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Karlhans Liebl

Wirtschafts- und Organisierte Kriminalität


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Karlhans Liebl

Wirtscbafts- ond
Organisierte Kriminalitat

Centaurus Verlag & Media va


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ISBN 978-3-86226-205-2 ISBN 978-3-86226-901-3 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-86226-901-3
ISSN 2195-0970

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Umschlaggestaltung: Jasmin Morgenthaler, Visuelle Kommunikation


Satz: Vorlage des Autors
Inhalt

Einleitung 7

1. Wirtschaftskriminalität 9

2. Organisierte Kriminalität 27

3. Organisierte Wirtschaftskriminalität 37

4. Staatliche Organisierte Kriminalität 41

5. Wirtschaftskriminalität und die sogenannte


Finanzkrise 42

6. Umfang der Wirtschafts- und Organisierten


Kriminalität 45

7. Probleme durch die Wirtschafts- und Organisierte


Kriminalität 48

Anmerkungen 52

Literaturverzeichnis 55

Über den Autor 58


Einleitung

Die „Bekämpfung“ der Wirtschafts- und Organisierten Krimi-


nalität gewinnt bei den Strafverfolgungsorganen wie auch beim
Gesetzgeber immer mehr an Bedeutung. Eine effektive Eindäm-
mung und Verfolgung dieser Kriminalitätsform hat jedoch zur
Bedingung, dass – und dies wird in den gegenwärtigen „Welt-
wirtschaftskrisen“ wiederum sehr deutlich – die Strafverfolgung
mit der Entwicklung der internationalen Wirtschaftsbeziehun-
gen Schritt hält. Dies bedeutet, dass es zu einer ernsthaften Zu-
sammenarbeit der einzelnen Staaten bei der Verfolgung der
Wirtschaftskriminalität kommen muss, d. h. dass Ermittlungen
sich nicht nur auf nationale Gegebenheiten beschränken und
Ermittlungsersuche an andere Staaten schnell und effektiv bear-
beitet und unterstützt werden.

Im Bereich der „Organisierten Kriminalität“ ist die Zusammen-


arbeit bereits einige Schritte weiter. Eingangs muss bereits fest-
gehalten werden, dass beide Kriminalitätsformen keinem ein-
heitlichen Bereich von Normverletzungen zuzuordnen sind, es
andererseits aber größere „Schnittmengen“ gibt, die es sinnvoll
erscheinen lassen, diese im Zusammenhang zu beleuchten. Ins-
besondere die Tatsache, dass es eine „Organisierte Wirtschafts-
kriminalität“ gibt bzw. die Organisierte Kriminalität immer stär-
ker Wirtschaftsstrukturen zur Durchführung ihrer Taten nutzt,
macht deutlich, dass die gemeinsame Behandlung sinnvoll ist.

Im Folgenden sollen daher zuerst einmal die beiden Kriminali-


tätsformen dargestellt werden, um dann in einer gemeinsamen

7
Betrachtung auf den Umfang und abschließend auf die Auswir-
kungen und das Gefährdungspotential einzugehen. Angemerkt
sei an dieser Stelle, dass die sogenannte Internet-Kriminalität
oftmals gleichfalls Bezüge zur Wirtschafts- und Organisierten
Kriminalität hat. Da hier jedoch besondere Bedingungen noch
zu berücksichtigen sind, muss diese Form von deliktischem
Handeln einer anderen Studie vorbehalten bleiben.

8
1. Wirtschaftskriminalität

Die Delikte aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität finden


sich weder in einem einheitlichen Gesetzbuch noch in einem
eigenen Abschnitt im deutschen Strafgesetzbuch. Es fehlt auch
bisher eine einheitliche Definition von „Wirtschaftskriminali-
tät“. Dies soll an dieser Stelle aber nicht weiter Gegenstand der
Betrachtung sein, da die unterschiedlichen in die Diskussion
eingebrachten Definitionen zumeist nur aus verschiedenen
Blickwinkeln heraus entstanden sind und damit aufzeigen, wel-
cher Gesichtspunkt gerade im Mittelpunkt des Interesses des
jeweiligen Betrachters stand. Die vorliegende Betrachtung stützt
sich auf eine deliktsmäßige Eingrenzung, deren Grundlage der
§ 74 c Gerichtsverfassungsgesetz ist, der festlegt, für welche
Straftaten die Wirtschaftsstrafkammer bei den jeweiligen Land-
gerichten zuständig ist, da bei der Bearbeitung besondere Kennt-
nisse des Wirtschaftslebens vorhanden sein müssen.

Welche Formen der Wirtschaftskriminalität gibt es nun? Es


wird gleich gezeigt werden müssen, dass sich an Möglichkeiten,
wirtschaftskriminelle Handlungen zu begehen, ein weites Feld
auftut. Man kann ganz pauschal feststellen, dass es Wirtschafts-
delikte von A bis Z gibt – vom Anlagebetrug bis zu Vergehen
nach den Zollgesetzen. Einige der wichtigsten Delikte sollen
kurz vorgestellt werden.

9
1.1. Betrug

Der Tatbestand des Betrugs (§ 263 Strafgesetzbuch/StGB) ist


eine Straftat, bei der einer der Schwerpunkte der Tatstrukturen
im Bereich der Wirtschaftskriminalität liegt. Der Grund liegt
darin, dass betrügerische Handlungen in den verschiedensten
Formen und unter Ausnützung sehr unterschiedlicher Tatsituati-
onen durchgeführt werden können. Die allgemeine Begehungs-
form in der Wirtschaftskriminalität zeichnet sich dadurch aus,
dass z. B. Personen oder Firmen die Waren bei einem Unterneh-
men bestellt haben, entweder nicht beliefert oder mit nicht män-
gelfreien Gegenständen beliefert werden. Dabei spielen oft An-
zahlungen oder Zwischenabrechnungen eine Rolle, die dann den
Tätern die erhofften finanziellen Vorteile verschaffen. Bekannte
Fälle in diesem Zusammenhang sind sogenannte Baubetrüge-
reien, bei denen private „Bauherren“ betrügerisch geschädigt
werden, indem Lieferungen nach der Anzahlung nicht erfolgen
oder mängelbehaftete Bauteile geliefert werden. Eine andere,
„einfache“ Form, der Begehungsweise ist der Fall, dass Waren-
lieferungen nicht bezahlt werden, wobei bereits bei der Bestel-
lung durch ein Unternehmen vorhersehbar war, dass die einge-
gangenen Verpflichtungen nicht erfüllt werden können.

Eine weitere Begehungsform des Betrugs ist heute in einem zu-


nehmenden Umfang durch die Ausnutzung des Internets ge-
kennzeichnet, da hier aufgrund der Anonymität Regress- oder
Ermittlungsmöglichkeiten erschwert sind und sich der Ge-
schäftsgebrauch der Vorauszahlung herausgebildet hat. Gerade
der letzte Aspekt führt dann zu finanziellen Verlusten bei vielen

10
Bestellern. Diese Form der Betrugshandlung wird als „Internet-
betrug“ bezeichnet, wobei an dieser Stelle darauf hinzuweisen
ist, dass nur eine beschränkte Anzahl der Fälle des „Internetbe-
truges“ zur Wirtschaftskriminalität zählen, da dafür beim Täter
eine „wirtschaftsunternehmerische Organisation“ vorliegen muss
oder im wesentlichen Umfang vorgetäuscht wird. Dies zeigt an
dieser Stelle auch nochmals die Problematik einer genauen De-
finition der Wirtschaftskriminalität deutlich auf.

Eine weitere zentrale Form des Betrugs im Zusammenhang mit


der Wirtschaftskriminalität stellt der Kapitalanlagebetrug dar,
d. h. betrügerische Handlungen bei der Vermittlung von Anla-
gemöglichkeiten für Geldvermögen. Dies geschieht vor allem
dadurch, dass z. B. eine überaus hohe Verzinsung des Kapitals
zugesichert wird und in Form eines „Schneeballsystems“ funkti-
oniert (wobei Einzahlungen von neuen Kunden für eine – nur
kurzfristig mögliche – „Zinszahlung“ an bereits vorhandene
Kunden verwendet werden). Weiterhin sind Geldanlagen in
nicht werthaltige Unternehmen oder Wertpapiere eine häufig
anzutreffende Vorgehensweise. Dabei ist es unerheblich, ob
hinter den Handelnden ein Unternehmen steht oder nur die
Existenz eines Unternehmens vorgetäuscht wird. Erwähnt wer-
den muss noch, dass es beim Kapitalanlagebetrug auch Fallsitu-
ationen gibt, die nicht direkt zu den Betrugshandlungen gezählt
werden, wie z. B. die Marktmanipulation nach § 20a Wertpa-
pierhandelsgesetz (WpHG) (vgl. die eingefügte Fallbeschrei-
bung).

11
Fallbeispiel „Aktienhöhenflug“

Bei diesem Fall haben die Täter eine Gold-Minen-Ge-


sellschaft in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft
gegründet. Danach wurden über einen einbezogenen
Journalisten gezielt – auch z. B. über „Börsenbriefe“ –
sogenannte „Jubelmeldungen“ lanciert. Darin wurde
zumeist darauf hingewiesen, dass der Gesellschaft ge-
hörende Minen und Schürfrechte in Kolumbien und an-
deren südamerikanischen Ländern erhebliche Gold-
und Kupfervorkommen beinhalten. Aufgrund der da-
nach einsetzenden Nachfrage nach den Aktien erzielten
die Täter durch deren Verkauf einen hohen zweistelli-
gen Millionenbetrag.

