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Euripides, Hekabe
TEXTE UND KOMMENTARE
Eine altertumswissenschaftliche Reihe
Herausgegeben von
Band 34
De Gruyter
Euripides,
Hekabe
Edition und Kommentar
von
Kjeld Matthiessen
De Gruyter
ISBN 978-3-11-022945-5
e-ISBN 978-3-11-022946-2
ISSN 0563-3087
Euripides.
[Hecuba. German & Greek]
Euripides "Hekabe" : Edition und Kommentar / von Kjeld Matthiessen.
p. cm. -- (Texte und Kommentare, ISSN 0563-3087 ; Bd. 34)
Includes bibliographical references and index.
ISBN 978-3-11-022945-5 (hardcover : alk. paper)
1. Hecuba (Legendary character)--Drama. I. Matthiessen, Kjeld. II.
Title. III. Title: Hekabe.
PA3973.H3 2010
882'.01--dc22
2010028065
Im Jahre 2008 erschien meine Ausgabe der Hekabe mit Einführung, Über-
setzung und Kommentar in diesem Verlag in der Reihe Griechische Dra-
men. Der Konzeption dieser Reihe erlaubt für Textkritik und Überliefe-
rungsgeschichte nur einen geringen Raum, so dass ich manches nicht in
das Buch aufnehmen konnte, was in einer wissenschaftlichen Ausgabe
nicht fehlen sollte. Ich freue mich, dass mir der Verlag jetzt Gelegenheit
gibt, das Stück noch einmal in einer stark erweiterten Edition zu publizie-
ren: Die hier vorgelegte Ausgabe enthält auch einen vollständigen text-
kritischen Apparat und ein Verzeichnis der Stellen bei antiken und byzanti-
nischen Autoren, an denen Verse aus der Hekabe zitiert oder nachgeahmt
werden (Testimonia, Imitationes), sowie eine metrische Analyse der lyri-
schen Passagen (42137). Die Einführung wurde um zwei Kapitel erwei-
tert, nämlich um das über die Sentenzen in der Hekabe (4850) und das zur
Rezeptionsgeschichte des Stückes (5271). Das Kapitel Textgeschichte
und Textkonstitution (7179) wurde weitgehend neu geschrieben, der
Dramentext fast unverändert gelassen und die Übersetzung sprachlich und
stilistisch überprüft.
Bei meiner Kommentierung stütze ich mich weitgehend auf meine
zahlreichen Vorgänger. Unter ihnen sind zunächst die alexandrinischen
Philologen zu nennen, von deren Wirken sich die Spuren in den Scholia
Vetera finden. Es folgt die lange Reihe der modernen Kommentare von
Porson (1798) und Hermann (1800) bis hin zu Collard (1991), Gregory
(1999) und dem bisher ausführlichsten Kommentar von Synodinou (2005).
Meine Abhängigkeit von den drei letztgenannten ist besonders groß. Darü-
ber hinaus habe ich alle mir erreichbaren Kommentare durchgesehen und
auch aus ihnen manches übernommen. Die wissenschaftliche Literatur
habe ich herangezogen, soweit sie mir noch rechtzeitig zugänglich gewor-
den ist. Ich habe mich aber bemüht, den Kommentar nicht mehr als nötig
mit gelehrten Diskussionen zu belasten. Themen, die das Stück als Ganzes
betreffen, behandele ich in der Einführung.
Bei der dem Text beigegebenen Übersetzung habe ich mich um eine
möglichst genaue Wiedergabe des originalen Wortlauts, aber auch um
einen sprechbaren Text bemüht.
VI Vorwort
Für Hilfe und mancherlei Anregungen danke ich Klaus Alpers, Horst-
Dieter Blume, Stephen G. Daitz, James Diggle, Jens Holzhausen, Herman
van Looy , Gustav Adolf Seeck, Bernd Seidensticker und besonders
Sabine Vogt vom Verlag De Gruyter. Außerdem danke ich den Teil-
nehmern an meinem Seminar über die Hekabe im Wintersemester 1994/95
Katrin Frommhold, Guido Gunderloch, Melanie Just und Susanne Liell für
ihre Beiträge zur Interpretation des Stückes.
Meinem Sohn Kai danke ich für Rat und Hilfe bei der Herstellung
des Satzmanuskripts und Barbara und Horst-Dieter Blume für großzügig
gewährte Gastfreundschaft in Münster.
Vorwort ................................................................................................. V
Einführung ............................................................................................. 1
Autor, Datierung, historische Situation ...................................... 3
Der Stoff und seine Geschichte .................................................. 6
Der Aufbau des Stückes .............................................................. 8
Dramaturgie, Aufführungsbedingungen ..................................... 10
Einheit trotz Zweiteiligkeit ......................................................... 13
Die Polyxene-Handlung .............................................................. 16
Die Polymestor-Handlung .......................................................... 23
Hekabe als Zentralgestalt ............................................................ 27
Nebenthemen .............................................................................. 34
Die Macht der Beredsamkeit ............................................... 34
Charis: Gunst und Dank ...................................................... 35
Dynasten und Demokraten? ................................................ 36
Griechen und Barbaren ........................................................ 37
Freie und Sklaven ................................................................ 40
Die Chorlieder ............................................................................ 42
Die Funktion der Götter .............................................................. 45
Das Wehen der Winde und die Götter ................................. 46
Im Zeichen des Dionysos? .................................................. 47
Die Sentenzen ............................................................................. 48
Hekabe und Troerinnen .............................................................. 51
Zur Rezeptionsgeschichte ........................................................... 52
Die frühen römischen Tragiker, Vergil und Ovid ............... 52
Seneca ................................................................................. 54
Quintus Smyrnaeus ............................................................. 56
Die Spätantike und Byzanz ................................................. 58
Das Mittelalter im Westen ................................................... 59
Die frühe Neuzeit ................................................................ 60
Kritische Stimmen im 18. und 19. Jahrhundert ................... 65
VIII Inhalt
die dieser Staatsform anhaften. Im Orestes wird über den Verlauf einer
Volksversammlung berichtet, in der ein Demagoge von zweifelhafter Her-
kunft die Masse so beeinflusst, dass sie eine Fehlentscheidung trifft, indem
sie Orestes, der auf Befehl Apollons seine Mutter getötet hat, und seine
Schwester Elektra zum Tode verurteilt. In der Aulischen Iphigenie schließ-
lich ist weder der Oberfeldherr Agamemnon noch der große Achilleus
imstande, sich der durch die Demagogen Odysseus und Kalchas aufge-
stachelten Menge des Heeres zu widersetzen. Sogar die Myrmidonen, die
eigenen Gefolgsleute des Achilleus, lehnen sich gegen ihn auf.
Das nachhomerische Epos über den Fall Trojas, die Iliupersis, berichtet
unter anderem, dass die Griechen, nachdem sie das eroberte Troja nieder-
gebrannt hatten, Polyxene auf dem Grabe des Achilleus opferten.6 Ob die-
ses Epos irgendetwas über das Schicksal Hekabes nach der Einnahme Tro-
jas berichtet hat, lässt sich den wenigen Angaben, die wir über seinen
Inhalt besitzen, nicht entnehmen. In den Kyprien, dem Epos über den Be-
ginn des trojanischen Krieges, wurde erwähnt, dass Polyxene durch Odys-
seus und Diomedes verwundet und durch Neoptolemos bestattet wurde.7 In
den Nostoi, dem Epos über die Heimkehr der Helden von Troja, wurde
darüber berichtet, dass der Geist des Achilleus dem Agamemnon erschien
und ihn an der Heimkehr zu hindern versuchte, indem er ihm sein bevor-
stehendes Schicksal verkündete.8 Doch war offenbar nicht von irgendwel-
chen Forderungen des Geistes die Rede. Eine sehr eindrucksvolle Erschei-
nung dieses Geistes scheint auch von Simonides beschrieben worden zu
sein.9
Über die chorlyrische Dichtung Iliupersis des Stesichoros ist zu wenig
bekannt, als dass sich Aussagen darüber machen ließen, ob und wie die
Schicksale Hekabes und Polyxenes in dieser Dichtung erwähnt wurden.
Der Chorlyriker Ibykos erwähnte dagegen, dass Polyxene von Neoptole-
mos geopfert wurde.10
Etwas mehr wissen wir von der Tragödie Polyxene des Sophokles. Sie
handelte von der Erscheinung des Geistes des Achilleus, von seiner Forde-
_____________
6 Iliupersis (Proclus) p. 62, 34 EGF ed. Davies.
7 Kyprien fr. 27 EGF; vgl. F. Jouan, Eur. et les légendes des Chants Cypriens, Paris
1966, 36871.
8 Nostoi (Proclus) p. 67, 1517 EGF.
9 Simonides fr. 557 PMG.
10 Ibycus fr. 307 PMG = schol Hec. 41.
Der Stoff und seine Geschichte 7
rung, Polyxene an seinem Grab zu opfern, und von der Erfüllung dieser
Forderung durch das griechische Heer. Sie ist mit großer Wahrscheinlich-
keit vor unserer Hekabe entstanden.11 Uns sind nur wenige Zitate bei anti-
ken Autoren erhalten, aus denen sich nicht viel über Inhalt und Form dieses
Stückes entnehmen lässt. Es scheint immerhin gewiss zu sein, dass So-
phokles die Erscheinung des Geistes des Achilleus auf der Bühne sichtbar
werden ließ und dass er ihn bei seinem Auftritt ähnliche Worte sprechen
ließ, wie Euripides sie seinem Polydoros in den Mund legte (F 523 TrGF).
Es ist zu vermuten, dass bei Sophokles ähnlich wie später bei Euripides die
Rede des Geistes am Anfang des Stückes stand. Einem anderen Fragment
ist zu entnehmen, dass in dem Stück die griechischen Feldherren darüber
stritten, wann man von Troja aufbrechen solle (F 522 TrGF). Wenn die
Annahme richtig ist, dass die Polyxene der Hekabe vorausging, hat Euripi-
des nicht nur die erste Teilhandlung seines Stückes von Sophokles über-
nommen, sondern auch das Motiv der Erscheinung des Geistes des
Achilleus und wohl auch die besondere Form des vom Geist eines Toten
gesprochenen Prologes.
Mit der zweiten Teilhandlung der Hekabe, nämlich der Polymestor-
Handlung, scheint Euripides dagegen Neuland betreten zu haben. Die Ilias
berichtet über einen Polydoros, welcher der jüngste Sohn des Priamos war,
als dessen Mutter aber Laothoe und nicht Hekabe genannt wird (22,4648).
Diesen Polydoros versuchte der Vater vom Kampf fernzuhalten, weil er
ihm besonders lieb war. Der Sohn mischte sich aber trotzdem unter die
Kämpfenden, wurde von Achilleus am Unterleib verwundet und starb ei-
nen qualvollen Tod (20,40718). Diese kurze Episode der Ilias scheint
Euripides zu seiner Polydorosgestalt angeregt zu haben. Bei ihm gelingt es
Priamos tatsächlich, seinen jüngsten Sohn vom Kampf fernzuhalten, indem
er ihn in die vermeintlich sichere Obhut seines Gastfreundes Polymestor
gibt, doch auch dieser Versuch, das Leben seines Sohnes zu retten, schlägt
fehl, weil Polymestor seinen Schützling nach dem Fall Trojas und dem Tod
des Priamos ermordet. Dies ist bei Euripides die Vorgeschichte der Hand-
lung, und die Tragödie selbst handelt davon, wie die zur Sklavin der Grie-
chen gewordene Königin Hekabe, die bei ihm anders als bei Homer die
Mutter des Polydoros ist, vom Tod ihres Sohnes erfährt und ihn an dem
Mörder rächt. Es ist möglich, dass der Dichter sich bei der Verbindung
Hekabes mit Thrakien und besonders bei der Prophezeiung, die Polymestor
am Schluss des Stückes gibt, von einer lokalen Überlieferung auf der in
athenischem Besitz befindlichen thrakischen Chersones hat anregen lassen,
_____________
11 Dazu W. M. Calder III, A Reconstruction of Sophocles Polyxena, Greek Roman
and Byzantine Studies 7 (1966) 3156, jetzt auch in: Theatrokratia, Spudasmata
104, Hildesheim 2005, 23366.
8 Einführung
die zwischen dem Namen des sehr markanten, weil an der engsten Stelle
des Hellesponts gelegenen Kaps Kynossema (kunòß sñma) und der Sagen-
gestalt der Königin Hekabe eine Verbindung herstellte.12 Eine solche loka-
le Überlieferung dürfte jedoch nicht vielen Athenern bekannt gewesen
sein. Darum ist es anzunehmen, dass die meisten von ihnen hier eine Ge-
schichte erfuhren, die ihnen neu war, eben weil sie ganz oder zum Teil eine
freie Erfindung des Euripides war.13
Zunächst gebe ich eine Gliederung des Stückes nach den Teilen der Tra-
gödie, wie sie im 12. Kapitel der Poetik des Aristoteles definiert werden
(mérh tragw¸díaß: 1452b 1427). Diese Termini haben sich allgemein
eingebürgert, denn mit ihnen lässt sich der Aufbau einer jeden attischen
Tragödie gut beschreiben, für die ein regelmäßiger Wechsel zwischen
Sprechpartien und lyrischen Partien charakteristisch ist. Allerdings weiche
ich von der aristotelischen Terminologie bei der Benennung der lyrischen
oder halblyrischen Partien ab, welche die Parodos umgeben.
158 Prologrede
5997 Monodie vor der Parodos
98152 Parodos
154215 Monodie, Amoibaion, Monodie
216443 1. Epeisodion
44483 1. Stasimon
484628 2. Epeisodion
62956 2. Stasimon
658904 3. Epeisodion
90551 3. Stasimon
9531022 4. Epeisodion
102434 Chorikon anstelle eines 4. Stasimons
10351295 Exodos
_____________
12 Dies vermuten Stephanopulos (1980) 7983; Erbse (1984) 55.
13 Meridor (1983) 1820 nimmt an, dass sich Eur. bei der Weise der Bestrafung
Polymestors vom Schicksal des Artayktes bei Herodot (9,11620) anregen ließ.
Das ist zwar möglich, muss aber Vermutung bleiben. Gleiches gilt für die Annah-
me von Delebecque (1951) 15458, dass Eur. zur negativen Zeichnung der Gestalt
Polymestors durch die Unzuverlässigkeit der Thraker als Verbündete der Athener
veranlasst worden sei.
Der Aufbau des Stückes 9
Die hier gegebene Gliederung der Tragödie14 stellt freilich nur ein Raster
dar, das durch die Handlung in ihren einzelnen Stufen ausgefüllt wird. Die
Handlung der Hekabe besteht aus zwei Teilhandlungen, die dadurch zu-
sammengehalten werden, dass im Mittelpunkt einer jeden von ihnen die-
selbe Person Hekabe steht und dass es in jeder von ihnen darum geht, dass
sie eines ihrer letzten Kinder verliert. Im übrigen aber unterscheiden sich
die beiden Teilhandlungen im Inhalt und in der Stimmung erheblich. Die
Hekabe ist also wie die Troerinnen ein Episodendrama.
Wenn man die Handlungsstruktur zur Epeisodienstruktur in Beziehung
setzt, kommt man zu folgender Gliederung:
_____________
14 Die meisten Kommentatoren äußern sich nicht zur Gliederung des Stückes. Bond
Walpole rechnen alles, was auf das 3. Stasimon folgt, zur Exodos. Ich meine, dass
V. 9531022 noch der Vorbereitung der Rachehandlung dienen, also den Charak-
ter eines Epeisodions haben, während die Exodos (10351295) hier wie auch sonst
immer der Ort für die Katastrophe und die Reaktion der Beteiligten auf sie ist.
Collard, Gregory und Synodinou gliedern etwa so, wie es hier geschieht.
10 Einführung
Dramaturgie, Aufführungsbedingungen
Das Stück spielt im Lager der griechischen Flotte auf der thrakischen
Chersones vor der Unterkunft der gefangenen troischen Frauen. Es ist
mehrfach von einem oder mehreren Zelten die Rede (skhnä 53), auch von
Häusern (oi®koi, dåmata, dómoi 174, 1019, 1049, 1053) oder Dächern
(stégai 880, 1016). Das ist wohl so zu verstehen, dass das den Bühnen-
hintergrund bildende Haus nicht besonders dekoriert, sondern als notdürf-
tige Unterkunft gekennzeichnet ist, etwa durch darüber geworfene Zelt-
bahnen. Manche Interpreten meinen, dass zwei Zelte anzunehmen sind,
nämlich das ärmliche der Gefangenen und ein prächtigeres für
Agamemnon. Ich finde im Text jedoch keine Anhaltspunkte für ein solches
zweites Zelt. Wenn Agamemnon auftritt, kommt er nicht aus seinem Zelt,
sondern aus der Richtung der Heeresversammlung, also aus der gleichen
Richtung wie Odysseus. Hekabe tritt aus dem Zelt hervor (53f.), ebenso
Polyxene (178f.). Später geht Hekabe mehrfach ins Zelt ab (628, wohl
auch 904) und tritt wieder aus ihm hervor (665f., 953). Nach dem Auftritt
Polymestors betritt sie zusammen mit ihm das Zelt (101922) und verlässt
es kurz darauf wieder fluchtartig (1044), während er ihr wenige Verse
später auf allen Vieren folgt (1053).
Die Parodoi, die seitlichen Zugänge zur Orchestra, stellen die Verbin-
dung der Bühnenhandlung mit der Außenwelt her. In der Hekabe sind zwei
außerszenische Orte bedeutsam, nämlich das Meeresufer und das übrige
Heerlager. Man kann entsprechend den athenischen lokalen Gegebenheiten
das Ufer der vom Zuschauer aus gesehen linken Parodos zuordnen, also
der Richtung nach Phaleron, dem alten Hafen Athens, das Lager dagegen
der rechten, also der Richtung nach der Akropolis. Wenn man für den
Geist des Polydoros nicht eine (vielleicht gar mit Hilfe eines Krans be-
werkstelligte) Erscheinung auf dem Dach des Bühnenhauses annehmen
will, was nicht völlig auszuschließen, aber nicht nötig ist, lässt sich vermu-
ten, dass er aus der Richtung des Ufers erscheint und auch dorthin wieder
abgeht. Eben dorthin geht auch die Dienerin (609f.), und von dort kommt
sie mit seinem Leichnam zurück (658). Odysseus kommt vom Lager und
geht zusammen mit Polyxene dorthin ab (216f., 437), ebenso Talthybios
(484, 60408) und Agamemnon (724f., 904, 1109). Da die Dienerin, die
Polymestor herbeirufen soll, durch das Lager geleitet wird (889f.), muss
der Thrakerkönig auch aus dieser Richtung die Orchestra betreten (953),
und zwar zusammen mit der Dienerin, die ihn herbeigeholt hat (966). Da er
am Schluss des Stückes auf einer Insel ausgesetzt werden soll, liegt die
Annahme nahe, dass er in Richtung nach dem Ufer abgeführt wird (1284
86). Die übrigen Personen, also Agamemnon, Hekabe und der Chor, gehen
Dramaturgie, Aufführungsbedingungen 11
Polymestors, die er zunächst trägt, die ihm dann aber abgenommen wird
(1155f.). Die wichtigsten Requisiten sind allerdings die auf die Bühne
gebrachten Leichname des Polydoros und der beiden Söhne Polymestors.
Der Leichnam des Polydoros ist von großer Bedeutung in der zentralen
Szene des Stückes (658720), und er bleibt auch wichtig bei der folgenden
Auseinandersetzung zwischen Hekabe und Agamemnon (724904). Ob er
auch während der folgenden Szenen auf der Bühne liegen bleibt, ist um-
stritten. Ich halte es für gut möglich, dass er weiter dort bleibt, weil dann
mehrere Stellen im Dialog zwischen Polymestor und Hekabe an Ironie
gewinnen würden. Demgegenüber spielen die Leichname der Söhne
Polymestors in der Handlung keine große Rolle. Sie werden offenbar zu-
sammen mit dem Auftritt des geblendeten Polymestor sichtbar, vielleicht
mit dem Ekkyklema (e¬kkúklhma), einer niedrigen Plattform, die aus dem
Bühnenhaus herausgerollt werden kann.15 Seine Klagen nehmen immer
wieder auf die Kinder Bezug, und auch Agamemnon erwähnt sie als sicht-
bar (1118). Aber im weiteren Verlauf des Stückes werden sie nicht mehr
beachtet. Es bleibt auch unklar, was weiter mit ihnen geschieht. Da sie ja
irgendwo bleiben müssen, könnten sie am Schluss des Stückes von der
abgehenden Gruppe mit hinausgetragen oder mit dem Ekkyklema wieder
ins Bühnenhaus zurückgerollt worden sein.
Wie es in der Tragödie üblich ist, wird oft durch Formulierungen im
Text deutlich gemacht, was auf der Bühne gerade geschieht, oder es wird
angekündigt, was dort bald geschehen wird. Damit wird einerseits die
Aufmerksamkeit des Zuschauers auf die gewünschte Bahn gelenkt, und
andererseits erhalten auch die Schauspieler durch den Text Anweisungen
für ihr Verhalten. Man spricht in solchen Fällen von Wortregie. Der Auf-
tritt von Personen wird, meist durch den Chor, gelegentlich auch durch
andere Personen, im voraus angekündigt oder im Augenblick, in dem sie
sichtbar werden, gemeldet (5254, 17276, 216f., 665f., 724f., 104953).
Manchmal werden neu auftretende Personen angeredet und dadurch dem
Publikum vorgestellt (487, 968f., 1114). Für die Handlung wichtige Gesten
werden in dem Augenblick, in dem sie vollzogen werden, auch benannt
und damit für den Zuschauer interpretiert, so die Gesten der Hikesie (286f.,
752f., 787f., 83640), aber auch das Sich-Abwenden dessen, der sich einer
Hikesie entziehen will (34245) oder die Geduld verliert (812f., wohl auch
747f.). Beim Abschied Polyxenes von ihrer Mutter wird von einem Hände-
druck, von Umarmungen, vom Verhüllen des Hauptes und vom letzten
Ausstrecken der Hand gesprochen (409f., 432, 439f.), danach vom Zu-
Boden-Sinken Hekabes aus Erschöpfung und Verzweiflung (440). Dass
_____________
15 Burnett (1998) 168 meint, dass die Leichen der Kinder von Frauen aus Hekabes
Gefolge auf die Bühne getragen werden.
Einheit trotz Zweiteiligkeit 13
Hekabe während des folgenden Chorliedes in ihr Gewand gehüllt auf dem
Boden verharrt und sich erst nach der Anrede durch Talthybios wieder
erhebt, wird aus dem Text deutlich (486f., 501f., 50507). Das Herbei-
bringen des Leichnams des Polydoros und seine Enthüllung und Identifi-
zierung werden ebenfalls angesprochen (671f., 67982), während Hekabes
Gesten heftiger Trauer nur aus dem Wechsel des Metrums und aus der
lyrischen Sprache erschlossen werden können (684720). Ihre ersten Wor-
te zu Polymestor lassen erkennen, dass sie ihre Augen vor ihm verbirgt,
und sie geben zugleich eine (irreführende) Deutung dieser Geste (96875).
Als sie ihre Rache vollzogen hat und aus dem Zelt hervortritt, kündigt sie
an, dass Polymestor ihr folgen wird, und nimmt das Ungeheuerliche, das
dem Publikum alsbald vor die Augen kommen wird, schon in Worten vor-
weg und erklärt es ihm damit zugleich (104955). Die wilden Bewegun-
gen, die Polymestor während seines großen Klageliedes vollzieht, lassen
sich aus dem Text freilich nur erahnen, ebenso die körperlichen Äußerun-
gen des Zornausbruchs, als er von der Anwesenheit Hekabes erfährt
(1055a1106, 112426). Deutlich erkennbar ist dagegen, dass er, nachdem
er seine Voraussagen gemacht hat, von den Begleitern Agamemnons er-
griffen wird, dass ihm der Mund verschlossen wird und dass er schließlich
von der Bühne gezerrt und abgeführt wird (128286). Am Schluss wird der
Zug angekündigt, in dem Agamemnon, Hekabe, die Träger des Leichnams
des Polydoros und der Chor in der Richtung zum Lager des Heeres die
Bühne verlassen (128795).
Wenn man die Hekabe angemessen beurteilen will, darf man den treffen-
den Satz Gottfried Hermanns nicht vergessen, dass die Kunst früher war
als die Regeln der Kunst.16 Das Stück ist viele Jahrzehnte vor der Zeit ent-
standen, in der Aristoteles die Regeln formulierte, die man beachten soll,
wenn man eine gute Tragödie schreiben will. Es ist darum sinnvoll, das
Stück zunächst in seiner Beschaffenheit zu beschreiben und sich zu bemü-
hen, es aus dem Gesamtwerk des Dichters und seinen historischen Voraus-
setzungen zu verstehen. Dies ist denn auch mein Hauptanliegen. Trotzdem
sollte man sich auch überlegen, wie das Stück vielleicht von Aristoteles
beurteilt worden wäre, wenn er sich zu ihm geäußert hätte. Denn dies sind
die Maßstäbe, an denen das Stück seit dem 18. Jahrhundert gemessen wor-
den ist.
_____________
16 Hermann (1831) XIII: Ars prior fuit regulis artis, seroque, et a philosophis magis
quam a poetis, perspecta est ratio tragoediae.
14 Einführung
Die Hekabe ist, wie eine Reihe anderer Tragödien auch, kein Stück im
Sinne der Regeln der Poetik des Aristoteles.17 Es gibt keine Einheit der
Handlung, weil die Geschehnisse des Dramas aus zwei nicht unmittelbar
zusammenhängenden, sondern jeweils in sich abgeschlossenen Episoden
bestehen, von denen eine jede Gegenstand eines eigenen Stückes sein
könnte. Die Einheit liegt vielmehr in der Hauptgestalt Hekabe, die im Mit-
telpunkt beider Episoden steht. Aristoteles meint allerdings, dass mehrere
Geschehnisse noch nicht allein dadurch eine einheitliche Handlung bilden,
dass sie die gleiche Person betreffen (Poetik 1451a 1622). Vielmehr sollte
zwischen den verschiedenen Geschehnissen ein notwendiger oder zumin-
dest wahrscheinlicher kausaler Zusammenhang bestehen (1451b 3335).
Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Auch die mit der Hekabe in ihrer Struktur eng verwandten Troerinnen
sind ein aus mehreren Episoden bestehendes Stück18 Dort ist die Zahl der
Episoden größer als hier.19 In der Hekabe sind es zwei, in deren Mittel-
punkt jeweils das Schicksal eines der Kinder der zur Sklavin gewordenen
Königin steht. Dass es in beiden Fällen neben den zwei Einzelschicksalen
ganz wesentlich auch um das Leid der Mutter geht, trägt zur Einheit des
Stückes bei und erweckt in beiden Teilen der Handlung in ähnlicher Weise
das Mitgefühl des Zuschauers. Dass jedoch die Reaktionen Hekabes auf
die beiden Schicksalsschläge, die sie treffen, so unterschiedlich, ja gegen-
sätzlich sind, beeinträchtigt wiederum die Einheitlichkeit der Wirkung.
Zwischen den beiden Teilhandlungen besteht nicht nur kein kausaler Zu-
sammenhang, sondern auch ein erheblicher Unterschied der Stimmung.
Das bedeutet zugleich, dass nach dem Ende der ersten Teilhandlung zur
Überraschung des Zuschauers ein jäher Stimmungsumschwung erfolgt.
Man kann dies für eine Schwäche des Stückes halten, wie es oft geschehen
ist; man darf aber vermuten, dass es Euripides gerade um die Darstellung
dieses Stimmungsumschwungs gegangen ist.
Ein wichtiges Einheit stiftendes Element ist jedenfalls die geschickte
Verknüpfung der beiden Teilhandlungen, die so gut gelungen ist, dass die
_____________
17 Ich beziehe mich dabei auf die Forderung des Aristoteles, dass der Stoff einer
Tragödie die Nachahmung einer einzigen ganzen Handlung sein soll und dass die
Teile der Geschehnisse so zusammenhängen sollen, dass dann, wenn ein Teil um-
gestellt oder weggenommen wird, das Ganze verändert und beeinträchtigt wird
(Poetik 1451a 3035).
18 Patin (1913) 1, 33133 prägt für diese Art von Stücken den Terminus Tragédies
episodiques. Damit will er aber, anders als Aristoteles (Poetik 1451b 3335),
nicht eine Abweichung von einer Norm kritisieren, sondern einen bestimmten Tra-
gödientyp beschreiben.
19 Ein Episodendrama ist auch Bertold Brechts Stück Mutter Courage und ihre Kin-
der, das in mehrfacher Hinsicht der Hek. und den Tro. ähnelt.
Einheit trotz Zweiteiligkeit 15
_____________
20 Friedrich (1953) 41. Ähnlich Michelini (1987) 148: The cruelty of the Hek. scene
is generated by the structure of the play, which has been engineered for this mo-
ment of supreme coincidence.
21 Poetik 1452b 28 1453a 39. Dort finden sich auch die Begriffe aplñ und diplñ
(oder peplegménh) und die Odyssee als Beispiel für einen gegensätzlichen Aus-
gang der Handlung für die gute und die böse Seite.
22 Poetik 1453a 3036.
16 Einführung
Die Polyxene-Handlung
Der Geist des Achilleus hält, wie der Zuschauer im Prolog erfährt, die
griechische Flotte an der thrakischen Küste zurück und fordert, dass man
ihm Polyxene als Ehrengabe opfert. Man hört dort auch schon, dass das
Heer diese Forderung erfüllen wird und dass es Polyxene schicksalhaft
_____________
23 Diese Zahlen ergeben sich, wenn man jeweils das 1. bzw. 3. Stasimon mitrechnet.
Würde man sie nicht mitrechnen, weil sie inhaltlich nicht zur jeweiligen Teilhand-
lung gehören, wäre das Zahlenverhältnis ähnlich, nämlich 580 zu 491.
24 Zur Beurteilung der beiden Teilhandlungen durch Gustav Freytag, s. S. 69 Anm.
130.
25 So Reiske (1748) 550f.; hierzu s. S. 67f. und Anm. 121.
Die Polyxene-Handlung 17
bestimmt ist, noch am gleichen Tage zu sterben (3546). Damit steht der
Ausgang dieser Teilhandlung von vornherein fest. Hekabe erfährt hiervon
zunächst nur durch unheilverkündende, aber undeutliche Traumbilder, die
noch die Möglichkeit offen zu lassen scheinen, dass Achilleus sich mit
dem Tod einer anderen Troerin zufrieden geben könnte (9397). Der Chor
berichtet aber, dass die Heeresversammlung tatsächlich beschlossen hat,
Polyxene zu opfern, und dass Odysseus schon unterwegs ist, um sie zu
ihrem letzten Gang abzuholen (98143). Trotzdem rät der Chor Hekabe,
durch Bitten und Gebete zu versuchen, das Unheil von ihrer Tochter doch
noch abzuwenden (14452). Als Polyxene von dem Beschluss des Heeres
erfährt, reagiert sie gefasst und beklagt vor allem den Verlust, den ihre
Mutter durch den Tod ihrer Tochter erleiden wird (188215). Nachdem
Odysseus in dürren Worten den Beschluss des Heeres verkündet und
Hekabe aufgefordert hat, sich in das Unvermeidliche zu fügen (21828),
versucht diese doch noch, ihn durch eine mit der Gebärde der Hikesie un-
terstützte eindrucksvolle Rede dazu zu bewegen, dass er das Heer zur
Rücknahme seines Beschlusses veranlasst (25195). Doch ihr Versuch ist
zum Scheitern verurteilt, denn Odysseus verteidigt den Beschluss mit eben
der Begründung, mit der er ihn in der Heeresversammlung durchgesetzt hat
(299331). Sie fordert ihre Tochter auf, sie solle auch selber Odysseus um
Gnade bitten, doch diese erklärt sich nicht dazu bereit, weil sie den Tod für
eine Befreiung aus dem drohenden Leid der Sklaverei hält (33478).
Hekabe versucht sich zwar auch weiterhin zu widersetzen, doch ihre Toch-
ter bringt sie dazu, ihre Würde zu wahren und ihren Widerstand aufzuge-
ben (382408). Es kommt zu einer rührenden Abschiedsszene zwischen
Mutter und Tochter, bevor sich Polyxene von Odysseus wegführen lässt
(40937).
Man kann sich fragen, wie das zeitgenössische Publikum die Ausein-
andersetzung zwischen Hekabe und Odysseus beurteilt hat.26 Durch den
Prolog und die anschließenden lyrischen Passagen ist die Anteilnahme der
Zuschauer mit dem Schicksal Hekabes und ihrer Kinder geweckt worden,
so dass anzunehmen ist, dass sie auf der Seite Hekabes stehen werden,
wenn sie das, wie sie aus V. 43f. schon wissen, unvermeidliche Schicksal
Polyxenes durch ihre Rede doch noch abzuwenden versucht. Das gilt erst
_____________
26 Man wird der Rede des Odysseus nicht gerecht, wenn man sie als Meisterstück
einer durchsichtig pseudo-idealistischen Rhetorik bezeichnet; wie Abrahamson
(1952) 124 Anm. 10 meint. Allzu rasch urteilt andererseits Schlesinger (1937) 70,
schon aus der Tatsache, dass die Rede des Odysseus an zweiter Stelle stehe, lasse
sich entnehmen, that in the Hec. the second speaker, Odysseus, is recommended
to us by the poet. Odysseus behält zwar das letzte Wort, aber nur, weil er die
Macht hat, und nicht, weil das Recht allein auf seiner Seite wäre. Gut zu dieser
Rede auch Adkins (1966) 193209.
18 Einführung
recht dann, wenn sie, wie es der Fall ist, gute Argumente vorbringt, denen
sich Odysseus nur schwer entziehen kann. Die Gegenargumente des Odys-
seus sind zwar so beschaffen, dass Hekabe sie ihrerseits nicht akzeptieren
kann, es ist aber die Frage, wie das Publikum sie bewertet. Die Bürger von
Athen waren ja auch Krieger, und die Auffassung des Odysseus, dass man
alles tun müsse, um den besten Helden zu ehren und so den Zusammenhalt
des Heeres zu stärken, wird für sie einiges Gewicht gehabt haben. Ich
glaube zwar, dass das Publikum sich emotional weiter mit der Sache
Hekabes verbunden gefühlt haben wird, vermute aber, dass es gespürt hat,
dass auch die Gegenseite einiges für sich in die Waagschale werfen kann,
das man nicht unterschätzen darf.
Aristoteles (Poetik 1452b 341453a 1) äußert Bedenken darüber, ob
das unverdiente Unglück eines edlen Menschen als Thema einer Tragödie
geeignet sei, denn es errege weder Furcht noch Mitleid, sondern werde als
grässlich (miarón) empfunden. Diese Bedenken sind nicht ganz unbe-
rechtigt. Polyxenes Tod würde beim Zuschauer aber nur dann Empörung
auslösen, wenn er eine Vergrößerung ihres Unglücks bedeuten würde.
Aber da sie sich bereits im Unglück befindet und den Tod als eine Befrei-
ung auffasst, bewirkt ihr Schicksal beim Zuschauer kein Entsetzen, son-
dern löst Anteilnahme aus, die man wohl am besten als eine mit Mitleid
verbundene Bewunderung beschreiben kann. Man kann darüber streiten,
ob dies tragödientypische Emotionen sind. Wenn jedoch die Meinung der
Philosophen zutrifft, dass es die Aufgabe der Tragödie sei, die menschliche
Freiheit im Konflikt mit der Notwendigkeit des Schicksals zu zeigen, dann
ist die Polyxene-Handlung tragisch zu nennen. Denn Polyxene nimmt die
Notwendigkeit ihres Todes durch eine freie Entscheidung auf sich und gibt
dadurch diesem Tod einen Sinn: Nur durch den Tod ist es ihr möglich, der
Sklaverei zu entgehen und ihre Freiheit zu bewahren.
Für unser von Christentum, Aufklärung und Neuhumanismus gepräg-
tes Bewusstsein ist die Opferung eines Menschen, aus welchen religiösen
Motiven auch immer sie erfolgt, eine Ungeheuerlichkeit, die uns tief em-
pört.27 Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass die Athener des 5.
Jahrhunderts offenbar anders empfanden, insbesondere wenn es sich um
Ereignisse handelte, die der mythischen Vergangenheit angehören. Es gibt
Anhaltspunkte dafür, dass sowohl in der minoischen als auch in der myke-
nischen Epoche Menschenopfer vollzogen wurden, und es sind vereinzelte
_____________
27 Die Interpretation des Stückes durch Synodinou (2005) wird sehr stark von dieser
verständlichen Empörung bestimmt. Eine ähnliche Tendenz auch bei Scodel
(1996). Sourvinou-Inwood (2003) 29194 spricht in solchen Fällen von einer
culturally determined perception, also einer unreflektierten Wahrnehmung anti-
ker kultureller oder religiöser Phänomene aus der Perspektive der christlich ge-
prägten eigenen Kultur. Vgl. auch S. 31-33 zur Beurteilung der Rache Hekabes.
Die Polyxene-Handlung 19
Sinne kann man hierher auch den freiwilligen Tod rechnen, den Alkestis
auf sich nimmt, um das Leben Admets zu retten.31 In den meisten dieser
Opferdramen lässt sich ein typischer Handlungsablauf beobachten, der im
einzelnen Stück mehr oder weniger ausführlich zur Darstellung kommt.
Zunächst wird bekannt gemacht, dass sich in einer kritischen Situation das
Wohlwollen der Götter nur dann gewinnen lässt, wenn ihnen ein junger
Mensch geopfert wird. Dass die Götter das Recht haben, Menschenopfer
zu fordern, wird meist nicht in Frage gestellt. Das ausersehene Opfer
(meist eine Jungfrau) erklärt, gelegentlich erst nach einigem Zögern, seine
Bereitschaft zum Tode und beweist dadurch seinen heroischen Charakter.
Manchmal muss es noch die Widerstände seiner Angehörigen überwinden.
Danach kommt es zu einer mehr oder weniger breit ausgestalteten Ab-
schiedsszene. Die Polyxene-Handlung der Hekabe stellt ein besonders
vollständiges Beispiel des Handlungstyps dar. Hier wird auch noch der
Vollzug der Opferung gemeldet, gefolgt von einem Bericht über die Ein-
zelheiten und einer Würdigung des edlen Charakters der Geopferten. Eine
Besonderheit der Hekabe besteht darin, dass hier kein Gott das Opfer ver-
langt, sondern der Heros Achilleus. Wichtiger ist jedoch, dass Polyxene
sich nicht mit dem Ziel identifizieren kann, für das ihre Opferung erfolgen
soll, nämlich mit der Heimkehr der griechischen Flotte, sondern dass sie
ihre eigene Motivation findet. Eine weitere Besonderheit ist es, dass es
zwischen der Person, welche die Opferung fordert (Odysseus), und dem
Angehörigen, der sich der Opferung widersetzt (Hekabe), zu einem Rede-
streit (a¬gån) kommt, der durch die Erklärung der Todesbereitschaft der für
die Opferung vorgesehenen Person (Polyxene) entschieden wird.32
Ein ausführlicher Bericht über den Vollzug der Opferung findet sich in
den Opferdramen des Euripides nur hier und in der Aulischen Iphigenie
(15401612). Allerdings gibt es gute Gründe zu der Annahme, dass der
dort erhaltene Bericht nicht vom Dichter selbst stammt, sondern später
hinzugefügt wurde, während der ursprüngliche Dramenschluss verloren
ging. Es ist jedoch recht sicher, dass in diesem verlorenen Schluss, nicht
anders als im überlieferten, die Opferung letztlich nicht vollzogen wurde,
sondern das menschliche Opfer von Artemis durch ein Tier ersetzt wurde.33
Nur in unserem Stück wird also über die tatsächlich vollzogene Opfe-
rung eines Menschen ausführlich berichtet (52182). Dies ist jedoch ein so
furchtbares Geschehen, dass es einem menschlich empfindenden Publikum
_____________
31 Hierzu Schmitt (1921); OConnor-Visser (1987), bes. 5072; Matthiessen (2002)
32f.
32 Zu diesem Agon und überhaupt zum Typ der von ihm so genannten Hikesie-
agone Dubischar (2001) 7378.
33 Hierzu Matthiessen (2002) 23437.
Die Polyxene-Handlung 21
nicht einmal in der Form eines Berichts ohne weiteres zugemutet werden
kann. Die Beschreibung der Opferung der geknebelten und nur noch mit
den Augen um Hilfe flehenden Iphigenie im Agamemnon (22847) ist
denn auch gräßlich, und sie soll es sein, da sie die Tat des Vaters in ihrer
ganzen Furchtbarkeit vergegenwärtigen soll. Hier jedoch erreicht es Euri-
pides, dass das Geschehen dem Publikum nicht als grässlich erscheint.
Polyxene befand sich bereits vor ihrer Opferung im Unglück, da ihre Stadt
zerstört und sie selbst auf dem Weg in die Sklaverei ist, und der Tod er-
scheint ihr eher als eine Wohltat, da er ihr diesen Weg erspart. Ausserdem
lässt der Dichter sie auf eine Weise in den Tod gehen, die ihren edlen Cha-
rakter offenbart und sogar dem Opferer und der Heeresversammlung Be-
wunderung abnötigt. Ihr Verhalten hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem
einer christlichen Märtyrerin, und es löst beim Zuschauer auch vergleich-
bare Gefühle aus. Man hat hier von einer Ästhetisierung des Schrecklichen
gesprochen.34 Dem ist zuzustimmen, wenn diese Bezeichnung nicht als
Kritik verstanden wird, sondern als angemessene Beschreibung der Verfah-
rensweise des Dichters. Das Schreckliche wird in der Tat nicht aufgeho-
ben, aber es wird so abgemildert dargestellt, dass es für den Zuschauer
noch erträglich ist.
Manche Einzelheiten des Berichts des Talthybios sind als anstößig
empfunden worden, zu Unrecht, wie ich meine. Dieser Anstoß scheint mir
in der Differenz der Zeitalter und der Kulturen begründet zu sein. Es ist mit
Recht darauf hingewiesen worden, dass jedes blutige Opfer von Anfang an
eine sexuelle Komponente gehabt hat, die in historischer Zeit wohl nur
noch im Unterbewusstsein vorhanden war.35 Diese Komponente dürfte bei
einem Jungfrauenopfer stärker ausgeprägt gewesen sein als bei einem
Tieropfer. Sie fehlt auch hier nicht. Dass das Heer über den edlen Tod
Polyxenes begeistert war und dass dieser Begeisterung auch ein erotisches
Element beigemischt war, lässt sich aus dem Bericht erahnen, besonders
betont wird es aber nicht, weil sonst seine Haupttendenz beeinträchtigt
würde. Denn der Bericht dient in erster Linie der Verherrlichung des Mutes
und des edlen Verhaltens des Mädchens bei ihrer Opferung, er soll aber
auch bewirken, dass Hekabe aus ihm etwas Trost schöpft. So kann sie fest-
stellen, dass sie zwar trauern muss, aber das Übermaß der Trauer von ihr
genommen wurde (58992). In der Stimmungskurve des Stückes folgt auf
den Zusammenbruch Hekabes am Ende des ersten Epeisodion (43840)
nunmehr am Ende des zweiten eine Mischung aus Trauer und Gefasstheit.
Ihre Trauer wird bald darauf aber wieder gewaltig gesteigert werden.
_____________
34 Michelini (1987) 13180, besonders 14448.
35 Dazu Burkert (1997) 7080, besonders 79f.
22 Einführung
Man hat öfters gefragt, ob die Opferung Polyxenes das vom Heer er-
strebte Ziel, nämlich die Ermöglichung der Heimfahrt nach Griechenland,
überhaupt erreicht habe. Manche vermuten, die Götter hätten die Annahme
des Opfers verweigert, entweder weil sie überhaupt Menschenopfer ab-
lehnten oder weil es infolge von Polyxenes Verhalten oder aus anderen
Gründen zu keiner vollgültigen Opferung gekommen sei.36 Als Indiz für
eine solche Verweigerung wird angeführt, dass der Fahrtwind nicht sofort
nach der Opferung zu wehen beginnt, sondern erst später, wie aus V. 900
und 1289f. zu entnehmen sei. Mir scheint jedoch kein Zweifel daran mög-
lich zu sein, dass dies ein vollgültiges Opfer war. Sowohl die Freiwilligkeit
des Opfertiers als auch seine vor allen Augen sichtbare körperliche Voll-
kommenheit sind Indizien für die Vollgültigkeit.37 Dass der Fahrtwind
nicht sofort weht, erfahren die Zuschauer erst später und mehr nebenbei
aus dem Munde Agamemnons (V. 900), und zwar zu einem Zeitpunkt, wo
ihre Aufmerksamkeit schon ganz auf die Rachehandlung gerichtet ist. Dass
der Fahrtwind sich verzögert, hat wohl andere Gründe38, und die Vermu-
tung, dass die Götter Menschenopfer überhaupt ablehnten, setzt ein größe-
res Maß an Humanität bei ihnen voraus, als man ihnen zubilligen sollte.
Polyxene wählt mit ihrem Opfertod den einzigen Weg, auf dem es ei-
ner Frau in der damaligen Gesellschaft möglich war, selbstbestimmt hero-
isch zu handeln, ohne die Grenzen zu überschreiten, die ihr durch Natur
und Konvention gesetzt waren.39 Sie wird damit zu einer Heroine, die sich
in ihrer Geradlinigkeit und Unbedingtheit mit sophokleischen Helden wie
Aias, Antigone oder Elektra messen kann.40 Auch Hekabe, die sich in einer
aussichtslosen Situation mit aller Kraft für das Leben ihrer Tochter ein-
_____________
36 Mitchell-Boyask (1993) 12023 meint, dass die Opferung Polyxenes ihren Zweck,
den günstigen Fahrtwind herbeizuführen, verfehlte, und nennt vermutungsweise
eine Reihe von Gründen für das von ihm angenommene Misslingen des Opfers.
Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass sowohl die Heeresversammlung als auch
das Publikum die Opferung in keiner Weise als misslungen wahrnehmen und dass
die Mitteilung Agamemnons über das Ausbleiben des Windes erst sehr viel später
in wenigen Worten in einer Parenthese erfolgt (V. 900). Ein Interpret sollte immer
davon ausgehen, dass der Dichter dem, was er für wichtig hält, im Dramentext so
viel Gewicht gibt, dass auch der Zuschauer die Wichtigkeit bemerkt.
37 Gregory (1991) 97: Polyxenas readiness to die makes her the ideal sacrificial
victim. Zur Vollkommenheit und Freiwilligkeit des Opfertiers s. Burkert (1997)
10f.
38 Siehe S. 46f.
39 Foley (2001) 264: There is for the Greeks no model of autonomous and heroic
femininity outside of self-sacrifice. Dazu ist freilich zu bemerken, dass in der
Tragödie auch Frauen ein autonomes Handeln möglich ist, dass dies aber immer
eine Grenzüberschreitung darstellt, die entsprechende Folgen hat. Dies zeigen Fäl-
le wie die Klytaimestras, Deianeiras, Antigones, Medeas und auch Hekabes.
40 Eine schöne Würdigung der Polyxene-Handlung bei Pagani (1970).
Die Polymestor-Handlung 23
setzt, erweist sich schon in diesem Teil des Dramas als eine heroische Ge-
stalt. Ihr Gegenspieler Odysseus dagegen erscheint als rücksichtsloser
Verteidiger und Vollstrecker des Beschlusses der Heeresversammlung, den
er zuvor selbst durch seine eigene Rede herbeigeführt hat. Er braucht keine
Gewalt anzuwenden, da sich Polyxene freiwillig in ihr Schicksal ergibt, er
lässt aber keinen Zweifel daran aufkommen, dass er sie anwenden würde,
wenn es nötig wäre. Mag seine Argumentation auch noch so geschickt
sein, die Sympathien des Publikums werden wohl eher auf der Seite der
beiden Frauen gewesen sein.
Die Polymestor-Handlung
Verlauf der Handlung erleben, dass er für dieses Verbrechen aufs furcht-
barste bestraft wird. Es handelt sich bei ihm um einen Fall von der Art, die
der Philosoph meint, wenn er sagt, der tragische Dichter solle nicht darstel-
len, wie ein solcher ganz Schlechter einen Umschlag vom Glück ins
Unglück erlebt, weil dies zwar menschlich erfreulich (filánqrwpon) sei,
aber weder Mitleid noch Furcht errege. In der Tat löst die Bestrafung des
Thrakerkönigs beim Zuschauer wenig Anteilnahme aus, und zwar höchs-
tens in dem Umfang, wie jeder Mensch am Leiden eines anderen Anteil
nimmt, ob dieses Leiden nun verdient sei oder nicht. Diese Anteilnahme
wird im Falle Polymestors aber nicht stark ausgeprägt sein, und bei vielen
Zuschauern wird die Schadenfreude überwiegen. Solche ganz Schlechten
wie Polymestor kommen, wohl aus dem von Aristoteles genannten Grund,
in den erhaltenen Tragödien des Euripides selten vor. Mir fällt nur noch der
Fall des Tyrannen Lykos im Herakles ein. Sonst bemüht sich der Dichter
im allgemeinen, auch die negativ gezeichneten Charaktere mit einigen
freundlicheren Zügen auszustatten, wie zum Beispiel Eurystheus in den
Herakliden oder Klytaimestra in der Elektra, wohl um beim Zuschauer
wenigstens eine gewisse Anteilnahme an ihrem Schicksal zu erwecken.
Man kann sich fragen, wie das zeitgenössische Publikum die doppelte
Bestrafung Polymestors, also seine Blendung und die Ermordung seiner
Kinder, beurteilt hat. Einen wichtigen Hinweis dürfte geben, dass innerhalb
des Stückes alle Beteiligten (ausser dem Betroffenen selbst) die Bestrafung
für angemessen halten und dass auch das Gerichtsverfahren, das unter
Agamemnons Leitung erfolgt, zu dem gleichen Ergebnis führt.41 Was die
Ermordung der Kinder betrifft, so scheint mir eine gewisse Ähnlichkeit mit
der Medea zu bestehen, weil hier wie dort der Vater durch den Verlust
seiner Kinder am schwersten getroffen wird (Med. 817). Im übrigen sind
die Unterschiede jedoch groß. Denn dort wird erstens die Anteilnahme des
Zuschauers am Schicksal der Kinder von Anfang an geweckt und während
des ganzen Stückes fortwährend verstärkt.42 Zweitens handelt es sich um
die eigenen Kinder der Mörderin, so dass der Zuschauer schon deswegen
von starken widerstreitenden Emotionen ergriffen wird. Er wird nicht nur
_____________
41 Richtig urteilt Dubischar (2001) 18: Wenn sich während eines Dramenabschnitts
alle Bühnenfiguren in der Verurteilung einer Figur einig sind und nirgends eine
gegenteilige Meinung laut wird, kann man davon ausgehen, dass in dieser Phase
auch der Rezipient gegen diese Figur eingenommen sein soll. Allerdings zieht er
aus dieser Erkenntnis nicht die nötige Folgerung für die Beurteilung der Bestra-
fung Polymestors (33441). Wenn Ihm (2004) 136 die Bestrafung Polymestors
durch Hekabe als einen schweren Bruch des Gastrechtes auffasst, verkennt sie,
dass er zuvor durch sein xenoktoneîn (1247) das Gastrecht gebrochen hat und jetzt
dafür nach allgemeinem Konsens mit Recht bestraft wird.
42 Ähnliches gilt auch für die Kinder des Herakles im Her.
Die Polymestor-Handlung 25
um die Kinder, sondern auch um die Mutter fürchten, und wenn es dann
zur Tat kommt, wird er für Kinder und Mutter Mitleid empfinden. In der
Hekabe dagegen wird der Auftritt der Kinder kaum vorbereitet, die Gefahr,
in der sie schweben, wird nicht bewusst gemacht, und ihr Tod wird nicht
angekündigt, sondern erfolgt völlig überraschend. Der Zuschauer erhält
also kaum die Möglichkeit, sich für sie emotional zu engagieren. Man
gewinnt den Eindruck, dass die Kinder nur zu dem Zweck eingeführt wer-
den, dass sie getötet werden, um durch den Verlust der Erben seines Ver-
mögens das Leid Polymestors so sehr zu vergrößern, dass das Ausmaß
seiner Bestrafung das richtige Verhältnis zur Größe seiner Verbrechen
(Mord, Raub, Bruch des Gastrechts, Leichenschändung) erhält.
Ich nehme also an, dass die Zeitgenossen mit der Form der Bestrafung
Polymestors einverstanden waren. Dass es im Altertum Fälle gab, in denen
jemand für ein schweres Verbrechen zusammen mit seiner Nachkom-
menschaft bestraft wurde, wird von Historikern bezeugt.43 Ob eine Blen-
dung als eine härtere Form der Bestrafung empfunden wurde, ist schwer zu
sagen. Ich vermute, dass die Ausstoßung aus der Gesellschaft der Sehen-
den, die durch eine Blendung bewirkt wird, als eine etwa gleich schwere
Strafe wie der Tod angesehen wurde. Für den Dichter bot diese Art der
Bestrafung auf jeden Fall den dramentechnischen Vorteil, dass ihm
Polymestor weiterhin zur Verfügung stand, als Sänger eines Klageliedes
über sein und seiner Söhne Unglück, als Verteidiger seines Verbrechens,
als Berichterstatter über seine eigene Bestrafung und schließlich als Ver-
künder zukünftigen Unglücks.
Sehr eindrucksvoll ist die Erscheinung des Geblendeten auf der Bühne
(1055a1106). Er kriecht in der blutigen Maske, die dem Zuschauer wohl
schon aus dem Ödipus vertraut war, auf allen Vieren aus dem Zelt heraus,
tappt umher, um sich an seinen Feindinnen zu rächen, tastet nach den
Leichnamen seiner Kinder und schreit seinen Schmerz und seine Wut laut
heraus. Er zeigt sich in seinen wilden Gesängen und wohl nicht minder
wilden Bewegungen jetzt ganz als der Barbar, dem man seine schreck-
lichen Taten auch zutrauen kann. Er hat für die Dauer seines Liedes die
Maske des Biedermannes verloren, hinter der er sich vorher beim Gespräch
_____________
43 Bestrafung der Kinder als Teil der Bestrafung des Vaters auch bei Herodot 8,106
(Panionios) und 9,120 (Artayktes) sowie in späterer Zeit bei Diodor 20,70,34
(Agathokles). Diodor stellt ausdrücklich fest, dass der Tod der Söhne des
Agathokles eine gerechte göttliche Strafe für die Ermordung eines Gastfreundes
war. Hierzu Burnett (1998) 163 Anm. 83; ferner Meridor (1983) 1720, die meint,
dass Eur. bei der Gestaltung des Schlusses der Hek. durch die Artayktes-Episode
bei Herodot angeregt worden ist. Auch der von Nebukadnezar abgefallene König
in Juda Zedekia wird auf die gleiche Weise bestraft wie Polymestor (Jeremia
39,6f.).
26 Einführung
mit Hekabe verborgen hat und die er bald wieder anlegen wird, wenn er
seine Sache in wohlgeordneter Rede vor Agamemnon vertritt. Es gibt im
ganzen Corpus der erhaltenen Tragödien nur wenig, das sich mit dieser
bewegten Szene vergleichen lässt.44
Bei Polymestors Rede (113282) sollte man sich nicht allzusehr durch
seine Argumentation beeindrucken lassen.45 Euripides pflegt in seinen
Redeagonen Fairness walten zu lassen, indem er den Rednern für ihre Sa-
che immer möglichst gute Argumente zur Verfügung stellt. Das bedeutet
jedoch nicht, dass er selbst sich diese Argumente zu eigen macht oder dass
sich der Zuschauer von ihnen überzeugen lassen soll. Polymestor ist durch
den Geist des Polydoros im Prolog als ein Mörder eingeführt worden, der
zu seiner Tat allein von Habgier getrieben wurde. Diese Motivation seines
Handelns ist damit für die Zuschauer eine aus berufenem Mund beglau-
bigte Tatsache.46 Sie wird denn auch von der Dienerin (712), von
Agamemnon (775) und von Hekabe (776) vorausgesetzt, und auch in sei-
nem Gespräch mit Hekabe (9531022) verhält er sich dementsprechend.
Wenn Polymestor seine Tat nachträglich anders begründet, hat dies keine
Überzeugungskraft, und es fällt Hekabe denn auch leicht, seine Argumen-
tation zurückzuweisen.
Man hat mit Recht auf einige Parallelen hingewiesen, die zwischen
Polymestor und dem Polyphem der Kyklopenepisode der Odyssee (9,193
542) bestehen.47 Jeder von beiden ist ein Verächter des Gastrechts und ein
Mörder und Kannibale (Polymestor zumindest potentiell: 1071f.). Beide
werden zur Strafe geblendet; beide werden zu Verkündern einer unglück-
lichen Zukunft derer, die sie bestraft haben, und schöpfen dabei aus dem
Wissen, das ihnen Seher mitgeteilt haben. Es kann also sein, dass Euripides
sich beim Schlussteil der Polymestor-Handlung von der Odyssee anregen
ließ. Dass er damit andeuten will, dass Hekabe sich bei ihrer Rache dem
schnöden Verhalten des Odysseus, ihres Gegenspielers in der ersten Dra-
menhälfte, angleicht, wie vermutet wurde, glaube ich freilich nicht.48 Ich
meine vielmehr, dass die Überlistung Polymestors als eine Meisterleistung
wahrgenommen werden sollte, die vollen Respekt verdient und die sich
durchaus mit der berühmtesten Tat des Odysseus, der Blendung des Kyk-
_____________
44 Gut hierzu Schadewaldt (1926) 154f.; s. zu V. 1055a1108.
45 Dies ist z. B. der Fall bei Meridor (1979/80) 10 Anm. 16; Ihm (2004). Richtig
hierzu Battezzato (2003) 26.
46 Dubischar (2001) 20006 spricht von der auktorial intendierten Rezeptions-
perspektive.
47 Schmid (1940) 466; Segal (1990a) 309f.; Ferla (1996) 289.
48 Segal (1990a) 30911.
Hekabe als Zentralgestalt 27
lopen, vergleichen lässt. Übrigens wirkt der Schluss des Kyklops an einigen
Stellen wiederum wie eine Parodie des Schlusses der Hekabe.49
In der zentralen Gestalt der Hekabe und in ihrem Schicksal verbinden sich
Exemplarisches und Persönliches. Einerseits ist sie, wie es im Stück immer
wieder heißt, das große Exempel für den Wechsel von Glück zum Un-
glück, andererseits ist sie auch ein markanter, unverwechselbarer Charak-
ter.
Schon der Prologsprecher Polydoros stellt seine Mutter vor ihrem Auf-
tritt als einen Menschen vor, den das Schicksal aus dem Königspalast ver-
trieben und in die Sklaverei verbannt hat und der jetzt ebenso tief steht, wie
zuvor hoch (54a58). Dem entspricht dann auch ihre Erscheinung auf der
Bühne. Als Talthybios sie später erblickt, wie sie nach dem Verlust ihrer
Tochter in ihre Kleider gehüllt zusammengesunken auf dem Boden liegt,
nimmt er ihr Los als Beweis dafür, dass das Ergehen der Menschen den
Göttern gleichgültig ist, und hebt hervor, wie hoch sie einst stand und wie
tief sie jetzt gesunken ist (48898). Hekabe selbst fasst ihr Schicksal als
exemplarisch auf: als eine Warnung an die Menschen vor Übermut und als
eine Mahnung dazu, schon das unbeschädigte Überleben des nächsten
Tages für das größte Glück zu halten (61928). Auch die Dienerin, die
Hekabe den Leichnam des Polydoros überbringt, erklärt ihre Herrin zu dem
Menschen, der alle anderen durch sein Unglück übertrifft, zur Siegerin
im Wettstreit um den Platz des Allerunglücklichsten (65860). Ebenso
sieht es Agamemnon (785), und sie selbst bestätigt es, indem sie sich mit
Tyche, der Glücksgöttin, die in diesem Fall die Verkörperung des Un-
glücks ist, auf eine Stufe stellt (786) und dann noch einmal vor seinem
distanzierten Blick ihr Leid in all seinen Aspekten ausbreitet (80811).
Selbst Polymestor fasst ihr Unglück als exemplarisch auf und knüpft all-
gemeine Betrachtungen daran an (955a60).
Aber Hekabe ist vom ersten Auftritt bis zu ihrem letzten Abgang nie-
mals nur Exempel, sondern immer zugleich auch ein fest umrissener Cha-
rakter, der im Laufe des Stückes immer mehr an Profil gewinnt. Sie ist eine
der eindrucksvollsten Frauengestalten, die Euripides geschaffen hat. Zuerst
erscheint sie als ärmlich gekleidete und gebrechliche alte Frau, die sich nur
mit Hilfe eines Stockes mühsam fortbewegen kann und bei jedem Schritt
gestützt werden muss (5967), also als jemand, von dem nur noch Klagen
zu erwarten sind und der zum energischen Handeln schon zu schwach ist.
_____________
49 Besonders auffällig Hek. 1035-39 ~ Kykl. 66366.
28 Einführung
Der Zuschauer muss dann jedoch erleben, wie sie, ohne lange zu überle-
gen, den Rat der Frauen des Chores befolgt und mit einer eindringlichen
Rede und auch mit körperlichem Einsatz das Leben Polyxenes zu retten
versucht. Sie scheitert, weil sie der Macht der Griechen nur Worte entge-
gensetzen kann, aber niemand kann ihr vorwerfen, dass sie nicht alles ver-
sucht hat. Am Ende, als sie Polyxene für immer verloren hat, sinkt sie er-
schöpft zusammen, doch selbst in diesem Augenblick gibt sie durch die
Verwünschung Helenas zu erkennen, dass sie noch nicht am Ende ihrer
Kräfte ist (44143). Auf den Bericht des Talthybios über den Tod ihrer
Tochter reagiert sie gefasst und würdevoll und trifft ruhig und umsichtig
die Vorbereitungen für eine angemessene Bestattung, wobei sie, wieder
ganz als die Königin, die sie einmal war, auch dem griechischen Heer An-
weisungen für sein richtiges Verhalten gibt. Hekabes Bewährungsprobe
kommt dann, als ihr der Leichnam überbracht wird, von dem es sich her-
ausstellt, dass er Polydoros gehört. Als sie sieht, dass sie sofort nach dem
Tode Polyxenes ein neues Unglück getroffen hat, bricht sie nicht etwa
völlig zusammen, wie es die Zuschauer erwartet haben mögen, sondern
entschließt sich nach einem kurzen Ausbruch wilden Schmerzes, abermals
ohne längere Überlegung, zur Rache am Mörder ihres Sohnes. Sie gewinnt
Agamemnon zwar nicht für die Übernahme der Bestrafung, aber wenigs-
tens dafür, dass er ihrem Handeln nicht im Wege steht und ihr sogar Hilfs-
dienste leistet. Dabei erweist sie sich in ihrer rücksichtslosen Entschlos-
senheit zum Vollzug der Rache als die Überlegene gegenüber dem König,
der auf die Stimmung des Heeres Rücksicht nehmen muss. Sie stellt gera-
dezu die Machtverhältnisse auf den Kopf: Obwohl sie seine Sklavin ist,
kann sie ihm Befehle geben (87074, 88897). Bei der Begegnung mit
Polymestor zeigt sie sich als Meisterin in der Entlarvung des Lügners und
der Überlistung des allzu Vertrauensseligen. Auch nach dem Vollzug der
Rache ist sie Herrin der Situation. Da sie sich zuvor mit Agamemnon ver-
ständigt hat, kann sie zuversichtlich in die Auseinandersetzung mit
Polymestor eintreten, die sie souverän besteht. Nicht einmal die Ankündi-
gung ihrer Verwandlung und ihres baldigen Todes kann sie erschüttern,
nachdem das letzte Ziel erreicht ist, das sie sich für ihr Leben gesetzt hat
(1274, vgl. auch 756f.). Nur als sie erfährt, dass auch das Leben
Kassandras bedroht ist, erwacht noch einmal für einen Augenblick ihr
mütterlicher Instinkt, der sie eine letzte Verwünschung ausstoßen lässt
(1275f.).
