinstitutionen der Schweiz. Sie führt ein umfassendes leistet ein umfassendes ambulantes, intermediäres und stationäres
Angebot in den Leistungsbereichen Ausbildung, Weiterbildung, Forschung & Entwicklung Angebot für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. An mehreren
Standorten engagieren sich rund 1000 Mitarbeitende in der Be-
sowie Dienstleistungen.
handlung, Pflege, Betreuung und Arbeitsintegration. Infolge Pen-
An der Pädagogischen Hochschule Zürich ist infolge Pensionierung des Stelleninhabers sionierung des Stelleninhabers suchen wir eine sozialkompetente,
auf 1. Januar 2019 oder nach Vereinbarung folgende Stelle zu besetzen: lösungsorientierte Persönlichkeit (m/w) als

Verwaltungsdirektorin/ CEO
Verwaltungsdirektor In dieser ganzheitlichen, interdisziplinären Führungsaufgabe tragen
Sie die Verantwortung für die operative und betriebliche Leitung
der Psychiatrie Baselland. Sie stellen die Erfüllung des Leistungs-
Die Verwaltungsdirektion ist für die betrieblichen Supportprozesse der Hochschule zustän- auftrages sowie die Umsetzung der Eignerstrategie zusammen mit
dig. Sie erbringt professionelle Dienstleistungen
n in den Bereichen Finanzen und Controlling, EA_iLjCQ8AAAA=</wm>
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dem Verwaltungsrat sicher. Im Fokus Ihres Engagements stehen die

Personal, Facility Management, Information & Communication Technology (ICT) sowie
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BhcxwZBbdtf537Owmqm1qt9HREqeHZMIr7SEhd4LKyccGAHt0IhQPzXwwyjsllmAQvN6Cjf6_MDMFV6snEAAAA=</wm>

Umsetzung der Unternehmensziele, die Positionierung am Markt,

im Bereich der Hochschulbibliothek. Als Mitglied der Hochschulleitung ist die Verwaltungs- der nachhaltige medizinische und betriebswirtschaftliche Erfolg
sowie die Sicherung einer effizienten Führungs- und Organisations-
direktorin/der Verwaltungsdirektor in die strategische Entwicklung der gesamten Hoch-
struktur. Sie initiieren und koordinieren wichtige Projekte, führen
schule eingebunden.
anspruchsvolle Vertragsverhandlungen und sichern professionel-
Die Herausforderungen des sich rasch verändernden Hochschulumfeldes erfordern beson- le Management-Prozesse. Sie verfügen über eine abgeschlossene
Hochschulausbildung sowie fundierte Weiterbildungen in Unter-
dere Fähigkeiten in der strategischen Führung und Entwicklung komplexer Organisationen.
nehmungsführung und Spitalwesen. Wir erwarten eine mehrjährige
Erwartet werden ausgewiesene Führungsqualitäten, mehrjährige Erfahrungen auf der
Stufe Geschäftsleitung, hervorragende Sozialkompetenzen und eine ausgeprägte Kommu-
erfolgreiche Managementerfahrung
nikationsfähigkeit.
im Gesundheitswesen
Wir suchen eine dienstleistungsorientierte Persönlichkeit, welche mit den unterschiedlichen vorzugsweise in einem Spital. Als integre, motivierende Leader-
Anforderungen an die Verwaltungsdirektion konstruktiv umgehen kann und Veränderungen persönlichkeit prägen Sie Kultur und Werte, führen mit Fingerspit-
in unserer Hochschule lösungsorientiert angeht. Vorausgesetzt wird ein Hochschulabschluss, zengefühl und Überzeugungskraft und beweisen Durchsetzungsver-
vorzugsweise in Betriebswirtschaft, vertiefte IT-Kenntnisse und Erfahrungen im Projekt- mögen. Ihre ausgeprägten Netzwerkqualitäten und Ihre praktische
management. Vertrautheit mit dem schweizerischen Bildungssystem ist von Vorteil. Erfahrung mit anspruchsvollen Veränderungs- und Digitalisierungs-
prozessen sind Ihnen im dynamischen Alltag eine wertvolle Unter-
Wir bieten Ihnen Gestaltungsräume für die langfristige Weiterentwicklung der Verwaltungs- stützung. Es erwarten Sie eine anspruchsvolle, abwechslungsreiche
direktion und der Pädagogischen Hochschule Zürich, hoch motivierte und vielfältig qualifi- Aufgabe mit unternehmerischem Gestaltungsspielraum, ein profes- WILHE LM
zierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie einen attraktiven Arbeitsplatz im modernen sionelles Umfeld sowie engagierte, motivierte Mitarbeitende. COMPETENCE
Campus direkt beim Hauptbahnhof Zürich. IN HR SOLUTIONS.
Peter Isler freut sich auf Ihre Bewerbung, welche Sie bitte online SINCE 1979.
Ihre Bewerbung lassen Sie uns bitte bis zum 18. März 2018 online über die entsprechende oder per E-Mail an peter.isler@wilhelm.ch einreichen. Absolute Dis-
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Telefon +41 61 228 10 10
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Die Pädagogische Hochschule Zürich ist Mitglied der Zürcher Fachhochschule
2 NZZ am Sonntag 4. März 2018