Weitere noch zu erwähnende Betrugshandlungen im Bereich


der Wirtschaftskriminalität sind der Subventionsbetrug (§ 264
StGB) und der Ausschreibungsbetrug (§ 298 StGB). Beim Sub-
ventionsbetrug handelt es sich um die Erlangung von staatlichen
Subventionen aufgrund von Falschangaben, ohne dass die Vor-
aussetzungen dazu vorgelegen hätten und der Tatbestand des
Ausschreibungsbetruges stellt wettbewerbsbeschränkende Ab-
sprachen bei Ausschreibungen unter Strafe.1

1.2. Untreue

Die Veruntreuung von Geldbeträgen (§ 266 Strafgesetzbuch)


aufgrund der institutionellen Wahrnehmung der Vermögensbe-
treuung (z. B. durch einen Rechtsanwalt oder eine Bank) oder
aufgrund der beruflichen Tätigkeit, so z. B. als Prokurist, Be-

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vollmächtigter oder Geschäftsführer, ist der zweite Schwer-
punkt der Wirtschaftskriminalität. Auch hier muss wiederum
darauf hingewiesen werden, dass nicht jede Veruntreuung von
Geldsummen zum Bereich der Wirtschaftskriminalität gehört.
Die Abgrenzungskriterien sind dabei nicht immer einheitlich,
wie Untersuchungen gezeigt haben (vgl. Liebl 1984, Band I).

Zumeist tritt der Tatbestand der Untreue auch im Zusammen-


hang mit dem Kapitalanlagebetrug auf, d. h. beide Tatbestände
werden bei der Handlung verwirklicht.

Die Untreue zeichnet sich im Zusammenhang mit der Wirt-


schaftskriminalität dadurch aus, dass durch Manipulationen und
Verschleierungshandlungen Geldbeträge für eigene Zwecke
verwendet werden und somit Dritten ein Vermögensschaden
zugefügt wird. Weiterhin spielt dieser Tatbestand oftmals als
sogenannter „Auffangtatbestand“ eine Rolle, wenn Verhaltens-
weisen in einem Unternehmen, auch insbesondere im Zusam-
menhang mit Insolvenzen oder Marktmanipulationen, nicht
durch spezielle Normierungen unter Strafe gestellt sind.

1.3. Insolvenzkriminalität

In Deutschland stellt die Insolvenzkriminalität einen weiteren


Schwerpunkt im Bereich der Wirtschaftskriminalität dar (§§ 283
ff. Strafgesetzbuch). Wenn ein Unternehmen in eine Existenz-
krise gerät, d. h. die Geldmittel nicht mehr ausreichen um beste-
hende Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen oder die Verbind-
lichkeiten (Schulden) des Unternehmens das Vermögen über-

13
steigen, kommt es oft dazu, dass die Verantwortlichen keinen
Insolvenzantrag stellen2 und weiterhin den Geschäftsbetrieb
aufrecht erhalten und dadurch weitere Personen oder Unter-
nehmen schädigen, da sie z. B. bestellte Waren nicht mehr be-
zahlen können. Weiterhin können durch Vereinbarungen soge-
nannte Schuldner- oder Gläubigerbegünstigen vorkommen, d. h.
dass mit diesen Vereinbarungen zum Schaden der anderen
Gläubiger des Unternehmens getroffen werden. Auch die Nicht-
erstellung von Bilanzen – zu dem jedes Unternehmen verpflich-
tet ist um Auskunft über seinen Vermögensstand zu geben –
gehört in den Bereich der Insolvenzkriminalität. An dieser Stel-
le soll noch darauf hingewiesen werden, dass die sogenannten
„Privatinsolvenzen“ nicht zum Bereich der Wirtschaftskrimina-
lität gehören, da es sich um die Bereinigung von privaten Über-
schuldungen handelt.

Aufgrund der zuletzt durchgeführten Forschungen stellt sich die


Situation bei den Strafverfolgungsbehörden wie folgt dar (vgl.
dazu Liebl 2011):
ƒ Aufgrund des zurückgehenden Personals bei den Staatsan-
waltschaften – aber auch bei den Polizeidienststellen – wer-
den oftmals nur noch Fälle von Insolvenzen von Kapital-
gesellschaften genauer überprüft, wobei dies z. B. nicht nur
auf eine eher anzunehmende Gläubigerschädigung zurück-
zuführen sein dürfte3, sondern auch auf den eher erfolgrei-
chen Abschluss eines Ermittlungsverfahrens aufgrund der
Ausgestaltung des § 84 GmbHG a.F. (Frist für den Insol-
venzantrag).

14
ƒ Es wird bei diesen Fällen in der Regel eher formal über-
prüft, ob eine fristgerechte Insolvenzanmeldung erfolgte (al-
so nur mit Bezug auf den § 84 GmbHG a. F.) als dass die
Konkurstatbestände überprüft werden.
ƒ Eine Verurteilung nach § 84 GmbHG a.F. ist in der Bundes-
republik Deutschland ein Zufallsprodukt des Staatsanwalt-
schaftsbezirks. So wird bei manchen Staatsanwaltschaften
vielfach ein Verfahren eingestellt, da die Insolvenzanmel-
dung nicht länger als 6 Monate nach Eintritt der Zah-
lungsunfähigkeit erfolgte, bei anderen Staatsanwaltschaften
reicht jedoch bereits der Zeitraum von 6 Tagen zu einer
Verurteilung aus (da sehr viele Verfahren im Wege des
Strafbefehls abgeschlossen wurden und die Richter fast im-
mer diese auch wie vorgeschlagen erließen, können die rich-
terlichen Beurteilungen hier unberücksichtigt bleiben).
ƒ Dabei spielt auch eine Rolle, dass bei vielen Staatsanwalt-
schaften „nur“ Berufsanfänger im Bereich der Wirtschafts-
kriminalität eingesetzt werden, sodass diese sich aufgrund
ihrer natürlich geringeren Berufserfahrung lieber auf „harte“
Formaltatbestände (wie den § 84 GmbHG) stützen als auf
bewertungs- und begründungsnotwendige Sachtatbestände
(z. B. § 283 I Nr. 1-3 StGB).
ƒ Aus dem Bereich der Konkurstatbestände zieht man sich zu-
meist wiederum auf die Formaltatbestände zurück, wie z. B.
Nichterstellung von Bilanzen (§ 283 I Nr. 5 und Nr. 6
StGB). Die Prüfung der Überschuldung wird fast nicht mehr
vorgenommen. Fragen z. B. des Gründungsschwindels oder
der „Verschleuderung von Werten“ kommen in der Praxis
nicht (mehr) vor. Fragen nach einer Gläubiger- oder Schuld-

15
nerbegünstigung sind bei den Vernehmungen oder der In-
formationseinholung entweder so vereinfacht gestaltet, dass
die Antworten für ein Verfahren irrelevant sind oder diese
Gesichtspunkte werden überhaupt nicht hinterfragt.
ƒ Oftmals werden die Verfahren auf den Tatbestand des
§ 266a StGB beschränkt, da diese sehr leicht nachzuweisen
sind. Andererseits zeigte sich, dass zwar die Sozialversiche-
rungsbeiträge häufig für ein Unternehmen in einer krisen-
haften Situation als Liquiditätshilfe angesehen wurden, je-
doch wurde auch deutlich, dass die Kontenführung der So-
zialversicherungsträger oftmals mehr als unstimmig, ja
sogar stark fehlerhaft ist. Nur aufgrund des oft fehlenden
Sachverstandes bei den „Beitragshinterziehern“ und ihren
Rechtsbeiständen bleibt diese Tatsache folgenlos. Festzu-
stellen war auch, dass z. B. die Krankenkassen telefonisch
eine Stundung zugesagt hatten, es aber von beiden Seiten
unterblieb, diese auch tatsächlich beweissicher zu regeln,
sodass im Insolvenzfalle dies regelmäßig als Schutzbehaup-
tung angesehen wurde.
ƒ Für den Verfahrensabschluss sind auch die Ausführungen
im Insolvenzverwalterbericht in einem sehr hohen Anteil
ausschlaggebend. Positive Berichte über den Geschäftsfüh-
rer und seine Zusammenarbeit führen fast immer zu einer
Einstellung (Ausnahme bei dieser Aussage immer der Tat-
bestand des § 266a StGB) und negative zu einer anderweiti-
gen Beurteilung.
ƒ Oftmals wird jegliche wirtschaftliche Zukunft auch bei Erst-
insolvenzen verbaut, wenn neben einer Geldstrafe den Ver-
urteilten auch die Kosten für Gutachten auferlegt werden.

16
Diese Gutachten, die neben einer sehr langen Ermittlungs-
dauer oftmals keinerlei weitere Beweise für eine Verurtei-
lung erbrachten, führten dazu, dass häufig Verfahrenskosten
von mehr als 40.000 € entstanden und zur Geldstrafe von
2.000 bis 5.000 € in keinem Verhältnis standen. Weiterhin
stellt sich insgesamt die Frage, ob eine Verurteilung zu einer
Geldstrafe überhaupt sinnvoll ist, wenn die Verantwortli-
chen tatsächlich ihr gesamtes Vermögen verloren haben und
es zu langfristigen Ratenzahlungen kommt oder die Mög-
lichkeit zur Bezahlung im Rahmen von gemeinnützigen Ar-
beitseinsätzen angeboten wird.

Neben den bereits dargestellten Forschungsergebnis-


sen soll an dieser Stelle sich eine daraus ergebende
kriminologische Forderung für die bessere Bekämp-
fung von Insolvenzdelikten speziell aufgezeigt werden.
Zu fordern wäre, dass der Tatbestand des § 84
GmbHG der gegenwärtigen Situation angepasst wird,
weil eine Frist von 6 Wochen nicht für die Rettung ei-
nes Unternehmens ausreicht. Weiterhin sollte der Tat-
bestand so geregelt werden, dass Unternehmer, die
nach dem Eintritt der Krise keine weiteren Gläubiger
in einem wesentlichen Umfang geschädigt haben, sich
bei ihrer ersten Insolvenz nur einem Bußgeldverfahren
stellen müssen, was dann auch die Staatsanwalt-
schaften und Polizeibehörden wesentlich entlasten
würde. Das Bußgeldverfahren würde auch aufgrund
seiner Formalisierungsmöglichkeit eine unterschiedli-
che „Verurteilung“ vermeiden und auch die Voraus-

17
setzungen für einen „fresh start“ schaffen. Dabei sollte
auch überprüft werden, ob nicht Beteiligungstatbe-
stände hinsichtlich einer Falschberatung durch Steu-
erberater und Banken eingeführt werden, da hier
gleichfalls ein sehr hoher Handlungsbedarf besteht.
Die Reformen in Österreich und auch die Verfah-
rensweise in den Niederlanden zeigen hier positive
Wege für eine Konzentrierung auf die tatsächliche In-
solvenzkriminalität auf. Das Einleiten eines Bußgeld-
verfahrens böte die Möglichkeit einer Sanktion, die
dann gegebenenfalls bei einer „Zweitverurteilung“
wegen weiterer Fälle auch berücksichtigt werden
könnte. Diese wenigen Gesichtspunkte, die aufgrund
der Ergebnisse des Forschungsprojektes noch detai-
llierter begründet werden könnten, führen notwendi-
gerweise vor Augen, dass das Insolvenzstrafrecht im
Zeitalter der Globalisierung dringend einer Reform
bedarf.