Dass die weibliche Hauptgestalt in der zweiten Dramenhälfte aus einer
Leidenden zu einer erfolgreich Handelnden wird, deren Handeln durch ihr
Leid motiviert ist, findet bei Euripides seine Parallele insbesondere bei
Medea, aber ebenfalls bei Alkmene am Schluss der Herakliden. Auch die
Phaidra des Hippolytos mit ihrem plötzlichen Übergang vom Leiden an
Hekabe als Zentralgestalt 29
ihrer Liebe zum hasserfüllten Handeln gegen den eben noch geliebten
Mann ist hier zu nennen. Aus den späteren Stücken ist die Kreusa des Ion
mit ihrer aus Schmerz und Enttäuschung plötzlich erwachten Mordlust ein
weiteres Beispiel. In allen diesen Fällen wird die Sympathie des Publikums
mit den bisher Leidenden auf die Probe gestellt. Murray spricht von einem
Umschwung der Sympathie, einer Lösung der emotionalen Bindung an
die Partei, mit der sich das Publikum bisher verbunden gefühlt hat, beglei-
tet von einem neu erwachenden Mitgefühl für die Gegenpartei.50 Ein sol-
cher Wechsel wird nicht jedesmal gleich stark ausgeprägt sein, und er wird
auch nicht bei jedem Zuschauer in der gleichen Weise erfolgen, aber die
Beobachtung von Murray ist grundsätzlich richtig. Sie lässt darauf schlie-
ßen, dass Euripides andeuten will, Recht und Unrecht seien nicht immer so
sauber verteilt, wie das Publikum es wünscht. Ich meine allerdings, dass in
unserem Fall die Distanzierung von der einen und das neue Mitgefühl mit
der anderen Partei besonders schwach ausgeprägt gewesen sein dürften.
Es ist oft beklagt worden, dass der Zuschauer die rasche Verwandlung
Hekabes von einer Leidenden zur Handelnden nicht nachvollziehen könne,
so dass es ihm schwer falle, sie in beiden Teilen des Dramas als einen ein-
heitlichen Charakter wahrzunehmen. Dass dieser plötzliche Übergang er-
staunlich ist, lässt sich nicht leugnen. Es sind bei ihr weder Überlegung
noch Entschluss darüber erforderlich, ob sie sich an Polymestor rächen
soll, sondern nur darüber, ob sie versuchen soll, sich der Hilfe
Agamemnons zu bedienen (73651). Man kann allerdings nicht von einem
Bruch in der Charakterdarstellung sprechen. Denn Hekabes Verhalten in
der zweiten Teilhandlung wird in der ersten vorbereitet. Sie leidet und
klagt nicht nur, sondern kämpft auch dort schon sofort unermüdlich für das
Leben ihrer Tochter, und zwar, wie der Zuschauer von vornherein weiß,
ohne Aussicht auf Erfolg und gegen die Bestimmung des Schicksals (43f.).
Sie gibt sich erst dann geschlagen, als Polyxene selbst sie dazu auffordert,
ihren Widerstand aufzugeben. Auch im Augenblick der tiefsten Verlas-
senheit, als ihre Tochter auf immer von ihr gegangen ist, besitzt sie noch
soviel Kraft, dass sie Helena verwünschen kann (44143). Hekabe zeigt
also auch im ersten Teil des Stückes bestimmte Charakterzüge, welche die
Energie schon ahnen lassen, die sie in der zweiten bei der Durchführung
ihrer Rache entwickeln wird.51
_____________
50 Murray (1957) 104.
51 Gärtner (2005) 4652 spricht richtig von einem in seinen inneren Motiven nach-
vollziehbaren tiefgreifenden Wandel von Hekabes Verhalten (51) vom Leidenden
zum Handelnden, und sieht die Stelle des Überganges in der Wendung von der
Trauer über Polyxenes Tod zur tatkräftigen Vorbereitung ihrer Bestattung (V. 585
618). Das edle Verhalten der Tochter gibt der Mutter nach seiner Auffassung also
Kraft für ihr eigenes Handeln in der zweiten Dramenhälfte.
30 Einführung
unterlegen ist, sondern darüber, dass es eine Frau und Sklavin war, die ihn
besiegt hat (1252f.). Hekabe dürfte mit ihrer Tat die Grenzen überschritten
haben, die nach damaligem Empfinden dem weiblichen Geschlecht durch
Natur und Gesellschaft gesetzt waren.55 Das war beunruhigend für die
männlichen Zuschauer. Da mag es für sie ein gewisser Trost gewesen sein,
dass ihr am Schluss des Stückes die baldige Verwandlung in eine Hündin
und der Tod angekündigt werden.
Manche Interpreten halten die Rachetaten Hekabes für ein Beispiel da-
für, wie ein bis dahin edler Charakter durch allzugroßes Leid entarten und
sogar extreme Bösartigkeit entwickeln kann.56 Sie stellen ihr Verhalten der
vornehmen Resignation Polyxenes gegenüber und nehmen sogar an, dass
die Kontrastierung der gegensätzlichen Verhaltensweisen der beiden Frau-
en das eigentliche Anliegen des Dichters sei.57 Das würde bedeuten, dass
Hekabe richtiger gehandelt und Polyxenes Wunsch nach einem würdigen
Verhalten ihrer Mutter (V. 408) besser entsprochen hätte, wenn sie ganz
auf die Rache verzichtet oder sich damit begnügt hätte, den Rechtsfall
Agamemnon vorzulegen und sich mit seiner Entscheidung zufrieden zu
geben. Sie hätte demnach ähnlich handeln sollen wie die sophokleische
Ismene oder Chrysothemis und nicht wie Antigone oder Elektra. Es gibt
aber extreme Situationen, in denen auch ein extremes Handeln erforderlich
ist. In eine solche ist Hekabe durch die Untaten Polymestors geraten, ähn-
lich wie Medea und die anderen Frauen bei Euripides, die durch extremes
Leid zu außerordentlichen Handlungen getrieben werden.
Dass Hekabe ihren Feind überlistet und dass sie Agamemnon zu ihrem
Komplizen macht, sollte ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden oder gar
als moralischer Abstieg bewertet werden. Die Griechen haben immer viel
_____________
55 Man sollte freilich nicht von Hybris sprechen, wie Schuster (1954) 31f., 37,
genau so wenig wie im Fall der Antigone des Soph. Alle großen Heroinen der Tra-
gödie wie Klytaimestra bei Aisch., Antigone und Elektra bei Soph. und Medea bei
Eur. überschreiten im übrigen die dem weiblichen Geschlecht gesetzten Grenzen.
Von Hybris kann man allerdings nur im Falle Klytaimestras reden; wie vor allem
ihre Rede Ag. 137298 zeigt.
56 Schmid (1940) 464: geradezu satanische Kräfte; Pohlenz (1954): Teufelin, der
wir doch unsere Sympathie bewahren; Murray (1957) 48: durch unerträgliches
Leid in eine Art Teufel verwandelt; Segal (1990a) 304: This pitiable mater dolo-
rosa becomes a monster of vengefulness. Reckford (1985) bezeichnet Hekabes
Verhalten in der zweiten Hälfte des Stückes denn auch als Demoralization; Hose
(2006) 276 und (2008) 90 spricht von Entmenschlichung. Conacher (1998) 60
66 meint, dass man an der Argumentation der drei großen Reden Hekabes V. 251
95, 787845 und 11871237 den stufenweise erfolgenden sittlichen Verfall
Hekabes erkennen könne. Andere nehmen an, dass ihre Wendung vom guten zum
fragwürdigen Gebrauch der Beredsamkeit in der Mitte ihrer zweiten Rede, also et-
wa in V. 812823 erfolgt.
57 Reckford (1985); Nussbaum (1986) 406.
32 Einführung
Dichter ihr in den Mund legt, färben auch auf ihr Charakterbild ab und
lassen sie immer wieder wie eine Lehrerin des richtigen Verhaltens wirken,
sowohl im Verhältnis zu Odysseus, Agamemnon und Polymestor als auch
zu ihren ständigen Zuhörerinnen, den Frauen des Chores. Nur von
Polyxene muss sie sich belehren lassen (37274, 40408).
Die seelische Verfassung Hekabes im Verlauf der Handlung der Tra-
gödie lässt sich durch eine Kurve nachzeichnen, die sich immer im Bereich
des Schmerzes, der Trauer und der Sorge bewegt, aber dabei auch ihre
Höhen und Tiefen hat. Sie beginnt im Augenblick ihres ersten Auftritts mit
Trauer über den Untergang der Stadt und den Verlust der meisten Angehö-
rigen, verbunden mit der neuen Sorge um Polydoros und Polyxene. Als das
Leben ihrer Tochter unmittelbar bedroht ist, wird die Trauer für eine Weile
überdeckt: Hekabes Aktivität erwacht beim Versuch, Polyxene doch noch
zu retten. Sobald dieser Versuch gescheitert ist, sinkt sie kraftlos zu Boden.
Als sie den Bericht des Talthybios über den Tod ihrer Tochter entgegenge-
nommen hat, äußert sie ihre Trauer in ruhiger und würdiger Form, weil in
diesem Bericht mit dem Traurigen auch etwas Trost verbunden war (588
92). Als sie sich in diesem Zustand gefasster Trauer auf die Bestattung
ihrer Tochter vorbereitet, trifft die neue Unglücksbotschaft sie tief ins Herz
und bringt sie zum großen Ausbruch ihrer Gefühle in der Totenklage um
Polydoros. Dies ist der absolute Tiefpunkt, den sie aber rasch überwindet,
als sie mit großer Energie und mit Erfolg beginnt, die Voraussetzungen für
ihre Rachetat zu schaffen. Hekabes Trauer ist während fast der ganzen
zweiten Dramenhälfte wieder überdeckt durch ihre zielgerichtete Aktivität,
und als das Ziel erreicht und der Mörder bestraft ist, darf sie für kurze Zeit
triumphieren. Am Schluss des Stückes ist die leichte Aufhellung ihrer düs-
teren Stimmung wieder vorbei, weil nach der Vorhersage Polymestors über
Kassandras Schicksal neues Unglück droht. Aber Hekabe selbst betrifft das
nicht mehr, und so ist sie am Schluss, um Scaliger zu zitieren, zwar trau-
rig, aber etwas weniger traurig als zuvor nach der Trennung von
Polyxene und der Auffindung des Leichnams des Polydoros.60
Aristoteles unterscheidet im 18. Kapitel seiner Poetik (1455b 32
1456a 3) vier Arten (ei¢dh) von Tragödien, die komplizierte (peplegménh),
die von Leiden oder Leidenschaften erfüllte (paqhtikä), die, in deren
Mittelpunkt ein Charakter steht (h¬qikä), und eine vierte, deren Bezeich-
nung verlorengegangen ist, in der sich aber nach den dort genannten Bei-
_____________
60 Scaliger (1561) 145 (Buch 3, Kap. 97). Obwohl Scaliger weiß, dass es auch Tra-
gödien gibt, die einen eindeutig glücklichen Ausgang haben, scheint er besorgt zu
sein, dass der Ausgang der Hek. nicht tragisch genug sein könnte. Er schreibt:
Verum quum Tragoediae sit infelix exitus, et Tragoedia sit Hec., oportuit
Hecubam in fine quam in principio maestiorem. Id autem nequaquam fit: ultione
enim paulo minus tristis.
34 Einführung
Nebenthemen
Die Beredsamkeit, ihre Macht und auch ihre Gefahren werden in der
Hekabe immer wieder zum Thema. Das ist nicht erstaunlich in diesem
Drama, das wenige Jahre nach dem ersten Auftreten des Gorgias in Athen
(427) und dem dadurch ausgelösten Erwachen des Interesses der Athener
an der systematisch gelehrten Kunst der Beredsamkeit aufgeführt wurde. In
diesem Stück wird die Notwendigkeit der Erlernung dieser Kunst begrün-
det (V. 81419), aber es wird in ihm auch kritisiert, dass sie missbraucht
werden kann, um Einfluss auf die Masse des Volkes zu gewinnen (25457)
oder um einer schlechten Sache mit scheinbar guten Argumenten zum Sieg
zu verhelfen (118794). Auch wird die von den Theoretikern der Rhetorik
viel diskutierte Frage des Anteils von Anlage und Erziehung ausführlich
erörtert (592602).
Außerdem enthält das Stück Beispiele für Reden aller Art. Alle drei
Redegattungen sind mit guten Beispielen vertreten. Zur Gattung der Ge-
richtsrede (genus iudiciale) lässt sich die Rede V. 11871237 rechnen, zur
Gattung der Beratungsrede (genus deliberativum) die Rede 787845 und
schließlich zur Gattung der Lob- oder Tadelsrede (genus demonstrativum)
die Reden 51882 und 585602. Ferner finden sich auch zweimal Paare
von Reden, die als Rede und Gegenrede aufeinander bezogen sind (25195
und 299331; 113282 und 11871237). Dabei fällt auf, dass in den Rede-
paaren auch die Vertreter der Gegenseite mit den besten Argumenten aus-
gestattet werden, die sich für sie finden lassen (Odysseus 30631,
Polymestor 113644) und dass auch die Seite, der die Sympathie des Pub-
likums gehört, recht spitzfindige Argumente vorbringt (Hekabe 121723).
Man kann Erfolge guter Reden erleben (787845 und 11871237), aber
auch ein völliges Scheitern einer mit überzeugenden Argumenten für eine
Nebenthemen 35
gute Sache vorgebrachten Rede aus dem einfachen Grund, weil das Wort
des Machtlosen dem des Mächtigen immer unterlegen ist (25195).
Es ist also nicht verwunderlich, dass dieses so stark von rednerischer
Praxis und Theorie geprägte Stück den Bedürfnissen eines rhetorisch orien-
tierten Unterrichts entsprach, wie er in der Spätantike und im byzantini-
schen Mittelalter üblich war, und dass es sich in diesen Jahrhunderten be-
sonderer Beliebtheit erfreute.61
Collard hebt die große Bedeutung hervor, die in der Hekabe der Begriff der
Charis (cáriß) hat.62 Charis ist die Gunst, die ein Mensch einem anderen
erweist, sie ist die Freude, die er ihm damit bereitet, sie ist die Dankbarkeit,
die er so bei ihm gewinnt, sie ist der Dank, den man dafür abstattet, und
schließlich sind es auch die Geschenke oder Taten, durch die das Abstatten
des Dankes geschieht. Es geht hier um die Beziehungen, welche die Men-
schen durch ihr Handeln untereinander aufbauen, und um die Tragfähigkeit
dieser Beziehungen in kritischen Situationen.
Auch die durch Gastfreundschaft (xenía) aufgebaute Beziehung gehört
in diesen Zusammenhang. Sie steht unter dem besonderen Schutz des Zeus
Xenios. Polymestor, ein alter Gastfreund des Hauses des Priamos (793
95), hat diese Beziehung durch die Beraubung und Ermordung seines jun-
gen Gastes aufs schwerste verletzt, und er empfängt dafür die verdiente
Strafe.
Eine Beziehung, durch die Charis entsteht, kann auch auf andere Weise
zustande kommen, wie der Fall des Odysseus zeigt. Er wurde im bela-
gerten Troja als Spion entdeckt, warf sich in dieser lebensgefährlichen
Lage als Schutzflehender (ikéthß) Hekabe zu Füßen und gab sich dadurch
in ihre Gewalt. Sie erbarmte sich seiner, ließ ihn entkommen und erwarb
sich so ein Recht auf seine Dankbarkeit. Als nun ihre Tochter in Lebensge-
fahr gerät, wiederholt Hekabe ihrerseits die Geste, beruft sich auf die
Gunst, die sie ihm damals erwiesen hat, und fordert, dass er sich jetzt
dankbar erweist und ihre Tochter rettet. Odysseus weist sie ab, indem er
seine Verpflichtung eng auslegt und sie nur gegenüber ihr selbst anerkennt,
nicht jedoch gegenüber ihrer Tochter. Damit erweist er sich als undankbar
(254 a¬cáristoß) gegenüber Hekabe, während er dem Heer zu Gefallen
redet (257 pròß cárin).
_____________
61 S. hierzu auch S. 58.
62 Collard (1991) 2527.
36 Einführung
Kovacs bemerkt richtig, dass in der Hekabe das griechische Heer vor Troja
und auch noch auf der ersten Station seiner Heimfahrt eine demokratische
Verfassung hat, bei der die Heeresversammlung die letzte Entscheidung
trifft.63 Vor dieser Versammlung treten verschiedene Redner auf und ma-
chen Vorschläge und Gegenvorschläge, doch die Beschlüsse fasst die Ver-
sammlung, analog zu den Verhältnissen, die dem athenischen Publikum
aus der eigenen Stadt vertraut sind. Demgegenüber ist bei Troern und
Thrakern immer von Königen die Rede und nie von beratenden oder be-
schlussfassenden Gremien. Kovacs hält diesen Unterschied sogar für so
bedeutsam, dass er seine Interpretation des Stückes unter die Überschrift
Dynasts and Democrats stellt.
Die Griechen, wie Kovacs sie charakterisiert, lassen keine andere
Handlungsmaxime gelten als das Wohl ihrer Gemeinschaft, dem sie alles
andere unterordnen. Religiöse Rücksichten spielen bei ihnen keine Rolle,
und persönliche Beziehungen zwischen einzelnen, wie sie durch Gast-
freundschaft, Hikesie und wechselseitige Dankbarkeit geknüpft werden,
fallen gegenüber den Interessen der Gesamtheit nicht ins Gewicht.
Demgegenüber halten die Troerinnen, verkörpert durch Hekabe und
Polyxene, nach seiner Meinung die aristokratischen Ideale der heroischen
_____________
63 Kovacs (1987) 78114.
Nebenthemen 37
Zeit hoch. Sie fühlen sich über das Volk erhaben und verachten die grie-
chischen Fürsten, die vom Wohlwollen ihrer Völker abhängig sind. Sie
sind es gewohnt zu herrschen, verhalten sich auch nach dem Fall Trojas,
als wenn sie noch Herrscher wären, und vertrauen auf persönliche Bezieh-
ungen von Herrscher zu Herrscher. Sie haben sich den Glauben erhalten,
dass die menschlichen Schicksale in Glück und Unglück von den Göttern
bestimmt werden, und nehmen dementsprechend auch ihr eigenes Unglück
als gottverhängt hin.
Ein solcher Gegensatz zwischen den demokratischen Griechen und
den dynastisch gesonnenen, adelsstolzen, auf traditionelle und religiös
fundierte persönliche Beziehungen vertrauenden Troern lässt sich in der
Tat mit einigem guten Willen aus dem Text herauslesen. Aber aufs ganze
gesehen ist dieser Gegensatz nicht von großer Bedeutung. Im ersten Teil
des Handlung vertritt zwar Odysseus ohne Rücksicht auf frühere persönli-
che Beziehungen zu Hekabe die Interessen des Heeres, aber im zweiten
Teil muss Agamemnon einerseits zwar auf die Meinungen des Heeres
Rücksicht nehmen, lässt es aber andererseits zu, dass Hekabe eine Bezie-
hung zu ihm knüpft und so seine stillschweigende Unterstützung gewinnt.
Er tritt damit faktisch auf die Seite der Troerinnen und dient, aus welchen
Motiven auch immer, dem religiös fundierten Recht, indem er die Bestra-
fung des Übeltäters Polymestor duldet. Polymestor selbst aber lässt sich in
die von Kovacs angenommene Antithetik nicht einordnen, weil er zwar ein
unbeschränkter Herrscher ist, wie Priamos es war, jedoch persönliche Be-
ziehungen zu früher Gleichgestellten und Respekt vor der Macht der Götter
nur vortäuscht und im übrigen seinen finsteren Gelüsten frönt. Kurzum, die
Antithetik von trojanischen Dynasten und griechischen Demokraten
scheint mir eine Konstruktion zu sein, die zum besseren Verständnis des
Stückes wenig beiträgt. Der wesentliche Unterschied zwischen Hekabe und
Polyxene und den anderen Personen ist vielmehr, dass die beiden Frauen
Heroinen sind und sich dementsprechend verhalten, während die griechi-
schen Feldherren sich wie Politiker verhalten. Odysseus hat einen Be-
schluß der Heeresversammlung herbeigeführt und will das Verfahren nicht
wieder aufrollen, selbst wenn er die Konsequenzen des Beschlusses nach-
träglich bedauern mag (394f.). Agamemnon dagegen erkennt für seine
Person den Rechtsanspruch Hekabes an, sieht sich aber außerstande, das
Heer von seiner Meinung zu überzeugen, und muss sich darum mit der
heimlichen Unterstützung ihres Plans begnügen.
38 Einführung
In der Hekabe stehen sich die griechischen Sieger und die nach der Zerstö-
rung ihrer Stadt in die Sklaverei geratenen troischen Frauen gegenüber,
also Griechen und Barbaren nach dem griechischen Sprachgebrauch, bei
dem allen nicht griechisch sprechenden Völkern die Sammelbezeichnung
bárbaroi gegeben wird.
Edith Hall hat nun in ihrem einflussreichen Buch die Meinung vertre-
ten, dass den Griechen erst durch die Perserkriege der Gegensatz zu den als
Barbaren bezeichneten anderen Völkern, insbesondere denen des Perser-
reichs, bewusst geworden sei und dass bei diesem Prozess, der zugleich ein
Prozess der Selbstfindung gewesen sei, die Tragödie eine wichtige Funkti-
on gehabt habe. Es sei den Tragikern dabei darum gegangen, die Zusam-
mengehörigkeit der Griechen zu stärken, ihnen ein Gefühl der geistigen
und moralischen Überlegenheit über die anderen Völker zu vermitteln und
zugleich einen Herrschaftsanspruch über sie anzumelden. Hall meint, dass
sich bei Euripides gelegentlich eine ironische und sophistische Umkeh-
rung dieser Tendenz finde, gewissermaßen eine Ausnahme, die die Regel
bestätigt.64 Es gibt allerdings in der Tat einige Äußerungen bei Euripides,
in denen eine Überlegenheit der Griechen gegenüber den Barbaren behaup-
tet wird. Wenn man jedoch den jeweiligen Kontext überprüft, zeigt es sich
oft, dass die Überlegenheit in dem betreffenden Fall tatsächlich nicht be-
steht.65 Manchmal wird der Begriff nicht im ethnographischen Sinn, also in
der Bedeutung Ausländer, ausländisch, verwendet, sondern im ethi-
schen Sinn, also etwa in der Bedeutung unzivilisiert, unmenschlich
oder grausam. So kommt es vor, dass Ausländer, also angebliche Barba-
ren, den Griechen oder auch Griechen sich untereinander vorwerfen, dass
sie sich barbarisch verhielten.66 Es kommt auch vor, dass Griechen gerade
dann Ausländer Barbaren nennen, wenn sie selbst sich ihnen gegenüber un-
menschlich und grausam verhalten und dies mit starken Worten bemänteln
wollen.67
Einen solchen Fall gibt es auch in der Hekabe. Als Odysseus in seiner
Rede begründet hat, warum die Griechen es für richtig halten, ihre Helden
zu ehren (nämlich dadurch, dass sie dem Grab des Achilleus ein Men-
schenopfer darbringen), wendet er sich an Hekabe und die Troerinnen,
redet sie mit ihr Barbaren an und rät ihnen ironisch, weiterhin ihre
_____________
64 E. Hall, Inventing the Barbarian, Greek Self-Definition through Tragedy, Oxford
1989; Zitate auf S. 211, 222f.
65 Etwa Med. 53638, 133032.
66 Tro. 764; Iph. T. 1174; Hkld. 130f.
67 Andr. 17376, 243, 261, 649f., 665f.
Nebenthemen 39
_____________
68 Tro. 973, 991f., 1277.
69 Tro. 477f.
40 Einführung
Recht und Unrecht geht. Von einem Absinken ins Barbarische ist in dieser
letzten Szene jedenfalls nichts zu spüren.70
Ganz anders steht es mit Polymestor. Er wird von Griechen und Troern
zu den Barbaren gerechnet (877, 1200), und, was wichtiger ist, Agamem-
non nennt sein Verlangen, sich sofort auf Hekabe zu stürzen, barbarisch,
was man hier mit unzivilisiert oder mörderisch übersetzen kann
(1129). Was er meint, ist dem Zuschauer klar, der ja kurz zuvor den wilden
Gesang und Tanz des Geblendeten und die Äußerung seiner kannibalischen
Gelüste erlebt hat. Hier tritt also tatsächlich bei Euripides einmal ein Mann
auf, der in jeder Hinsicht, sowohl ethnographisch als auch ethisch, mit
Recht ein Barbar genannt werden kann und dem sich das Publikum in jeder
Hinsicht überlegen fühlen kann. Es gibt in den erhaltenen Stückes unseres
Dichters einige weitere Fälle dieser Art, nämlich die grausamen, aber leicht
zu täuschenden Könige der Taurer und der Ägypter in der Taurischen
Iphigenie und der Helena und den phrygischen Eunuchen im Orestes, des-
sen Lied (V. 13691502) man, wenn man will, als eine Parodie der Mono-
die Polymestors ansehen kann.
Nur ironisch ist der Satz zu verstehen, dass es zwischen dem Volk der
Barbaren und dem der Griechen keine Freundschaft, keine Verschwä-
gerung und keine Verwandtschaft geben könne (11991203). Sprecherin
ist Hekabe, die von Odysseus kurz zuvor den Barbaren zugerechnet wurde
(328). Sie spricht zu jemandem, der sich gerade in jeder Hinsicht als Bar-
bar erwiesen hat, und erinnert ihn daran, dass es zwischen Griechen und
Barbaren keine Gemeinschaft geben kann, obwohl sie kurz zuvor einen
Griechen zum Schwager ihres Sohnes erklärt und ihn dadurch für ihre
Sache gewonnen hat (834).
Das Personal des Stückes besteht vor allem aus zwei Gruppen, die sich in
einer Hinsicht radikal unterscheiden, nämlich aus den freien Männern, die
zugleich die Sieger des gerade beendeten Krieges sind, und aus den ver-
sklavten Frauen, die zugleich zu den Überlebenden der Niederlage gehö-
ren. Polymestor, der als König eines neutralen Landes weder zu den Sie-
gern noch zu den Besiegten gehört, kann in diesem Zusammenhang außer
Acht gelassen werden.
_____________
70 Für Synodinou (2005) 1, 62f. gibt es am Ende des Stückes keinen Unterschied
mehr zwischen Griechen und Barbaren, da sich nach ihrer Meinung Odysseus,
Polymestor, Agamemnon und Hekabe allesamt in gleicher Weise barbarisch ver-
halten haben.
Nebenthemen 41
Daitz weist richtig darauf hin, dass die Wörter e¬leúqeroß frei und
doûloß Sklave in keiner der Tragödien des Euripides so häufig vor-
kommen wie in diesem Stück.71 Das Thema Freiheit und Sklaverei hat
hier also offenbar große Bedeutung.
Polyxene tritt, obwohl sie eine Kriegsgefangene ist, gegenüber Odys-
seus und Neoptolemos wie eine Freie auf. Sie hat diese Freiheit gewonnen,
indem sie ihr unvermeidliches Todesschicksal durch eigene Entscheidung
auf sich genommen und in eine Befreiung vom Zwang der Sklaverei um-
gedeutet hat. Sie kann darum in den letzten Augenblickes ihres Lebens
souverän auftreten. Daitz nennt sie mit Recht eine commanding captive,
eine Gefangene, die Befehle gibt.72 Aufällig sind die vielen Imperative in
ihren letzten Worten (345, 369, 372f., 4024, 410, 432, 551, 563f.).
Auch Hekabe verhält sich zu Talthybios und Agamemnon wie eine
gleichrangige Freie. Auch sie ist eine commanding captive, wie die Im-
perative zeigen, die sie verwendet (604, 610, 870f., 874f., 888f., 891, 895).
Diese Freiheit gewinnt sie, weil sie dem einzigen Ziel, das sie sich noch
gesetzt hat, alles andere unterordnet. Sie setzt ihr Leben und auch das ihrer
Mitsklavinnen aufs Spiel, sie weist sogar das Angebot ihrer Freilassung ab
(75457), sie gibt die Feindschaft gegenüber den Griechen auf (73651),
und sie lässt sich sogar dazu herab, in einer von vielen als unwürdig emp-
fundenen Weise an Agamemnons Liebe zu Kassandra zu appellieren (824
35). Agamenon dagegen ist zur Rücksichtnahme auf die Stimmung seiner
Soldaten gezwungen und darum weniger frei als seine Sklavin. So kann
Hekabe feststellen, dass kein Mensch frei ist (86467). Der eine ist Sklave
des Besitzes (wobei man an den habgierigen Polymestor denken könnte),
der andere des Glücks (wie die ins Unglück geratene Hekabe selbst), der
dritte der Volksmenge (wie der Fall Agamemnons zeigt). Die Sklavin
Hekabe ist also in vieler Hinsicht freier als ihr Herr. Diese Tragödie ist
offenbar auch ein Lehrstück über wahre und scheinbare Freiheit.
Daitz meint allerdings, dass auch Hekabe trotz ihres souveränen Spre-
chens und Handelns letztlich nicht frei sei, weil sie nämlich zur Sklavin
ihrer Rachsucht geworden sei. Durch ihre Taten, insbesondere durch die
Tötung der unschuldigen Kinder Polymestors, habe sie ihre Menschlichkeit
verloren, was sich dann auch in ihrer Verwandlung in eine tollwütige Hün-
din zeige.73 Ich teile diese Auffassung nicht. Jedenfalls dürfte das zeitge-
nössische Publikum, das vom Recht auf Rache noch eine hohe Meinung
_____________
71 Daitz (1971) 217.
72 ebendort 220.
73 ebendort 222: a rabid bitch. Bei Eur. hat sie nur feuerrote Augen (wohl wegen
der Leuchtfeuer am Kap Kynossema, s. S. 8 und zu V. 1273). Zur Gestalt der wü-
tenden Hekabe in den antiken und mittelalterlichen Literaturen s. S. 54 Anm. 101.
42 Einführung
Die Chorlieder
_____________
76 Allerdings sind die Schlüsse des zweiten und des dritten Stasimon der Hek. in ihrer
Stimmung gut der jeweiligen dramatischen Situation angepasst. Hose (2008) 87
spricht darum von einer lyrischen Parallelkomposition. S. auch zu V. 65056
und 950f.
77 Auch ein Vergleich der Chorlieder beider Tragödien mit denjenigen in Senecas
Troades ist interessant. Hierzu s. S. 54ff.
Die Funktion der Götter 45
Mit dem Fall Trojas verlassen die Götter die einst von ihnen geliebte Stadt.
Im Prolog der Troerinnen zeigt Euripides, wie Poseidon, der einst die
Mauern der Stadt miterbaut hat, noch einmal einen Blick auf die rauchen-
den Trümmer und die überlebenden Frauen wirft und sich dann abwendet
(V. 147). So ist es nicht verwunderlich, dass auch in der Hekabe, die auf
der ersten Station der Rückfahrt des griechischen Heeres spielt und deren
Handlung der Zuschauer aus der Perspektive eben dieser Frauen erlebt, die
Götter wenig in Erscheinung treten. Sie haben die Frauen den Siegern
überlassen, die mit ihnen nach Gutdünken verfahren können. Man hat ge-
meint, die Götter kämen in diesem Drama überhaupt nicht vor;78 doch ist
das allenfalls für die erste Hälfte des Stückes richtig. Aber auch dort wer-
den einzelne Götter erwähnt, wenn auch nur in negativem Sinn, wie Zeus
Hikesios, der Beschützer der Bittflehenden, dessen Hilfe Polyxene nicht in
Anspruch nehmen will (345), oder wie Artemis, welche die zu ihr flüch-
tenden Frauen nicht beschützen konnte (935).
Etwas anders wird es freilich in der zweiten Dramenhälfte. Schon am
Anfang des Stückes hieß es, dass die Götter der Unterwelt (oi kátw
sqénonteß), dafür gesorgt haben, dass der Leichnam des Polydoros in die
Hände seiner Mutter gelangt (49f.). Damit lösen diese Götter indirekt die
Handlung der zweiten Dramenhälfte aus, die zur Bestrafung des Mörders
führt. Als Hekabe die Leiche gefunden und den Schuldigen erraten hat, ruft
sie Dike, die Göttin des Rechts, in ihrer Eigenschaft als Hüterin des Gast-
rechts an (715 Díka xénwn). Bei ihrem Appell an Agamemnon beruft sie
sich ebenfalls auf die Macht der Götter und des göttlichen Gesetzes
(nómoß), das die Menschen dazu bringt, die Götter zu verehren und Recht
und Unrecht zu unterscheiden (799805). Als dieser Appell ohne Wirkung
auf Agamemnon zu bleiben scheint, ruft sie auch noch Peitho, die Göttin
der Überredung, zu Hilfe (816) und verschmäht selbst den Beistand der
Liebesgöttin Kypris nicht (825). Welche der von Hekabe beschworenen
Gottheiten letztlich den Ausschlag bei Agamemnons Entscheidung für eine
bedingte Unterstützung des Anliegens Hekabes gegeben hat, ist schwer zu
sagen. Dass es vor allem Kypris war, wird von vielen vermutet, er selbst
beruft sich allerdings auf die Götter und das Recht (852f., 124951). Da
obendrein ein Gott den Fahrtwind noch nicht wehen lässt (900), be-
kommt Hekabe die für ihre Rachetat nötige Zeit. Ihre Tat vollbringt sie aus
eigener Kraft, aber dass sie so mühelos gelingt, ist nicht ohne göttlichen
Beistand möglich, vor allem aber, wie es scheint, nicht ohne ein gehöriges
Maß an Verblendung (ºAth) von Seiten Polymestors. Der Name dieser
_____________
78 So spricht Segal (1989) 20f. von remoteness of the gods in der Hek.
46 Einführung
Gottheit bleibt ungenannt, aber dass sie wirksam ist, lässt sich dem Verlauf
des Überlistungsdialoges (9531022) entnehmen.79 Offenbar wurden die
Götter durch die schwere Verletzung des Gastrechts, die sich Polymestor
zuschulden kommen ließ, veranlasst, Hekabes Rachetat zuzulassen und zu
unterstützen, so sehr sie sich auch im übrigen gegenüber dem Schicksal der
Troerinnen gleichgültig verhalten. Es scheint hier wie so oft bei Euripides,
dass die Götter eifriger bei der Sache sind, wenn es gilt, Schuldige zu be-
strafen, als wenn es darum geht, Unschuldige zu beschützen. Ob Hekabe
am Schluss infolge göttlichen Wirkens durch Verwandlung und Tod vom
Los der Sklaverei befreit wird, muss offen bleiben, da nichts darüber ver-
lautet, es ist aber anzunehmen, dass die Götter daran nicht unbeteiligt sind,
da nichts Wunderbares ohne göttliche Einwirkung zu geschehen pflegt.
Es wird häufig die Ansicht vertreten, dass das Ausbleiben der Winde nach
der Opferung Polyxenes (V. 900) darauf schließen lasse, dass die Götter
dieses Menschenopfer für nicht gerechtfertigt hielten und darum miss-
billigten.80 Denn nach griechischer Vorstellung verfügen die Götter über
die Macht, Winde wehen oder auch nicht wehen zu lassen, und so mag es
möglich sein, aus dem einen oder anderen, das in bestimmten Situationen
geschieht, Schlüsse darauf zu ziehen, ob die Götter das jeweilige Verhalten
der Menschen billigen oder nicht.
Nun ist es richtig, dass der Dichter in V. 38 und 111f. Polydoros und
den Chor nichts darüber sagen lässt, auf welche Weise der Geist des
Achilleus die Flotte aufhielt, so dass man auf Vermutungen angewiesen ist.
Man kann vermuten, dass die Griechen am Aufbruch dadurch gehindert
wurden, dass nach der Erscheinung des Geistes der Fahrtwind plötzlich
ausblieb, nachdem sich die Segel der Schiffe schon zuvor im Winde ge-
bläht hatten (V. 112),81 man kann aber auch vermuten, dass seine bloße
Erscheinung oder auch die von ihm erhobene Forderung die Griechen dazu
bewegte, nicht aufzubrechen, obwohl sich die Segel schon im Winde bläh-
_____________
79 So Heath (1987) 68 Anm. 143.
80 So Kovacs (1996) 63f.; Gregory (1999) xxixxxxi; ähnlich auch Mitchell-Boyask
(1993). Aus der Anrufung der Brise durch den Chor in V. 444 lässt sich jeden-
falls nicht entnehmen, dass zu dieser Zeit ein guter Fahrtwind wehte, wie dies Ko-
vacs und Gregory (1999) 98f. vermuten. Das gilt schon deswegen, weil in dem
Lied nur von einer künftigen Brise die Rede ist.
81 Dies ist auch die Meinung von schol. V zu V. 110: a¬némou o¢ntoß kaì tøn istíwn
hplwnénwn uparcóntwn kaì tøn neøn pleóntwn nhnemía gégone hníka e¬fánh
o ¯Acilleúß.
Die Funktion der Götter 47
ten. Gegen die erstgenannte Annahme wurde mit Recht eingewendet, dass
es nicht in der Macht eines Heros liege, Winde wehen oder nicht wehen zu
lassen, sondern nur in der Macht der Götter. Aber es scheint mir doch eine
allzukühne Behauptung zu sein, dass schon die bloße Nichterwähnung des
Ausbleibens des Fahrtwindes in V. 112 erkennen lasse, dass die Götter die
Forderung des Achilleus missbilligten und dass dann auch die Erfüllung
dieser Forderung durch die Opferung Polyxenes nicht mit ihrem Einver-
ständnis geschah. Auch das in V. 900 erwähnte Ausbleiben des Fahrtwin-
des unmittelbar nach der Opferung ist nach meiner Meinung kein Indiz
dafür, dass die Götter diese Tat missbilligten. Alle diese spitzfindigen
Überlegungen scheinen mir nur gut gemeinte Versuche zu sein, die Götter
von der Verantwortung für die Opferung Polyxenes zu entlasten. Aber die
Götter sind hier wie in der Ilias und auch sonst bei den Tragikern souverän
und den Maßstäben der menschlichen Moral nicht unterworfen. Der Tod
Polyxenes war schicksalhaft bestimmt, wie Polydoros mitteilt (43f.), und
zwischen der Bestimmung des Schicksals und dem Ratschluss der Götter
pflegt kein Widerspruch zu bestehen. Es scheint mir also, dass die Götter
nichts gegen die Opferung einzuwenden haben, weil ihnen Polyxenes
Schicksal wie das der anderen Troerinnen gleichgültig ist.
Anders scheint es dann allerdings in der zweiten Dramenhälfte zu sein.
Hier mag es für die Beurteilung des Geschehens wichtig sein, dass der von
Agamemnon in V. 900 nicht näher bezeichnete Gott den Fahrtwind so
lange zurückhält, bis Polymestor seine offenbar auch nach dem Ratschluss
der Götter verdiente Strafe empfangen hat.82
Darüber, ob und wie weit die Handlung der Hekabe in besonderem Maße
im Zeichen des Dionysos steht, gehen die Meinungen auseinander. Wäh-
rend die meisten Interpreten in dem Stück kein besonderes dionysisches
Gepräge erkennen wollen, vertritt Schlesier die Ansicht, dass sowohl
Hekabe selbst als auch Polymestor als Thraker eine besonders enge Bezie-
hung zu dem bei diesem Volk in besonderem Maße verehrten Gott hätten
und dass auch in der Handlung und vor allem in den lyrischen Partien An-
klänge an den Dionysoskult zu finden seien.83 Sie kann sich immerhin
darauf berufen, dass die Handlung in Thrakien spielt, dass Polymestor ein
thrakischer König ist und dass er sich bei seiner Schlussprophezeiung auf
Dionysos als den Orakelgott der Thraker beruft. Dagegen bleibt es eine
_____________
82 Sehr kritisch zur Bedeutung der Winde Gärtner (2005) 56f.
83 Schlesier (1988). Von einem pattern of bacchic motifs spricht Segal (1989) 18.
48 Einführung
reine Vermutung, dass Hekabe als Tochter des Kisseus selbst eine Verbin-
dung mit Thrakien hat.84 Zwar spricht Hekabe, als sie ihr Klagelied über
den Tod des Polydoros anstimmt, von einem nómoß bakceîoß (685f.), und
zwar nennt der geblendete Polymestor die Frauen, die ihn überwältigt ha-
ben, Bákcai ÷Aidou (1076), aber das sind nicht viel mehr als Metaphern,
die nur insofern ein gewisses Gewicht haben, als solche ekstatischen Kla-
gelieder, wie zuerst Hekabe und sodann Polymestor sie anstimmen, immer
mehr oder weniger stark an dionysische Kultlieder anklingen. So kann
auch Kassandra tò bakceîon kára genannt werden (676), weil ihre eksta-
tischen Äußerungen denen der Bakchantinnen ähneln, obwohl sie ihr von
Apollon eingegeben werden (vgl. V. 827 foibáß). Wenn Hekabe davon
spricht, dass Polymestor den Körper ihres Sohnes zerteilt habe (716
diemoirásw), ist dieses Wort nicht so zu verstehen, dass Polymestor eine
rituelle Tötung vorgenommen habe, sondern ist wie an der parallelen Stelle
Hippolytos 1376 als eine poetische Wendung für tödlich verletzen aufzu-
fassen. Wenn Polymestor später das gleiche Wort verwendet (1076
diamoirâsai), um das zu benennen, was den Leichnamen seiner Söhne
von den troischen Frauen drohen könnte, kann er ebenfalls keine rituelle
Tötung meinen, da die Knaben schon tot sind, sondern ein Zerreißen der
Körper durch die Hunde, denen sie vorgeworfen werden. Dass Polymestor
sich schließlich auf Dionysos als o Qrh¸xì mántiß beruft (1267), lässt auch
nicht auf eine besonders enge Beziehung zu diesem Gott schließen. Viel-
mehr war, wie wir aus Herodot (7,111) wissen und wie Euripides vielleicht
aus der gleichen Quelle wusste, Dionysos der Gott, an dessen Heiligtum
sich die Thraker zu wenden pflegten, wenn sie etwas über die Zukunft
erfahren wollten. So bleiben insgesamt wenig sichere Anhaltspunkte dafür
übrig, dass dieses Stück in besonderem Maße einen dionysischen Charak-
ter hat, vielleicht abgesehen von einer gewissen dionysisch-ekstatischen
Färbung der Klagelieder Hekabes und Polymestors.
Die Sentenzen
In der Hekabe findet sich, wie überall bei Euripides, eine Fülle von Sen-
tenzen, also von einprägsam formulierten Sätzen, die allgemein bekannte
Sachverhalte treffend beschreiben und so etwas wie eine Philosophie des
Alltags liefern, oder die gelegentlich auch nur verbreitete Meinungen, die
nicht unbedingt mit denen des Dichters übereinstimmen müssen, auf eine
_____________
84 S. zu V. 3.
Die Sentenzen 49
ihnen sind für die Konstituierung des Textes wertvoll, weil sie einen unab-
hängigen Zweig der Überlieferung bilden. Für die Hekabe ist das aus dem
12. Jahrhundert stammende Gnomologium Vatopedianum (gV) von gewis-
sem Wert, und es wurde deswegen von mir regelmässig für die Passagen
herangezogen, die dort aus diesem Stück zitiert werden.91
Auch in der frühen Neuzeit wurde Euripides gerade wegen seiner Sen-
tenzen hoch geschätzt. Hugo Grotius gab 1623 eine Sentenzensammlung
heraus, bei der er ganz aus Stobaios schöpfte, und ergänzte diese durch
seine 1626 herausgegebenen Excerpta e tragoediis et comoediis Graecis,
in denen er Sentenzen aus den erhaltenen Texten der griechischen Drama-
tiker und aus anderen Quellen zusammentrug.92 Der Zweck dieser Samm-
lung war ganz eindeutig nicht philologisch, sondern philosophisch und
pädagogisch. Die Leser sollten Zugang zu dem Schatz an Weltweisheit
bekommen, der in den Aussprüchen der griechischen Dichter gesammelt
ist, und sie sollten diesen Schatz für ihre Lebensführung nutzen. Durch
diese Grundsätze fühlte sich Grotius auch dazu berechtigt, solche Senten-
zen aus seiner Sammlung auszuschließen, die er als religiös oder moralisch
anstößig empfand.
Noch über hundert Jahre später begründete Johann Caspar Valckenaer
seine Beschäftigung mit den Fragmenten des Euripides damit, dass er den
Lesern die Fülle von sittlicher Belehrung, Lebensklugheit und sogar von
staatsmännischer Weisheit zugänglich machen wolle, die in den senten-
tiae dieses Dichters zu finden sei.93 Die ersten, die sich kritisch zu den
zahlreichen Sentenzen in der Hekabe und anderswo bei Euripides äußerten,
waren Pierre Brumoy (1732) und Pierre Prévost (1786).94
_____________
91 Hierzu G. A. Longman, Gnomologium Vatopedianum: The Eur. Section, Classical
Quarterly N. S. 9 (1959) 12941.
92 H. Grotius, Dicta poetarum quae apud Io. Stobaeum exstant, Paris 1623; derselbe,
Excerpta ex tragoediis et comoediis Graecis, Paris 1626.
93 L. C. Valckenaer, Diatribe in Eur. perditorum dramatum reliquias, Leiden 1767
(Nachdruck Leipzig 1824), 1: Euripidis in scena Philosophi sententiae pleraeque,
ad humanitatis virtutisque pulcritudinem commendandam, ad emendandos mores,
vitamque bene emendandam, aut rempublicam administrandam comparatae.
94 P. Brumoy, Théatre des Grecs, 4, Amsterdam 1732, 111, 114; P. Prévost, in:
Brumoy, nouv. éd., 4, Paris 1786, 34547, 500. Während Brumoy die zahlreichen
Sentenzen auf eine allgemeine Neigung der Griechen zum Moralisieren zurück-
führte, hielt Prévost sie für ein besonderes Charakteristikum des Eur. Im Fall der
Hek. meinte er außerdem, sie mit dem vorgerückten Lebensalter der Heldin ent-
schuldigen zu müssen. S. auch S. 67.
Hekabe und Troerinnen 51
Die Wirkung der Hekabe ist nicht einheitlich. In seinem ersten Teil ist das
Stück ein Opferdrama, das einem Märtyrerdrama ähnelt und wie dieses
Schrecken erzeugt, der sich mit Bewunderung mischt; in seinem zweiten
Teil ist es ein Rachedrama, das eine die Gefühle des Zuschauers befrie-
digende Bestrafung eines Schurken zeigt, der seine Strafe verdient hat.
Beides wird dargestellt als zwei scharf kontrastierende Episoden der Lei-
densgeschichte Hekabes. Dem Dichter gelingt eine geschickte Ver-
knüpfung der beiden Episoden durch die Enthüllung des Leichnams des
Opfers der zweiten Episode, der zunächst für den des Opfers der ersten
Episode gehalten wurde, und durch den dadurch ausgelösten jähen Über-
gang Hekabes vom Leiden zum Handeln.
Die Einheit des Stückes ist nicht in der Einheitlichkeit der Handlung
begründet, sondern in der Hauptgestalt Hekabe, die im Mittelpunkt der
beiden Episoden steht und in starkem Maße das Mitgefühl des Zuschauers
erweckt. Allerdings ist die Handlungsführung so geschickt, dass die
Zweiteiligkeit kaum auffällt, und die Handlung verfehlt denn auch ihre
Wirkung auf den Zuschauer nicht. Der erste Teil verläuft zwar ganz in den
im Prolog vorgezeichneten Bahnen, doch erwacht die Spannung im zwei-
ten Teil, wenn völlig unangekündigt die Rachehandlung beginnt, und diese
Spannung wird bis zum Schluss wachgehalten. Dabei werden auch Emoti-
onen geweckt, die bühnenwirksam, aber eher untypisch für die Tragödie
sind, wie Grauen, Bewunderung, Empörung oder auch Schadenfreude.
Das Stück gehört zu den Tragödien, die George Steiner tragedy, pure
and simple nennt, also zu denen, wo das menschliche Dasein in seiner
ganzen Hoffnungslosigkeit gezeigt wird und wo auch von den Göttern
wenig Trost kommt.95 Dagegen spricht Hartung bei diesem Stück, an des-
sen Ende jede der drei überlebenden Personen einem baldigen Tod entge-
gengeht, völlig zu Unrecht von einem heiteren Ausgang.96 In diesem
Stück gibt es nichts Heiteres. Richtiger ist die Meinung von Scaliger,
Hekabe sei infolge des Gelingens ihrer Rache etwas weniger traurig
geworden.97 Das gilt allerdings nur für die kurze Zeit ihres Triumphes. Als
sie jedoch erfahren muss, dass auch ihrer letzten überlebenden Tochter
_____________
95 G. Steiner, Tragedy, Pure and Simple, in: M. S. Silk (Hrsg.), Tragedy and the
Tragic, Oxford 1996, 53446. Er nennt die Hek. zusammen mit den Tro. unter den
Tragödien, welche dieser radikalen Form am nächsten kommen (538). Auch Hose
(2008) 90 schreibt: Die Hek. kann als das schwärzeste Stück des Eur. gelten.
96 Hartung (1850) 12.
97 Siehe S. 33 und Anm. 60.
52 Einführung
Kassandra die Ermordung bestimmt ist, sieht sie in der Zukunft neues Leid
heraufziehen, das sie abzuwenden wünscht, aber nicht abwenden kann.98
Wenn man versucht, Hekabe und Troerinnen hinsichtlich ihrer Wir-
kung auf den Zuschauer zu vergleichen, wird man einerseits anerkennen
müssen, dass die Hekabe die eindrucksvollere Handlungsführung hat und
dadurch den Zuschauer stärker in ihren Bann zieht als die Troerinnen, aber
andererseits wird man feststellen, dass die Stimmung des späteren Stückes
einheitlicher ist. Zwar entsprechen auch die Troerinnen nicht den Regeln
der Poetik des Aristoteles, sondern bestehen aus mehreren Episoden der
Leidensgeschichte der Hauptgestalt Hekabe, die wiederum für das mensch-
liche Schicksal allgemein und für das Schicksal Trojas und seiner Bewoh-
ner im besonderen exemplarisch ist, aber die Episoden ähneln sich in ihrem
Charakter. Nur der Helena-Akt hebt sich vom übrigen ab, weil hier Hekabe
für kurze Zeit von einer Leidenden zu einer Handelnden wird. Sie handelt
jedoch nur durch Worte, nicht durch schreckliche Taten. Sie hält eine An-
klagerede und erreicht eine Verurteilung, der aber keine Vollstreckung der
Strafe folgen wird, wie der Zuschauer vermuten darf. Danach kehrt die
ursprüngliche Stimmung zurück. So ist es vielleicht verständlich, dass die
Troerinnen zu einer der bekanntesten und wegen der leider immer wieder
aktuellen Thematik der Schrecken des Krieges auch zu einer der am häu-
figsten aufgeführten Tragödien des Euripides geworden sind, während die
Hekabe gelegentlich, und zwar durchaus erfolgreich, aufgeführt wird, aber
doch sehr viel seltener als die Troerinnen.99
Zur Rezeptionsgeschichte
Wir wissen, dass die frühen römischen Dichter Ennius und Accius je eine
Tragödie mit dem Titel Hecuba geschrieben haben. Die wenigen Fragmen-
te, die aus diesen beiden Stücken bei lateinischen Autoren erhalten sind,
lassen vermuten, dass sie mehr oder weniger freie Übersetzungen des
euripideischen Dramas waren.
Anders liegen die Dinge bei Pacuvius, für den eine Tragödie mit dem
Titel Iliona bezeugt ist. Dieses Stück scheint auf eine wohl nach-
euripideische griechische Tragödie zurückzugehen, die insofern durch die
Hekabe angeregt war, als sie die Gestalten des Polydoros und des
Polymestor übernahm, dann aber von ihnen eine ganz andere Geschichte
_____________
98 Collard (1975) 66: Hecubas triumph is turned to ashes.
99 Eine gute Gegenüberstellung der beiden Stücke bei Gärtner (2005) 61f.
Zur Rezeptionsgeschichte 53
erzählte. Wir kennen den Stoff aus der 109. und der 243. Fabel des Hygin.
Danach war Polymestor mit Iliona, einer Tochter des Priamus, verheiratet
und hatte von ihr einen Sohn Deiphilus. Bei ihnen wuchs auch Ilionas
jüngster Bruder Polydorus auf, den sie wie einen zweiten Sohn zusammen
mit Deiphilus aufzog. Als Agamemnon nach dem Fall Trojas den
Thrakerkönig dazu überredet hatte, Polydorus zu töten, brachte dieser irr-
tümlich Deiphilus um und ließ Polydorus leben. Iliona ließ sich daraufhin
von diesem dazu anstiften, Polymestor zu töten, doch war sie über den
Verlust ihrer Eltern so untröstlich, dass sie sich das Leben nahm.
Vergil lässt seinen Aeneas erzählen, wie er auf der Flucht von Troja an
der thrakischen Küste landete und dort dem Geist des ermordeten
Polydorus begegnete, der ihn aufforderte, das Land so schnell wie möglich
wieder zu verlassen. Aeneas folgte diesem Befehl und fuhr weiter, nicht
ohne zuvor dem Polydorus ein prunkvolles Totenopfer dargebracht zu
haben (Aeneis 3,1368). Diese unheimliche, von einer düsteren Stimmung
erfüllte Episode soll Thrakien als ein ungastliches Land erscheinen lassen,
das nicht für eine Ansiedlung der Aeneaden geeignet ist. Die kurze Be-
schreibung der Schicksale des Polydorus erfolgt in enger Anlehnung an
Formulierungen des Prologs der Hekabe (V. 4956 ~ Hek. 47, 1627).
Ovid schließt sich in den Metamorphosen (13,439575) enger als Ver-
gil an Euripides an, indem er beide Handlungselemente der Hekabe in sein
Epos übernimmt, nämlich sowohl die Opferung Polyxenes als auch die
Rache an Polymestor, und auch darin, dass er beide Teilhandlungen mit
dem Thema der Leiden Hekabes eng verbindet. Achilleus fordert vom Heer
die Opferung Polyxenas. Das Mädchen wird vom Schoß der Mutter wegge-
rissen, hält am Altar eine ergreifende Rede, in der sie darum bittet, in Frei-
heit sterben zu dürfen, und auch darum, dass ihre Mutter sie bestatten dürfe
(45773). So geschieht es dann auch.100 Ihr Leichnam wird Hecuba über-
bracht, die das Schicksal ihrer Tochter und ihr eigenes Schicksal beklagt
(494530). Diese begibt sich ans Meeresufer, um Wasser für die Wa-
schung der Toten zu holen; dort findet sie die angespülte Leiche des
Polydorus. Sofort entschließt sie sich zur Rache an Polymestor, in dem sie
den Mörder ihres Sohnes erkennt. Sie geht selbst zu ihm und bittet ihn zu
einer Unterredung an einen geheimen Ort, wo sie ihm verborgenes Gold
zeigen wolle. Dort stürzt sie sich auf ihn und blendet ihn. Die über ihre Tat
empörten Thraker verfolgen sie und beginnen, mit Steinen nach ihr zu
werfen. Sie schnappt nach den Steinen, und die Worte, die dabei aus ihrem
_____________
100 Wenn Prudentius in seinem Hymnus auf die heilige Eulalie die sittsame Haltung
der Heiligen während ihres Martyriums mit Worten beschreibt, die an V. 56670
der Hek. anklingen (Peristephanon 3,15055), schöpft er nicht unmittelbar aus Eu-
ripides, sondern eher aus Ovid (Metamorphosen 13, 47780). Dazu Pagani (1970)
47 Anm. 48.
54 Einführung
Seneca
_____________
101 Ähnlich Seneca Agamemnon 7068: Hecuba
induit vultus feros: circa ruinas
rabida latravit suas. Dass die Verwandlung Hekabes schon vor Ovid so aufgefasst
wurde, zeigen Plautus Menaechmi 716f. (Hecuba
omnia mala ingerebat
quemquem aspexerat, itaque adeo iure coepta appellari est Canes.) und Cicero
(Tusculanae Disputationes 3,63 Hecubam autem putant propter animi acerbitatem
quandam et rabiem fingi in canem esse conversam).
102 Eine gute Würdigung des Stückes bei W. Schetter, Zum Aufbau von Senecas Tro.,
in: E. Lefèvre (Hrsg.). Senecas Tragödien, Wege der Forschung 310, Darmstadt
1972, 23071. S. auch Steidle (1968) 5662.
103 W. M. Calder III, Originality in Senecas Troades, Classical Philology 65 (1970)
75-82, auch in: Theatrokratia, Spudasmata 104, Hildesheim 2005, 387401.
Zur Rezeptionsgeschichte 55
_____________
104 Seneca Troades 4f. ~ Eur. Hek. 48896; Troades 32 ~ Hek. 421; Troades 34 ~
Hek. 827; Troades 4450 ~ Hek. 23f.; Troades 108f. ~ Hek. 1110f.; Troades 191f.
~ Hek. 11315; Troades 52428 ~ Hek. 21828; Troades 67277 ~ Hek. 886f.;
Troades 69193 ~ Hek. 275-78, 752f.; Troades 70002 ~ Hek. 33941; Troades
703f., 960f. ~ Hek. 27781; Troades 70811, 717 ~ Hek. 33639; Troades 736f. ~
Hek. 32125; Troades 816f. ~ Hek. 45153; Troades 843f. ~ Hek. 46674;
Troades 950f. ~ Hek. 499f.; Troades 1067 ~ Hek. 517; Troades 1077f. ~ Hek.
521f.; Troades 114358 ~ Hek. 54370; Troades 1178f. ~ Hek. 128890. Wie weit
sich Ähnliches auch in der Polyxene des Sophokles fand, entzieht sich freilich un-
serer Kenntnis.
56 Einführung
Quintus Smyrnaeus
Epen, sondern vor allem auf mythologische Handbücher. Wie weit er ver-
lorene hellenistische Epen sowie Vergil und Ovid benutzte, ist in der For-
schung umstritten.
Im 14. Gesang erwähnt Quintus kurz, dass Odysseus Hekabe zu seiner
Sklavin machte (14,2129). Dann behandelt er im Rahmen der Beschrei-
bung des Aufbruchs der Griechen von Troja ausführlich die Opferung
Polyxenes auf dem Grab des Achilleus. Dort erscheint der Geist des
Achilleus dem Neoptolemos im Traum und fordert, Polyxene zu opfern.
Bis dies geschehen sei, werde er die Ausfahrt der Flotte durch Stürme ver-
hindern (179222). Neoptolemos setzt sich daraufhin in der Heeres-
versammlung für die Forderung seines Vaters ein. Poseidon unterstützt ihn,
indem er einen gewaltigen Sturm sendet (23552). Daraufhin wird die
Opferung Polyxenes beschlossen, die anders als bei Euripides ihr Schicksal
nicht gefasst auf sich nimmt, sondern weinend und klagend in den Tod
geht (25771). Auch Hekabe, die schon durch einen schlimmen Traum
gewarnt wurde, beklagt den bevorstehenden Tod ihrer Tochter (272303).
Die Erzählung über die Opferung selbst umfasst nur wenige Verse (304
19). Die Bestattung des Leichnams erfolgt durch Antenor, der von den
Griechen verschont wurde und zusammen mit einigen anderen Über-
lebenden die toten Trojaner bestattet (32028, vgl. auch 399402). Nach
einem Festmahl der Griechen fordert Nestor das Heer zum Aufbruch auf
(32945). Zum großen Erstaunen der Umstehenden wird Hekabe in eine
trauernde Hündin (a¬lginóessa kúwn) verwandelt. Ein Gott macht ihren
Körper zu Stein und lässt sie dadurch zu einem Wunder für die künftigen
Menschen werden (34651).
Quintus lehnt sich bei seiner Darstellung der Polyxene-Episode in gro-
ßen Zügen an die erste Hälfte der Hekabe an, vermeidet es aber, ihr allzu
eng zu folgen.105 Viele Einzelheiten, die für das Stück des Euripides we-
sentlich sind, fehlen hier, so der Streit in der Heeresversammlung, die be-
deutende Rolle des Odysseus, der Versuch Hekabes, die Opferung ihrer
Tochter zu verhindern, die Todesbereitschaft Polyxenes und schließlich
auch die Beschreibung ihres ruhmvollen Sterbens. Die Polymestor
Handlung der zweiten Hälfte übernimmt Quintus nicht. Damit entfällt für
ihn die Notwendigkeit, den Ort des Geschehens auf die thrakische Seite
des Hellesponts zu verlegen, aber zugleich auch die Möglichkeit, wie Euri-
pides eine Verbindung zwischen dem Schicksal Hekabes und dem Kap
Kynossema herzustellen.
_____________
105 Hierzu F. Vian, Quintus de Smyrne, La Suite d Homère, T. III, Paris 1969, 162
64.
58 Einführung
Die große Beliebtheit der Hekabe in der späteren Antike lässt sich daran
erkennen, dass relativ viele Papyrusfragmente von diesem Stück gefunden
wurden. Hinsichtlich der Zahl der bisher gefundenen Papyri von Stücken
des Euripides liegt die Hekabe mit ihren 12 Papyri zwar weit hinter Ores-
tes und Phönizierinnen, für die 24 bzw. 22 Papyri vorliegen, aber etwa
gleichauf mit der Medea mit ihren 13 Papyri. Es mag riskant sein, aus die-
sem Zahlenverhältnis, das sich durch Neufunde jederzeit ändern kann,
Schlüsse auf die Beliebtheit der einzelnen Stücke in den letzten Jahrhun-
derten des Altertums zu ziehen; aber es scheint zur Zeit jedenfalls so aus-
zusehen, dass die Hekabe in der Spätantike zwar zu den beliebteren, aber
nicht zu den allerbeliebtesten Stücken gehörte, und dass sie ihre hervorge-
hobene Position, die sich allein schon an der großen Zahl der erhaltenen
mittelalterlichen Handschriften ablesen lässt, erst im Bildungswesen der
byzantinischen Epoche erhalten hat.106 Auch hinsichtlich des Umfangs der
erhaltenen antiken Scholien liegt die Hekabe nur auf dem vierten Platz.107
Über die Gründe, warum die Hekabe damals diese hervorgehobene Po-
sition erhielt, sind nur Vermutungen möglich. Ich möchte viererlei vermu-
ten. Erstens entspricht das Stück sehr gut den Bedürfnissen eines rhetorisch
orientierten Unterrichts, wie er damals üblich war.108 Zweitens ist das
Stück religiös und moralisch unanstößig. Die antiken Götter spielen in der
Handlung keine große Rolle, Sympathie und Antipathie sind, anders als
etwa in der Medea, klar verteilt, der Tod Polyxenes hat Ähnlichkeit mit
einem christlichen Martyrium, und Polymestor, der Bösewicht des Stückes,
empfängt seine verdiente Strafe. Drittens war wegen der Zugehörigkeit
zum trojanischen Sagenkreis der Stoff der Handlung jedem vertraut und
der Ort des Geschehens in der Nähe der Hauptstadt Konstantinopel. Vier-
tens fühlten sich die Byzantiner als Römer und infolgedessen, ganz in der
Nachfolge Vergils, als enger verbunden mit den besiegten Trojanern, den
Vorfahren der Römer, als mit den siegreichen Griechen, während sie die
barbarischen Thraker als Vorläufer der immer wieder Unruhe stiftenden
Balkanvölker empfinden konnten. So konnten sie sich von vornherein mit
_____________
106 Meine Annahme (Matthiessen 1974, 111f.), aus der unterschiedlichen Zahl der
Papyri von Hek. und Med. lasse sich schließen, dass die Hek. erst in der byzantini-
schen Zeit beliebter wurde als die Med., lässt sich angesichts der inzwischen er-
folgten Neufunde von Papyri der Hek. nicht mehr aufrechterhalten. Dass die Hek.
jedoch ihre herausgehobene Position, noch vor Or. und Phön., erst zu Anfang des
byzantinischen Mittelalters erhalten haben dürfte, meine ich nach wie vor.
107 Siehe S. 72 und Anm. 138.
108 Siehe auch S. 34 über die Bedeutung der Beredsamkeit in der Hek.
Zur Rezeptionsgeschichte 59
den sympathischen Gestalten des Stückes, also mit Hekabe, Polyxene und
Polydoros, eng verbunden fühlen.
zu bellen.111 Die Anregung zu dieser Passage ebenso wie die Deutung ihrer
Verwandlung hat Dante offenbar von Ovid übernommen.
In der frühen Neuzeit gewann die Hekabe auch im lateinischen Westen die
Stellung als Flaggschiff der Tragödien des Euripides, die sie zuvor schon
im byzantinischen Bildungswesen und in den Handschriften gehabt hatte.
Seit der ersten gedruckten Gesamtausgabe des Euripides durch Aldus Ma-
nutius (Venedig 1503) stand sie in allen Ausgaben am Anfang. Bald nach
dem Erstdruck wurde sie von Erasmus ins Lateinische übersetzt und in
dieser Form einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht (Paris
1506).112 Es kam jetzt auch zu den ersten Aufführungen.113 Das Stück wur-
de wegen seiner Anfangsstellung in den Ausgaben wohl am häufigsten
gelesen, und es erhielt einen festen Platz im Unterricht an Schule und Uni-
versität.
