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ÖSTERREICHISCHE GESCHICHTSFORSCHUNG
MIÖG Bd. 99/3-4 (1991)
© by Böhlau Verlag Wien 1991
Die deutsch-serbischen B e z i e h u n g e n im
12. Jahrhundert
Das Thema meines Vertrags fallt in den Komplex der deutschen Politik
gegenüber Ungarn und Byzanz in der Ära der Kreuzzüge und muß als
ungenügend erforschtes Segment dieser Beziehungen gelten*). So traf im
November 1188 eine Gesandtschaft des serbischen Herrschers in Nürnberg
ein, tun eine deutsche Initiative zu beantworten, die im Zuge der Vorberei-
tungen auf den bevorstehenden Kreuzzug von Kaiser Friedrich I. Barbarossa
unternommen worden war1)· Im Jahr darauf, im Juli 1189, traf Kaiser
Friedrich in Nii mit dem serbischen Großzupan Stefan Nemanja zusammen,
wobei bedeutende zwischenstaatliche Verhandlungen geführt wurden2). Die
Begegnung Kaiser Friedrichs I. mit dem serbischen Großiupan lenkt uns auf
einige grundlegende Forschungsgebiete, die mit der Erhellung der deutsch-
serbischen Beziehungen im Mittelalter in Zusammenhang stehen: 1. Bs war
während der Kreuzzüge, als in Europa das Interesse an der wichtigen
internationalen Heerstraße wiederauflebte, die über Ungarn bzw. Belgrad,
Niä und Sofia bis nach Konstantinopel führte (Via militaris); 2. Erscheinen
für das Thema die Beziehungen zwischen dem römisch-deutschen Reich und
Byzanz wesentlich, denn Serbien gehörte zu dem Gebiet, wo sich Interessen-
zonen der beiden Reiche berührten. Üblicherweise wird Ungarn als Tterritori-
um der deutsch-byzantinischen Rivalität betrachtet. Ich möchte diese Auffas-
sung zu ergänzen und zu korrigieren suchen.
Zunächst soll an den geographischen Rahmen des Themas und an die
allgemeinen politischen Umstände erinnert werden, die im 12. Jahrhundert
in diesem Raum herrschten, damit auch die wesentlichen Schlußfolgerungen
deutlicher hervortreten. Hier liegt unter anderem die Antwort auf die Frage,
warum Kaiser Friedrich I. 1188 und 1189 mit dem serbischen Großzupan
unabhängig vom byzantinischen Kaiser verhandelte.
Serbien bildete sich als Staat schrittweise auf dem Tterritorium des
Byzantinischen Reiches heraus. Es existierten zwei Kerngebiete dieses serbi-
*) Ttext eines Vortrages, der am 10. November 1989 im Institut für Österreichische
Geschichtsforschung in Wien gehalten wurde.
') Annales Colonienses Maximi, MGHSS 17, 795-796.
2
) Ansbert, Historie de expeditione Friderici imperatoris (ed. Anton Chroust), MGH SS
rer. German. 5 (1928) 15-16.
sehen Staatsgebildes - das eine befand sich im Küstenland der Adria und
wurde nach der antiken Stadt Dioclea einstmals Dioklitien genannt, im
Mittelalter dann Zeta und heute Montenegro. Dort entstand im 11. Jahrhun-
dert ein Königreich (regnum Diocliae): der Papst erkannte in der zweiten
Hälfte des genannten Jahrhunderts den Herrschern von Dioklitien die Kö-
nigskrone zu, wie das auch andernorts in Europa üblich war. Das zweite
Kernland lag im kontinentalen Teil des heutigen Serbien um die Stadt Rassa,
heute Novi Pazar in Südserbien. Eigentlich handelte es sich dabei um das
alte römische Arsa mit einem Bischofssitz aus frühchristlicher Zeit. Serbische
Quellen bringen die Entstehung dieses außerordentlich wichtigen Zentrums
des Christentums mit der Apostelzeit in Verbindung3). Durch Metathesis der
Liquiden im Altslawischen wurde aus dem alten Namen Arsa die Form Rassa;
das gilt in der Sprachwissenschaft als ausnehmend alte Erscheinung, die
auch aus anderen slawischen Territorien belegt ist4). Nach diesem christlichen
und staatlichen Mittelpunkt erhielt das Land den Namen „regnum Rasciae",
in Dantes Göttlicher Komödie taucht es als „il regno di Rassa" auf 5 ). Gegen
Ende des 11. Jahrhunderts verlagerte sich das Zentrum des Staates allmäh-
lich von der Küste nach Rascien und rückte damit dem Landstrich näher,
durch den sich die wichtige Verkehrestraße zog, die Mitteleuropa mit Byzanz
verband. Gesprächspartner von Kaiser Friedrich I. in Ni§ war der Großiupan
Stefan Nemanja, ein Nachkomme der Könige von Dioklitien und der Zupane
von Rascien. In seiner Persönlichkeit vereinigten sich die staatlichen Tradi-
tionen beider Tteile des serbischen Staates6).