1.4. Korruption

Auch der Bereich der Korruption gehört nur in einem gewissen


Umfang zu den Wirtschaftsdelikten (wie auch zur Organisierten
Kriminalität)4. Ein großer Teil der bekanntgewordenen Korrup-
tionsdelikte zählt jedoch zur allgemeinen Kriminalität, insbe-
sondere die sogenannte „einfache Beamtenbestechung“ wie z. B.
die Bestechung von Polizisten oder anderer Verwaltungsbe-
diensteter um den Verlust seines Führerscheins zu vermeiden
oder eine Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen. Auch die soge-

18
nannte „Politische Korruption“ gehört nicht zum hier behandel-
ten Deliktsbereich, da in Deutschland dazu noch keine – mit
Ausnahme der Abgeordnetenbestechung – Tatbestände existie-
ren. Zu diesem Gesichtspunkt sei z. B. auf die Diskussion um
den Lobbyismus verwiesen, der oftmals doch sehr unterschied-
lich betrachtet wird. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Ma-
nuskriptes wird z. B. heftig wieder darüber gestritten, warum in
Deutschland der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung nicht
verschärft wird. Dabei führte in der Diskussion der Vorsitzende
des Rechtsausschusses des deutschen Bundestages aus, dass
Abgeordnete an parlamentarischen Abenden von Verbänden
oder Unternehmen teilnehmen müssten, was bei einem Beamten
mit mehreren Einladungen bereits als strafbares „Anfüttern“
gewertet werden würde (vgl. Stuttgarter Zeitung vom
10.8.2012: 4).

Alle Tatbestände zur Bekämpfung von Korruptionshandlungen


finden sich seit einiger Zeit im Strafgesetzbuch. Es sind dies:

ƒ Vorteilsannahme (§ 331 StGB),

ƒ Bestechlichkeit (§ 332 StGB),

ƒ Vorteilsgewährung (§ 333 StGB),

ƒ Bestechung (§ 334 StGB),

ƒ besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und Beste-


chung (§ 335 StGB),

19
ƒ Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr
(§ 299 StGB),

ƒ besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und Beste-


chung im geschäftlichen Verkehr (§ 300 StGB).

Bei der zum Bereich der Wirtschaftskriminalität zählenden Kor-


ruption handelt es sich in der Mehrzahl der bekanntgewordenen
Fälle um die „Bestechung“ von Personen, die aufgrund ihrer
Funktion (sogenannte „Amtsträger-Eigenschaft“) Vermögensin-
teressen der Allgemeinheit wahrnehmen sollen aber dabei in
Beziehungen zu Wirtschaftsunternehmen stehen. Beispielfälle
zur Beleuchtung wären, dass eine/ein Beamtin/Beamter von
einem Unternehmen Zuwendungen erhält, damit diese(r) den
Auftrag zur Ausstattung einer Schule mit neuen Möbeln erteilt
oder Mitarbeiter einer Baubehörde durch die an dem Auftrag
interessierten Baufirmen bestochen werden, damit sie ihnen
ausschreibungsrelevante Hinweise geben oder sie abgegebene
Angebote nachträglich verändern können.

Die Tatmuster werden eingeteilt in:

Ù Situative Korruption
Ù Begrenzte Korruptionsbeziehungen oder
Ù korruptive Netzwerke.

Die situative Korruption bezieht sich auf einmalige Korrupti-


onshandlungen, bei den beiden anderen Korruptionsmustern
handelt es sich zum einen um eine längerfristige Tatbeteiligung

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und zum anderen bei der „Netzwerkkorruption“ um eine Tatbe-
ziehung zwischen mehreren Beteiligten, die z. T. aus verschie-
denen Unternehmen/Behörden über einen längeren Zeitraum zu
Erzielung von Gewinnen auf Kosten der Allgemeinheit zusam-
menarbeiten (ein Beispiel dazu wäre der Gribkowsky-
Ecclestone-Fall, vgl. Der Spiegel 20.6.2012; Manager-Magazin
27.6.2012 oder Süddeutsche Zeitung vom 27.6.2012)5.

Eine „spezielle‘“ Korruption im Bereich des Wirtschaftslebens


benötigt keinen „Amtsträger“, sie findet zwischen zwei Be-
schäftigten von Unternehmen statt. Beispielhaft sei hier der Fall
angeführt, dass ein Unternehmen Schmiermittel benötigt und
ein Anbieter dem Angestellten des Auftrag erteilenden Unter-
nehmens einen Vorteil gewährt, damit dieser bei ihm die Waren
bestellt.

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass die Tatbestän-


de sich nicht nur auf verschiedene Begehungsweisen beziehen,
sondern auch die beiden „Partner“ in dem „Tauschverhältnis“
betrachten müssen, nämlich den bestechenden „Geber“ und den
sich bestechen lassenden „Nehmer“. Des Weiteren ist auch noch
zu berücksichtigen, dass es neben „Angeboten“ auch „Forderun-
gen“ nach solchen „Zugaben“ geben kann. Weiter ist auch noch
zu beachten, dass es nicht nur um die rechtswidrige Vorteilser-
langung geht, sondern auch um eine bevorzugte Behandlung,
z. B. bei der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen (als Bei-
spiel sei dazu der Schwerlastverkehr genannt, wenn Genehmi-
gungen auch noch nach Dienstschluss erteilt werden).

21
1.5. Steuerhinterziehung

Die Steuerhinterziehung6 ist eine Form der Wirtschaftskrimina-


lität, die sehr unspektakulär abläuft aber der Allgemeinheit ei-
nen sehr hohen Schaden aufbürdet. Aufgrund von Buchhal-
tungsmanipulationen verschiedenster Formen oder dem Zu-
sammenspiel zwischen Unternehmen werden Einnahmen nicht
versteuert oder die auf (fast) jeder Ware beim Verkauf erhobene
Mehrwertsteuer nicht abgeführt oder sogar zu Guthaben umge-
rechnet (z. B. auch durch sogenannte „Vorsteuerkarusselle“7). Es
ist einleuchtend, dass gerade in diesem Bereich sehr schnell sehr
hohe Schadenssummen entstehen können, die die Allgemeinheit
direkt schädigen.

1.6. Verstöße gegen das Lebensmittelrecht

Auch wenn dieser Bereich – zusammen mit dem Weingesetz –


nur ausnahmsweise zur Kenntnis der Öffentlichkeit gelangt, so
stellt er doch ein wichtiger Bereich der Wirtschaftskriminalität
dar und hat erhebliche Auswirkungen auch auf die Gesundheit
der Verbraucher. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass
diese Tatbestände speziell als Wirtschaftsstraftaten nach § 74 c
GVG gelten. Bedauerlicherweise sind nicht nur die Fälle
scheinbar wenig Medienwirksam, auch die Kontrollen und die
oftmals verhängten Sanktionen bei festgestellten Delikten sind
eher als marginal zu bezeichnen. Auch wenn z. B. ein Bericht
der Stuttgarter Zeitung für Baden-Württemberg für 2011 aus-
führt, dass dort fast 72.000 Betriebe (31 % der Gesamtbetriebe)
kontrolliert worden seien, wobei in 28 % der kontrollierten Be-

22
triebe 33.000 Verstöße festgestellt wurden (vgl. Thomas Brei-
ning, „Auf der Pirsch im Internet“ vom 28.7.2012 unter: www/
stuttgarter-zeitung.de/inhalt.lebensmittelkontrolle-im-land).8 In
anderen Bundesländern stellte sich diese Kontrolldichte jedoch
nicht so beeindruckend dar, sondern dort wurde bemängelt, dass
Kontrollen nur sehr selektiv und sporadisch stattfinden (vgl.
Schäfer 2012).

Zu der Sanktionierung solcher Delikte ist zu bemerken, dass es


z. B. bei großen Lebensmitteldeliktsfällen, wie z. B. das verbo-
tene Zusetzen von Phosphat bei Fleischprodukten, in sehr vielen
Fällen zur Einstellung des Verfahrens – auch im Wiederho-
lungsfalle – gegen eine Geldbuße gekommen ist. Als einen wei-
teren Beleg seien hier auch Verstöße gegen das Eichgesetz ge-
nannt, d. h. dass selbst abgepackte Waren in Lebensmittelabtei-
lungen von Märken ein Untergewicht aufweisen, was der
Verbraucher – da er zumeist die Ware nicht nachwiegt – nicht
feststellen kann. Er verlässt sich auf die ausgedruckte Ge-
wichtsangabe und wird dabei häufig um wenige Gramm „betro-
gen“. In einer Studie des Max-Planck-Instituts konnte vor Jah-
ren nachgewiesen werden, dass dadurch Zusatzeinnahmen im
6stelligen Bereich erzielt werden können. Die Strafandrohung
nach dem Eichgesetz lag vor nicht allzu langer Zeit noch im
Wiederholungsfalle bei Fertigverpackungen bei 200 DM: Heute
liegt die Strafandrohung bei einem Ordnungsgeld bis zu
10.000 €. Interessant wäre es in diesem Zusammenhang, die
tatsächliche Höhe des Bußgeldes einmal in einer Untersuchung
festzustellen um auch zu sehen, ob diese Strafe wirklich eine
abschreckende Sanktionierung bedeutet.