Die Hekabe wurde von einem Publikum hoch geschätzt, das von anti-
ken Tragödien bisher nur diejenigen Senecas kannte und sich darum gerade
bei diesem Stück auf vertrautem Boden fühlen konnte. Charakteristisch ist
das Urteil von Caspar Stiblinus, der in seiner 1562 erschienenen Ausgabe
zur Hekabe bemerkte: Haec fabula propter argumenti tum varietaten, tum
plusquam tragicam atrocitaten, iure principem locum tenet.114 Offenbar
nahm er keinen Anstoß an der manchen modernen Interpreten ärgerlichen
Tatsache, dass das Stück zwei Teilhandlungen unterschiedlichen Charak-
ters enthält, sondern empfand die Vielfalt als Bereicherung. Er störte sich
ebenfalls nicht an der Grausamkeit der PolymestorHandlung, wohl weil er
von Seneca her Ähnliches gewohnt war. Auch den belehrenden und erbau-
lichen Charakter der Handlung des Stückes hob er hervor, denn das
Schicksal Hekabes erinnere an die Unerbittlichkeit, mit der Fortuna gerade
die Hochstehenden ins Unglück zu stürzen pflege, und mahne zur Beschei-
denheit, und dasjenige Polymestors zeige, dass es eine höhere Macht gebe,
welche aus Habgier begangene Verbrechen schwer bestrafe.
Die Beliebtheit des Stoffes der Hekabe und der Troerinnen im 16.18.
Jahrhundert zeigt sich auch darin, dass damals einige mehr oder weniger
freie Bearbeitungen erfolgten, die teils an Euripides, teils an Seneca und
_____________
111 Inferno 30,20: forsennata latrò sì come cane.
112 Zusammen mit der Aulischen Iphigenie, zweisprachige Ausgabe Basel 1524. Hier
wie im folgenden stütze ich mich vor allem auf Heath (1987).
113 Löwen (1506 oder 1514), Wittenberg (1525/26).
114 Eur. poeta, Tragicorum princeps ...autore C. Stiblino, Basel 1562, 38.
Zur Rezeptionsgeschichte 61
teils an beide Dichter anknüpften. Ich nenne als Beispiele Robert Garniers
Troade, Wolfhart Spangenbergs Hecuba und Johann Elias Schlegels Tro-
janerinnen.
Garnier (154490) veröffentlichte seine Tragödie Troade im Jahre
1579; die erste Aufführung erfolgte wohl 1581. Dieses eindrucksvolle
Drama ist vor dem Hintergrund der grausam geführten französischen Reli-
gionskriege (156398) zu sehen. Den Franzosen der damaligen Zeit waren
durch eigene Erfahrungen die Schrecken des Krieges wohl vertraut. Zudem
fühlten sie sich mit den Trojanern besonders eng verbunden. Denn sie ver-
standen sich ähnlich wie die Römer der Zeit Vergils als Nachfahren derje-
nigen Trojaner, welche den Fall ihrer Stadt überlebt hatten. Francus, der
Begründer des Stammes der Franken, soll nach einer damals verbreiteten
Sage niemand anders gewesen sein als der wunderbar aus dem Untergang
Trojas gerettete Astyanax. Garnier selbst nennt denn auch die Trojaner in
der vorangestellten Widmung unsere Vorfahren.
Garnier schloss sich bei seinem dramatischen Schaffen eng an Seneca
an. Ebenso wie er stellte er sich formal in die antike Tradition, ließ also
dramatische Szenen in Sprechversen (meist Alexandrinern) mit Chor-
liedern in verschiedenen lyrischen Metren abwechseln. Ebenso wie er lieb-
te er wirkungsvolle Reden, aber auch zugespitzt formulierte Dialoge in
stichomythischer Form. Seine humanistische Gelehrsamkeit zeigte er gern
durch zahlreiche mythologische Anspielungen.
In seiner Troade folgte Garnier stofflich vor allem Senecas Troades,
übernahm aber auch aus den Troerinnen des Euripides die Kassandra-
Episode und aus der Hekabe die Polymestor-Handlung.115
Der erste Akt Garniers beginnt wie bei Seneca mit Klagen Hekabes
und des Chores der gefangenen Frauen über den Untergang der Stadt und
ihrer männlichen Bewohner (1256). Dann erfolgt ein Übergang zu der aus
den Troerinnen übernommenen Kassandra-Handlung. Kassandra feiert ihre
bevorstehende Hochzeit mit Agamemnon und kündigt an, dass sie durch
den von ihr mitverursachten Untergang Agamemnons den Tod ihres Vaters
rächen werde. Sie prophezeit die künftigen Leiden der Griechen auf ihrer
Heimfahrt und danach. Sie erklärt die Troer, die für die Verteidigung ihrer
Heimatstadt fielen, für glücklicher als die Griechen, die fern der Heimat
sterben mussten (313444). Sehr eindringlich und ausführlicher als in sei-
ner Vorlage lässt Garnier seine Kassandra die Bedingungen formulieren,
unter denen ein Krieg allein gerechtfertigt ist:
Toute guerre est cruelle, et personne ne doit
Lentreprendre jamais, sinon avecques droit:
Mais si pour sa defense et juste et necessaire
_____________
115 R. Garnier, La Troade, ed. J.-D. Beaudin, Paris 1999.
62 Einführung
danken, die sich besser mit der christlichen Lehre vereinbaren ließen. Bei
ihm sang der Chor über die Vergänglichkeit des Körpers und die Unsterb-
lichkeit der Seele, die sich frei von allen irdischen Sorgen ganz der Kon-
templation der heiligen Dinge hingeben könne (132376).
Am Straßburger protestantischen Gymnasium war es üblich, antike
Dramen in lateinischer oder griechischer Sprache aufzuführen. Im Jahre
1605 geschah dies mit der Hecuba, und zwar in der lateinischen Überset-
zung des Erasmus. Wolfhart Spangenberg (1567 bis etwa 1636) schrieb
dazu eine deutsche Übersetzung, die im gleichen Jahr gedruckt wurde.116
Sie diente als Verständnishilfe für den Teil des Publikums, welcher der
gespielten lateinischen Fassung nicht folgen konnte. Die Übersetzung ist in
schwerfälligen Knittelversen in einer Alltagssprache verfasst, wie sie eher
einer Komödie angemessen gewesen wäre. Spangenberg schließt sich eng
an Erasmus und damit an Euripides an. Es ist jedoch an seinem Text zu
erkennen, dass bei der Inszenierung einige Änderungen an der Vorlage
erfolgt sind. So gab man in einem ersten Akt der euripideischen Handlung
eine Vorgeschichte. Medusa, eine Tochter des Priamus, die als Gefangene
der Griechen vor der thrakischen Küste Schiffbruch erlitten hat, überbringt
Polydorus die Nachricht vom Fall Trojas. Dieser fordert von Polymestor
die Übergabe des für ihn aufbewahrten Schatzes, damit er Hecuba und ihre
Töchter aus der Gefangenschaft freikaufen könne; Polymestor jedoch wei-
gert sich und tötet seinen Schützling auf offener Bühne. Der Akt wird be-
lebt durch eine dem Volksgeschmack entsprechende Rüpelszene, in der
sich vier schiffbrüchige griechische Soldaten aus den Fluten retten,
Medusas an die Küste gespülten Geldkoffer finden und mit ihm zum
nächsten Wirtshaus gehen, um sich dort von ihren Strapazen zu erholen. Im
weiteren Verlauf des Stückes fällt es auf, dass die zentralen Ereignisse,
nämlich die Opferung Polyxenes und die Blendung Polymestors sowie die
Ermordung seiner Söhne, in zweifacher Form vergegenwärtigt werden,
nämlich zuerst durch eine Darstellung auf der Bühne und dann auch noch
durch Berichte des Talthybios und des Polymestor, die so zu Doubletten
des bereits auf der Bühne Vorgeführten werden. Das entsprach offenbar
den Wünschen des Straßburger Publikums, das nicht damit zufrieden war,
wenn über wichtige Ereignisse nur berichtet wurde, sondern sie mit eige-
nen Augen auf der Bühne sehen wollte.
In seinen voran- und nachgestellten Erläuterungen (S. 168f., 267f.)
fasst Spangenberg die Polymestor-Handlung ähnlich wie schon Stiblinus in
erster Linie als Warnung vor dem schweren Laster der Habsucht (Geiz,
wie er sagt) auf, die einen allgemeinen sittlichen Verfall dessen bewirke,
der sich ihr ergibt. Daneben sieht er das Stück ganz in der Weise des mit-
_____________
116 W. Spangenberg, Sämtliche Werke, 7, Berlin New York 1979, 111256.
64 Einführung
artigen Tragik dieses Stückes, die jedenfalls alle diejenigen, welche frei
von Vorurteilen gegen das Altertum seien, seine Schwächen vergessen
lasse. Mit dieser letzten Wendung spielt Brumoy auf die Querelle des
Anciens et des Modernes an, auf den Streit zwischen den Anhängern des
Altertums und denen der Neuzeit, die das damalige Frankreich so sehr
beschäftigte.
Auch Johann Jacob Reiske (1748) hatte manches an der Hekabe auszu-
setzen.121 Von den zehn Kritikpunkten, die er vorbringt, sind die meisten
irrelevant und lassen eine völlige Unkenntnis der Konventionen der atti-
schen Tragödie erkennen. Nur der zehnte Einwand hat Gewicht. Reiske
meinte, dass weder vom Schicksal Polyxenes noch von dem Polymestors
die tragödientypischen Emotionen erregt würden. Denn Polyxene sei un-
schuldig, und darum werde ihr Tod als gräßlich empfunden; Polymestor
dagegen werde als so ruchlos dargestellt, dass die Zuschauer kein Mitleid
mit ihm empfinden könnten. Reiske hätte es auch für besser gehalten, wenn
Euripdes die beiden Teilhandlungen umgestellt hätte; denn dann wäre der
Abschluss versöhnlicher gewesen.
Pierre Prévost (1786) legte bei der dritten Auflage des Werkes von
Brumoy eine vollständige Übersetzung der Hekabe sowie unter dem Titel
Examen de Hécube eine ausführliche Würdigung des Stückes vor.122
Dort kam er nach einer gründlichen Diskussion der Frage der Einheit der
Handlung zu dem Ergebnis, dass die Wirkung des Stückes in der Tat durch
die Zweiteiligkeit der Handlung beeinträchtigt werde. Er meinte ferner,
dass die beiden Teilhandlungen zu schnell und unkompliziert ihrem jewei-
ligen Ziel zustrebten. Auch die Einführung in die Handlung durch die Pro-
logrede des Geistes des Polydoros schien Prévost (wie auch schon Reiske)
nicht glücklich zu sein. Bei aller Kritik im einzelnen hielt er das Stück
jedoch im ganzen für bewundernswert. Die Charaktere der Polyxene, des
Odysseus und des Agamemnon schienen ihm sehr gut gezeichnet zu sein,
während Polymestors Charakter zu negativ dargestellt werde, als dass der
Zuschauer an seinem Schicksal Anteil nehmen könnte. In erster Linie be-
wunderte Prévost jedoch die in den beiden Teilhandlungen ganz unter-
schiedlichen, aber hier wie dort sehr eindrucksvollen Äußerungen der Mut-
terliebe Hekabes.123
Richard Porson (1792) stellte in seiner sehr ausgewogenen Beurteilung
der Hekabe fest, dass von den in der zeitgenössischen Dramentheorie ge-
forderten drei Einheiten in diesem Stück nur die Einheit der Zeit konse-
_____________
121 Reiske (1748). Seine Kritik der Hek. steht auf S. 54451.
122 P. Prévost, Examen de la tragédie dHéc. (s. S. 50 Anm. 94), 481505. Überset-
zung der Hek. auf S. 399481.
123 Prévost (wie vorige Anm.) 50005.
68 Einführung
quent beachtet werde.124 Denn die Handlung bestehe aus zwei Teilen, wo-
bei jedoch die Darstellung des Schicksals des Polydoros summa cum
probabilitate auf die des ähnlich leidvollen Schicksals seiner Schwester
folge, so dass der Zuschauer die beiden Teilhandlugen als eine Einheit
wahrnehme. Man könne allerdings einwenden, dass dieser enge Zusam-
menhang durch den Auftritt des Polymestor und die darauf folgende Ra-
chehandlung beeinträchtigt werde und dass es besser gewesen wäre, wenn
das Stück ohne diese Teilhandlung mit der Bestattung der beiden Ge-
schwister geschlossen hätte. Denn die Fortsetzung des Stückes bis zur
Bestrafung Polymestors beeinträchtige den einheitlichen Charakter der
Handlung Aber auf der anderen Seite habe Hekabe bei so vielen und gro-
ßen Leiden irgendeinen kleinen Trost verdient, und ein solcher Trost wer-
de ihr durch die Bestrafung Polymestors gewährt.125 Die Fortsetzung be-
wirke also in dieser Hinsicht einen Gewinn, der freilich erkauft werde
durch die Unklarheit über den Ort der Handlung. Letzteres sei allerdings
ein Fehler, der nur dem Denkenden und nicht dem Miterlebenden auffalle,
also nur dem Leser und nicht dem Zuschauer.126
Kritik übte Porson auch an der Gestaltung des Prologs.127 Er meinte,
dass es besser gewesen wäre, wenn der Dichter auf den Auftritt des Geistes
des Polydoros verzichtet hätte. An seiner Stelle hätte Hekabe sehr gut die
Einführung in die Voraussetzungen der Handlung übernehmen können.
Hierbei verkannte er allerdings, dass die beiden Teile des Prologs gerade in
ihrer vorliegenden Form mit der unheimlichen Erscheinung des Geistes
und dem Bericht Hekabes über ihren Unheil ankündigenden Traum hervor-
ragend auf dieses düstere Stück einstimmen.
August Wilhelm Schlegel musste in seinen 1808 gehaltenen Vorle-
sungen über dramatische Kunst und Literatur das Werk des Euripides
schon darum negativ beurteilen, weil er ihn in seinem Schema der Ent-
wicklung der attischen Tragödie mit den drei Phasen Aufstieg Höhe-
punkt Verfall der Verfallsphase zuordnete.128 Man darf aber nicht über-
_____________
124 Porson (1792) 1921.
125 Ähnlich urteilt auch Pflugk (1829) 10, jedoch aus der Perspektive des Zuschauers.
Er meint, dieser solle den Schluss erleben confirmato animo ne in extremis
quidem miseriis desperandum esse neque impune a scelestis hominibus quamvis
imbecillos et miseros violari intelligeret.
126 Porson (1792) 21: Hoc tamen vitium magis cogitatione quam sensu percipimus.
127 ebendort 15.
128 A. W. Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur, 1, in: Sämtli-
che Schriften, hrsg. v. E. Böcking, Bd. 5, Hildesheim 1971. Behandlung der ein-
zelnen Stücke S. 15376, der Hek. 167f. Er knüpfte dabei an Gedanken seines
Bruders Friedrich an, der Eur. freilich noch differenzierter beurteilt hatte. Zu die-
sem Absatz und den beiden folgenden s. außer Heath (1987) auch Behler (1986)
und Sapienza (2003).
Zur Rezeptionsgeschichte 69
auch darin, dass die dortigen Lehrer bei der Auswahl der in der Schule
gelesenen Texte gern zu diesem Stück griffen, weil sie es für einen guten
Repräsentanten der Gattung hielten und für geeignet dazu, ihre Schüler an
diesem Text in die Tragödie einzuführen. Ein Beispiel für die Rezeption
der Hekabe in Frankreich ist ihre gründliche und gerechte Würdigung in
dem immer wieder aufgelegten Buch von Henri Patin, die für seine Beur-
teilung in diesem Land lange maßgebend gewesen sein dürfte.135
Anders als bei den geschlossener komponierten und von einer einheit-
lichen Handlung erfüllten Tragödien wie Medea, Hippolytos, Alkestis und
Bakchen, anders auch als bei den ähnlich gebauten Troerinnen ist es nur
recht selten zu Aufführungen der Hekabe gekommen. Neuerdings hat es
jedoch einige eindrucksvolle Inszenierungen des Stückes gegeben.136 Es ist
gut denkbar, dass ihm gerade wegen der starken Emotionen unterschied-
lichen Charakters, die es erweckt, noch eine große Zukunft auf der Bühne
beschieden ist.
Der Text der Hekabe ist wie der aller anderen attischen Tragödien als
Textbuch des Dichters und Regisseurs für die einmalige Aufführung im
Rahmen eines Dionysosfestes in Athen entstanden. Da die Tragödie eine
sehr populäre Dichtungsgattung war, kam bei den Athenern bald der
Wunsch auf, Abschriften der Texte zu erhalten, um sie nachlesen zu kön-
nen. Solche Abschriften müssen früh hergestellt worden sein, denn wir
besitzen immerhin den Text der Perser des Aischylos, von denen wir wis-
sen, dass sie im Jahre 472 aufgeführt wurden. Wir kennen sogar einzelne
Verse aus Stücken von Vorgängern des Aischylos, was vermuten lässt,
dass auch von ihnen schon Texte unter den Athenern verbreitet waren.
Solche Texte kursierten als Bücher in der damals üblichen Form, also als
Payprusrollen, die spaltenweise mit Tinte beschrieben waren. Sie wurden
hergestellt durch einzelne Schreiber, möglicherweise in Skriptorien, wo
mehrere Schreiber nach Vorlage oder Diktat die Texte reproduzierten. Die
Verbreitung der Bücher geschah durch Buchhändler, einen Berufsstand,
dessen Vorhandensein in Athen wir wohl schon für das ganze 5. Jahrhun-
_____________
135 Patin (1913) 1, 36392.
136 H. Flashar (Inszenierung der Antike, 2. Auflage, München 2009, 346) nennt vier
Inszenierungen im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren, und zwar in
München, Schaan/Liechtenstein, Cottbus und Memmingen, wobei er diejenige von
Dieter Dorn an den Münchener Kammerspielen (1999) mit Gisela Stein in der
Hauptrolle besonders hervorhebt.
72 Einführung
dert voraussetzen müssen, das auch im übrigen eine Zeit reicher literari-
scher Produktivität war.
Die in den Büchern wiedergegebenen und im Buchhandel verbreiteten
Tragödientexte dürften letztlich meist auf das Exemplar des Dichters zu-
rückgehen. Allerdings war die damals einzig mögliche Form der Verbrei-
tung durch Schreiber in hohem Maße fehlerträchtig. So war der Text in
erheblichem Umfang der Verderbnis ausgesetzt.
Ferner ist es nicht ausgeschlossen, dass manche Tragödientexte auch
auf Schauspielerexemplare zurückgingen, die bei Wiederaufführungen von
Stücken verwendet wurden, wie sie seit dem 4. Jahrhundert gebräuchlich
geworden sind. Auf diesem Wege können Veränderungen (Streichungen,
Zusätze, Umformulierungen) aus der Bühnenpraxis in die Texte einge-
drungen sein. Ausführlich handelt hierüber Page (1934), der allerdings
nach meiner Meinung einen übermäßigen Gebrauch von der Annahme von
Zusätzen macht, die durch Schauspieler im Dramentext vorgenommen
worden sein sollen.137 Im Text der Hekabe kenne ich jedenfalls keine Pas-
sage, bei der es sicher oder wahrscheinlich ist, dass sie das Resultat einer
Textänderung durch Schauspieler ist.
Die Zeit der größten Gefährdung der Tragikertexte war das Jahrhun-
dert vor dem Beginn ihrer systematischen Sammlung und ihrer Normie-
rung durch die Anlage eines athenischen Staatsexemplars auf Anordnung
des Lykurgos (etwa 330 v. Chr.).
Scholien
Nach der Gründung der Bibliothek von Alexandria (etwa 300280) erfolg-
te die philologische Betreuung des Euripidestextes durch die dortigen Ge-
lehrten wie Aristophanes von Byzanz und später durch Philologen wie
Dionysios und Didymos. Jetzt begann auch eine systematische Kommen-
tierung, deren Ergebnisse wir in den Scholien (schol.) finden. Die in der
Ausgabe von Eduard Schwartz zusammengefassten Scholia Vetera enthal-
ten die auf die Antike zurückgehenden Scholien. Die Hekabe gehört zu den
Stücken des Euripides, die am reichsten mit antiken Scholien ausgestattet
sind. Nur Phönizierinnen, Orestes und Hippolytos besitzen mehr davon.138
Da die Scholien, die dem Text einer Handschrift beigegeben sind, die-
sen Text kommentieren und diskutieren und auch gelegentlich Varianten
_____________
137 Hierzu kritisch Hamilton (1974).
138 Die Zahl der Seiten in der Ausgabe der Scholien von Schwartz beträgt für die
Phön. 171, den Or. 148, den Hipp. 134, die Hek. 82, die Andr. 76 und die Med. 74
Seiten. Auf Alk. und Tro. entfallen je 30 und auf den Rhes. 20 Seiten.
Textgeschichte und Textkonstitution 73
Papyri
Papyri ist die Sammelbezeichnung der meist auf dem Schreibmaterial Pa-
pyrus, in späterer Zeit gelegentlich auch auf Pergament oder auf Tonscher-
ben (Ostraka) geschriebene Reste antiker Handschriften, die man für die
Konstituierung der Texte heranziehen kann. Für die Hekabe liegen zur Zeit
12 solche Fragmente vor.140
Hinsichtlich der Zahl der bisher gefundenen Papyri von Stücken des Euri-
pides liegt die Hekabe damit zwar weit hinter Orestes und Phönizierinnen,
für die 24 bzw. 22 Papyri vorliegen, aber etwa gleichauf mit der Medea,
für die wir 13 Papyri besitzen.
Die Papyri stellen eine wertvolle Nebenüberlieferung dar, die das
Zeugnis der Handschriften ergänzt. Sie bieten neben vielen eigenen
_____________
139 Gewöhnlich mit dem Zusatz gr(áfetai kaí) es wird (auch so) geschrieben.
140 Diggle (1984) nannte noch zehn Papyri. Von diesen haben einige der Oxyrhyn-
chos-Papyri inzwischen ihre endgültigen Nummern erhalten. Weitere zwei Papyri
sind inzwischen für die Hek. hinzugekommen, nämlich P. Tebt. II 683 recto, veröf-
fentlicht durch F. Montanari, Rivista di Filologia e di Istruzione Classica 115
(1987), 2432, 44143 (P11), und P. Oxyrhynchos 4558 (P12). Mit dem von
Diggle (1984) noch als P4 zu V. 503f. angeführten Papyrus war P. Cambridge
Fitzwilliam Museum 2 gemeint, dessen Zuschreibung zweifelhaft ist; s. Diggles
Addenda et Corrigenda (T. III, 1994, 481). S. jetzt auch P. Carrara, I papiri
dellEc., Studi e testi di papirologia, n.s. 7 (2005) 14555.
74 Einführung
Fehlern interessante Textvarianten, die hin und wieder, wenn auch nicht
sehr häufig, dem Text der Handschriften überlegen sind. Dies ist in der
Hekabe z. B. in V. 1272 der Fall. Ich werde diese Papyri in meinem text-
kritischen Apparat überall dort zitieren, wo sie zur Konstituierung des
Textes etwas beitragen, sie aber nicht ausdrücklich erwähnen, wo sie we-
gen ihrer Lückenhaftigkeit als Textzeugen ausfallen.
Testimonien
_____________
141 Ähnlich umfangreiche Testimonienlisten gibt es auch für die beiden anderen Tri-
asdramen: Eur. Or. a cura di V. Di Benedetto, Florenz 1965, XXXXV (etwa 240
Passagen); D. J. Mastronarde J. M. Bremer, The Textual Tradition of Eur.
Phoin., Berkeley Los Angeles usw. 1982, 40229 (etwa 650 Passagen).
Textgeschichte und Textkonstitution 75
_____________
142 Da Va in V. 131 vielleicht kein Apographon des Originaltextes von V ist, sondern
des an seiner Stelle in V befindlichen jüngeren Ersatzblattes, scheint es mir besser
zu sein, Va für diese Verse nicht heranzuziehen. S. hierzu Matthiessen (1974) 126
Anm. 2.
Textgeschichte und Textkonstitution 77
_____________
143 Matthiessen (1974) 11621. Zu Diggles Auswahl von Hss. s. Diggle T. I (1984)
xiii und 33436.
144 Hierzu Matthiessen (1974) 6677, 89105.
78 Einführung
sprechend erscheint häufig die für die Übereinstimmung dieser drei Hand-
schriften verwendete Sigle x.
Angesichts dieser Überlieferungslage kommt dem Herausgeber eine
große Verantwortung zu. Die Entscheidung darüber, welche Variante den
Vorzug verdient, liegt letztlich bei ihm. Dabei mag es ihm zwar eine Hilfe
sein, ob die einzelne Variante in einer der älteren und zugleich auch besse-
ren Handschriften belegt ist (wie vor allem in MBHO und FGKPT), ent-
scheidend aber sollte für ihn die Qualität der Variante sein, ganz gleich, ob
sie in einer Handschrift des 10. oder einer des 14. Jahrhunderts überliefert
ist.145
Im Apparat führe ich im allgemeinen nur solche Varianten an, welche
in mindestens zwei der von mir regelmäßig herangezogenen Handschriften
bezeugt sind. Varianten, die sich nur in einer einzigen von ihnen finden,
erwähne ich nur, wenn sie für die Textherstellung von Interesse sind. Dabei
verwende ich die folgenden Abkürzungen.
codd. (codices) alle ständig zitierten Handschriften
rell. (reliqui) alle außer den ausdrücklich genannten
A Handschrift A von erster Hand im Text
Aac (ante correctionem) A vor der Korrektur (soweit erkennbar)
A1, A2 Korrektur in A von erster, zweiter Hand
Ac (corrector) Korrektur in A von unbestimmbarer Hand
As (supra lineam) erste Hand über der Linie, Variante oder Glosse
Am (in margine) auf dem Rand notiert oder nachgetragen
Agr (gráfetai kaì) Variante, als solche gekennzeichnet
Agl (glossema) Glosse (Worterklärung), als solche erkennbar
Ar (rubricator) Rubrikator (erste Hand, mit roter Tinte schreibend)
Auv (ut videtur) Text schwer lesbar, aber wahrscheinlich so zu deuten
Air (in rasura) Text an radierter Stelle
[A] A lückenhaft
korrigierte Stelle, alter Text nicht lesbar
_____________
145 Turyn (1952) 323: It appears that, within the genuine old tradition, no stemmatic
preferability can be deduced from the entire picture of the manuscript tradition;
D. Page, Aesch., Oxford 1972, viii: Quo plures codices contuleris, eo magis con-
firmatur hoc iudicium. Non stemmate igitur sed virtute in unoquoque codice est
unaquaque lectio iudicanda.
Textgeschichte und Textkonstitution 79
Bei meiner Textgestaltung stimme ich oft mit Diggle überein, der bei sei-
ner Ausgabe der Hekabe weitgehend auf meinen eigenen Handschriften-
studien aufbaut. Ich folge ihm auch bei der Behandlung der quisquiliae
orthographicae.146 Da er sich aber oft von der Überlieferung entfernt, bin
ich in vielen Fällen zu dem Ergebnis gekommen, es sei besser, an der
Überlieferung festzuhalten. Meine Entscheidungen habe ich im Kommen-
tar begründet. Dabei habe ich das Überlieferte durch Parallelstellen zu
sichern versucht. Eine Übersicht über meine Abweichungen von Diggle
findet sich auf S. 443. Wertvolle Hinweise habe ich dabei von seinen Re-
zensenten erhalten,147 ferner von Collard (1991), Kovacs (1988 und 1995),
Biehl (1997), Gregory (1999) und Synodinou (2005). Dabei habe ich mich
an dem Satz von Wilamowitz orientiert, dass die Textgeschichte der
Hekabe mit ihrer reichen handschriftlichen Überlieferung fast jede Konjek-
tur verbietet.148 Auch auf Murray kann ich mich berufen, der schreibt:
Plus interpretationis eget, me iudice, Eur. quam emendationis.149
Bei der Verszählung folge ich der Ausgabe von Aemilius Portus (Hei-
delberg 1597), der seinerseits die Kolometrie der Ausgabe von W. Canter
(Antwerpen 1571) zugrundelegt. Canter hat in den lyrischen Partien recht
kurze Kola abgeteilt, während die heutigen Metriker oft längere Kola abzu-
teilen pflegen. Das führt dazu, dass ich an vielen Stellen weniger Verse
zähle, so dass einige Verszahlen ausfallen. Ich gebe in der Regel bei jedem
fünften Vers eine Verszahl an, jedoch dort, wo die Zählung zweifelhaft ist,
setze ich noch weitere Zahlen hinzu. In den wenigen Fällen, wo zusätzliche
Verse abgeteilt werden oder Interjektionen außerhalb des Metrums stehen,
füge ich der Zahl des vorausgehenden Verses einen Buchstaben hinzu
(z. B. V. 174a, 1115a).
_____________
146 Siehe Diggle, Eur. Fabulae,T. I (1984) xiii; T. II (1981) viii-ix.
147 Ferrari (1986), Collard (1986), Kamerbeek (1986), Mastronarde (1988).
148 Wilamowitz (1959) 1, 217.
149 Murray, Eur. Fabulae (1902) T. I, xi.
Kritische Edition und Übersetzung
Die antiken Einführungen (Argumenta)
I
UPOQESIS EURIPIDOU EKABHS
Metà tæn ¯Ilíou poliorkían oi mèn ÷Ellhneß ei¬ß tæn a¬ntipéran
tñß Trw¸ádoß Cerrónhson kaqwrmísqhsan· ¯Acilleùß dè nuktòß
oraqeìß sfágion h¢¸tei mían tøn Priámou qugatérwn. oi mèn ou®n
÷Ellhneß timønteß tòn hçrwa Poluxénhn a¬pospásanteß ¿Ekábhß
e¬sfagíasan. Polumästwr dè o tøn Qra¸køn basileùß eçna tøn 5
Priamidøn Polúdwron e¢sfaxen. ei¬läfei dè toûton parà toû
Priámou o Polumästwr ei¬ß parakataqäkhn metà crhmátwn.
aloúshß dè tñß pólewß katasceîn au¬toû boulómenoß tòn
ploûton foneúein wçrmhse kaì filíaß dustucoúshß w¬ligårhsen.
Inscriptio upóqesiß eu¬ripídou ekábhß FRwYv : up- ek- eu¬r- PlR : eu¬r- up- ek-
GXXb :up- toû drámatoß eu¬r- ek- Zc : up- poludårou Pr : auçth dé e¬stin h up-
SSa : om. PaS´XaYv : [A]
1 i¬líou AGRwx : tñß i¬l- rell. tæn AGx : tò FRwYvZc : tà PaPlSSa : tòn R
a¬ntipéran AGxZc : a¬ntípera rell. 2 tñß om. AGPax cerrónnhson AGPlsx :
-näsou Pl rell. kaqwrmísqhsan rell. : -årmisan FYvb : -årmhsan YvaZc
3 sfágion h¢¸tei PaRRwSSaYvZc : sf- h¢toi FPl : sfagñnai h¬xíou AGx
priámou qugatérwn AGx : qug- toû pri- PaRwSSa : qug- pri- FPlRYvZc oi
mèn ou®n S´ rell.: kaì oi mèn YvZc : kaì oi F : oi mèn SSaXa 5 o om.
FPaRRwYvZc 6 katésfaxen AGx 7 e¬n parakataqäkh¸ PaPlRRwSSa
8 pólewß S rell. : troíaß RXa : po- tr- PlS´ au¬toû boulómenoß tòn ploûton S
rell. : b- au¬- t- pl- PlRS´ : tòn crusòn b- FYvZc 9 foneúein rell. : toû f- tòn
paîda FYvZc dustucoúshß rell. : -oûß AGRx : o dústhnoß FYvZc
Die antiken Einführungen (Argumenta)
I
Der Stoff der Hekabe des Euripides
Nach der Einnahme Trojas brachen die Griechen zur ChersonēӘs an der
Troja gegenüber liegenden Küste auf. Achilleus erschien in der Nacht und
forderte als Schlachtopfer eine der Töchter des Priamos. Die Griechen
fürchteten den Zorn des Helden, rissen Polyxene von Hekabes Seite und
schlachteten sie. [5] Polymestor aber, der König der Thraker, tötete einen
der Priamossöhne namens Polydoros. Er hatte ihn von Priamos empfangen,
damit er ihn zusammen mit Schätzen bei sich aufnähme. Aber als die Stadt
gefallen war, wollte er dessen Reichtümer bekommen und machte sich
daran, ihn zu töten, und kümmerte sich nicht mehr um die in Not geratenen
Freunde.
84 Argumenta
Er warf [10] den Leichnam in das Meer, und die Brandung warf ihn bei
den Zelten der Kriegsgefangenen an Land. Hekabe sah den Leichnam und
erkannte ihn. Sie tat sich mit Agamemnon zusammen und ließ Polymestor
mit seinen Kindern zu sich kommen, ohne das Geschehene ihm gegenüber
zu erwähnen, und zwar unter dem Vorwand, sie wolle ihm Schätze zeigen,
die noch in Troja lägen. Als sie zu ihr gekommen waren, tötete sie seine
[15] Söhne und beraubte ihn seines Augenlichts. Vor den Griechen hielt sie
eine Rede und besiegte ihn, der als ihr Ankläger auftrat. Denn es wurde
entschieden, dass nicht sie mit der Gewalt angefangen habe, sondern dass
sie sich an dem gerächt habe, der damit begonnen hatte.
86 Argumenta
II
<ARISTOFANOUS GRAMMATIKOU UPOQESIS>
II
<Inhaltsangabe des Grammatikers Aristophanes>
Der Ort der Handlung liegt auf der Chersonēs an der Troja gegenüber
liegenden Küste. Der Chor besteht aus kriegsgefangenen Frauen. Den
Prolog spricht der Geist des Polydoros.
Die Geschichte der Polyxene kann man auch bei Sophokles in seiner
Polyxene finden. [5] Die Personen der Handlung: der Geist des Polydoros,
Hekabe, Chor kriegsgefangener Frauen, Polyxene, Odysseus, Talthybios,
Dienerin, Agamemnon, Polymestor.
88 Argumenta
III
III
Prologrede (158)
Poludårou ei¢dwlon
÷Hkw nekrøn keuqmøna kaì skótou púlaß
lipån, içn ÷Aidhß cwrìß w¢¸kistai qeøn,
Polúdwroß, ¿Ekábhß paîß gegß tñß Kisséwß
Priámou te patróß, oçß m, e¬peì Frugøn pólin
kíndunoß e¢sce dorì peseîn ¿Ellhnikø¸, 5
deísaß upexépemye Trwïkñß cqonòß
Polumästoroß pròß døma Qrh¸kíou xénou,
oÇß tänd a¬rísthn Cersonhsían pláka
speírei, fílippon laòn eu¬qúnwn dorí.
Prologrede (158)
Der Geist des Polydoros
Ich kam, das Tal der Toten und des Dunkels Tor verlassend,
wo Hades abseits von den Göttern wohnt,
Polydoros, Sohn der Hekabe, der Kisseustochter,
und des Vaters Priamos. Der sandte mich, als der Phryger Stadt
durch den Hellenenspeer zu fallen drohte, 5
heimlich aus Furcht vom Troerland
zum Hause Polymestors, seines thrakischen Gastfreunds,
der dieses reiche Land, die Chersonēs, bestellt
und das rossefrohe Volk mit seinem Speere lenkt.
92 Prologrede (158)
Papyrus: P4 (28)
t
Codices: MO, AFGKLPPaRRwSSa, x = XXaXb, z = Z Zb(28) ZcZm Zu(18); T
11 pésoi PsZcac rell : -h¸ PRwZcc 13 neåtatoß F rell., Lex. de Spiritu : -teroß
OFs h® Didymus, cf. schol. Sa : h®n codd., Lex. de Spiritu oÇ RxZ rell.: w©¸
FRgrSaxsZ2 15 oi©óß M2Rc rell. : oi©ß MR h® Didymus : h®n codd. 16 orísmata
codd. : e¢keit e¬reísmata Scaliger 18 eu¬túcei rell. : hu¬t- FGLPPaRwz 19 xénw¸
rell. : fílw¸ LP (etiam MglFglGglRglRwgl Sgl), cf. v. 794, 1235 21 a¬póllutai PZac
rell., Eust., Thom. Mag. (codd. rell.) : -åleto GP2PaxZ2Tt, schol. rec., Thom. Mag.
(cod. Lb) 23 te rell. : dè AFPaRwxTt qeodmätw¸ Mgr rell. : liqo- M 26 xeînoß
APRSa 28 a¬ktaîß rell. : -ñß MOZm
Verse 1029 93
Papyrus: P4(44)
Codices: MO, AFGKLPPaRRwSSa V(32), x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt
30 a¢klautoß LPa : -stoß rell. a¢kl- a¢t- MAFGKSxTt : a¢t- a¢kl- rell.
cersonhsía¸ Brunck : cerro- codd., cf. v. 8 34 e¬mæ PacRwc rell. : e¬mà RRwacSa :
e¬moû Z : e¬moì Pa 35 d rell. : t MFGRwS 36 qrh¸kíaß RgrSagr rell. : trwïkñß
RSa 38 ellhnikón M rell. : a¬caïkón Mgr 39 e¬nalían MV : ei¬n- M3 rell.
gr gr gr
44 tø¸d e¬mæn e¬n h¢mati M OAR Sa V : tæn e¬mæn tñ¸d hméra¸ M Lc(tñ¸d hméra¸
Lcir) RSaV3uv rell. 45 dúo OacZbZcsZmc rell. : dúw O1AFLRSaVZZb1ZcZmac
46 te alterum om. SSaXa, add. Xas : kaì tñß Sas : dè Ss
Verse 3049 95
feû· 54a
w® mñter, hçtiß e¬k turannikøn dómwn 55
doúleion h®mar ei®deß, wß prásseiß kakøß
oçsonper eu® pot· a¬ntishkåsaß dé se
fqeírei qeøn tiß tñß pároiq eu¬praxíaß.
dass ich ein Grab erhalte und in meiner Mutter Hände falle. 50
Was mich betrifft, das wird so sein, wie ich es erlangen wollte,
jedoch der greisen Hekabe will ich aus dem Wege gehen.
Denn sie setzt dort aus Agamemnons Zelt ihren Fuß,
aus Furcht vor meinem Traumbild.
Weh, 54a
meine Mutter, die du nach dem königlichen Palast 55
den Tag der Knechtschaft sahst! So schlimm ergeht es dir
wie einst so gut. Zum Ausgleich
für dein Glück zuvor verdirbt dich jetzt ein Gott.
98 Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59215)
¿Ekábh
ºAget, w® paîdeß, tæn graûn prò dómwn,
a¢get o¬rqoûsai tæn omódoulon, 60
Trw¸ádeß, umîn, prósqe d a¢nassan,
lábete férete pémpet a¬eíreté mou
geraiâß ceiròß proslazúmenai· 63
ka¬g skoliø¸ skípwni ceròß 65
diereidoménh speúsw bradúpoun
h¢lusin a¢rqrwn protiqeîsa.
w® steropà Dióß, w® skotía Núx,
tí pot ai¢romai e¢nnucoß ouçtw
deímasi fásmasin; w® pótnia Cqån, 70
melanopterúgwn mâter o¬neírwn,
a¬popémpomai e¢nnucon o¢yin,
hÇn perì paidòß e¬moû toû sw¸zoménou katà Qrä¸khn 73
e¢stai ti néon·
hçxei ti méloß goeròn goeraîß.
ou¢pot e¬mà fræn w©d a¬líaston 85
fríssei tarbeî.
Córoß
¿Ekábh, spoudñ¸ pròß s e¬liásqhn
tàß desposúnouß skhnàß prolipoûs,
içn e¬klhråqhn kaì prosetácqhn 100
doúlh, pólewß a¬pelaunoménh
tñß ¯Iliádoß, lógchß ai¬cmñ¸
doriqäratoß pròß ¯Acaiøn,
ou¬dèn paqéwn a¬pokoufízous
a¬ll a¬ggelíaß bároß a¬raménh 105
méga soí te, gúnai, kñrux a¬céwn.
e¬mâß a¬p e¬mâß ou®n Bothe 98 s M2LcP1 rell. : om. MLPPaRRwVZm 99 despo-
súnouß Z2 rell., Lex. Vind. : -aß OKZac 105 a¬raménh LPaPrsRSasxZ2 : -ména
MOAPrSa : a¬roménh V : a¬rwménh S : ai¬roménh LcPzTt : -ména FacGKRw :
ai¬raména Fc
Verse 90106 103
Chor
Hekabe, eilig schlich ich mich zu dir,
die Zelte der Herren verließ ich,
wo ich verlost und zugeteilt wurde 100
als Sklavin, aus der Stadt Ilion
weggetrieben, erbeutet
durch die Lanze von den Achäern.
Ich kann dir nicht deine Leiden erleichtern,
sondern bringe dir, Frau, die große Last einer Botschaft 105
als Herold von Schmerzen.
104 Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59215)
Testimonia: 127 ou¬k e¬fáthn Hesychius O 1719 131 prín 132 Etymologicum
Genuinum (AB) s. v. kópiß (unde Etymologicum Magnum 529,25)
131 poikilófrwn Eustathius Od. 1381,39 132 kópiß ~schol. in Lycophronem
1464 132 dhmocaristæß schol. AT in Iliadem 2,199, ~Eustathius Il. 201,24
141 Lexicon Vindobonense 133,8
und das Bett der Kassandra, sagten sie, dürfe man nie
der Lanze des Achilleus voranstellen.
Hek. O ich Unglückliche, was soll ich denn ertönen lassen, 154
welchen Laut, welche Klage? 155
Ich bin erbärmlich wegen meines erbärmlichen Alters,
meiner Knechtschaft, die nicht zu erdulden,
nicht zu ertragen ist, wehe, weh mir!
Poluxénh
mâter mâter, tí boâ¸ß, tí néon
karúxas oi¢kwn m wçst o¢rnin
qámbei tø¸d e¬xeptáxaß;
Ek. oi¢moi téknon. 180
Px. tí me dusfhmeîß; froímiá moi kaká.
Ek. ai¬aî sâß yucâß.
Px. e¬xaúda· mæ krúyh¸ß darón,
deimaínw deimaínw, mâter.
tí pot a¬nasténeiß; 185
Ek. téknon téknon meléaß matróß
Px. tí tód a¬ggélleiß;
Ek. sfáxai s ¯Argeíwn koinà
sunteínei pròß túmbon gnåma
Phleía¸ génna¸. 190
Px. oi¢moi, mâter, pøß fqéggh¸;
a¬mégarta kakøn mánusón moi,
mánuson, mâter.
181 me rell. : moi LPZZcZm : om. OFPrV moi As rell. : om. APrZZbZu, schol.le V
182 ai¬aî ai¬aî GKZcTt yucâß ZbacZcac rell. : y- péri FPRwZZb2sZc1ZmTt (cf.
perí MglKglVgl) 186 téknon téknon Hermann : w® t- t- rell. : w® t- w® paî Tt
matróß A K Sa rell. : matéroß Tt : mhtróß AacKacLSSas : mrß Pr 187 tí codd. :
1 1
Polyxene
Mutter, Mutter, was rufst du? Welche schlimme Neuigkeit
verkündest du, warum hast du mich wie einen Vogel
mit diesem Schreck aus dem Haus aufgescheucht?
Hek. Weh mir, Kind! 180
Plx. Was sagst du mir Unheil an? Das ist mir ein schlechtes Vorwort.
Hek. O weh für dein Leben!
Plx. Sprich es aus, verbirg es nicht lange!
Ich fürchte mich, ich fürchte mich, Mutter:
Was stöhnst du auf? 185
Hek. Kind, Kind einer unglücklichen Mutter!
Plx. Was kündest du an?
Hek. Dich zu schlachten, darauf zielt der gemeinsame
Beschluss der Argiver, am Grab
für den Peleussohn. 190
Plx. Weh mir, Mutter, wie sprichst du?
Unsägliches Leid zeig mir an,
zeig an, Mutter!
114 Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59215)
1. Epeisodion (216443)
¯Odusseúß
gúnai, dokø mén s ei¬dénai gnåmhn stratoû
yñfón te tæn kranqeîsan· a¬ll oçmwß frásw.
e¢dox ¯Acaioîß paîda sæn Poluxénhn 220
sfáxai pròß o¬rqòn cøm ¯Acilleíou táfou.
hmâß dè pompoùß kaì komistñraß kórhß
tássousin ei®nai· qúmatoß d e¬pistáthß
iereúß t e¬pésth toûde paîß ¯Acilléwß.
1. Epeisodion (216443)
Odysseus
Frau, ich glaube, du kennst die Meinung des Heeres
und den gefassten Beschluss. Dennoch werde ich ihn verkünden.
Die Achäer haben beschlossen, deine Tochter Polyxene 220
auf dem hohen Grabhügel des Achilleus zu schlachten.
Uns beauftragen sie, das Mädchen zu geleiten
und herbeizubringen. Als Leiter dieser Opferung
und Priester wurde der Sohn des Achilleus eingesetzt.
Weißt du, was du tun sollst? Lass sie dir nicht mit Gewalt 225
entreißen
und lass dich nicht auf ein Handgemenge mit mir ein!
Denk an deine Kräfte und die Not, in der du bist!
Weise ist es, auch im Unglück das zu denken, was man muss.
Hek. Weh weh, mir steht, so wie es scheint, ein großer Kampf bevor,
voll Seufzer und nicht frei von Tränen. 230
120 1. Epeisodion (216443)
Papyrus: P11(231)
Codices: MO gV(253), AFGKLPPaPrRRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu,
Tt
231 ka¢gwg a¢r L. Dindorf : ka¬g gàr codd. 236 sè mèn a¬meíbesqai
Herwerden : soì mèn ei¬rñsqai codd. : sè mèn e¬rwtâsqai Weil 240 t alterum
Ms rell. : d L : om. MA 243 kateîp e¬moí Brunck : kateîpé moi codd. 245 dè
Zu1 rell. : te MRZuac 246 wçste qaneîn FRwS péploiß FKSaXa 247
48 desunt in AVa, add. Ar : post v. 250 habent RS (huc posuerunt etiam Diggle,
Kovacs) 248 ge rell. : te FSa : om. ArR : [AVa] 249-50 desunt in G, add. Gm
253 kakøß F1 rell. : -òn FacZ dúnh¸ codd. : dúna¸ Porson
Verse 231253 121
Papyrus: P3(25456)
Codices: MO gV(257) AFGKLPPaPrRRwSSa V(257) Va(256), x = XXaXb,
z = ZZbZcZmZu, Tt
255 zhteîte P3 gignåskoisq e¬moí P3 256 frontízete P3 LPagrSSagrZcsZu1ir
rell., Chr.Pat., Lex.Vind. : gi(g)nåskete MAFKL2grPaSsSaZc 257 léghté GcZuc
rell., Lex Vind. : -oité FGSaZZcZuacZus 258 dæ om. LZ 260 crä Nauck : crñn
codd., Eust., Thom.Mag. : creån Scaliger a¬nqrwposfageîn rell., Eust. Od.,
Thom.Mag. : -ktoneîn PPrx, schol. MV, Eust. Il. 263 tínei MAPrR 264 ou¬dén
g AR hçde g Pa1Sac rell. : hçd MFKPaacScSaZc 265-66 del. Kovacs 265 crñn
Zmac rell. : cræ AeFPrRwXbZZm1Tt : [A] prosfágmata OGKPPaSacSaxZ
Zb T : prósfagma AeF rell. : -má ti F V : -má te S2 : [A] 266 a¢gei A rell. : -oi
ac t 1 2
Ihr undankbare Brut, ihr alle, die ihr als Redner beim Volk
nach Ehre strebt! Von euch will ich nichts wissen. 255
Es macht euch nichts aus, euren Freunden zu schaden,
wenn ihr der Menge nach dem Munde redet.
parh¸ádoß Fac : pareiádoß L2mSac rell. (cf. v. 410) : [A] 275 e¬g Sc rell. : t e¬g
FSa : ka¬g Sac 276 t Kc rell. : d MKac 277 cerøn AeL2PrsZ rell. : ceirøn
GPaZr : ceiròß V : cròß L : ceròß AesPr : [A] 278 teqnhkótwn Ks rell. :
-eåtwn KP 279 ~Or. 66, delevit Hartung 283 práxein gV FPaS rell. Stob. :
-ssein SsVZcZu : -ttein F2sGPagrxTt 284 h® Didymus : h®n codd. 285 m om.
FKZu 287 a¬caiikòn OKXXaXbcTt : -aïkòn Xbac rell.
Verse 269287 125
Testimonia: 337 pásaß 338 ieîsa ~Eustathius Od. 1875,46 34244 ~Eusta-
thius Il. 129,14 342343 ceîra schol. rec. in v. 762 345 péfeugaß Día
~Eustathius Il. 950,64
Imitatio: 34648 Cleanthes Stoicus fr. 527,34 SVF
Testimonia: 374 kat a¬xían Hesychius K 1309 37578 Stobaeus 3,30,3 375
76 Eustathius Macrembolites 8,14,2 376 Lexicon Vindobonense 187,10 377
78 Stobaeus 4,53,20, Apostolius 8, 8384 378 ~schol. in Aesch. Sept. 70204b
Smith 37981 Stobaeus 4,290,5
Cho. Gewaltig ist die Prägung und leicht zu bemerken bei den
Menschen,
die von Edlen stammen, und ein noch größerer Ruhm 380
des Adels kommt denen zu, die seiner würdig sind.
durchbohrt mich, schont mich nicht! Denn ich gebar den Paris,
der Thetis Sohn mit seinem Bogen tötete.
Od. Nicht dass du stirbst, du alte Frau, verlangt
Achilleus Geist von den Achäern, sondern sie. 390
Hek. So tötet mich dann wenigstens zusammen mit der Tochter;
zweimal so groß wird dann der Bluttrank sein
für die Erde und den Toten, der es verlangt.
Od. Genug ist deiner Tochter Tod; es soll nicht noch ein
anderer hinzukommen.
Wenn doch auch dieser nicht nötig wäre! 395
Hek. Ich muss zusammen mit der Tochter sterben.
Od. Wieso? Ich wüßte nicht, wer mir Befehle geben könnte.
Hek. Wie der Efeu an die Eiche werde ich mich an ihr festklammern.
Od. Tu es nicht, wenn du dem folgst, der weiser ist als du!
Hek. Freiwillig lasse ich mein Kind nicht los. 400
Od. Auch ich geh nicht und lasse nicht das Mädchen hier.
Plx. Mutter, hör auf mich! Und auch du, Laertes Sohn,
hab Nachsicht mit der Mutter, die zu Recht erzürnt ist!
Du Arme, wehre dich nicht gegen die Mächtigen!
Willst du auf den Boden stürzen, deinen greisen Leib 405
verletzen lassen, mit Gewalt gestoßen
140 1. Epeisodion (216443)
: om. rell. kára péploiß rell. : kára péplon K : kára¸ péplouß Kirchhoff (cf.
schol. rec. periqeìß tñ¸ e¬mñ¸ kára¸ tà
pépla) 434 tände t rell. : tände g
LZu : tänd OSa 435 gàr sòn rell. : gàr tò sòn Zb : sòn gàr FPr : sòn A : gàr
Rw 438 oi£ ¯gå Pa, cf. v. 676 : oi£ e¬gå rell. dé om. ARRwSa mou Zc rell. : moi
OKSSaVZcs 440 fílai RRwZms rell. : -h RwsZZcsZus : -a RsZcZmZu
Verse 424440 143
Hek. Weh mir! Ich schwinde dahin, meine Glieder lösen sich.
O Tochter, fass die Mutter an, streck die Hand aus,
gib sie, lass mich nicht kinderlos zurück! ich bin verloren, 440
ihr Lieben.
144 1. Epeisodion (216443)
Testimonia: 442 dià 443 Eustathius Il. 206,5, 397,40, Od. 1401.27
1. Stasimon (44483)
1. Stasimon (44483)
Oder werde ich mit dem Ruder, das die Salzflut 455
durchfährt, geleitet, zu einem Hafen auf den Inseln kommen,
die ich ein unglückliches, jämmerliches Leben
führen werde, unbehaust,
wo die zuerst geborene Palme
und der Lorbeer ihre heiligen
Zweige erheben, der Leto lieb, 460
ein Denkmal für die Geburt der Kinder des Zeus?
Werde ich mit den Mädchen von Delos
der Göttin Artemis 463
goldenes Stirnband und Bogen preisen? 465
150 1. Stasimon (44483)
2. Epeisodion (484628)
Talqúbioß
Poû tæn a¢nassan dä pot ou®san ¯Ilíou
¿Ekábhn a£n e¬xeúroimi, Trw¸ádeß kórai; 485
Co. auçth pélaß soû nøt e¢cous e¬pì cqoní,
Talqúbie, keîtai sugkeklh¸ménh péploiß.
2. Epeisodion (484628)
Talthybios
Wo kann ich die einstige Herrin Ilions
Hekabe finden, ihr Troermädchen? 485
Cho. Sie liegt hier vor dir, den Rücken auf der Erde,
Talthybios, fest eingehüllt in ihr Gewand.
Ta. O Zeus, was soll ich sagen? Dass du auf die Menschen schaust
oder diesen Ruf nichtig, vergeblich hast
[erlogen, weil man meint, es gäbe das Geschlecht der Götter,] 490
und Tyche über alles bei den Menschen Aufsicht führt?
Ist die hier nicht die Herrin der goldreichen Phryger,
ist die hier nicht die Gattin des sehr vermögenden Priamos?
Und jetzt ist die ganze Stadt zerstört durch den Speer,
sie selbst ist Sklavin, Greisin, kinderlos, liegt auf der Erde, 495
das arme Haupt mit Staub besudelt.
Weh weh, ich bin ein alter Mann, doch möcht ich eher sterben
als in ein schmähliches Unglück zu geraten.
Testimonia: 562 Eustathius Il. 800,27 568 h 570 schol. in Clem.Al. Paed. 2,10
(p. 332,26 Stählin), ~Clem. Al. Strom. 2,23 (p. 192,17 Stählin) 568 qnä¸skous
570 Hermogenes Inv. 4,12 (p. 204,11 Rabe) 568 h 569 Galenus 18,2 (p. 8
Kühn), Lucianus Dem. Enc. 47, ~P. Herculanensis 831 col. I (SBWien
80,1876,756) 569 Plinius Ep. 4,11,9, ~Hierocles Stoicus p. 25,17 ed. v. Arnim,
~Galenus 14 (p. 236 Kühn) 570 ~Eustathius Il. 216,7, ~Clem. Al. Paed. 2,10 (p.
221,9 Stählin)
und zeigte Brust und Busen wie von einer Statue, 560
sehr schöne, ließ das Knie zur Erde nieder
und sprach die allerunglücklichsten Worte:
Sieh her, junger Mann, wenn du die Brust
zu treffen vorhast, schlag zu, doch wenn den Hals,
ist meine Kehle hier bereit. 565
Der aber, entschlossen und auch nicht aus Mitleid mit dem
Mädchen,
schnitt mit dem Eisen durch des Atems Durchgang,
und die Quellen flossen. Und noch im Sterben
gab sie acht darauf, mit Anstand zu fallen,
und verbarg, was man vor Männeraugen bergen muss. 570
Als sie den Geist aufgegeben hatte nach dem tödlichen Schlag,
da tat keiner der Argiver das gleiche:
162 2. Epeisodion (484628)
Cho. Furchtbar wallte dieses Leid auf gegen das Haus des Priamos
und gegen meine Stadt durch göttliche Notwendigkeit.
Hek. Meine Tochter, ich weiß nicht, auf welches Unglück ich
blicken soll, 585
weil es so viele gibt. Wenn ich an eins mich halte,
164 2. Epeisodion (484628)
Testimonia: 602 schol. T Il. 6,351 603 taûta máthn Eustathius Il. 930,42
607 Dio Chrysostomus 32,86 607 o¢cloß Synagoge (cod. B) A 740 (unde
Photius Lexicon A 780) 607 nautikä 608 puróß Eustathius Il. 55,19,
~Eustathius Macrembolites 7,13,1 612 ~Eustathius Macrembolites 11,5,3
613 wß póqen Thomas Magister 274, 7
Imitatio: 603 Poeta anonymus (An.Par. 4,347,17)
Papyrus: P6 (60407)
Codices: MBO gV(602), AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZc
ZmZu, Tz
601 máqh¸ rell., schol. MBV, Stob. : -oi GPaRRfRwSV 602 g F3 rell., Stob.,
ac
schol. T Il. : d F PrR maqån codd. : staqmøn Wakefield : metrøn Porson
603 e¬tóxeuse(n) FSSa rell., schol. V, schol.le Sa, Eust., An. Par. : e¬xet- FcPPaRRw,
schol.le S 604 sämanon FSa : sämeinon ZZb 605 moi Dr (coniecit Schaefer) :
mou Lc rell., schol. MB : om. L 606 e¢n toi GKVgr rell. : e¬n gàr GrKsLV : e¢n ti
Rf : e¢nqen toi Sa 607 a¬narcía codd., Eust. Il., Eust. Macr. : a¬taxía Dio Chrys.
609 teûcoß MacBOGK2grRxTt : ta¢ggoß M3MsB3OsKRfSaTz rell. (a¢ggoß etiam
O2glSglSagl, a¬ggeîon MglGglRgl): tw¢ggoß P : téggoß Rgr : tágkoß PaPrRfcS látri
Vc rell. : -h RfRw : -iß VacZc 610 e¢negke Paac rell. : -kai KPPa1xZb 613 a¬xía
rell., schol.in MBV : -an BFPPrRwSaz, Thom. Mag. póqen M rell. : tuceîn
MgrOSagl
Verse 601613 167
die Lehre edlen Handelns. Wenn jemand dies aber gut gelernt hat,
kennt er das Schlechte, das er mit des Guten Maßstab erfasst.
Testimonia: 619 oi¢kwn Lexicon Vindobonense 168,10 62223 Orio Flor. 8,16
Haffner 623 ei®ta o¬gkoúmeqa Theodorus Metochites p. 183 KiesslingMüller
627 keînoß 628 Tzetzes Exeg. in Iliadem (145,5 Hermann)
Imitatio: 627 keînoß 628 Ennius Hec. fr. 212 Warmington = inc. fab. fr. 354
Klotz
Das könnte ich nicht! Doch wie ich es kann (Was bleibt
mir denn sonst übrig?),
will ich Schmuck sammeln von den Kriegsgefangenen, 615
die mit mir im Zelt darinnen
wohnen, wenn eine heimlich vor den neuen Herren
etwas aus ihrem eigenen Haus gestohlen hat.
2. Stasimon (62956)
Testimonia: 635 tàn 637 Eustathius Il. 397,37 63839 schol. in Aesch. Sept.
121 b Smith 640-41 kakòn ~Eustathius Il. 42,2, ~397,15 646 boútaß
Hesychius B 988
2. Stasimon (62956)
e¬pì dorì kaì fónw¸ kaì e¬møn meláqrwn låba¸. e¬pw¸d. 648
sténei dè kaí tiß a¬mfì tòn eu¢roon Eu¬råtan 650
Lákaina poludákrutoß e¬n dómoiß kóra,
polión t e¬pì krâta máthr téknwn qanóntwn 652
tíqetai céra drúptetai pareián, 655
díaimon o¢nuca tiqeména sparagmoîß. 656
Papyrus: P7(651)
Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tt
650 eu¢roon Hermann : eu¢rroon Sa : eu¢rron S : eu¢roun SagrZb rell. : eu¢rroun
FPPaRfRwSsVZb1 652 polión vel poliòn V2s rell. : polián vel poliàn
LPrRfRwVz, schol. V t rell. : d LPVZZbZmZu máthr MOASSaZbZcZmZu
Tt : mhr Z : mäthr rell. 655 tíqetai céra delevit Biehl drúptetai Zcac rell. :
-taí te AFGKPPaxZbZc1Zm et fortasse P7 : -tai dè V : -taí te <díptucon> vel
-taí t <a¬qlían> Diggle 656 díaimon BO rell. : dídumon B3grO2gr tiqeménh
PPrRfZu sparagmoîß fortasse om. P7
Verse 648656 173
3. Epeisodion (658904)
Qerápaina
Gunaîkeß, ¿Ekábh poû poq h panaqlía, 658
h pánta nikøs a¢ndra kaì qñlun sporàn
kakoîsin; ou¬deìß stéfanon a¬nqairäsetai. 660
Co. tí d, w® tálaina sñß kakoglåssou boñß;
wß ou¢poq euçdei luprá sou khrúgmata.
Qe. ¿Ekábh¸ férw tód a¢lgoß· e¬n kakoîsi dè
ou¬ rá¸dion brotoîsin eu¬fhmeîn stóma.
Co. kaì mæn perøsa tugcánei dómwn uçpo 665
hçd, e¬ß dè kairòn soîsi faínetai lógoiß.
Qe. w® pantálaina ka¢ti mâllon h£ légw,
déspoin, o¢lwlaß kou¬két ei®, blépousa føß,
a¢paiß a¢nandroß a¢poliß e¬xefqarménh.
Ek. ou¬ kainòn ei®paß, ei¬dósin d w¬neídisaß. 670
a¬tàr tí nekròn tónde moi Poluxénhß
hçkeiß komízous, h©ß a¬phggélqh táfoß
pántwn ¯Acaiøn dià ceròß spoudæn e¢cein;
Qe. hçd ou¬dèn oi®den, a¬llá moi Poluxénhn
qrhneî, néwn dè phmátwn ou¬c açptetai. 675
Papyrus: P7(669)
Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu,
Tt(670) Tz(671)
662 sou codd. : moi Herwerden 663 dè codd. : gàr P7 : om. Orio 665 uçpo
B3irZbZmac : uçper P7 OARfXmZrgrZcmZmcZu rell. : a¢po B3grO1A2sF PpaPr
RfsSaVxZZbrZcZusTt : om. S (cf. v. 53) 666 dè kairòn Zm1 rell. : kairòn dè
ac
ALPaxZ : kairòn MGRZbZm 667 ka¢ti Kir rell. : ka®ti BGPax : kaì e¢ti
MPrRRfRw V : ka¢pi SSa : e¢ti Rwac
1
668 kou¬két LcZmc rell. : ou¬két
ac ac
FL RfRwXaZZbZm kou¬kéti blépeiß fáoß O 672 a¬phggélqh XasXbc rell.
1 ac
-élh APaXXa Xb 673 ceiròß AG e¢cein SsV2gr rell.: -wn SsaV
Verse 658675 175
3. Epeisodion (658904)
Dienerin
Frauen, wo ist wohl Hekabe, die ganz unglückliche, 658
die jeden Mann und jedes Weibes Kind besiegt
im Unglück. Niemand wird ihr diesen Kranz bestreiten. 660
Cho. Was ist, du Unselige wegen deines schlimm tönenden Geschreis?
Denn deine schmerzliche Botschaft gibt keine Ruhe.
Die. Hekabe bringe ich dieses Leid. Im Unglück
fällt es nicht leicht, mit frommem Mund zu sprechen.
Cho. Hier tritt gerade aus dem Zelt 665
sie selbst, erscheint im rechten Augenblick für deine Nachricht.
Die. O ganz Unselige, und mehr noch, als ich sagen kann!
Herrin, du bist verloren, bist nicht mehr, wenn du auch leben magst,
ohne Kind, ohne Mann, ohne Stadt, dahingeschwunden.
Hek. Nichts Neues sagtest du, zu einer Wissenden sprachst du 670
schlimme Worte.
Aber was kommst du und bringst mir hier den Leichnam
Polyxenes, von deren Grab gemeldet war,
dass aller Achäer Hände sich darum bemühen?
Die. Die weiß noch nichts, nein, um Polyxene
weint sie noch immer; das neue Leid erfasst sie nicht. 675
176 3. Epeisodion (658904)
w® téknon téknon,
ai¬aî, katárcomai nómon 685
bakceîon, e¬x a¬lástoroß
a¬rtimaqæß kakøn.
Qe. e¢gnwß gàr a¢thn paidóß, w® dústhne sú;
Ek. a¢pist a¢pista, kainà kainà dérkomai.
eçtera d a¬f etérwn kakà kakøn kureî, 690
ou¬dé pot a¬sténakton a¬dákruton a-
méra piscäsei.
Qe. deín, w® tálaina, deinà páscomen kaká.
Testimonia: 676 bakceîon kára schol. rec. in Eur. Phoen. 21 685 katárcomai
686 bakceîon Eustathius Il. 241,23
¯Agamémnwn
¿Ekábh, tí mélleiß paîda sæn krúptein táfw¸
e¬lqoûs e¬f oi©sper Talqúbioß h¢ggeilé moi
mæ qiggánein sñß mhdén ¯Argeíwn kórhß;
hmeîß mèn ou®n e¬ømen ou¬dè yaúomen·
Agamemnon
Hekabe, was zögerst du zu kommen und dein Kind im Grab
zu bergen, wo doch Talthybios mir meldete,
keiner der Männer solle das Mädchen berühren?