Die erwähnte Straße, die den deutschen Donauraum mit der byzantini-
schen Welt verband, gibt für die Geschichte Südosteuropas ein hervorragen-
des Thema ab. Dem durch den Balkan führenden Abschnitt dieses Verkehrs-
wegs widmete C. Jireiek eine Studie, bis auf den heutigen Tag die beste in
der Fachliteratur7), obgleich natürlich eine ganze Reihe neuer Erkenntnisse
dazu vorliegen. Auf jeden Fall benutzten abendländische Pilger diese Straße
erst seit Anfang des 11. Jahrhunderts in stärkerem Maße. Als Wilhelm von
3
) Ljubomir Stojanovid, Stari srpski rodoslovi i letopisi (Beograd-Sremski Karlovd
1927) 46, S3, 194; Vasilye Markovid, Pravoslavno monafitvo i manastiri u sredrgovekovnoj
Srbiji (Sremski Karlovci 1920) 42; Jovanka Kali<i, La region de Ras & l'6poque byzantine, in:
Byzantina Soibonensia 7 (Paris 1988) 129-131; Dies., Prokopijeva "Αρσα, Zbornik radova
Vizantoloäkog institute 27-28 (1989) 11-14.
4
) Petar Skok, Ortsnamenstudien zu De administrando imperio des Kaisers Constantin
Porphyrogenetos, in; Zeitschrift für Ortsnamenforschung 4 (1928) 225; Ivan Popovii, Bemer-
kungen über die vorslavischen Ortsnamen in Serbien, in: Zeitschrift fur slavische Philologie 28
(1959) 107; Ders., Die Einwanderung der Slaven in das Oströ mische Reich im Lichte der
Sprachforschung, in: Zeitschrift fur Slawistik 4 (1959) 705-721; Ders., Geschichte der serbo-
kroatischen Sprache (1960) 152; Ernst Schwarz, Zur Chronologie der slavischen Liquiden-
umstellung in den deutsch-slavischen Berührungsgebieten, in: Zeitschrift für slavische Philo-
logie 4 (1927) 367; Gottfried Schramm, Eroberer und Eingesessene. Geographische Lehnna-
men als Zeugen der Geschichte Südosteuropas im ersten Jahrtausend n. Chr. (1981) 334 - 335;
Istorija srpskog naroda, Bd. I (Beograd 1981) 128-129, 131.
s
) Divina Commedia, Paradiso XIX, 140-141.
6
) Constantin J i r e i e k , Geschichte der Serben 1 (1911) 255 - 258; Jovanka K a l i i ,
L'6poque de Studenica dans lliistoire serbe, in: Studenica et l'art byzantin autour de l'ann£e
1200 (ed. Acad6mie serbe des sciences et des arts, Beograd 1988) 25 - 26.
7
) Constantin J i r e i e k , Die Heerstraße von Belgrad nach Constantinopel und die
Balkanpfisse (1877).
8
) Gesta epp. engol., MGH SS 4, 145.
9
) Jovanka Kalid, Beograd u erednjem veku (Beograd 1967) 35 - 65; Dies., Niä u
srednjem veku, in: Istorijski tasopis 31 (1984) 7-26.
