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de libero arbitrio (über den freien willen) 2,6,13 confessiones (bekenntnisse) 10,6
Da also die Substanz (naturam), welche nur existiert, aber weder lebt Und ich wandte mich nun zu mir selbst und sprach zu mir: "Wer bist
noch versteht, so wie ein lebloser Leib, die Substanz übertrifft, welche denn du?" Und ich antwortete: "Ein Mensch". Denn sieh, aus Leib und
nicht nur existiert, sondern auch lebt, aber nicht versteht, so wie die 20 Seele bestehe ich, dem äußeren und inneren Bestandteile meines We
5 Substanz der Tiere; und ferner diese übertrifft die, welche zugleich exis sens. Von welchem dieser beiden aus mußte ich nun meinen Gott su
tiert und lebt und versteht, so wie im Menschen der rationale Geist; bist chen? Bereits hatte ich ihn mit meinem Körper gesucht von der Erde bis
du etwa der Ansicht, daß in uns, das heißt unter den Dingen, mit denen zum Himmel, soweit ich nur die Strahlen meiner Augen als Boten sen
unsere Substanz gefüllt wird, so daß wir Menschen sind, irgendetwas den konnte. Doch wertvoller ist mein innerer Mensch. Denn ihm als ih
Herausragenderes gefunden werden kann als das, was wir unter diesen 25 rem Vorsteher und Richter erstatteten alle körperlichen Boten Bericht
10 dreien an die dritte Stelle gesetzt haben? Denn daß wir auch einen Leib über die Antworten des Himmels und der Erde und aller Dinge, die
haben, ist offenkundig, und ein gewisses Leben, durch das der Leib darin sind, und sprachen: "Wir sind nicht Gott" und: "Er selbst hat uns
Tieren erkennen, und ein gewisses drittes, gleichsam unserer Seele des äußeren; mein inneres Ich erkannte dies, ich, ich, der Geist erkannte
Haupt oder Auge, oder wenn irgendetwas passenderes über die Vernunft 30 dies durch die Sinne meines Körpers. Ich fragte die gesamte Welt über
15 und die Intelligenz gesagt werden kann, was die Substanz der Tiere meinen Gott, und sie antwortete mir: "Ich bin es nicht, sondern er hat
nicht hat. Aus dem Grunde schau bitte, ob du irgendetwas finden kannst, mich geschaffen". (Übersetzung Alfred Hofmann)
was in der Substanz des Menschen erhabeneres als die Vernunft ist. de vera religione (über die wahre religion) 39,72 389391
(Übersetzung von Thomas Meyer)
Was also bleibt noch übrig, wodurch die Seele nicht ihre erste Schön
Augustinus über den Menschen 2
35 heit, die sie zurückließ, erinnern kann, wenn sie es durch ihre eigenen Harmonie, deren es keine größere geben kann, und triff dich mit ihr.
Laster kann? So nämlich gelangt die Weisheit Gottes in einem fort mit 55 Vertrau darauf, daß du nicht bist, was sie ist: sofern ja sie selbst sich
Macht ans Ziel. So verwob durch sie jener höchster Architekt seine zu nicht sucht; tu aber bist zu ihr durch Suchen gekommen, nicht im
einem einzigen Ziel des Schmuckes geordneten Werke. So neidete jene dimensionalen Raum, sondern durch einen Zustand des Geistes, damit
Güte vom Höchsten bis zum Niedrigsten niemandem die Schönheit, der innere Mensch selbst mit seinem Bewohner nicht durch niedrigste
ber verworfen werde, der nicht von einem Abbild der Wahrheit ergriffen 60 zusammenkomme. (Ü. Meyer)
wird. Suche in des Leibes Lust, woran sie sich hält, und du wirst nichts
de civitate dei (über die stadt gottes) 11,26
anderes finden als Harmonie: denn wenn das Unharmonische Schmerz
Und auch in uns selbst erkennen wir ein Abbild Gottes, d. h. jener höch
verursacht, so verursacht das Harmonische Lust. Erkenne daher, was die
sten Dreifaltigkeit, freilich nicht ein ebenbürtiges, vielmehr eines, das
45 größte Harmonie ist. Gehe nicht nach draußen, geht in dich selbst hin
sehr weit zurückbleibt, auch nicht ein gleichewiges und — womit in
ein; im Inneren des Menschen wohnt die Wahrheit; und wenn du deine