23
Auch das sich gerade in der Einführung befindliche „Verbrau-
cherinformationsgesetz“, wonach die Überwachungsbehörden
z. B. auch ohne die Anfrage eines Verbrauchers die Namen von
Unternehmen veröffentlichen können, die gegen das „Täu-
schungsverbot“ (z. B. Herkunftsangaben, Zusammensetzung,
Inhalt und Haltbarkeit der betreffenden Lebensmittel oder An-
gaben über Wirkungen oder Eigenschaften eines Lebensmittels,
die dieses nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft gar nicht
besitzt oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert
sind) verstoßen haben, wird zwar als großer Fortschritt verstan-
den, er wird jedoch immer von der Zahl der Kontrollen abhän-
gig sein (vgl. z. B. Stuttgarter Zeitung 13.8.2012: 16).

1.7. Produktpiraterie und andere Rechtsschutzverletzungen9

Dieser Bereich der Wirtschaftsvergehen, dessen Umfang nur ge-


schätzt werden kann, ist derjenige mit dem theoretisch fast jede
Person in Berührung kommen kann.10 Dazu gehören beispiels-
weise die – zumeist mit viel billigeren Ausgangsmaterialien
illegal hergestellten – „Nobel- oder Markenartikel“, wie z. B.
Uhren, Handtaschen, Schuhe oder Bekleidungsstücke. Diese
werden z. B. als eine bestimmte Marken-Jeans angeboten, aber
von anderen Unternehmen (zumeist in Billiglohnländern) her-
gestellt und nur das sogenannte „Markenlabel“ täuschend echt
aufgebracht. Vertrieben werden diese Waren oftmals in Ur-
laubsgebieten direkt am Strand oder in Fußgängerzonen und die
Käufer laufen Gefahr, doppelt geschädigt zu werden: Sie kaufen
einen gefälschten Gegenstand und wenn diese Handlung be-
kannt wird, werden sie dafür auch noch bestraft.

24
Auch ein immer mehr wachsender Bereich stellen solche ge-
fälschten Warenangebote im Internet dar. Weiterhin gehört in
diese Rubrik auch der Bereich der Urheberrechtsverletzung
durch das ungenehmigte Kopieren von z. B. Musikaufnahmen.
Ein Bereich, in dem gleichfalls immer mehr private Personen
mit der Wirtschaftskriminalität in Berührung kommen – oftmals
sicherlich auch aus Unkenntnis der gesetzlichen Vorschriften.
Andererseits werden solche Urheberrechtsverletzungen auch in
der Wirtschaft – hier auch „Wirtschaftsspionage“ genannt – in
einem geschätzten sehr hohen Umfang begangen, wobei sogar
staatliche Unterstützung zur Ausspionierung der Daten ange-
nommen wird. Insbesondere im Bereich der Herstellung von
Maschinen, Waffen oder der chemischen Industrie ist ein sol-
ches Vorgehen sehr häufig.

1.8. Weitere Formen der Wirtschaftskriminalität

Weitere Erscheinungsformen der Wirtschaftskriminalität könn-


ten eigentlich noch seitenlang – wie bereits gesagt – fortgeführt
werden, von A wie Abfallbeseitigung bis Z wie Zollrecht. Eine
Auflistung aller strafrechtlichen Normen der Wirtschaftskrimi-
nalität umfasste bereits im Jahr 1985 mehrere hundert Einzel-
vorschriften, die sicherlich noch zugenommen haben (vgl. Liebl
1985: 35). Dies macht auch deutlich, welche Ermittlungs-
schwierigkeiten bei den Strafverfolgungsorganen gelöst und
Ausbildungskenntnisse vorhanden sein müssen. So sollen an
dieser Stelle noch Delikte im Zusammenhang mit der Sozialver-
sicherung von Arbeitnehmern und der damit einhergehenden
illegalen Beschäftigung, der unlauteren Werbung, der illegalen

25
gewerblichen Abfallbeseitigung oder dem Immissionsschutzge-
setz genannt werden. Gleichfalls nicht zu vernachlässigen sind
Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (also die nicht
genehmigte Lieferung von Waffen an andere Staaten), das Kre-
ditwesengesetz aber auch z. B. gegen die Gewerbeordnung. Alle
diese Deliktsformen und Begehungsmuster zeigen, dass der Be-
reich der „Wirtschaft“ (also herstellendes und/oder verarbeiten-
des Gewerbe) eine eigene „Lebenswelt“ darstellt, die genauso
differenziert und detailliert ist, wie das „private Leben“ in der
Gemeinschaft. Eine beispielhafte Aufstellung der Deliktsbreite
im Bereich der Wirtschaftskriminalität kann einer Auswertung
der „Bundesweiten Erfassung von Wirtschaftsstraftaten“ ent-
nommen werden, auf die noch später eingegangen wird (vgl.
Liebl 1982; speziell Liebl 1988).

26
2. Organisierte Kriminalität

Bevor man den Bereich der Organisierten Kriminalität (zukünf-


tig OK bezeichnet) detailliert darstellt, muss hier speziell auf
die Definition dieser Kriminalitätsform eingegangen werden, da
es darüber in Deutschland eine längere Diskussion gab.

2.1. Definition der Organisierten Kriminalität

Eine zentrale Frage bei der Definitionsdiskussion der kriminolo-


gischen Experten war, ob es eine OK überhaupt gibt. Demge-
genüber war es aber auch eine Tatsache und gehörte fast zur
täglichen Erfahrung eines Zeitung lesenden Menschen, dass er
auf Informationen wie z. B. „Rauschgift-Connection“ oder
„Kinderhändler-Ring aufgedeckt“ gestoßen ist.11 Insoweit hatte
man also Hinweise auf Kriminalitätshandlungen, an denen un-
terschiedlich „organisierte“ Personen beteiligt waren. Erinnert
sei auch an den fast vergessenen Begriff „Berufsverbrecher“.
Daneben darf nicht vergessen werden, dass zahlreiche Berichte
aus anderen Ländern über eine dort agierende „Mafia“ vorlagen
und Filme über die italienische Mafia oder Al Capone und die
„Five-Points-Bande“ in Chicago in der Filmgeschichte nicht
wegzudenken waren.

Trotz dieser bereits vorliegenden häufigen Hinweise auf „organi-


sierte Verbrechensvereinigungen“ bzw. OK ist es erwähnens-
wert, dass z. B. vor knapp 30 Jahren in den vom Kriminologi-
schen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) herausgegebe-
nen Bänden zur „Deutschen Forschung zur Kriminalitätsent-

27
stehung und Kriminalitätskontrolle“ kein Beitrag die Begriffe
„Organisierte Kriminalität“, „Berufsverbrecher“, „Verbrechens-
organisationen“, „Bandenkriminalität“ oder „kriminelle Organi-
sationen“ aufgegriffen hat – also die Begriffe in der deutschen
Kriminalitätsanalyse nicht beachtenswert erschienen (vgl. Ker-
ner et. al. 1983). Auch eine Zusammenstellung der kriminologi-
schen Forschungen des Max-Planck-Instituts in den 70er und
80er Jahren weist keinen Beitrag mit diesem Stichwort aus (vgl.
Kaiser/ Geissler 1988).12

Was bedeutet nun „Organisierte Kriminalität“? Nach den offizi-


ellen Aussagen des Bundesministeriums des Innern und der Jus-
tiz gibt es „bislang keine einhellig anerkannte Definition von
Organisierter Kriminalität“ (Bundesministerium des Innern/
Bundesministerium der Justiz 2006: 440). Andererseits gibt es
für den Polizeibereich in Deutschland eine bis „heute noch Gül-
tigkeit besitzende Arbeitsdefinition OK“ (vgl. z. B. Müller/
Niewald 2006: 197), wobei dem ehemaligen BKA-Präsident
Zachert zuzustimmen ist, dass „diese Definition selbst Einge-
weihten nur in glücklichen Stunden verständlich“ ist (vgl. Za-
chert 1995). Sie lautet:

„OK ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte


planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in
ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn
mehr als zwei Beteiligte auf längere Zeit oder unbe-
stimmte Dauer arbeitsteilig

a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnli-


cher Strukturen

28
b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Ein-
schüchterung geeigneter Mittel oder
c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche
Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft

zusammenwirken.

Der Begriff umfasst nicht Straftaten des Terrorismus.

Die Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität


sind vielgestaltig. Neben strukturierten, hierarchisch auf-
gebauten Organisationsformen (häufig zusätzlich abge-
stützt durch ethnische Solidarität, Sprache, Sitten, sozia-
len und familiären Hintergrund) finden sich – auf der
Basis eines Systems persönlicher und geschäftlicher kri-
minell nutzbarer Verbindungen – Straftäterverflechtungen
mit unterschiedlichem Bildungsgrad der Personen unter-
einander, deren konkrete Ausformung durch die jeweili-
gen kriminellen Interessen bestimmt wird“ (nach RiStBV,
Anlage E).

Zusammengefasst stellt sich diese Definition wie in der folgen-


den Tabelle dar. Anhang von zwei Deliktsbereichen (Kfz-Ban-
dendiebstahl und Firmenbestatter13) sollen dabei die Definiti-
onsvoraussetzungen noch verdeutlich werden.

29
Schaubild: Grundbedingungen zum Vorliegen der OK an zwei Beispielen

Definitionsmerkmale Deliktsfälle (Beispiele)


„Grundmerkmal“ „Nebenbedingun- Kfz- Firmen-
gen“ mit „Oder- Bandendiebstahl bestatter
Verknüpfung“
erhebliche
Bedeutung:
- Einzelfall ; ;
oder
- Gesamtheit ; ;
- Gewinnstreben ; ;
oder
- Machtstreben - -
Dauer:
- längerfristig ; ;
oder
- unbestimmt ; ;
arbeitsteilig ; ;
mehr als zwei ; ;
planmäßig ; ;
gewerbliche Struk- ;
turen
geschäftsähnliche
Strukturen ;
Gewaltanwendung ;
Einschüchterung ;
Einflussnahme - -
;= zutreffend; - = nicht zutreffend

Auch wenn man davon ausgeht, dass die aufgestellten Bedin-


gungen bei den bekanntgewordenen OK-Fällen nicht immer
erfüllt werden, so sieht man dies heute eher pragmatisch und
geht von OK aus, auch wenn man die Handlungen eher einer
Spezialdefinition „Verbrechensorganisationen“ zuweisen könn-

30
te. Da aber Abgrenzungen zu speziell werden würden und damit
praktisch nicht mehr handhabbar, sollte diese Definitionsbemü-
hung nicht weiter zugespitzt werden, da die notwendigen Hin-
weise zur Einordnung durch die bestehende Beschreibung ge-
geben sind.