1S
) Ebenda 134; Annales Gradicenses et Opatowicenses, MGH SS 17, 650. Vgl. Wilhelm
Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit 4 (1877) 18-21; Alfons Huber, Geschichte
Österreichs 1 (1885) 292; Bertold Bretholz, Geschichte Böhmens und Mährens bis zum
Aussterben der Premysliden (1306 [1912]) 208 - 209; Väclav Novotny, Ceske dejiny. 1, 2
(1931) 602; Wilhelm Wegener, Böhmen - Mähren und das Reich im Hochmittelalter
(Köln-Graz 1959) 71-72; Friedrich Prinz, Böhmen im mittelalterlichen Europa (München
1984) 101; Barbara Krzemienska, Die Rotunde in Znojmo und die Stellung Mährens in
böhmischen Premyslidenstaat, in: Historica 27 (1987) 47-55; Jovanka Kalii, Kneginja Marya,
in: Zograf 17 (1986) 21-35.
19
) Canonici Wissegradensis continuatio Cosmae, MGH SS 9, 133.
2°) Mor Wertner, Az Ärpädok csalädi tortenete (Nagy-Becskerek 1892) 286 -288.
21
) Gyula Pauler, A magyar nemzet tortinete az Ärpädhäzi kirälyok alatt (Budapest
1899) 240 -244; Ferenc Makk, Magyarorszäg a 12. szazadban (Budapest 1986) 112-116.
22) Karl Lechner, Die Babenberger (1976) 119.
23
) A Boczek, Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae I (Olomucii 1836) 331.
Dank glücklicher Umstände hat sich ein Bild der Fürstin Maria in der
sogenannten Königskapelle in Znaim (capeIIa regia 1239) bis auf den heuti-
gen Tag erhalten. Auf dem Triumphbogen der wiederhergestellten Kapelle
aus dem 12. Jahrhundert sind zur Lunken Konrad II. und zur Rechten Für-
stin Maria dargestellt. In der umfangreichen und kontroversen Literatur
seit der Zeit von J . Gollinger (1821) und Pittner (1822), über die Betrach-
tungen von A. v. Wolfskron (1854) und Κ. V. Zap (1858) bis zu Moritz Trapp
und den Restaurierungsarbeiten des Wiener Malers T. Mellicher (1891)24)
wurden die Darstellungen in dieser Kapelle unterschiedlich gedeutet. Man
meinte früher, die Figuren auf dem Triumphbogen stellten den hl. Wenzel
und die hl. Ludmilla dar. Eine emsthafte wissenschaftliche Interpretation
der Bildwerke begann erst mit der Studie von A. Matejiek, die 1915 veröf-
fentlicht wurde25), während systematische interdisziplinäre Studien nach
dem Zweiten Weltkrieg einsetzten. Bei Konservierungsarbeiten im Jahre
1949 wurde eine lateinische Inschrift entdeckt, welche die Erneuerung der
Kapelle unter Konrad Π. und die Jahreszahl 1134 erwähnt26). Heute steht
außer Zweifel, daß es sich um die Kirchenstifter handelt, die am Triumph-
bogen dargestellt sind. Die Malerei in der Kapelle zeigt einen offenbaren
byzantinischen Einfluß, dessen Quellen zunächst in Italien bzw. in Regens-
burg gesucht wurden, während Otto Demus gerechtfertigt auf eine mögliche
Mittlerrolle des „slawischen Ostens" hinwies27). Die historischen Umstände
scheinen diese A n n a h m e von Demus nicht nur zu bestätigen, sondern ver-
weisen auf eine wahrscheinliche serbische Vermittlung der byzantinischen
Tradition.
Verfolgen wir die Familiengeschichte von Fürstin Maria noch ein wenig,
so wäre erwähnenswert, daß Konrad III. Otto, ihr Sohn, Heliche von Wittels-
bach ehelichte, also verwandtschaftliche Bindungen mit dem einflußreichen
bayerischen Pfalzgrafen und ab 1180 bayerischen Herzog Otto von Wittels-
24 ) Josef Gollinger, Alter Tempel zu Znaim, in: Archiv fur Geographie, Historie, Staats-
und Kriegskunst (Wien 1821) 265f.; Georg Wolny, Die Markgrafschaft Mähren 3 (Brünn 1837)
37-38, 48; Adolf v. Wolfskron, Der sogenannte Heidentempel in Znaim, in: Notizenblatt
(Brno 1856) 36f.; K.V. Zap, Tri spustlö p a m ä t k y n a zemi Moravsk£, in: P a m ä t k y
a r c h e o l o g i c k i a m i s t o p i e n i 3 (1859) 225 - 226; Anton Hübner, Denkwürdigkeiten der
königl. Stadt Znaim (Znaim 1869) 6f.; Bernhard Grueber, Die Kunst des Mittelalters in
Böhmen, in: Mitteilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der
Baudenkmale 19 (Wien 1874) 3; Otokar Votoiek, Premyslovska rotunda sv. Kateriny ve
Znojme, in: Zprfvy pamätkovi peie 9 (1949) 106-109 u. a.