Sie übernehmen als Unternehmenspersönlichkeit ein hervorragend geführtes,

ausgezeichnet positioniertes, erfolgreiches Unternehmen

Die Firma zählt zu den führenden Unternehmen der Schweiz, die einzigartige, individuelle Küchen-, Bad- und
Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sucht zum
Wohnausstattungen konzipiert und herstellt. Sie legt grossen Wert auf sehr gute Beziehungen zu ihren Kunden 01.10.2019 einen/eine
und ihren hoch motivierten und langjährigen Mitarbeitenden. Die hohe Qualität wird mit modernsten Fertigungsan-
lagen flexibel nach Mass und perfekt bis ins Detail angefertigt. Der Umwelt gegenüber zeigt sich die Firma in jeder Präsidenten/Präsidentin
Hinsicht verpflichtet. Für unsere Mandantin suchen wir die erfahrene und passionierte Führungspersönlichkeit als Als die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft
schafft und vermittelt das Karlsruher Institut für Technologie

GeschäftsführerIn, UnternehmerIn oder InvestorIn (KIT) Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den
globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den
Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Daran
Sie wollen das erfolgreiche Unternehmen in die Zukunft führen arbeiten am KIT rund 9.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
auf einer breiten disziplinären Basis in Forschung, Lehre und
Die Ausgangslage Innovation zusammen.
Die Einzigartigkeit und hohe Innovationskraft wird durch eine eigene Design- und Entwicklungsabteilung rea- Der Präsident/die Präsidentin bildet gemeinsam mit fünf
lisiert. Die hauseigene, grosse Ausstellung präsentiert die eindrückliche Bandbreite der gesamten Leistungs- Vizepräsidenten/-innen die oberste Leitungsebene (Präsidium)
des KIT und ist zugleich Vorsitzende/r des KIT-Senats. Er/Sie
fähigkeit. Sowohl Grosskunden wie auch Einzelkunden werden gleichermassen sorgfältig bedient. Ein etablier- legt die Richtlinien für die Aufgaben des Präsidiums fest und
tes Netz von mehreren Dutzend Händlern ermöglicht den Vertrieb in der gesamten Schweiz. Das Unternehmen vertritt das KIT nach innen und außen. Zudem ist das Amt
wurde vor 40 Jahren von den jetzigen Besitzern gestartet, mit Herzblut ausgebaut und stetig weiterentwickelt. derzeit mit der Koordination des Helmholtz-Forschungsbe-
reichs Energie verbunden.
Ihre Chance Die Größe und die besondere Aufgabenstellung des KIT sowie
Die Nachfolgeregelung gestaltet sich zurzeit in ihrer exakten Ausprägung noch als offen: Als Geschäfts- die enge Zusammenarbeit mit Hochschulen, außeruniversitären
führer übernehmen Sie die Gesamtleitung und führen das Unternehmen strategisch in die Zukunft. Als zu- Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen auf
künftiger Unternehmer können Sie sich – allenfalls über einen Zeitraum von mehreren Jahren – beteiligen. nationaler und internationaler Ebene, verlangen eine Persönlich-
keit mit ausgewiesenen Fähigkeiten zur Organisation, Leitung
Als Investor übernehmen Sie idealerweise das gesamte Unternehmen oder substantielle Unternehmensteile. und Weiterentwicklung komplexer Strukturen. Ausgeprägte
Führungs- und Kommunikationsfähigkeiten auch im internatio-
Ihr Profil
nalen Kontext sowie Managementerfahrungen im Hochschul-
Als Geschäftsführer und Unternehmer sind Sie mit der Branche vertraut und verfügen im Küchen- und / oder bereich und im Bereich der außeruniversitären überregionalen
Bad- und / oder Möbelbereich über eine langjährige Führungserfahrung. Sie kommunizieren in den drei wichtigs- Forschungsorganisation sind Voraussetzungen. Ein fachlicher
ten Landessprachen. Wenn Sie sich beteiligen wollen, ist eine substantielle Investition erforderlich. Als Investor Hintergrund in einem der Forschungsschwerpunkte des KIT
wollen Sie die erfolgreiche Firma eigenständig weiterführen. wird erwartet.
Wesentliche Herausforderungen für den künftigen Präsiden-
Für weitergehende Informationen stehen wir Ihnen, als beauftragte Consultants, sehr gerne zur Verfügung. ten/die künftige Präsidentin ergeben sich mit der Weiterent-
wicklung des KIT unter Ausschöpfung der gesetzlichen Rah-
CF Consult, Marktgasse 6/8, 3011 Bern, www.cfconsult.ch, 079 456 27 60 oder 078 628 00 22. Wir freuen uns menbedingungen und durch die strategische Positionierung
auf Ihr Interesse und Ihre elektronische Bewerbung an cf@cfconsult.ch. Bitte vermerken Sie, für welche Auf- von Forschung, Lehre und Innovation, mit dem Ziel das KIT
gabe – Geschäftsführer oder Unternehmer oder Investor – Sie sich interessieren. im nationalen und internationalen Wettbewerb weiter zu
stärken.
Zum Präsidenten/Zur Präsidentin kann bestellt werden, wer
dem KIT hauptberuflich als Professor/Professorin oder leiten-
der Wissenschaftler/leitende Wissenschaftlerin im Sinne des
§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KIT-Gesetz angehört oder wer eine
abgeschlossene Hochschulausbildung besitzt und auf Grund
einer mehrjährigen leitenden beruflichen Tätigkeit, insbeson-
dere in Wissenschaft, Forschung oder Wirtschaft, erwarten
lässt, den Aufgaben des Amtes gewachsen zu sein. Die
Bestellung erfolgt für die Dauer von sechs Jahren. Die Vergü-
tung entspricht der Besoldungsgruppe W3. Eine Wiederbe-
stellung ist möglich.
Der gegenwärtige Amtsinhaber wird sich wieder bewerben.
Das KIT hat sich die Förderung von Frauen in Führungsposi-
tionen zum Ziel gesetzt. Bewerbungen von Frauen werden
daher sehr begrüßt. Schwerbehinderte Bewerber bzw. Be-