Kürze alles gesagt ist — nicht ein Abbild, das von gleicher Wesenheit
Natur wandelbar findest, gehe auch noch über dich selbst hinaus. Aber
65 wäre wie Gott, doch immerhin eines von der Art, daß unter den von Gott
sei inne, wenn du hinausgehst, daß du die rationale Seele verläßt. Dort
geschaffenen Dingen ihm nichts der Natur nach näher steht, wie es denn
hin also wende dich, woher das eigentliche Licht des Verstandes ent
durch Verbesserung noch vervollkommnet werden soll, damit es ihm an
50 zündet wird. Wohin nämlich gelangt jeder gute Verstandesgebraucher,
Ähnlichkeit ganz nahe komme. Nämlich wir existieren, wir wissen um
es sei denn zur Wahrheit? Da ja die Wahrheit durch Verstandesgebrauch
unser Sein, und wir lieben dieses Sein und Wissen. Und in diesen drei
schlechterdings nicht zu sich selbst gelangt, sondern was die
70 Stücken beunruhigt uns keine Möglichkeit einer Täuschung durch den
Verstandesgebrauchenden erstreben, das ist sie selbst. Schau dort eine
Augustinus über den Menschen 3
bloßen Schein der Wahrheit. Denn wir erfassen sie nicht wie die Dinge 90 darin nicht, daß ich um dieses mein Bewußtsein weiß. Denn so gut ich
außer uns mit irgendeinem leiblichen Sinn, wie wir die Farben durch weiß, daß ich bin, weiß ich eben auch, daß ich weiß. Und indem ich die
Schauen, die Töne durch Hören, die Düfte durch Riechen, die Gegen se beiden Tatsachen liebe, füge ich auch diese Liebe als ein drittes von
stände des Geschmackssinnes durch Schmecken, Hartes und Weiches gleicher Sicherheit den Dingen, die ich weiß, hinzu. Denn nicht darin,
75 durch Befählen sinnlich wahrnehmen, von welchen Sinnesobjekten wir daß ich liebe, irre ich mich, wenn ich nicht einem Irrtum unterliege in
auch Bilder, die ihnen ganz ähnlich, aber nicht mehr körperhaft sind, in 95 dem Gegenstand der Liebe; obwohl selbst, wenn dieser trügerisch wäre,
Gedanken herumtragen, in der Erinnerung festhalten und durch sie zum doch die Liebe zu einem Truggebilde Tatsache wäre. Denn wie könnte
Verlangen danach angereizt werden; sondern ohne daß sich irgendwie man mich mit Recht tadeln und zurückhalten von der Liebe zu Trugge
eine trügerische Vorspiegelung der Phantasie und ihrer Gebilde geltend bilden, wenn die Liebe zu ihnen selbst wieder ein Truggebilde wäre? Da
80 machen könnte, steht mir durchaus fest, daß ich bin, daß ich das weiß jedoch in unserm Fall der Gegenstand der Liebe wahr und gewiß ist, so
dungen der Akademiker, die da entgegenhalten: Wie aber, wenn du dich und gewiß. Und so wenig es jemand gibt, der nicht glücklich sein möch
täuschest? Wenn ich mich nämlich täusche, dann bin ich. Denn wer te, gibt es jemand, der nicht sein möchte. Denn wie könnte einer glück
nicht ist, kann sich natürlich auch nicht täuschen; und demnach bin ich, lich sein, wenn er ein Nichts ist? (Übersetzt von Alfred Schröder)
85 wenn ich mich täusche. Weil ich also bin, wenn ich mich täusche, wie
enarrationes in psalmos (predigten über die psalmen) 145,45
sollte ich mich über mein Sein irren, da es doch gewiß ist, gerade wenn
Nicht einmal das komme euch gleichsam merkwürdig vor, weil auch je
ich mich irre. Also selbst wenn ich mich irrte, so müßte ich doch eben
105 de beliebige wertlose sündige Seele besser ist als jeder beliebige große
sein, um mich irren zu können, und demnach irre ich mich ohne Zweifel
und sehr vorzügliche Leib. Nicht ist sie besser wegen ihrer Verdienste,
nicht in dem Bewußtsein, daß ich bin. Folglich täusche ich mich auch
Augustinus über den Menschen 4
sondern wegen ihrer Natur. Es ist jedenfalls die Seele eine Sünderin, sie Seele? Und wenn es an Lobreden über die Seele mangelt, welches Lob
ist mit gewissen Schmutzflecken von Begierden beschmiert; dennoch ist gibt es für den, der die Seele schuf? [...]