25 ) Antonin M a t e j i e k , Näst£nn6 malby ν rotonde sv. Katefiny ve Znojme, in: Umelecke
poklady Ceh 2, sv. 2 (Praha 1915) 60 - 6 2 ; Ders., Näst£nn6 malby znojemsk£ rotundy sv.
Katefiny, in: Pümatky archeologick6 27 (1915) 90 - 9 7 , 201-208.
®) Antonin Friedl, Novy pohled na znqjemskou rotundu a jeji genealogickou radu
Premyslovskhayh podobizen, in: Zprivy pämatkovi p « e 11-12 (1951-1952) 2 0 6 - 225; Ders.,
Krälovskä kaple sv. Kateriny ve Znojme (Praha 1953); Jiri MaSin, Romänekä näst£nn£ malba
ν Cechäch a na Moravi (Praha 1954) 23; Ders., Malerei und Plastik der Romanik, in: Romanik
in Böhmen (1977) 149; A. Vidmanovä, Zur rätselhaften Inschrift in Znaim, in: Melanges Ε. R.
Labande (Poitiers 1974) 731; Aneika M e r h a u t o v ä - Duäan T r e ä t i k , Romanski um£ni ν
Öechäch a na Moravü (Praha 1984) 155-156; Josef Rampula, Latinsky näpis ν rotundS sv.
Kateriny ve Znojmi, in: Zprävy pamitkove ρέίβ 13 (1953) 54 - 57; Krzemienska, Die Rotunde
in Znojmo (wie Anm. 18) 57.
27 ) Otto Demus, Romanische Wandmalerei (1968) 95.
bach einging28). Bei einer Gelegenheit (1176) vermittelte Fürstin Maria ge-
meinsam mit Otto von Wittelsbach und Detlev, dem Bischof von Olmütz, bei
der Aussöhnung zwischen den Premysliden29).
Während des 12. und 13. Jahrhunderts verfolgte die serbische Dynastie
konsequent eine Familienpolitik im Einklang mit den politischen Interessen
des Landes, und zwar außerhalb des byzantinischen Kreises. Serbische
Prinzessinnen wurden mit Angehörigen führender Adelsgeschlechter (Un-
garn, Mähren, Polen, Venedig) verheiratet, und die serbischen Herrscher
selbst ehelichten Frauen aus angesehenen Familien Westeuropas (Dandolo,
Arpaden, Anjou), sicherlich auch aus Deutschland, wie Johannes Kinnamos
ausdrücklich anführt30).
Zum Abschluß dieser Übersicht über die Beziehungen zwischen den
Dynastien erwähnenswert ist noch das Verlöbnis Heinrichs, des minderjähri-
gen Sohnes von Konrad III., mit der Tochter des ungarischen Königs B61a Π.
im Jahre 113931). Diese politisch motivierte Verlobung wurde später gelöst.
Es ist jedoch kaum bekannt, daß Sophia die Ibchter einer Serbin, nämlich
der Königin Helene, und eine Enkelin von Großfürst UroS I. war. Schließlich
möchte ich noch die serbische Abstammung von Helene, der Frau Leopolds V.
von Babenberg, hervorheben; sie war eine Ibchter von König G&a II. und
eine Enkelin von Königin Helene, nach der sie anscheinend auch benannt
worden war32).