Luzern werberinnen werden bei gleicher Eignung bevorzugt berück-

sichtigt.

Senior Finanzanalyst/in
Bitte richten Sie Ihre Bewerbung mit aussagefähigen Unter-
lagen bis zum 31.03.2018 an:
Karlsruher Institut für Technologie

(Buy-Side)
Professorin Dr. Renate Schubert
Vorsitzende des Aufsichtsrats
Kaiserstraße 12
76131 Karlsruhe
Oder per E-Mail an: AR-Geschaeftsstelle@kit.edu.
Unsere Finanzanalyse ist mit ihrem Research auf die Optimierung der Asset-Allocation für pri-
Weitere Informationen finden Sie im Internet: www.kit.edu.
vate und institutionelle Kunden ausgerichtet. In unserem Buy-Side-Analyseteam suchen wir KIT – Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft

eine Finanzanalystin oder einen Finanzanalysten für folgende Aufgaben:

Analyse von traditionellen und nicht-traditionellen Anlagen mit Schwergewicht Aktien-

markt Schweiz

Erstellung von anlagespezifischen Publikationen

Mitwirkung bei der Festlegung der taktischen Anlagepolitik

Erarbeitung von Anlageideen

Beantwortung von Anfragen unserer Kundenberater/innen

Interne und externe Kommunikation (interne Schulungen, Präsentationen, Bearbeitung
Medienanfragen usw.)
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Sie erfüllen folgende Anforderungen:       Ç à
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Universitäts- oder Fachhochschulabschluss áß    ·®®® Õ    ¯®®® 

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fachspezifische Weiterbildung oder Bereitschaft dazu (CIIA, CFA etc.)
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fundierte Kenntnisse der Finanzbranche sowie Erfahrung im Schweizer Aktienmarkt
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Interesse an der Weltwirtschaft
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ausgeprägte analytische Fähigkeiten

selbstständige und zuverlässige Arbeitsweise sowie vernetztes Denken
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überdurchschnittlich gute Ausdrucksweise in Wort und Schrift in Deutsch und Englisch Õ   Åà ¦¶® « ¯®®£§

erwiesene Kommunikationsfähigkeit und Präsentationserfahrung (u.a. Medienauftritte)
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Wir bieten Ihnen eine spannende und vielseitige Position in einem kleinen Spezialistenteam.
Ausserdem finden Sie bei uns eine moderne Infrastruktur, attraktive Anstellungsbedingungen
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unterlagen an Monika Mattmann, Leiterin Personalgewinnung und –betreuung, Direktwahl
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www.parlament.ch, Rubrik «Stellenausschreibungen der Gerichtskommission».
 NZZ am Sonntag 4. März 2018 3

«. . . sich seines Profils bewusst zu werden»