2.2. Mafia und Organisierte Kriminalität –


ein Abgrenzungsproblem

Bevor man nun zu den Handlungsweisen kommt, die in der


Bundesrepublik Deutschland der OK zugerechnet werden, muss
noch auf einen Gesichtspunkt eingegangen werden, der häufig
verwechselt oder mit OK gleichgesetzt wird. Wird über OK
gesprochen, so stehen oftmals im Fokus „Mafiose Organisatio-
nen“ wie die Mafia, die Cosa Nostra oder die Yakuza (für eine
ausführliche Debatte vgl. Arnold 2000). Auch bei der gerade
ausgeführten Definition fällt dieser Zusammenhang auf, wenn
man z. B. die Bedingungen der „Einflussnahme auf Medien,
Politik und Justiz“ ansieht. Hier springt geradezu der „italieni-
sche Blick“ ins Auge (man vgl. die Presseberichterstattung im
Duisburg-Fall vom 15.8.2007 unter den Überschriften „Blutra-
che in Deutschland“; vgl. dazu z. B. Stuttgarter Zeitung
27.5.2011: 8). Für Deutschland kann jedoch gesagt werden,
dass es – wohl – keine OK in mafioser Form gibt, andererseits
sollte auch nicht vergessen werden, dass zahlreiche Hinweise
vorliegen, dass Deutschland als ein „Rückzugsgebiet“ der ita-
lienischen Mafia gilt („Rückzug“ und Unterschlupf speziell bei
den aus dem italienischen Kulturkreis stammenden Menschen).
So wird diese Tatsache auch als spezielle Gefahr angesehen,

31
auch sogar dahingehend, dass die aus Italien zugewanderten
Menschen auch die deutsche Rechtskultur „unterspülen“ und
somit zur Gefahr für diese werden (vgl. als Beispiel dazu die
Aussagen z. B. in: Polizei-Führungsakademie 1997, Bannen-
berg 2006). Auch andere ausländische/internationale kriminelle
Institutionen dürften sich in Deutschland bereits betätigen, wie
z. B. die sogenannten „Grauen Wölfe“, die ihr Haupttätigkeits-
feld in der Türkei haben. Jedoch fehlen dazu – jedenfalls in den
zugänglichen Medien – weiterführende Hinweise. Für eine sinn-
volle Auseinandersetzung mit der OK sollte man diese wohl
von „mafiosen“ Verbrechensorganisationen trennen, da diese
anderweitigen Entstehungsbedingungen und Entwicklungs-
mustern ausgesetzt sind. Andererseits kann natürlich eine Über-
schneidung und ein Zusammenwirken nicht übersehen werden,
sodass es sehr schwierig sein dürfte, klare Abgrenzungskriterien
zu finden. Zu diesem Problem soll an dieser Stelle auf eine
Analyse über die Camorra, eine neapolitanische „Mafia“, hin-
gewiesen werden, die die hier angesprochene Problematik auf
der Grundlage der Analyse einer solchen Organisation plastisch
aufzeigt (vgl. Langewiesche 2012).

2.3. Betätigungsfelder der Organisierten Kriminalität –


Begehungsformen

Was sind nun die hauptsächlichsten Betätigungsfelder der OK?


Die für die Bundesrepublik Deutschland jährlich erscheinenden
„Lagebilder“ OK stellen die unter OK erfassten Delikte wie
folgt dar14:

32
ƒ Rauschgifthandel
ƒ Eigentumsdelikte (insbesondere geplant durchgeführte Ein-
brüche oder Manipulationen von Geldautomaten)
ƒ Delikte aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität (hier
speziell sogenannte „Firmenbestatterfälle“15 oder auch die
illegale Beschäftigung)
ƒ Schleusungsfälle (also das Verbringen von Personen in den
EU-Bereich)
ƒ Menschenhandel (insbesondere auch im Zusammenhang mit
der Prostitution oder dem Kinderhandel – auch im Bereich
der Kinderpornographie)
ƒ Steuer- und Zolldelikte (wie auch der Zigarettenschmuggel)
ƒ Gewaltkriminalität (zumeist jedoch nur im Zusammenhang
mit anderen Deliktbereichen)
ƒ Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben (Dis-
kotheken mit Prostitutionsangeboten etc.)
ƒ Fälschungskriminalität (insbesondere Geldfälschung aber
auch Fälschung von Wertpapieren)
ƒ Waffenhandel
ƒ Lebensmittelverschiebungen (auch im Zusammenhang mit
dem Einsatz von Hilfsorganisationen)
ƒ Umweltdelikte
ƒ Diamantenhandel
ƒ Handel mit Immissionszertifikaten
ƒ Datenhandel
ƒ Autoverschiebungen
ƒ Handel mit Arzneimitteln oder Dopingpräparaten (wobei es
sich bei den Arzneimitteln oftmals um sogenannte Totalfäl-
schungen handelt. Dopingmittel können sich auf Menschen

33
und Tiere beziehen und haben ihren Markt nicht nur im
Profisport).

Zwei Bereiche – einmal die Schutzgelderpressung sowie die


sogenannte „Geldwäsche“ – sollen als besondere Schwerpunkte
der OK in Deutschland vorgestellt werden, auch wenn statis-
tisch gesehen der Rauschgifthandel und -schmuggel von den
Fallzahlen her die Spitzenstellung einnimmt.

2.4. Schutzgelderpressungen

Solche Formen der Erpressung durch die OK kommen ins-


besondere im Bereich der italienischen Gastronomie vor16.
Schutzgelderpressung ist die Forderung zur Zahlung von tägli-
chen bis monatlichen Geldsummen, die sich nach der Einschät-
zung der Ertragskraft des Unternehmens richten. Als „Gegen-
leistung“ wird der Schutz der Familie oder auch des Marktge-
bietes geboten, wobei der „Schutz“ so zu verstehen ist, dass
durch die schutzgelderpressenden Personen keinen Schaden den
Erpressten zugefügt wird (die Bandbreite reicht von Brandan-
schlägen bis hin zu Mord). Diese Schutzgelderpressung dürfte
nicht nur bei italienischen Lokalen vorkommen, sondern kann
auch für Gaststätten anderer Migrationsgruppen (z. B. chinesi-
sche oder kurdische Lokale) angenommen werden. Es gibt
Hinweise, dass auch im Bereich von Diskotheken solche
Schutzgeldzahlungen üblich sind. Es handelt sich auch nicht –
wie oftmals in den Medien dargestellt wird – um eine Form
krimineller Handlungen durch die „Mafia“, sondern betrifft OK
auch in anderen Formen. Es wird bei diesem Delikt jedoch deut-

34
lich – deshalb auch das Beispiel –, wie Schnittstellen beider
Kriminalitätsformen auftreten.

2.5. Geldwäsche

Gerade der Bereich des Gaststättengewerbes bietet sich für die


Geldwäsche an, da hier die tatsächlichen Gaststättenbesucher
nicht kontrollierbar sind. Da zumeist auch die Bewirtungsrech-
nungen bar beglichen werden, können so hohe Bargeldbeträge
aus illegalen Einnahmen (sogenanntes „Schwarzgeld“) wieder
in den offenen Bereich eingeführt werden und stehen für Inves-
titionen zur Verfügung (es wird daraus „weißes Geld“). Die
dadurch entstehenden Kosten, wie z. B. Steuern und Abgaben,
sind dabei unerheblich, da andere Formen der Geldwäsche er-
heblich höhere „Wechselkosten“ verursachen. Andere Formen
der Geldwäsche benötigen oftmals ein kompliziertes Zusam-
menspiel von Unternehmensorganisationen (z. B. durch Schein-
lieferungen in das Ausland, um durch die Rechnungsbezahlun-
gen Geldwäsche vorzunehmen) oder finden auch im Bereich des
Diamantenhandels statt.

Aufgrund der verstärkten Möglichkeiten durch die Nutzung des


Internets gibt es eine breite Vernetzung der Tätergruppierungen,
sodass es immer schwerer fällt, nur nationale Betrachtungen
durchzuführen, da z. B. organisierte Tätergruppen von Frank-
reich oder Polen aus agieren, sich über das Internet verständigen
und Daten kurzzeitig austauschen und somit auch den nationa-
len Strafverfolgungsbehörden erhebliche Probleme oder sogar
Begrenzungen ihrer Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Ande-

35
rerseits wird das Internet auch dafür genützt, um Dritte z. B. für
die Geldwäsche zu gewinnen, die oftmals auf solche Angebote
eingehen (z. B. Zahlungen aus dem Ausland gegen Provision
weiterleiten) ohne ihre Beteiligung an kriminellen Handlungen
zu erkennen.