Mißt man diese Angaben an der Bedeutung, die ihnen im Mittelalter
beigelegt wurde, so war Serbien für die deutsche Politik des 12. Jahrhunderts
keine unbekannte Welt. Das bestätigt zudem noch ein anderer Aspekt der
gegenseitigen Beziehungen, den ich in Zusammenhang mit den umfassende-
ren politischen Interessen des römisch-deutschen Reiches im 12. Jahrhundert
bringen möchte. Vom Thema her betrachtet, geht es um die Beziehungen der
beiden Imperien, des deutschen und des byzantinischen. Ich will hier lediglich
auf die Ereignisse hinweisen, an denen auch Serbien auf gewisse Weise
beteiligt war.
Die Stärkung des Normannenstaates in Süditalien während der ersten
Hälfte des 12. Jahrhunderts rief in Deutschland und in Byzanz Besorgnis
hervor. Das Vorrücken von König Roger II. (1130-1154) und sein Streben,
seinen Einfluß in Italien, im Mittelmeer sowie auf die christlichen Staaten
im Nahen Osten auszudehnen, seine Beziehungen zum Papst - all das
veranlaßte König Lothar ΙΠ. und Johannes II. Komnenos dazu, über ein
geschlossenes Vorgehen gegen den gemeinsamen Widersacher zu verhandeln.
Als 1143 Manuel Komnenos den byzantinischen Thron bestieg, gewann die
alte normannisch-byzantinische Rivalität an Schärfe, und das Bedürfnis, die
Beziehungen zu Konrad III. zu festigen, äußerte sich noch deutlicher. Die
2S
) Wilhelm Wegener, Genealogische Tafeln zur mitteleuropäischen Geschichte (1962-
1969) T. 3.
29
) Continuatio Gerlaci abbatis Milovicensis, MGH SS 17, 688.
30) Cinn. 212.
31
) Canonici Wissegradensis continuatio Cosmae, MGH SS 9, 145; vgl. Wilhelm B e r n -
h a r d t , Konrad ΠΙ., 1 (Jahrbuch der deutschen Geschichte 1883) 105-106; August v. J a k s c h ,
Zur Lebensgeschichte Sophias, der Ibchter König Belas II. von Ungarn, in: MIÖG, ErgBd. 2
(1888) 361-379.
32) Wertner (wie Anm. 20) 350; Lechner (wie Anm. 22) 184.
Offensive Erfolg gehabt hatten. Das kaiserliche Heer drang in den zentralen
Teil Serbiens ein, die Hauptstadt Ras wurde verwüstet und die Festung
Konstantin Angelos, dem namhaften byzantinischen Heerführer und Ver-
wandten des Kaiserhauses, anvertraut. Die Operationen gingen mit der
Eroberung mehrerer Städte weiter, Uro§ II. begab sich auf den Rückzug,
nahm dann die Angriffe wieder auf, jedoch ohne Erfolg. Das byzantinische
Heer machte „unzählige" Gefangene und siedelte sie später in verschiedene
Teile des Reiches um44). Obzwar sich Ungarn seit 1149 im Krieg mit Byzanz
befand, gibt es keine Beweise dafür, daß es Serbien in diesem Jahr militäri-
schen Beistand geleistet hätte.
Die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Koalitionen verliefen
entsprechend den lokalen historischen Gegebenheiten. Während nach der
Schlacht bei Flochberg vom 8. Februar 1150 eine Aussöhnung zwischen
Konrad III. und Herzog Weif zustande kam, ging der Krieg in Serbien weiter.
Von den Ausmaßen der Kämpfe im Laufe des Jahres 1150 zeugt die Angabe,
daß die Operationen von Kaiser Manuel persönlich geleitet wurden. Ungarn
entsandte eine Hilfstruppe auf den serbischen Kriegsschauplatz. Der Versuch
der byzantinischen Kommandanten, durch ein rasches Manöver die Vereini-
gung der gegnerischen Truppen zu verhindern, schlug fehl. 1150 kam es zu
einer großen Schlacht am Fluß Tara, bei der sich - einer ausfuhrlichen
Darstellung des Kampfes bei byzantinischen Autoren nach zu schließen -
auch Manuel Komnenos durch Kühnheit auszeichnete. Die Serben wurden
geschlagen, Uro§ II. sah sich gezwungen, seinen Lehenseid zu erneuern45).
Damit war auch hier der Kampf vorübergehend eingestellt.