Gold besser, selbst beschmiert, als das allerreinste Blei. So lasse euer Wer ist es also, wie ich zu sagen anfing, der sagt: Lobe, meine Seele,
wert, dennoch lobenswerter ist als ein lobenswerter Leib. Es gibt ja zwei nicht geben. Unglücklich ist die Seele selber, wenn sie vom Leib einen
Dinge, Seele und Leib. Die Seele tadele ich, den Leib lobe ich: die Seele Auftrag erwartet. Das Fleisch ist richtig gehorsam, es ist die Dienerin
Seele in ihrer eigenen Art; und in seiner eigenen Art lobe ich den Leib 135 der sagt: Lobe, meine Seele, den Herrn? Nichts finden wir mehr im
oder beschuldige ihn. Wenn du mich fragtest, was besser sei, ob das, Menschen als Fleisch und Seele: das ist der ganze Mensch, Geist und
was ich getadelt habe, oder das, was ich gelobt habe, dann wirst du eine Fleisch. Spricht die Seele selber vielleicht zu sich selbst, und befiehlt
seltsame Antwort erhalten. [...] Die Natur der Seele ist edler als die sich selbst auf gewisse Weise, und fordert sie sich auf und treibt sich an?
120 Natur des Leibes, sie ragt sehr heraus; sie ist eine spirituelle Sache, sie Denn durch gewisse Störungen aus einem gewissen Teil ihrer selbst
ist etwas unsichtbares, sie lenkt den Leib, sie bewegt die Glieder, sie nennt und jene Weisheit, durch die sie denkt, indem sie bereits am Herrn
richtet die Sinne aus, sie bereitet Gedanken vor, sie motiviert hängt und nach ihm seufzt, bemerkt sie, daß gewisse niedrigere Teile
Handlungen, sie faßt Bilder von unendlichen Dingen, und wen gibt es von ihr durch weltliche Emotionen durcheinandergebracht werden, und
den äußeren Dingen zu den inneren Dingen zurück, von den niedrigeren im Gedächtnis zeitlich früher ist als die Schau in der Erinnerung und die
zu den höheren, und sie sagt: Lobe, meine Seele, den Herrn. (Ü. Meyer) Verbindung dieser beiden durch den Willen als drittes? Im Geiste aber
165 ist es nicht so. Er ist sich nämlich kein Ankömmling, gleich als ob er zu
de trinitate (über die dreiheit) 14,10
seinem Selbst, sofern es schon war, von anderswoher käme eben in die
Bei der Wissenschaft von all den zeitlichen Dingen, die wir erwähnen,
sem seinem Selbst, sofern es noch nicht da war, oder als ob er zwar
gehen manche Wissenschaftsgegenstände der Erkenntnis in zeitlichem
nicht von anderswoher käme, sondern in seinem Selbst, das schon war,
150 Abstand voran, so das Sinnfällige, das in der Wirklichkeit der Dinge
eben dies sein Selbst geboren worden wäre, das noch nicht war, wie im
schon Bestand hatte, bevor es erkannt wurde, oder auch all das, was im
170 Geiste, der schon war, der Glaube entsteht, der noch nicht war, oder als
Bereiche der geschichtlichen Erkenntnis liegt; manches beginnt zugleich
ob er sich, wenn er sich nach seiner einmal vollzogenen
mit seiner Erkenntnis zu sein; so geht ein sichtbarer Gegenstand, der bis
Selbsterkenntnis seiner erinnert, in seinem Gedächtnis sähe, wie wenn er
dahin gar kein Sein hatte und plötzlich vor unseren Augen entsteht, si
dort hinterlegt worden wäre und wie wenn er nicht dort gewesen wäre,
155 cherlich unserer Erkenntnis nicht voran, ebenso ist es wenn ein Klang
bevor er sich selbst erkannte, während er doch in der Tat, seit er zu sein
vor einem anwesenden Zuhörer entsteht: da beginnen in der Tat zugleich
175 begann, niemals aufhörte, sich seiner zu erinnern, niemals aufhörte,
und hören zugleich auf der Klang und seine Hörbarkeit. Mag indessen
sich einzusehen, niemals aufhörte, sich zu lieben, wie wir schon gezeigt
das Erkennbare der Erkenntnis zeitlich vorangehen, mag es zugleich mit
haben. Wenn er sich sonach denkend zu sich selbst wendet, dann
ihr entstehen, das Erkennbare erzeugt die Erkenntnis, nicht wird es
entsteht eine Dreiheit, in der man auch schon ein Wort feststellen kann.