Wir lassen es nun und berühren es nicht,
182 3. Epeisodion (658904)
Testimonia: 730 wçste e¬mé Tzetzes Ep. 27 (p. 43,14 Leone) 733 tína orø
~Lexicon Vindobonense 69,7 734 péploi ~Eustathius Il. 559,45 736
37 Ekábh Eustathius Il. 1128,6 736 Eustathius Od. 1584,54
Imitatio: 730 wçste e¬mé Aristophanes Aves 1135 (?)
Testimonium: 766 e¢oike ~Synagoge A 740 (unde Photius Lexicon A 2033 ed.
Theodoridis)
Papyrus: P8(787)
Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tz
785 ouçtw RwcXac rell. : ouçtwß MAPaRRfRwacXXaacXb e¢fu M1KirLcRf1ir rell. :
e¢fh MacALacS : e¢fhß Rf 786 legoiß P8uv MBAGKcLacR : -eiß KacL1Va rell.,
s
Eust. : -hß Va 788 kei¬ RfRw dokø paqeîn OGKSSa 791 prius toùß
AirK1PacR2sRfsVa1 rell. : tñß KacPaacRfRwSaVa : om. RS nérqen Mc rell. :
e¢nerqen MFSa et Pr (om. gñß) 793-97 delevit Nauck, 794-97 Dindorf, 794-95
Matthiae 794 xéniá t Markland prøta BZ rell. : tà prøta AB2suvSSa et Zgl
xénwn MgrBPaPrZmgrTz rell. : fílwn MB3grLPParPrsRRfRwZbZmZuTt, schol.
MB (cf. v.19, 1235) 795 d M2 rell. : q O : om. M oçswn B3sOF1RRwcSa1Zm1
rell. : -on MBO2FacPaRsRwacSSaZmac 796 h¬boúleto BFPrVa 798 ou®n om.
SSaZb te om. SZ 799 sténousi RRfRw 800 hgoúmeqa M rell. : nomízomen
Mgl
Verse 785801 189
Testimonia: 805 Stobaeus 4,41,34 807 wß a¬postaqeìß Thomas Magister 74,12
808 Choeroboscus in Theod. 140,31 (cod. V), schol. Eur. Andr. 250, Thomas
Magister 188,10 808 ka¬náqrhson Eustathius Il. 752,3 814 Orio Flor. 8,18
Haffner
Weh mir, ich Elende, wohin setzt du den Fuß hinweg von mir?
Ich scheine gar zu scheitern, o Elende ich!
822 au¬tæ Mc rell. : auçth MacA ai¬scroîß OSa rell. : e¬cqroîß OgrRSagr oi¢comai
O2gr rell. : o¢llumai O 823 tónd Kc rell. : tón q FKac : tñsd RfRwSa
uperqrå¸skonq B rell. : -téllonta B3gr 824 kenòn codd. : xénon Nauck
826 soîsi MOAKxZZcsTz : toîsi S : sñ¸si SaZc rell. : saîsi BFPrSaacVa
pleuroîß MOAKSxZcsTz : -aîß RfsZc rell. : -ñ¸ß RRfRw : -ñ¸si G e¬mæ
K1L1PacVa2 rell. : e¬moì AKacLacPaacVaac 827 kassándran BOKPPaRwSVax
ZTt : kas- Tz rell. versum delevit R. Haupt 828 léxeiß Diggle : deíxeiß codd.,
schol. Soph., Et.Genuinum 829 h® Diggle : h£ codd. 830 tin Porson : tín codd.
831-32 nondum sanati, delevit Matthiae 831 skótou MOAGacK : -ouß G1 rell.,
Orio, Tzetzes gàr tøn te B3grA F2sG1irLPaxzTz : te tøn te MBFGacKPPrSsVa,
Orio, Tzetzes : toi tøn te O : te RRfRwSSa nuktérwn brotoîß BacGacSsVa rell.,
Orio : n- pánu B2AG1PaVasxTz : n- t a¬spasmátwn SSa : n- a¬spasmátwn
RRfRw : n- Tzetzes : n- dè schol. Od. : nukterhsíwn Nauck
Verse 820831 193
Testimonia: 84647 Orio Flor. 8,22 Haffner 847 Lexicon Vindobonense 44,15
847 oi diårisan ~Choricius 42,96
Cho. Gewaltig ist es, wie bei den Menschen alles zusammentrifft
und wie die Umstände die Beziehungen bestimmen,
die zu Freunden die größten Feinde machen
und zu Feinden die einst Wohlgesonnenen.
Ag. Ich habe mit dir und deinem Sohn und deinem Unglück 850
Mitleid, Hekabe, und halte deine bittflehende Hand
und will der Götter und des Rechtes wegen,
dass der ruchlose Gastfreund dir diese Buße leistet,
wenn es so scheinen könnte, dass du dein Ziel erreichst,
und das Heer nicht meinte, dass ich Kassandra zuliebe 855
dem Herrn der Thraker diesen Tod bereite.
Denn etwas lässt mich schwanken:
Das Heer hält diesen Mann für seinen Freund,
den Toten jedoch für seinen Feind. Wenn der dort dir
ein Freund ist, so ist das ganz privat und gilt nicht für
das Heer. 860
Drum denk daran: Du findest mich bereit
zur Hilfe und schnell, dir beizustehen,
doch langsam, wenn ich bei den Achäern ins Gerede komme.
198 3. Epeisodion (658904)
Testimonia: 863a67 Libanius Or. 25,3 86465 Orio Flor. 8,23 Haffner,
Aristoteles Rhet. 1394 b 46 864 Doxopater in Aphth. Rh. 2,291,25 et 2,298,8
Walz, ~Anecdota ed. Boissonade 3,465 874 ei®rge Hesychius E 1004
GKS : føta H kteneîß Pac rell. : ktaneîß HPaacRfRwZb 878 tíni Barnes : tiní
codd. 879 tí soi HSa xunéstai M3Tt rell. : sun- x : xúnesti MuvZcTz :
xunésqai RfRw 880 kekeúqas LcPrVa1Tz rell. : kekeúqous PPaPrsRf
Va SZZbZmT : keúqous L : keúqousin GrRfs : gàr keúqousin G : kaì
ac t
Ag. e¢stai tád ouçtw· kaì gàr ei¬ mèn h®n stratø¸
ploûß, ou¬k a£n ei®con tände soi doûnai cárin·
nûn d, ou¬ gàr içhs ou¬ríouß pnoàß qeóß, 900
ménein a¬nágkh ploûn orøntaß hsúcouß.
Testimonium: 902 pâsi 904 Thomas Magister Presb. (Treu, Jahrb. Suppl.
27,1902,24)
3. Stasimon (90551)
3. Stasimon (90551)
Testimonia: 920 Eustathius Il. 540,21 922 Troían Iliád ~Eustathius Il. 904,59
92324 ~Eustathius Il. 454,16 925 ~Eustathius Il. 690,42, 975,31
925 leússous ~Hesychius L 757 927 a¬nà dè kéladoß Hesychius A 3407
931 Eustathius Il. 206,13, ~5,21
rell., Eust. : -oß K1PrRfRw : -aß O 932 hçxet rell. : içxet OPrS : içxat Sa
oi¢kouß Tt (sicut coniecit King) : e¬ß oi¢kouß rell.
Verse 918932 207
Testimonia: 940 gâß 941 Eustathius Il. 5,21 942 Eustathius Il. 430,10, Od.
1804,19 945 Ai¬nóparin ~Eustathius Il. 379,34
om. PrS a¬koíthn GLVa 940 e¬kínhsen KTz : -se rell. 943 dioskoúroin
KPrSa rell. : -koúrwn K Pr S : -kóroin MBOAPaSaVa elénan Tt rell. : elánan
s s s
OSaZbTz 94647 e¬peí me gâß e¬k patrå¸aß a¬pålesen codd. : e¬peí m a¬pålesen
gâß e¬k patrå¸aß Wilamowitz 946 gâß e¬k codd. : gaíaß e¬k Diggle
947 patrå¸aß codd. : patríaß Dindorf a¬pålesen MRsSSa rell. : -san RRf :
gr s s
a¬poúrisen M : a¬pårousen S Sa 948 e¬xåkisen Porson (metri causa) : -se
codd. 950 aÇn BK1 rell. : hÇn B3sFKacLSaZu a¬pagágoi GsXa1Ttir rell. : a¬gágoi
GKXaac : a¬págoi Rf : e¬pagágoi RwZ 951 içkoit Rws rell. : içket RwSa : içkht
Pa e§ Tz rell. : ei§ LPZuTt : om. O
Verse 933951 209
4. Epeisodion (9531022)
Polumästwr
¥W fíltat a¬ndrøn Príame, filtáth dè sú, 953
¿Ekábh, dakrúw s ei¬sorøn pólin te sæn
tän t a¬rtíwß qanoûsan e¢kgonon séqen. 955
feû· 955a
ou¬k e¢stin ou¬dèn pistón, ou¢t eu¬doxía
ou¬t au® kaløß prássonta mæ práxein kakøß.
fúrousi d au¬tà qeoì pálin te kaì prósw
taragmòn e¬ntiqénteß, wß a¬gnwsía¸
sébwmen au¬toúß. a¬llà taûta mèn tí deî 960
qrhneîn, prokóptont ou¬dèn e¬ß prósqen kakøn;
qrä¸khß F1K1Rf1 rell. : -oiß FacKacRfacRfs : -øn ZZm 965 ai¢ronti Rgr rell. :
eçlkonti R e¢xw codd. : ei¢sw Faust 966 séqen dmwíß SSa 967 delevit Kovacs
Verse 953967 211
4. Epeisodion (9531022)
Polymestor
O Priamos, du liebster aller Männer, liebste du auch, Hekabe!
Ich weine, wenn ich dich sehe und deine Stadt
und deine jüngst verstorbene Tochter. 955
Ach! 955a
Es gibt nichts, was verlässlich ist, weder der Ruhm,
noch dass es einem, dem es gut geht, in Zukunft nicht
schlecht ergehen könnte.
Die Götter bringen es durcheinander, hin und her,
und stiften Verwirrung, damit wir sie aus Unverstand
verehren. Doch was soll man darum weinen? 960
Man kommt damit nicht weiter voran in der Not.
Doch wenn du mich etwa tadeln solltest, weil ich abwesend war,
halt ein! Denn ich war gerade fort, mitten in Thrakien,
als du hierher kamst. Als ich aber wieder heimgekommen war
und den Fuß schon aus dem Hause setzen wollte, 965
traf diese deine Dienerin mit mir zusammen
und brachte die Botschaft, die ich vernahm und kam.
212 4. Epeisodion (9531022)
Testimonia: 968 Eustathius Il. 216,2 98688 ~schol. rec. Pind. Ol. 14,28 (428
Abel)
Testimonia: 996 Eustathius Il. 52,23, 792,19, 1312,20, schol. Il. 10,105 (Anecdota
Parisina 3,81 Cramer) 996 au¬tòn Thomas Magister 249,15 997 o¬naímhn
Hesychius O 852
toútw¸ PPaRwsXacXbac 1000 e¢st w® Hermann : e¢stw codd. 1006 h£n rell. : ei¬
FVa 1007 post e¢lexaß interpungit Boissonade, continuant codd. 1008 ¯Iliádoß
Scaliger : ¯Ilíaß codd. 1010 upertéllous Zm1 rell. : -télous PrZmTt :
-teroûs R
Verse 9921011 215
Hek. Ich will, dass du die Schätze rettest, die ich mit herausnahm.
Plm. Wo denn? Hast du sie im Gewand oder hältst du sie
versteckt?
Hek. Sie sind in diesem Zelt verwahrt unter einem Haufen Beute.
Plm. Wo denn? Dies ist das Lager der Achäerflotte. 1015
Hek. Eigene Zelte gibt es für die kriegsgefangenen Frauen.
Plm. Ist es darinnen sicher? Keine Männer da?
Hek. Kein Achäer ist darinnen, wir sind ganz allein.
Cho. Du hast noch nicht gebüßt, doch wirst du vielleicht büßen. 1024
Wie einer, der in auswegloses Wasser fällt, 1025
wirst du schräg abgetrieben werden von deinem Herzenswunsch,
weil du ein Leben raubtest. Wie du mit deiner 1027
Verpflichtung verfahren bist,
das stimmt mit Recht und Göttern nicht überein; 1030
es ist verderbliches, verderbliches Unheil.
Die Hoffnung wird dich täuschen, die dich hierher führte,
todgeweiht zur Unterwelt, Unseliger.
Durch unkriegerische Hand wirst du dein Leben lassen.
220 Exodos (10351295)
Exodos (10351295)
Testimonia: 1042 a¬kmæ kaleî Hesychius A 2447 1050 ~schol. Aesch. Sept. 623
Smith (sed cf. etiam Phoen. 1549: póda ... tuflópoun)
Imitatio: 1046 Christus Patiens 354 et 359
1041 Polymestori tribuunt schol. M et schol. B (tineß) : co. MOF : hmico. M2B
rell. 1042 sine nota M rell. : hmico. M2, schol. B (tineß) e¬peispéswmwn
MO SSaZb1Zugr rell. : e¬pispés- M2 : e¬pispás- Sagruv : e¬peispeús- OacPaacPrRw :
1
Exodos (10351295)
Plm. Weh mir, geblendet werde ich, verliere das Augenlicht, 1035
ich Armer!
Cho. Habt ihr des Thrakers Wehgeschrei gehört, ihr Lieben?
Plm. Weh mir schon wieder! Kinder! Arger Mord!
Cho. Ihr Lieben, neue schlimme Taten sind im Haus vollbracht.
Plm. Doch kommt ihr nicht davon mit raschem Fuß.
Ich werfe, breche des Hauses Schlupfwinkel auf. 1040
Seht ihr! Von starker Hand kommt ein Geschoss!
Hek. Schlag zu, lass nichts heil, brich die Türen auf!
Denn niemals wirst du das helle Licht in deine Augen 1045
bringen,
nie mehr die Kinder lebend sehen, die ich tötete.
Cho. Hast du denn wirklich den Thraker besiegt, den Gastfreund
bezwungen,
Herrin? Hast dus vollbracht, so wie du sagst?
Hek. Du wirst sofort ihn vor dem Hause sehen,
mit blindem Fuß blind tappend gehen, 1050
222 Exodos (10351295)
und auch die Leichen seiner beiden Kinder, die ich getötet habe
mit den sehr tapferen Troerinnen. Die Strafe hat er mir
gezahlt. Da kommt er aus dem Hause, wie du siehst.
Ich geh beiseite und trete zurück
vor dem Thraker, der vor Wut kocht, dem man schwer 1055
standhalten kann.
a® a®, 1068a
síga. kruptàn básin ai¬sqánomai 1069
tánde gunaikøn. p⸠pód e¬pá¸xaß 1070
sarkøn o¬stéwn t e¬mplhsqø,
qoínan a¬gríwn qhrøn tiqémenoß,
a¬rnúmenoß låban lúmaß a¬ntípoin
e¬mâß; w® tálaß.
Ho ho! 1068a
Still! Einen leisen Schritt höre ich 1069
den da von den Frauen. Wohin muss ich mich stürzen, 1070
mich mit Fleisch und Knochen anzufüllen,
ein Festmahl wilder Tiere mir zu bereiten,
Verderben zu stiften, zur Strafe für meine
Misshandlung? O ich Armer!
Wohin denn, auf welchem Weg soll ich mich wenden? 1075
Soll ich die Kinder allein lassen,
die geschlachteten, dass des Hades Bakchantinnen sie
zerfleischen lassen und den Hunden als blutiges Mahl
erbarmungslos in die Berge hinauswerfen?
Cho. Du Armer, welch schwer erträgliches Leid tat man dir an? 1085
Für dich, der schändlich handelte, furchtbare Vergeltung
gab ein Gott, der dir übel will.
Testimonia: 1108 Hephaestio Ench. 1,5 (codd. CP) 1111 ei¬ 1112 h®¸smen
Etymologicum Genuinum (unde EM 439,1), Herodianus (Gr.Gr. 3,2 p. 519,6)
Imitatio: 1109 Christus Patiens 843
Ag. Lärm hörte ich und kam, denn nicht leise klang
das Kind des Felsens im Gebirge, 1110
Echo, mit viel Geschrei durchs Heer. Wenn wir nicht wüssten,
dass der Phryger Mauertürme durch der Griechen Speer
gefallen sind,
hätte uns dieser Lärm nicht wenig Furcht bereitet.
Plm. O liebster Agamemnon, ich habe dich bemerkt,
da ich deine Stimme hörte. Siehst du, wie es uns erging? 1115
Ag. Sieh da!
Polymestor, du Unglücklicher, wer hat dich vernichtet,
wer blind gemacht den Blick und deine Augen blutig
und wer die Kinder hier getötet? Wahrlich großen Groll
hatte er also gegen dich und deine Kinder hier, wer es
auch immer war.
Plm. Hekabe mit den kriegsgefangenen Frauen 1120
hat mich vernichtet nicht vernichtet, noch viel Schlimmeres!
230 Exodos (10351295)
Ag. Was sagst du? Du hast dies Werk vollbracht, so wie er sagt?
Du, Hekabe, hast dies ungeheure Wagestück gewagt?
Plm. Weh mir, was willst du sagen? Ist sie in der Nähe irgendwo?
Zeig an, sag, wo sie ist, damit ich sie mit meinen 1125
Händen packe,
zerreiße und den Leib mit Blut besudele!
Ag. Du da, was fällt dir ein?
Plm. Bei den Göttern flehe ich dich an,
lass mich ausstrecken nach ihr meine gierige Hand!
Ag. Halt ein! Vertreib aus dem Herzen das Barbarentum
und sprich, damit ich dich und sie der Reihe nach höre 1130
und dann gerecht entscheide, wofür du dies erlitten hast.
1147 frásousa McL1c rell. : frass- MHLSSaZu e¬n SSa rell. : up RRfSsSas
s s
1149 ei¬deíh PrR rell. : -oíh Pr R Zu 1151 ceiròß Milton : ceîreß codd., schol.
MBHV 1152 fílw¸ McB2 B3K1Ttir rell. : -wn MacBacB3sHKacRfSSa : -on O, schol.
V 1153 qákouß Hermann : qákoun codd., schol. V 1154 h¢¸noun Hermann :
h¢¸noun q codd., schol. MV toúsde Hcuv rell. : toîsde Hac leússousai
BOAGK LRw xZmZu : leús- HKacRw rell. péploiß H 1155 kámake Qrh¸kíw
1s s
Hartung, Weil : kámaka Qrh¸kían codd., schol. MBHV (tò Qra¸kikòn a¬kóntion)
1156 stolísmatoß MV rell. : stocísmatoß MgrVgr (potius stocásmatoß)
1157 e¬kpagloúmenai Tt rell. : e¬kplag- PrZuTz, Hesychius
Verse 11411157 233
Cho. Sei nicht so frech und tadele wegen deiner eigenen Leiden
nicht das ganze weibliche Geschlecht!
Denn es gibt viele von uns; die einen sind tadelnswert (?), 1185
wir anderen aber gehören zur Zahl der Edlen (?).
Ag. Es ist mir lästig, über fremdes Leid ein Urteil zu fällen, 1240
doch es muss sein. Denn Schande bringt es,
fallen zu lassen, was man in die Hand genommen hat.
Testimonia: 1254 ei¢per kaká schol. T Il. 13,153 1261 karchsíwn ~Hesychius
K 950 1265 Tzetzes in Lycophronem 315 1265 dérgmata Hesychius D 666
Imitatio: 1258 Ennius Hec. fr 219 Warmington = 86 Jocelyn
Testimonia: 1277 oi¬kouròß ~Eustathius Il. 222,29 1281 schol. MBCV Eur. Or.
367
Papyrus: P2(127180)
Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tz
1270 fátin Weil : bíon codd. : pótmon Musgrave : móron Brunck 1271 sø¸
P2BAGK1LRsSsV2sZacZbZcZu1Tz : sòn GsKacRSVZ2ZuacTt rell. 1272 mä ti P2 : h¢
ti codd., schol. V 1274 mélei P2Tzpc rell. : méllei FRRfZbTzac gé moi rell. : g
e¬moì SSaZb : P2 dubium 1275 kassándran MBOKPPaPrRw1Z : kas- P2 Rw
rell. : kassándra F 1276 au¬tø¸ P2 Rfc rell. : -twn PPrRfacSa taûta soì vel
taûtá soi codd. : soi P2 1277 kteneî P2 rell. : ktaneî S : ktaneîn Sa 1279 ge
LYn et fortasse P2 : se Sac rell., schol. M : dè GKPaRwS1VxTz : te RSa : om.
schol. aliud MBV 1280 a¬g. B1A1S1 rell. : ek. BacAacSacX : ek. a¬g. Rf
1281 a¬mménei L T : a¬nam- LacTt rell., schol. Or. : a¬nameneî M 1283 e¬féxete R
c z
Hek. Tot oder lebend werde ich dort den Spruch erfüllen? 1270
Plm. Tot, und dein Grab wird den Namen tragen ...
Hek. Nach meiner Gestalt benannt meinst du doch nicht?
Plm. ... der armen Hündin Denkmal, Seefahrern ein Zeichen.
Hek. Mich kümmert es nicht, weil du mir ja gebüßt hast.
Plm. Auch deine Tochter Kassandra muss sterben. 1275
Hek. Da speie ich aus und wünsche es dir selber.
Plm. Es wird sie töten dieses Mannes Frau, die zu Hause hockt, die böse.
Hek. Tyndareos Tochter möge nie so wüten.
Plm. Und ihn selbst dazu, das Beil hoch erhoben.
Ag. Du da, du rast, bist darauf aus, dass es dir schlecht geht. 1280
Plm. Schlag mich nur tot, denn in Argos erwartet dich ein
mörderisches Bad.
Ag. Wirds bald, ihr Diener? Schleppt mit Gewalt ihn weg!
Plm. Tut es dir weh, wenn du es hörst?
Ag. Los, haltet ihm den Mund zu!
Plm. Schließt ihn nur zu! Es ist gesagt!
248 Exodos (10351295)
Gut mögen wir zur Heimat segeln, gut auch alles in der Heimat
finden, von diesen Mühen hier befreit.
Der erste, längere Text gibt einen kurzen Bericht, und zwar nicht über die
Handlung des Stückes, sondern über den ihm zugrundeliegenden Sagen-
stoff, allerdings recht ungenau und nur in großen Zügen. Manches, was für
die Handlung weniger wichtig ist, bleibt unerwähnt, so die Rolle des Odys-
seus und der Opferentschluss der Polyxene in der ersten Dramenhälfte
ebenso wie die Rolle Agamemnons als Schiedsrichter zwischen den strei-
tenden Parteien in der zweiten. Texte dieser Art und Ausführlichkeit gibt
es zu vielen der in den mittelalterlichen Handschriften überlieferten Stü-
cke, aber auch, wie Papyrusfunde gezeigt haben, zu Stücken, die uns verlo-
ren gegangen sind. Solche Texte sind in gewähltem Stil und rhythmischer
Prosa verfasst und gehen, wie es scheint, auf ein in der späteren Antike
verbreitetes Buch zurück, das eine ähnliche Funktion wie ein moderner
Opernführer hatte, also die Möglichkeit einer raschen Information über den
Stoff eines Stückes bot. Zum Stil dieser Einführungen J. Diggle,
Rhythmical Prose in the Eur. Hypotheses, Studi e Testi di Papirologia, N.
S. 7, Florenz 2005, 2767.
Da die einführenden Texte in mehreren der besseren Handschriften
fehlen und in anderen mit den ersten Blättern verloren gegangen sind, muss
man sich hier auch auf weniger wertvolle Handschriften stützen. Das hat
zur Folge, dass in diesen Texten, deren Wortlaut nicht der Kontrolle durch
die alexandrinischen Philologen unterlag, die Varianten besonders zahl-
reich sind.
II
Der zweite, kürzere Text dürfte der Rest einer knappen Einführung in die
Handlung sein, wie es sie auch zu mehreren anderen Stücken gibt. Solche
254 Kommentar
4 Ein solcher Hinweis auf Gestaltungen des Stoffes bei anderen Tra-
gikern findet sich häufig in den einführenden Texten, die auf Aristophanes
von Byzanz zurückgehen. Darum wurde dieser Satz mit Recht von
Wilamowitz aus den Scholien zu V. 1 an diese Stelle versetzt.
57 Das Verzeichnis der auftretenden Personen gehört noch heute zu
den üblichen Beigaben am Anfang eines Dramentextes. Ich folge denje-
nigen Handschriften, welche die Personen, wie sonst meist üblich, in der
Reihenfolge ihres Auftretens nennen (AGPPaxTt). In anderen Hand-
schriften finden sich andere Reihenfolgen, deren Sinn sich nicht erkennen
lässt.
III
Der dritte Text, der sich nur in wenigen Handschriften findet, ist eine kurze
Inhaltsangabe in zwölfsilbigen Versen, die aus einer späteren Zeit stam-
men, in der man nur noch auf die Zahl der Silben, aber nicht mehr auf ihre
Quantitäten achtete. Ein ähnlicher, aber längerer Text findet sich unter den
Argumenta zu Sophokles Philoktet.
158 Prologrede 255
158 Prologrede
Das Stück beginnt wie alle erhaltenen Dramen des Eur. mit Ausnahme der
Iph.A. mit einer Prologrede. Während Geistererscheinungen in der Tragö-
die auch sonst vorkommen (Aisch. Pers., Eum.), ist der Auftritt eines Geis-
tes als Sprecher der Prologrede in den erhaltenen Dramen ohne Parallele.
Unmittelbares Vorbild dürfte die verlorene Polyxene des Soph. gewesen
sein, wo der Geist des toten Achilleus auftrat, vielleicht ebenfalls als Pro-
logsprecher; vgl. V. 37, 10915. Unser Prolog ähnelt den bei Eur. nicht
seltenen Götterprologen vor allem darin, dass der Geist wie ein Gott Zu-
kunftswissen besitzt. Dies zeigt sich besonders in V. 4252, wo er voraus-
sagt, dass seine Schwester Polyxene am gleichen Tag sterben wird und
dass er selbst ein Grab erhalten wird. Es geht Polydoros nur um sein Be-
gräbnis, nicht darum, dass sein Mord gerächt wird. Die wichtigste Funkti-
on der Prologszene ist es, die beiden Teilhandlungen, Polydoros und
PolyxeneHandlung, fest zu verknüpfen und den emotionalen Höhepunkt
des Stückes vorzubereiten, nämlich die Auffindung der Leiche des Sohnes
genau in dem Augenblick, als Hekabe die Bestattung der Tochter vorberei-
ten will.
Die bei Eur. üblichen langen Prologreden, in denen die Vorgeschichte
der Handlung erzählt wird, wurden oft als undramatisch empfunden. Man
stellte ihnen gern die Prologe des Soph. gegenüber, die meist Dialogform
haben und in denen der Zuhörer die für das Verständnis der Handlung
erforderlichen Informationen gleichsam unvermerkt erhält. Auch die in den
Götter- und Geisterprologen bei Eur. erfolgenden Vorausblicke auf den
Handlungsverlauf wurden kritisiert, weil sie dem Publikum schon zu viel
verrieten und ihm dadurch die Spannung nähmen. Hierzu grundsätzlich
Erbse (1984) 120, zum Prolog der Hek. ebendort 4859. Er verweist auf
die treffenden Ausführungen Lessings im 48. und 49. Stück der Hamburgi-
schen Dramaturgie, der auch den Prolog der Hek. würdigt.
Zur Erscheinung des Polydoros ferner Wilamowitz (1931) 1, 371 Anm.
1, der auf Grund von V. 71 melanopterúgwn und 705 melanópteron
annimmt, dass Eur. sie sich als ein Traumgebilde mit schwarzen Flügeln
vorstellte. S. auch zu V. 71.
14 Der Sprecher stellt sich vor, indem er Namen, Abstammung und
Herkunftsort nennt. Man kann einen solchen Beginn mit einer direkten
Hinwendung zum Publikum kunstlos finden, er hat aber den Vorteil, dass
der Zuschauer die nötigen Informationen rasch erhält.
12 hçkw
lipån: Ich kam,
verlassend. Formelhafte Wendung
in Eingangsversen auftretender Personen, besonders von Göttern oder
256 Kommentar
Geistern; vgl. Tro. 1; Ba. 1, 13; ähnlich Andr. 1232; hçkw auch Ion 5;
Aisch. Pr. 284. Wichtig als Vorbild für unsere Stelle ist Soph. Polyxene F
523 TrGF, wo offenbar der dem griechischen Heer erscheinende Geist des
Achilleus den Prolog spricht.
1 keuqmøna: das Tal, wörtlich Versteck, Höhle; vom Erdinne-
ren Hesiod Theogonie 158; vom Tartaros Aisch. Pr. 220; ähnlich Soph.
Ant. 818 (keûqoß nekúwn).
skótou: skótoß kann Maskulinum oder Neutrum sein, doch scheint in
der Tragödie nur das Maskulinum gebräuchlich zu sein. Darum ist
skótouß als Genetiv des Neutrums hier nicht möglich. Vgl. auch V. 831.
2 cwrìß
qeøn: abseits von den Göttern. Gemeint sind die himm-
lischen Götter (ou¬ranídai) im Unterschied zu den unter der Erde wohnen-
den Unterweltgöttern (oi upò gaíaß). Vgl. V. 49, 146f., 791.
3 Ekábh (Hekabe) ist hier Tochter des Kisseus, während sonst meist
Dýmas als ihr Vater gilt (Ilias 16,718, vgl. auch die Scholien zur Stelle).
Zwar lässt sich der Name Kisseus als Efeumann deuten, und zwar ist der
Efeu (kissóß) dem Dionysos heilig, aber allein dadurch wird Hekabe wohl
kaum mit dem Bereich des Dionysischen in engere Verbindung gebracht,
wie Schlesier (1988) 111f. zu meinen scheint. Dass dieser Kisseus ein
Thraker war, wie sie vermutet, ist nicht sicher, aber nicht auszuschließen.
Zwar ist Ilias 11,223 ein Thraker Kissés erwähnt, doch ob der hier genann-
te Kisseus mit diesem Kisses identisch sein soll, wie Servius (zu Aeneis
10,705) annimmt, wissen wir nicht. (Auch bei dem König Kisseus, dem
Gegenspieler des Helden des Archelaos, ist es zwar möglich, aber nicht
sicher, dass es sich um einen Thraker handelt.) Deswegen gibt es keine
verlässlichen Anhaltspunkte für die Richtigkeit von Schlesiers Vermutung,
dass wegen der Abstammung vom gleichen Volk eine Affinität zwischen
dem grausamen Handeln Polymestors und dem Hekabes bestehe. Rätsel-
haft ist der Vers Aisch. F 341 TrGF, wo Kisseus möglicherweise als Bei-
name des Apollon erscheint; vgl. Radt im Apparat hierzu.
4 Frugøn pólin: der Phryger Stadt. Troer/Trojaner und Troerin-
nen/Trojanerinnen (Trø¸eß, Trw¸ádeß) werden in der Tragödie oft auch mit
dem Namen der späteren Bewohner der Troas Frúgeß genannt, die Stadt
Troía auch ºIlion, wie in V. 11.
Nunmehr geht Polydoros unmerklich zur Erzählung seines Schicksals
über und informiert den Zuschauer zugleich über die Vorgeschichte der
ersten Teilhandlung (430).
5 dorì
¿Ellhnikø¸: durch den Hellenenspeer. Die Griechen wer-
den in der Tragödie entsprechend der homerischen Tradition ¯Acaioí,
¯Argeîoi, Danaoí oder auch Danaýdeß genannt. Hinzu kommt jetzt
÷Ellhneß, das in der Ilias fast nie als Gesamtname der Griechen verwendet
wurde, sondern meist nur als Bezeichnung der Bewohner des südlichen
158 Prologrede 257
mia, a desert country near the sea. Die Odyssee lokalisiert übrigens das
Grab des Achilleus ganz allgemein auf einer Landspitze am Hellespont,
macht aber keine Aussage darüber, auf welcher Seite es liegt (24,82). Ver-
gil Aeneis 3,322 lokalisiert den Grabhügel Troiae sub moenibus altis.
Ovid Metamorphosen 13,43944 verlegt die Erscheinung des Achilleus
nach Thrakien, macht allerdings wie Eur. keine genaue Angabe darüber,
wo sich sein Grab befindet.
pláka (zu pláx); Land, wörtlich Ebene. Schol.: cåran Land
mit Hinweis auf Stheneboia F 661, 3 TrGF plousían a¢roi pláka.
9 fílippon: Rosse liebend. Die Thraker galten schon bei Homer als
ein Volk von Pferdezüchtern: Ilias 13,4 e¬f ippopólwn Qrh¸¸køn. Vgl.
auch V. 428, 710; ferner Soph. Tereus F 582 TrGF çHlie filíppoiß
Qrh¸xì présbiston sélaß (sébaß Bothe).
dorí mit seinem Speere. Wohl nicht an early indication of Polym.s
violent nature (Collard). Der Speer ist als Symbol der Königsherrschaft zu
verstehen wie Hipp. 975 ei¬ß oçrouß gñß h©ß e¬mòn krateî dóru.
10 polùn
crusòn: viel Gold. Damit ist ein Wort gefallen, das
im folgenden noch elfmal wiederkehrt und so ebenfalls zu einem Leitmo-
tiv wird (V. 25, 27, 712, 772, 775, 994, 1002, 1148, 1219, 1231, 1245).
Das mitgegebene Gold wurde Polydoros zum Verhängnis, die Gier nach
Gold wird auch Polymestor vernichten.
Zum Goldreichtum der Troer vgl. V. 492; Iph.A. 74.
e¬kpémpei: wörtlich schickt hinaus, historisches Präsens, wie öfters
im folgenden (21 a¬póllutai, 23 pítnei, 25 kteínei), davon abhängig Fi-
nalsatz im Optativ, wie nach Vergangenheitstempora (içn
ei¢h).
12 spániß bíou: Mangel an Lebensunterhalt. bíoß Leben be-
zeichnet hier wie oft die Mittel, die der Mensch für sein Leben braucht;
vgl. Hik. 450f., 861.
13 neåtatoß: der jüngste. Eur. dürfte angeregt sein durch Ilias
20,40718, wo es heißt, dass Priamos seinen jüngsten und liebsten Sohn
Polydoros (der dort übrigens nicht von Hekabe, sondern von Laothoe
stammte: 22,4648) vom Kampf fernhalten wollte, dieser aber trotzdem
gegen Achilleus antrat und von ihm getötet wurde.
h®: ich war. In den Hss. ist einheitlich h®n überliefert. Die ältere atti-
sche Form war jedoch h®, wie Didymos in schol. Sa bemerkt. Darüber, ob
man die ältere Form herstellen oder sich an die Überlieferung halten sollte,
wird viel diskutiert; vgl. Barrett zu Hipp. 700; Kannicht zu Hel. 992; Ste-
vens zu Andr. 59. h®n ist jedenfalls um der Hiatvermeidung willen überall
dort zu halten, wo ein vokalisch anlautendes Wort folgt. Das ist aber an
keiner Stelle des Vorkommens der Form in der Hek. (hier und V. 15, 284,
354, 809) der Fall, darum setze ich h® wie die anderen Herausgeber.
oÇ kaì für di oÇ kaì: weswegen auch; wie Phön. 155, 263.
158 Prologrede 259
14f. Der gleiche Gedanke auch Ilias 11, 710 (von den jungen
Molionen), 719 (von Nestor).
ou¢te
oçpla ou¢t e¢gcoß: weder Verteidigungswaffen (wie die Rüs-
tung) noch Angriffswaffen (wie den Speer). So schol. rec. (fulaktäria
a¬muntäria), anders allerdings das lückenhafte schol. V, wo es anscheinend
heißt, dass mit oçpla zunächst ein allgemeiner Begriff gegeben wird, der
dann durch e¢gcoß präzisiert wird.
15 Eines der Beispiele für die seltene Hauptzäsur in der Mitte des
Verses (Mitteldihärese), deren Zulässigkeit von manchen bestritten wird.
Sie wird jedoch in der Tragödie gelegentlich verwendet. Die Gliederung
des Verses in zwei bald antithetische (wie in V. 321), bald parallele Hälf-
ten (wie in V. 879) ermöglicht oftmals besonders eindrucksvolle Formu-
lierungen mit gnomischem Charakter (wie in V. 958). Weitere Beispiele V.
37, 221, 232, 265, 272, 301, 387, 414, 497, 523, 603, 823, 979, 1110,
1125, 1133, 1159, 1169, 1204, 1242. In solchen Fällen kam es oft zu unnö-
tigen Änderungen des Textes, nicht jedoch an dieser Stelle. Zum Problem
ausführlich Goodell (1906); Stephan (1981); anders Basta Donzelli (1987).
Nach Stephan besteht ebenso wie bei anderen Zäsuren kein grundsätzlicher
Unterschied zwischen Fällen, wo eine Elision den Einschnitt mildert, und
solchen, wo dies nicht der Fall ist.
h®: s. zu V. 13.
1618 Vgl. V. 120810; Ilias 12,1012.
16 orísmata: Grenzen, Gebiet, wie lat. fines, sicher nicht
Grenzsteine. Ähnliche Formulierungen: V. 963 Qrä¸khß oçroiß; Hipp.
1159 (térmonaß), 1459. Scaligers Änderung e¬reísmara Bollwerke ist
unnötig.
17 Trwïkñß
cqonòß: eigentlich des Troischen Landes, neben
púrgoi ist aber zweifellos die Stadt Troja gemeint; vgl. Phön. 72; Soph.
Ant. 368; Öd.K. 1348.
19 Qrh¸kì: dem Thraker, s. zu V. 7.
xénw¸: Das besser belegte xénw¸ betont, dass Polymestor mit dem Haus
des Priamos durch das Band der Gastfreundschaft verbunden ist. Die Ver-
letzung des Gastrechts ist das Verbrechen, für das Polymestor denn auch
bestraft werden wird; s. zu V. 7. Bei fílw¸ beim Freund würde der Hin-
weis auf diesen wichtigen Sachverhalt unterbleiben. fílw¸ ist wohl nur eine
scheinbare Variante, in Wahrheit jedoch eine Glosse zu xénw¸.
20 wçß tiß ptórqoß: wie ein Schössling. Bei Homer wird ein junger
Mensch öfters mit einem jungen Baum verglichen: Ilias 17,5359
(Euphorbos), 18,56 (Achilleus); Odyssee 14,175 (Telemachos), implizit
auch 6,16063 (Nausikaa). Der Vergleich hebt auch hervor, dass Polydoros
gut versorgt wurde und gedieh, solange Troja noch unversehrt war, im
Gegensatz zu seinem späteren Schicksal.
260 Kommentar
3546 Polydoros begründet das Verweilen des Heeres auf der Cher-
sones und gibt damit zugleich die zur Einführung in die zweite Teilhand-
lung nötigen Informationen.
36 qássous e¬p a¬ktaîß: sitzen
am Strand, wie Iph.T. 272.
37f. Auf welche Weise Achilleus die Flotte zurückhält, bleibt unge-
sagt. Es muss also offen bleiben. Dass kein günstiger Fahrtwind weht,
erfahren wir erst in V. 900. Der Fahrtwind weht schließlich in V. 1289f.
Vgl. auch zu V. 111f. und Einführung S. 46f.
37 upèr túmbou: über dem Grab, s. zu V. 30.
Zur Mitteldihärese vgl. zu V. 15.
38f. stráteum ¿Ellhnikón
eu¬qúnontaß: das
Griechenheer,
das
lenken will, wörtlich das
Griechenheer
die lenkenden.
Wechsel von Genus und Numerus, wie gelegentlich in Dichtung und Pro-
sa; vgl. Bellerophontes fr. 286,59 TrGF; Soph. Ant. 1021f.; Aisch. Ag.
57779; KG 1,53f.
e¬nalían pláthn: übers Meer die Ruder, wörtlich das im Salzmeer
befindliche Ruderblatt, poetische Synekdoche (pars pro toto) für die
Schiffe.
41 fílon: liebes: ursprünglich eigenes, später, und so wohl auch
hier, liebes, erwünschtes, auf prósfagma und auf géraß zu beziehen.
Die Opfergabe ist Achilleus deswegen lieb, weil er damit ein seinem Rang
entsprechendes wertvolles Stück aus der Beute (géraß) erhält; vgl. V. 115
a¬géraston ohne Ehrengeschenk.
Es gibt aber auch eine Sagenversion, nach der Achilleus sich so sehr in
Polyxene verliebt hatte, dass er mit Priamos über eine Vermählung mit ihr
verhandelte und eben dabei im heiligen Hain des Apollon Thymbraios
getötet wurde (schol. MV zur Stelle). Diese Version wurde bisher meist für
jünger gehalten, doch ist schon auf einigen Vasenbildern vom Anfang des
5. Jh. Polyxene zusammen mit Achilleus dargestellt; s. M. Robertson,
Ibycus: Polykrates, Troilus, Polyxena, Bulletin of the Institute of Classical
Studies 17 (1970) 1115; Harder (1993) 179. Von irgendeiner früheren
Beziehung zwischen den beiden ist bei Eur. jedenfalls nichts spürbar.
4252 Dass der Sprecher der Prologrede hier und in mehreren ande-
ren Fällen (Alk., Hipp., Tro., Ion, Ba, ähnlich auch Tro.) den Ausgang der
Handlung schon zu großen Teilen verrät und damit dem Stück seine
Spannung nimmt, wird häufig kritisiert. Lessing verteidigt diese Verfah-
rensweise des Eur. im 48. Stück der Hamburgischen Dramaturgie: Der
tragischste von allen tragischen Dichtern ... ließ seine Zuhörer ... ohne
Bedenken von der bevorstehenden Handlung eben so viel wissen, als nur
immer ein Gott davon wissen konnte, und versprach sich die Rührung, die
er hervorbringen wollte, nicht sowohl von dem, was geschehen sollte, als
von der Art, wie es geschehen sollte.
158 Prologrede 263
4346 Polydoros präzisiert den Tag der Handlung noch weiter: Es ist
der Tag, an dem Polyxene sterben wird. Er fasst damit zugleich das Ergeb-
nis beider Teilhandlungen zusammen und setzt es in Beziehung zu Hekabe.
43 h peprwménh: das Schicksal, wörtlich das (ihr) Bestimmte.
Accius Hecuba fr. 481 Klotz (= 375 Warmington) veter fatorum terminus
sic iusserat ist vielleicht eine freie Übersetzung dieses Verses. Doch s.
auch zu V. 584.
44 tø¸d
e¬n h¢mati: noch an diesem Tag. Beide überlieferten
Wendungen haben die gleiche Bedeutung an diesem Tage, doch h®mar ist
das poetische Wort, auch ist die verschränkte Wortstellung kunstvoller; die
andere Variante ist also als Banalisierung anzusehen; vgl. Page (1934) 101.
tñ¸d hméra¸ ist nicht allein schon deshalb abzulehnen, weil hier gegen das
sogenannte Porsonsche Gesetz verstoßen würde, nach dem im letzten
iambischen Metrum auf ein Longum in der ersten Silbe kein Wortende
folgen darf, denn die beiden Wörter bilden eine sprachliche Einheit, ein
sogenanntes Wortbild. Das gleiche Problem in V. 624, 729.
45f. Eine solche Verwendung mehrerer Zahlwörter oder Mengen-
angaben nebeneinander ist bei griechischen Autoren beliebt; vgl. V. 123
25, 896f.; Andr. 516f.; Or. 551; Aisch. Ag. 1456; Soph. Ant. 13f. Hier ist
sie mit der Stilfigur des Polyptoton verbunden (duoîn dúo). Die Hervor-
hebung der Zweizahl hat hier aber eine größere Bedeutung, denn dass sich
die Schicksale von zwei Kindern Hekabes an einem Tag vollenden und ihr
Schmerz dadurch verdoppelt wird, ist das Thema des Stückes.
45 dúo nekr katóyetai: auch Or. 1536.
4752 Damit leitet Polydoros wieder zu seinem eigenen Schicksal
über. Auf Grund seines Zukunftswissens, das er in ähnlicher Weise wie ein
Gott besitzt, kann er ankündigen, dass sein Leichnam am gleichen Tage zu
Füßen einer Dienerin an den Strand gespült werden wird. (Während des
Chorliedes V. 62956 wird dies geschehen.) So wird er in die Hände seiner
Mutter gelangen, und ihm wird das gewünschte Begräbnis zuteil werden.
Dies erfolgt wohlgemerkt nicht zufällig, sondern auf Grund eines Be-
schlusses der Unterweltsgötter. Von einer gemeinsamen Bestattung der
zwei Geschwister, zu der es am Ende kommen wird, ist hier noch nicht die
Rede, sondern erst in V. 896f.
Hier redet Polydoros in der ersten Person, meint aber nicht sich als
Geist, sondern seinen Leichnam, während er in V. 52 wieder von sich als
Geist spricht. Vgl. zu V. 2832.
48 doúlhß: Damit bereitet er den Auftritt der Dienerin in V. 658 vor.
49 toúß
kátw sqénontaß: die Herrscher unten, nämlich die
Unterweltsgötter; vgl. V. 2, 146f., 791.
50 Ein hysteron proteron. Das Wichtigere, aber zeitlich Spätere
wird zuerst genannt.
264 Kommentar
51f. Wörtlich: Meine Angelegenheit wird so sein, wie ich sie zu er-
langen wünschte. Zu tou¬mòn vgl. Diggle (1981) 106f.
5254 Der durch die Erscheinung des Polydoros ausgelöste Traum
hat Hekabe aus dem Schlaf geschreckt; nun ist sie im Begriff, das Zelt zu
verlassen. Der Prologsprecher verlässt die Bühne, um einer neu auftre-
tenden Person Platz zu machen, die er benennt und damit zugleich dem
Zuschauer vorstellt; ähnlich Hipp. 5153; Ion 7680.
53 perâ¸
póda: sie setzt
ihren Fuß, genauer sie geht hin-
durch mit dem Fuß; KG 1,299; vgl. auch V. 1070 pód e¬pá¸xaß.
upò skhnñß
¯Agamémnonoß: aus Agamemnons Zelt. upò skhnñß
bedeutet unter, aus dem Zelt heraus, ähnlich V. 665; Her. 296; Iph.T.
1256. Dagegen bedeutet upò skhnæn unter, in das Zelt. Ersteres ist sinn-
voller, da Hekabe im folgenden zweifellos ein Zelt verlässt.
Es ist umstritten, ob das den Bühnenhintergrund bildende Zelt das
Feldherrenzelt Agamemnons ist, wie der Text nahezulegen scheint, oder
nicht vielmehr nur eines seiner Zelte, nämlich das der gefangenen Frauen.
Ich neige zu letzterem; ebenso wie Mossman (1995) 49f. Denn das Zelt, in
dem später Polymestor geblendet wird, kann kaum das Feldherrenzelt sein;
hierfür sprechen auch V. 1016 und 1018. Schol. MV verstehen u¬pò
skhnñß so, dass Hekabe durch die Erscheinung verwirrt aus dem später in
V. 1016 erwähnten Zelt der Gefangenen gekommen ist, dann in das Zelt
Agamemnons auf der Suche nach Kassandra hineingegangen ist, die sie
dort nicht findet, worauf sie das Zelt wieder verlässt. Das sind aber müßige
Spekulationen, die den Zweck haben, den scheinbaren Widerspruch zwi-
schen diesen Versen und V. 1016 aufzulösen.
54 Zu diesem Vers J. Gregory, Phoenix 46 (1992) 26669 und (1999)
zur Stelle. Sie nimmt an, dass Polydoros der Hekabe nicht im Traum er-
schienen ist, sondern dass die Nähe des Geistes und die Furcht um ihre
Tochter in ihr die Träume erregt haben, die sie in V. 7276 erwähnt. Der
Wortlaut des Verses legt es allerdings nahe, dass er ihr tatsächlich erschie-
nen sein soll.
54a58 Im Abgehen begrüßt Polydoros mit klagendem Ausruf (feû)
und mitleidsvoller Anrede seine Mutter, wobei er besonders bedauert, aus
welcher hohen Stellung sie infolge göttlicher Einwirkung so tief gestürzt
ist. Er stellt ihr Schicksal damit unter den Gedanken des Glückswechsels,
der im folgenden noch mehrmals anklingen wird, wobei es immer wieder
darum gehen wird, ob und wie weit die Götter hierfür Verantwortung tra-
gen (V. 34966, 421, 48898, 62028, 78386, 80811, 95660). Hier
stellt Polydoros nur kurz fest, dass es ein Gott war, der ihren Sturz verur-
sacht hat.
59215 Anapästisch-lyrische Eingangspartie 265
Auch wenn Aristoteles (Poetik 1452b 1427) alles zum Prolog rechnet,
was vor dem Einzug des Chores stattfindet, ist es hier doch sinnvoll, die
gesamte lyrisch-anapästische Partie vom Auftritt Hekabes (V. 59) über den
des Chores (98) bis hin zum Schluss der Monodie Polyxenes (215) als
Einheit zu behandeln. So auch Schadewaldt (1926) 16: Als einheitliche
Form haben wir die lyrischen Eingangspartien zu verstehen. Eine solche
Eingangspartie, an der die (meist weibliche) Hauptperson und der Chor
sowie gelegentlich weitere Personen beteiligt sind, findet sich häufig bei
Eur. von der Med. bis zum Or., wohl auch weil diese Form sich besonders
gut zur Darstellung der meist leidvollen Situation der Hauptgestalt und zur
Erregung des Mitgefühls des Zuschauers eignet. Vor das eigentliche Ein-
zugslied (98152) in Form von Marschanapästen tritt hier eine Monodie
Hekabes, die zum Teil aus lyrischen Anapästen besteht (5997). Auf den
Bericht des Chores reagiert Hekabe mit einer abermaligen Monodie, zu-
meist in lyrischen Anapästen (15476). Dann erscheint Polyxene, die mit
ihr in einen Wechselgesang aus lyrischen Anapästen eintritt (17796). Die
Eingangspartie endet mit einer Monodie Polyxenes, die wiederum meist
aus lyrischen Anapästen besteht (197215).
96 Die Konjektur von Bothe a¬p e¬mâß a¬p e¬mâß ou®n tóde paidòß
bewirkt eine metrische Glättung des Verses, scheint mir aber unnötig zu
sein.
97 pémyate: sendet fort, wendet ab; vgl. V. 72 a¬popémpomai.
daímoneß: hier mit Götter übersetzt; s. zu V. 164.
Unnötige Kritik am Metrum ( qkkqkk | kkqq ) bei Biehl (1957)
57f.; dagegen Erbse (1984) 52; Brillante (1988) 443 Anm. 4. Diggle ver-
weist auf Iph.T. 215; Iph.A. 123 (meiner Meinung nach echt). Man kann
auch noch hinweisen auf Tro. 123, 177; Ion 226; Iph.A. 1322 sowie auf V.
145.
Zu dem in den Gebetsanruf eingeschobenen Vokativ vgl. Hel. 1447
und Erbse a. O.
Der Chor besteht aus troischen Frauen, die bei der Einnahme der Stadt ihre
Männer verloren haben und zu Sklavinnen geworden sind. Sie sind also
Schicksalsgenossinnen Hekabes und stehen, wie nicht anders zu erwarten,
während des ganzen Stückes auf ihrer Seite. Der Chor kommt, wie er in V.
105f. sagt, als Bote oder Herold und übermittelt den Beschluss der Heeres-
versammlung, den Wunsch des Achilleus zu erfüllen und Polyxene auf
seinem Grab zu opfern. Die Einzugsanapäste werden in V. 10740 zu ei-
nem Botenbericht. Danach dienen sie der Vorbereitung der nächsten Sze-
ne: Ankündigung des baldigen Auftritts des Odysseus und Ratschläge für
das Verhalten Hekabes (14152).
98 e¬liásqhn: schlich ich mich, entkam, entwischte; vgl.
Odyssee 4,838, wo ein von Athene gesandtes ei¢dwlon durchs Schlüssel-
loch entschwindet. Der Chor gibt damit zu erkennen, dass er heimlich zu
Hekabe kommt. Er spricht hier und auch in den Chorliedern, wie es auch
sonst in der Tragödie üblich ist, von sich in der ersten Person des Singu-
lars. Er ist also gleichsam eine kollektive Person.
99 desposúnouß: dem Herren gehörend; zum Wort V. 1294 und
448 doulósunoß; zur Sache 1288f.
102f. ¯Iliádoß: feminines Adjektiv, zu pólewß gehörig, also der
ilischen Stadt. Zum Namen ºIlion s. zu V. 4.
lógchß ai¬cmñ: genauer mit der Spitze der Lanze, pleonastisch ne-
ben 103 doriqäratoß speergefangen. Die Gewaltsamkeit der Gefan-
gennahme wird durch die Fülle des Ausdrucks noch stärker betont.
105 a¬raménh: die schlimme Nachricht auf mich nehmend wie eine
schwere Last, im Gegensatz zu 104 a¬pokoufízous erleichternd.
59215 Anapästisch-lyrische Eingangspartie 271
Agamemnon verlangt dort einen Ersatz für das Ehrengeschenk, das er wie-
der abgeben muss, nämlich für die kriegsgefangene Chryseïs.
11640 Beschreibung des Verlaufs der Heeresversammlung, der dem
einer athenischen Volksversammlung des 5. Jh. ähnelt: Auf Rede und Ge-
genrede erfolgt die abschließende Rede des Odysseus, die den Ausschlag
gibt.
116 sunépaise klúdwn: die Welle (oder Brandung) schlug zusam-
men, Metapher aus der Welt des Meeres, wie häufig bei Eur. Dazu E. Pot,
De maritieme beeldsprak bij Eur., Harderwijk 1943. Metaphorische Ver-
wendung von klúdwn auch Hik. 474f.; Aisch. Pers. 599f.; Soph. Öd. 1527.
Eine ähnliche Metapher Aisch. Pr. 886 kúmasin a¢thß.
117 dóxa d e¬cårei díc: die Meinung ging in zwei Richtungen
auseinander; vgl. Ilias 18,510, 20,32; Herodot 6,109.
119 toîß d ou¬cì dokoûn: während es den anderen nicht richtig
schien: Absoluter Akkusativ des Partizips; vgl. V. 506; KG 2,88f. Wech-
sel der Konstruktion statt eines zu erwartenden toîß dè mæ didónai.
12029 Es fällt auf, dass es in dieser Debatte nicht um die grund-
sätzliche Frage der Berechtigung eines Menschenopfers geht, sondern nur
darum, ob die Beziehung Agamemnons zu Kassandra die Entscheidung des
Heeres beeinflussen dürfe oder nicht.
120 h®n dè
speúdwn: Umschreibung wirkt verstärkend; vgl. V.
1179; KG 1, 38f.
121f. a¬nécwn léktr: das Bett für die Geliebte; ähnlich Soph. Ai.
211f.
121 tñß mantipólou Bákchß: der seherisch rasenden Bakchantin.
Kassandra wurde als von Apollon inspirierte Seherin (vgl. V. 88, 827) von
dem ergriffen, was Platon mantikæ manía nennt (Phaidros 244a 8d 5).
Dieser Zustand ähnelt dem der Mänaden im Gefolge des Dionysos, so dass
auch Kassandra hier und in den Tro. metaphorisch Bakchantin oder Mäna-
de genannt werden kann; obwohl Apollon es ist, der sie inspiriert. Darum
heißt sie auch in V. 827 Foibáß. Auftritte Kassandras in seherischem
Wahnsinn Tro. 30841 und vor allem Aisch. Ag. 10721172.
12229 Dass die zwei Athener die Opferung Polyxenes befürworten,
ist nicht als implizite Kritik des Eur. an der athenischen Politik aufzufas-
sen, wie Murray (1957) 49 und King (1985) 63f. Anm. 25 meinen. Dage-
gen richtig Schlesinger (1937) 68f.
122f. Akamas und Demophon, die beiden Söhne des athenischen Kö-
nigs Theseus, werden in der Ilias nicht erwähnt, aber in der Iliupersis (fr. 4
EGF ed. Davies); ferner Tro. 31; Soph. Phil. 562. Sie erscheinen in Athen
auch auf Vasenbildern und Gemälden als Trojakämpfer, vor allem im Zu-
sammenhang mit dem Ende des Krieges und der Befreiung ihrer Großmut-
ter Aithra.
59215 Anapästisch-lyrische Eingangspartie 273
sonders deutlich Tro. 28288; Iph.A. 136264. Dort gilt Odysseus biswei-
len auch als Sohn des Sisyphos, des größten Lügners und Betrügers der
Sage (Kykl. 104; Iph.A. 524, 1362; auch Soph. Phil. 417, 625, 1311).
Es mag sein, dass Eur. im Verlauf des Peloponnesischen Krieges die
Beeinflussung des Volkes durch demagogische Politiker als Gefahr emp-
fand und Odysseus als mythischen Vorläufer solcher Demagogen auffass-
te. Dem entsprechen die Epitheta.
132 kópiß: seltenes Wort, darum schwer übersetzbar; etwa Schwät-
zer, Prahlhans, Lügner, spitzfindiger Redner. Die Etymologica und
schol. MV glossieren: láloß, dhmokópoß, kóbaloß und verweisen auf
Heraklit B 81 DielsKranz (Puqagórhß) kopídwn e¬stìn a¬rchgóß;
Lykophron 763 (von Odysseus); schol. ad Lycophronem 1464 kópiß· o
rätwr, parà tò kóptein toùß lógouß. Vgl. auch Synodinou zur Stelle.
hdulógoß: angenehm redend; nur hier bei Eur. dhmocaristæß: dem
Volk gefällig redend, nur hier belegt, offenbar von Eur. neu gebildet.
134 tòn a¢riston: den besten. So auch Ilias 1,244.
135 doúlwn sfagíwn ouçnek: wegen eines Sklavenopfers. doúlwn
ist hier adjektivisch gebraucht.
Es ist ein rhetorischer Kunstgriff, Personen oder Sachen je nach Bedarf
groß oder klein erscheinen zu lassen. Odysseus hebt die Bedeutung des
Achilleus hervor und lässt andererseits Polyxene als unbedeutend erschei-
nen.
ouçnek(a): präpositional verwendet wegen, also gleichbedeutend mit
eçneka, eiçneka.
136 parà Fersefónh¸: zu Persephone, also in die Unterwelt, vgl.
Ion 1441f. katà gâß e¬nérwn cqoníwn méta Persefónaß t
naíein.
Fersefónh ist eine poetische Nebenform zu Persefónh.
137 a¬cáristoi: undankbar. Der Begriff der cáriß, des Dankes
oder der Gunst, die in ihren verschiedenen Aspekten in diesem Stück im-
mer wieder berührt werden wird, erscheint hier zum ersten Mal. S. Einfüh-
rung S. 35f.
138 Danaoì Danaoîß: die Griechen
den Griechen, Polyptoton,
um hervorzuheben, dass man gegenüber den Angehörigen des eigenen
Volkes besondere Verpflichtungen hat. Zur Bezeichnung der Griechen als
Danaoí s. zu V. 5.
139 toîß oi¬coménoiß upèr ¿Ellänwn: denen, die für die Griechen
fortgegangen (d. h. gefallen) seien, euphemistische Formulierung.
Collard irrt, wenn er meint, dass das Lob der Loyalität der Griechen
untereinander implicitly a condemnation of non-Greek or barbarian
faithlessness sein solle. Es geht hier nur um die Loyalität der Angehörigen
des Heeres auch über den Tod hinaus. Der Gedanke, den Collard hier ver-
mutet, wird in V. 32831 deutlich ausgesprochen.
59215 Anapästisch-lyrische Eingangspartie 275
Hekabe reagiert mit diesem Lied auf die vom Chor überbrachte Nachricht.
Lyrische Anapäste (erkennbar an dorischem Vokalismus) mit eingestreuten
anderen Metren (16568); ähnlich wie in V. 6897. Zur Bauform der
Monodie s. W. Barner, Die Monodie, in: Jens (1971) 277320.
Diggle nimmt mit anderen Herausgebern seit Hermann metrische Res-
ponsion zwischen den beiden Monodien Hekabes und Polyxenes an, also
zwischen V. 15474a und 197210, doch spricht gegen diese Annahme,
dass für die Herstellung einer genauen Responsion viele Eingriffe in den
überlieferten Text nötig sind (Paley). Allenfalls ließen sich die kurzen
nicht anapästischen Passagen V. 16568 und 20710 als respondierend
auffassen. Hierfür wären auch keine Textänderungen erforderlich.
154 oi£ e¬gå: weh mir, in anapästischem Kontext dreisilbig mit
Hiatkürzung zu sprechen; anders in iambischem Kontext V. 438, 676.
a¬púsw: Futur zu dorisch a¬púw, attisch h¬púw rufe an, töne, spre-
che, bei den Tragikern meist in lyrischem Kontext.
15558 An dem getragenen Rhythmus der Spondeen, den Wortwie-
derholungen, den Reihungen von Synonymen und verschiedenen anderen
Stilfiguren lässt sich hier und im folgenden die starke Emotionalität
Hekabes erkennen.
155 poían a¬cå: welchen Klang. a¬cå dorisch für h¬cå Widerhall,
Echo, vgl. V. 1111; allgemeiner Klang, Schall, wie Hipp. 1201; Tro.
1267.
15658 Polyptoton, Reihung kausaler Genetive.
157 Auch ohne das von Triklinios eingefügte kaì wäre der Vers met-
risch akzeptabel, weil in lyrischem Kontext mehrere katalektische
anapästische Dimeter nacheinander möglich sind; vgl. Iph.T. 21012.
59215 Anapästisch-lyrische Eingangspartie 277
158 ou¬ fertâß: Das Wort fertóß ist in der griechischen Literatur nur
hier sicher belegt. Bothe schlägt vor, für das überlieferte ou¬ fertâß nicht
zu ertragen zu lesen ou¬ feuktâß der man nicht entfliehen kann, und
verweist auf Soph. Ai. 224 a¢tlaton ou¬dè feuktán mit der Variante ou¬dè
fertán. Durch die Änderung würde eine Synonymenhäufung vermieden;
welche freilich bei Eur. häufig vorkommt.
15961 Sie ist heimatlos und der Angehörigen (Ehemann, Söhne) be-
raubt, auf deren Beistand sie als Frau sonst rechnen könnte. In der zweiten
Hälfte des Stückes wird sie beweisen, dass sie auch ohne ihre Angehörigen
erfolgreich handeln kann. Vgl. Med. 25358 in einer ähnlichen Situation.
15964 Hierzu Diggle (1994) 16f. und 94 Anm. 9.
159 poía génna: welche Sippe. Der überlieferte Text lässt sich hal-
ten, wenn die letzte Silbe lang gemessen wird (LSJ). Anders Diggle (1981)
97.
160f. froûdoß: fortgegangen; kontrahiert aus prò odoû, wie in V.
181 froímion aus prooímion.
160f. Aristophanes Wolken 718 froûda tà crämata, froúdh croiá
könnte eine Parodie dieser Passage sein; vgl. Dover zur Stelle.
160 présbuß: der Alte. Gemeint ist Priamos. Vgl. Tro. 921 (wo al-
lerdings umstritten ist, ob sich das Wort présbuß dort auf Priamos bezieht
oder auf den alten Hirten, der dem ausgesetzten Kind das Leben gerettet
hat und von dem vielleicht auch in Alexandros F 62d,12 TrGF die Rede
war).
16263 Diese Verse werden vielleicht zitiert von Dionysios von Hali-
karnassos De Compositione verborum 17: poían dñq ormásw; taútan h£
keínan; keínan h£ taútan; Doch s. auch Adespota F 137 TrGF. Ein ähnlich
zweifelhaftes Zitat ist Alexander De figuris 3, 12 20 Spengel: poían e¢lqw,
taútan h£ keínan;
162 poían h£ taútan h£ keínan: zu ergänzen odón: welchen, entwe-
der diesen oder jenen Weg? In einigen Hss. ist die Glosse odón in den
Text eingedrungen.
163 poî dæ sw<qø>: wohin soll ich gerettet werden? Die Ergän-
zung durch Diggle scheint mir sinnvoll zu sein; trotz der Einwände von
Biehl (1997) 96 und Synodinou zur Stelle. Das überlieferte poî d hçsw
wohin lenke ich lässt sich allenfalls dann verstehen, wenn man sich
póda den Fuß ergänzt; vgl. Rhes. 798. (Der Text von Aisch. Pers. 470
içhs a¬kósmw¸ xùn fugñ¸ ist umstritten.) Aber auch das von Erfurdt vorge-
schlagene poî d a¢¸ssw wohin soll ich eilen ist bedenkenswert.