Die serbisch-deutschen Kontakte zur Zeit von Kaiser Friedrich I. stan-
den im Schatten wichtigerer Vorgänge, nämlich in Italien, Mitteleuropa oder
im Nahen Osten. Dennoch verdienen sie es, betrachtet zu werden, um etwas
Neues zu entdecken. Aufmerksamkeit erregt zunächst eine Nachricht aus den
fünfziger Jahren des 12. Jahrhunderts, die in einem Tfext von Johannes
Kinnamos festgehalten ist. Manuel Komnenos ernannte 1153 Andronikos
Komnenos, seinen nahen Verwandten und künftigen Kaiser, zum Verweser
der byzantinischen Grenzmark zu Ungarn. Seine Macht erstreckte sich, wie
Kinnamos berichtet, auf die Städte Braniöevo an der Donau und auf Nis,
wogegen Choniates auch Belgrad als dazugehörig erwähnt 46 ). Sein neues Amt
nutzte Andronikos aus, um Verhandlungen mit dem ungarischen König
G&a II. bzw. dem ungarischen Adel aufzunehmen: fur Beistand im Ringen
um den byzantinischen Thron bot er das von ihm regierte Gebiet an. Er
wandte sich auch an den JKönig der Alamannen", wie Kinnamos Friedrich I.
bezeichnet47). Diese Verhandlungen fielen in die Zeit der engen Zusammenar-
beit zwischen dem ungarischen und dem serbischen Hof und hätten ohne
deren Unterstützung wohl auch keinerlei Erfolgschancen gehabt. Wie Cho-
niates erwähnt, verlangte Kaiser Manuel gerade zu dieser Zeit ausdrücklich
von dem serbischen Großzupan (damals war immer noch Urog II. an der
Macht), er solle auf das Bündnis mit Ungarn verzichten4®). Der Kreis der
« ) Cinn. 130-131.
»>) Cinn. 212-213.
51
) Jireiek (wie Anm. 6) 258 - 260; Cinn. 286 - 288.
52
) Chon. 159. Zur Chronologie vgi. Jovanka Kalid, Nikita Honjjat, in: Fontee byzantini
historiam populorum Jugoslaviae spectantes 4 (Beograd 1971) 144-148.
s3) B. F e r j a n i i i , Konstantin Manasije, ebendort 209- 210.
M
) Vgl. Ferdinand Opll, Das Treffen von Niä vom Juli 1189 in seinem historischen
Umfeld, in: MIÖG 97 (1989) 439- 440; Odilo Engels, Friedrich Barbarossa als Kreuzfahrer,
in: 800 Jahre deutsch-serbische Beziehungen (Belgrad 1989) 17-27.
55
) Ansbert, Historie 30; Historie peregrinorum 134-135.
ste wurden reich beschenkt, und darauf folgten am 27. Juli die Verhandlungen.
Über ihren Gang und insbesondere über ihre Ergebnisse liegen leider nur spär-
liche und einseitige Auskünfte vor. Sie finden sich in den Texten des sogenann-
ten Ansbert, femer in einer Handschrift mit dem Titel Historia peregrinorum,
in der Chronik des Lübecker Abtes Arnold und einigen anderen. Die Beziehun-
gen dieser Ttexte untereinander, ihre Filiation, ist schon mehrfach untersucht
worden. Jedenfalls überliefern die Handschriften die deutsche Version des Ge-
schehens. Serbische Darstellungen fehlen, da bekanntlich während der Tür-
kenherrschaft alle Herrscherarchive und sämtliche Bibliotheken vernichtet
wurden. Die byzantinischen Autoren wiederum vernachlässigen die Ereignisse
von NiS. Die uns interessierenden Vorgänge sind daher nur in Grundzügen re-
konstruierbar.