36
3. Organisierte Wirtschaftskriminalität

Eine weitere Kriminalitätssituation stellt die Verknüpfung von


Wirtschafts- und Organisierter Kriminalität dar, die in den letz-
ten Jahren immer mehr festgestellt werden kann. Dabei wurde
bisher angenommen, dass es aufgrund „der Ausweitung der
durch Schattenwirtschaften entstehenden Vernetzungen zwi-
schen herkömmlicher Wirtschaftskriminalität und organisierter
Kriminalität“ zur „Aufhebung der Trennung der Konzepte or-
ganisierter Kriminalität und der Wirtschaftskriminalität“ (Alb-
recht 2001: 143) kommen wird. Bedauerlicherweise gibt es da-
zu nur in wenigen Fällen konkrete Informationen. Bei sehr vie-
len Tathandlungen in diesem Bereich ist man auf Anhaltspunkte
angewiesen, wie z. B.:

ƒ Beteiligung von Mafiosen-Organisationen an eingeführten


Handelsunternehmen mit einer bestimmten „Gewinnerwar-
tung“ (vgl. die Medienberichte zum japanischen Kameraher-
steller Olympus im November 2011; vgl. Stuttgarter Zei-
tung, 19.11.2011, S. 15). Dabei soll es insbesondere darum
gegangen sein, dass sich OK-Organisationen an dem Unter-
nehmen beteiligt haben und aufgrund von Erpressungsdro-
hungen die Geschäftsleitung zu einer hohen Dividendenaus-
schüttung zwingen wollte. Es wurde jedoch auch davon be-
richtet, dass es zwischen 2000 und 2009 dubiose Zahlungen
von rund 6,3 Milliarden Dollar, unter anderem in Form von
Beratungshonoraren, gegeben habe. Davon seien lediglich
1,4 Milliarden Dollar als Abschreibungen oder ähnliche Po-
sitionen in den Büchern vermerkt worden. Die übrigen rund

37
4,9 Milliarden Dollar seien in den Bilanzen nicht aufge-
taucht (vgl. Spiegel-Online vom 18.11.2011). Ähnliche –
auch vielleicht als Schutzgelderpressung einzustufende –
Vorkommnisse soll es auch in anderen Unternehmen gege-
ben haben. Weitere kriminologische Erkenntnisse dazu lie-
gen jedoch nicht vor.
ƒ Hinweise, dass ein Teil des Diamanten-Handels der Finan-
zierung von OK dient. Dabei spielen die geringen logisti-
schen Problemen bei der „Verschiebung“ von Millionen-
werten und der weltweite einheitliche Marktwert eine große
Rolle. Auch wird ein Zusammenhang mit der Finanzierung
von diktatorischen Systemen und der Korruption immer
wieder angesprochen (vgl. dazu auch das Stichwort „Blutdi-
amanten“). Auch eine Verbindung zu terroristischen Struk-
turen ist dabei erkennbar, was wiederum ein Hinweis auf
weitere „Schnittstellen“ gibt.
ƒ Rohstoffbörsen und die Teilnahme von „anonymen Markt-
beteiligten“ daran, die so – man denke dabei an die „Gewin-
ne“ aus Drogengeschäften und Menschenschmuggel – im
Bereich von asiatischen Börsen die Möglichkeit haben, die-
se eingenommenen Gelder zu „waschen“ und in den regulä-
ren Geldkreislauf wieder einzubringen.
ƒ Lotterie und Wettbetriebe, die sich auf einen internationalen
Markt betätigen und gleichfalls für Geldwäschehandlungen
überaus geeignet sind. Hier muss insbesondere auch der Ge-
sichtspunkt der Gewinnmanipulationen mit beachtet werden
(z. B. der „Kauf“ von Fußballspielern, wie dies in der letz-
ten Zeit bekannt geworden ist).

38
ƒ Zusammenarbeit von Unternehmen und Dienststellen ver-
schiedener internationaler Organisationen, z. B. im „Oil-for-
Food“-Programm der UN, das den Verkauf von irakischem
Öl für humanitäre Zwecke erlaubte. Aufgrund von korrupti-
ven Netzwerken wurde wesentlich mehr Öl aus dem Irak
unter dem Marktpreis exportiert und es wurden auch „ver-
dorbene“ Lebensmittel für diese Geschäfte eingesetzt (vgl.
dazu auch z. B. Süddeutsche Zeitung.de vom 7.3.2011).
ƒ Einvernehmliche und unkontrollierte Vergabe von Subven-
tionen an Subventionsantragsteller in verschiedenen EU-
Ländern. Nach einem Gerichtsvortrag sollen über Jahre
zwei Antragsteller aus Griechenland für eine Fläche fast des
gesamten Landes Subventionen für den Tabakanbau von der
EU erhalten haben (vgl. Liebl/Kühne 2008).
ƒ Beteiligung am internationalen Arzneimittelmarkt mit dem
Vertrieb (insbesondere unter Verwendung des Internets) von
urheberrechtlich nicht ordnungsgemäß hergestellten oder
ganz oder teilweise verfälschten Mitteln, insbesondere im
Bereich der sehr hochpreisigen Anti-HIV oder Krebsarznei-
mittel sowie „Potenzsteigerung“-Mitteln.

Dabei muss auch auf die besondere Problematik und ihre Aus-
wirkungen auf die sogenannte „Verschuldungskrise“ (oder „Eu-
ro-Krise“) durch die Zusammenarbeit des Wirtschaftsbereiches
mit der Organisierten Kriminalität hingewiesen werden. So sol-
len z. B. im Bereich der Subventionsvergabe durch die Zu-
sammenarbeit von Organisierter Kriminalität und Wirtschafts-
unternehmen der EU Schäden in geschätzter Höhe von 100 Mil-
liarden Euro durch Subventionsbetrug entstehen.17

39
Auch muss der Umstand erwähnt werden – zu dem bisher nur
sehr geringe Hinweise vorliegen –, dass auch Verbindungen
zwischen korrupten Regierungen („Diktaturen“) und Organi-
sierter Wirtschaftskriminalität bestehen und es zur Anlage von
Milliardenbeträgen von „Schwarzgeld“ (z. T. durch Korruption
oder Erpressung erlangt) kommt, die insbesondere Wege zu den
immer mehr aufstrebenden „Hegefonds“ finden. Diese setzen
wiederum oftmals diese Summen zu Spekulationen gegen Han-
delsunternehmen oder ganze Staaten und Finanzsysteme ein,
um dadurch hohe Gewinne zu erzielen. Da diese auf illegale
Weise erworbenen Gelder oftmals nicht in den Herkunftslän-
dern angelegt werden können (sie wären beim Sturz z. B. eines
Machthabers oftmals für diese „Familienclans“ verloren), zie-
hen sie als sogenanntes „Vagabundierendes Kapital“ von Anla-
gefonds zu Anlagefonds bzw. von einer Spekulation zur nächs-
ten um Gewinne auf Kosten der produzierenden und wertschöp-
fenden Teile anderer Gesellschaften zu erzielen (vgl. dazu auch
die Ausführungen bei Mark Pieth, Professor für Ökonomie an
der Universität Basel, unter www.pieth.ch).

40
4. Staatliche Organisierte Kriminalität

An dieser Stelle ist auch noch auf eine als „Staatlich Organisierte
Kriminalität“ zu bezeichnende Erscheinungsform hinzuweisen,
die sich auf Länder bezieht, die sich auf ein „Unterlaufen“ von
in anderen Ländern bestehenden nationalen Steuerverpflichtun-
gen spezialisiert haben. Aufgrund ihrer Gesetzgebung werden sie
zu Pools von sogenanntem „Schwarzgeld“ oder auch zur Geld-
anlage von versteuertem Einkommen um weitere Steuerbelas-
tungen durch die Verzinsung dieses Kapitals zu vermeiden. Be-
kanntermaßen trifft dies in Europa sehr stark auf die Schweiz zu,
wobei es internationale und nationale Bestrebungen gibt, diese
Möglichkeiten durch Verträge zu verhindern. Weitere Länder,
die Anlagemöglichkeiten für Kapitalvermögen bieten, tauchen
kurzfristig immer wieder auf. Immer wieder werden jedoch Sin-
gapur, einige Karibische Inselstaaten aber auch die Kanalinseln
in Europa genannt. Dabei darf jedoch der Blick nicht nur auf die-
se Länder gehen, sondern er muss auch Gesetzesinitiativen in
Deutschland mit einschließen, wenn z. B. die amtierende Bundes-
justizministerin, Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, per Gesetz
Ermittlungsbeschränkungen gegen Steuerhinterzieher festlegen
lassen will (vgl. dazu Behörden Spiegel, 28. Jg., 36. Woche, S. 1).

Auch zu dieser Erscheinungsform fehlen bisher einschlägige


kriminologische Untersuchungen, sodass an dieser Stelle nur
ein Augenmerk auf diese Form staatlicher Unterstützung von
delinquenten Handlungen zu richten ist. Hierdurch entstehen
zahlreichen Nationalstaaten erhebliche Schäden, als Beispiel sei
die Situation in Griechenland 2011 oder 2012 genannt.

41
5. Wirtschaftskriminalität und die sogenannte Finanzkrise

Abschließend ist an dieser Stelle auch auf die seit 2008 andau-
ernde sogenannte „Finanzkrise“ bzw. „Verschuldungskrise“ hin-
zuweisen. Auch wenn die Ursachen dieser Krise letztendlich auf
„Fehlspekulationen“ zurückzuführen sind, so hatten doch zahl-
reiche auslösende Faktoren auch einen kriminellen Hintergrund.
So sicherlich die Vergabe von Immobilienkrediten in den USA,
die weder den Wert entsprechender Immobilien zur Grundlage
hatten bzw. oftmals auch nur in Absprache mit dem Kreditver-
mittler und einem Eigentümer vorgenommen wurden, bei denen
der Kreditvermittler die Kreditsumme im erheblichen Umfang
für sich einforderte. Aufgrund von anderen Haftungsverpflich-
tungen ging der Kreditnehmer bei diesen Immobilienkrediten
kein – oder kein besonders hohes – Risiko ein.

Weiterhin spielten Spekulationen mit Derivaten, Warentermin-


geschäften, Währungen und Agrarrohstoffen oder mit soge-
nannten „Hebelpapieren“, die zu erheblichen Verlusten führen
können, eine tragende Rolle. Hier stellt sich den Nationalstaaten
und transnationalen Organisationen die dringende Aufgabe,
diese Spekulationen durch strafrechtliche Normen, die auch
überstaatlich verfolgt werden können, zu regeln. Insbesondere
die Spekulation auf Agrarrohstoffe oder Währungen müsste
völlig untersagt werden, insoweit sie nicht tatsächlichen Han-
delsnotwendigkeiten unterliegen. An der Spekulation mit Agrar-
rohstoffen beteiligten sich in der Zwischenzeit – so Informatio-
nen von dem Markt beobachteten Gruppierungen – 80 % von
weder als Produzent oder als Verbraucher zu bezeichnende

42
Handelnde. Es treten vielmehr Personen/Banken an, die z. B.
bei steigenden Getreidepreisen einen Terminkontrakt auf den
Kauf von 10.000 t Weizen abschließen. Dieser Weizen wird
nicht physisch benötigt, sondern man erhofft sich, dass bei Fäl-
ligkeit des Kontraktes der Weizenpreis so gestiegen ist, dass er
mit Gewinn an tatsächliche Verbraucher weiterverkauft werden
kann. Die Abwicklung nehmen dabei Großbanken vor, die für
ihre Vermittlungen Provisionen einnehmen.