Fortsetzung von Seite 1
bewusst zu werden, ehe eine Ausbil-
dung anvisiert wird: Was ergibt für mich
wann und wo Sinn? Generell empfehle
ich, dem eigenen Entwickeln von Kom-
petenzen wieder mehr zuzutrauen als
einer formellen Ausbildung. Mein Han-
deln, meine Aktivitäten schreibe ich
nur ungern einer Ausbildung oder
Nichtausbildung zu.
Wo würden Sie in der Führungsschu-
lung andere Akzente setzen?
In der Selbstentwicklung: Was ist mir
wichtig? Was biete ich? Was sind meine
Perspektiven? Was ist mein Profil? Und
damit verbunden die Frage: Warum tue
ich, was ich tue?
Wer hat Sie am meisten gefördert?
Vielleicht gerade jene, die mich nicht
aktiv gefördert haben, sondern mich
wohlwollend machen liessen. So konnte
ich mich letztlich selber fördern. Dann
wohl auch meine Zeit an der Hoch-
schule für Gestaltung und Kunst – ein
Ort der maximalen Selbstverunsiche-
rung. Und eine optimale Grundlage für
die heutige Zeit.
Welche Person ist für Sie ein beruf-
liches Vorbild?
Menschen, die ihre beruflichen
Grenzen ausweiten. Dieter Meier oder
Patrick Frey sind schöne, bereichernde
Beispiele dafür. Ich hörte schon kriti-
sche Stimmen sagen, sie könnten ihre
Aktivitäten dank finanziellen Ressour-
cen ausleben. Trotzdem: Sie könnten
auch viel weniger tun.
Welches sind für Sie die wichtigsten
Tugenden eines Vorgesetzten?
Zu wissen, warum er oder sie gern
zur Arbeit geht. Das Einsetzen und
Weiterentwickeln eigener Stärken. Und
die Klarheit bezüglich des zu erreichen-
den Ziels. Letztgenanntes allein reicht
aber meist nicht mehr aus.
Welche Eigenschaften Ihrer Mitarbei-
tenden halten Sie für besonders wert-
voll?
Das Bewusstsein für die eigenen
Überzeugungen. Und damit verbunden
die Kraft, diese mit dem Arbeitgeber
abzugleichen. Die Loyalität und Ehr-
lichkeit zu sagen: Ja, es passt, oder eben
nein. Und dann die Konsequenz, eine
Veränderung zu initiieren.
Was bringen Ihrer Ansicht nach
Frauenquoten?
Was mir dringlicher scheint: gleicher
Lohn für gleiche Arbeit. Offensichtlich ist
indes selbst das noch nicht überall durch-
gedrungen. Das hätte ich gerne gelöst.
Haben sich Ihre Führungsprinzipien
im Zeitlauf verändert?
Die Prinzipien kaum, eher die Art
und Weise der Vermittlung.
Die Berufswelt sei belastender gewor-
den, geht die Klage.
Was wohl die Menschen bei der Ein-
führung der Dampflok gedacht haben?
Die Klage ist alt. Was stimmt: Die
24/7-Realität kann überfordern. Und
macht damit Platz für Entschleuni-
gungskonzepte.
Das Thema Nachhaltigkeit bewegt. Ihr
Beitrag dazu?
Mein Ansatz: grosse Themen im
Kleinen starten. Durch Fokussieren und
Weglassen im Alltag. Und Wein aus der
Zürcher Region trinken.
Wie spüren Sie die gegenwärtige Wirt-
schaftslage?
Positiv, wenn auch widersprüchlich,
was typisch ist für die Beratungsbran-
che. Je nach Akteur, Umfeld und
Markt. Zumindest: Die Weiterbildungs-
branche boomt.
Worüber haben Sie zuletzt gestritten?
Über die Rolle des Staates bei Kin-
derkrippen.
Welches ist der Stellenwert sozialer
Netzwerke für Sie?
Sie sind nicht wegzudenken. Nur
persönliche Netzwerke sind noch wich-
tiger.
Was halten Sie von Serviceklubs?
Die Idee ist wertvoll: Menschen aus
verschiedenen Berufen engagieren sich
gemeinsam. Ich geniesse die Freiheit,
kein Mitglied zu sein.
Hören Sie auf Ratschläge aus Ihrem
privaten Umfeld?
Bestimmt, wer nicht? Mein Umfeld
definiert mich mit.
Vertrauen Sie auf Ihr Bauchgefühl?
Oft. Es kann mich aber auch täu-
schen. Darum ist das Hirn gerne mit
dem Bauch im Dialog. Das eine geht
nicht ohne das andere. Oder anders
gesagt: Ich bin nicht nur emotional oder
rational.
Wo waren Sie jüngst in den Ferien?
Im Berner Oberland – der lieblichs-
ten Ecke der Schweiz. Im Unterengadin
– der schönsten Ecke der Schweiz.
Wie gut kochen Sie?
Schon eher Basics. Aber besser, seit
wir Kinder haben. Das Gute daran ist,
dass Kinder die einfache Küche lieben.
Ich auch.
Olympische Spiele, grosse Fussball- Aus einem unmotivierten Studium
turniere – sind das besondere Tage für gleich nach der Matura in Recht und
Sie? Wirtschaft. Nach Studienabbruch habe
Schon eher Turniergewinne von ich konsequent gehandelt auf Basis der
Roger Federer. Da bin ich ganz im Fragen: Was sind meine Themen? Was
Mainstream. ist mir wichtig? Ich ging in die Kultur-,
Medien- und Kommunikationsbranche
Was bringt Ihnen Erholung? und habe dann erst mit dem Studium
Die kleinen Freiheiten im Alltag. angefangen.
Kleine, selbstbestimmte Zeitfenster.
Nicht die grossen Auszeiten fernab. Auf welchem Gebiet haben Sie sich
zuletzt weitergebildet?
Worüber können Sie sich ärgern? Im Selbststudium im Thema
Über Selbstbezogenheit, Selbstver- Geschäftsentwicklung, «Business Model
liebtheit und Selbstüberschätzung. Generation» nach Alexander Osterwal-
der. Mit der faszinierenden Kernfrage
Worüber können Sie herzlich lachen? für jedes Unternehmen: Was ist euer
Wenn menschliche Ambition auf Wertangebot und für wen? Die Aus-
menschliches Scheitern trifft – da finde richtung an Kundenbedürfnissen als
ich, kann Komisches entstehen. Beim strategischste aller Aufgaben. Eigent-
Scheitern im Übereifer. lich einfach. Aber für viele Unterneh-
men eine Herausforderung.
Aus welchem Misserfolg haben Sie
besonders viel gelernt? Welchem Satz misstrauen Sie beson-
ders?
Allem, was für sich Exklusivität und
Wahrheit beansprucht. Und allen, die
sich selber gerne als leidenschaftlich
bezeichnen.
ZUR PERSON
Was missfällt Ihnen als Staatsbürger?
Pascal Geissbühler, 43, ist Gründer und Inhaber Verregelungen.
der Firma Biographis Creating Careers in Zürich, ein
spezialisiertes Beratungsunternehmen für Berufs- Sind Sie zuversichtlich für die
und Laufbahngestaltung. Das Angebot richtet sich
Schweiz?
an Privatkunden, die ihre berufliche Rolle stärken
Ja, denn ich liebe die Schweiz auf-
oder verändern wollen, sowie an Unternehmen für
ihre Career- und Employability-Services. Der Fokus grund ihrer Möglichkeiten. Nicht auf-
liegt auf der individuellen Profilentwicklung. Geiss- grund dessen, was sie ist oder war –
bühler verfügt über 15 Jahre Erfahrung als Marken- ganz frei zitiert nach Friedrich
experte und Management-Berater. Er absolvierte Dürrenmatt.
das Studium in Design-, Kunst- und Medientheorie
an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
sowie die Master-Ausbildung als dipl. Laufbahnbera- Am Entwickeln und Gestalten. Für
ter am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) mich und für andere.
der ZHAW. Geissbühler ist verheiratet und Vater
zweier Töchter.
Interview: Hanspeter Mettler