164 qeøn: einsilbig in Synizese zu sprechen.
daímwn: R. Schlesier, Daimon und Daimones bei Eur., Saeculum 34
(1983) 26779 stellt fest, dass Eur. meist keinen Unterschied zwischen
qeoí und daímoneß macht, sondern beide Wörter synonym verwendet. Die
278 Kommentar
fachsten zu sein, das Metrum durch die Hinzufügung einer langen Silbe,
etwa von e¢lq, zu heilen.
174a a¢ie: vernimm. a¬íw ist episches und lyrisches Synonym für
a¬koúw höre; vgl. V. 176. Das a ist hier lang zu messen wie Aisch. Hik.
59, in V. 176 dagegen kurz wie Aisch. Pers. 633, Ag. 55. Zur unter-
schiedlichen Quantität s. auch LSJ.
175f. Der erste Vers hat so, wie er in den meisten Hss. überliefert ist,
die an dieser Stelle ungewöhnliche metrische Form des Dochmius,
dem zwei Spondeen oder spondeische Anapäste folgen
( qkkqkq | qq | qq | ). Zum Versmaß des Dochmius s. zu V. 182.
Außerdem nimmt das Verspaar die Nachricht des bevorstehenden Todes
Polyxenes vorweg, die Hekabe ihrer Tochter erst in V. 18890 übermitteln
wird. Darum möchte ich mich denen anschließen, welche die Verse tilgen.
Das letzte Wort dazu ist aber wohl noch nicht gesprochen.
Diggle und Kovacs möchten die Worte i¬ téknon halten, was möglich
ist, wenn man sie als Ausruf auffasst, der außerhalb des Metrums steht.
Auf die Aufforderung ihrer Mutter hin tritt Polyxene aus dem Zelt hervor
und fragt, warum sie gerufen wurde. Hekabe antwortet zunächst nicht auf
ihre Fragen, sondern stößt in V. 180, 182 und 186 Weherufe aus. Erst auf
mehrfaches Drängen übermittelt sie die furchtbare Nachricht (18890) und
bestätigt sie auf die abermalige Frage Polyxenes (19496). Dazu
Mastronarde (1979) 38 Anm. 8 und 64 Anm. 36.
Zur Bauform des Amoibaion s. H. Popp, Das Amoibaion, in: Jens
(1971) 22175, sowie zu V. 684720.
177 tí néon: welche schlimme Neuigkeit. Auch hier gilt das zu V.
83 Gesagte.
178f. wçst = wçsper bei Homer und den Tragikern; vgl. V. 205, 337.
qámbei: Schreck, vgl. Rhes. 291 qámbei d e¬kplagénteß; Hesychius
Q 76 qámboß· qaûma, e¢kplhxiß.
e¬xeptáxaß: hast du mich
aufgescheucht; nur hier belegtes Kom-
positum zu ptässw, das entweder transitiv gebraucht wird: lasse jeman-
den sich ducken, erschrecke jemanden, wie Ilias 14,40, oder auch in-
transitiv: ducke mich; so Her. 974; Kykl. 408; Soph. Ai. 171 (auch in
Vergleichen mit Vögeln).
181 tí me dusfhmeîß: Was sagst du mit schlimmer Vorbedeutung
über mich? Ungewöhnliche Konstruktion. dusfhmeîn mit Akkusativ be-
deutet sonst meist schlimm über jemanden reden; vgl. Hkld. 600; Soph.
El. 1182.
280 Kommentar
Hekabes Tochter reagiert in einem bewegten Lied auf die furchtbare Nach-
richt, die sie erhalten hat. Dabei beklagt sie nicht so sehr ihr eigenes
Schicksal, sondern versetzt sich vor allem in die Lage ihrer Mutter, die zu
ihren vielen anderen Leiden noch ein neues Unglück trifft. Ihr späterer
Entschluss, ihren Tod als freien Willensakt auf sich zu nehmen, wird also
nicht überraschend kommen. Zur vermuteten Responsion von V. 197210
mit 15474a s. zu V. 15476.
198 Der überlieferte Text bringt einen ungewöhnlichen, aber nicht
unmöglichen Wechsel zwischen der meist bei einem Vokativ stehenden
Exklamation w®, dem Adjektiv im Genetiv dustánou des unglücklichen,
dem Vokativ mâter Mutter und dem Substantiv im Genetiv biotâß des
Lebens. Die vorgeschlagenen Änderungen zielen auf eine Glättung. Her-
mann gleicht das w® an das folgende Adjektiv an, Wecklein das Adjektiv an
das vorausgehende w®. Beides scheint mir unnötig zu sein. Diggle verweist
auf Hel. 211f. (ai¬aî daímonoß polustónou moíraß te sâß gúnai), wo auf
den Weheruf ai¬aî Genetive folgen, die den Grund des Weherufes angeben,
und sodann ein Vokativ. Vgl. auch V. 661; Med. 1028; KG 1,389.
199 låban: Unheil, Misshandlung, Schande, Schmach; ein
in diesem Stück häufig wiederkehrendes Wort: V. 213, 647, 1073, 1098.
200f. Der überlieferte Text ist sprachlich nicht zu beanstanden
(Collard). Die von Hermann und Diggle vorgeschlagenen Zusätze ändern
nichts am Sinn, sondern dienen der Angleichung des Metrums an die Um-
gebung und der Herstellung der Responsion mit V. 157f. Da ich jedoch
282 Kommentar
keine Responsion annehme und da das Metrum dieser Monodie auch sonst
recht bewegt ist, übernehme ich die Zusätze nicht.
205f. skúmnon: junges Tier, besonders von Löwen, aber auch von
anderen Tieren gebräuchlich, metaphorisch auch von jungen Menschen.
wçst = wçsper; vgl. V. 178, 337.
ou¬riqréptan: im Gebirge ernährt, aufgewachsen.
móscon: Kalb, oft als Opfertier erwähnt; metaphorisch ebenfalls
von jungen Menschen, hier Femininum; vgl. V. 526; Iph.T. 359; Iph.A.
1083. Die Verbindung von ou¬riqréptan mit móscon wurde zu Unrecht
als ungewöhnlich empfunden,. Denn im Altertum wurde dort, wo Wiesen
fehlten, das Vieh im Sommer zum Weiden ins waldige Gebirge getrieben;
vgl. Iph.T. 162; Iph.A. 574f., 108284; Soph. Öd. 113339; ferner silvae,
myricae und nemus als Ort der Hirtendichtung Vergil Eklogen 6,2,
10,915. S. auch Mossman 148 Anm. 20; Synodinou zur Stelle.
206 Zwischen deilaían und e¬sóyh¸ nehmen Murray, Diggle und Ko-
vacs um der Responsion mit V. 164 willen eine Lücke an, obwohl im über-
lieferten Text syntaktisch nichts fehlt.
20710 Die Verse respondieren metrisch mit V. 16568.
207f. ceiròß a¬narpastàn sâß a¢po: aus deiner Hand gerissen, mit
nachgestellter Präposition und Akzentverschiebung; vgl. V. 209 nekrøn
méta.
Polyxenes Worte klingen an Hekabes Traumerzählung in V. 90f. an.
20809 ÷Aida¸ gâß upopempoménan skóton: wörtlich dem Hades
hinabgeschickt ins Dunkel der Erde. Der von der großen Mehrheit der
Hss. bezeugte Text scheint mir gut verständlich zu sein, so dass ein Rück-
griff auf das vereinzelt überlieferte und von Reiske konjizierte gâß uçpo
unter die Erde nicht nötig ist.
210 keísomai: im Blick auf den künftigen eigenen Tod gesagt auch
Phön. 1283; Soph. Ant. 76.
21115 Die Verse werden von Wilamowitz (Lesefrüchte, 124, Her-
mes 44, 1909, 449) gestrichen mit der Begründung: Das ist ein abscheuli-
cher Zusatz. So dumm soll Eur. gewesen sein, Polyxena hier schon lebens-
satt zu zeigen, damit das großartige parà prosdokían V. 342ff. um seine
Wirkung käme? Diggle schließt sich an. Wenn man zwischen den beiden
Monodien Responsion annimmt, machen die Verse in der Tat Schwie-
rigkeiten, da der überlieferte Text nicht mit V. 17076 respondiert. Ich
nehme aber keine Responsion an und halte auch die Vorwegnahme nicht
für einen Fehler. Denn schon in V. 197204 sieht Polyxene ihr Schicksal in
erster Linie als ein Leid, das ihre Mutter betrifft, und nicht so sehr als ihr
eigenes Unglück. Dass V. 215 nicht mit der üblichen Klausel schließt (wie
übrigens auch schon der umstrittene V. 176), kann man entweder für tole-
rierbar halten (wobei sich auf Aisch. Pers. 930 verweisen lässt) oder aber
216443 Erstes Epeisodion 283
durch die Textänderungen von Weil (pótmoß) oder Dale (daímwn) korri-
gieren. Die von Kovacs vorgenommene Ergänzung toû féggoß orân als
das Licht zu sehen ändert wenig am Sinn des Satzes, sondern dient der
Herstellung der Responsion mit V. 17174. Zu diesen Versen auch
OConnor-Visser (1987) 68; Kovacs (1996) 5658; Synodinou zur Stelle.
211 Obwohl alle Hss. sè überliefern, kommentiert schol. M, als ob
soû stände. Jedoch ist die Konstruktion von klaíw mit dem kausalen Ge-
netiv soû zwar ungewöhnlich, findet aber eine Parallele in Soph. El. 1117
(ei¢per ti klaíeiß tøn ¯Oresteíwn kakøn); hierzu KG 1,388. Die Stelle
hat schon in der Antike zu Diskussionen geführt, wie schol. M zeigt (a¬ntì
toû perì soû, h£ e¬pì soì
tinèß dé fasi leípein tò cárin). Weil meint,
dass klaíein hier wie a¬lgeîn konstruiert wird, das den Genetiv regiert, und
verweist auf V. 1256 h® me paidòß ou¬k a¬lgeîn dokeiß; Collard erwägt,
soû von qränoiß abhängig sein zu lassen mit meinen Klagen für dich,
doch scheint mir die Wortstellung diese Konstruktion nicht gerade nahezu-
legen. Ähnliches gilt für den Vorschlag von schol. M und Weil, tòn bíon
aus V. 213 als Objekt zu klaíw zu ergänzen.
212 Anstatt der in der Tragödie gebräuchlichen und deswegen hier
vorzuziehenden synkopierten Wortform pandúrtoiß alles beklagenden
erscheint in den Hss. hier und auch an den anderen Stellen (Aisch. Pers.
941, 944; Soph. El. 1077) die nicht synkopierte Form panodúrtoiß. Dort
jedoch ist die synkopierte Form aus metrischen Gründen hergestellt wor-
den, während hier beides möglich wäre.
213 tòn e¬mòn dè bíon låban lúman t: mein Leben (das aus) Ge-
walt und Zerstörung (besteht). Polyxene fasst hier kurz zusammen, was
sie in V. 35966 ausführlich beschreiben wird. Reiskes tou¬moû dè bíou
meines Lebens gibt keinen besseren Sinn. Anders Kovacs (1996) 56f.
Ähnliche Wortverbindung in V. 1073f., låbh auch 647.
214 metaklaíomai: beweine, wie klaíomai. Andere übersetzen
beklage nachträglich, bereue (LSJ). Polyxene würde dann also auf ihr
Leben zurückblicken. Kovacs übernimmt das von Willink vorgeschlagene
méga klaíomai beweine sehr.
215 xuntucía: Fügung, je nach Zusammenhang glückliche oder
auch unglückliche, genau wie auch túch und lat. fortuna je nach den
Umständen Glück oder Unglück bedeuten können.
Das erste der zwei Epeisodien, die der Polyxene-Handlung gewidmet sind,
beginnt mit der Auseinandersetzung Hekabes mit Odysseus, wobei Hekabe
nach zwei Wechselreden (21837) und einer vorbereitenden kurzen Sticho-
284 Kommentar
haft sei. Die Absicht des Dichters ist jedoch klar. Er braucht für die Argu-
mentation Hekabes in der folgenden Rede ein ähnliches Band der Gemein-
samkeit zwischen ihr und Odysseus, wie es im zweiten Teil des Dramas
zwischen ihr und Agamemnon besteht (82435). Dort ist ein solches Band
vom Mythos vorgegeben, hier muss der Dichter es selber knüpfen.
241 fónou: Mord, hier wohl Blut, wie Iph.T. 72, Soph. Öd. 1278.
Schol. M fasst fónou stalagmoì metaphorisch auf wie in der Wendung
blutige Tränen weinen. Ähnliche Formulierung Aisch. Cho. 1058 über
die Erinyen: ka¬x o¬mmátwn stázousin ai©ma dusfiléß.
242 a¢kraß kardíaß: an des Spitze des Herzens, nur oberfläch-
lich. Zur Wendung vgl. Aisch. Ag. 805 ou¬k a¬p a¢kraß frenóß. Ganz
anderen Sinn hat a¢kroß dagegen Hipp. 255 pròß a¢kron múelon yucñß
ins innerste Mark des Gemüts.
245 tapeinòß w¢n: wobei du niedrig warst oder wobei du dich
unterwarfst; vgl. Andr. 165. Gemeint ist die Gebärde des Bittflehenden; s.
zu V. 25195, 286.
24650 Die Überlieferung ist zum Teil durch den Ausfall zweier Ver-
se und ihre Wiedereinführung an falscher Stelle gestört. Obwohl die von
Diggle vorgeschlagene und von Kovacs und Synodinou übernommene
Versfolge der zeitlichen Abfolge der Ereignisse besser entspricht, halten
viele Herausgeber, darunter Gregory, an der von den meisten Hss. überlie-
ferten Reihenfolge fest, mit Recht, wie mir scheint. Collard übernimmt
zwar Diggles Text, kann aber auch der besser überlieferten Reihenfolge
einen guten Sinn abgewinnen und findet, dass V. 250 vor 251 kraftvoll
ironisch ist. Im übrigen ist nach V. 250, wo Odysseus seine damaligen
Worte als situationsbedingt abwertet, Hekabes Argumentation von vornhe-
rein wenig aussichtsreich.
246 e¬nqaneîn: absterben, so auch schol. M (nekrwqñnai upò toû
déouß tæn ceîrá mou). Die ungewöhnliche Wendung hebt hervor, wie
lange und wie fest sich Oysseus in seiner Todesangst an Hekabes Gewand
klammerte.
248 cqonóß: aus der Stadt, wörtlich: aus dem Land. Hierzu
Wilamowitz, Eur. Her. 3,127: Die Tragödie hat
cqån und póliß ganz
synonym gebraucht und das edlere Wort bevorzugt.
249 Eine paradoxe Situation. Die Königin, die jetzt eine Sklavin ist,
kann einen König daran erinnern, dass er einst ihr Sklave war. Er war es,
weil er sich durch seine Hikesie in ihre Gewalt begeben hatte.
250 wörtlich: Vieler Worte Erfindungen, so dass ich nicht starb. Es
geht hier wohl nicht darum, dass Odysseus zugeben muss, Hekabe in sei-
ner Not vieles versprochen zu haben, wie Biehl (1997) 101 meint. Viel-
mehr scheint er mir seine damaligen Worte abzuwerten, weil er sie nur
gesagt habe, um der Lebensgefahr zu entkommen.
288 Kommentar
Hekabe kämpft um das Leben ihrer Tochter. Sie versucht Odysseus dazu
zu bewegen, noch einmal vor der Heeresversammlung aufzutreten und sich
für die Aufhebung oder zumindest Änderung des Opferbeschlusses einzu-
setzen. Nach einer Einleitung (25157) stellt sie die Angemessenheit des
Beschlusses in Frage (25870). Dann wendet sie sich an ihn persönlich,
fordert seinen Dank für ihren früheren Beistand ein, sucht sein Mitleid mit
ihr selbst und ihrer Tochter zu erregen und warnt vor der Unbeständigkeit
des Glückes (27185). Schließlich appelliert sie abermals an sein Mitleid
und Rechtsgefühl und fordert ihn auf, noch einmal vor dem Heer aufzutre-
ten und sich für Polyxenes Leben einzusetzen (286295). Hekabes Rede
wird, wie V. 275f. und 286f. zeigen, am Ende zu einer Hikesierede, das
heißt zu einer Rede, mit der eine schwache und hilflose Person einen Stär-
keren um Hilfe anfleht, wobei sie die Rede mit den rituellen Gebärden
eines Bittflehenden begleitet, dem Niedersinken vor dem Angeflehten, dem
Umklammern der Knie und dem Emporstrecken des Armes zu Kinn und
Bart. Hierzu J. Kopperschmidt, Hikesie als dramatische Form, in: Jens
(1971) 32146; Gould (1973) 84f.; Gödde (2000) 86f. Hekabes Rede wird
keinen Erfolg haben. Das ist aber nicht auf irgendwelche Schwächen ihrer
Argumentation zurückzuführen, wie Riedweg (2000) 27f. meint, sondern
darauf, dass Odysseus den Beschluss des Heeres, den er ja selbst herbei-
geführt hat, für richtig hält und darum nicht in Frage stellen kann und will.
25153 Hekabe wirft Odysseus Undankbarkeit vor, weil er sich für
den Nutzen, den er von ihr hatte, nicht dankbar erweist, sondern ihr sogar
Schaden zufügt.
251 ou¢koun kakúnh¸: erweist du dich nicht als schlecht? oder er-
scheinst du (dir) nicht als schlecht? Vgl. Hipp. 685f. und Barrett zur Stel-
le; ähnlich Schol. M: kakòß w£n alískh¸
kakòß faính¸. Nicht richtig
LSJ: to be reproached.
252 e¢paqeß oi©a fæ¸ß paqeîn: ähnliche Umschreibungen auch V. 873,
1000.
253f. Zur Mitteldihärese s. zu V. 15.
253 Durch die antithetische Formulierung und die Form des Verses
wird der Gegensatz gut schlecht besonders betont. Die Gliederung des
216443 Erstes Epeisodion 289
265f. Die beiden Verse scheinen mir trotz der Einwände von Kovacs
(1988) 129f. und (1996) 58f. an ihrem Platz sinnvoll zu sein. Zwar wirken
sie auf den ersten Blick als Doublette zu V. 26770, stehen auch asyn-
detisch nach V. 264, aber sie schließen inhaltlich gut an das Vorausgehen-
de an und leiten zum Folgenden über (Collard, Synodinou). Polyxene hat
dem Achilleus kein Leid zugefügt, Helena dagegen ist die Urheberin des
Unglücks, das mit dem Krieg verbunden ist, und damit letztlich auch
schuldig am des Tod des Achilleus. In V. 26770 kommt das weitere Ar-
gument hinzu, dass Helena als die schönste aller Frauen auch das voll-
kommenste Opfertier wäre.
265 nin ai¬teîn crñn: er sollte verlangen, griechisch es wäre nötig
(gewesen), dass er verlangte. Die dorische Form nin ist hier Akkusativ der
3. Person des Personalpronomens.
crñn = cræ h®n es war nötig oder es wäre nötig.
prosfágmata: Schlachtopfer, vgl. V. 41.
266 w¢lesen
a¢gei: Hysteron proteron. Die Vernichtung Trojas ist
die Folge der Entführung Helenas; das Wichtigste wird jedoch zuerst ge-
nannt.
267 e¢kkriton: ausgewählte. Bei Tieropfern pflegte man die voll-
kommensten Tiere den Göttern darzubringen; s. Burkert (1997) 10f.
Hekabe meint, dass Analoges auch im Fall eines Menschenopfers gelten
müsste.
268 kállei q uperférousan: an Schönheit (alle) überragend.
Dass Helena die schönste aller sterblichen Frauen war, ist für die Griechen
der Antike eine feststehende Tatsache; s. Ilias 3,15658.
ou¬c h¬møn tóde: wörtlich: ist dies nicht unsere Sache. hmøn ist Ge-
netiv der Zugehörigkeit und wird hier an Stelle des Possessivums
hméteron verwendet.
269 e¬kprepestáth: die hervorragendste; vgl. Alk. 333. Die Varian-
te eu¬prepestáth würde die geziemendste bedeuten, was neben ei®doß
Gestalt und auf Helena bezogen unpassend wäre.
27181 Während Hekabe bisher rational gegen den Beschluss des
Heeres argumentiert hat, wendet sie sich nun persönlich an Odysseus, wo-
bei sie an die Stichomythie und die Eingangsworte ihrer Rede anknüpft
und an seine Dankbarkeit und sein Mitgefühl appelliert. Sie bittet ihn, ihr
den Dank für seine damalige Rettung abzustatten und seinerseits Polyxene
zu retten, die letzte Stütze ihres Lebens.
271f. Überleitung von der Argumentation (mén) zur persönlichen Bit-
te (dé).
271 tónd amillømai lógon: streite ich mit dieser Rede. Der Be-
griff açmilla lógwn Redestreit wurde offenbar etwa gleichzeitig von
216443 Erstes Epeisodion 291
Gorgias (B 11,13 DielsKranz) und Eur. geprägt und wird von Eur. oft
verwendet: Med. 546; Hipp. 971; Hik. 195, 428.
272 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. In den zwei parallel gebauten
Vershälften stehen einander gegenüber geben und du auf der einen und
bitten und ich auf der anderen Seite.
274 Valckenaers Konjektur graíaß greisen verdient aus metrischen
Gründen den Vorzug vor den gleichbedeutenden überlieferten Varianten.
parhídoß: der Wange ist in der Tragödie mehrfach belegt, während
die gleichbedeutende Variante pareiádoß zwar besser überliefert ist, aber
erst bei späteren Autoren vorkommt.
275 a¬nqáptomai: ergreife wiederum oder meinerseits; vgl.
Herodot 3,137,2.
sou tønde tøn au¬tøn: scñma kat oçlon kaì méroß, nach dem zu
einem Verb zwei Objekte in gleichem Kasus gesetzt werden, von denen
das erstere den ganzen Gegenstand, das andere einen Teil desselben, auf
den die Tätigkeit des Verbs gerichtet ist, ausdrückt (KG 1,289).
Mit diesem Vers nimmt Hekabe vielleicht schon die Haltung einer
Bittflehenden ein, spätestens jedoch mit V. 286. Gould (1973) 84 nimmt
allerdings an, dass Hekabe hier nur eine figurative Hikesie vornimmt,
also nur von ihr spricht, ohne sie zu vollziehen, doch meine ich, dass V.
286 nahelegt, dass sie die Gebärde tatsächlich vollzieht. So auch Mercier
(1993) 155f.
27981 Ein Appell an das Mitleid, der zwar auf den Chor und die Zu-
schauer seine Wirkung nicht verfehlt, aber gegenüber dem eigentlichen
Adressaten Odysseus wirkungslos bleibt; vgl. Riedweg (2000) 26. Zum
Gedanken vgl. Or. 732f. Ähnlich auch schon Andromache über Hektor
Ilias 6,429f.; Tekmessa über Aias Soph. Ai. 5149; ferner Xenophon Ana-
basis 1,3,6.
27980 Zum Wechsel taúth¸ hçde dieser sie hier s. KG 1,644f.
279 ist fast gleich Or. 66. Eine solche zufällige Versgleichheit, wie
sie in der Tragödie auch sonst gelegentlich vorkommt, sollte nicht dazu
veranlassen, den Vers mit Hartung zu streichen; vgl. auch zu V. 504. Die
Rede Hekabes würde jedenfalls ohne den Vers an Eindringlichkeit verlie-
ren. Der Verlust wäre noch größer, wenn der ganze Passus V. 27981 ge-
strichen würde, wie Kovacs (1996) 59f. es vorschlägt. Gregory und
Synodinou übernehmen seinen Vorschlag denn auch nicht. Die Verse sind
durchaus nicht irrelevant, sondern entfalten im einzelnen, was Polyxene für
Hekabe bedeutet.
280 parayucä: Erfrischung, Trost; auch Or. 62.
281 Eine ähnliche Metapher für Polydoros in V. 80.
Zur sprachlichen Gestalt vgl. F 866 TrGF a¬ll hçde m e¬xéswsen, hçde
moi trofóß, | mäthr, a¬delfä, dmwýß, a¢gkura stéghß.
292 Kommentar
Synodinou hält die Nennung der póliß zu Unrecht für einen Anachro-
nismus, denn Troja gewährte Hekabe Schutz, solange ihre Mauern noch
standen, und Polyxene muß ihr jetzt auch die Stadt ersetzen.
28285 Hekabe warnt Odysseus vor dem Missbrauch der Macht und
einem möglichen Wechsel des Schicksals, für den sie selbst das beste Bei-
spiel ist. Ein solcher Hinweis auf die Wankelmütigkeit des Glückes als
Warnung an die Herrschenden findet sich auch schon in der Kroisos-
geschichte Herodot 1,86,46.
282 kratoûntaß cræ
krateîn
cren: Die Stilfigur eines dop-
pelten Polyptoton, die den Vers besonders eindringlich macht, lässt sich im
Deutschen nicht nachbilden.
284 Zu h® s. zu V. 13.
285 Daran, dass ein Mensch an einem einzigen Tag vom Glück ins
Unglück geraten kann, wird in der Tragödie immer wieder erinnert; vgl.
Her. 50810; Phoin. 1689.
28695 Hekabe fleht noch einmal um Erbarmen und beruft sich auf
das Recht (nómoß), das Kriegsgefangene schützt und das für Freie und
Sklaven in gleicher Weise gilt. Sie fordert Odysseus dann auf, sein großes
Ansehen für ihre Sache einzusetzen. Sie hat wohl spätestens jetzt (wenn
nicht schon mit V. 275) die Haltung einer Bittflehenden eingenommen und
behält sie wohl bis zum Ende ihrer Rede bei. Odysseus wird sich irgend-
wann, spätestens zum Ende ihrer Rede, aus ihrer Umschlingung befreit
haben. So Mossman (1995) 55f.; anders Gould (1973) 84f. Anm. 54f.;
Collard.
286 fílon: Die schmeichelnde Anrede richtet sich an Odysseus
selbst, also Stilfigur der Synekdoche (pars pro toto).
géneion: Kinn, auch Bart. Knie, Kinn oder Wange (274) sind die
Körperteile, die der Bittflehende bei der Person zu berühren versucht, in
deren Schutz er sich stellt, die Knie, um ein Wegstoßen, Kinn und Wange,
um abweisende Worte zu verhindern (Collard).
ai¬désqhtí me schäme, scheue dich vor mir, erweise mir Respekt!
Der gleiche Versschluss V. 806.
287 oi¢ktiron: hab Erbarmen, ebenso V. 807 am Versanfang; ähn-
lich auch Iph.A. 1246f. (katoíktiron).
288 fqónoß (zu ergänzen e¬stín): die Götter würden zürnen, frei
übersetzt nach der Deutung durch schol. MV nemesäseian a£n umîn oi
qeoì. Wörtlich (es verursachte) Neid, oder Missbilligung, Eifer-
sucht, Ärger, jedenfalls Gefühle, die ungerechtes Handeln bei Men-
schen und Göttern erregt (Collard). Hier ist, besonders nach V. 28285,
wohl an den Unwillen der Götter (fqónoß qeøn) gedacht, der ähnliche
Schicksalsschläge zur Folge haben kann.
216443 Erstes Epeisodion 293
290 bwmøn a¬pospásanteß: als ihr sie von Altären risset. Die Par-
tizipialkonstruktion ist, wie oft, mehrdeutig. Sie kann temporal sein (nach-
dem), oder auch konzessiv (obwohl). Jedenfalls ist schon das Wegreißen
ein Religionsfrevel, die Ermordung einer Weggerissenen wäre aber ein
noch größerer Frevel.
Die Rechtmäßigkeit der Tötung eines Kriegsgefangenen wird zum
Thema in Hkld. 96174; vgl. auch 100912. Die Gesetze (nómoi) der Grie-
chen verbieten sie, die Athener wollen sich dort daran halten, aber
Alkmene verlangt unerbittlich, dass der gefangene Eurystheus getötet wird.
291f. Eur. setzt hier anachronistisch die Gültigkeit des attischen
Rechts auch schon in der mythischen Zeit voraus. Denn im Athen des 5.
und 4. Jh. genossen auch Sklaven einen gewissen Rechtschutz. Hierzu s.
Antiphon 5,48; Demosthenes 21,46f.; Aischines 1,17; ferner G. R. Mor-
row, The Murder of Slaves in Attic Law, Classical Philology 32 (1937)
21027; D. M. MacDowell, The Law of Classical Athens, London 1985,
80f.
29395 Hekabe beendet ihre Rede mit einem schmeichelnden Lob
der Beredsamkeit und des Ansehens des Odysseus.
293 ka£n (= kaì e¬àn) kakøß légh¸ß: auch wenn du schlecht sprichst.
Der richtige Text wird bezeugt durch Ennius Hec. fr. 20608 Warmington
= 84 Jocelyn: Haec tu etsi perverse dices facile Achivos flexeris, namque
opulenti quom loquuntur pariter atque ignobiles eadem dicta eademque
oratio aequa non aeque valet. Ennius hat sich hier recht eng an Eur. ange-
schlossen.
Hekabe meint, dass Odysseus dank seines Ansehens selbst dann Erfolg
haben würde, wenn er einmal nicht gut spräche. Dass umgekehrt auch die
beste Rede wirkungslos bleibt, wenn ihr Sprecher wenig angesehen ist,
wird in der Tragödie öfters festgestellt: Andr. 189f.; Danae F 327,14
TrGF; adesp. fr. 119, 46 N. (= Comparatio Menandri et Philistionis 2,
2934 Jäkel).
Patin (1913) 1, 374 Anm. 2 bringt folgende Parallelen aus der französi-
schen Literatur:
294 peísei: es wird überzeugen. Die Variante peísei verdient den
Vorzug vor peíqei, weil es hier nicht um eine allgemeine Aussage, son-
dern nur um den einen konkreten Fall des Eintretens für Polyxene geht.
295 tøn dokoûntwn: der Berühmten, der Angesehenen; vgl. Tro.
613.
29698 Chorreplik
Der Chor unterstützt Hekabes Bitte, indem er feststellt, dass sich auch der
Härteste durch ihre Klagen rühren lassen müsste. Das ist ein Irrtum, wie
sich zeigt, denn Odysseus bleibt ungerührt. Die Äußerung des Chores lässt
aber erkennen, auf welche Reaktion des Publikums Eur. zielt. Dazu richtig
Riedweg (2000) 30f.
296 sterròß: hart, Nebenform von stereóß. Grundbedeutung
fest, meist dreiendiges, hier zweiendiges Adjektiv, wie Andr. 711. S.
auch zu V. 1295.
297f. Diese Worte geben nur dann einen Sinn, wenn man sie nicht nur
auf Hekabes Rede, sondern auch auf ihre lyrischen Äußerungen in V. 154
96 bezieht, die der Chor ja mitgehört hat.
Odysseus antwortet Hekabe ruhig im Ton, aber hart in der Sache. Er geht
auf die meisten Argumente ein, weist sie zurück und beharrt unerbittlich
auf seinem Standpunkt. Er preist wie Hekabe die Dankbarkeit, aber gerade
sie gebiete es, die Forderung des Achilleus zu erfüllen. Auch er beruft sich
auf das Recht, aber gerade das Recht verlange es, den besten Helden am
höchsten zu ehren.
Bei Aufbau und Inhalt richtet er sich weitgehend nach der Rede
Hekabes, ohne freilich auf ihr wichtigstes Argument, die Ablehung des
Menschenopfers allgemein und der Opferung Polyxenes im besonderen
(25870), einzugehen. Nach einer kurzen Einleitung (299f.) gesteht er eine
Dankesschuld nur ihr gegenüber und nicht gegenüber ihrer Tochter zu
(301f. mit Bezug auf 252f., 27178). Hekabes Kritik am Beschluss des
Heeres (25870) stellt er die Argumente entgegen, mit denen er das Heer
überzeugt hat (306320). Dann pariert er ihren Versuch, an sein Mitleid zu
216443 Erstes Epeisodion 295
320 tòn e¬mòn: den meinen ist einhellig überliefert und gibt einen
guten Sinn. Allerdings spricht Eustathios zweimal in Bezug auf diese Stel-
le von stefanoûsqai bekränzt werden (Il. 666,46, 801,53). Darum die
Änderungsvorschläge von Porson (stefánwn) und Weil (steføn), die
beide bewirken würden, dass zu übersetzen wäre: mit Kränzen gewürdigt
zu sehen, und der von Sakorraphos (timøn), bei dem es heißen würde
der Ehrungen für würdig gesehen zu werden. Vielleicht liegt bei
Eustathius aber nur eine Verwechslung mit V. 126 túmbon stefanoûn vor.
dià makroû (crónou): über lange Zeit hin; ähnlich Aisch. Cho. 862
dià pantóß.
cáriß: Dank. Damit okkupiert Odysseus für sich den Begriff, den
Hekabe zuvor in V. 254 und 276 für ihre Sache verwendet hat.
32125 Odysseus weist Hekabes Bitte um Mitleid (287 oi¢ktiron) zu-
rück. Er versucht, ihre und ihrer Familie wahrhaft unerträglichen Leiden
dadurch zu relativieren, dass er ihnen die (ebenfalls vorhandenen) Leiden
auf der griechischen Seite gegenüberstellt und diese möglichst eindrucks-
voll beschreibt. Es ist der rhetorische Kunstgriff, das Kleine groß und das
Große klein erscheinen zu lassen. Hierzu gut Riedweg (2000) 15f. Ähnli-
che Aufzählungen der Folgen des Krieges in anderer Funktion V. 65056;
Andr. 61113, 103746.
321 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. Hier in den beiden Vershälften
Gegenüberstellung sagen hören und du ich.
323 séqen: als du, mit ou¬dèn hçsson zu verbinden.
325 hçde
¯Idaía kóniß: hier der Staub vom Ida, wohl kein Verse-
hen des Eur., der vergisst, dass die Handlung auf der thrakischen Seite des
Hellesponts spielt, sondern eher eine unpräzise, aber nicht falsche Ortsan-
gabe. Die Gräber liegen in der Troas, aber der ebenfalls dort gelegene Berg
Ida ist auch auf der anderen Seite sichtbar, und man kann mit dem Finger
auf ihn hinweisen.
326f. Odysseus kehrt am Schluss noch einmal zu seinem Hauptthema
der angemessenen Ehrung der Toten zurück.
tólma tád: ertrage dies; gleiche Bedeutung des Wortes V. 333; vgl.
auch 562 tlhmonéstaton; Soph. Phil. 82; Odyssee 20,20; Theognis 591.
ei¬ kakøß nomízomen timân tòn e¬sqlón: Entweder ist kakøß auf
timân zu beziehen oder auf nomízomen. In ersterem Fall wäre zu überset-
zen wenn wir den Brauch hätten, den Edlen schlecht zu ehren, in letzte-
rem wenn wir auf schlechte Weise (d. h. zu Unrecht) den Brauch hätten,
den Edlen zu ehren; vgl. Andr. 693. Die meisten Kommentatoren ent-
scheiden sich für die zweite Möglichkeit, doch halte ich mit Garzya die
erste für wahrscheinlicher.
a¬maqían o¬fläsomen: würden wir uns der Torheit schuldig machen;
vgl. Phön. 763; Alk. 1093. Wenn die zweite Übersetzungsmöglichkeit ge-
298 Kommentar
wählt würde, dann müsste man die Worte so verstehen: würden wir gern
den Vorwurf der Torheit auf uns nehmen; vgl. Soph. Ant. 470. Das ist
allerdings wenig wahrscheinlich, da die Argumentation des Odysseus ganz
darauf angelegt war, zu beweisen, dass die Verhaltensweise der Griechen
gegenüber ihren Helden vernünftig ist.
o¬fläsomen ist der Form nach ein Indikativ des Futurs, der Sinn aber
ist irreal, denn die Griechen verhalten sich gerade nicht so, wie es der ei¬-
Satz beschreibt. Dementsprechend verfahre ich auch in der Übersetzung.
32831 Der unerbittlichen Rede entspricht der brutale Schluss. Dies
ist einer der in der Tragödie nicht seltenen Fälle, wo ein Grieche einen
Barbaren an sein (ethnisches) Barbarentum erinnert, wenn er sein eigenes
(in ethischem Sinn) barbarisches Handeln bemänteln will; vgl. Med. 536
38; Andr. 17376, 243, 261, 665 und die Worte Andromaches Tro. 764: w®
bárbar e¬xeurónteß ÷Ellhneß kaká. S. auch Einführung S. 3740.
328 oi bárbaroi: ihr Barbaren; Nominativ eines Substantivs mit
Artikel neben Imperativ; vgl. Aristophanes Vögel 665f.; KG 1,46f. Ähnlich
auch V. 426 und 428.
328f. fílouß: Freunde. Odysseus greift den Begriff der filía auf,
mit dem Hekabe in V. 256 argumentiert hatte, und verwendet ihn gegen
sie. Das Band der filía verbindet nicht ihn mit Hekabe, sondern das grie-
chische Heer mit dem toten Achilleus.
330f. wörtlich: damit Griechenland glücklich ist und es euch so ähn-
lich geht, wie eure Gesinnungen sind. Während Hekabe ihre Rede in
schroffem Ton begann und schmeichelnd beendete, begann Odysseus
freundlich und endet schroff.
332f. Chorreplik
Die Reaktion des Chores zeigt, dass ihn die Rede nicht überzeugt hat. Er
knüpft daran an, dass Odysseus von Hekabe verlangt hatte, das Unver-
meidliche zu ertragen (326). Er bedauert, dass, wer seine Freiheit verloren
hat, der Gewalt gehorchen und auch das Unbillige ertragen muss. Damit
deutet er auf das Problem hin, um das es im zweiten Teil des Epeisodions
(334443) gehen wird. Die Griechen besitzen die Macht, um die Opferung
Polyxenes erzwingen zu können. Werden sich Hekabe und ihre Tochter in
das Unvermeidliche schicken oder sich erst der Gewalt fügen?
332 Vgl. Antiope F 217 TrGF; tò doûlon ou¬c orâ¸ß oçson kakón;
adesp. F 376 TrGF; ähnliche Formulierung Hipp. 431f. Zum Gedanken
Aristoteles Politik 1253b 2023.
Das mehrfach im Text oder als Variante überlieferte péfuk a¬eì war
immer, ist immer gibt einen guten Sinn, während es großen interpretato-
216443 Erstes Epeisodion 299
Hekabe, die einsieht, dass sie gegen Odysseus keine Argumente mehr vor-
bringen kann, fordert Polyxene auf, ihn selbst durch Worte und Gebärden
um ihr Leben zu bitten (33441). Diese reagiert aber nicht so, wie ihre
Mutter es von ihr erwartet. Sie verzichtet darauf, um ihr Leben zu flehen,
weil für sie der Tod wünschenswerter ist als das Leben (34278).
334f. pròß ai¬qéra froûdoi máthn rifénteß: vergeblich fort in die
Luft geworfen: wie ein Pfeil oder Speer, der sein Ziel verfehlt (schol. V:
ei¬ß máthn e¬ktoxeuqénteß); ähnliche Metaphern Med. 440; Her. 510.
335 r¬ifénteß: verschossen. Die seltene Wortform ist hier und
Andr. 10 gut bezeugt und sollte darum gehalten werden. Zur Wendung vgl.
Alk. 679f. lógouß ríptwn; Med. 1404 máthn e¢poß e¢rriptai.
337 wçst a¬hdónoß stóma: wie der Mund der Nachtigall. Das mo-
dulationsfähige Lied der Nachtigall wurde im Altertum als besonders trau-
rig und herzzerreißend empfunden. Es galt als das Lied der in diesen Vogel
verwandelten Philomela oder Prokne, die um ihren toten Sohn Itys weint
(Odyssee 19,51823; Aisch. Ag. 114245; Soph. El. 14749; Hel. 1107
10).
wçst = wçsper; vgl. V. 178, 205.
339 próspipte
gónu: falle nieder vor seinem Knie. Zum Gestus
des Niederfallens des ikéthß vor den Knien des Angeflehten s. zu V. 245,
286.
340f. Die Liebe zu seinem einzigen Kind Telemachos gehört zu den
feststehenden Zügen der Gestalt des Odysseus; so schon Ilias 2,259f.;
4,354; s. auch die bekannte Episode von der Überlistung des Odysseus, der
sich wahnsinnig stellte, durch Palamedes vor der Ausfahrt der Griechen in
dem verlorenen Epos Kyprien (Proclus p. 31, 4143 EGF).
340 prófasin: wörtlich Anlass, Grund; hier ist wohl am ehesten
etwas wie Ansatzpunkt gemeint.
tékna: Generalisierender Plural, obwohl im konkreten Fall eine ein-
zelne Person gemeint ist; vgl. V. 403, 557, 1237, 1253; KG 1,18. Erfolg-
reiches Appellieren an elterliche Gefühle in anderen Dramen Med. 344f.;
Hik. 5459.
34277 Diese Rede, in der Polyxene sich zum Tode bereit erklärt, ja
ihn sogar als Befreiung von einer unwürdigen Zukunft herbeiwünscht, hat
durch ihre Schicksalsergebenheit und -bejahung besonders die Stoiker
300 Kommentar
méta mit Dativ unter, vgl. Erechtheus fr. 360,26 TrGF met
a¬ndrásin prépoi; KG 1,507. Nachgestellte Präposition wie V. 351.
Canters Konjektur méga scheint mir unnötig zu sein.
Zur Mitteldihärese s. zu V. 15.
356 qeoîsi: den Göttern. Das besser belegte Maskulinum verdient
auch wegen seines generalisierenden Charakters gegenüber qeñ¸si den
Göttinnen den Vorzug.
357 Der erste Halbvers auch Soph. Ai. 489.
tou¢noma: der Name; d. h. die Bezeichnung Sklavin; vgl. Ion 854f.
eÇn gár ti toîß doúloisin ai¬scúnhn férei, tou¢noma.
35966 Zum Los kriegsgefangener Sklavinnen vgl. Ilias 6,45665;
Tro. 194f., 20206; 49097.
359f. despotøn
oçstiß: von Herren
wer auch immer: Relati-
vum im Singular, abhängig von einem Substantiv im Plural; vgl. Med.
219f.; Odyssee 21,293f.; KG 1,56.
361 Vgl. Alk. 676 a¬rgurånhton.
362 prosqeìß
a¬nágkhn sitopoión: Brot machende Notwen-
digkeit auferlegend. Man könnte an Backen denken, doch merkt schol. V
mit Recht an: tæn mulikæn ei®pe. Mahlen als schwere Arbeit von Sklavin-
nen Odyssee 7,104, 20,10519.
363 saírein: fegen als Aufgabe von Sklaven Andr. 166; Kykl. 29;
Ion 11215; Hypsipyle F 752f, 16f. (etwa V. 203f.); Phaethon F 773, 54
56 TrGF.
kerkísin: Webstuhl, eigentlich Weberschiffchen, Synekdoche
(pars pro toto).
Es ist zu unterscheiden zwischen der kunstvollen Weberei als Tätigkeit
von Göttinnen und Königinnen (Odyssee 5,62; 10,222f.; 24,148) und der
Herstellung von Stoffen für Kleidung und Wäsche für den täglichen Be-
darf. Letzteres ist die Aufgabe von Mägden unter Aufsicht der Hausherrin.
Diese Art von Arbeit ist hier gemeint; vgl. Ilias 6,456; Odyssee 7,105f.
366 craneî: wird beflecken; vgl. Hipp. 1266; Soph. Öd. 821f.
367f. Der von Blomfield hergestellte Text lautet a¬fíhm o¬mmátwn
e¬leuqérwn féggoß tód Ich gebe dieses Licht meiner freien Augen auf.
Es ist zu verstehen: Ich gebe es auf, dieses Licht (nämlich das Sonnen-
licht) zu schauen, solange meine Augen noch frei sind. Aber auch der
überlieferte Text e¬leúqeron féggoß, bei dem das Adjektiv frei mit dem
Substantiv Licht verbunden würde, ist nicht unmöglich und ergibt etwa
den gleichen Sinn. Vgl. die Diskussion bei Biehl (1997) 105f. Allerdings
schließe ich aus, dass nach dem Willen des Autors die Zuschauer eine
Beziehung zwischen dieser Stelle und dem Ausdruck féggoß o¬mmátwn in
V. 1035 herstellen sollten, wie Biehl meint. Eine solche Beziehung, welche
die Zuschauer ja erst rückblickend bemerken könnten, wenn sie später in
216443 Erstes Epeisodion 303
V. 1035 die Blendung Polymestors miterleben, ist für sie bei der rasch
ablaufenden und spannenden Bühnenhandlung nicht wahrnehmbar. Außer-
dem ist der Sinn der Wendung in V. 1035, wo es ja um eine Blendung
geht, ein ganz anderer.
Dass der Todesentschluss in Freiheit erfolgt, wird auch anderswo be-
tont: Hkld. 559 e¬leuqérwß qánw; Or. 1170f. e¬leuqérwß yucæn a¬fäsw.
368 ÷Aidh¸: dem Hades, dem Unterweltsgott. Sie wird damit gleich-
sam zu einer Braut des Hades, wie Antigone (Soph. Ant. 81016, 891),
Kassandra (Tro. 445); Iphigenie (Iph.T. 369, Iph.A. 461) und sogar Helena
(jedenfalls nach dem Plan des Pylades Or. 1109).
370f. Ähnliche Formulierung in ähnlicher Situation Hkld. 520f.
372 hmîn mhdèn e¬mpodn génh¸: stelle dich uns nicht in den Weg;
vgl. Iph.A. 1395f.
sumboúlou: sumboúlesqai mit Dativ: zusammen mit jemandem
wünschen. Anscheinend ein von Eur. spontan gebildetes Kompositum. Es
begegnet erst wieder bei Platon und Xenophon.
373 légousa mhdè drøsa: statt mæ l. mhdè dr. KG 1,291 führt diese
Stelle als Beispiel für die häufige Weglassung der Negation beim ersten
Glied an. Allerdings steht hier ein mä an einer früheren Stelle des Satzes.
374 mæ kat a¬xían: nicht in würdiger Weise. Polyxene geht es um
die eigene Würde und um die ihrer Mutter. Sie wird auch von ihr ein wür-
diges Verhalten fordern (40508) und wird selbst noch im Angesicht des
Todes ihre Würde als Königstochter zu bewahren suchen (54670).
37578 Allgemeine Reflexionen stehen bei Eur. oft am Schluss einer
Rede. Die hier formulierte Maxime der heroischen Sinnesart lieber nicht
leben als schlecht leben findet sich häufig; vgl. Tro. 637; Archelaos F
245, 8f.; Erechtheus F 370, 21f. TrGF; Soph. Ai. 479f.; Trach. 721f.; El.
989. Die Gegenthese Iph.A. 1252 (kakøß zñn kreîsson h£ kaløß qaneîn)
ist nicht Iphigenies letztes Wort, denn es folgen dort V. 1375f.
376 au¬cén e¬ntiqeìß zugø¸: wenn er seinen Nacken ins Joch gelegt
hat, häufige Metapher für das Ertragen von Zwangslagen; vgl. Tro. 678;
Or. 1330; ähnlich Aisch. Ag. 218 a¬nágkaß e¢du lépadnon.
377 mâllon eu¬tucésteroß: viel glücklicher, durch Zusatz von
mâllon verstärkter Komparativ; vgl. Hipp. 485; KG 1,26.
Der Chor äußert indirekt seine Bewunderung darüber, dass Polyxene sich
ihrer edlen Abkunft gemäß würdig verhält. Umgekehrt heißt es El. 36972
und 550f., dass es Menschen edlen Stammes gibt, die nichts wert sind,
ebenso wie gute Menschen, die von armen Eltern stammen. Die hier an-
304 Kommentar
382443 Schlussgespräch
ausgesetzt, wächst bei den Hirten am Berg Ida auf, kehrt dann als Jüngling
an den Hof des Priamos zurück und wird als Königssohn anerkannt. Die
Geschichte seiner Jugend wurde zum Thema des fragmentarisch erhaltenen
Alexandros des Eur. Paris entscheidet den Schönheitswettstreit der drei
Göttinnen zugunsten Aphrodites und erhält dafür Helena zugesprochen, die
er daraufhin ihrem Gatten Menelaos raubt, was zum Anlass des trojani-
schen Krieges wird. Im Krieg bleibt er zwar an Tapferkeit hinter Hektor
zurück, doch gelingt es ihm mit Hilfe Apollons, Achilleus, den Sohn der
Thetis, zu töten. Er selbst fällt gegen Ende des Krieges durch einen Pfeil
Philoktets.
Hier ist die einzige Stelle in diesem Drama, wo von einer Mitver-
antwortung Hekabes an den Ereignissen die Rede ist, die vom Parisurteil
über den Raub Helenas zum Tod des Achilleus und zum Untergang Trojas
führten. Sie hat Paris geboren und die Sehersprüche mißachtet, die davor
warnten, ihn aufzuziehen. Deutlicher sind in dieser Hinsicht Andr. 293
308 und vor allem der Alexandros.
389 geraiá: Damit gibt Odysseus zugleich den Grund für die Ableh-
nung des Wunsches Hekabes, sich anstelle ihrer Tochter opfern zu lassen.
Achilleus will keine Greisin, sondern eine Jungfrau.
391 dé
a¬llà: dann aber wenigstens; ähnlich Med. 942; Hkld.
565; Ion 978; Phön. 1667.
Hekabe widersetzt sich zunächst dem Rat, den Polyxene ihr in V. 372
74 gegeben hat.
392f. Die Erdgöttin und die Toten trinken nach verbreiteter Vorstel-
lung das Blut der ihnen dargebrachten Opfertiere; vgl. Odyssee 11,4450,
9599.
Zum Gedanken vgl. auch Alk. 90002.
392 Für sprachlich richtiges pøm erscheint in allen Hss. póm. Der
gleiche Fehler auch Hipp. 209, 227; Kykl. 123, 139; Ba. 279.
393 tád: Neutrum pluralis: dies, ohne bestimmtes Bezugswort,
aber dem Sinn nach auf die Opferung des Blutes zu beziehen.
395 mhdè tónd w¬feílomen: Wenn wir doch auch diesen (sc. Tod)
nicht (herbeiführen) müssten! Verneinter unerfüllbarer Wunsch wie Alk.
880f.; Med. 1413; Andr. 118991. Odysseus zeigt sich also nicht unbeein-
druckt von den Bitten der Mutter und der Tapferkeit der Tochter. Da man
dramatischen Charakteren nicht ins Herz blicken kann, ist es müßig, darü-
ber zu streiten, ob diese Anteilnahme geheuchelt ist oder nicht.
396 pollä g a¬nágkh: vgl. Soph. El. 309; Trach. 295 pollä ¯st
a¬nágkh mit folgendem Infinitiv.
397 Heftige Reaktion des Feldherrn Odysseus darauf, dass eine Skla-
vin es wagt, ihn zu etwas zwingen zu wollen.
306 Kommentar
fung der adjektivischen Attribute als störend und zog das zweite Adjektiv
zur Anrede. Doch nimmt Biehl (1997) 107 wohl mit Recht an, dass
a¬qlíou túchß als feste Prägung gleichbedeutend mit qanátou des To-
des ist. Ein ähnliches Textproblem auch Alk. 1038.
426 Zu Kassandra s. zu V. 88.
427 tóde:dies: ist weniger ausdrucksvoll als recht häufig belegte
cará Freude, doch ist tóde noch breiter überliefert und deswegen wohl
vorzuziehen. cará wäre dann als Glosse aufzufassen.
Zum Wortspiel mit der Doppelbedeutung von caîre, das sowohl freue
dich als auch sei gegrüßt, lebe wohl bedeutet, vgl. Phoin. 618; Or.
1083f.; Aristophanes Acharner 832; Menander Dyskolos 512f.; Theokrit
22,54f.
42830 Eur. hält mit dieser Erwähnung des Polydoros die zweite
Teilhandlung in der Erinnerung des Zuschauers. Hekabe zweifelt auf
Grund ihres Traumes (V. 7381) mit Recht daran, dass er noch lebt, wäh-
rend Polyxene sie dadurch zu trösten versucht, dass sie ihre Hoffnung
wach hält.
428 Polyxene setzt nach dem bitteren Einwurf Hekabes ihre mit V.
426 begonnenen Abschiedsgrüße fort.
430 qanoúshß (zu ergänzen soû): wenn du stirbst.
sugklä¸sei: wird schließen, von Türen, Räumen, Lippen, Augen.
Für den Zuschauer, der den Ausgang des Stückes schon weiß (V. 49f.),
hat diese Voraussage ironischen Charakter. Nicht Polydoros wird ihr nach
ihrem Tode die Augen schließen, sondern sie wird ihn zu bestatten haben.
432 kára péploiß: Das fast einhellig überlieferte kára péploiß
umgib mir mein Haupt mit Gewändern ist von sich aus nicht zu bean-
standen; vgl. auch schol. M (kalúyaß toîß imatíoiß); Hkld. 561; Hipp.
1458; Tro. 627. Nur eine Hs. und ein jüngeres Scholium vertauschen Dativ
und Akkusativ; darum die Konjektur von Kirchhoff kára¸ péplouß lege
dem Haupt die Gewänder um. Dies ist der häufigere Sprachgebrauch;
doch lässt LSJ auch kára péploiß gelten; dazu Biehl (1997) 107f.
Der Vers ist zugleich eine Regieanweisung. Die hier angekündigte
Verhüllung Polyxenes erfolgt nach V. 437. Die Verhüllung kann Trauer
und überhaupt großen seelischen Schmerz anzeigen (s. V. 487), aber auch
die unmittelbare Nähe des Todes; vgl. Hipp. 1458.
433 e¬ktéthka kardían: wörtlich: ich bin geschmolzen in Bezug auf
mein Herz; vgl. Odyssee 19,136 fílon katatäkomai h®tor.
435 Abschied vom Sonnenlicht als Topos bei denen, die bewusst in
den Tod gehen: V. 411f.; Alk. 244; Iph.A. 150609; Aisch. Ag. 1323f.;
Soph. Ai. 85658; Ant. 80810, 879f.; Schmitt (1921) 48.
436f. oçson crónon xífouß baínw metaxù kaì purâß: soviel Zeit,
wie ich gehe zwischen (dem jetzigen Zeitpunkt und) dem Schwert und
310 Kommentar
Grabmal. DieWörter xífoß und purá beschreiben den Ort und zugleich
den Zeitpunkt der Opferung. Zu purá s. zu V. 386.
437 Schlesier (1988) 115: Das letzte Wort an ihre Mutter ist der
Name des Achill.
Nach diesem Vers tritt Odysseus, der seit V. 402 abseits gestanden hat,
zu Polyxene, verhüllt sie, wie in V. 432 von ihr erbeten, und geht mit ihr in
Richtung zum Lager ab.
438 oi£ ¯gå: weh mir, zweisilbig mit Aphärēse (oi£ ¯gå) oder in Sy-
nizese (oi£ e¬gå) zu sprechen. Vgl. V. 676; anders V. 154 in anapästischem
Kontext; zur Formulierung Alk. 391; Hkld. 602.
Ennius Hecuba fr. 209 Warmington = 89 Jocelyn heu me miseram
interii; pergunt lavere sanguen sanguine könnte eine sehr freie Über-
tragung dieses Verses sein.
440 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. Eindrucksvolle Formulierung zum
Schluss des Abschiedsgesprächs. Es ist deutlich, dass die Elision hier nicht
etwa den Einschnitt zwischen den beiden Vershälften mildert, wie man-
che Metriker meinen, sondern dass der auch durch eine Interpunktion mar-
kierte Einschnitt seine volle Kraft behält.
44143 Viele Herausgeber halten es für unmöglich, dass Hekabe, die
gerade gesagt hat, dass ihre Kräfte sie verlassen (V. 438, 440), wenig spä-
ter zu einer solchen Verwünschung fähig sein soll. Hermann gab die Verse
dem Chor; und Hartung strich sie, worin ihm manche folgen. Der Chor
kann jedoch die Verse kaum gesprochen haben, denn es gibt sonst nirgends
in der Tragödie Chorrepliken unmittelbar vor einem Chorlied. Die Verse
sind zu halten, und zwar im Munde Hekabes. Es gibt Vergleichbares in V.
68387, wo Hekabe, als sie vom Tod des Polydoros erfährt, mit dem Aus-
ruf a¬pwlómhn erschüttert zusammenbricht, aber sofort anschließend mit
der Totenklage beginnt, ferner in Andr. 1077f., wo Peleus die Nachricht
vom Tode des Neoptolemos erhält, daraufhin a¬pwlómhn ruft, doch schon
wenige Verse später imstande ist, den Botenbericht über die Umstände des
Todes entgegenzunehmen. Ähnliches findet sich auch in Hkld. 60207, wo
Iolaos in einer unserer Szene entsprechenden Situation mit den Worten
lúetai mélh zusammensinkt, aber danach dem Chor noch Anweisungen
geben und die neu entstandene Lage ruhig beurteilen kann. Die Worte
Hekabes in V. 44143 zeigen, dass sie auch jetzt im Augenblick tiefster
Niedergeschlagenheit noch so viel Kraft besitzt, dass sie sich bald wieder
wird erheben können. Sie können also als Vorbereitung der Rachehandlung
der zweiten Dramenhälfte angesehen werden. Auch der Chor äußert sich in
V. 94351 ähnlich hasserfüllt über Helena. In der Helenaszene Tro. 860
1059 wird Eur. auf das Thema der Feindschaft Hekabes gegen Helena
zurückkommen.
44483 Erstes Stasimon 311
Dieses Chorlied, das aus zwei Strophenpaaren besteht, bezieht sich, wie
auch die beiden anderen Stasima (62956 und 90551), nicht direkt auf die
Handlung, sondern auf den Hintergrund, vor dem die Handlung stattfindet
und für den sie exemplarisch ist, nämlich auf den Fall Trojas und das
Schicksal der Bewohner, insbesondere der Frauen und Kinder. Da dieser
Hintergrund in den Tro. der gleiche ist, ebenso wie die Hauptgestalt und
die Zusammensetzung des Chores, ist es nicht verwunderlich, dass zwi-
schen den Stasima der beiden Dramen eine große Ähnlichkeit besteht. Dies
gilt insbesondere für unser Lied und Tro. 10601117.
Der Chor, der, wie meistens, aus einfachen Frauen besteht, bewundert
zwar die Gesinnung der heroischen Gestalten, die Entschlossenheit
Polyxenes zu einem Tod in Freiheit und später auch den festen Willen
Hekabes, ihren Sohn zu rächen, er betrauert auch, was er verloren hat, aber
ergibt sich in sein schlimmes Schicksal, weiter leben zu müssen. Er gibt
312 Kommentar
sich sogar für eine Weile Wunschträumen hin und malt sich aus, dass es
auch im Unglück ein wenig Freude geben könnte; bis er am Schluss zur
bitteren Wirklichkeit zurückfindet. Zu diesem Lied Barlow (1971) 25; V. J.
Rosivach, American Journal of Philology 96 (1975) 34962, Nordheider
(1980) 1519; Michelini (1987) 330f.; C. Collard, Sacris Erudiri 31 (1989
90) 86; Mossman (1995) 7783; C. W. Willink, Eur. Hec. 444/6455/7,
Hel. 146577, Ba. 56575, Mnemosyne 58 (2005) 499509.
44474 Im ersten Strophenpaar (44465) und der zweiten Strophe
(46674) singen die Choreutinnen von ihrer bevorstehenden Fahrt übers
Meer nach Griechenland und den möglichen Zielen. Dabei erwähnen sie
Delos und Athen mit so viel Sympathie, dass man fast meinen könnte, sie
freuten sich darauf, dorthin zu gelangen.
444 au¢ra, pontiàß au¢ra: Windhauch, Windhauch des Meeres.
Anrede mit Erweiterung des zweiten Gliedes; vgl. Aisch. Ag. 973; Tro.
314. Das überlieferte pontiàß ist in der Tragödie sonst nicht belegt, jedoch
bei Pindar Nemeen 4,36; Isthmien 4,20. Zu dem von Willink vorgeschlage-
nen sehr erwägenswerten potniàß vgl. Or. 318; Ba. 664; Phaethon F
773,82 TrGF pótni au¢r[a].
445 açte: die: Femininum des Relativpronomens mit dorischem
Vokalismus, durch te erweitert ohne Bedeutungsveränderung (LSJ s.v.
oçste).
Anrufungen, auf die Relativsätze folgen, sind charakteristisch für den
hymnischen Stil. Besonders Götter werden so angerufen, auch Schiffe:
Hipp. 752f.; El. 432; sogar Ions Besen Ion 11214; parodiert durch Aristo-
phanes Frösche 1309.
446 a¬kátouß: eigentlich eine Bezeichnung von kleinen Booten, aber
von Eur. allgemein für Schiffe verwendet; so Tro. 1100; Or. 341, Phaethon
F 773,79 TrGF.
límnaß: dorisch für límnhß;: eigentlich des Sees, poetisch auch des
Meeres; Ilias 24,79; Soph. Oinomaos F 476 TrGF e¬p oi®dma límnaß.
448 tø¸ (= tíni): wem; entweder zu wem oder von wem.
doulósunoß: zweiendiges Adjektiv: sklavisch, hier feminin als
Sklavin; nur hier belegt; ähnlich despósunoß V. 99, 1294.
451 Dwrídoß ormòn ai¢aß: zu einem Hafen der dorischen Erde, also
der Peloponnes, der Heimat von Agamemnon, Menelaos und Nestor, das
(zu einem freilich mythologisch späteren Zeitpunkt) von den Dorern
besiedelt wurde. Ähnlich Soph. Öd.K. 696f. e¬n t⸠megála¸ Dwrídi násw¸
Pélopoß.
452 h£ Fqiádoß: oder (zu einem Hafen) des Landes von Phthia, der
Phthiotis im südlichen Thessalien, der Heimat des Achilleus und Neopto-
lemos.
44483 Erstes Stasimon 313
454 ¯Apidanòn: ein Fluss, der die Phthiotis bewässert, also ernährt;
darum patéra.
lipaínein: wörtlich fett machen, hier fruchtbar machen; vgl. Ba.
57175.
45574 Nachdem die Peloponnes und Thessalien die zur Zeit des Eur.
von Dorern und Äolern bewohnten Landschaften vertraten, dürften jetzt
Delos und Athen den ionischen Stamm vertreten, womit das ganze Grie-
chenland als mögliches Fahrtziel umrissen wäre; so Rosivach (1975) 351f.
455f. náswn: noch abhängig von 451 oçrmon: (zu Häfen) der Inseln.
aliärei kåpa¸: wörtlich mit dem das Salz (des Meeres) durch-
rudernden Rudergriff, Synekdoche (pars pro toto); schol. M: tñ¸ e¬n alì
e¬ressoménh¸ kåph¸.
456f. Die von Willink vorgeschlagenen Änderungen pempoména und
e¢cous bewirken, dass die beiden Partizipien nicht vom weit entfernt ste-
henden me abhängen, sondern vom näher stehenden a¬fíxomai. So auch
schol. M: e¬n oi©ß a¬fíxomai oi¢koiß oi¬ktràn zwæn e¢cousa. Auch scheint
mir Willinks a¢oikoß unbehaust einen besseren Sinn zu geben als oi¢koiß
im Haus; vgl. auch Hipp. 1029 a¢poliß a¢oikoß. Darüber hinaus schlägt
Willink vor, pónoiß statt oi¬ktràn zu lesen, um eine genauere Responsion
zu erreichen.
45865 Delos wird auch Iph.T. 10971105 vom Chor gepriesen.
458f. prwtógonoß: zuerst geborene. Schol. MV berichten, dass in
dem Augenblick, als die schwangere Leto die gerade aus dem Meer em-
porgestiegene Insel Delos betrat, dort eine Palme (foînix) und ein Lor-
beerbaum (dáfnh) aus der Erde wuchsen. Zu Füßen dieser beiden Bäume
gebar Leto dann ihre beiden Kinder Artemis und Apollon. Die Palme auf
Delos galt als der erste und wohl zunächst auch einzige Baum dieser Art in
Griechenland. Der Lorbeer ist der dem Apollon heilige Baum.
460 Latoî fílon: Akkusativ das der Leto liebe, auf a¢galma zu be-
ziehen.
fílon verdient aus metrischen und inhaltlichen Gründen den Vorzug
gegenüber dem überlieferten Dativ Latoî fíla¸ der lieben Leto. Die
große Distanz, die zwischen Göttern und Menschen besteht, macht es den
Menschen schwer, Götter lieb zu nennen. Immerhin sagt Theognis 373:
Zeû fíle, doch vgl. Aristoteles Magna Moralia 1208b 30f.: a¢topon gàr
a£n ei¢h ei¢ tiß faíh fileîn tòn Día (ähnlich Nikomachische Ethik 1158b
3559a 8). Auch schol. V zu V. 444 (tñ¸ Lhtoî fíla a¬gálmata kaì døra)
legt nahe, dass das Adjektiv im Akkusativ stand. Vgl. auch Iph.T. 1102
Latoûß w¬dîni fílon.