Eine vergleichende Analyse der genannten Ttexte läßt als gesichert
erscheinen, daß Stefan Nemanja und sein Bruder, Fürst Stracimir, dem
römischen Kaiser die Verhältnisse in Serbien, insbesondere den Stand der
Beziehungen zum byzantinischen Kaiser, schilderten. Sie unterrichteten ihn
auch davon, daß sie gemeinsam mit ihrem dritten Bruder, dem Fürsten
Miroslav, Ni§ mitsamt der umgebenden Region und das Gebiet bis Sofia
erobert hatten, und äußerten ihre Entschlossenheit, den begonnenen Krieg
gegen Byzanz fortzusetzen. Für das bereits gewonnene Territorium boten sie
die Errichtung eines Vasallitätsverhältnisses an56). In der Sprache der moder-
nen Mediävistik heißt das, der serbische Herrscher wünschte, die eroberten
Gebiete von Kaiser Friedrich I. als Lehen zu erhalten. Ob der Kaiser dieses
Anerbieten annahm, ist eine andere Frage. Gewisse Zweifel daran weckt die
Nichtübereinstimmung der Darstellungen von Ansbert und Arnold von Lü-
beck. Letzterer behauptet z.B. ausdrücklich, der serbische Herrscher habe
sich dem Kaiser unterstellt und von ihm sein Land „iure beneficiario"
empfangen57). Die Historia peregrinorum wiederum berichtet von der Bitte
der serbischen Führer, nicht aber von ihrem Erfolg58). Das hat in der
Fachliteratur zu unterschiedlichen Deutungen der tatsächlichen Ergebnisse
der Verhandlungen von NiS gefuhrt, je nachdem, welcher Quelle man die
größere Glaubwürdigkeit zuschrieb59). Analysiert man jedoch die Begegnung
in Ni§ sorgfaltig im Kontext der deutsch-byzantinischen Beziehungen von
1189 bis 1190, so lassen sich wesentliche Komponenten erschließen.
Wenn wir dem Text von Ansbert folgen, dann steht fest, daß der Kaiser sei-
ne Gesprächspartner in Ni§ auf sein Hauptziel, den Kampf gegen die Eroberer
des Heiligen Grabes, hinwies bzw. auf seine Absicht, keinen christlichen Herr-
scher, also auch nicht den „König von Griechenland", wie der byzantinische Kai-
ser im Text genannt wird, zu bekriegen, sofern er seine Versprechungen über
freien Durchzug und geregelte Versorgung der Kreuzfahrer einhalte 60 ). Als bald
56
) Ansbert, Historia 29-30; Historia peregrinorum, I.e.
57
) MGH SS 21, 172.
Μ
) Historia peregrinorum 134-135.
59
J Jire£ek (wie Anm. 6) 269f.; Milada Paulova, Uiast Srbü pri treti vyprave krizove,
in: Byzantinoslavica 5 (1933-1934) 282 - 287; Vitalien Laurent, La Serbie entre Byzance et
la Hongrie ä la veille de la Quatrifeme croisade, in: Revue historique du Sud-est europeen 18
(1941) 120; Rodolphe Guilland, Byzance et les Balkans sous le rtgne d'Isaac Π Ange
(1185-1196), in: Actes du XIIe Congrfcs international d'etudes byzantines2 (Beograd 1964)
132-133.
«>) Ansbert, Historia 30-31.
darauf tatsächlich ein Krieg zwischen den Kreuzfahrern und dem byzantini-
schen Reich ausbrach, versicherte Friedrich I. seinem CJegner bei den Verhand-
lungen, er habe dem serbischen Großzupan keinerlei byzantinisches Territori-
um als Benefizium verliehen61). Nach der Reaktion des byzantinischen Hofes zu
urteilen, glaubte man diesen Worten jedoch nicht oder zumindest nicht ganz.
Wie ein Zeitgenosse vermerkt, erschien die Freundschaft (amicitia), die in Niä
zwischen Friedrich I. und Stefan Nemanja geschlossen worden war, Isaak II.
äußerst ernst und sehr verdächtig (Brief des Passauer Bischofs Diepold)62).