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Die Justizkommission des Kantonsrates sucht für das Zürcher Handelsgericht Tribunale federale
Tribunal federal
eine/n nebenamtliche/n Handelsrichter/in
aus dem Baugewerbe

für den Rest der Amtsdauer 2013–2019 (Wiederwahl möglich).

Für die I. zivilrechtliche Abteilung, welche vorwiegend

In diesem Amt wirken Sie in richterlicher Funktion bei der Behandlung von Rechts- Beschwerden in den Bereichen Obligationen- und Handels-
streitigkeiten mit, welche in die Zuständigkeit des Handelsgerichts fallen. Das recht, Versicherungsvertrag, privates Wettbewerbsrecht
Zürcher Handelsgericht wird zur Behandlung der einzelnen Rechtsfälle in der Regel und Immaterialgüterrecht sowie internationale Schieds-
mit zwei Mitgliedern des Obergerichts und mit drei Handelsrichter/innen besetzt. Den gerichtsbarkeit behandelt, sucht das Schweizerische
Vorsitz führt ein Oberrichter oder eine Oberrichterin. Als Handelsrichter/in bringen Sie Bundesgericht in Lausanne eine/n
Ihre Sachkunde aus Ihrer hauptberuflichen Tätigkeit ein.

Die Kommission sucht: Gerichtsschreiberin/

Eine Fachfrau / einen Fachmann aus dem Baugewerbe, Bereich Sanitär, Heizung,
Gerichtsschreiber
Kälte, Lüftung, Klimatisierung.
deutscher Muttersprache mit sehr guten Kenntnissen <wm>10CAsNsjY0MDAy0jUyNzExNQUAurVSGA8AAAA=</wm>

Handelsrichter/innen werden durch den Kantonsrat gewählt. Es können nur einer zweiten Landessprache. <wm>10CFWKKw7DQAwFT-TVe_50vTGswqKAKnxJVNz7o6ZhBUNmZtsqGm6e636sryKgKtrdI8rUGqN8ZMuRdZVUMBc6lKlmf7sQGg7M3yO4dE66gGKP2Zntc76_UFyydHEAAAA=</wm>

Personen gewählt werden, die in kantonalen Angelegenheiten stimmberechtigt sind.

Gemäss Beschluss der Interfraktionellen Konferenz liegt das Rücktrittsalter bei Sie verfügen über ein abgeschlossenes juristisches
70 Jahren. Hochschulstudium mit Anwaltspatent oder eine gleich-
wertige Ausbildung. Mehrjährige Berufserfahrung, wenn
Es handelt sich um eine nebenamtliche Tätigkeit. Die Arbeitsbelastung variiert möglich in den Rechtsgebieten der I. zivilrechtlichen
abhängig von den jährlichen Fallzahlen sowie vom Umfang der Fälle. Es werden Abteilung, ist von Vorteil.
Sitzungsgelder entrichtet.
Sie erarbeiten Urteilsentwürfe und haben Freude an der
Haben wir Ihr Interesse für diese aussergewöhnliche Tätigkeit geweckt? Dann präzisen Redaktion bundesgerichtlicher Entscheide.
senden Sie Ihre Bewerbung zusammen mit dem CV, dessen Angaben die
Überprüfung der Sachkunde in den genannten Bereichen ermöglichen sollen, einer Das Bundesgericht bietet interessante, zeitgemässe
Wohnsitzbestätigung und einem Strafregisterauszug bis 16. März 2018 an: Arbeitsbedingungen und ermöglicht einen regen Ge-
dankenaustausch mit Richterinnen und Richtern sowie
Parlamentsdienste des Kantonsrates, Sekretariat der Justizkommission, Kolleginnen und Kollegen.
Handelsrichter/in, Hirschengraben 40, Postfach, 8090 Zürich
Dienstantritt: 1. Juni 2018 oder nach Vereinbarung.
Informationen zum Handelsgericht finden Sie im Internet unter
http://www.gerichte-zh.ch/organisation/handelsgericht.html Bewerbungen mit Lebenslauf und Zeugniskopien sind
bis zum 23. März 2018 an den Personaldienst des
Weitere Auskünfte betr. das Amt einer Handelsrichterin / eines Handelsrichters erteilt Schweizerischen Bundesgerichts, Postfach, 1000
das Sekretariat der Justizkommission, MLaw Noëlle Glaus unter 043 259 20 67. Lausanne 14, zu richten. Absolute Diskretion ist selbst -
verständlich.
4 NZZ am Sonntag 4. März 2018