460f. w¬dînoß a¢galma Díaß: Denkmal für die Geburt der Kinder des
Zeus: wörtlich Denkmal der göttlichen oder der von Zeus verursachten
Geburtswehen.
314 Kommentar
dîoß oder Dîoß: Adjektiv göttlich oder dem Zeus zugehörig. Ge-
meint sind jedenfalls Artemis und Apollon, die durch Zeus gezeugten Kin-
der der Göttin Leto.
a¢galma: ein Chamäleon-Wort nach Collard: Freude, Schmuck,
Stolz und alles, was dazu beiträgt, auch Weihgeschenk, Götterbild. Hier
dürfte Denkmal gemeint sein, denn an dieser Palme war es, wo Leto den
Apollon gebar; vgl. Apollonhymnos 11519; Iph.T. 10981102; Ion 919
22; Odyssee 6,162f.
46265 Dass die Frauen sich an Tänzen zu Ehren der Artemis zu be-
teiligen wünschen, ist verständlich, denn im Dienste der jungfräulichen
Göttin wären sie sicher vor den sexuellen Wünschen ihrer Herren
(Rosivach). Aber Sklavinnen wurden wohl nicht zu solchen Chören zuge-
lassen. Darum dürfte der Wunsch Illusion bleiben.
Manche möchten einen Zusammenhang mit der Neuordnung des Kult-
festes auf Delos im Jahre 426/25 durch die Athener (Thukydides 3,104)
und dieser Strophe in dem wohl nicht lange nach diesem Datum aufgeführ-
ten Stück sehen. Diese Beziehung ist zwar möglich, aber sie muss Vermu-
tung bleiben. Skeptisch Wilamowitz, Eur. Her. 2,14042.
Erwähnung eines Liedes der delischen Mädchen auch Her. 68790.
465 cruséan t a¢mpuka: goldenes Stirnband, ein Schmuck vor-
nehmer Frauen (Ilias 22,469; Aisch. Hik. 431) und Göttinnen. cruséan t
ist zweisilbig in Synizese zu lesen ( qq ). Zur Stellung von t in den Hss.
s. Diggle (1994) 267 u. Anm. 59.
46674 Der Chor idealisiert sein mögliches Leben in Athen ebenso
wie das auf Delos. Das Weben des Peplos, der Athene zu den Panathenäen
überreicht zu werden pflegte, war ausgewählten Bürgertöchtern vorbe-
halten. (Auch der Chor der griechischen Sklavinnen bei den Taurern würde
gerne an diesem Peplos mitweben: Iph.T. 22224). Dass durch die bewun-
dernden Worte der in die Sklaverei aufbrechenden Gefangenen über das
große Fest auf die Göttin selbst und auf ihre Stadt Athen ein Schatten
fiele, wie Synodinou vermutet, meine ich nicht. Im Gegenteil: Die Stro-
phe scheint mir (ähnlich wie Med. 82445) ein Loblied auf Athen zu sein;
eine Verbeugung vor dem athenischen Publikum, so wie die vorausgehen-
de Strophe ein Preislied auf das von Athen verwaltete und durch die Fest-
gesandtschaften vielen Athenern wohlbekannte Delos war.
467 tàß kallidífrouß: Akkusative des Plurals, auf pålouß bezo-
gen: die schönwagigen Pferde. Dagegen wären tâß (dorisch für tñß) und
kallidífrou Genetive des Singulars und auf Athene zu beziehen: Pferde
der schönwagigen Athene. Weder das eine noch das andere lässt sich im
Deutschen nachahmen.
Aqanaíaß ist entweder auf pålouß oder (eher) auf péplw¸ zu bezie-
hen.
44483 Erstes Stasimon 315
Auch die nachgestellte Präposition mag befremden, doch vgl. auch Alk. 46,
Soph. Phil. 343; KG 1,534f. (Anastrophische Tmesis). Schol. M stellt fest,
dass zu ergänzen ist metapémyantóß se da er (sc. Agamemnon) dich
holen lässt. Zum Fehlen eines zu erwartenden Objekts nach
metapémpesqai vgl. Thukydides 1,112,3 und 6,88,9. In Alk. 46 und 66
fehlt das Objekt nicht.
Biehl (1997) 114f. weist richtig darauf hin, dass V. 503f. durchaus eine
Funktion haben: Talthybios stellt sich und sein Amt vor, nennt seinen Auf-
traggeber und redet Hekabe als Empfängerin seiner Botschaft an.
50507 Hekabe äußert zuerst eine falsche Vermutung, bevor sie den
wahren Inhalt der Botschaft des Talthybios erfährt. Sie vermutet nämlich,
dass sie ebenfalls sterben soll, und reagiert darauf mit Freude und Eifer.
Eur. lässt auch sonst öfter seine Personen vor der Entgegennahme von
Unglücksbotschaften irrige Vermutungen äußern. Die Botschaft selbst
bringt dann oft eine Steigerung des Unglücks. S. auch zu V. 67177.
505 ka¢m (= kaì e¬mè): auch mich, zusätzlich zu Polyxene.
506 dokoûn ¯Acaioîß da die Achäer beschlossen haben; absoluter
Akkusativ des Partizips; vgl. V. 119; KG 2,88f.
507 e¬gkonømen: wörtlich lasst uns eilen; vgl. Her. 521 i¢t
e¬gkoneîte. Vielleicht erhebt sich Hekabe bei diesen Worten schnell vom
Boden.
50810 Jetzt erfolgt die kurze Mitteilung der Botschaft und die aber-
malige, aber genauere Nennung der Auftraggeber. Die Meldung des Ereig-
nisses geht wie üblich dem ausführlichen Bericht voraus. Der Empfänger
der Meldung fragt dann gewöhnlich, wie das Gemeldete geschah, und gibt
damit das Stichwort für den Bericht: V. 515 pøß wie?.
509 metasteícwn se: auf die Suche nach dir gehend; vgl. Hik. 90
hÇn metasteícw.
510 Atreîdai: Agamemnon und Menelaos, die Söhne (oder Enkel)
des Atreus.
511 oi¢moi, tí léxeiß: weh mir, was wirst du sagen? Bei Eur. häufi-
ger Ausruf des Erstaunens und heftigen Erschreckens; vgl. V. 712, 1124;
Hipp. 353 (und Barrett zur Stelle); Ion 1113; Med. 1310.
wß qanouménouß zu uns, die sterben werden: Generalisierender Plu-
ral des Maskulinums bezogen auf weibliche Personen; vgl. V. 237, 670,
798; KG 1,83.
513 o¢lwlaß w® paî: du bist dahin; Kind? Durch die Anrede stellt
Hekabe gleichsam über den Tod hinweg den Kontakt mit ihrer Tochter
wieder her.
a¢po: Nachstellung der Präposition (mit Apostrophe des Tons); vgl. V.
504; KG 1,554
320 Kommentar
514 tou¬pì s(= tò e¬pì sé): Akkusativ der Beziehung, soweit es sich
auf dich bezieht, was dich angeht, wie Alk. 666; Rhes. 397.
Gregory vermutet, dass der Dichter durch diesen Zusatz auf das
Schicksal des Polydoros anspielt und damit schon auf die zweite Teil-
handlung vorausweist. Mir scheint allerdings ein solcher Hinweis zu dis-
kret zu sein, als dass ihn das Publikum bemerken könnte.
Die noch lebenden Kinder Helenos und Kassandra bleiben hier, ebenso
wie in V. 810 und 821, außer Betracht.
515 pøß kaí: wie denn? Neben Fragepronomina oder -adverbien
hat kaí verstärkende Funktion; vgl. V. 1065; Alc. 834; Hipp. 1171; KG
2,255.
e¬xepráxat: brachtet ihr sie um. Italie meint, dass Hekabe hier ab-
sichtlich einen groben Ausdruck verwendet, doch findet sich die gleiche
Wendung, sicher ohne einen solchen Nebenton, auch Aisch. Ag. 1275;
Soph. Öd.K. 165860.
516f. Genauer Oder gingt ihr an das Furchtbare (nämlich die Opfe-
rung) heran, als ob sie eine Feindin wäre, als ihr sie tötetet?
Zu den Befürchtungen, die Hekabe andeuten mag, s. auch V. 6048.
51820 Zur Formulierung vgl. Hel. 143, 76971; Soph. Öd.K. 361
64; Vergil Aeneis 2,3; Seneca Hercules Furens 650f. Die gegenteilige Mei-
nung, nämlich dass es erfreulich sei, über vergangenes Leid zu berichten:
Hel. 665, Odyssee 15,400f.
Talthybios betont mit diesen Worten, dass seine Anteilnahme am Ge-
schehenen im Augenblick des Berichts noch immer ebenso groß ist wie
zuvor, als er unmittelbar an ihm teilnahm. Dazu de Jong (1991) 30f.
518 dákrua kerdânai: wörtlich Tränen gewinnen oder ernten,
ironisch, also nicht als Vorteil, sondern als Nachteil. Ähnlich Aristophanes
Wolken 1064 kérdoß e¢laben. Anders schol. V: wß fíloß gàr kérdoß
oi¢etai tò klaûsai e¬k deutérou tæn Poluxénhn. Zur Stelle auch P. Pucci,
Eur., The Monument and the Sacrifice, Arethusa 10 (1977) 16870.
52182 Talthybios schildert in seinem Botenbericht teilnahmsvoll die
Opferung Polyxenes. Er preist ihr würdevolles Verhalten und spendet da-
mit zugleich Hekabe einen gewissen Trost, der ihren Schmerz über den
Verlust ihrer Tochter etwas lindert. Auffällig sind die in solchen Berichten
bei Eur. auch sonst häufigen direkten Reden (532f., 53441, 54752, 563
65, 57780), die dem Bericht einen epischen Charakter geben und ihn
zugleich lebendiger gestalten. Hierzu Bers (1997) 7779.
484628 Zweites Epeisodion 321
Dass der Bericht den Zweck der Tröstung Hekabes erfüllt, wird ihre
Entgegnung in V. 58592 zeigen.
519 sñß paidòß oi¢ktw¸: aus Jammer um dein Kind, objektiver Ge-
netiv.
521 Zu den Bedeutungsnuancen des Wortes o¢cloß Masse s. zu V.
880.
522 plärhß: vollzählig; vgl. V. 107. Doch während dort die Be-
schlussfähigkeit betont wurde, geht es hier um die Ehrung des Achilleus
(und, wie es sich zeigen wird, auch der Polyxene) durch vollzählige Anwe-
senheit.
52328 Viermaliges Vorkommen von Formen des Wortes ceír in
sechs Versen. Ein gutes Beispiel dafür, dass Wortwiederholungen von den
Tragikern nicht gemieden werden (Italie). Vgl. auch V. 115163.
523 labn
ceròß: nahm
bei der Hand, im Griechischen Par-
tizip. Diese Geste gehört auch zum Hochzeitsritus. Polyxene erscheint also
als eine Braut des Hades.
Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. Häufig steht sie dann, wenn in der ers-
ten Vershälfte eine Namensangabe durch ein Patronymikon in der Form
Name des Vaters im Genetiv + paîß erfolgt. Hierfür viele Beispiele aus
den drei Tragikern bei Stephan (1981) 11014.
524 e¬p a¬kroû cåmatoß: auf der Spitze des Grabhügels; so auch
Or. 116. Polyxene erhält eine weit sichtbare Bühne für ihren heroischen
Tod; so de Jong (1991) 153.
525 lektoí
e¢kkritoi: erlesene, ausgewählte, Synonyme, die
hervorheben, dass nicht nur das zu opfernde Lebewesen besonders ausge-
zeichnet ist, sondern dass auch die Helfer beim Opfer es sind.
526 skírthma móscou sñß: ein Zappeln deines Kalbes. Tierme-
tapher wie in V. 142, Andr. 711; móscoß im Tiervergleich bei Menschen-
opfern V. 205f., Iph.T. 359.
Die abermalige Mitteldihärese mag die Eindringlichkeit der Metapher
noch steigern.
52742 Das Trankopfer geht bei jeder Opferhandlung dem eigent-
lichen Opfer voraus. Unerläßlich für den Beginn der Kulthandlung ist die
eu¬fhmía, wörtlich das gut Reden oder eher das nicht schlecht Reden,
also das kultische Schweigen. Denn schlechtes, also unfrommes, frevel-
haftes Reden vermeidet man am sichersten, wenn die ganze Gemeinde
schweigt. Vgl. auch Iph.A. 1563f. Talqúbioß
eu¬fhmían a¬neîpe kaì
sigæn stratø¸.
528f. Die historischen Praesentia hier und im folgenden heben den
Augenblick des Beginns der Zeremonie besonders hervor; de Jong (1991)
43.
322 Kommentar
528 ai¢rei: Die meisten Hss. überliefern e¢rrei floss, das dann die
sonst nicht belegte Bedeutung ließ fließen haben müsste. Die Grabspen-
de wird von Neoptolemos vielmehr erst später ausgegossen, nachdem
Talthybios das Heer zum Schweigen gebracht hat. Er spricht dazu V. 534
41. Darum verdient das in wenigen guten Hss. bezeugte ai¢rei hebt den
Vorzug.
530 Vgl. Phön. 1224 keleúsaß sîga khrûxai stratø.¸
53133 Der Herold hebt seinen eigenen Anteil am Geschehen hervor
und betont mit professionellem Stolz die Leistung, dass er als einzelner
eine so große Menschenmenge zur Ruhe gebracht hat. Vgl. de Jong (1991)
5; Bers (1997) 69; Hik. 669f.
531 Das besser überlieferte parástaß zur Seite tretend entspräche
der im Epos häufigen Wendung ei®pe parástaß trat an ihn heran und
sprach, wäre hier aber eine bloße Wiederholung des bereits in V. 524
Gesagten. Dagegen betont katástaß auftretend, dass Talthybios in sei-
ner Funktion als Herold tätig wird, und verdient darum den Vorzug.
532 sîga: still; Adverb wie Hipp. 660; Hik. 669; Her. 868, 1060,
1067; Phön. 1224; Or. 140; Phaethon F 773,118 TrGF a¬llà sîg e¢stw
léwß.
533 síga siåpa: man sei still, man schweige: Imperative der Ver-
ben sigân und siwpân, zu ergänzen etwa pâß tiß. Vgl. V. 1069; Kykl.
488.
nänemon d e¢sths o¢clon: wörtlich: ich machte die Menge zu einer
windstillen. Durch die Metapher wird die zuvor lärmende und durchei-
nander wogende Menge mit einer windbewegten Meeresfläche gleichge-
setzt.
Zu o¢cloß s. zu V. 880.
53441 Eine Opferhandlung wird in der Regel durch ein Gebet eröff-
net. Es ist interessant, dieses Gebet mit dem des Achilleus bei der Opfe-
rung Iphigenies Iph.A. 157076 zu vergleichen, das allgemein für eine
spätere Nachdichtung unserer Passage gehalten wird. Hier wie dort wird
die Gottheit oder der Heros angeredet, es wird die Opfergabe angekündigt
und es wird gesagt, welche Gegengabe erwartet wird, nämlich in dem ei-
nen Fall die glückliche Ausfahrt und in dem anderen die glückliche Rück-
kehr der Flotte.
535 moi: hier entweder Dativ des Interesses mir (so KG 1,419) oder
auctoris von mir. Der Genetiv mou wäre possessiv zu verstehen: diese
meine Güsse.
khlhthríouß besänftigende. Dazu Hesychius K 2501: tàß yucàß
qerapeuoúsaß.
484628 Zweites Epeisodion 323
bedarf; auch ist der gedankliche Anschluss des mit ou©per eben dessen
eingeleiteten Relativsatzes schwierig. Dagegen schließt 557 tód
e¢poß
sehr gut an 554 ei®pen an. Vgl. Page (1934) 67. Biehl (1997) 117f. vertei-
digt wenig überzeugend die Echtheit der Verse.
556 Zur Formulierung vgl. Ilias 2,118, 9,25 und öfter toû gàr
krátoß e¬stì mégiston.
557 Verallgemeinernder Plural, auf nur eine Person bezogen, wie in
V. 397, 403f., 1237; KG 1,18.
558 e¬pwmídoß: Schulter oder Schlüsselbein, wie Iph.T. 1404
gumnàß
e¬pwmídaß.
559 lagónaß e¬ß mésaß par o¢mfalon: bis mitten zur Taille beim
Nabel. Durch die von Brunck vorgeschlagene Änderung mésaß wird die
Satzkonstruktion einfacher. Würde méson beibehalten, wäre das Wort zu
o¢mfalon zu ziehen: bis zur Taille, und zwar mitten beim Nabel.
560f. Zur Geste der Entblößung gut Gödde (2000) 9193. Sie ver-
weist auf die andere Funktion der Geste in Ilias 22, 8083 und Aisch. Cho.
89698. Auch auf Ag. 23942 ist hinzuweisen. Während die Geste an den
genannten Stellen die Adressaten rühren und dadurch ihr Handeln beein-
flussen soll, richtet sie sich hier nicht so sehr an Neoptolemos wie an die
Heeresversammlung. Gödde (92) spricht davon, dass hier die Grenze
zwischen einer
Poetik des eleos, die unmittelbar zu Tränen rühren und
das Schreckliche als Schreckliches ausstellen will, und einer rhetorischen
oder ästhetischen Distanzierung des Grauens, die das Schreckliche auch als
Schönes zeigt, fließend wird.
Diese Passage mit ihrer erotischen Färbung hat bei modernen Lesern
mancherlei Kritik gefunden. Michelini (1987) 163f: The passage is sen-
timental, in that its moral and aesthetic beauty is at odds with reality.
S. L. Radt, Mnemosyne 26 (1973) 122: Der einzige Zweck, den die Ge-
bärde
hat, ist das Kitzeln der Sinnlichkeit, wie zum Überfluss die Auf-
zählung der enfblößten Körperteile und die unglaublich geschmacklose
Hervorhebung des anständigen Fallens zeigt. Rabinowitz (1993) 106
nennt die Entblößung gar the pornographic gesture with which Polyxena
tries to take charge of her death. Souverän dagegen de Romilly (1961) 39:
la exquise décence que le recit de Talthybios prête à la mort de Polyxè-
ne. Ähnlich auch dieselbe 49 Anm. 2: lìnstant de beauté par où la liberté
humaine rayonne en plein désastre.
560 wß a¬gálmatoß: wie von einer Statue; vgl. Ovid Metamor-
phosen 12,398 (vom Kentauren Hyllarus) pectoraque artificum laudatis
proxima signis; Plato Charmides 154c 8 pánteß wçsper a¢galma e¬qeønto
au¬tón. Vgl. auch Aisch. Ag. 242 prépousa q wß e¬n grafaîß; Androme-
da F 125,24 TrGF parqénou t ei¬kå tina
sofñß a¢galma ceiróß
326 Kommentar
Durch den Vergleich mit einem Kunstwerk wird deutlich, dass die Wir-
kung des Anblicks mehr ästhetischen als erotischen Charakter hat.
Zur Bedeutung von a¢galma Statue s. Kannicht zu Hel. 262f.
562 pántwn tlhmonéstaton: die allerunglücklichsten oder auch
die allertapfersten Worte, da das Adjektiv tlämwn beide Bedeutungen
haben kann. Vgl. auch Hkld. 570.
56365 Die Opferung Polyxenes wird auf zeitgenössischen Vasen-
bildern oder Reliefs so dargestellt, dass der Körper von Helfern getragen
und waagerecht über den Altar gehalten wird, so dass nach einem Schnitt
des Opferers in den Hals das Blut herabfließen kann. Hier dagegen lässt
sich Polyxene von niemandem berühren. Sie kniet nieder und macht sich
bereit, entweder wie ein Held durch einen Stich in die Brust zu sterben
oder sich wie ein Opfertier am Hals treffen zu lassen.
565 eu¬trepæß bereit. Die Variante eu¬prepæß, die Scodel (1996)
121f. bevorzugt, würde schön bedeuten und ein unpassendes Selbstlob
darstellen.
56668 Der Opferer schneidet von vorne in den zurückgebogenen
Hals, wobei zugleich die Luftröhre und die Halsschlagadern durchtrennt
werden. Das dabei heftig ausströmende Blut wird in einer Schale aufge-
fangen und dem zu ehrenden Gott oder Heros dargebracht. Zur Formulie-
rung vgl. auch El. 485f.; Or. 147173. Anders dagegen F 983 TrGF oi®noß
perásaß pleumónwn diarroáß. Dieses Fragment lässt erkennen, dass
über die Funktionen der Schlagadern und der Luft- und der Speiseröhre zur
Zeit des Eur. noch Unklarheit bestand.
566 ou¬ qélwn te kaì qélwn: unwillig und willig (zugleich). Das
Oxymoron in der Nachfolge von homerischem ekn a¬ékontí ge qumø¸
(Ilias 4,43) zeigt widersprüchliche Emotionen an. Vgl. auch El. 1230 fíla¸
te kou¬ fíla¸; Phön. 357.
oi¢ktw¸ kórhß aus Jammer um das Mädchen: Auch der grausame
Neoptolemos, der Priamos ohne jede Rücksicht am Altar erschlagen hat
(V. 23f.), bleibt für einen Augenblick nicht unberührt vom würdevollen
Auftreten Polyxenes. So jedenfalls interpretiert Talthybios sein kurzes
Zögern vor dem Zuschlagen.
567 témnei schnitt. Historisches Präsens beim Höhepunkt der
Handlung.
56870 Diese Verse wurden mehrfach rezipiert und variiert: so Ovid
Metamorphosen 13,479f. (Polyxene); Fasti 2,833f. (Lucretia); Sueton Di-
vus Iulius 82,2 (Caesar); Plinius Ep. 4,11,9 (Cornelia). An allen diesen
Stellen hat die Erwähnung des beherrschten Verhaltens des oder der Ster-
benden rühmende Funktion. Ähnlich ist es bei vielen Autoren, die diese
Verse zitieren. Man darf nicht vergessen, dass der Bericht des Talthybios
Polyxenes Verhalten rühmen und auf diese Weise Hekabe trösten soll und
484628 Zweites Epeisodion 327
dass er offenbar auch so wirkt. Denn sie empfindet, wie ihre Reaktion
(591f.) zeigt, das Verhalten ihrer Tochter nicht als anstößig, sondern als
edel. Man darf vermuten, dass auch die athenischen Zuschauer keinen
Anstoß an dieser Stelle genommen, sondern im Gegenteil das sittsame
Verhalten bewundert haben, das Polyxene sogar im Augenblick des Todes
zeigt.
Es ist bemerkenswert, dass Talthybios hier ebenso wie vorher bei
Neoptolemos nicht einfach berichtet, was er gesehen hat, sondern aus dem
Verhalten Polyxenes die Motivation ihres Verhaltens erschließt. Vgl. auch
de Jong (1991) 28.
569 eu¬scämwn in guter Haltung: Adjektiv; die einzig mögliche
Form, während die anderen überlieferten Formen entweder metrisch nicht
möglich (eu¬schmónwß) oder nicht korrekt gebildet sind (eu¬scämwß).
W. Görler (Arktouros, Festschrift B. Knox, Berlin New York 1979,
433 Anm. 16) weist auf das Zitat des Verses bei Plinius (Ep. 4,11,9) hin
und meint, dass dieser die Beschreibung des Todes der von Domitian ver-
urteilten Vestalin Cornelia auch im übrigen nach dem Bericht des Eur.
stilisiert hat.
570 krúptous aÇ und krúptein q aÇ unterscheiden sich nur in der
Satzkonstruktion (Hypotaxe oder Parataxe), aber nicht im Sinn.
o¢mmat(a) wohl doppelter Akkusativ: etwas vor den Augen verber-
gen.
Nach einem jüngeren Scholium wollten einige Philologen den Vers til-
gen, wohl aus Gründen der Dezenz. Antike rhetorische Handbücher zitie-
ren ihn als Beispiel für schlechten Geschmack (kakózhlon). Aber über
den Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Mir scheint der Vers eine
angemessene Konkretisierung des in V. 569 Gesagten zu sein.
57180 Staunen und Ergriffenheit des Heeres während der Opfer-
handlung werden unmittelbar danach abgelöst durch einen plötzlichen
Ausbruch seiner Aktivität.
571 a¬fñke pneûma: den Geist aufgegeben hatte, fast wie im Deut-
schen; ähnlich Tro. 785 pneûma meqeînai.
57376 oi mèn oi dè die einen die anderen. Zunächst werden
zwei Gruppen von tätigen Kriegern genannt, später werden zwei andere
Gruppen, jeweils im kollektiven Singular (o ou¬ férwn toû férontoß),
einander gegenübergestellt, wobei sich die eine, nämlich die der Tätigen
angemessen, die andere, die der Untätigen, unangemessen verhält und
deswegen getadelt wird.
574 Schol. MBV berichtet nach Eratosthenes (FGrHist 241 fr. 14),
dass den Siegern bei athletischen Wettkämpfen früher die verschiedensten
Gegenstände zugeworfen wurden: Kränze, Blumen, Blätter, auch Gürtel,
Hüte, Gewänder und Schuhe, welche die Athleten dann einsammelten.
328 Kommentar
583f. Chorreplik
Auf den erschütternden, aber auch rühmenden Bericht des Talthybios folgt
Hekabes gefasste und würdige Rede, die mehrere Themen in lockerer Ab-
folge berührt. Sie beginnt als Leichenrede für Polyxene (58592), geht
über in eine durch den Anlass ausgelöste allgemeine Reflexion (592602)
und wendet sich dann der nächsten praktischen Aufgabe zu, nämlich der
angemessenen Bestattung (60418). Die Rede schließt mit einer Klage
über das Schicksal des Hauses des Priamos (61923) und einer weiteren
330 Kommentar
593 tucoûsa kairoû die rechten Umstände, das rechte Wetter er-
langend. Zum Bedeutungsspektrum von kairóß s. V. 666 und Barrett zu
Hipp. 386f., der auch auf diese Stelle eingeht.
qéoqen von den Göttern, insbesondere von Zeus als dem Wettergott.
599602 Die Verse werden von Sakorraphos getilgt, von Biehl (1997)
12022 jedoch als sinnvolle Weiterführung der vorausgehenden Reflexion
gehalten, mit Hinweis auf Hik. 91117; Iph.A. 55862. Verteidigung auch
bei Johansen (1959) 158f.; Kamerbeek (1986) 101; Michelini (1987) 137
41; Collard; Mossman (1995) 245; Stanton (1995) 15 und Anm. 17;
Synodinou. Mir scheinen die Verse unentbehrlich zu sein, weil hier der
Schritt vom Glauben an die absolute Dominanz der Anlagen hin zu der
Auffassung vollzogen wird, dass die Tugend, jedenfalls in gewissem Um-
fang, lehrbar ist. Das ist zugleich ein Schritt vom aristokratischen Men-
schenbild Pindars (Olympien 2,8688, 9,10008) zu dem des Sokrates und
der Sophisten, also genau das, was man bei Eur. erwarten sollte. Allerdings
gibt es bei ihm auch Äußerungen im Sinne der Tradition, so Hipp. 79f.
sowie Phoinix F 810 TrGF, wobei zu der letztgenannten Stelle freilich über
dramatische Situation und Sprecher nichts bekannt ist.
599 diaférousin machen den Unterschied aus; vgl. Melanippe F
494,29 TrGF diaférousi d ai fúseiß.
600 ge méntoi freilich. Die Partikelkombination hat bekräftigenden
Sinn, vgl. Hipp. 103; Aisch. Hik. 347.
601 dídaxin die Lehre. Das Wort begegnet hier zum ersten Mal in
der griechischen Literatur und erscheint erst wieder bei Aristoteles (Physik
202a 32).
602 kanóni mit dem Maßstab; genauer mit dem Lineal; vgl. El.
52; Eurystheus F 376 TrGF.
maqån: wörtlich gelernt habend. Schol. MBV bemerkt treffend: tò
kalòn e¬án tiß máqh eu®, oi®de kaì tò kakòn maqn toû kaloû tòn
kanóna. Eine Änderung in staqmøn oder metrøn, was beides messend
bedeutet, würde zwar das Gemeinte etwas deutlicher ausdrücken, ist aber
wohl nicht nötig.
Zur Wortwiederholung máqh¸¸ maqån s. zu V. 52328.
603 Überleitung von der allgemeinen Reflexion zu den Erfordernis-
sen der konkreten Situation.
noûß e¬tóxeusen: wörtlich schoss (mit dem Bogen) ab. Ähnliche Me-
tapher Aisch. Hik. 446 gløssa toxeúsasa mæ tà kaíria. Vgl. auch V.
334f. lógoi
máthn rifénteß; Eur. Hik. 456 e¬xhkóntisa.
60408 Hekabe gibt Talthybios eine erste vorläufige Anweisung für
die bevorstehende Bestattung ihrer Tochter. Vgl. V. 50810. Dabei benutzt
sie souverän den Herold als Überbringer ihrer Botschaft an seinen Herren.
332 Kommentar
Talthybios wird sich nach diesen Versen in Richtung des Lagers entfernt
haben.
Michelini (1987) 16670 meint, dass die sentimentalisierte heroische
Darstellung des Todes der Polyxene im Botenbericht dadurch, dass Hekabe
das Ereignis hier in die Realität des Heerlagers zurückversetze, korrigiert
und annulliert werde. Man sollte allenfalls von einer gewissen Relativie-
rung sprechen. Die Begeisterung des Heeres über das edle Verhalten
Polyxenes erscheint als kurzfristiger Aufschwung der Gefühle. Dann be-
kommt der bittere Realismus Hekabes sein Recht, der sie fordern lässt, den
Leichnam vor Übergriffen zu schützen. Sie kann wohlgemerkt fordern, wie
sie es als Königin gewohnt war und auch jetzt noch nicht verlernt hat.
Kovacs (1987) 98 meint, in diesen Worten verrate sich Hekabes aristo-
kratische Voreingenommenheit gegenüber der Masse. Ähnlich auch Gre-
gory (1999) 119 mit Verweis auf Pseudo-Xenophon Athenaion Politeia 1,5
(e¬n dè tø¸ dämw¸ a¬maqía te pleísth kaì a¬taxía kaì ponhría). Allerdings
meine ich nicht, dass hier Hekabe als hochmütige Aristokratin charakteri-
siert werden soll. Es lässt sich nicht ausschließen, dass auch Eur. selbst
derartige politisch nicht ganz korrekte Meinungen hegte.
605 Die Infinitive in der indirekten Rede entsprechen Imperativen in
der direkten. Subjekt zu qiggánein ist mhdén(a), zu ei¢rgein ist etwa toùß
strathgoúß als Subjekt zu ergänzen.
60608 Page (1934) 67 erklärt die drei Verse ohne überzeugende Ar-
gumente zu einer Schauspielerinterpolation. Nur Mossman (1995) 246
schließt sich ihm an.
606 tñß paidóß das Mädchen, von dem Mädchen; sowohl auf
qiggánein als auch auf ei¢rgein zu beziehen.
607 Zu den Formulierungen vgl. Iph.A. 914 nautikòn stráteum
a¢narcon ka¬pì toîß kakoîß qrasú; Soph. Öd. 176 kreîsson
a¬maimakétou puróß.
o¢cloß Menge, Gesindel. Zu diesem Wort hier und in V. 605 s. zu
V. 880.
608 Wörtlich: Der aber ist (ihnen) schlecht, der nichts Schlechtes
tut. Gemeint ist offenbar, dass üble Menschen einander zu üblen Taten
anspornen und denjenigen als einen Feigling verhöhnen, der sich an sol-
chen Taten nicht beteiligt. So auch schol. MBV parà tø¸ pläqei kakòß o
mä ti drøn kakòn nomízetai.
60918 Hekabe erteilt einer der Frauen ihres kleinen Gefolges (vgl.
V. 5963) einen Befehl, den diese alsbald ausführt. Die Frau wird spätes-
tens nach V. 618 die Bühne in Richtung zum Meeresufer verlassen, von wo
sie mit V. 658 zurückkehrt.
484628 Zweites Epeisodion 333
609 teûcoß: ein bei den Tragikern beliebtes Wort; vgl. Iph.T. 168;
Aisch. Eum. 742; Soph. El. 1114. Es ist in wenigen, aber guten Hss. belegt.
Das gleichbedeutende a¢ggoß ist als Vulgatatext anzusehen.
610 wörtlich es (sc. das Gefäß) eingetaucht habend bringe es hierher
vom Meersalz (d. h. Meerwasser); pontíaß alóß ist partitiver Genetiv.
612 Ein doppeltes Oxymoron. Polyxene war unvermählt, wurde aber
auf grausame Weise mit Achilleus vermählt; sie ist als Jungfrau gestor-
ben, doch das Schwert des Neoptolemos nahm ihr mit dem Leben auch die
Jungfräulichkeit. Doch s. auch zu V. 41.
Zur Stilfigur des Oxymoron s. V. 194 sowie Fehling (1968) 153, der
übersetzt: Braut eines toten Gatten, Jungfrau und doch verheiratet.
613f. Stevens (1976) 58: a cluster of colloquialisms; derselbe 67
the simple colloquial phrases
give an added touch of pathos.
613 loúsw proqømaí q: wasche und aufbahre; von Leichen
Phön. 1319 loúsh¸ proqñtaí t; vgl. auch Alk. 664 proqäsontai nekrón.
póqen: wörtlich woher? Entschiedene Verneinung: Wie könnte es
denn sein?; s. Stevens (1976) 38.
614 wß d e¢cw: so (gut) wie ich es kann; s. Stevens (1976) 58.
tí gàr paqø: wörtlich: denn in welchem Zustand mag ich geraten?
Äußerung der Hilflosigkeit; in diesem Sinn Ilias 11,404; Odyssee 5,465;
Andr. 513. Hier ist wohl gemeint: Was bleibt mir in meiner Lage anderes
zu tun übrig? Ähnlich Hik. 257; Phön. 895; dazu Stevens (1976) 57f.
615 Die Hss. bieten t und (indem ich Schmuck sammele). Logisch
steht das Sammeln des Schmuckes inhaltlich nicht parallel mit der Wort-
gruppe wß d e¢cw wie ich es kann, wie t es nahelegt; sondern ist ihr
untergeordnet. Deswegen die von Wakefield vorgeschlagene Änderung
von t in g jedenfalls (indem ich
sammele). Sie stellt die Unterord-
nung auch syntaktisch her. So auch Diggle (1994) 203. Es ist allerdings zu
fragen, ob hierfür eine zwingende Notwendigkeit besteht. Für einen ähnli-
chen Fall s. zu V. 1176.
Zur Schmückung eines Leichnams unter den Bedingungen der Kriegs-
gefangenschaft s. auch Tro. 120002.
616 tønd e¢sw skhnwmátwn: Hinweis auf den Bühnenhintergrund,
zugleich Vorbereitung des nach V. 628 in dieser Richtung erfolgenden
Abgangs Hekabes.
618 klémma: Treffende ironische Formulierung: Diebesgut aus dem
eigenen Eigentum, das jetzt zur Beute der Sieger geworden ist.
Spätestens jetzt dürfte die Dienerin in Richtung zur Küste abgegangen
sein. Dort wird sie, wie schon in V. 47f. angekündigt, den Leichnam des
Polydoros finden und damit die zweite Teilhandlung des Dramas auslösen.
619 w® scämat oi¢kwn: wörtlich: o Gestalten der Häuser. Das Wort
scñma wird oft in emotional gefärbten Anrufungen für Güter verwendet,
334 Kommentar
die verloren oder fragwürdig geworden sind; vgl. Andr. 1; Med. 1071f.;
Alk. 912 und Dale zur Stelle.
620 e¢cwn: wörtlich habend, hier eher besessen habend; zum
Tempus vgl. V. 484, 821.
Das gut bezeugte kállistá t und schönste braucht nicht mit Harry
in málistá t und besonders verändert zu werden, das dann auf
eu¬teknåtate zu beziehen wäre. Die Wendung bezieht sich nicht nur auf
die Kinder, wie Biehl (1997) 124 meint, sondern auf alle Glücksgüter.
Vom Gold war schon in V. 492 die Rede, und kurz zuvor (61518) von
Schmuck. Ähnlich auch Synodinou; anders Diggle (1994) 232f., der
málistá t vorzieht.
624 Es ist nicht nötig, die von Bothe wohl aus metrischen Gründen
vorgeschlagene Textänderung vorzunehmen. Durch die Wortfolge e¬n
dåmasin wird die Lex Porson nicht verletzt, nach der am Trimeterende
auf langes Anceps kein Wortende folgen darf, denn Präposition und Sub-
stantiv bilden ein einheitliches Wortbild. Vgl. Snell (1982) 68; Biehl
(1997) 125. Auch der Sinn würde durch die Änderung nicht verbessert.
626 tà d: das aber. Der Artikel hat hier wie im Deutschen die
Funktion eines Demonstrativums; vgl. V. 566, 568; KG 1,583.
Murray interpungiert nach a¢llwß, so dass der Satz recht banal hieße:
Das aber ist nicht anders. Schol. B setzt jedoch voraus, dass vor a¢llwß
interpungiert wird, und so verfahren denn auch mehrere Hss. und die meis-
ten Herausgeber. Der Satz heißt dann: Das (d. h. alles vorher Genannte)
ist nichtig. a¢llwß bedeutet dann entweder vergeblich (schol. Mgl
mataíwß), wie in Med. 1029f., oder nur, nichts als, wie in Tro. 476. Vgl.
auch zu V. 302, 489, sowie Stevens (1977) 52.
627f. Die Folgerung, dass jeder Ruhm vergänglich und alles Planen
vergeblich sei und der Mensch sich mit dem glücklichen Gelingen des
jeweiligen Tages zufrieden geben müsse, wird in der Tragödie immer wie-
der aus den dargestellten Ereignissen gezogen: z. B. V. 317f.; Alk. 788f.;
Her. 50305 und Bond zur Stelle; Hel. 71315; Ba. 42426, 911f.; Kykl.
33638; Telephos F 714,2f. TrGF; ähnlich auch Aisch. Pers. 84042.
Ennius Hecuba fr. 212 Warmington = inc. fab. fr. 354 Klotz (nicht von
Jocelyn aufgenommen) formuliert den Gedanken, vielleicht in Anlehnung
an diese Stelle: nimium boni est <huic> cui nihil est mali <in diem>.
627 glåsshß te kómpoi: wörtlich und Prahlen der Zunge; vgl.
Soph. Ant. 127 Zeùß gàr megálhß glåsshß kómpouß uperecqaírei.
628 Nach diesem Vers begibt sich Hekabe ins Zelt, aus dem sie mit
V. 665f. wieder hervortritt; dazu Mossman (1995) 60f.
Abgang und Wiederauftritt Hekabes signalisieren zugleich, dass die
eine Teilhandlung abgeschlossen ist und die andere beginnt. Im Hand-
lungsablauf ist ihr Abgang damit motiviert, dass sie Vorbereitungen für die
62956 Zweites Stasimon 335
In diesem Lied beziehen sich die Frauen des Chores, ebenso wie im ersten
Stasimon, nicht unmittelbar auf die Handlung des vorausgehenden
Epeisodions. Sie knüpfen allerdings an Hekabes letzte Worte über die Ver-
gänglichkeit des Hauses des Priamos und alles menschlichen Glücks (V.
61928) an. Während die Frauen im ersten Stasimon ihr eigenes Unglück
und ihr künftiges Schicksal als kriegsgefangene Sklavinnen lyrisch reflek-
tierten, stellen sie hier die Handlung des Stückes, und zwar nicht nur des
ersten Teils, sondern auch dessen, was noch kommt, in den mythologi-
schen Kontext, der mit dem Streit der drei Göttinnen und dem Urteil des
Paris beginnt und bis hin zur gegenwärtigen Katastrophe Trojas reicht.
Nordheider (1980) 21 schreibt, in diesem Lied werde der ganze leidvolle
Schicksalszusammenhang des Krieges von Anfang an aufgerollt.
Polyxenas Tod wird so nur zu einem Glied in der Kette von Leiden, die
über Troja und Hekabe hereingebrochen sind. Auf diesen Gesamt-
zusammenhang lenkt das Lied zurück und bildet so, als allgemeinere Re-
flexion, das Scharnier zwischen den zwei Schlägen, die Hekabe treffen.
Mit dem Blick auf das Leid der Griechen schien eine gewisse Beruhi-
gung im eigenen Schmerz eingetreten, in die unmittelbar darauf die neue
Schreckensnachricht hineinbricht.
Zu diesem Chorlied Stinton (1965) 2325, 74f.; Nordheider (1980) 19
21; C. Collard, Sacris Erudiri 31 (198990) 86f.; Hose (199091) 2, 130
32; Mossman (1995) 8386.
62937 In der ersten Strophe führen die Frauen ihr Unglück auf sei-
nen Ursprung zurück, nämlich auf den Aufbruch des Paris nach Sparta zum
Raub der Helena und noch weiter auf das Parisurteil. Die a¬rcæ sumforâß,
wie es in schol. MBV heißt, vor allem des trojanischen Krieges, aber auch
die des Argonautenzuges, wird in der Tragödie öfters thematisiert. Dieser
Anfang der verhängnisvollen Kausalkette wird entweder beim Parisurteil
gefunden oder wie hier ganz konkret dort, wo das Holz für das Schiff ge-
schlagen wird, das dann auf die verhängnisvolle Fahrt geht: Med. 16;
Andr. 274308; Tro. 91944; Hel. 22951; Iph.A. 12831308. Ähnlich
führt in Phön. 16 Iokaste den Krieg der Sieben gegen Theben auf die
Gründung der Stadt durch Kadmos zurück.
629f. Eindrucksvoller Beginn des Liedes mit Anapher und Paralle-
lismus; vgl. V. 15474; Hik. 632; Phön. 320f.
336 Kommentar
e¬moì crñn: Imperfekt: mir sollte, es war mir schicksalhaft be-
stimmt (schol. M: eimarménon moi). Hose (199091) 2, 130f. scheint aus
den Worten des Chores einen Todeswunsch herauszulesen (Mir hätte
schon ein Unglück zustoßen sollen, als
), aber das ist nicht gemeint.
632 ¯Aléxandroß: zweiter Name des Paris; über diesen s. zu V. 387.
635 ¿Elénaß e¬pì léktra: hin zu Helenas Bett. Gregory weist rich-
tig auf die Zweideutigkeit dieser Worte hin. e¬pí kann auch in feindlichem
Sinne gebraucht werden, und léktra kann sich sowohl auf das ursprüng-
liche Ehebett des Menelaos und der Helena als auch auf das künftige des
Paris und der Helena beziehen.
636 crusofaæß: goldstrahlend; vgl. Phaethon F 771,2f. TrGF
cqóna ÷Hlioß a¬níscwn cruséa¸ bállei flogí.
63847 In der Gegenstrophe und im ersten Vers der Epode geht der
Blick des Chores noch weiter zurück zum Parisurteil und damit zugleich zu
dem letztlich von den Göttern ausgelösten Geschehen, das am Ende zu
Mord und Zerstörung führte.
638f. pónwn a¬nágkai kreíssoneß Zwänge, die schlimmer sind als
Leiden. Gemeint ist das Sklavendasein.
kreíssoneß bedeutet hier nicht besser, wie so oft, sondern schlim-
mer wegen der Verbindung mit a¬nágkai; vgl. V. 608. Darum die Variante
meízoneß größere, die auf eine Glosse zurückgehen dürfte, und schol.
MBV: meízoneß kaì ceíroneß.
639 kukloûntai umkreisen oder umzingeln; wohl mich zu er-
gänzen; vgl. Soph. Ai. 353.
64042 e¬x i¬díaß a¬noíaß aus eigenem Unverstand oder aus dem
Unverstand eines Einzelnen steht gegenüber sumforá t a¬p a¢llwn
und Unheil, das von anderen kam. Dabei sind mit diesen Anderen
entweder die Griechen oder, was mir wahrscheinlicher ist, die drei Göttin-
nen gemeint. Der Chor unterscheidet demnach zwischen dem menschli-
chen und dem göttlichen Anteil an der Katastrophe Trojas, also dem Un-
verstand des Paris, den er beim Raub Helenas bewies (schol. MBV e¬k dè
tñ¸ß toû Páridoß i¬díaß a¬noíaß), und dem Wunsch der Göttinnen, er möge
ihre Schönheit beurteilen. Der göttliche Anteil wird euphemistisch ange-
deutet, indem von anderen gesprochen wird. Schol. V verdeutlicht:
h¢goun ÷Hraß, ¯Aqhnâß kaì ¯Afrodíthß.
Die von Stinton (1965) 74 vorgeschlagene und von Diggle und
Synodinou übernommene Textänderung sumfor⸠t e¢¬p a¢llwn zum
Unglück anderer würde bewirken, dass auch hier schon; wie später in der
Epode, angedeutet wird, dass das Leid des Krieges auch andere trifft, also
Troer und Griechen in gleicher Weise ins Unglück bringt. Mir scheint je-
doch der Kontext nahezulegen, dass mit den Anderen die drei Göttinnen
gemeint sind, die zusammen mit Paris gleich darauf erwähnt werden, so
62956 Zweites Stasimon 337
dass folglich a¬p a¢llwn beibehalten werden sollte. Ausführlich zur Stelle
Biehl (1997) 12529.
Das Parisurteil wird als Anfang der Geschehnisse, die zum trojani-
schen Krieg führten, in der Ilias nicht ausdrücklich erwähnt, aber voraus-
gesetzt. Dass die Sage alt ist, beweisen frühe bildliche Darstellungen und
das nachhomerische Epos Kyprien. Eur. erwähnt sie oft, neben unserer
Stelle auch Andr. 27492, Tro. 92431, Hel. 2330, 67681, Iph.A. 573
81, 12831309. Dazu K. Reinhardt, Das Parisurteil, in: Tradition und
Geist, Göttingen 1960, 1636; Stinton (1965).
641 Simountídi: Simountíß feminines Adjektiv zu dem Flussnamen
Simóeiß. Das Adjektiv in der kontrahierten Form auch El. 441, in der
unkontrahierten (Simoentíß) auch Andr. 1019, 1183, Rhes. 827.
Simoeis und Skamander werden in der Ilias häufig erwähnt. Sie sind
die beiden Flüsse der Troas.
64346 Doppelter Akkusativ des inneren und äußeren Objekts; vgl.
Hipp. 252; Hel. 1126; Ba. 345f.; KG 1,320f.
646 a¬nær boútaß: In der verbreiteten Fassung der Sage vom
Parisurteil lebte der als Säugling ausgesetzte Priamossohn Paris unerkannt
als Hirt unter den Hirten am Idagebirge und wurde dort von Hermes und
den drei Göttinnen aufgesucht.
648 Der erste Vers der Epode gehört in ungewöhnlicher Weise (aber
ebenso wie in V. 94349) syntaktisch und inhaltlich noch mit der Anti-
strophe zusammen; vgl. Kranz (1933) 177f. Der Vers stimmt aber, wie
auch die übrige Epode, zugleich schon ein auf die Totenklage in V. 684
707. S. auch zu V. 950f.
65056 In den übrigen Versen der Epode beklagen die Frauen nicht
nur ihr eigenes Unglück, sondern auch das der Frauen der Feinde, wobei
sie, wohl nicht zufällig in dieser Phase des Peloponnesischen Krieges,
beispielhaft die Bräute und Mütter der gefallenen Spartaner nennen. Dem
troischen Simoeis in V. 641 entspricht hier der lakonische Eurotas. Andere
Fälle, in denen weibliche Chöre das Unglück der Frauen der jeweils ande-
ren Seite oder auch beider Seiten beklagen, sind Andr. 30108, 104446,
Hel. 111121, Iph.A. 78593.
In V. 32225 dagegen führt Odysseus das Leid der griechischen Frau-
en an, um das Leid, das Hekabe erdulden muss, zu relativieren.
Der milde und versöhnliche Charakter der Epode bildet einen guten
Abschluss der ersten Teilhandlung, in der es zuletzt um das ruhmvolle
Sterben Polyxenes ging.
650 tiß: irgendeine hat hier die Bedeutung manche. Ebenso ist in
V. 652 máthr als manche Mutter zu verstehen.
338 Kommentar
In diesem Teil des Dramas erfolgt zunächst der Übergang von der Po-
lyxene- zur Polydoros-Handlung (65982), sodann eine kurze, aber heftige
Äußerung der Trauer über das neue Unglück, das Hekabe getroffen hat
(683723), gefolgt vom schnellen Übergang zur Vorbereitung der Rache in
der großen zweiten Hikesieszene (724904).
658723 Zu dieser Szene und zur ähnlich verlaufenden Szene Tro.
11231250 vgl. Hose (199091) 2, 32025.
658904 Drittes Epeisodion 339
mehrmals betont wird, dass sie im Dienst Apollons steht (253, 329, 428,
450, 453). Zu Kassandra s. auch zu V. 88.
67880 lélakaß: von láskw töne, schreie, singe, poetisch
auch sage, nenne; vgl. V. 1110, Ion 776; Iph.T. 461; ferner Björk
(1950) 129.
tòn qanónta
tónd: Mit dem Wechsel vom Femininum zøsan
zum Maskulinum macht die Dienerin schon deutlich, dass alle bisherigen
Vermutungen falsch waren, weil der Leichnam männlich ist. In dem Wort
tónd ist eine szenische Anweisung enthalten. Der Körper, der bis dahin
unter einem Tuch verborgen war, wird enthüllt.
qaûma kaì par e¬lpídaß: ähnliche Wendung, aber bei einer glückli-
chen Überraschung Alk. 1123 qaûm a¬nélpiston tóde.
682 e¢sw¸z: rettete. Hermann schreibt richtig: e¢sw¸ze de consilio,
non eventu intelligendum est. Polymestor sollte also das Leben des
Polydoros bewahren, tat es aber nicht, wie Hekabe jetzt erkennt. Es liegt
also so etwas Ähnliches wie ein Imperfectum de conatu vor.
683 Fast wörtlich übereinstimmend Soph. El. 677 (Reaktion Elektras
auf die falsche Nachricht vom Tod des Orestes).
a¬pwlómhn: ich bin verloren, vgl. V. 440 nach der Trennung von
Polyxene.
ou¬két e¬imì dä: wörtlich ich bin jetzt nicht mehr; entsprechend der
Ankündigung der Dienerin V. 668.
Mossman (1995) 61f. vermutet, dass Hekabe an dieser Stelle des Tex-
tes zu Boden sinkt, dass sie sich aber bald, etwa mit V. 710 oder 724, wie-
der erhebt.
Die Metrik ist problematisch; dazu Diggle (1994) 314. Den Vers
( kqkq qq ia sp) kann man in seiner überlieferten Form vielleicht als
Variante des Hypodochmius auffassen. Bothes von Diggle übernommene
Änderung ¬piscäsei würde einen Dochmius herstellen ( kqqqq d25).
69496 Wie auch zuvor in V. 68992 findet sich hier eine Häufung
stilistischer Mittel im Dienst der Darstellung der Emotion (Anadiplosis,
dreifach variierte Frage).
695f. Hier stellt Hekabe zum ersten Mal die Frage nach dem Urheber
der Mordtat, die sie im Augenblick noch nicht beantwortet. Die Frage hat
auch eher rhetorisch-pathetischen Charakter. Die Antwort wird sie selbst
geben, allerdings erst in V. 710f.
tíni mórw¸ qnä¸skeiß: wörtlich durch welches (Todes)schicksal star-
best du? Die gleiche Frage Ba. 1041. Zum Tempusgebrauch KG 1,137.
697701 Die Dienerin nimmt Hekabes Frage nach dem Täter als eine
echte Frage. Sie kann sie zwar nicht beantworten, aber kann über die
Fundumstände berichten.
698 e¢kblhton: wörtlich hinausgeworfen, gemeint ist vom Meer
ans Ufer gespült.
péshma foiníou doròß: Sowohl foínioß (und das gebräuchlichere
fónioß) als auch péshma sind poetische Wörter. péshma bedeutet entwe-
der das Gefallene oder der Fall; von Toten auch Andr. 652f.
(pesämata
péptwke
nekrøn); Her. 1131; Phön. 1701. Durch die
Wortwahl erhält auch dieser iambische Trimeter lyrische Färbung.
700 Der Vers kommt, schon wegen seines lyrischen Metrums,
Hekabe zu, auch wenn fast alle Hss. ihn dem Chor geben. Doch schon
schol. MB merkt an, dass diese Zuteilung falsch sein könnte (tinèß kaì
toûto tñß ¿Ekábhß ei®naí fasin).
701 Die Dienerin bestätigt das, was der Zuschauer schon aus V. 28
30 und 47f. weiß und dessen Mitteilung er seit V. 609f. erwartet: Der
Leichnam lag am Strand und wurde von ihr gefunden.
70307 Diese Verse sind offenbar korrupt überliefert und lassen sich
nur schwer wiederherstellen. Entsprechend zahlreich sind die Lösungs-
versuche, die allerdings meist wenig überzeugend sind. Ich schließe mich
bei meinem Versuch an Hermann und Biehl (1997) 130f. an.
704f. e¬núpnion o¬mmátwn e¬møn o¢yin nimmt e¢nnucon o¢yin in V. 72
wieder auf; vgl. auch Aisch. Sieb. 710f. a¢gan d a¬lhqeîß e¬nupníwn fan-
tasmátwn o¢yeiß. Was am Anfang des Stückes nur ein Traum und eine
dunkle Ahnung war, wird jetzt zur furchtbaren Wirklichkeit.
705 melanópteron: vgl. zu V. 71 melanopterúgwn. Aristophanes
Vögel 695 nennt die Nacht melanópteroß.
344 Kommentar
Hekabe auch sonst einige Trimeter spricht (689, 698). Zur Formulierung
vgl. Iph.T. 83840 (in einem Amoibaion der Freude); Ba. 667.
715 In der zweiten Hälfte dieses metrisch ungewöhnlichen Verses
kann man die iambische Tripodie ( kqkqkq ) als Variante des
Hypodochmius auffassen, vgl. V. 692.
Man könnte auch Díka xénwn schreiben und dann übersetzen: Dike,
die Beschützerin der Gastfreunde.
716 w® katárat a¬ndrøn: gebildet wie das homerische dîa qeáwn
(Ilias 6,305); vgl. Alk. 460; Hipp. 848f. diemoirásw: wörtlich du zer-
schnittest (in Portionen), zerstückeltest, hier wohl nur ein drastischer
Ausdruck für du zerstörtest. Schlesier (1988) 118 und Anm. 21 schließt
aus der Verwendung dieses Wortes, dass Polymestor sein Opfer nicht ein-
fach getötet, sondern einen Ritualmord an ihm vollzogen hat, etwa durch
Herausschneiden von Organen oder durch Maschalismos, also durch die
Abtrennung der Extremitäten. Ich meine, dass die Verwendung des Wortes
eine solche Interpretation nicht zwingend nahelegt. Hipp. 1376 wünscht
sich der heftige Schmerzen leidende Hippolytos einen raschen gewaltsa-
men Tod durch eine Lanze (diamoirâsai katá t eu¬nâsai tòn e¬mòn
bíoton). Dort ist sicher nicht an ein Zerlegen oder gar an einen Ritualmord
gedacht. Vgl. auch zu V. 1076.
722f. poluponwtáthn brotøn: vgl. V. 197, 423, 582. Der mit
V.1087 fast gleichlautende Vers kann jedenfalls an dieser Stelle schon aus
syntaktischen Gründen nicht entbehrt werden. Zu daímwn Gott s. zu V.
164.
auch mit gewissen Einschränkungen. Es ist wohl kein Zufall, dass auf sei-
ne kurze Rede V. 85063 keine Chorreplik erfolgt, wie bei Redeagonen
üblich.
724 a¬ll ei¬sorø gàr: doch sehe ich; formelhafter Hinweis der
Chorführerin (vielleicht mit einer hindeutenden Handbewegung verbun-
den) auf eine neu auftretende Person; vgl. El. 107; Her. 138, 442; Hel.
1385; Phön. 1307; Or. 725; Ba. 1165.
724 tou¬nqénde (= tò e¬nqénde): von nun an, wörtlich von da an;
vgl. Med. 1167; Iph.T. 91. Die Chorführerin spricht erst wieder V. 84649.
72632 Ebenso wie der König Kreon Medea persönlich befiehlt, das
Land zu verlassen (Med. 27176), kommt auch hier Agamemnon persön-
lich, um sich nach dem Stand der Vorbereitungen für Polyxenes Bestattung
zu erkundigen. Dadurch wird die Bedeutung der aufgesuchten Person be-
tont, andererseits kann diese Person sich so mit ihren Bitten unmittelbar an
den Zuständigen wenden. Die andere Möglichkeit wäre es, einen Herold zu
senden, mit dem dann allerdings nicht verhandelt werden könnte.
727 e¬f oi©sper (= e¬pì toútoiß aÇ): unter den Bedingungen, die
Talthybios mir meldete, d. h. denen, die Hekabe ihm in V. 60406 durch
den Herold hat mitteilen lassen.
728 ist weitgehend eine Wiederholung von V. 605f.
729 Die von Bothe vorgeschlagenen und von Diggle übernommenen
Änderungen in der zweiten Vershälfte erfolgten, weil hier ein Verstoß
gegen das Porsonsche Gesetz vorzuliegen schien. Die Änderungen sind
jedoch unnötig, weil ou¬dè zusammen mit dem folgenden Wort als ein
Wortbild angesehen werden kann. Vgl. auch oben zu V. 624; ferner Snell
(1982) 68; Biehl (1997) 131f., Synodinou.
730 wçste qaumázein e¬mé: so dass ich mich wundere; auch Aristo-
phanes Vögel 1135, was freilich keine Parodie des Eur. sein muss, sondern
auch eine zufällige Übereinstimmung sein kann.
731f. Agamemnon, der sich schon in der Heeresversammlung gegen
die Opferung Polyxenes ausgesprochen hat (12022), distanziert sich auch
jetzt noch einmal von dem, was dort geschehen ist. Ähnlich formulierte
Distanzierungen von gerade Gesagtem Tro. 1170; Hel. 27, 952; Or. 17.
ta¬keîqen: gleichbedeutend mit tà e¬keî. Gemeint sind die Opferung
Polyxenes und die in V. 57380 beschriebenen Vorbereitungen des Heeres
für ihre Bestattung
733 e¢a: Erst jetzt bemerkt Agamemnon den Leichnam des Polydoros
und reagiert mit einem Ausruf des Erstaunens und Erschreckens; vgl. V.
501, 1115a.
734 ¯Argeîon: einen Argiver oder ihn als einen Argiver. Von den
drei Varianten der Textüberlieferung ist ¯Argeîon die einzig akzeptable,
658904 Drittes Epeisodion 347
metrischer Gleichwertigkeit der Weg nicht weit. Darum verdient der neut-
rale Ausdruck aber noch nicht den Vorzug. An unserer Stelle klingt tò
kranqèn schicksalhafter, dunkler, kurzum bedeutungsvoller als tò
pracqèn, und verdient darum auch nach meiner Meinung den Vorzug.
Andererseits ist anzumerken, dass gelegentlich das Passiv von kraínw
seinen schicksalhaften Beiklang verloren hat und nur noch geschehen
oder werden bedeutet; vgl. Ilias 9,626; Aisch. Cho. 871; Med. 138 und
Page zur Stelle; Ion 1010. An anderen Stellen dagegen ist der Beiklang des
Schicksalhaften durchaus spürbar; so Hipp. 1255; Ion 77. Auf jeden Fall
scheint mir Daitz mit Recht tò kranqèn in den Text aufgenommen zu
haben.
741f. Nach der Enttäuschung bei Odysseus ist Hekabes Zögern ver-
ständlich.
742 a£n prosqeímeq a¢n: wörtlich wir würden hinzufügen, d. h.
unserem Schmerz noch weiteren Schmerz. Darum die Glosse in den Hss.
GK tø¸ a¢lgei dem Schmerz, die dann in Sa in den Text geraten ist. Zur
mehrfachen Verwendung der Modalpartikel a¢n vgl. KG 1,24648. Das
zweite a¢n ist syntaktisch und metrisch sicher entbehrlich, aber da es gut
bezeugt ist, sollte man es halten.
743f. Vgl. Hipp. 346 ou¬ mántiß ei¬mì ta¬fanñ gnønai saføß, ferner
Hkld. 65.
søn odòn bouleumátwn: den Weg deiner Ratschläge, Überlegungen,
Pläne; vgl. Hipp. 290, 391 gnåmhß odón; Phön. 911 qesfátwn e¬møn
odón.
745f. a®r e¬klogízomaí ge
mâllon: rechne ich
zu sehr?
a®ra
ge: seltene Partikelverbindung. Stevens (1976) 44: adding
liveliness or emphasis to a question.
747f. Hekabe gerät durch ihr Zögern in Gefahr, mit ihrem Anliegen
zu scheitern. Da Agamemnon aus ihren Worten nicht klug wird, ist er im
Begriff, sich abzuwenden oder gar fortzugehen.
748 e¬ß tau¬tòn hçkeiß: dann kommst du auf das gleiche heraus (wie
ich). Der erste Halbvers ist wortgleich mit Or. 1280. Zur Wendung vgl.
auch Hipp. 273 (und Barrett zur Stelle); Iph.A. 665; andere Bedeutung
dagegen El. 787.
749f. Hier ist zum ersten Mal davon die Rede, dass Hekabe sich an
Polymestor rächen will. Interessant ist der Plural téknoisi toîß e¬moîsi, der
wohl kein kollektiver Plural anstelle eines eigentlich gemeinten Singulars
ist. Indem sich Hekabe für den Tod des Polydoros an Polymestor rächt,
rächt sie sich gewissermaßen auch für den Tod der Polyxene und darüber
hinaus für alles, was sie beim Untergang Trojas erdulden musste. Vgl.
Gregory (1999) 134. Gegenargumente bei Schwinge (1968) 82 Anm. 38.
658904 Drittes Epeisodion 349
750 tí stréfw táde: was wende ich dies (noch hin und her)?
Schol. MB: tí sképtomai;
751 Hekabe erkennt die drohende Gefahr und gibt sich einen Ruck,
um wenigstens zu versuchen, ob sie etwas bei Agamemnon erreicht.
752f. Sie verbindet ihre Anrede mit den rituellen Gebärden eines Bitt-
flehenden; s. zu V. 25195. Gould (1973) 85 Anm. 55 meint allerdings, es
handele sich nur um eine figurative, also um eine nur verbal, nicht tat-
sächlich vollzogene Gebärde. Das ist an dieser Stelle nicht auszuschließen,
doch meine ich, dass Hekabe mindestens im Schlussteil ihrer Rede, also in
V. 83645, die Gebärde tatsächlich vollzieht. Das wird auch durch
Agamemnons Antwort in V. 851 nahegelegt. Mercier (1993) 15258
meint, dass die Gebärde tatsächlich vollzogen wurde und längere Zeit bei-
behalten wurde, vielleicht bis hin zu V. 888. Die Frage, ob die Gebärde der
Hikesie tatsächlich vollzogen wird oder nicht, stellte sich auch schon bei
Hekabes Rede an Odysseus; s. zu V. 275.
752 tønde gounátwn: bei diesen Knien. Wessen Knie sind ge-
meint? Man nimmt meist an, es seien diejenigen Agamemnons, doch
Mossman (1995) 62 Anm. 50 vermutet, es seien der niederknienden
Hekabe eigene Knie gemeint, im Unterschied zu Wange und Kinn, von
denen ausdrücklich gesagt wird, dass sie Agamemnon gehören. Ich halte
dies nicht für richtig, schon weil in V. 742 und 787 zweifellos
Agamemnons Knie gemeint sind.
754f. Eine unzutreffende Vermutung Agamemnons; vgl. Dubischar
(s. zu V. 67177). Das daraufhin erfolgende großzügige Angebot kommt
völlig unerwartet.
754 masteúousa: überwiegend poetisches Wort. Bei Homer kommt
nur mateúein vor. An unserer Stelle muss aus metrischen Gründen
masteúousa stehen, in V. 779 dagegen mateúous, während in V. 815
beide Formen metrisch möglich sind.
75659 fehlen in zwei Papyri und wohl auch in einem dritten. W.
Luppe, Gnomon 76 (2004) 101 zieht daraus zu Unrecht die Folgerung:
Die Verse
sind also endgültig zu tilgen. Die Verse bieten weder
sprachlich noch inhaltlich Anstöße und stehen im Einklang mit der Charak-
terisierung Hekabes. Hierzu s. zu V. 756f. und 758f. Der Ausfall in einigen
Papyri zeigt nur, dass eine alte Korruptel vorliegt, die in der Antike offen-
bar verbreitet war. Ob zwischen dem Fehlen der vier Verse in den Papyri
und dem von V. 75658 in vielen Hss. ein Zusammenhang besteht, ist
unsicher.