160 durch die Erkenntnis erzeugt. Wenn aber die Erkenntnis erzeugt ist und
Es wird ja eben durch das Denken gebildet, während der Wille beides
das, was wir erkannt haben, im Gedächtnis hinterlegt und dort in der
180 eint. Hier also läßt sich eher das Bild feststellen, das wir suchen.
Augustinus über den Menschen 6
(Übersetzung von Michael Schmaus) aber die Wissenschaft existiert, leugnet niemand. Und jeder, der be
hauptet, daß es nicht sein könne, daß eine durch die Mitte eines Kreises
de immortalitate animae (über die unsterblichkeit der seele) 1,1
gezogene Gerade nicht größer sei als alle Geraden, die nicht durch die
Wenn Wissenschaft irgendwo existiert, und wenn sie nur in dem, was
200 Mitte gezogen werden, und daß das in den Bereich einer Wissenschaft
lebt, existieren kann, und wenn sie immerwährend existiert, und wenn
gehöre, der leugnet nicht, daß die Wissenschaft unveränderlich ist.
nichts, in dem irgendetwas immerwährend existiert, nicht immerwäh
Noch einmal, nichts, in dem irgendetwas immerwährend existiert, kann
rend existieren kann, dann lebt immerwährend das, in dem die Wissen
nicht immerwährend existieren. Denn nichts, was immerwährend exis
185 schaft existiert. Wenn wir, die wir rational denken, existieren, das heißt
tiert, erlaubt es, daß irgendwo das, in dem es existiert, von sich abge
unser Verstand, und wenn man nicht ohne Wissenschaft rational denken
205 zogen werde.
kann, und wenn der Verstand nicht ohne Wissenschaft existieren kann
Ferner aber, wenn wir rational denken, dann tut das der Geist. Denn das
außer einer, in dem die Wissenschaft nicht existiert, dann ist die Wissen
tut niemand außer der, der versteht: weder der Leib versteht noch der
schaft in des Menschen Verstand
Geist unter Hilfe des Leibes versteht, weil er, wenn er verstehen will,
190 Es existiert jedoch die Wissenschaft irgendwo: denn sie existiert, und
sich vom Leib abwendet. Denn was verstanden wird, existiert immer
was auch immer existiert, das kann nicht nirgendwo existieren. Noch
210 während von dieser Art, und nichts vom Leib ist immerwährend von
einmal, die Wissenschaft kann nicht existieren außer in dem, was lebt.
dieser Art: folglich kann er dem Geist helfen sich um das Verstehen zu
Denn nichts, was nicht lebt, lernt irgendetwas; und die Wissenschaft
bemühen, den er noch nicht einmal zu behindern genügt.
kann auch nicht in dem, was nichts lernt, existieren. Noch einmal, die
Noch einmal, niemand denkt richtig rational ohne Wissenschaft. Denn
195 Wissenschaft existiert immerwährend. Denn was existiert und unverän
das richtige rationale Denken ist ein Erkenntnisprozess, der sich bemüht
derlich existiert, muß notwendigerweise immerwährend existieren. Daß
215 von dem sicheren Wissen zur Erforschung des unsicheren voranzu
Augustinus über den Menschen 7
schreiten: und nichts ist sicher im Verstand, was er nicht weiß. Alles in den Sünden verharrende aufgrund des gerechten Gesetzes Gottes ver
aber, was der Verstand weiß, hat er in sich; und die Wissenschaft umfaßt dammt wird. Schließlich darf, wenn wir nicht mit Willen übel handeln,
Wissenschaft ist die Kenntnis aller Sachen. aufhebt, muß notwendigerweise christliches Gesetz und jede Zucht der
ja nicht in Zweifel steht, daß gesündigt wird, sehe ich nicht einmal, daß
de vera religione (über die wahre religion) 14,27
man bezweifeln kann, daß Seelen eine freie Entscheidung des Willens
Aber dieser Defekt, den man Sünde nennt, wenn er wie ein Fieber je
240 haben. Gott urteilte nämlich, daß seine Diener als solche besser seien,
manden gegen seinen Willen überfiele, dann erschiene die Strafe richti
wenn sie ihm freiwillig dienten: was ja auf keine Weise geschehen
gerweise ungerecht, welche den Sündigenden ereilt, und welche Ver
könnte, wenn sie nicht mit Willen, sondern aus Notwendigkeit dienten.