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Der Mensch im
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Mittelpunkt.

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Ð Ð Ëßß« Mit 5’200 Mitarbeitenden ist das Spital Wallis der bedeutendste Arbeitgeber
im Kanton. Jährlich werden ca. 40’700 Patientinnen und Patienten stationär
behandelt und über 472’000 ambulante Konsultationen durchgeführt.
 ¶®  ¯®® £ Das Spital Wallis sucht für das Zentralinstitut der Spitäler, welches zentrale
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  t« Sie leiten ein Team ca. 10 Personen. Sie gewährleisten eine effiziente

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 ß Herstellung von Medikamenten gemäss GMP-Richtlinien. Sie beteiligen crg8AAAA=</wm>

   Áß«Òß  Ð ß á Àá « sich an der Entwicklung der Abteilung, insbesondere an der Realisierung
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neuer Produktionsräumlichkeiten der Apotheke. Innerhalb des Sektors

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pharmazeutische Betreuung üben Sie eine Tätigkeit in klinischer Pharmazie
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ausund beteiligen sich am Bereitschaftsdienst.
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« Ihr Profil: Sie verfügen über ein Diplom als Apotheker/in und über ein
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« Kenntnisse in der klinischen Pharmazie. Sie beherrschen die französische
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Auskünfte erteilt Ihnen gerne Herr Dr. Johnny Beney, Abteilungsleiter
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Ihre vollständigen Bewerbungsunterlagen (Bewerbungsbrief, Foto, Lebenslauf,
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Diplome, Zeugnisse und Referenzen) senden Sie bitte bis zum 9. März 2018
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www.hopitalvs.ch | www.spitalvs.ch
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Depuis 1885, la Maison Gilliard, à travers ses marques de légende et ses domaines
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ß exclusifs, élève, développe et commercialise des vins d’exception. Aujourd’hui, nous
comptons parmi les marques de vins les plus renommées de Suisse. Dans le cadre de
¦¶® £§ notre développement, nous recherchons un(e)

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aussi le premier représentant de la Maison Gilliard auprès de ses clients.
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l’expérience de la vente. Une bonne connaissance des processus internes d'une société
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de production est requise. Vous avez de l'expérience et vous sentez à l’aise dans les
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questions stratégiques. Ouvert au changement, vous êtes capable de saisir l’opportunité
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 Ë    Èß À« des innovations. Les clients et les fournisseurs vous perçoivent comme un interlocuteur
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allemand.
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Nous vous offrons : La chance de gérer une entreprise de taille moyenne dans un
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  àßà  á  ß« leader innovant, vous êtes appelé à développer une entreprise renommée et indépen-
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á Pour plus d'informations : Chantal Balet, Présidente du Conseil d’administration, 027 329 89 29
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NZZ am Sonntag 4. März 2018 5

Stellengesuche

Privatassistentin
Dynamische und vertrauenswürdige Frau anfangs 50 sucht eine
neue Herausforderung. Ich organisiere Anlässe, betreue Projekte und
erledige die damit verbundenen administrativen Arbeiten. Aufgrund
meiner früheren Tätigkeiten habe ich Kenntnisse im Dienstleistungs-
Evaluationsstelle und Lebensmittelbereich sowie in der Immobilienbranche.
Ich würde mich freuen, für Sie Ihren Alltag angenehm zu gestalten.
Zuschriften unter Chiffre Nr. 101939, NZZ AG, c/o Chiffre MS,
Falkenstrasse 11, 8021 Zürich
Die Evaluationsstelle der Universität Zürich (UZH) ist ein fachlich unabhängiges Organ, welches
für die Organisation und Begleitung der Evaluationen aller wissenschaftlichen Einheiten und Akademikerin (48), CH/RU, langjährige
Service-Abteilungen der Universität zuständig ist (siehe www.evaluation.uzh.ch). Die Finanzbranchenerfahrung, RU/D/E/I/(F),
Evaluationsstelle ist der Universitätsleitung zugeordnet; der Universitätsrat nimmt die Aufsicht äusserst zuverlässige Persönlickeit mit Am Ende sind
ausgeprägtem Organisationsflair und
über das Evaluationsverfahren wahr.
exzellenten Umgangsformen, möchte wir für Sie da
Sie als Privatsekretärin in allen Ihren
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Leiterin / Leiter der Evaluationsstelle und