75658 fehlen in vielen Hss., meist werden sie aber am Rand nachge-
tragen. Manche Herausgeber haben sich durch die komplizierte Überliefe-
rungslage dazu veranlasst gefühlt, die Verse (oder wenigstens 756f.) zu
streichen. Hartung will sogar auch V. 759 tilgen. Doch gibt es hierfür keine
350 Kommentar
zånhß uçpo: wörtlich unter dem Gürtel; vgl. Aisch. Cho. 992 upò
zånhn.
763 w® tlñmon: Agamemnon gibt zum ersten Mal sein Mitgefühl zu
erkennen. An dieses Mitgefühl wird Hekabe dann in ihrer Hikesierede mit
Erfolg appellieren.
765 h® gàr: leitet eine erstaunte Frage ein; vgl. V. 1047, 1124; Andr.
249 und Stevens zur Stelle; Soph. El. 1221; Ant. 44; Phil. 248; KG 2,336.
766 a¬nónhta (e¢tekon): nutzlos, adverbial gebraucht; Alk. 412;
Hipp. 1145; El. 507f.; Her. 716. Dass Kinder, deren Tod beklagt wird,
vergeblich geboren wurden, wird in der Tragödie häufig bedauert; vgl. Hik.
91822, 113437; ähnlich auch Med. 1024f.; Theseus F 386 TrGF.
767 ptólin: die Stadt, epische Form für späteres pólin, hier wie
auch in V. 1209 metrisch erforderlich.
768 o¬rrwdøn qaneîn: weil er fürchtete, er würde sterben. o¬rrwdø
ist ein bei den Tragikern selten verwendetes Wort; es findet sich sonst nur
El. 831; Andromeda F 130,2 TrGF.
Die Meinungen der Kommentatoren und Übersetzer gehen darüber
auseinander, ob Priamos seinen eigenen Tod oder den seines Sohnes fürch-
tete. Es ist wohl eher letzteres gemeint. Da aber der Wortlaut nicht eindeu-
tig ist, wähle ich eine Übersetzung, die beide Möglichkeiten offen lässt.
Zum Sachverhalt vgl. V. 47, 113335.
769 tøn tót o¢ntwn: Fast alle anderen Söhne des Priamos sind im
Krieg gefallen. Nur Helenos überlebte; s. zu V. 87.
771 Der als Apposition hinzugesetzte Name, der inhaltlich zum
Hauptsatz gehört, wird in den Relativsatz gezogen und dort syntaktisch
eingegliedert; vgl. V. 986f.; Hipp. 101; KG 2,419. Eine solche Konstruk-
tion lässt sich im Deutschen nicht nachbilden.
772 pikrotátou crusoû: Das Gold ist insofern bitter, als es den Tod
des Polydoros bewirkt hat; schol. MV: pikrótaton tòn crusòn ei®pe dià
tò ai¢tion au¬tòn genésqai qanátou kaì sfagñß. Der Ausdruck ist pro-
leptisch; es wird also die spätere Wirkung des Goldes vorweggenommen,
die zunächst noch nicht bestand.
773 qnä¸skei: starb er. Zum Tempusgebrauch vgl. V. 695; KG
1,137.
774 Qrä¸x
xénoß: der thrakische Gastfreund, xénoß mit bitterem
Beiklang, wie in V. 710, durch die Wortstellung hervorgehoben.
Ob Eur. das negative Charakterbild des Polymestor auf Grund der Er-
fahrungen gezeichnet hat, welche die Athener kurz zuvor mit ihren unzu-
verlässigen thrakischen Bundesgenossen gemacht hatten, lässt sich schwer
sagen. Auf jeden Fall hatten die Athener keine gute Meinung von den
Thrakern; s. Thukydides 7,29,4 tò gàr génoß tò tøn Qra¸køn omoîa toîß
málista toû barbarikoû, e¬n w¸© a£n qarsäsh¸, fonikåtatón e¬stin. Die
352 Kommentar
Verbindung von Qrä¸x und xénoß mag deswegen hier und auch schon zu-
vor in V. 19, 81f. und 710 als ein Oxymoron empfunden worden sein.
775 w® tlñmon: du Arme! Agamemnon gibt auch sonst mehrmals
durch derartige Äußerungen sein Mitgefühl zu erkennen (V. 763, 783,
785). Der Boden für Hekabes Hikesie ist also gut bereitet. Collard und
Kovacs beziehen dagegen die Anrede auf Polymestor und übersetzen dann
mit O du Grausamer! Das ist sprachlich möglich, da tlämwn ein so brei-
tes Bedeutungsspektrum hat (vgl. etwa Aisch. Cho. 384, 596; Soph. El.
439), doch scheint es mir näherliegend zu sein, dass wie schon in V. 763
die anwesende und nicht eine abwesende Person mit w® tlñmon angeredet
wird.
Auch die Sprecherin von V. 712 vermutete, dass die Gier nach Gold
das Motiv Polymestors gewesen sei.
h¬rásqh labeîn: Versschluss wie Med. 700.
776 toiaût: so (ist es); vgl. El. 645.
Zum Zeitpunkt der Tat s. V. 2127, 121416.
778 hçd: die da, mit einer Handbewegung hin zu der daneben ste-
henden Dienerin.
Der zweite Halbvers wie Aisch. Pers. 449.
779 mateúous: s. zu V. 754.
780 w¢¸cet oi¢sous: genauer sie ging, um zu holen.
781 Wenn sich ein Gastfreund (xénoß) so verhält, macht er sich eines
schweren Verbrechens schuldig. Dies ist also schon die erste implizite
Verurteilung Polymestors aus dem Munde Agamemnons.
782 qalassóplagkton: den übers Meer verschlagenen; vgl.
Aisch. Prom. 467, wo das sonst nicht belegte Wort von Schiffen gebraucht
wird. Der Vers schließt im Griechischen syntaktisch an den vorausgehen-
den Vers an.
w©de diatemn cróa: genauer nachdem er seinen Leib (wörtlich: sei-
ne Haut) so zerschnitten hatte.
783 w® scetlía sù: du Unglückliche mit kausalem Genetiv wie V.
182, 661; Alk. 741; KG 1,389.
Der zweite Halbvers ähnlich Phaethon F 786,280 TrGF tøn
a¬meträtwn kakøn.
784 Hekabe meint, dass eine weitere Steigerung ihres Leides nicht
mehr möglich ist, da sie schon alles erlitten hat, was ein Mensch erleiden
kann.
786 tæn Túchn: die Göttin des Glücks (und auch des Unglücks);
schol. M: tæn dustucían dhlonóti. Ähnlich Iph.T. 500, wo Orestes sich
als Dustucäß bezeichnet, gewissermaßen als Verkörperung des Unglücks,
oder umgekehrt Soph. Öd. 1080, wo Ödipus sich in seiner Unwissenheit
zum Kind des Glücks (paîda tñß Túchß) erklärt. An unserer Stelle ist
658904 Drittes Epeisodion 353
Tyche wohl zugleich als Verkörperung und als Geberin des Unglücks und
als Ursache des Umschlags vom Glück zum Unglück gemeint.
Tyche besaß zwar eine göttliche Genealogie als Tochter des Okeanos
(Hesiod Theogonie 360) oder des Zeus (Pindar Olympien 12,1), genoss
aber, jedenfalls im 5. Jh., keine kultische Verehrung. Bei Eur. wird von
einzelnen Dramenpersonen immer wieder vermutet, dass Tyche das irdi-
sche Geschehen lenkt. Auch Talthybios hat sich in V. 491 so geäußert.
Meist zeigt jedoch der Fortgang der Handlung, dass die Götter für alles
verantwortlich sind, was geschieht. Vgl. hierzu Matthiessen (2004) 8688.
Allerdings weist die Hek. die Besonderheit auf, dass die Götter weitgehend
verborgen bleiben, so dass man hier am ehesten meinen könnte, dass Ty-
che regiert. Aber auch hier lässt sich, jedenfalls in der Polymestor-
Handlung, bei genauerem Hinsehen das Wirken der Götter bemerken. Der
Frevler gegen den Zeus Xenios wird so bestraft, wie er es verdient, und die
Götter sorgen dafür, dass der Fahrtwind erst dann weht, wenn Hekabe die
Bestrafung vollbracht hat (898901, 1289f.).
Dies ist die zweite derartige Rede, die Hekabe hält. Die erste, an Odysseus
gerichtete (25195) blieb erfolglos, mit der an Agamemnon gerichteten
erreicht sie immerhin, dass er sie bei ihrem eigenen Handeln nicht behin-
dert. Ihre Argumentation zielt zunächst darauf ab, dass das Verbrechen
Polymestors so schwer ist, dass die Rechtsordnung zusammenbräche, wenn
es ungesühnt bliebe (787805). Sie appelliert dann an Agamemnons Mit-
leid (80611), bemerkt jedoch, dass sie hiermit keinen Erfolg hat und er
sich abwendet (812f.). Nun ändert sie ihre Taktik. Nach einer allgemeinen
Reflexion über die Macht der Beredsamkeit (81419) und einer kurzen
Äußerung des Selbstmitleids (82023) setzt sie neu an und baut ihre Ar-
gumentation darauf auf, dass er ihre Tochter Kassandra zu seiner Geliebten
gemacht hat. Sie fordert ihn auf, seine Dankbarkeit für die Freuden zu
erweisen, die Kassandra ihm bereitet. Die illegitime Beziehung deutet sie
sogar zu einem Ehebündnis um, was ihr ermöglicht, ihn zu bitten, die Ra-
che für den Tod seines neuen Schwagers Polydoros in die Hand zu nehmen
(82435). Sie endet mit einer leidenschaftlichen Hinwendung zu Agamem-
non, wobei sie ihn in den höchsten Tönen rühmt und noch einmal an sein
Mitleid und sein Rechtsgefühl appelliert (83545).
Zu dieser Rede Kovacs (1987) 10003; Michelini (1987) 14953;
Lloyd (1992) 95f.; Gödde (2000) 8694.
354 Kommentar
787 a¬mfì sòn píptw gónu: dein Knie umfange. Hekabe spricht of-
fenbar in der Haltung eines Bittflehenden. Hierüber s. zu V. 25195 und
752f.
78890 oçsia: Heiliges, Gottwohlgefälliges. Hier ist Gerechtes
gemeint, das im Einklang mit der von den Göttern sanktionierten Rechts-
ordnung steht. Der Gegenbegriff tou¢mpalin (= tò e¢mpalin), das a¬nósion
also, das Unheilige, das den Göttern missfällt, wird in V. 790 und 792
Polymestor zugeordnet. Die erste Alternative ist nur als rhetorisches Mittel
zu verstehen, da das Verbrechen Polymestors so schwer ist, dass nur die
zweite Alternative in Frage kommt.
791 oÇß 796 e¢kteine: ein langer Relativsatz, der alle Anklagepunkte
enthält.
791f. Polymestor war als Gastfreund dem Zeus Xenios verpflichtet,
verstieß aber sowohl gegen die nómoi der oberirdischen als auch gegen die
der unterirdischen Götter; schol. MB: cqoníouß mèn dià tò a¢tafon e¬âsai
foneúsanta, ou¬raníouß dè dià tòn xénion kaì fílion Día. Collard
nimmt an, mit den Oberirdischen seien die Menschen gemeint. Ich denke
aber, dass der Scholiast recht hat und dass auf beiden Seiten Götter ge-
meint sind, zumal davor und danach von Vergehen gesprochen wird, die
gegen göttliches Recht begangen wurden.
79397 In V. 791f. ist das Wesentliche über Polymestors Verbrechen
gesagt. Darum wurden die folgenden Verse oft gestrichen, so von Nauck,
ebenso von Page (1934) 68, Diggle, Collard, Kovacs und Gregory. Andere
streichen wenigstens einen Teil. Dagegen werden sie von Hadley,
Méridier, Daitz, Michelini (1987) 149, Biehl (1997) 134f. und Synodinou
gehalten, mit Recht, wie ich finde, weil hier die vorher nur allgemein erho-
benen Vorwürfe präzisiert werden, sowohl hinsichtlich des Bruches des
Gastrechts als auch des Frevels gegen den Leichnam.
793 wörtlich: gemeinsamen Tisch oftmals mir mir erlangt habend.
Die erste Vershälfte auch in Or. 9.
794 xeníaß t: wörtlich und Gastfreundschaft (sc. tucån). Der
Vers schließt syntaktisch an V. 793 an. a¬ríqmw¸ prøta gibt den Rang an,
den Polymestor unter ihren Gastfreunden einnahm. Er war gleichsam die
Nummer eins unter ihnen.
Die gut bezeugte und mit fílwn praktisch gleichbedeutende Variante
xénwn scheint mir wegen der großen Bedeutung der Verletzung des Gast-
rechts in diesem Stück den Vorzug zu verdienen. Wortwiederholungen
scheut Eur. auch sonst nicht.
795 labn promhqían: Vorsorge (oder Fürsorge) empfangen ha-
bend. Schol. MB versteht dies konkret: tæn u¬pèr toû paidòß prónoian,
oç e¬sti crämata. Ich meine jedoch, dass ganz allgemein eine fürsorgliche
658904 Drittes Epeisodion 355
(282f.). Ich kann allerdings eine solche Warnung nicht aus ihren Worten
heraushören. Sie würde damit auch kaum ihrem Anliegen dienen.
805 i¢¢son: gleich, auch fair, in Prosa oft mit díkaion gerecht
oder oçmoion gleichartig, gleichrangig verbunden. Mit i¢son dürfte recht-
liche Gleichheit gemeint sein. Das ist ein Anachronismus, denn es ist erst
eine Errungenschaft der attischen Demokratie, dass das Gerechte als ein
Gleiches verstanden wird. Vgl. Hik. 432 tód ou¬két e¢st i¢son (Tyrwhitt,
e¬stí soi L); Phön. 538 tò gàr i¢son nómimon a¬nqråpoiß e¢fu. Die Über-
lieferung verteidigen mit Recht Tierney, Italie, Kovacs (1987) 144 Anm.
52; Collard; Biehl (1997) 136; Synodinou. Die von Kayser vorgeschlagene
Änderung søn sicher, wohlbehalten, unversehrt ist möglich, aber
nicht erforderlich.
Der gleiche Wortlaut in einem anderen Kontext in F 1048,1 TrGF.
80611 Appell an das Mitleid, ein traditionelles Mittel der Affekter-
regung; vgl. Riedweg (2000) 2023. In diesem Fall scheint der Appell
zunächst wirkungslos zu bleiben, so wie er auch in V. 286f. gegenüber
Odysseus versagt hat.
806f. ai¬désqhtí me, oi¢ktiron: hab Scheu vor mir, hab Erbarmen!
Gleiche Formulierung wie in V. 286f. Die Gleichheit im Wortlaut könnte
(sofern sie überhaupt vom Zuschauer bemerkt wird) auf die Ähnlichkeit
der Situation hinweisen.
807 wß grafeúß: wie ein Maler. Der Vergleich mag zunächst ver-
wundern, und die (nur schwach bezeugte) Variante brabeúß Schieds-
richter (was auch von Hoffmann konjiziert wurde), mag unserer Vor-
stellung von den sportbegeisterten Griechen besser entsprechen. Aber das
5. Jh. war, besonders in Athen, eine Blütezeit der Malerei, wie die Vasen-
bilder zeigen. Nach Auskunft seiner Biographen soll Eur. selbst gemalt
haben. Erwähnungen der Malerei auch Aisch. Ag. 242; Ion 271; Phön.
129f.
a¬postaqeìß: Abstand nehmend; ähnlich auch Hipp. 1078f.; Ion
585f.
80911 Wirkungsvolle pathetische Aufzählung der Elemente des Un-
glücks Hekabes.
809 Zu h® s. zu V. 13.
doulæ séqen: deine Sklavin. Meridor (1983) 15 Anm. 20 und
Collard vermuten, dass Hekabe damit andeutet, dass Agamemnon als ihr
Herr zum Beistand verpflichtet ist. Ich meine aber, dass ein solcher Hin-
weis erst in V. 841 mit der Anrede w® déspot vor ihrer abschließenden
Bitte um Hilfe erfolgt.
810 graûß a¢paiß: Greisin
und kinderlos. Für alte Menschen war
in den antiken Gesellschaften die Kinderlosigkeit besonders schlimm, weil
358 Kommentar
sie keine Kinder mehr bekommen konnten und sie niemanden hatten, der
sie pflegen konnte.
a¢paiß kinderlos ist in ähnlichem Sinn zu verstehen wie a¢teknoi
tou¬pì s in V. 514 und die Aussage Hekabes über ihre Kinderlosigkeit in
V. 821. Sie ist nicht überhaupt kinderlos, sondern im Hinblick auf die Kin-
der, von denen das Stück handelt.
811 Asyndetisches Trikolon, bei dem das dritte Glied erweitert ist.
812 poî m upexágeiß póda: Die Wendung ist hier gleichbedeutend
mit feúgeiß und wird wie dieses mit dem Akkusativ konstruiert, also etwa
wohin fliehst du vor mir? póda ist demnach innerer Akkusativ. Vgl.
Soph. Öd.K. 113f. sú m e¬x odoû póda krúyon (Hss.); Trach. 339. Zu m
upexágeiß póda ausführlich Mercier (1993) 14951.
upex-: Das Präfix bedeutet heimlich hinweg; vgl. V. 6 upexepémye;
Soph. Öd. 227.
81419 Da Agamemnon durch die bisherige Rede nicht beeindruckt
zu sein scheint und sich abwendet oder gar zum Weggehen ansetzt, unter-
bricht Hekabe ihre Argumentation mit einer allgemeinen Reflexion über
die ungeheure Macht der Überredung (Peiqå). Vgl. Schadewaldt (1926)
129f.; Bain (1977) 32f. Eine ausdrückliche Anwendung auf die eigene
Situation ist nicht nötig, da sie sich aus dem Zusammenhang ergibt. Dieser
Teil der Rede richtet sich nicht so sehr an Agamemnon, der freilich Zuhö-
rer bleibt, sondern hat mehr den Charakter eines Selbstgesprächs, in dem
Hekabe ihre Ratlosigkeit zum Ausdruck bringt und einen Ausweg aus ihrer
Notlage sucht. Man hat wohl mit Recht eine Verbindung gesehen zwischen
diesen Worten und dem Erwachen des Interesses der Athener an der Kunst
der Beredsamkeit nach dem Auftritt des Gorgias in ihrer Stadt im Jahre
427, bei dem er seine glänzenden Fähigkeiten in dieser Kunst präsentierte.
Hiermit begann in Athen das Wirken der Redelehrer, die für ihre Lehrtä-
tigkeit viel Geld verlangten und denen die Jugend in Scharen zuströmte.
Riedweg (2000) 12 formuliert drastisch: Hekabes Worte hören sich bei-
nahe wie ein eingeschobener Werbeblock solcher zeitgenössischen Rede-
lehrer an.
Eine ähnlich emotionale Äußerung darüber, dass die Menschen alles
mögliche lehren, aber nicht das wahrhaft Wichtige: Hipp. 91620.
815 mateúomen: s. zu V. 754.
816 Vgl. Med. 527f.; Hipp. 538; Gorgias Helena 8 lógoß dunastæß
mégaß e¬stín, oÇß smikrotátw¸ såmati kaì a¬fanestátw¸ qeíotata e¢rga
a¬poteleî.
Pacuvius Hermiona fr. 177 Ribbeck2 (= 187 Warmington) wurde of-
fenbar durch diesen Vers angeregt: O flexanima atque omnium regina
rerum oratio.
658904 Drittes Epeisodion 359
túrannoß: Das Wort ist hier, wie oft in der Tragödie, nicht negativ,
sondern wertneutral zu verstehen.
817 ou¬dén ti mâllon e¬ß téloß: wörtlich: keineswegs etwas mehr bis
zum Ende. Ähnlich Alk. 522; Hipp. 344.
818 h®¸: Die von Elmsley vorgeschlagene Änderung des überlieferten
Konjunktivs in das Imperfekt h®n ist nicht erforderlich. Es gibt ähnliche
Fälle, wo auf einen Finalsatz im Konjunktiv ein zweiter Satz im Optativ
folgt, der die mögliche Wirkung des im Finalsatz Ausgesagten nennt; vgl.
KG 2,387 und Synodinou zur Stelle.
82023 Hekabe beklagt noch einmal ihr Schicksal, wobei sie vor al-
lem zu sich selbst spricht, aber auch Agamemnon nicht aus dem Auge
verliert, dessen Mitleid es wachzuhalten gilt. Es gibt keinen Grund, mit
Herwerden V. 82023 oder mit Kovavs 82123 zu streichen. V. 820 gehört
mit den folgenden Versen zusammen und kann nicht anders behandelt
werden als sie. Alle vier Verse aber stellen Hekabe, wie so oft, als Exem-
pel für die Wechselfälle im Menschenleben dar. In der Stimmungskurve
der Rede sind diese Verse ein Tiefpunkt. Sie sind ebenso wie V. 81219
Ausdruck der Krise, die Hekabe später überwindet, als sie noch einmal
dazu ansetzt, Agamemnon zu überzeugen.
820 pøß ou®n e¢¬t a¢n: wie denn noch; auch Tro. 961, Hik. 447; vgl.
ferner F 1067,3 TrGF pøß ou®n a¢n. Zur Stelle Biehl (1997) 137, der mit
Recht auch das von Diggle bevorzugte, in wenigen, aber guten Hss. be-
zeugte tí was? nicht für ausgeschlossen hält.
tiß jemand, man. Hekabe formuliert allgemein, meint aber sich
selbst.
821 oi mèn gàr o¢nteß paîdeß: die Kinder nämlich, die ich hatte.
Das Partizip des Präsens ist hier wie in V. 484, 620 und 810 imperfektisch
zu verstehen.
Es ist fraglich, ob Hekabe alle in V. 421 erwähnten fünfzig Kinder
meint, was durch die Varianten tosoûtoi und tosoíde die so vielen
noch stärker unterstrichen würde, oder nur diejenigen, die sie gerade verlo-
ren hat, nämlich Polyxene und Polydoros. Hierüber gibt der Text keine
eindeutige Auskunft. Vgl. auch zu V. 514, 810.
822 au¬tæ: ich selbst. Murray bevorzugte die Variante auçth diese
und nahm an, dass Kassandra gemeint sei. Dann musste er allerdings vor
oi¢comai ich bin fort einen Punkt setzen und das Wort in dem Sinne ich
bin dahingeschwunden auffassen. Der Vers würde dann eine Vorberei-
tung auf die Erwähnung Kassandras in den nächsten Versen darstellen. Das
alles ist jedoch unwahrscheinlich.
e¬p ai¬scroîß: unter schändlichen Bedingungen, nämlich denen der
Sklaverei.
360 Kommentar
oi¢comai: entweder lokal zu verstehen bin fern von der Heimat (wie
Aisch. Pers. 1) oder eher als Beschreibung eines Zustandes bin verloren
(wie Soph. Trach. 85).
823 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15.
82432 Hekabe entschließt sich zögernd zu einem Neuansatz ihrer
Bittrede, wobei sie zu einem Argument greift, das schon von manchen
antiken, aber auch manchen modernen Lesern als fragwürdig empfunden
wurde. Sie meinen, dass es würdelos sei, wenn sie es sich zunutze mache,
dass Agamemnon ihre Tochter Kassandra gegen deren Willen zu seiner
Geliebten gemacht hat. Er ist damit gleichsam zu ihrem Schwiegersohn
und zum Schwager (834 khdestäß) des Polydoros geworden. Ein schol.
schreibt (zu Soph. Ai. 520): mastropikåtata ei¬ságei tæn ¿Ekábhn
légousan (sc. Eu¬r.). Dem widerspricht ein anderes (schol. MV Hek. 825):
ou¬¬ mastropådeiß oi lógoi, a¬ll a¬faireîsqai tòn tñß túchß o¢gkon ei¬ß
pân otioûn katabaínei kaqomiloûsa toîß kairoîß kaì légousa taûta
di w©n e¢melle qhrâsqai boäqeian. In der Tat ordnet sie ihrem Rachever-
langen alles andere unter, auch ihre bisher noch immer bewahrte königli-
che Würde. Es ist die Frage, ob man ihr dies zum Vorwurf machen oder ob
man nicht eher ihr konsequentes Handeln bewundern oder wenigstens
respektieren sollte.
824 kenòn: Das überlieferte kenòn leer, nichtig ist passend; vgl.
Hik. 849; Phön. 551. Das von Nauck vorgeschlagene und von Diggle über-
nommene xénon fremd, nicht zur Sache gehörig würde den Sinn nicht
verbessern, sondern eher Hekabes Argumentation schwächen. So auch
Kovacs; Biehl (1997) 137f.; Gregory; Synodinou; anders Riedweg (2000)
24.
825 Kúprin: zweiter Name der Liebesgöttin Aphrodite, die in Paphos
auf Zypern (Kúproß) besonders verehrt wurde, weil sie nach ihrer Geburt
im Meer dort zuerst das Land betrat. Hier ist nicht so sehr ihre göttliche
Person, als vielmehr ihr Herrschaftsbereich gemeint, sofern sich dies über-
haupt trennen lässt.
probállein: als Argument vorbringen (LSJ), vgl. Soph. Trach. 810;
Demosthenes 9,8.
a¬ll oçmwß ei¬räsetai: vgl. Hkld. 928; Ba. 776.
826 Ennius Hecuba fr. 214 Warmington = 90 Jocelyn übersetzt die-
sen Vers sehr frei: quae tibi in concubio verecunde et modice morem
gerit.
827 foibáß: Priesterin des Phoibos Apollon, seltenes Wort, hier
zuerst belegt, gebildet wohl in Analogie zu und anklingend an maináß
rasende Frau im Gefolge des Dionysos. In V. 676 wurde Kassandra so-
gar als bakceîon kára bezeichnet (s. zur Stelle).
658904 Drittes Epeisodion 361
Gregory (1999) hält den Vers mit R. Haupt für einen späteren Zusatz.
Zwar sollte die Beziehung Agamemnons zu Kassandra den Zuschauern aus
V. 12028 bekannt sein, aber angesichts der Vergesslichkeit der Menschen
kann man wichtige Dinge nicht oft genug wiederholen. Für Hekabes Ar-
gumentation ist es aber wichtig, dass es um diese Beziehung geht. Darum
halte ich den Vers für sinnvoll an seinem Platz.
Zur Formulierung vgl. Ion 13; Phaethon F 771,4 f.; Telephos F
696,11f. TrGF.
82830 Das Wort cáriß (Gunst, Dank, Dankbarkeit, Dankes-
bezeigung) ist eines der Leitmotive dieses Stückes; s. Einführung S. 35f.
Hier geht es Hekabe darum, von Agamemnon eine Bezeigung der Dank-
barkeit für eine ihm erwiesene Gunst, nämlich für Kassandras Fügsamkeit
gegenüber seinem Liebesverlangen, zu erwirken. Eine ähnliche Bezeigung
der Dankbarkeit für erwiesene Liebesgunst versucht auch Tekmessa von
Aias zu erreichen; vgl. Soph. Ai. 52022 (a¬ndrí toi cren | mnämhn
proseînai, térpnon ei¢ tí pou páqoi. | cáriß cárin gár e¬stin h tíktous
a¬eí). Zu den emotionalen Beziehungen, die sich zwischen kriegsgefange-
nen Sklavinnen und ihren Herren entwickeln können, s. Scodel (1998). Sie
verweist auf Achilleus und Briseis (Ilias 1,348; 9,34143) und auf
Neoptolemos und Andromache (Tro. 699f.). Ganz anders als die übrigen
weiblichen Gefangenen wird allerdings die Kassandra der Tro. ihre Bezie-
hung zu Agamemnon sehen, nämlich als eine Hochzeit, die sowohl für sie
selbst als auch für ihren Bräutigam tödliche Folgen haben wird, so dass sie
auf diese Weise den Tod ihres Vaters und ihrer Brüder rächen kann (Tro.
31114, 35660).
828 léxeiß: du wirst einschätzen, zählen, rechnen, guter Vorschlag
von Diggle (1994) 236f., für den man als Parallelen V. 906 sowie Her. 41;
Soph. Ant. 183 anführen kann. deíxeiß du wirst zeigen würde als Ergän-
zung in Gedanken ein Partizip ou¢saß verlangen: Wie wirst du zeigen,
dass die Nächte dir lieb sind? So Kamerbeek (1986) 101; Biehl (1997)
138; Synodinou.
eu¬frónaß: Nächte. Das meist poetische Wort eu¬frónh bedeutet ur-
sprünglich die freundliche (Zeit). Diese Grundbedeutung wird hier viel-
leicht noch mitgehört.
829f. h®: Das von Diggle (1994) 237f. mit Recht bevorzugte h® ist Fra-
gepartikel. Dagegen würde das h£ oder der Hss. das zweite Glied einer
Alternativfrage einführen. Hier liegt jedoch keine Alternativfrage vor.
Wenn der Satz mit der Fragepartikel h® beginnt, kann aber in V. 830 nicht
das direkte Fragepronomen tín welchen? stehen, sondern nur das von
Porson hergestellte indefinite Pronomen tin irgendeinen.
831f. Diese gnomischen Verse wurden oft als banal empfunden und
nach dem Vorbild von Matthiae gestrichen. Aber das entscheidende Wort
362 Kommentar
ist cáriß, was nicht nur Freude bedeutet, sondern auch Dankbarkeit,
die man gegenüber dem empfinden sollte, der einem Freude bereitet; vgl.
auch Soph. Ai. 52224. Die Verse haben also an dieser Stelle durchaus
eine Funktion.
Die viel zitierten und sprichwörtlich gewordenen Verse sind geradezu
zersungen worden. Sie wurden aus dem Gedächtnis ungenau zitiert, und
dies hat auch auf die Hss. zurückgewirkt. Wären alle Verse des Stückes so
schlecht überliefert, könnten die Herausgeber verzweifeln. Zu den Textpro-
blemen Biehl (1997) 138f.; zur Interpretation Segal (1990b) 124; zur Be-
deutung der cáriß in der Rhetorik Riedweg (2000) 24f.
831 e¬k toû skótou: aus dem Dunkel. Zu skótoß siehe zu V. 1.
Die verbreitetste Variante ist e¬k toû skótou te tøn te nuktérwn
brotoîß Aus dem Dunkel und den nächtlichen (Liebesbezeugungen).
Dabei stört freilich das Wort brotoîß, das gleich danach wieder auftaucht.
Auch wenn man mit Daitz in V. 832 die Variante qnhtoîß in den Text
aufnähme, gäbe es eine unbefriedigende Synonymenhäufung. Deswegen
schlug Nauck nukterhsíwn vor, das mit nuktérwn gleichbedeutend ist
und brotoîß überflüssig machen würde. Dies übernehmen Diggle und
Kovacs, allerdings ist das Wort in der klassichen Literatur nicht sicher
belegt. Es wird nur in Aristophanes Thesmophoriazusen 204 von Dobree
durch Konjektur aus dem obszönen nuktereísia nächtlich stoßend her-
gestellt. Deswegen setze ich die Worte nuktérwn brotoîß in Kreuze. Die
Übersetzung gibt den etwa zu erwartenden Sinn wieder.
832 fíltrwn: fíltron bedeutet zunächst Liebeszauber, aber auch
allgemein Zauber oder Liebe Zuneigung, in der letztgenannten Be-
deutung auch Andr. 540 (s. Stevens zur Stelle); im Plural El. 1309; Tro.
857f.
cáriß: sowohl Freude als auch Dankbarkeit. Da beide Aspekte für
Hekabes Argumentation wichtig sind, setze ich beides in der Übersetzung
nebeneinander.
834 khdestæn: durch Verschwägerung verbunden, entweder
Schwiegervater (Demosthenes 19,118) oder Schwiegersohn (Antiphon
6,12) oder, wie hier, Schwager (Lysias 13,1f.). Damit sind jedoch sonst
immer legitime Verbindungen gemeint, während Hekabe hier eine ille-
gitime in den Rang einer legitimen zu erheben versucht, um bei
Agamemnon einen Anknüpfungspunkt für ihre Bitte um Unterstützung zu
finden.
835 Markierung des Schlussabschnitts der Bittrede Hekabes; vgl.
Riedweg (2000) 25.
83640 Zu dieser Passage Gödde (2000) 8991.
658904 Drittes Epeisodion 363
836f. Eine ähnliche Aufzählung bei einer Hikesie El. 33235. Ähn-
lich unerfüllbare Wünsche in verzweifelter Lage Alk. 35762; Hipp.
1074f.; Iph.A. 121114.
836 ei¬ leitet wie ei¢qe einen Wunschsatz ein: wenn doch; vgl. Soph.
Öd. 863.
Ein ähnlicher Wunsch Aisch. Cho. 195200.
837 kaì cersì kaì komaîsi: Ennius Hecuba fr. 215 Warmington = fr.
11 Vahlen2 (nicht bei Jocelyn) übersetzt palm et crinibus.
podøn básei: poetische Umschreibung für posín.
838 Daidálou tecnaîsin: durch die Kunst des Daidalos. Der my-
thische Künstler Daidalos soll nach schol. MB Automaten hergestellt ha-
ben, die sich aus eigener Kraft bewegen und sprechen konnten; vgl.
Eurystheus F 372 TrGF; Platon Menon 97d 610. Wenn er auch Hekabes
Gliedern die Fähigkeit zum Sprechen verliehen hätte; dann könnten alle
ihre Glieder, die an der Hikesie beteiligt sind, mit einstimmen.
839 wß = wçste.
amartñ¸: zugleich, die homerische Wortform; z. B. Ilias 5,656. Alle
Hss. haben omartñ¸. Ebenso Hkld. 138, Hipp. 1195 (s. Barrett zu V. 1194
97).
e¢coito: Optativ statt zu erwartendem Infinitiv, assimiliert an den
Wunschsatz. Manche Herausgeber bevorzugen die Variante e¢cointo, weil
in dem Subjekt panq die vorher einzeln genannten Körperteile zusam-
mengefaßt sind.
søn e¢coito gounátwn: vollzöge die Gebärde eines ikéthß. S. zu V.
25195, 752f.
840 e¬piskäptonta: beschwörend; häufig von letzten Bitten Ster-
bender, ihren Tod zu rächen; vgl. Lysias 13,41f., 92; Herodot 3,65,6. Dazu
Meridor (1983) 16.
84145 Hekabe schließt mit einer schmeichelnden Anrede Agamem-
nons und einer Bitte, sich ihres unbedeutenden Anliegens anzunehmen.
Mit ihren letzten Worten knüpft sie an die rechtliche Argumentation des
ersten Teils ihrer Rede an.
841 w® déspot: Hekabe erinnert hiermit daran, dass Agamemnon für
die Vertretung der Rechte seiner Sklavin zuständig ist. S. auch zu V. 809.
w® mégiston
fáoß größtes Licht: höchstes Lob, vgl. Ba. 608;
ähnlich Iph.A. 1063.
843 ei¬ kaì mhdén e¬stin: wohl zu verstehen als auch wenn sie (d. h.
die presbútiß) ein Nichts ist; so jedenfalls schol. M (h iketeúousá se)
und die meisten Kommentare.
Nach a¬ll oçmwß aber dennoch ist ein abermaliges parásceß reiche
sie dar zu ergänzen; vgl. El. 753; Or. 1023 (und Willink zur Stelle); Iph.A.
364 Kommentar
904; Ba. 1027. Aristophanes Acharner 402 parodiert dieses a¬ll oçmwß am
Versende.
845 Ähnlich V. 903f.; Ödipus fr. 554a,4 TrGF kakòn gàr a¢ndra cræ
kakøß páscein a¬eí. Dass man Freunden Gutes und Feinden Schlechtes
zufügen solle, ist ein Kernsatz der griechischen Volksethik; vgl. Dihle
(1962) 33 Anm. 1. Hier jedoch wird nicht nach Freund und Feind geschie-
den, sondern es werden die Guten und die Schlechten jeweils nach
ethischen oder rechtlichen Kriterien beurteilt.
84649 Chorreplik
Griechen und damit als Freund erwiesen; denn für das Heer ist der Knabe
als Sohn des Priamos zweifellos ein Feind.
859f. ei¬ dè soì fíloß oçd e¬stí: wenn der dort dir ein Freund ist.
Collard, Gregory und andere bevorzugen den Vorschlag von Elmsley d
e¬moì fíloß aber mir ein Freund. Die Änderung ist kaum richtig; vgl.
Stanton (1995) 25 Anm. 45; Biehl (1997) 140f. Zwar versucht Hekabe,
Agamemnon für ihre Familie zu vereinnahmen, aber er achtet auf Distanz
und würde kaum Polydoros als seinen fíloß bezeichnen. oçde ist nicht etwa
Agamemnon, wie Tierney und Synodinou meinen, sondern Polydoros,
dessen Leichnam sich wohl auf der Bühne befindet und auf den mit oçde
verwiesen werden kann. Als Familienangehöriger Hekabes kann er mit
Recht soì fíloß genannt werden. Auf der Bühne würde der Sachverhalt
deutlich werden, wenn Agamemnon zu V. 859 bei soì auf Hekabe und zu
V. 860 bei oçd auf den Leichnam des Polydoros hinweist.
863 diablhqäsomai: wörtlich ich werde verleumdet werden; ge-
meint ist: man wird schlecht von mit reden; vgl. Hkld. 422; Iph.A. 1372.
863a67 Allgemeine Reflexion Hekabes, mit der sie auf die unbe-
friedigende Antwort Agamemnons reagiert, die zeigt, dass sogar er als
Oberfeldherr auf vieles Rücksicht nehmen muß. Eine ausdrückliche An-
wendung auf die konkrete Situation ist nicht erforderlich, weil sie auf der
Hand liegt. Immerhin knüpft Hekabe in V. 868 an ihre Reflexion an. Vgl.
Johansen (1959) 158; zum Gedanken Daitz (1971).
866 póleoß: Eur. verwendet. diese Form des Genetivs, wo es met-
risch erforderlich ist, wie hier. Daneben steht das etwa ebenso häufige
pólewß.
nómwn grafaì: wörtlich Schriften der Gesetze. Gemeint sind die
Gesetzestexte, die dem, der zu entscheiden hat, einerseits keinen Ermes-
sensspielraum lassen, aber andererseits von Stadt zu Stadt verschieden sind
und auch geändert werden können. Sie sind zu unterscheiden vom univer-
sal herrschenden nómoß, auf den sich Hekabe in V. 799801 beruft.
Die Erwähnung geschriebener Gesetze ist freilich, ebenso wie die des
plñqoß póleoß, ein Anachronismus. Die Schrift wird von Eur. auch sonst
vorausgesetzt, so für die Briefe in Hipp., Iph.T. und Iph.A.; geschriebene
Gesetze werden auch Hik. 433 erwähnt.
867 ei¢rgousi crñsqai mæ: halten davon ab zu gebrauchen. Die bei
der Übersetzung ins Deutsche wegfallende Negation mä (hier aus metri-
schen Gründen nachgestellt) steht nach ei¢rgousi als einem Verbum des
Hinderns; KG 2,208.
katà gnåmhn trópoiß: wörtlich Handlungsweisen gemäß der (eige-
nen) Meinung.
86875 Da Hekabe die Begründung für Agamemnons Zurückhaltung
akzeptieren muss, begnügt sie sich damit, ihn zu bitten, er möge wenigs-
658904 Drittes Epeisodion 367
tens dafür sorgen, dass sie bei ihrem Handeln nicht behindert wird. Dem
stimmt er zu. So bekommt sie zwar weniger Hilfe als erhofft, aber genug
für ihre Zwecke. Eine ähnlich bedingte, aber doch ausreichende Zusage auf
eine Bitte um Hilfe bekommen auch Medea von Aigeus und Helena und
Menelaos von Theonoe (Med. 72530; Hel. 1022f.).
868 tø¸
o¢clw¸: der Masse, s. zu V. 880. Ähnliche Beurteilung des
Verhaltens Agamemnons Iph.A. 1012 lían tarbeî stratón.
pléon: zu viel; vgl. Hik. 241.
869 Hier spricht die Sklavin Hekabe ihren Herrn Agamemnon frei.
Dies ist besonders paradox nach V. 754f., wo Agamemnon ihr die Freiheit
schenken wollte.
870f. Wichtig ist hier die Unterscheidung von Mitwisserschaft
(súnisqi) und Mittäterschaft (sundrásh¸ß).
sundrásh¸ß dè mä: verneinter Imperativ: aber wirke nicht mit!
872 ¯pikouría mit Aphärese für e¬pikouría Hilfe. Méridier ver-
steht richtig: ein Versuch zur Hilfeleistung. Vgl. auch V. 878.
873 Euphemistische Umschreibung der Bestrafung, die Polymestor zu
erleiden haben wird, tautologisch ausgedrückt; vgl. El. 1141 (und
Denniston zur Stelle); KG 2,436. Ähnliche Tautologien in anderer Funkti-
on Med. 1011; El. 289, 1122; Or. 660.
874 e¬mæn cárin: mir zugunsten, meinetwegen; Akkusativ der
Beziehung; vgl. V. 1243; Soph. Trach. 485 keínou te kaì sæn e¬x i¢sou
koinæn cárin; KG 1,285, 462.
875 tà d a¢lla qársei: im übrigen sei guten Mutes. Die Sklavin
spricht ihrem Herrn Mut zu, ähnlich wie Polyxene in V. 345.
Viele Herausgeber fassen qársei als Parenthese auf, was möglich,
aber nicht nötig ist. Dann wäre tà d a¢lla alles übrige zum folgenden
zu ziehen: Ich werde sei guten Mutes! alles übrige gut erledigen.
qäsw kaløß: Hinter dieser neutralen Wendung verbirgt Hekabe, was
sie im einzelnen vorhat, genau wie die skrupellose Amme Hipp. 521. Vgl.
ferner Or. 1664; Iph.A. 401.
87679 Der ungläubige Agamemnon überschüttet Hekabe mit sieben
Fragen auf einmal.
876 Der erste Halbvers auch Hipp. 598 (s. Barrett zur Stelle); ähnlich
Med. 1376.
fásganon: Das Schwert ist die Waffe der Männer. Dass auch Frauen
es führen könnten, ist für Agamemnon schwer vorstellbar. Tatsächlich
werden bald fásgana in den Händen der Frauen sein; s. V. 1161.
878 Das Töten mit Gift ist dagegen für Frauen charakteristisch; vgl.
Med. 384f.; Ion 616f.
879 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. Die beiden parallel gebauten
Vershälften variieren die gleiche Frage.
368 Kommentar
880 o¢clon: eine Menge. Das Wort, das Hekabe auch schon in V.
868 verwendete, kann, stärker als dñmoß Volk oder plñqoß Menge,
auch einen herabsetzenden Nebensinn haben, wie im Deutschen Masse
oder Pöbel; so etwa in V. 605, 607 und wohl auch 868, nicht jedoch in
V. 521. Hekabe mag durch die Wortwahl andeuten, dass ihre Helferinnen
im Zelt sich, wenn es sein muß, durchaus wie ein wütender Mob verhalten
können; so Kovacs (1987) 104: she has her own mob.
881 Eine recht geringschätzige Bewertung von Hekabes Helferinnen.
882 tòn e¬møn fónea: Alle Hss. überliefern tòn e¬mòn fónea meinen
Mörder. Dies könnte metaphorisch verstanden werden, ähnlich wie Soph.
Öd. 534, wo Ödipus Kreon beschuldigt, gegen ihn zu intrigieren und auf
seinen Tod hinzuarbeiten, und ihn darum meinen Mörder nennt (foneùß
w£n toûde ta¬ndróß). Doch spricht viel für das von Scaliger vorgeschlagene
tòn e¬møn fónea den Mörder der Meinigen, wobei Hekabe ähnlich wie
in V. 750 sowohl an Polydoros als auch an Polyxene denken könnte.
883 a¬rsénwn
krátoß: Gewalt über Männer, vgl. Tro. 949; KG
1,335. Man sollte auch daran denken, dass Agamemnon durch seine eigene
Frau gewaltsam zu Tode kommen wird. Synodinou merkt mit Recht an:
Agamemnon unterschätzt die Frauen ganz allgemein.
884 sùn dólw¸: mit List. Eine besondere Fähigkeit der Frauen,
durch die sie den Mangel an Körperkraft ausgleichen. Vgl. Andr. 85
pollàß a£n euçroiß mhcanáß, gunæ gàr ei® und Stevens zur Stelle.
885 mémfomai: wörtlich ich tadele, missbillige.
génoß: Geschlecht ist einhellig überliefert. Jenni versucht durch sei-
ne Änderung deutlicher zu machen, was Agamemnon meint. Den Frauen
als dem schwachen Geschlecht fehlt die für eine solche Tat nötige Körper-
kraft. Deswegen setzt er sqénoß Kraft, womit in diesem Fall die fehlen-
de Kraft gemeint wäre. Ich denke, dass die Meinung Agamemnons auch
ohne diese Änderung deutlich genug wird. Vgl. auch V. 22528, 1184;
Biehl (1997) 141f.; Synodinou; ferner Antiope F 199,1f. TrGF tò a¬sqenéß
mou kaì tò qñlu såmatoß | kakøß e¬mémfqhß (wo allerdings von keiner
Frau, sondern von dem der Musik zugewandten Amphion die Rede ist).
886f. Hekabe nennt zwei mythische Beispiele für die Richtigkeit ihrer
von Agamemnon angezweifelten Behauptung in V. 884; vgl. Johansen
(1959) 51. Frauen haben gelegentlich Scharen von Männern vernichtet.
Denn die fünfzig Töchter des Danaos töteten (mit einer Ausnahme) die
fünfzig Söhne des Aigyptos. Dies war der Stoff der Danaidentrilogie des
Aischylos, von der die Hiketiden erhalten sind. Ferner töteten die Frauen
von Lemnos ihre sämtlichen Ehemänner. Auch dies scheint zum Stoff
mehrerer verlorener Tragödien geworden zu sein, so der Lemnier des Ai-
schylos und der Lemnierinnen des Sophokles.
658904 Drittes Epeisodion 369
Kovacs (1987) 145 Anm. 58 bestreiten dies sogar entschieden. Man muss
zugeben, dass wir weder das eine noch das andere wissen, doch liegt es
nahe, zu vermuten, dass der Geist des Achilleus dafür verantwortlich war,
dass nicht der richtige Wind wehte, und katésc in V. 38 und e¢sce
scedíaß in V. 111 so zu verstehen sind. (So auch schol. V zu V. 111:
nhnemía gégone hníka e¬fánh o ¯Acilleúß). Es scheint mir bedeutsam zu
sein, dass Agamemnon einen Gott dafür verantwortlich macht, dass der
Fahrwind nicht weht. So auch Kovacs (1987) 105. Am Schluss, als
Polymestor seine Strafe erhalten hat, weht jedenfalls der Fahrtwind, und
die Flotte kann aufbrechen (1289f.).
Man sollte darauf hinweisen, dass Agamemnon Hekabe Gelegenheit
zur Rache gibt, weil er erstens dem Recht zur Geltung verhelfen will, wie
er ausdrücklich sagt (852f. und 90204), weil er ihr zweitens aber auch
einen persönlichen Gefallen tun will (899) und weil es sich drittens zeitlich
einrichten lässt (898901). Seine Beziehung zu Kassandra scheint bei sei-
ner Entscheidung keine Rolle zu spielen. Er lässt sie jedenfalls unerwähnt.
S, auch zu V. 85063.
ou¬ríouß pnoàß Fahrtwind; wie Tro. 882f.; Hel. 1612.
898 e¢stai tád ouçtw: so soll es sein, wörtlich so wird es sein.
Futur zur Bezeichnung eines erwarteten und erwünschten Geschehens; vgl.
Alk. 328; KG 1,17376. Die Zustimmung Agamemnons bezieht sich wohl
nicht nur auf die zuletzt gegebenen Befehle Hekabes, sondern auf ihren
ganzen Plan, wie seine abschließenden Worte zeigen. Sie erhält damit von
ihm die Erlaubnis, ihre Rachetat so zu vollbringen, wie sie es für richtig
hält. Hierzu Meridor (1983) 17 Anm. 34.
900 Dass auch nach Polyxenes Opferung noch kein Fahrtwind weht,
bedeutet nicht, dass die Götter Menschenopfer verurteilen, wie manche
meinen, sondern eher, dass sie Hekabe Zeit für den Vollzug ihrer Rache
gewähren. Wäre die Feststellung, dass in diesem Augenblick noch kein
Fahrtwind weht, tatsächlich so wichtig für das Verständnis des Stückes,
hätte der Dichter sie stärker hervorgehoben und nicht nur fast nebenbei in
einer Parenthese erwähnt.
901 hsúcouß: Alle Hss. überliefern ménein a¬nágkh ploûn orøntaß
hçsucon muss man auf die Abfahrt warten und in Ruhe Ausschau halten
(nämlich nach Fahrtwind). hçsucon wäre dann adverbiell aufzufassen,
doch ist die Form erst bei Theokrit als Adverb belegt. Darum ist es wohl
besser, das Wort mit Markland an orøntaß anzupassen und in hsúcouß zu
verändern.
90204 Agamemnon wünscht Hekabe Erfolg. Dass sie ihn verdient
hat, begründet er ähnlich wie sie in V. 844f.
904 Nach diesem Vers geht Agamemnon in Richtung zum griechi-
schen Lager ab, während sich Hekabe wohl ins Zelt zurückzieht, um dort
90551 Drittes Stasimon 371
Vorbereitungen für die Rachetat zu treffen. Die Dienerin dürfte schon vor-
her, als sie ihren Auftrag erhalten hat, zusammen mit einigen Soldaten aus
Agamemnons Gefolge, die sie auf seinen Wink hin begleiten, in Richtung
zum griechischen Lager abgegangen sein (894). Doch was geschieht mit
dem Leichnam des Polydoros? Er könnte ins Zelt getragen werden, er
könnte aber auch wieder verhüllt werden und vor dem Zelt liegen bleiben.
Letzteres scheint mir für die Inszenierung sinnvoller zu sein, weil der fol-
gende Dialog, wenn er vor dem Hintergrund der Leiche stattfände, sehr an
dramatischer Ironie gewinnen würde. Ähnlich auch Gregory zu V. 955 und
Synodinou zu 95355.
Dieses aus zwei Strophenpaaren und einer Epode bestehende Lied ist das
längste Chorlied des Stückes. Es ist ein dithyrambisches Stasimon, also
eine lyrische Erzählung; s. Kranz (1933) 18. Es handelt ähnlich wie das
zweite von dem großen Geschehen, das den Hintergrund für die Bühnen-
handlung bildet, nämlich dem Untergang Trojas. Die erste Strophe ist eine
allgemeine Klage über das Ende der Stadt, während die übrigen drei Stro-
phen die Katastrophe aus der Perspektive der vornehmen Troerin schildern,
die nach dem Freudenfest wegen des vermeintlichen Abzuges der Feinde
im Negligé am Frisiertisch saß, als das Kriegsgeschrei ertönte und die
Griechen plötzlich überall in der Stadt auftauchten. Das Lied mündet in
eine Verwünschung der beiden Menschen, die, jedenfalls vordergründig,
die Schuld am Kriege tragen, also der Helena und des Paris, die schon im
2. Stasimon (V. 62946) genannt wurden.
Zu diesem Lied ausführlich Panagl (1971) 741, (1972) 811; Nord-
heider (1980) 2125; C. Collard, Sacris Erudiri 31 (198990) 8797; Hose
(199091) 2, 66f. und (2008) 8789; Mossman (1995) 8792; Burnett
(1998) 158 Anm. 69; C. W. Willink, Eur. Hec. 90522, Ion 763803, Ba.
40233, Mnemosyne 57 (2004) 4579.
905f. Eine ähnliche Äußerung der Trauer über die Niederlage Aisch.
Pers. 24952.
905 w® patrìß ¯Iliáß: o ilisches Vaterland. Zum Adjektiv ¯Iliáß s.
zu V. 102. Die letzte Silbe ist kurz, vgl. Andr. 128.
Das thematisch eng verwandte Lied Tro. 51167 handelt ebenfalls vom
Untergang Trojas aus der Sicht der Frauen. Es beginnt mit der Nennung
des Namens der Stadt (511 ºIlion) und schließt mit der Klage über den
Verlust der Vaterstadt (567).
906 tøn a¬porqätwn póliß ou¬kéti léxh¸: wörtlich als eine Stadt der
Uneroberten wirst du nie mehr zählen, im Gegensatz zu den Athenern, die
372 Kommentar
sich rühmten, dass ihre Stadt noch nie erobert worden sei; vgl. Med. 826;
Aisch. Pers. 348f.. Troja wurde bekanntlich zweimal erobert, zuerst zur
Zeit des Königs Laomedon durch Herakles und dann wieder durch
Agamemnon.
ou¬kéti nicht mehr, wiederholt in V. 913. Der Gedanke, dass Troja
endgültig der Vergangenheit angehört, bestimmt Anfang und Ende.
léxh¸ du wirst zählen, du wirst gerechnet werden; s. zu V. 828.
90713 Hierzu vgl. Barlow (1971) 111f. Die Stadt wird personalisiert
angeredet, und ihr Zustand wird durch mehrere Metaphern veranschaulicht.
Die Tmesis (a¬mfí krúptei, a¬pó kékarsai, katá kécrwsai) wird als
Stilmittel eingesetzt.
907 ¿Ellánwn néfoß: die Wolke der Griechen, Metapher für das
unübersehbar große Heer; ähnlich Ilias 17,243 (polémoio néfoß perì
pánta kalúyei); Phön. 250f.
910f. Der Ring der Stadtmauern und -türme wird mit einer großarti-
gen Metapher als ein Kranz verstanden, der einem Opfernden, einem Sie-
ger oder einer Frau entrissen wird; die Kranzmetapher auch Tro. 783f.;
Pindar Olympien 8,32f.
911f. katà
kécrwsai: in Tmesis, du bist gefärbt worden, von
dem seltenen Verb katacrånnumi färbe.
khlîd: Akkusativ der Beziehung, mit einer Befleckung.
911 [kapnoû]: des Rauches, wohl eine Glosse zu dem selteneren
Synonym ai¬qálou, von Triklinios und später wieder von Canter gestri-
chen. Die beiden großen Metriker taten es aus dem gleichen Grund: Das
Wort stört die Responsion mit V. 920 (so auch Triklinios in schol. T:
perissòn ou®n h®n tò kapnø¸. diò kaì e¬xebläqh par e¬moû, içn oi¬keîon h®¸
tò kølon pròß tò tñß a¬ntistrofñß).
913 tálain: wohl auf Troja bezogen (vielleicht auch Selbstanrede
der Sprecherin).
s e¬mbateúsw: pólin e¬mbateúein: auch El. 595, 1250f.
91442 Ein jäher Wechsel von der Festfreude zum Einbruch der Ka-
tastrophe erfolgt auch im ersten Stasimon der Tro., besonders in V. 551
59.
914 mesonúktioß: um Mitternacht; Adjektiv der Zeit, wo deutsch
ein präpositionaler Ausdruck verwendet wird; s. zu V. 797.
Die Autoren stimmen darin überein, dass der Überfall tief in der Nacht
erfolgte: Tro. 543; núcion
knéfaß parñn; Vergil Aeneis 2,268f. tem-
pus erat quo prima quies mortalibus aegris | incipit et dono divum gratissi-
ma serpit. Schol. MB zitiert Ilias Parva fr. 11 EGF nùx mèn e¢hn méssh,
lamprà d e¬pételle selänh.
915 h®moß: als, im Epos und bei Soph. gebräuchlich, bei Eur. nur
hier.
90551 Drittes Stasimon 373
lich, wie schon Triklinius erkannt hat (schol. T: e¬mbebøta cræ gráfein,
ou¬k e¬mbebaøta. ou¬c ouçtw gàr e¢cei pròß tò métron o¬rqøß, a¬ll
e¬keínwß).
Die Schlüsse von V. 913 und 922 respondieren klanglich und inhaltlich
(Wortresponsion); ähnlich V. 931 und 941.
923f. e¬g dè: ich aber, ebenso an entsprechender Stelle Tro. 551:
parodiert durch Aristophanes Frösche 1346.
Das Scholion MB zu V. 923 vermutet hier, sicher zu Unrecht, einen
Seitenhieb auf die Frauen, die sich sogar noch zu so später Stunde ihrer
Putzsucht hingeben: diasurtikøß gunaikøn tò kaì méshß nuktòß
kallwpízesqai.
plókamon das Haar, Singular wie Phön. 309; Aisch. Sieb. 564.
a¬nadétoiß mítraisin: mit einem aufgebundenen Haarband ähnlich
Herodot 1,195,1 (über die Babylonier) komønteß dè tàß kefalàß mítrh¸si
a¬nadéontai.
925a cruséwn e¬nóptrwn: goldener Spiegel; griechisch Plural. Dies
soll offenbar ein Beispiel für den orientalischen Prunk der Trojaner sein;
vgl. Tro. 1107; Or. 1112f. Spiegel werden auch Med. 1161 erwähnt. Sie
sind in Griechenland erst seit etwa 500 gebräuchlich, bestehen aber aus
Bronze oder Silber, nie aus Gold. Eur. setzt ihr Vorhandensein auch für die
heroische Zeit voraus.
cruséwn ist zweisilbig zu lesen ( qq ).
a¬térmonaß ei¬ß au¬gáß: in den grenzenlosen Glanz. Eine harte Nuss
für die Interpreten seit der Antike. Die meisten Scholien und auch manche
modernen Philologen verstehen a¬térmonaß als rund, da das Runde keine
Grenzen habe. Tatsächlich waren die antiken Spiegel in der Regel rund.
Andere denken, dass die starke Helligkeit gemeint ist, die der Spiegel re-
flektiert, wenn ein Lichtschein in ihn fällt (O. Skutsch, Eur. Hec. 92526,
Classical Philology 52, 1957, 173 mit weiterer Literatur). Die damals vor-
handenen Lichtquellen waren aber nicht sehr stark. Wieder andere vermu-
ten, dass die unendliche Reihe von Bildern gemeint ist, die entsteht, wenn
zwei Spiegel einander gegenübergestellt werden, wodurch der Plural
e¬nóptrwn einen guten Sinn bekäme. Dagegen ist einzuwenden, dass sich
dieser Effekt mit den damals gebräuchlichen kleinen Metallspiegeln kaum
erzielen ließ. Ich ziehe es vor, die Wendung in ihrer Rätselhaftigkeit ste-
henzulassen.
926 e¬pidémnioß: auf dem Bett liegend; nur hier belegt. Adjektiv,
wo im Deutschen Adverb verwendet wird; s. zu V. 797. Nach e¬pidémnioß
ist e¬ß eu¬nán auf das Bett pleonastisch.
927 Dem jähen Wechsel in der Handlung entspricht der Wechsel des
Metrums. Dies gilt allerdings nur für die Strophe.
90551 Drittes Stasimon 375
gámoß: wörtlich Hochzeit, doch ist hier wie Andr. 103f. die Braut
gemeint, nämlich Helena, wie aÇn in V. 950 zeigt, das sich zweifellos auf
Helena bezieht.
gámoß ou¬ gámoß a¬ll
oi¬zúß: vgl. Andr. 103 ou¬ gámon a¬llá tin
a¢tan, zur Formulierung Hel. 1134 géraß ou¬ géraß a¬ll e¢rin.
949 a¬lástoroß: eines Fluchgeistes; s. zu V. 686.
oi¬zúß: Unheil. Auch hiermit ist Helena gemeint; vgl. auch Aisch. Ag.
1461, wo die von Helena bewirkte Zwietracht als oi¬zúß bezeichnet wird.
950f. aÇn: welche, die. Mit einem Relativpronomen angeschlos-
sener Wunsch. V. 951 ist syntaktisch locker angefügt, denn die nicht na-
mentlich genannte Helena wird jetzt zum Subjekt. Man könnte aç te und
die ergänzen.
pélagoß açlion: das Salzmeer wie V. 937.
Chorlieder enden öfters mit Wünschen: Alk. 47476; Hik. 86, s. auch
Kranz (1933) 122. In diesem Fall jedoch sind die letzten Worte des Chores
eine Verwünschung der verhassten Helena; ähnlich wie Hekabes letzte
Worte in V. 44143.
Die zornige Verwünschung von Paris und Helena am Schluss dieses
Liedes kann man als Einstimmung auf die im nächsten Epeisodion begin-
nende Rachehandlung ansehen, während die Äußerung des Mitleids mit
den Frauen der Feinde am Schluss des 2. Stasimon (65056) dem versöhn-
lichen Ausklang der Polyxene-Handlung entsprach. S. auch zu V. 65056.
Das kurze vierte Epeisodion hat zunächst die Form eines lockeren Ge-
sprächs, das dann in V. 9891018 in eine streng gebaute Stichomythie
übergeht. Es ist eine typische Überlistungsszene. Zu diesem Szenentyp s.
Matthiessen (1964) 4852. Charakteristisch ist dabei die Komplizität des
Publikums mit dem Überlistenden, verbunden mit Schadenfreude auf Kos-
ten des Überlisteten. Der Zuschauer weiß, dass Hekabe über Polymestors
Untat informiert ist und kennt ihren Racheplan, wenn auch nicht die Ein-
zelheiten. Polymestor dagegen weiß weder, was sie weiß, noch kennt er
ihre Pläne. Er weiß auch nicht, dass sie seine Schwäche kennt, nämlich
seine Gier nach Gold. So hat sie leichtes Spiel. Es gibt viele Gelegenheiten
zu dramatischer Ironie, zu Doppeldeutigkeiten, deren wahrer Sinn dem
Überlisteten verborgen bleibt, aber dem wissenden Publikum deutlich
wird. Der Chor verfolgt schweigend das Geschehen bis hin zu V. 1022.
Polymestor tritt mit seinen zwei kleinen Söhnen aus der Richtung des
Lagers auf. Er wird begleitet von seiner Leibwache, auch von der nach ihm
378 Kommentar
ausgesandten Dienerin, die in V. 966f. erwähnt wird, und trifft auf Hekabe,
die gerade aus dem Zelt hervortritt.
953 Die Anrede an den toten Priamos wurde von Nauck zu Unrecht
gestrichen. Sie hat den Charakter einer (geheuchelten) Beileidsbekundung,
während Hekabe unmittelbar angeredet wird. Dies wird durch das hinzuge-
fügte du betont.
955 Wie schon zu V. 904 angemerkt, nehme ich gegen Collard, aber
mit Mossman (1995) 63f., 67, Gregory und Synodinou an, dass der nach V.
904 wieder verhüllte Leichnam des Polydoros bis V. 1287f. auf der Bühne
bleibt und mitspielt, so hier und in V. 989 und 993. Hier scheint Polyme-
stor den Leichnam für den Polyxenes zu halten. Dafür spricht ei¬sorøn in
V. 954, das auch auf Polyxene bezogen werden kann. Eine Handbewegung
in Richtung auf den Leichnam würde dies verdeutlichen.
95660 Allgemeine Reflexion über den Wechsel des Schicksals und
die Willkür der Götter. Zur Form Johansen (1959) 158; zum Inhalt Segal
(1989) 12; Wildberg (2002) 143f.; Egli (2003) 148. Solche Gedanken wer-
den auch sonst geäußert, so Iph.T. 57075 von dem an seiner Rettung ver-
zweifelnden Orestes oder auch Hel. 71115 von dem alten Diener, der das
Handeln der Götter noch nicht durchschaut. Vgl. auch Herodot 1,32,1 tò
qeîon pân e¬òn fqonerón te kaì taracødeß. Polymestor ist allerdings
nicht die geeignete Person, um derartige Reflexionen anzustellen. Sein
eigenes Schicksal wird zeigen, dass die Götter sich sehr wohl als Wächter
der Gerechtigkeit auf Erden erweisen können, jedenfalls dann, wenn der
Frevel eines Menschen so offenkundig ist wie der seinige. Die Trojane-
rinnen mögen unverdient ins Unglück geraten sein, er selbst jedoch wird
wegen seines Verstoßes gegen Zeus Xenios seine verdiente Strafe erleiden.
956 ou¬k e¢stin ou¬dèn: Häufige Einleitungsfloskel für eine Reflexion;
so Or. 1; El. 367; vgl. auch V. 805.
958 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. Die eigentliche Aussage erfolgt in
der ersten Vershälfte, die zweite verdeutlicht nochmals, was schon am
Anfang des Verses mit fúrousi und danach wieder mit taragmòn
e¬ntiqénteß ausgedrückt wird.
qeoí ist wie in V. 79 einsilbig (in Synizese) zu lesen.
960f. Er bricht seine Reflexion mit einer Bekundung der Resignation
ab. Ein ähnliches Abbrechen in V. 603.
tí deî: vgl. Or. 28; Iph.A. 1035; Hypsipyle F 757,95f. TrGF (V. 926f.):
tí taûta deî sténein, açper deî katà fúsin diekperân;
961 prokóptont ou¬dèn e¬ß prósqen: zum Gedanken und seiner
Formulierung vgl. Alkaios fr. 155 LGS (= 91 D.) ou¬ crñ kákoisi qûmon
e¬pitréphn· prokóyomen gàr ou®den a¬sámenoi.
e¬ß prósqen ist neben prokóptont pleonastisch, kakøn Genetiv der
Beziehung.