Auch andere Autoren erwähnen die deutsch-serbische Freundschaft, die Ende
Juli 1189 besiegelt worden sei63). Der weitere Verlauf der Ereignisse deutet
ebenfalls auf Zusammenarbeit in verschiedenen Formen hin, von der Unter-
stützung beim weiteren Vorrücken des Kreuzzugsheeres über nachträgliche
Verhandlungen Friedrichs mit dem serbischen Herrscher durch den Grafen
Bertold von Andechs bis hin zur Vereinbarung konkreter militärischer Hilfe bei
den geplanten Operationen gegen Kaiser Isaak II.64)
Allem Anschein nach akzeptierte Friedrich I. in Niä nur einen Teil der
serbischen Vorschläge, zweifellos diejenigen, die den erfolgreichen Abschluß
der „Balkanetappe" seines Zuges nach Jerusalem ermöglichten. Ein Abkom-
men zeichnet sich hier deutlich ab, aber ob es auch die Form des klassischen
Vasallitätsverhältnisses erhielt oder in anderer Weise Gestalt gewann - dies
festzustellen, bleibt künftigen Forschungen vorbehalten.
Auf einen größeren politischen Rahmen und langfristigere Interessen
deutet der Vertrag (pactum) über die Verheiratung von Stefan Nemanjas Nef-
fen Ibljen mit der Tochter des istriechen Markgrafen Bertold von Andechs hin,
der auch Titularherzog von Dalmatien und Kroatien (Meranien) und ein enger
Mitarbeiter Barbarossas war85). Die Eheschließung wurde für den Frühling des
kommenden Jahres (1190) vereinbart, die Rechte der aus dieser Ehe hervorge-
henden Erben und andere Details wurden genau festgelegt66). Solche Arrange-
ments gehörten im Mittelalter zu den wichtigen diplomatischen Mitteln der
europäischen Monarchien. Sie geben auf ihre Art Aufschluß über die politi-
schen Interessenssphären der einzelnen Staaten, ihre wechselseitigen Bezie-
hungen und Pläne. So war es auch in diesem Falle. Man darf nicht außer acht
lassen, daß Bertold von Andechs im Fortgang der Ereignisse, nach der Begeg-
nung in Niä, zur militanten Richtung im deutschen Adel gehörte, die den An-
griff auf die byzantinische Hauptstadt als eine Notwendigkeit befürwortete.
Das entsprach auch den politischen Zielen Stefan Nemanjas.
Die deutsch-serbische Zusammenarbeit war nur von kurzer Dauer. An-
dere Ereignisse machten ihr ein Ende. Friedrich Barbarossa gab letztlich doch
der Idee des Kreuzzuges gegen die Muslime bzw. der Verständigung mit dem
byzantinischen Kaiser den Vorzug. Als nach vielen Schwierigkeiten unter
beiderseitigem Mißtrauen schließlich ein Abkommen über die weitere Marsch-
route des Kreuzfahrerheeres erzielt wurde (Februar 1190)67), hatte der serbi-
61
) Ansbert, Historie 46.
<B) MGH SS 17, 510.
63
) Ansbert, Historie 35.
64
) Ansbert, Historia 55, 6 0 - 62, 68.
« ) E. Oefele, Geschichte der Grafen von Andechs (1877) 94 - 96.
m
) Ansbert, Historia 31.
67
) K. Z i m m e r t , Der Friede zu Adrianopel (Februar 1190), in: Byzantinische Zeit-
schrift 11 (1902) 303.
sehe Herrscher einen wichtigen Verbündeten verloren. Tatsache ist aber doch,
daß Kaiser Isaak zu Lebzeiten Friedrichs I. Serbien nicht angegriffen hat.
Barbarossas unerwarteter Tbd im Juni 1190 in Kleinasien gab Isaak freie
Hand, gegen den serbischen Herrscher vorzugehen. Darauf brauchte man
nicht lange zu warten, die Rache folgte noch vor Ablauf des Jahres68).
e
) Chon. 434; Recueil des historiens des croisades. Historiens grecs, II (Paris 1881)
738-740; Franz Grabler, Niketas Choniates als Redner, in: Jahrbuch der österr. byz.
Gesellschaft 11-12 (1962-1963) 64; Jan-Louis van Dieten, Niketas Choniates. Erläuterungen
zu den Reden und Briefen nebst einer Biographie (1971) 81-87; F. Cognasso, Un imperatore
bizantino nella decadenza: Isaaco Π Angelo, in: Bessarione31 (1915) 274; Charles Brand,
Byzantium confronts the West 1180-1204 (Cambridge, Mass. 1968) 94. Zur Chronologie und
Analyse vgl. Kalid, Nikita Honijat (wie Anm. 52) 154-157.