Delegierte / Delegierter der Universitäts-
leitung für Qualitätsentwicklung (100%)
www.zuercher-lighthouse.ch
Als Leiterin oder Leiter der Evaluationsstelle sind Sie verantwortlich für Planung, Koordination,
Information und Durchführung von Evaluationen an der UZH. Sie stellen sicher, dass die
entsprechenden Tätigkeitsbereiche, insbesondere Forschung, Lehre, Dienstleistung, Nachwuchs-
förderung sowie Leitungs- und Verwaltungstätigkeiten evaluiert werden.
Der Schweizer Stellenmarkt für Kader- und Fachspezialisten der «Neuen Zürcher Zeitung» und der
Als Delegierte oder Delegierter der Universitätsleitung unterstützen Sie die Qualitätsentwicklung
«NZZ am Sonntag»
in der Universität und koordinieren diese mit weiteren Stellen (wie z.B. dem Qualitätsmanage-
mentsystem Studium und Lehre) sowie mit weiteren Qualitätsprozessen (wie z.B. der Akkredi- Herausgeberin: Neue Zürcher Zeitung AG
tierung von Studiengängen). Sie sind verantwortlich für die Vorbereitung der UZH auf
Redaktion: Walter Hagenbüchle, «Neue Zürcher Zeitung»
gesamtuniversitäre Audits und Akkreditierungen, insbesondere für die Institutionelle Akkredi-
tierung gemäss HFKG, sowie für die fachliche Unterstützung der Rankingaktivitäten der UZH. Auflagen: «Neue Zürcher Zeitung» 89 840 Ex. (WEMF 2017)
«NZZ am Sonntag» 100 322 Ex. (WEMF 2017)
Der Leiterin oder dem Leiter sind die Mitarbeitenden der Evaluationsstelle, d.h. die Projekt- Erscheint: Wöchentlich als Beilage in der NZZ (samstags) und der «NZZ am Sonntag»
leitenden und die Mitarbeitenden im Sekretariat, direkt unterstellt. Sie bzw. er nimmt zudem die
Kostenstellenverantwortung der Evaluationsstelle wahr. Schliesslich gestaltet und überprüft Reichweite: 550 000 Leserinnen und Leser Deutschschweiz (MACH Basic 2017-2)
die Leitung der Evaluationsstelle die Verfahren, ist verantwortlich für die Auswertung der Adresse Redaktion: Redaktion NZZ Executive
Ergebnisse, dokumentiert die Evaluationstätigkeit und betreut selbst eine angemessene Anzahl Falkenstrasse 11, Postfach, CH-8021 Zürich
von Evaluationen. Tel. 044 258 11 11
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Alle Rechte vorbehalten. Jegliche Verwendung der redaktionellen Texte setzt die schriftliche Zustimmung der
Redaktion voraus, jegliche Verwendung von Inseraten jene der Geschäftsleitung.
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 NZZ am Sonntag 4. März 2018 6