9531022 Viertes Epeisodion 379
dass sie ihren Blick verbergen muss, weil er sonst alles verraten würde.
Ähnlich Méridier (1960) 178; Kovacs (1987) 106.
97375 Dadurch, dass Hekabe zwei verschiedene Begründungen für
die Abwendung des Blicks gibt, wird schon angedeutet, dass in Wahrheit
keine zutrifft.
Hartung (1850) 177 schreibt die Verse einem sinnlosen Versemacher
zu. Biehl (1997) 145f. verteidigt sie, wenn auch mit wenig überzeugenden
Argumenten (Häufung von Stilmitteln als Darstellung übertreibenden Re-
dens einer Barbarin). Die Verse scheinen mir echt zu sein; vgl. Mossman
(1995) 132 und Anm. 95, ebenso Synodinou. Es bringt auch keinen Ge-
winn, V. 973 zu halten und 97475 zu verwerfen, wie es Diggle und Gre-
gory vorschlagen.
974 a¢llwß d
kaì: aber im übrigen auch; vgl. Alk. 533; Aristo-
phanes Vögel 1476.
976 kaì qaûmá g ou¬dén: Es ist richtig, dass sich Polymestor mit die-
sen Worten auf V. 96872 bezieht und nicht auf 974f. Es ist jedoch die
Frage, ob dies als Begründung für die Tilgung von V. 97375 oder 974f.
ausreicht.
Der Versanfang wie Soph. Öd. 1319; ähnlich ebendort 1132.
976f. Die gleiche Frage zweifach gewendet und umgangssprachlich
formuliert.
977 tí crñm: wörtlich: welche Sache, hier adverbialer Ausdruck:
warum. crñm steht also pleonastisch; vgl. Hkld. 633; Her. 1179.
e¬pémyw: du ließest holen. pémpesqai = metapémpesqai, wie Soph.
Öd.K. 602.
tòn e¬mòn
póda: Umschreibung von mich; vgl. Hipp. 661; Or.
1217; KG 1,280.
97883 Für das Gelingen des Anschlages ist es wichtig, dass Poly-
mestor und seine Söhne von den Leibwächtern getrennt werden (wie
Aigisthos in Aisch. Cho. 76682). Hekabe erreicht dies Ziel ohne Mühe,
weil er sich von Freunden umgeben und darum sicher fühlt. In Wahrheit ist
sie seine ärgste Feindin, und das Heer wird sich neutral verhalten. Dass
Polymestor so mühelos überlistet werden kann, lässt sich nur als Folge
seiner Verblendung (a¢th) erklären; s. Heath (1987) 68 Anm. 143.
979 o¬páonaß: Begleiter, Leibwächter; vgl. Aisch. Cho. 769
dorufórouß o¬páonaß. Zum dorischen Vokalismus Björk (1950) 109.
Zur Mitteldihärese s. zu V. 15.
981 cwreît: Auf diesen Befehl hin entfernen sich die vor V. 953 zu-
sammen mit Polymestor aufgetretenen Leibwächter.
e¬n a¬sfaleî gàr: auch Iph.T. 762, dort am Versanfang.
982f. fílh mèn ... prosfilèß dé, vgl. Soph. Ant. 898. In beidem irrt
sich Polymestor mit furchtbaren Folgen für sich und seine Söhne.
9531022 Viertes Epeisodion 381
eu® ka¬xíwß (= kaì a¬xíwß)
séqen: gut und deiner würdig. Hekabe
kennzeichnet in verhüllter Form die Antwort Polymestors als eine Lüge,
die eines Lügners und Verräters würdig ist.
légeiß séqen in dieser Reihenfolge ist zwar nur in einer Hs. bezeugt,
verdient aber den Vorzug, weil séqen in der Regel am Versschluss steht;
vgl. V. 955, 966, 973, 1114.
992 mou: Der überlieferte tonlose Genetiv des Personalpronomens der
ersten Person kann schlecht am Ende eines Verses stehen, an dessen An-
fang die Person, die dieses Pronomen bezeichnen soll, bereits ausdrücklich
genannt worden ist. Deswegen der gute Vorschlag von Herwerden: pou
wörtlich irgendwo, hier wohl, vielleicht. Bothe schlug vor: moi
mir (Dat. ethicus), was sich auch gut in den Satz einfügen würde. Mur-
ray dagegen hält die Überlieferung und nimmt ein Abbrechen nach der
ersten Vershälfte und einen syntaktischen Neuansatz in der zweiten an.
Ähnlich Synodinou. Ihnen schließe ich mich an.
Ein Nachklang des Verses ist vielleicht Vergil Aeneis 3,341: ecqua
tamen puero est amissae cura parentis?
993 wß sè krúfioß: heimlich zu dir. Polymestor sagt die Wahrheit,
ohne es zu wissen. Polydoros ist wirklich zu Hekabe gekommen, ohne dass
er selbst es bemerkte, und zwar sowohl als Geist wie auch als Leichnam.
Dies dürfte besonders augenfällig sein, wenn die verhüllte Leiche auf der
Bühne liegt.
994 Endlich kommt das Gespräch auf das einzige Thema, das
Polymestor interessiert, nämlich auf das Gold.
995 Auch hier sagt er die Wahrheit. Er hat sich in der Tat den Schatz
angeeignet und bewacht ihn gut.
996 tøn plhsíon: verkürzt für tøn toû plhsíon (crhmátwn) den
Besitz des Nächsten. Die Ähnlichkeit der Formulierung mit der des Zehn-
ten Gebots (2. Buch Mose 20, 17) ist zwar auffällig, aber ein Zufall. Die
Variante toû plhsíon mag durch die Bibelstelle hervorgerufen worden
sein.
997 Wieder sagt er die Wahrheit, da er sich schon angeeignet hat, was
er haben wollte. Es zeigt sich aber bald, dass er mit seinem jetzigen Besitz
doch nicht zufrieden ist, sondern noch mehr haben will, wenn sich die
Möglichkeit dazu bietet.
9981022 Nachdem Hekabe den Thrakerkönig als Lügner, Räuber
und Mörder entlarvt hat, beginnt sie mit der Überlistung, bei der sie sich
seine hemmungslose Gier nach Gold zunutze macht.
998f. oi®sq ou®n ou¬k oi®da: auch Hipp. 91f.; Hik. 932f. und Collard
zur Stelle.
1000 wß sù nûn e¬moì filñ¸: e¬moì Dativus auctoris.
9531022 Viertes Epeisodion 383
Die Anrede ist euphemistisch, denn er ist ihr der Verhassteste von al-
len. Die sprachliche Form ähnlich El. 1122, 1141 (s. auch Denniston zur
Stelle). Hekabe spannt Polymestor zunächst ein wenig auf die Folter und
macht ihn ungeduldig, wie seine Nachfrage V. 1001 zeigt.
1002 Das Subjekt zu e¢st im Plural, vgl. Ion 1146; Hel. 1358f.; Ba.
1350; sogenanntes schema Pindaricum.
palaiaí: Dass es sich um alte Schätze handeln soll, macht sie nur
noch um so begehrenswerter.
Priamidøn: der Priamiden, hier nicht der Kinder des Priamos,
wie in V. 13, 764, 1132 und 1140, sondern der Familie des Priamos, wie
in V. 583 und 1147.
katåruceß: wörtlich Höhlen, wie Soph. Ant. 774.
1003f. Doppelte Ironie. Polymestor meint, dass Hekabe nicht weiß,
dass ihr Sohn tot ist. Sie aber weiß es und weiß auch, was mit Polymestor
geschehen wird.
Wenn man sich an die Bitte Polyxenes erinnert, Hekabe möge ihr Bot-
schaften ins Jenseits mitgeben (422), könnte man mit Collard meinen, dass
Polymestor in V. 1003 unwissentlich seine düstere Zukunft ankündigt und
dass Hekabe sie mit dià soû g bestätigt. Allerdings ist zu fragen, ob der
Zuschauer eine solche Fernbeziehung auf V. 422 bemerken konnte.
1004 eu¬sebæß a¬när: ein frommer Mann; bittere Ironie. Denn dass
Polymestor a¬nósioß oder gar a¬nosiåtatoß ist, wurde zuvor oft gesagt (V.
715, 790, 792, 852, vgl. auch 1234f.).
1006 Das Umgekehrte wird eintreten: Die Söhne werden sterben, und
Polymestor wird zwar überleben, aber geblendet werden. Diese Ironie
bemerkt freilich nur der Leser, da der Zuschauer nicht weiß, was Hekabe
im einzelnen plant. Er wird zu diesem Zeitpunkt eher mit dem Tod
Polymestors rechnen.
1007 Bewunderung der Klugheit des Überlistenden durch den Über-
listeten; ähnlich Iph.T. 1180.
Zu der von Boissonade eingeführten Interpunktion nach e¢lexaß vgl.
Stellen wie Tro. 1054; Or. 100, 110, 173.
1008 stégai: Hier ist wohl nicht an ein Gewölbe oder an einen unter-
irdischen Ort zu denken (Tierney, Collard), sondern an den Tempel der
Athene. Ein Tempel der Athene als Schutzgöttin der Stadt Troja wird in
der Ilias mehrfach erwähnt (6,88, 269, 297); vgl. auch Tro. 69, 53741.
Der Plural stégai bedeutet Haus, wie Aisch. Ag. 3, 518; Soph. Öd.
637.
¬Iliádoß: Ein Adjektiv ºIlioß zu Ilion gehörig ist sonst nur als unsi-
chere Variante an der korrupten Stelle Hel. 1164 belegt. Deswegen ist es
besser, statt Ilíaß Scaligers Vorschlag ¬Iliádoß ( qk kk ) zu überneh-
384 Kommentar
10351295 Exodos
bareíaß ceiròß: von starker Hand, vgl. Ilias 1,89 bareíaß ceîraß.
1042 boúlesq e¬pespéswmen: wollt ihr, dass wir eindringen, um-
gangssprachlich; vgl. Stevens (1976) 60f.
a¬kmæ kaleî: wörtlich der (richtige) Zeitpunkt ruft; vgl. Soph. Phil.
466 kairòß gàr kaleî.
104446 Hekabe tritt aus dem Zelt, spricht zurückgewandt zu Poly-
mestor, in Wahrheit aber wohl eher zum Chor und den Zuschauern, und
teilt ihnen mit, was sie sehen werden (Futur o¢yh¸): den geblendeten
Polymestor und die Leichen seiner beiden Söhne. Hier wird wohl das
Ekkyklema eingesetzt. Diese herausrollbare Rampe scheint mir nötig zu
sein, weil sich zwar Polymestor auf Händen und Füßen herausbewegen
kann, aber die Leichen der Söhne, die ebenfalls sichtbar werden müssen,
auf ein Transportmittel angewiesen sind. So auch Mossman 65f.; anders
Collard (1991) 37 Anm. 66 und zu V. 11091295.
1044 feídou mhdén: vgl. Soph. Ai. 115; Med. 401; Her. 1400.
1046 Paradox formuliert, da Polymestor nicht mehr sehen kann. Ge-
meint ist: Als Blinder wirst sie nicht sehen, und du wirst sie nicht lebend
sehen, denn ich habe sie getötet.
1047 Die erste Reaktion des Chores ist Ungläubigkeit, wohl verbun-
den mit Entsetzen über die Ungeheuerlichkeit der Tat.
h® gàr: also wirklich? Partikelkombination bei erstaunten Fragen; s.
zu V. 765.
krateîß xénou: bist du Sieger über deinen Gastfreund? Im allgemei-
nen wird das Verbum krateîn in der Bedeutung siegen intransitiv ver-
wendet und in der Bedeutung besiegen transitiv, doch wird es auch El.
194f. in der Bedeutung besiegen mit dem Genetiv konstruiert. So mag
auch hier der Genetiv xénou akzeptabel sein. Hermann stellt mit xénon die
häufigere Konstruktion her. Manche Herausgeber, wie Murray, lesen
xénon, interpungieren vor und nach kaì krateîß und machen die beiden
Wörter zu einem Einschub. Das ist unnötig kompliziert.
Der Chor bezeichnet Polymestor noch einmal als Gastfreund und erin-
nert so daran, dass er für den Bruch der Gastfreundschaft bestraft wurde.
1050 tuflø¸ steíconta papafórw¸ podí: gehend mit blindem, un-
sicherem Fuß; ähnlich Soph. Öd.K. 182 a¬maurø¸ kålw¸.
Die Wiederholung des entscheidenden Wortes tuflóß lässt den Stolz
erkennen, der Hekabe wegen ihrer Tat erfüllt, und macht den Zuschauer
noch einmal auf die Unerhörtheit dieser Form der Bestrafung aufmerksam.
parafórw¸ podí: So kann man den Gang eines Betrunkenen beschrei-
ben; vgl. Lukian Vitarum Auctio 12 sfaleròn badízei kaì paráforon.
1052 sùn taîß a¬rístaiß: mit den sehr tapferen. Als solche haben
sie sich soeben durch ihre Tat erwiesen.
10351295 Exodos 389
Die Monodie wird gegliedert und beschlossen durch zwei kurze Äußerun-
gen des Chores (108587, 1107f.). Eine gute Charakteristik des Liedes
findet sich bei Schadewaldt (1926) 154f.: Interjektionen und hilflose Fra-
gen bezeichnen zwar das in immer neuen Stößen sich entladende Pathos,
auch gibt es hier kein Anheben, Schwellen und Überströmen des Affekts in
klarer Entwicklung: Schmerzensschreie, Flüche, Drohungen und klägliches
Winseln, der leere Wunsch um Heilung der Wunden, um ein neues Ge-
sicht, das Sichfassen und Lauschen geben ein bewegtes inneres Geschehen
wieder, das in seiner Abfolge die ganze Skala der Empfindungen durch-
läuft und, je nachdem der physische Schmerz oder die Rachsucht die
390 Kommentar
sind jemandem, der sich auf allen Vieren bewegt, besonders angemessen.
Man denke aber auch an das blutdürstige Verlangen des Achilleus (Ilias
22,346f.) und der Hekabe (Ilias 24,21214) und an den Kannibalismus
Polyphems und der Laistrygonen (Odyssee 9,29193, 10,116).
qoína (att. qoính): Festmahl; vgl. Ion 1140.
Die von Seidler aus metrischen Gründen vorgenommene Umstellung
scheint mir nicht erforderlich zu sein. Auch die überlieferte Wortfolge ist
in diesem Kontext als Kombination eines Dochmius mit einem
anapästischen Monometer akzeptabel; s. auch zu V. 1067.
1073 låban lúmaß: Die von Bothe und Hadley vorgenommene Paral-
lelstellung låbaß lúmaß t vereinfacht die Satzkonstruktion: Vergeltung
mir verschaffend für meine Misshandlung und Verstümmelung. Aber
auch der überlieferte Text gibt einen guten Sinn: Misshandlung (sc. der
Troerinnen) mir verschaffend zur Vergeltung für meine Verstümmelung.
Schlesier (1988) 126 scheint diesen Text so zu verstehen: Misshandlung
erhaltend zur Vergeltung für meine Untat, doch setzt sie damit bei
Polymestor eine tragische Erkenntnis voraus, von der sonst bei ihm nir-
gends etwas zu spüren ist.
tà a¬ntípoina: Vergeltung, Bestrafung, mit der Angabe des Grun-
des im Genetiv; vgl. Aisch. Pers. 476; Soph. El. 592.
1076f. Bákcaiß ÷Aidou den Bakchantinnen des Hades: ähnlich
Her. 1119 ÷Aidou bákcoß; Phön. 1489 bákca nekúwn.
Die dorische Form des Genetivs ist ÷Aida. Man sollte allerdings solche
häufig, aber nicht regelmäßig in lyrischem Kontext verwendeten Formen
nur aufnehmen, wenn sie wenigstens in einer der besseren Hss. bezeugt
werden. S. auch zu V. 1105.
Die Troerinnen werden metaphorisch Bakchantinnen des Hades ge-
nannt, weil sie ähnlich grausam waren wie etwa die Mänaden der Ba. Sie
stehen aber in einem anderen Dienst, wie sich schon aus dem Zusatz
÷Aidou ersehen lässt. Zur Bedeutung dionysischer Elemente in der Hek. s.
Einführung S. 47f.
sfaktá die geschlachteten: von Hermann (1831) erwogen, an tékn
die Kinder anzuschließen. Das Wort fügt sich so besser in den Zusam-
menhang ein als das überlieferte sfaktàn als geschlachtetes, das dann
mit daît zu verbinden wäre.
diamoirâsai zerfleischen lassen: s. zu V. 716. Schlesier (1988)
125f. schliesst aus diesem Wort, dass Polymestor befüchtet, Hekabe werde
zur Vergeltung des Ritualmordes, den er (jedenfalls nach Schlesiers Mei-
nung) begangen hat, auch an seinen Kindern einen Ritualmord vollziehen.
Nun sind die Kinder aber schon tot. Beim Handgemenge im Zelt wäre es
kaum möglich gesesen, eine rituelle Tötung zu zelebrieren. Polymestor be-
fürchtet vielmehr, dass die Körper zerfleischt werden, entweder durch die
10351295 Exodos 393
Frauen oder (eher) dann, wenn sie ein Fraß der Hunde werden, und sieht
sich außerstande, es zu verhindern. Ob sich diese Befürchtung bewahrhei-
tet, erfährt der Zuschauer nicht. Am Schluss wird für alle Übrigen gesorgt,
von den Kindern ist jedoch nicht mehr die Rede.
daît(a) Mahl, Schmaus: auch von Tieren; vgl. Ion 505f.; Soph.
Phil. 957.
1077f. a¬nämerón t o¬¬reían e¬¬kbolán: wörtlich und einen nicht zah-
men, gebirgigen Auswurf. Gemeint ist, dass die Körper ins Gebirge ge-
worfen werden könnten.
e¬kbállein hinauswerfen: hier als Gegenbegriff zu bestatten, dazu
vgl. V. 698, 781. Ion 964 vom Aussetzen eines Kindes gesagt.
1079 Fragen als Ausdruck der Ratlosigkeit, ähnlich wie V. 105660,
aber auch schon V. 16264 (Hekabe).
p⸠kámyw (sc. gónu): wo soll ich mein Knie beugen, d. h. wo soll
ich mich niederlassen? Vgl. Soph. Öd.K. 85.
p⸠bø: wohin soll ich gehen? steht in einer Hs. hinter p⸠stø.
Nauck strich die Worte, wohl auch aus metrischen Gründen. Mir scheint
allerdings ein katalektischer anapästischer Dimeter in einem Kontext mit
weiteren Anapästen nicht zu stören. Die gleiche metrische Form findet sich
in V. 1056. Inhaltlich würde das Folgende zwar besser an p⸠kámyw an-
schließen, es ist aber zu fragen, wie weit man von dem verwirrten
Polymestor geordnete Gedanken erwarten darf. Wer will, kann die Abfolge
verbessern, indem er mit der Hs. R und Porson umstellt.
1080 peísmata: Hier ist nicht die Takelage des Segels gemeint, son-
dern die Haltetaue, die das Schiff am Anker oder am Land festhalten; vgl.
Odyssee 9,136; 13,77.
linókrokon fároß: das Leinensegel; das Adjektiv nur hier belegt,
nicht mit krókoß Krokus zu verbinden, sondern mit krókh Einschlag-
faden beim Weben.
1081 fâroß stéllwn: das Segel einziehend. fâroß ist ein Stoff für
einen Mantel oder ein Segel (vgl. Odyssee 5,258f.), hier in metonymischer
Verwendung für Segel.
1081f. e¬pì tánde suqeìß
o¬léqrion koítan: Schol. M kommen-
tiert ormhqeìß e¢nqa keîtaí moi tà paidía teqnhkóta ei¬ß tæn qanásimon
qäkhn.
1082 Hartungs Änderung mou würde zwei Dochmien herstellen.
Doch scheint mir auch die überlieferte Gestalt (iambische Tripodie +
Dochmius) unproblematisch zu sein.
108587 Kurze Chorreplik, durch welche die Monodie Polymestors
in einen bewegten, mehr agressiven und in einen ruhigeren, eher resignati-
ven Teil gegliedert wird. Auch der Inhalt ist bedeutsam. Der Chor, der
bisher kein Wort zu Polymestor gesprochen hat (mit Ausnahme des ihm
394 Kommentar
11091292 Gerichtsszene
Am Anfang der bewegten letzten Szene sorgt Agamemnon dafür, dass die
beiden Todfeinde ruhig ihre Standpunkte darlegen, damit er ein Urteil
fällen kann (V. 110931). So kommt es zu einer förmlichen Gerichtsszene.
10351295 Exodos 397
1114f. séqen fwnñß a¬koúsaß: da ich deine Stimme hörte. In der
Regel steht die wahrgenommene Person oder Sache im Genetiv, der Inhalt
der Wahrnehmung im Akkusativ; deswegen der von Blaydes vorge-
schlagene Akkusativ fwnæn. Doch kann bei Tönen und Stimmen, die von
Personen ausgehen, sowohl der eine als auch der andere Kasus stehen; s.
KG 1,358.
páscomen: nämlich Polymestor und seine Söhne.
1115a e¢a: Ausruf des Erstaunens; Dodds zu Ba. 644: perhaps
representing the sound of a sharp intake of breath. e¢a steht hier extra
metrum wie vor Med. 1005, Iph.A. 317; dagegen ist es Teil des Verses in
V. 501, 733.
1117 aimáxaß kóraß: vgl. Phön. 62.
1118 paîdáß te toúsd: Nach V. 1051 wird das Publikum jetzt aber-
mals auf die Leichname der Kinder aufmerksam gemacht.
1119 oçstiß h®n: wer es auch immer war; ironisch, denn er weiß oder
ahnt zumindest, wer es war.
a¢ra: also, demnach, wohl mit ei®cen zu verbinden.
1121 Hyperbolischer Ausdruck; ähnlich V. 667 ka¢ti mâllon h£ légw;
Alk. 1082.
1122f. Agamemnon wendet sich, nach einer kurzen Reaktion auf
Polymestors Antwort, Hekabe zu mit Worten, bei denen sich (wie wohl
auch beim Publikum) Bewunderung und Entsetzen mischen.
sù sù: Die Anapher verstärkt den Ausdruck dieser Affekte.
112426 Polymestor, der überrascht ist, dass sich Hekabe in seiner
Nähe befindet, möchte seine kannibalischen Wünsche verwirklichen, die er
schon in V. 107074 geäußert hat.
1124 Zum Versanfang s. zu V. 511.
h® gàr: s. zu V. 765.
1125 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15.
1127 ou©toß: Du da. So pflegt ein Höherstehender eine Person nied-
rigen Ranges anzureden; ähnlich auch V. 1280.
tí pásceiß: Umgangssprachliche Wendung; vgl. Stevens (1976) 37,
41; ferner Hipp. 340; Her. 965; Ion 437. Der erste Halbvers auch Aristo-
phanes Wespen 1.
Neben V. 1283f. ist dies der einzige Fall in diesem Stück, wo Eur.
Antilabai verwendet, also einen Vers auf zwei Sprecher verteilt. Ähnlich
Hik. 513.
1128 margøsan céra: vgl. Her. 1005 margøntoß, 1082 márgon.
112931 Agamemnon fordert Polymestor, der vor Zorn und Rach-
sucht außer sich ist, zur Mäßigung auf und befiehlt ihm und Hekabe, nach-
einander in ruhiger Rede ihre Standpunkte darzulegen, damit er eine ge-
rechte Entscheidung treffen kann. So kommt es zu einer Gerichtsszene wie
10351295 Exodos 399
Tro. 9031041. Allerdings hat hier, wie der Zuschauer weiß, Agamemnon
schon vorher zu erkennen gegeben, wo er steht (850904).
Ähnliche Einleitungen von Redeagonen Tro. 90610; Phön. 46568.
1129 Kritik der (zumindest in der eigenen Vorstellung) vernünftigen
Griechen an der Irrationalität der Nichtgriechen findet sich bei Eur. immer
wieder; so V. 32831; Med. 53638. Dem stehen allerdings die Worte der
Troerin Andromache gegenüber, die angesichts der griechischen Grausam-
keiten ausruft: w® bárbar e¬xeurónteß çEllhneß kaká (Tro. 764). Siehe
auch Iph.T. 1174 (Thoas über den Muttermord des Orestes) ºApollon,
ou¬d e¬n barbároiß e¢tlh tiß a¢n. Zum Thema GriechenBarbaren auch V.
11991201, 1247f. und Einführung S. 37-40.
1130 e¬n mérei: der Reihe nach; vgl. Aisch. Eum. 436; Hkld. 182;
Kykl. 253.
1131 a¢nq oçtou: wofür; warum; vgl. V. 1136; Soph. Öd. 1021;
El. 585; KG 1,454.
11321251 Gerichtsszene
Diese Szene hat die Form eines a¬gån, eines Redestreits zwischen Poly-
mestor und Hekabe. Dies ist nach dem zwischen Hekabe und Odysseus (V.
251333) der zweite große Agon des Stückes. Hierzu gut Lloyd (1992) 95
99. Der Agon wird eröffnet durch die Rede Polymestors (113282). Es
folgt die Gegenrede Hekabes (11871237). Die Szene wird beendet durch
den Urteilsspruch Agamemnons (124051).
Diese Rede ist einerseits eine Verteidigungsrede für die Ermordung des
Polydoros, andererseits aber auch eine Anklagerede gegen Hekabe. Er
wünscht, wie zuvor in V. 1125f. und 1127f. ausgesprochen, von Aga-
memnon freie Hand und Unterstützung für den Vollzug einer furchtbaren
Rache an Hekabe. Darum versucht er zunächst, die Tötung des Polydoros
als kluge Vorsichtsmaßnahme gegen die Gefahr eines abermaligen Einfalls
der Griechen in die Troas und nach Thrakien darzustellen (113244). Dann
berichtet er aus der Perspektive des Betroffenen ausführlich über die Ra-
chetaten Hekabes und der Frauen (114575). Er deutet seine eigene Mord-
tat sogar zu einem Akt der Freundschaft gegenüber Agamemnon um
(117577) und schließt mit einer allgemeinen Reflexion über die Schlech-
tigkeit der Frauen (117782). Die Rede hat in ihrem Mittelteil zugleich die
Funktion eines Botenberichts über das hinterszenische Geschehen.
400 Kommentar
Polymestor wird damit gleichsam zum Boten der an ihm selbst vollzoge-
nen grässlichen Tat. Man könnte fast meinen, dass Eur. ihn nur hat blenden
und nicht auch töten lassen, damit er ihm noch für diesen Bericht und auch
für das Schlussgespräch und die dort erfolgenden furchtbaren Prophezei-
ungen zur Verfügung steht. Der eindrucksvolle Auftritt des Geblendeten
am Schluss des Ödipus des Soph. könnte ihn zu dieser Gestaltung des
Schlusses angeregt haben.
1132 légoim a¢n: wörtlich Potentialis: Ich möchte sprechen. Einlei-
tungsformel von Reden, besonders in Redeagonen: Hik. 465; El. 300,
1060; Iph.T. 939; Or. 640.
1133 Der erste Halbvers wie in V. 3.
Zur Mitteldihärese s. zu V. 15 und 523, sowie Stephan (1981) 111.
1135 uçpoptoß: hier in aktivischer Bedeutung voller Furcht vor; vgl.
Phön. 1210.
113644 Polymestor beginnt seine Verteidigungsrede mit einem offe-
nen Eingeständnis seines Verbrechens und erklärt es geschickt zu einer
Wohltat, die er Agamemnon erwiesen habe, und zu einem Akt politischer
Klugheit. Eine solche Argumentation könnte auf fruchtbaren Boden fallen,
wenn Agamemnon nicht über seine wahren Motive informiert worden
wäre und nicht von vornherein auf Hekabes Seite stände. Ihm (2004) lässt
sich durch seine Argumente zu sehr beeindrucken.
1137 sofñ¸ promhqía¸: aus weisem Vorbedacht; vgl. Phön. 1466.
Das Wort promhqía erschien auch schon in V. 795 im Munde Hekabes.
Diese Wiederholung wird vom Zuschauer wohl kaum bemerkt worden
sein. Anders Biehl (1997) 135.
113844 Wechsel von Konjunktiv und Optativ im Befürchtungssatz:
Die erste Handlung wird als eine zunächst erwartete, die zweite als eine
aus der vorangehenden erst gefolgerte bezeichnet (KG 2,393).
1139 Troían a¬qroísh: wörtlich Troja sammelte. Gemeint ist die
Wiederzusammenführung der zerprengten Überlebenden am Ort der unter-
gegangenen Stadt.
xunoikísh¸ pálin: wörtlich wieder zusammensiedelte.
Tro. 70105 äußert Hekabe die Hoffnung auf eine Neugründung Trojas
durch Astyanax, und die Griechen fürchten sie (115966). Seneca Troades
52455 nimmt das Motiv auf.
1141 a¢reian stólon: einen Heereszug anheben liessen, in Bewe-
gung setzten; vgl. Aisch. Pers. 795. Mit der Variante dóru würde die
Passage bedeuten die Waffen erhöben.
1142 tríbein: ursprünglich reiben, aufreiben, hier in der unge-
wöhnlichen Bedeutung verwüsten; schol. MBV: diafqeíroien.
1143 lehlatoûnteß: Beute wegtreibend, plündernd; vgl. Soph.
Ai. 343. Wegtreiben des Viehs und Verwüsten der Felder waren auch im
10351295 Exodos 401
kakón; Menander Hypobolimaios fr. 378 PCG polløn katà gñn kaì
katà qálattan qhríwn | o¢ntwn mégistón e¬sti qärion gunä).
1177 Die Anrede Agamemnons habe ich zum Vorhergehenden gezo-
gen, weil er dort schon mit sæn und sòn angesprochen worden ist. Sie
könnte aber auch zum Folgenden gezogen werden.
1179 Dieser Vers mit der Erweiterung der Aussage auf Gegenwart
und Zukunft ist ein wichtiger Teil des großspurigen Ansatzes und scheint
mir darum, anders als Kovacs (1996) 69 meint, unentbehrlich zu sein.
1180 suntemn: zusammenfassend; vgl. Tro. 441; Iph.A. 1249 eÇn
suntemoûsa pánta; ähnlich Protesilaos F 657, 1 TrGF (suntiqeíß); dazu
s. zu V. 1185f.
1182f. Burnett (1998) 172 und Anm. 109 vermutet eine Anspielung
auf Aisch. Cho. 585601. Dort war allerdings von beiden Geschlechtern
die Rede, wenn auch die Frauen besonders hervorgehoben wurden.
ai¬eì: sonst immer, hier jemals.
118386 Chorreplik
Der Chor antwortet sachlich auf die Invektive Polymestors, indem er zwi-
schen guten und schlechten Frauen differenziert.
1185f. Eine Heilung der korrupten Verse ist noch nicht gelungen.
Man vermisst eine klare Gegenüberstellung von guten und schlechten oder
hassens- und lobenswerten Frauen. e¬pífqonoß heißt neidisch (Andr.
181) oder verhaßt (Med. 303), aber auch beneidenswert (Hipp. 497),
ist also nicht eindeutig negativ. Dagegen wird die in V. 1186 genannte
Gruppe anscheinend negativ bewertet, was verwundert, weil sich die Cho-
reutinnen selber zu ihr rechnen. Außerdem ständen dann beiderseits Frau-
en, die kritisiert werden. Darum hat man versucht, zu einer klaren Gegen-
überstellung zu gelangen, indem man etwa mit Lenting e¬pífqonoi ersetzte
durch e¬píyogoi tadelnswert, das freilich nur in Prosa diese Bedeutung
hat, in der Tragödie dagegen sonst nur in der Bedeutung tadelnd belegt
ist (Aisch. Ag. 611). Umgekehrt hat man die in V. 1185 genannte Gruppe
mit Blaydes eu¬geneîß edel genannt. Man hat auch die zweite Gruppe auf
die gute Seite zu bringen versucht, indem man wie Hermann a¬ntáriqmoi
gleich viele wie las oder wie Reiske tøn kakøn der Schlechten durch
tøn kaløn der Schönen oder Guten ersetzte. Gegen letzteres spricht
allerdings, dass es hier um sittliche Qualität und nicht um Schönheit geht
und das Wort kalóß in dieser Hinsicht nicht eindeutig ist. Es müsste also
eine metrisch passende Wendung mit eindeutig positiver Bedeutung ge-
funden werden. ou¬ kakøn der nicht Schlechten (Hadley) oder eu¬genøn
der Edlen scheinen mir am ehesten in Frage zu kommen. Man hat auch
406 Kommentar
versucht, die zweite Gruppe dadurch zu Guten zu machen, dass man an-
nahm, es handele sich um Frauen, die nicht schlecht seien, sondern zu
Unrecht zu den Schlechten gerechnet würden; so auch schol. M
(katatattómeqa mæ ou®sai faûlai ei¬ß a¢riqmon tøn faúlwn) und Biehl
(1997) 160f. Dann käme aber der wichtigste Gedanke, nämlich dass diese
Frauen gut sind, nicht klar genug zum Ausdruck. So ist es zu verstehen,
dass viele Herausgeber resignieren und die Verse ganz streichen. V. 1183f.
verlangen jedoch eigentlich nach einer Erläuterung wie in Protesilaos fr.
657 TrGF: oçstiß dè pásaß suntiqeìß yégei lógw¸ | gunaîkaß exñß,
skaióß e¬sti kou¬ sofóß· | polløn gàr ou¬søn tæn mèn euräseiß kakän, |
tæn d wçsper auçth lñm e¢cousan eu¬genéß.
Zur Konstruktion von pefukénai mit ei¬ß, freilich in etwas anderer Be-
deutung, vgl. Aischines 3,132 ei¬ß paradoxologían toîß meq hmâß
e¢fumen. Eine ähnliche Formulierung auch in Melanippe Desmotis F
492,4f. TrGF kei¬ß a¬ndrøn mèn ou¬ teloûsin a¢riqmon.
dass der Halbvers zu übersetzen ist Der Rauch zeigte die Stadt an als eine,
die
.
polemíoiß uçpo: Das überlieferte polemíwn uçpo durch die Feinde
schlösse besser an V. 1214 an als an den ersten Halbvers. Die Konjektur
von Schenkl polemíoiß uçpo unter der Herrschaft der Feinde (vgl. Hkld.
231; Or. 889) schafft dagegen einen besseren Anschluss innerhalb des
Verses.
Zur Konstruktion (e¬sämhne sc. o¢n) vgl. V. 423 und KG 2,66f.
1217 w¬ß faính¸ kakóß: wie du als ein Schlechter erscheinst. In den
meisten Hss. und vielen Ausgaben steht wß fanñ¸ß kakóß damit du als ein
Schlechter erscheinst. Biehl (1997) 163f. möchte die futurische Form
fanñ¸ halten und vermutet auf Grund der dreifachen Wiederholung V. 348
kakæ fanoûmai 1217 fanñ¸ kakóß 1233 kakòß fanñ¸, dass hier Eur.
eine Fernbeziehung zwischen diesen drei Stellen herstelle, die der Zu-
schauer bemerken solle. Dass der Zuschauer die Ähnlichkeit zwischen den
Formulierungen in V. 1217 und 1233 bemerken kann, halte ich noch für
möglich, wenn auch für nicht wahrscheinlich, ich meine aber, dass er durch
die Handlung zu sehr gefesselt ist, als dass er in den beiden eben genannten
Passagen über hunderte von Versen hinweg Anklänge an kakæ fanoûmai
in V. 348 bemerken könnte. Außerdem ist an den drei Stellen der Kontext
unterschiedlich. Polyxene und Agamemnon wollen oder sollen nicht durch
ihr künftiges Verhalten als schlecht erscheinen, Polymestor dagegen hat
sich durch sein Verhalten als schlecht erwiesen.
1219 toûd: als Eigentum dieses Mannes hier, nämlich des
Polydoros. Seine Erwähnung könnte mit einer Handbewegung in Richtung
auf den Leichnam des Polydoros begleitet werden.
Schol. MAV weist zu Recht darauf hin, dass Polymestor in seiner Rede
vor Agamemnon das Gold nicht erwähnt hat, dass Eur. hier also eine Un-
geschicklichkeit (a¬kataskeúasta) begangen hat. Das ist richtig, doch
dürfte der Fehler den Zuschauern nicht aufgefallen sein, da von diesem
Gold seit V. 10 immer wieder die Rede gewesen ist, auch Agamemnon von
diesem Gold Kenntnis hat (775f.) und Polymestor gegenüber Hekabe in V.
99497 bestätigt hat, dass es Polydoros gehörte. Zur Stelle auch Meridor
(197980) 9f., die allerdings irrtümlich annimmt, dass mit toûd Agamem-
non gemeint ist.
1220 penoménoiß: armen. Zwar sind die Griechen jetzt nach der
Einnahme und Plünderung Trojas reich an Beute geworden, aber Hekabe
bezieht sich auf die lange Zeit der Belagerung der Stadt, während derer die
Griechen in der Tat arm daran waren; s. etwa die drastische Schilderung
Aisch. Ag. 55566.
1221 a¬pexenwménoiß: entfremdeten; vgl. Soph. El. 777.
10351295 Exodos 411
1238f. Chorreplik
Aus der Weise, wie der große Feldherr sich äußert, könnte man schließen,
dass er sich etwas ungehalten dazu herablässt, in einer Sache zu entschei-
den, die ihn eigentlich nichts angeht, auf die er sich aber nun einmal einge-
lassen hat. So erscheint sein Urteilsspruch als unparteiisch und darum un-
anfechtbar. Die Zuschauer wissen allerdings, dass er schon zuvor Stellung
bezogen hat und dass darum eine Entscheidung in Hekabes Sinne zu er-
warten ist. Agamemnon verwirft denn auch die Argumente Polymestors,
nicht ohne ihn von der hohen Warte der griechischen Zivilisation wegen
10351295 Exodos 413
seines Barbarentums zu tadeln, und schließt sich voll und ganz der Argu-
mentation Hekabes an.
1240 ta¬llótria: dreisilbig (-tria in Synizese) zu sprechen.
124351 Agamemnon richtet seinen Urteilsspruch allein an Poly-
mestor, der ihn in V. 1114f., 1120f. und 1127f. angerufen hat. An Hekabe
wendet er sich erst wieder ganz am Schluss mit V. 1287f.
1243 e¬mæn
cárin: meinetwegen, mir zuliebe; s. zu V. 874.
1245 Ähnliche Formulierung in V. 27.
1246 sautø¸ prósfor: was dir nützlich ist; vgl. Soph. Öd.K.
1774.
1247f. Ennius Hec. fr. 217f. Warmington = 87 Jocelyn gibt diesen
Gedanken folgendermaßen frei wieder: sed numquam scripstis qui paren-
tem et hospitem | necasset quo quis cruciatu perbiteret.
1247 xenoktoneîn: Fremde (oder Gastfreunde) zu töten. Dies gilt
als Brauch barbarischer Völker wie der Taurer oder auch der Ägypter, vgl.
Iph.T. 3441, 53 xenoktónon, 776 xenofónouß; Hel. 155 kteínei
oçntin a£n lábh¸ xénon.
1248 ai¬scrón: schlimm. Das Begriffspaar kalón ai¬scrón be-
zeichnet zunächst den Gegensatz schön hässlich, wertet also ästhetisch.
Es kann aber auch wie hier ethisch im Sinne der Adelsethik oder rechtlich
bewerten, also den Gegensatz gut schlecht oder gerecht ungerecht
bezeichnen.
1249f. pøß ou®n
fúgw yógon: wie soll ich dem Tadel entgehen?
Man kann fragen, welchen Tadel Agamemnon wohl zu fürchten hat. Kaum
den Tadel des Heeres, denn es betrachtet Polydoros als seinen Feind; s. V.
85863. Eher ist an Hekabe zu denken, denn Agamemnon urteilt nach den
Kriterien, die sie ihm in V. 123337 vorgegeben hat. Polymestor hat un-
recht gehandelt (ai¬scrón, tà mæ kalá), und deswegen ist es unmöglich,
ihn nicht zu verurteilen. Manche Interpreten merken kritisch an, dass hier
der Feldherr nicht objektiv urteilt, sondern, vielleicht wegen seiner Bezie-
hung zu Kassandra, nach der Pfeife seiner Sklavin tanzt. Es ist aber fest-
zuhalten, dass er sich Hekabes Rechtsauffassung anschließt, die sie zuvor
überzeugend dargelegt hat. Sein Verhalten ist also nach meiner Meinung
nicht zu kritisieren.
mæ a¬dikeîn: dreisilbig (mæ a¬- in Synizese) zu sprechen.
1250f. e¬tólmaß tlñqi: Eur. spielt hier mit der zweifachen Bedeu-
tung der stammverwandten Wörter tolmáw und tláw, die einerseits wa-
gen und andererseits ertragen bedeuten können. Auch tlämwn hat diese
zweifache Bedeutung. Hierüber s. auch zu V. 775.
Ein ähnlich lapidarer Urteilsspruch auch Cho. 930 (Orestes zu
Klytaimestra): e¢kaneß oÇn ou¬ crñn, kaì tò mæ cren páqe.
414 Kommentar
125292 Schlussgespräch
mä ti ... e¬reîß: du wirst doch nicht etwa sagen ist nur in einem Papy-
rus belegt, während alle Hss. h¢ ti oder etwas (sonst) lesen (so auch
schol. V), was jedoch im Satzzusammenhang keinen so guten Sinn ergibt.
Diggle (1981) 120 verweist für ein mä, das eine Frage einleitet, auf El. 568.
mä ti findet sich in einer Frage, auf die eine verneinende Antwort erwartet
wird, auch Aisch. Pr. 959f.; vgl. KG 2,524.
1273 kunòß ... sñma: Das gefährliche Kap Kynossema (Zeichen
oder Grabmal des Hundes) an der engsten Stelle des Hellesponts wird
heute wie wohl auch schon damals durch Leuchtfeuer markiert. Hierzu
Burnett (1994) 15962.
127476 Die Verse tragen, ähnlich wie V. 756f., einen wichtigen Zug
zur Charakterisierung Hekabes bei. Die Rache war das einzige Ziel, das sie
sich für ihr Leben noch gesetzt hatte. Alles andere ist ihr gleichgültig, frei-
lich mit einer Ausnahme. Denn als sie von dem Kassandra drohenden
Schicksal erfährt, ist sie als Mutter tief betroffen (1276).
1274 Mit ähnlicher Gleichgültigkeit reagiert auch Medea, als sie ihr
Ziel, nämlich die Bestrafung Iasons, erreicht hat: Med. 1358f., 1362,
1397f.
127581 Wir erfahren nicht, ob Polymestor auch die im Folgenden
gegebenen Prophezeiungen von Dionysos erfahren hat. Es muss also offen
bleiben.
1276 a¬péptus(a): ich speie aus. Verwendung des Aorists bei ei-
nem momentanen Gefühlsausbruch, der durch die unmittelbar vorherge-
hende Äußerung des anderen angeregt ist; vgl. KG 1,164. Dem Ausspeien
wird eine Schaden abwendende Wirkung zugeschrieben; vgl. Hipp. 614;
Iph.T. 1161; Hel. 664; Iph.A. 509, 874; Theokrit 6,39 und Gow zur Stelle.
Zugleich versucht Hekabe den von Polymestor angekündigten Schaden auf
ihn selbst zurückzulenken.
soì dídwm e¢cein: vgl. Kykl. 270 au¬tòß e¢c, El. 232 dídwmi
e¢cein,
dort allerdings bei einem Segenswunsch.
1277 oi¬kouròß: Substantiv oder zweiendiges Adjektiv: Hüter des
Hauses oder das Haus hütend; vgl. die Charakterisierung Klytaimestras
Aisch. Ag. 154f. foberà
oi¬konómoß dolía, 60608 e¬n dómoiß euçroi
dwmátwn kúna.
1278 mäpw: Grundbedeutung noch nicht, in der Tragödie neben
dem Optativ öfters in der Bedeutng niemals; vgl. Hkld. 357; Ion 768;
Soph. El. 403.
Ob die Grundbedeutung an dieser Stelle noch mitgehört wird, ist um-
stritten. Wenn ja, wäre etwa zu übersetzen: Möge es noch lange dauern,
bis sie so wütet.
1279 ge: jedenfalls ist nur schwach bezeugt, aber die anderen Vari-
anten sind sprachlich oder kompositionell weniger befriedigend. Denn te
418 Kommentar
und ist nach vorausgehendem kaí fehl am Platz. se dich würde dage-
gen bedeuten, dass Polymestor, der seit V. 1254 mit Hekabe spricht, von
sich aus Agamemnon ins Gespräch zieht. Es scheint mir jedoch wirkungs-
voller zu sein, wenn Agamemnon erst auf V. 1279 reagiert.
toûton: diesen nimmt toûd dieses Mannes von V. 1277 wieder
auf. Polymestor vermeidet es in beiden Fällen, den Namen Agamemnons
zu nennen.
pélekun: Dies ist die Tatwaffe Klytaimestras auch Aisch. Cho. 889;
El. 160, 279, 1160; Tro. 361; Soph. El. 99.
1280 Der Vers ist mit Sicherheit Agamemnon zuzuteilen. Er hat dem
Streit bisher desinteressiert zugehört. Sogar als es um das Schicksal seiner
Geliebten Kassandra ging, schien er noch teilnahmslos zu bleiben. Doch
jetzt, wo er merkt, dass er selbst unmittelbar betroffen ist, fährt er auf und
bedroht Polymestor.
ou©toß sú: du da; umgangssprachliche Anrede; s. zu V. 1127.
1281 fónia loutrá: Nach Aisch. Ag. 1108f. wurde der gerade nach
Argos heimgekehrte Agamemnon von Klytaimestra im Bad erschlagen.
Vgl. auch El. 157; Or. 366f.
s a¬mménei = s a¬naménei.
Polymestor freut sich spürbar darüber, dass er mit seiner Prophezeiung
über seinen, wie er meint, ungerechten Richter triumphieren kann.
128286 Der König, der mit V. 1280 dem Unglückspropheten
Schlimmes angedroht hat, lässt, als dieser noch immer nicht schweigen
will, den Drohungen Taten folgen und gibt dafür knappe, dringende Befeh-
le. Sie sind zugleich Regieanweisungen. Seine Begleiter ergreifen
Polymestor mit V. 1282, verschließen ihm nach V. 1284 den Mund und
schleppen ihn nach V. 1286 in der Richtung zur Küste von der Bühne.
Zur Syntax s. zu V. 579.
1283f. Zum Sprecherwechsel innerhalb des Verses (Antilabai) s. zu
V. 1127.
1283 Scharfe Reaktion auf die von Schadenfreude erfüllte Frage
Polymestors.
ou¬k e¬féxete stóma: Haltet ihm den Mund zu! Anders dagegen
e¢cein stóma den Mund halten wie im Deutschen; vgl. Hipp. 660; Hik.
513.
1284f. Aussetzung auf eine einsame Insel zur Beseitigung eines Stö-
renfriedes auch Odyssee 3,26972 und Soph. Phil. 111. Im Fall des ge-
blendeten Polymestor bedeutet die Aussetzung den sicheren baldigen Tod.
1284 ei¢rhtai gár: Ein letztes Wort des Triumphs vor dem endgülti-
gen Abgang; vgl. ei¢rhtai lógoß Aisch. Eum. 710; Or. 1203.
1285 pou irgendwo oder poi irgendwohin: Beides ist in diesem
Kontext, wo jemand irgendwohin gebracht und irgendwo ausgesetzt wer-
10351295 Exodos 419
den soll, in gleicher Weise möglich. Ich halte mich an die Mehrheit der
Hss. Biehl (1997) 167 verweist auf Soph. Trach. 40f. und Öd.K. 52, wo
jeweils eine Ortsangabe erscheint, wenn wir eine Richtungsangabe erwar-
ten würden.
1287f. Dieser Befehl ermöglicht, dass sowohl das geschieht, was
Polydoros sich gewünscht hat, nämlich in die Hand seiner Mutter zu ge-
langen und von ihr bestattet zu werden (V. 49f.), als auch der Wunsch
Hekabes erfüllt wird, dass sie den Leichnam ihrer Tochter schmücken und
bestatten darf (60418). Die beiden Teilhandlungen finden damit den von
Polydoros und von ihr (89497) zuvor gewünschten Abschluss. Man kann
insofern mit Segal (1996) 162f. von einem die Emotionen des Publikums
befriedigenden kathartischen Ende sprechen. Doch die Voraussagen
Polymestors bleiben unwidersprochen. Jenseits des Abschlusses der den
beiden Kindern gewidmeten Episoden ist die Zukunft düster. Es ist schwer
zu verstehen, wie Schlesier (1988) 135 angesichts dieses Schlusses sagen
kann: Um ihre eigene Mordlust zu befriedigen und die ausgleichende
Rechtsgewalt selbst durchzusetzen, vergeht sich Hekabe gegen das Recht
ihrer noch ruhelosen toten Kinder auf ein unverzügliches Begräbnis.
1288f. Die Frauen des Chores erhalten den Befehl, dorthin zurück-
zugehen, von wo sie gekommen sind (V. 99), nämlich zu den Zelten ihrer
griechischen Herren.
1289f. Der Wind, von dem es hieß, dass ein Gott (qeóß) ihn nicht
wehen lasse (V. 900), beginnt jetzt zu wehen, nachdem Hekabe ihre Rache
vollendet hat und sie für ihre Tat in einem geordneten Verfahren freige-
sprochen worden ist. Der damals ungenannt gebliebene Gott, der den Wind
zurückhielt, machte beides möglich.
pnoàß
orø: Vertauschung des wahrnehmenden Organs, wie Aisch.
Sieb. 103 ktúpon dédorka; Pr. 21f. ou¢te fwnæn ou¢te tou morfæn
brotøn o¢yh¸.
pròß oi®kon
pompímouß nach Hause geleitend; präpositionaler
Ausdruck als Richtungsangabe abhängig von einem Adjektiv (pompímouß)
anstelle eines zu erwartenden Partizips pempoúsaß. Ähnlich Hel. 1073f.
pómpimoi
pnoaì génointo.
1291f. Der Wunsch Agamemnons wird unerfüllt bleiben. Ein großer
Teil der Flotte wird auf der Heimfahrt dem Fahrtwind zum Opfer fallen,
der bald zu einem Sturm anschwellen wird. Agamemnon selbst wird wohl-
behalten heimkehren, aber, wie Polymestor es angekündigt hat (V. 1279),
sofort danach im eigenen Haus von seiner Gattin ermordet werden. Die
Mühen (pónoi) des Krieges sind für ihn vorbei, aber andere und größere
Mühen erwarten ihn zuhause.
420 Kommentar
Die Frauen fügen sich in ihr Schicksal und folgen Agamemnon und
Hekabe dorthin, von wo sie gekommen sind, also in der Richtung zum
Lager. Sofern sich der Leichnam des Polydoros noch auf der Bühne befin-
det (s. zu V. 955), wird er von einigen Frauen des Chores oder von Beglei-
terinnen Hekabes oder auch von Männern aus dem Gefolge Agamemnons
fortgetragen. Es bildet sich dann also ein kleiner Trauerzug, bei dem
Hekabe, Agamemnon und die Frauen des Chores dem Leichnam des
Polydoros folgen. Was mit den Körpern der Söhne Polymestors geschieht,
ist ungewiss. Vielleicht werden sie ebenfalls fortgetragen, vielleicht mit
Hilfe des Ekkyklema wieder in das Zelt zurückgerollt. S. auch zu V. 1044
53.
1293 pròß liménaß skhnáß te: ein klassisches Hysteron proteron.
Der spätere größere Aufbruch in die Fremde drängt sich im Bewusstsein
vor den früheren kleineren Aufbruch zu den Zelten.
1294f. tøn desposúnwn
mócqwn: wörtlich die Mühen der Herr-
schaft. Gemeint sind aber die Mühen der Sklaverei, die ein Sklave durch
die Herrschaft seines Herren zu ertragen hat. Ähnlich Aisch. Pers. 587
desposúnoisin a¬nágkaiß, das Wort despósunoß auch V. 99.
1295 sterrà gàr a¬nágkh: vgl. Aisch. Pr. 1052 a¬nágkhß sterraîß
dínaiß.
Zu stérroß fest, hart s. zu V. 296. Anders als dort ist das Adjektiv
hier zweiendig.
Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen
Allgemeines
Die verschiedenen Typen von Dochmien (d) habe ich mit den Ziffern
gekennzeichnet, die N. C. Conomis verwendet (The Dochmiacs of Greek
Drama, Hermes 92, 1964, 23).
Analysen der anapästischen und lyrischen Passagen finden sich in den
Ausgaben von Daitz (1990) und Synodinou (2005), mit denen ich weit-
gehend übereinstimme. Zu den Chorliedern habe ich auch herangezogen:
A. Mette, Die aiolischen Maße in den Dramen des Euripides, Diss. Ham-
burg (masch.) 1955.
Metrische Gestalt ähnlich wie V. 15476, doch ließe sich genaue Respon-
sion nur durch zahlreiche Eingriffe in den überlieferten Text herstellen.
1. Str.
444 qqqkkqq |¦ pher |¦
Au¢ra, pontiàß au¢ra,
1. Antistr.
455 qqqkkqq |¦
h£ náswn aliärei
445 qkqkkqkq gl
açte pontopórouß komí-
456 qqqkkqkq
kåpa¸ pempoména tálai-
447 qkqkkqkq gl
poî me tàn meléan poreú-
458 qkqkkqkq
e¢nqa prwtógonóß te foî-
448 qqqkkqkq gl
seiß; tø¸ doulósunoß pròß oi-
459 qqqkkqkq
nix dáfna q ieroùß a¬né-
2. Str.
466 qqkkqkq |¦ ^gl |¦
h£ Palládoß e¬n pólei
2. Antistr.
475 qqkkqkq |¦
w¢moi tekéwn e¬møn,
468 qqqkkqkq |¦ gl |¦
naíaß e¬n krokéw¸ péplw¸
477 qkqkkqkq |¦
aÇ kapnø¸ katereípetai
469 qkkqkq ed
zeúxomai a®ra på-
478 qkkqkq
tufoména dorí-
470 qqqkkqkq gl
louß e¬n daidaléaisi poi-
479 qkqkkqkq
kthtoß Argeýwn· e¬g d
428 Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen
Str.
629 kqq | qkq | ba | cr |
e¬moì crñn sumforán,
Antistr.
638 kqq | qkq |
pónoi gàr kaì pónwn
635 kkqkkqkq gl
Elénaß e¬pì léktra, tàn
643 kkqkkqkq
e¬kríqh d e¢riß, aÇn e¬n ¢I-
Epode
647 k kk kq kqkkqkkqqq |¦ ia ^gld |¦
e¬pì dorì kaì fónw¸ kaì e¬møn meláqrwn låba¸·
650 kqkq kqkkqkkqqq | ia ^gld |
sténei dè kaí tiß a¬mfì tòn eu¢roon Eu¬råtan
651 kqk kk kqkqkq kqkq |¦ 3 ia |¦
Lákaina poludákrutoß e¬n dómoiß kóra,
652 kkqkkqkqq qq kqq | hipp sp ba |
polión t e¬pì krâta máthr téknwn qanóntwn
655 kkqkkqkq kqq | gl ba |
tíqetai céra drúptetai pareián,
656 kqk kk k kk kq kqq ||| 2 ia ba |||
díaimon o¢nuca tiqeména sparagmoîß.
430 Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen
8. Amoibaion (684720)
1. Str.
905 kkqkkqkx || gl ||
Sù mén, w® patrìß ¬Iliáß,
1. Antistr.
914 kkqkkqkq ||
mesonúktioß w¬llúman,
_____________
2 Zur Metrik des ersten Strophenpaares C. W. Willink, Eur. Hec. 90522 ..., Mne-
mosyne 57 (2004) 4552.
432 Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen
2. Str.
923 kqk kk k kk kq | 2 ia |
e¬g dè plókamon a¬nadétoiß
2. Antistr.
933 kqk kk k kk kq |
léch dè fília monópeploß
Benutzte Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen ab 1797 433
925 qqkqqq ia sp
cruséwn e¬nóptrwn leús-
935 qqkqqq
semnàn prosízous ou¬k
925a qkqkkqqq | gl |
sous a¬térmonaß ei¬ß au¬gáß,
935a qkqkkqqq |
h¢nus ºArtemin a tlámwn·
927 k kk k kk | k kk kq |¦ 2 ia |¦
a¬nà dè kéladoß e¢mole pólin·
937 k kk k kk | k kk kq |¦
tòn e¬mòn açlion e¬pì pélagoß
930 qkkqkkq | D|
nwn, póte dæ póte tàn
940 qkkqkkq |
sen póda kaí m a¬po gâß
434 Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen
931 qkkqkkq | D|
Iliáda skopiàn
941 qkkqkkq |
wçrisen Iliádoß,
Epode
943 qqkqqqkkqkkq eD
tàn toîn Dioskoúroin Elénan kásinI-
945 qqkqqqkkqkkq | eD|
daîón te boútan Ai¬nóparin katára¸
946 kqkq kqq ia ba
didoûs, e¬peí me gâß e¬k
947 kqq kqkx || ba ia ||
patrå¸aß a¬pålesen
948 qqkqqqkkqkkq eD
e¬xå¸kisén t oi¢kwn gámoß, ou¬ gámoß, a¬ll
949 kqkq kqq |¦ ia ba |¦
a¬lástoróß tiß oi¬zúß.
950 qqk kk k kk k kk kqkq |¦ 3 ia |¦
aÇn mäte pélagoß açlion a¬pagágoi pálin
951 qkkqkkq kqq ||| D ba |||
mäte patrø¸on içkoit e¬ß oi®kon.
1031 k kk k kk kqkq |¦ 2 ia |¦
o¬léqrion o¬léqrion kakón.
1032 yeúsei s odoû tñsd e¬lpìß hç s e¬pägagen 3 ia |
1034 k kkqkq kqqkq | d2 d 1 |
qanásimon pròß Aídan, w® tálaß,
1034 k kkqkq kqqkx ||| d2 d1 |||
a¬polémw¸ dè ceirì leíyeiß bíon.
1055a qkkq ¦| ch ¦|
w¢moi eg¬å,
1056 qqqq | qqq ¦| an | an^ ¦|
p⸠bø, p⸠stø, p⸠kélsw,
1057 k kkqkq | qkkqkq | d2 | d10 |
tetrápodoß básin qhròß o¬restérou
1058 k kk kk kq k kkqqq | d5 d26 |
tiqémenoß e¬pì ceîra kat i¢cnoß; poían
1060 qqqqq | qqqqq | d9 | d9 |
h£ taûtan h£ tánd e¬xalláxw, tàß
1061 qkkqqq | qqqk kk | d18 | d12 |
a¬ndrofónouß máryai crä¸zwn Iliádaß
1062 qkkqkq |¦ d10 |¦
aiç me diålesan;
1063 kqqkq | kqqkq | d1 | d1 |
tálainai kórai tálainai Frugøn,
1064 qkkqq | an |
w® katáratoi,
1065 qqkkq | qqkkq |¦ an | an |¦
poî kaí me fug⸠ptåssousi mucøn;
1066 qkkqkq | qkkqk kk | d10 | d16 |
ei¢qe moi o¬mmátwn aimatóen bléfaron
1067 kkqkkq | k kkqkx || an d2 ||
a¬késai a¬késaio, tuflón, ÷Alie,
1068 qkkqqq |¦ d18 |
féggoß a¬palláxaß.
436 Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen
1068° qq | sp |
a® a®,
1069 qqqq | kkqkkq | an | an |
síga. kruptàn básin ai¬sqánomai
1070 qkkqq | qkkqq | an | an |
tánde gunaikøn. p⸠pód e¬pá¸xaß
1071 qqqq | qqq | an | an^ |
sarkøn o¬stéwn t e¬mplhsqø,
1072 qqqkq | k kkqqq | d9 | d26 |
qoínan a¬gríwn qhrøn tiqémenoß,
1073 qkkqqq | qqqkq | d18 | d9|
a¬rnúmenoß låban lúmaß a¬ntípoin
1074 kqqkx || d1 ||
e¬mâß. w® tálaß;
1075 qqkkq | kkqkkq | an | an |
poî p⸠féromai tékn e¢rhma lipn
1076 qqqq | kkqqq | an | an |
Bákcaiß ÷Aidou diamoirâsai,
1077 qkkqkq kqqkq d10 d1
sfaktá, kusín te foinían daît a¬nä-
1078 kqkqqqkq |¦ 2 ia |¦
merón t o¬reían e¬kbolán;
1079 qqqqq qqq |¦ an an^ |¦
p⸠stø, p⸠kámyw, p⸠bø;
1080 qkq qkq qkq kk kq | 3 cr |
naûß oçpwß pontíoiß peísmasin linókrokon
1081 qqqq | kkqkkq | an | an |
fâroß stéllwn, e¬pì tánde suqeìß
1082 kqkqkq | k kkqqq ||| trip | d26 |||
téknwn e¬møn fúlax o¬léqrion koítan;
1085-87 3 ia |||
1088 qkkqqq | qk kk kq d18 hypod
ai¬aî i¬ Qrä¸khß logcóforon e¢no-
1090 kqqkq qkkqkx || d1 d10 ||
plon eu¢ippon ºArei kátocon génoß.
1091 qq | kqq | qq | kqq |¦ sp | ba | sp | ba|¦
i¬å. Acaioí. i¬å. Atreîdai.
1092 kq | kq | kqqkq | ia | d1 |
boàn boán, a¬utø boán·
1093 qkk k kk | qkq |¦ ia | cr |¦
w£ i¢te mólete pròß qeøn.
1094 klúei tiß h£ ou¬deìß a¬rkései; tí méllete 3 ia ||
Benutzte Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen ab 1797 437
_____________
1 Weitgehend übernommen aus Matthiessen (1974) 132.
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Hilfsmittel
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_____________
3 Das bisher umfangreichste Verzeichnis der Literatur zur Hek. findet sich bei
Synodinou (2005), 2, 86-111.
448 Literaturverzeichnis
Ironie 12, 268, 381, 383 Odysseus 5f., 10f., 15, 17f., 20,
Ismene 31 22, 26, 32, 3438, 40, 5557,
Kalchas 6, 62 65, 67, 253, 270
Kassandra 5, 28, 33, 36, 41, 48, Opfer 20ff, 51, 59, 321
52, 61, 64, 264, 269 drama 20, 51
Kinder 25, 34, 39, 43, 59, 308, ung eines Menschen 18, 46
311, 359 Orchestra 10
, Leichname der 25 Orestes 6
Kisseus 48 Orff, Carl 59
Klage 12, 25, 56, 61, 70, 386 Ovid 52ff., 57, 59f.
Komödie 15 Papyri 58, 73f.
Konvention 22, 67 Paris 43f.
Kostüme 11 urteil 42, 335
Kreusa 28, 30 Parodie 40, 277
Krieg 5, 42, 52, 61 Parodoi 10, 261
, Peloponnesischer 3f., 337 Parodos 8
, trojanischer 4, 6 Partien
Kynossema 8, 57 , halblyrische 8
Kyprien 6 , lyrische 8
Kypris 45 , Sprech- 8
Laothoe 7 Peitho 45
Leid 24, 27f., 31, 34, 51f., 61, 66, Perikles 5
70, 329 Perserkriege 38
Lykos 24 Pferd, hölzernes 43
Märtyrerdrama 51 Phaidra 28
Medea 28, 3032, 39 Phaleron 10
Meeresufer 10f., 53, 62, 339 Polydoros 7, 11, 23, 27f., 33, 46,
Menelaos 4, 44, 56 5254, 59, 63, 68
Menschenopfer 20, 38, 46, 66, , Geist des 10, 23, 26, 67f., 267
272f., 289f., 296 , Leichnam des 12f., 15, 27, 45,
Metrum 13, 61, 79, 270 62
Mitgefühl 29, 51, 66, 265 , Tod des 48
Mitleid 18, 24, 66f., 288, 357 Polymestor 4f., 7, 1013, 15f.,
Mittelalter 59 23f., 2735, 37, 39, 41, 4548,
Mnesarchides 3 52f., 58, 62f., 6668
Mnesarchos 3 , Leichnam des 12
Mörder 26, 28, 33, 45, 53f. , Leid des 25
Mutter, Leid der 14 , Rede des 26
Myrmidonen 6 Handlung 7, 15f., 23, 26, 55, 57,
Natur 22, 31 60f., 62, 69f., 257
Neoptolemos 5f., 40, 57, 260 Polyphem 26
Nostoi 6 Polyxene 57, 1012, 1517, 21
Ödipus 4 23, 2729, 31, 33, 36f., 40, 45
Odyssee 15, 26, 32 47, 53, 58f., 62f., 67, 253, 255
458 Register