Auch wenn zugunsten einer Preissicherheit für die Erzeuger


auch eine spekulative Nachfrage möglicherweise hilfreich sein
kann, so fehlen bisher dazu jegliche analytischen Bestandsauf-
nahmen. Insoweit kann nur aufgrund von extrem stark anstei-
genden Agrarpreisen in Einzelfällen auf solche Spekulationen
geschlossen werden. Hinweise gibt es auch darauf, wenn Han-
delsunternehmen, deren Geschäftsgrundlage nur die Spekulati-
on mit solchen Produkten ist, aufgrund einer unerwarteten Re-
kordernte „zusammenbrechen“. Weiterhin ist auch darauf hin-
zuweisen, dass es durch solche Spekulationen sehr häufig zur
Zerstörung von gewachsenen Infrastrukturen kommt.

Auch müsste in diesem Zusammenhang an eine Trennung von


Bankgeschäften bei „spekulativen Banken“ und „systemrele-
vanten Banken“, die für den Zahlungsverkehr benötigt werden,
gedacht werden. Diese Differenzierung wäre dabei durch straf-
rechtliche Normen zu unterlegen. Nur aufgrund einer solchen
Trennung kann es dann auch ein normales Insolvenzverfahren
geben, wenn sich ein solches Institut verspekuliert und abgewi-
ckelt werden muss. Da dann z. B. kein Garantiefonds für Einla-

43
gen einspringen müsste, bliebe es jedem möglichen Anleger
selbst überlassen, ob er sich an einer solchen spekulativen Bank
beteiligt oder nicht. Verluste würden somit nicht „sozialisiert“ –
also auf die „Steuerzahler“ abgewälzt werden –, sondern wür-
den ihm Rahmen der Insolvenz auf die Gläubiger „verteilt“.

Die Erfahrungen im internationalen Finanzsektor der letzten


Jahre haben deutlich gemacht, dass diesem Bereich in der
nächsten Zeit verstärkt Aufmerksamkeit zu widmen ist und Re-
gelungen vonnöten sind, um politische Krisen wegen verstärkt
auftretender „Finanzkrisen“ zu vermeiden.

44
6. Umfang der Wirtschafts- und Organisierten Kriminalität

Bedauerlicherweise gibt es für Deutschland keine genauen Hin-


weise über den Umfang der Wirtschafts- und Organisierten Kri-
minalität. Bis 1985 existierte in Deutschland noch eine spezielle
Statistik, die Auskunft über den Umfang der Wirtschaftskrimi-
nalität gab, die jedoch aufgrund der zunehmenden Verfahren
abgeschafft wurde. Diese Statistik zeigte, dass jährlich bei ca.
3.500 Verfahren eine Schadenssumme von – umgerechnet – ca.
3 Mrd. € entstanden war.18 Da in den letzten Jahrzehnten Ver-
fahren bekannt geworden sind, bei denen der angerichtete Scha-
den bereits diese Summe erreichte (wie z. B. der sogenannte
Flotex-Fall) ist davon auszugehen, dass die aktuellen Schäden
wesentlich höher liegen. Die Statistik über das „Steuerliche
Mehrergebnis“ aufgrund der Arbeit der Betriebsprüfungen
durch die Finanzämter weist jährlich ein „Mehrergebnis“ im
hohen einstelligen Milliarden-€-Bereich aus. Da in der Polizei-
lichen Kriminalstatistik (PKS), auf die sich in der allgemeinen
Kriminalität alle statistischen Aussagen berufen, die Wirt-
schaftsdelikte nicht gesondert bzw. nur bedingt ausgewiesen
sind, kann nur aufgrund von Hilfsberechnungen festgestellt
werden, dass ca. 5 % aller dort aufgeführten Einzeltaten vermut-
lich in Beziehung zu Wirtschaftsdelikten stehen und diese ca.
65 % des in der PKS angeführten deliktischen Schadens ausma-
chen. Insbesondere die Tatsache, dass 5 % aller Fälle der PKS –
also die Wirtschaftsdelikte – fast 2/3 des erfassten Schadens
betreffen, macht deutlich, welche Relevanz die Wirtschaftskri-
minalität hat. So weist das letzte vom Bundeskriminalamt veröf-

45
fentlichte Bundeslagebild „Wirtschaftskriminalität 2010“ einen
Schaden von ca. 4,7 Mrd. Euro aus (BKA 2011).19

Leider werden auch die Schäden durch die OK nicht speziell in


der PKS ausgewiesen. Auch hier muss man wie bei der Wirt-
schaftskriminalität auf andere Hinweise zurückgreifen. So ste-
hen z. B. die Seminarberichte der ehemaligen Polizei-Führungs-
akademie in Münster-Hiltrup zur Verfügung, aus denen man
entnehmen kann, dass die Verfahrenszahlen in den 1990-er Jah-
ren meistens deutlich unter 1.000 Verfahren pro Jahr lagen.
Nach dem „Bundeslagebild 2010“ des BKA (BKA 2011a) wur-
den im Jahre 2010 606 Verfahren der OK (2009: 579) bearbei-
tet, die einen ermittelten Schaden von ca. 1,65 Mrd. Euro verur-
sachten (2009: 1,37 Mrd. Euro).

Interessanterweise werden auch die Tatbestände aus dem Be-


reich der Korruption in den Lagebildern zur OK nicht gesondert
ausgewiesen, jedoch fokussiert als besonders schwerwiegender
Tatbestand der OK diskutiert (vgl. Polizei-Führungsakademie
2001). Auch ist es schwierig, z. B. die Schadenshöhen durch
Drogendelikte oder Arzneimittelfälschungen bzw. den Handel
mit Dopingmitteln festzustellen, die gleichfalls auch in den La-
gebildern nur am Rande erwähnt werden.

Abschließend sei noch erwähnt, dass es insbesondere aufgrund


„der Ausweitung der durch Schattenwirtschaften entstehenden
Vernetzungen zwischen herkömmlicher Wirtschaftskriminalität
und organisierter Kriminalität“ zu einer „Aufhebung der Tren-
nung der Konzepte organisierter Kriminalität und der Wirt-

46
schaftskriminalität“ (Albrecht 2001: 143) kommen wird. Hier
liegt auch die besondere Problematik – auch aufgrund der soge-
nannten „Euro-Krise“ –, da insbesondere im Bereich des Sub-
ventionsbetruges festgestellt werden muss, dass Organisierte
Kriminalität und Wirtschaftskriminalität zusammenfallen und
der EU Schäden in geschätzten 100 Milliarden Euro und mehr
entstehen.

47
7. Probleme durch die Wirtschafts- und Organisierte
Kriminalität

Wie die Ausführungen zu den Schadenssummen schon deutlich


machen, liegt hier eine erhebliche Beeinträchtigung und Schädi-
gung des Wirtschaftslebens und der Allgemeinheit vor; auch
wenn diese Schadensbeträge bei einer Verhinderung nicht in die
Überlegungen zur Finanzierung von Staatsaufgaben herangezo-
gen werden können, so wirken sie doch direkt oder indirekt auf
die Allgemeinheit: Einmal gehen z. B. durch Steuerhinterzie-
hung oder Subventionsbetrug Einnahmen bzw. (über die Aus-
gaben) Vermögenswerte der Allgemeinheit direkt verloren. An-
dererseits wird durch betrügerische Machenschaften zwar nicht
unmittelbar die Allgemeinheit geschädigt, jedoch gehen Ein-
nahmen Dritter verloren; diese können dann selbst wiederum in
wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, was eine Sog- und Spi-
ralwirkung auslösen kann, die dann letztendlich auch zu erheb-
lichen Verlusten von Einnahmen oder verstärkten Ausgaben für
die Allgemeinheit führen. Auch darf nicht vergessen werden,
dass solche Handlungen z. B. auch zu Verlusten von Arbeits-
plätzen führen können, was wiederum nicht nur Dritte zu Ge-
schädigten macht, sondern auch die Allgemeinheit, die aufgrund
der Zunahme von Transferleistungen einen Schaden erleidet. So
wurden z. B. bereits in 1980er-Jahren von Kriminologen Aus-
sagen dahingehend getätigt, dass jeder Steuersatz um 50 % ge-
senkt werden könnte, wenn es zu einer Verbesserung der Straf-
verfolgung kommen würde.

48
Weiterhin darf nicht vergessen werden, dass auch die immate-
riellen Schäden für die Allgemeinheit erheblich sind. So kann es
zu enormen Vertrauensverlusten in den Rechtsstaat und seine
Organe kommen, wenn es nicht zu einer effektiven und schnel-
len Strafverfolgung – aber auch zu präventiven Maßnahmen in
diesem Zusammenhang kommt. Es besteht auch die Gefahr ei-
ner sogenannten Normerosion – also einer Verhaltensänderung,
da man sowieso nichts gegen die „richtigen Kriminellen“ unter-
nimmt – was zur Folge hat, dass die Allgemeinheit dann weitere
Schädigungen erleidet, in dem z. B. Transferzahlungen bean-
tragt werden, obwohl diese nicht zustehen o. ä. Auch das Stich-
wort „Politikverdrossenheit“ darf in diesem Zusammenhang
nicht fehlen. In der Öffentlichkeit manifestiert sich dies oft in
dem Ausspruch: „Die Großen lässt man laufen und die Kleinen
hängt man“.