Arbeitswelt

Arbeitsstress und Wellness-Optimierung

Die Schweizer sind ein zufriedenes Volk.
Diesen Schluss lässt der «World Happi-
ness Report 2017» zu, der in 150 Ländern
je 3000 Personen befragt hat. Beim
Thema Zufriedenheit liegt die Schweiz
an vierter Stelle, hinter Norwegen, Däne-
mark und Island. Die Unterschiede beim
Spitzenquartett sind gering. Man könnte
sagen, uns gehe es bestens. Nun gibt es
aber auch andere Statistiken, die den
Happiness-Report relativieren. So zei-
gen Zahlen zum Thema Gesundheit am
Arbeitsplatz kein so ungetrübtes Bild.
Arbeitsstress ist teuer
Gemäss dem neusten Job-Stress-Index
der Gesundheitsförderung Schweiz lei-
det ein Viertel der Erwerbstätigen an
Stress am Arbeitsplatz. Die von Kanto-
nen und Versicherern getragene Stiftung
spricht von Stress, wenn die Erwerbstäti-
gen über zu wenig Ressourcen verfügen,
um die Belastungen am Arbeitsplatz ab-
federn zu können. Die Folgen sind ge-
sundheitliche Probleme für das Indivi-
duum und Ausfälle fürs Unternehmen.
Die Studie veranschlagt die Einbussen
durch Absenzen und eingeschränkte
Leistungsfähigkeit mit jährlich 5,7 Mil-
liarden Franken.
Das Streben nach gesundem Leben
ist kein neuer Trend, doch der Weg zu
diesem Ziel soll sich grundlegend
ändern. Diese These vertritt die Studie
«Wellness 2030 – die neuen Techniken
des Glücks», die das Gottlieb-Duttwei-
ler-Institut (GDI) Anfang Februar ver-
öffentlicht hat. Die Förderung der Ge-
sundheit war das Thema des letzten Jahr-
hunderts, um im Arbeitsmarkt leistungs-
fähig zu bleiben. Im 21. Jahrhundert geht
es laut den Autoren um Wellness und
Glück. Laut der Studie wird Glück heute
verstanden als Kombination von positi-
ven Emotionen, Gesundheit und Wohl-
befinden. Viele Menschen investieren
viel, um jung, sportlich und leistungsfähig
zu bleiben, und werden umworben von
einer wachsenden Wellness-Industrie,
die den Markt mit Kursen, Kuren, Selbst-
erfahrungsseminaren und Bergen von
Ratgeberliteratur überschwemmt. Die
DANIEL STOLLE
GDI-Studie prognostiziert ein Szenario,
in dem die traditionelle Wellness- und
Gesundheitsbranche in naher Zukunft
umgekrempelt wird zu einer von digita-
len Technologien angetriebenen Data-
Wellness. Neben dem generellen Trend
zu Hyperkonnektivität und Symbiose
von Mensch und Technik sagen die Auto-
ren eine Entwicklung voraus, die sie
unter den Begriffen Biofeedback und
Daten-Selfies zusammenfassen. Letztere
sind als Pendant zu den fotografischen
Bildern Porträts des Inneren. Sie entste-
hen über die Daten von Wearables mit
Sensoren wie Fitnesstrackern, Uhren
und Smartphones. Diese zeichnen Akti-
vitäten und Gewohnheiten minuziös auf,
von der Herzfrequenz über den Stressle-
vel bis zu den nächtlichen Wach- und
Tiefschlafphasen.
Bereits liefern Krankenkassen An-
reize für den Kauf eines Wearables oder
für einen aktiven Lebenswandel. Die
CSS etwa vergütet für jeden Tag mit über
absolvierten 10 000 Schritten 40 Rappen.
Hierzu wird der Tracker mit dem Server
der Krankenkasse synchronisiert. Mit
diesen ersten Ansätzen der Gegenwart
beschäftigt sich die Studie nicht, sie skiz-
ziert die nächste Welle, die uns Kleider
beschert, die mit Temperaturfühlern aus-
gestattet sind. Damit lassen sich Verän-
derungen der Körperwärme in verschie-
denen Regionen messen, was Rück-
schlüsse auf situative Emotionen erlaubt.
Die GDI-Studie geht davon aus, dass
mit den gesammelten Daten künftig ein
digitales Double entsteht und wir von
Maschinen lesbar und damit auch zum
besseren Wohlbefinden codierbar sind.
Die Gesundheits- und Wellnessindustrie
werde damit eine Erweiterung der
Datenwirtschaft, in der clevere Software
die Bedürfnisse des individuellen Konsu-
menten erkennt. Schon heute helfen
Matching-Plattformen, passende Le-
benspartner zu finden, aber auch Gleich-
gesinnte für Freizeitaktivitäten. Die Stu-
die prognostiziert, dass künftig Algorith-
men die Partnerwahl übernehmen könn-
ten und künstliche Intelligenz die
Trefferquote verbessert.
Die Szenarien sind interessant, doch
sehr technologiezentriert. Sie sehen den
Einfluss von Experten und Ratgebern
schrumpfen und prognostizieren, dass
der Markt mehr von Selbstoptimierung
durch das Individuum bestimmt wird,
das sich an maschinell errechneten
Daten orientiert. Doch es gibt Fragen. So
muss die künstliche Intelligenz im Alltag
zuerst zeigen, wo sie kreative Leistung
erbringt und nicht bloss Data-Mining mit
statistischer Auswertung betreibt. Wenn
Gesundheitsservices und Apps überzeu-
gen wollen, müssen sie bessere Resultate
liefern als die plumpen, individuellen
Kauftipps, mit denen Google und Co.
heute das Netz überschwemmen.
Viel Skepsis
Das wachsende Eigenleben der Techno-
logie in vielen Lebensbereichen könnte
auch umschlagen, gerade wenn es um
Gesundheit, Emotion und Befinden
geht. Auch bei professionellen Akteuren
gibt es Skepsis. Ende Sommer 2017 orga-
nisierte die Gesundheitsförderung
Schweiz eine Tagung für betriebliches
Gesundheitsmanagement mit Schwer-
punktthema Digitalisierung. Ein Gross-
teil der 500 Teilnehmer von Firmen und
Verwaltungen gab sich kritisch. Neben
den Vorteilen der Digitalisierung wur-
den auch deren Nachteile benannt, etwa
der Nutzen der künstlichen Intelligenz.
Kritisiert wurde auch, dass die digitale
Kommunikation der analogen, persön-
lichen unterlegen sei. Eine Umfrage
unter den Teilnehmenden ergab, dass nur
10 Prozent in der Digitalisierung des be-
trieblichen Gesundheitsmanagements
eine Chance sehen, 71 Prozent nehmen
zurzeit eher die Risiken wahr.
Claude Settele

Der Kalte Krieg Ab s o f ort

r h ä l tlich
Der Konflikt zwischen Kapitalismus und Sozialismus e
beeinflusste die ganze Welt. Der Kalte Krieg prägt
bis heute die Art und Weise, wie wir Menschen leben
und denken.

Weitere Themen:
1848 – Geburtsjahr der modernen Schweiz. Teil 3 der Serie
«Schlüsselmomente der Schweizer Geschichte»
von Thomas Maissen.
Hexenwahn. Die Hinrichtungen von Frauen im 16. Jahrhundert
am Bielersee.
Hermann Lübbe. Der grosse Philosoph im Gespräch über
Geschichtsbewusstsein und sein Leben.

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