Abschließend bleibt festzustellen, dass auch das „Konzept“ ei-


ner besonderen Betrachtung der Wirtschaftskriminalität und OK
nur insofern einen Sinn ergibt, wenn sich aus der Beschäftigung
mit diesem Bereich einer solchen „Schwerstkriminalität“ zu-
künftig bessere Aufklärungs-, Kontroll- und Verfolgungsmög-
lichkeiten ergeben. Dabei geht es nicht um die Suche nach einer
„deutschen Mafia“ oder – wie in den 70er und 80er Jahren des
letzten Jahrhunderts – um die Suche nach dem „speziellen Wirt-
schaftsstraftäter“. Es geht vielmehr darum, die transnationalen
Kriminalitätsbereiche zu erkennen und auch die für die Strafver-
folgungsorgane bestehende Problematik der Zusammenarbeit
von illegaler mit der legalen Wirtschaft zu analysieren aber auch
aufzudecken. Beispiele gibt es dabei bereits in bedenklichem

49
Umfang bei der Umweltkriminalität, dem Subventionsbetrug,
dem Zigarettenschmuggel oder auch dem Sozialversicherungs-
betrug (also der illegalen Beschäftigung von Arbeitnehmern)
(vgl. dazu schon als einen ersten Hinweis Liebl 1984). Dazu
auch der Hinweis, dass z. B. man bereits beim internationalen
Waffenhandel direkte Korruptionen vermieden und diese durch
subtilere „Zuwendungen“ ersetzt werden (z. B. durch „Ausbil-
dungsstiftungen“ – auch z. B. für Stipendien an US-Hoch-
schulen). Dies zeigt auch, dass der Bereich der „organisierten“
Kriminalität sich in einer stetigen Entwicklung befindet.

Insoweit wäre es daher wichtig, nicht nur nach Definitionen zu


suchen, sondern es müsste der Gesichtspunkt aufgegriffen wer-
den, dass die schwere Vermögenskriminalität immer häufiger
durch organisierte Formen der Begehung geprägt wird. Diese
macht sich regelmäßig die Strukturen von Wirtschaftsunterneh-
men zu Nutze. Aufgrund der immer stringenteren Verfolgung
des Prinzips der „Gewinnmaximierung“ in der Ökonomie auf
den verschiedensten Ebenen kommt es zur Zusammenarbeit
zwischen den legalen Formen des Wirtschaftslebens und der
sogenannten organisierten Wirtschaftskriminalität (man nehme
nur die bekannt gewordenen Fälle mit Verstößen gegen das
Kriegswaffenkontrollgesetz20). Letztendlich sei abschließend
noch erwähnt, dass z. B. die Strukturen des Diamantenhandels
und seine Rolle bei der Absicherung von Rauschgiftgeschäften
oder der Beziehung desselbigen zum Terrorismus bisher nur am
Rande untersucht wurden21. Auch die bekannt gewordenen
„Börsenbetrugsfälle“ – also wiederum die Verbindung von OK
mit der Wirtschaftskriminalität – bieten bisher nur Raum für

50
Vermutungen, obwohl die von ihnen ausgehenden Auswirkun-
gen oftmals täglich in der internationalen Wirtschaftspresse
nachgelesen werden können. Insoweit ist es wohl notwendig,
den Begriff „Organisierte Kriminalität“ neu zu fassen und sich
dabei stärker auf „Wirtschaftsorganisationen“ zu beziehen.

Letztendlich sei auf den im Zusammenhang mit der sogenann-


ten „Finanzkrise“ angesprochenen Gesichtspunkt nochmals hin-
gewiesen. Hier sind die Nationalstaaten und transnationale Or-
ganisationen gefordert, sich verstärkt in den nächsten Jahren um
die Aufklärung, Erforschung und der Erarbeitung von Präventi-
onsmöglichkeiten in der sogenannten „globalisierten Welt“ zu
kümmern, um insbesondere auch eventuelle politische Krisen
zu vermeiden.

51
Anmerkungen
1
Zu weiteren Begehungsformen des Betruges im Bereich der Wirt-
schaftskriminalität vgl. bereits Liebl 1982 oder z. B. Smith 2011.
2
Nach einem Insolvenzantrag wird der Geschäftsbetrieb – jedenfalls
für eine gewisse Zeit – zumeist durch einen Insolvenzverwalter ab-
gewickelt. Sollten keinerlei Vermögenswerte und/oder Aufträge mehr
vorhanden sein so wird ein insolventer Betrieb „mangels Masse“ aus
den Registern gelöscht und eingestellt.
3
Auf die Möglichkeiten der Privatinsolvenz eines Einzelunternehmens
und einer im Vorfeld erfolgten „Vermögensausgestaltung“ sei an die-
ser Stelle nur hingewiesen.
4
In Deutschland gibt es keinen Tatbestand der „Korruption“. Diese
Handlungsweise ist in den §§ 331 bis 334 Strafgesetzbuch mit Strafe
bedroht, wobei die Bezeichnungen der Tatbestände „Bestechung“,
„Bestechlichkeit“, „Vorteilsgewährung“ und „Vorteilsannahme“ lau-
ten. Damit wird der Schwere der Verfehlung und der Situation Rech-
nung getragen, dass es einen „aktiven Bestechenden“ und einen „pas-
siven“ die Bestechung Annehmenden geben muss bzw. kann (bei ei-
ner versuchten Bestechung).
5
Die in diesem Zusammenhang auch immer wieder angesprochene
„Compliance“ oder auch Regeltreue nach der Betriebswirtschaft kann
an dieser Stelle nur erwähnt werden. Sie steht auch im Zusammen-
hang mit der UN-Konvention zur Korruptionsbekämpfung und die
diesbezügliche Diskussion geht bereits bis in die 80er Jahre des letz-
ten Jahrhunderts zurück (vgl. z. B. Albanese 1987).
6
Die Straftatbestände der Steuerhinterziehung sind in der Abgaben-
ordnung aufgeführt.
7
Hierdurch werden leicht zu transportierende und besonders wertvolle
Waren (z. B. Handys aber auch Fleischerzeugnisse) zwischen ver-
schiedenen Unternehmen „im Kreis“ bewegt, um dem Rechnungs-
empfänger den Vorsteuerabzug zu ermöglichen, ohne die ausgewie-
sene und geschuldete Umsatzsteuer zu entrichten (dazu kommt häufig
noch die Erlangung von unberechtigten Subventionen hinzu).
8
Diese Zahl stellt eine Spitzenposition von Verfehlungen dar, insbe-
sondere wenn man dazu die Vergleichszahlen aus den Verkehrskon-
trollen einmal hinzuzieht (vgl. z. B. Müller 2007).

52
9
Delikte nach dem Markenrecht, Urheberrecht und Wettbewerbsrecht.
10
Die hier zutreffenden Tatbestände finden sich auch im Gesetz gegen
den unlauteren Wettbewerb (UWG) und dem Patentgesetz.
11
Vgl. zur Diskussion über die Einordnung des Kinderhandels in die
OK Albrecht 2000.
12
Auch in den Lehrbriefen der Mitteleuropäischen Polizeiakademie
wird noch Ende der 1990er Jahre ausgeführt, dass es sich bei der
„Organisierten Kriminalität zu einem beachtlichen Teil (um) ‚Im-
portware‘“ handelt. Also, wie weiter ausgeführt wird, um Kriminali-
tät die von „Ausländern“ begangen wird und im Zusammenhang mit
der Mafia stehen würde (vgl. Zitat des BKA-Präsidenten Zachert in:
Bundesministerium des Innern, Lehrbrief Mitteleuropäische Polizei-
akademie, Wien 2/1995: S. 81f.).
13
„Firmenbestatter“ sind professionelle Gruppierungen, die insolvente
Unternehmen noch weiter ausschlachten und dabei auch zahlreiche
andere Unternehmen schädigen. Es ist ein Bereich, der auch zur or-
ganisierten Wirtschaftskriminalität gezählt werden kann.
14
Die Aufstellung geht auf Lageberichte des Bundeskriminalamtes
zurück. Einige dieser Berichte sind jedoch nicht der Allgemeinheit
zugänglich, sodass hier nur die öffentlich berichteten Deliktgruppen
aufgeführt werden können.
15
„Firmenbestatter“ sind Personen, die insolvente Unternehmen auf-
kaufen, die Vermögenswerte zum Nachteil der Gläubiger „aus-
schlachten“ und durch zahlreiche Firmensitzverlegungen die juristi-
sche Nachverfolgung ihrer Handlungen verhindern wollen.
16
Es gibt jedoch in den letzten Jahren sehr viele Hinweise, dass auch
andere Bereiche im Hotel- und Gaststättengewerbe davon betroffen
sind.
17
Inwieweit man auch die gemeinsame Handlung von verschiedenen
Großbanken z. B. zur Manipulation des „Libor“ (Zinssatzgröße, die
für Kreditverträge herangezogen wird) als „Organisierte Wirtschafts-
kriminalität“ ansehen kann, bleibt einer zukünftigen Diskussion über-
lassen (vgl. dazu z. B. die Pressemeldungen vom 9.8.2012 in der
Stuttgarter Zeitung, S. 9).
18
Die sogenannte „Bundesweite Erfassung von Wirtschaftsstraftaten
nach einheitlichen Gesichtspunkten“ (vgl. Liebl 1984).

53
19
Nicht unerwähnt darf hier jedoch bleiben, wie die Schäden durch
Delikte der Wirtschaftskriminalität und OK zu berechnen sind: Wel-
cher Schaden entsteht z. B. durch den Drogenhandel oder Produktpi-
raterie tatsächlich?
20
Man denke an den Fall des Giftgasexporteurs Hippenstiel-Imhausen
1991 (siehe Medieninformation des Justizministeriums Baden-
Württemberg vom 23. Juli 2007).
21
Wenn überhaupt oder aber aufgrund von Geheimhaltungen diese den
allgemeinen Strafverfolgungsorganen bisher nicht bekannt gemacht
wurden.

54
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57
Über den Autor

Der Autor ist seit 1995 Professor


für Kriminologie an der Hochschu-
le der Sächsischen Polizei (FH).

Zuletzt im Centaurus Verlag er-


schienen:

Karlhans Liebl, Insolvenzkrimina-


lität und Strafverfolgung. Probleme
einer Transfergesellschaft, europäi-
sche Strategien und Ergebnisse
einer Replikationsuntersuchung,
Beiträge zur rechtssoziologischen Forschung, Bd. 14, 2011.

Karlhans Liebl/Thomas Ohlemacher (Hrsg.), Empirische Poli-


zeiforschung. Interdisziplinäre Perspektiven in einem sich ent-
wickelnden Forschungsfeld, 2000.

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