dammung genannt wird. Nun aber ist die Sünde in dem Grade ein
(Übersetzung von Thomas Meyer)
225 willentliches Übel, daß es auf gar keine Weise eine Sünde gibt, wenn sie
nicht willentlich ist; und das ist jedenfalls so offensichtlich, daß daher de civitate dei (über die stadt gottes) 13,14 etc.
keine Handvoll Gelehrter, keine Menge Ungelehrter eine abweichende Gott hat ja den Menschen gut erschaffen, er, der Urheber der Naturen,
Ansicht hat. Aus diesem Grunde muß man entweder abstreiten, daß eine keineswegs der Gebrechen; aber durch eigene Schuld verderbt und ge
Sünde begangen wird oder zugestehen, daß sie mit Willen begangen 245 rechter Weise verdammt, hat der Mensch Verderbte und Verdammte er
hat, der zugleich zugesteht, daß sie durch Bußetun verbessert werden in jenem einen bestanden haben, der in die Sünde fiel durch das Weib,
kann, und daß der Bußetuenden Vergebung gegeben wird, und daß die das aus ihm geschaffen worden ist vor der Sünde. Noch war uns im ein
Augustinus über den Menschen 8
zelnen zwar die Form nicht erschaffen und zugeteilt, in der wir als Ein nicht wollen. Wenn wir bejahen durch Streben nach dem, was wir wol
250 zelwesen leben sollten; aber das Stammwesen war da, aus dem wir len, so heißt man das Begierde; und wenn wir bejahen durch Genießen
durch Fortpflanzung hervorgehen sollten. Und weil jenes wegen der 270 dessen, was wir wollen, so nennt man das Lust. Und umgekehrt, wenn
Sünde dem Verderben anheimgefallen und mit Todesbanden umstrickt wir uns ablehnend verhalten gegen Dinge, deren Eintritt wir nicht wol
und gerechter Weise verdammt war, so sollte auf dem Weg der Zeugung len, so ist eine solche Willensregung Furcht; und wenn wir uns ableh
von Mensch zu Mensch das gleiche Los den Nachkommen zuteil wer nend verhalten gegen Dinge, die wider unsern Willen eingetreten sind,
Unheil bis zum endgültigen Untergang im zweiten Tode geleitet, nach oder abgestoßen wird je von den verschiedenen Gegenständen, die man
dem einmal sein Anfang verderbt und damit gleichsam seine Wurzel anstrebt oder meidet. Deshalb braucht der Mensch, der nach Gott und
krank geworden war, und ausgenommen sind davon nur die, die durch nicht nach dem Menschen lebt, nur ein Freund des Guten zu sein; daraus
an; ist der Wille verkehrt, so werden auch diese Triebe in ihm verkehrt nicht unbekannt sein, daß der Mensch sündigen würde; [...] Der Mensch
sein; ist er dagegen gerade gerichtet, so werden sie nicht nur untadelhaft, konnte ja durch seine Sünde nicht einen göttlichen Ratschluß umstoßen,
sondern selbst lobenswert sein. Denn in allen Trieben ist Wille vorhan als hätte er Gott genötigt, seinen Beschluß zu ändern; Gottes Vorher
liest man in übertragenem Sinne in der Heiligen Schrift), so bezieht sich hat, wie er das Wort gezeugt hat, durch das alles geworden ist; und
diese Ausdrucksweise doch eben nicht auf das, was der Allmächtige auf wenn auch Gott den Menschen aus Erdenstaub gebildet hat, so ist doch
messen erwartet hätte oder der natürliche Gang der Dinge mit sich 310 nichts erschaffene Seele gab Gott dem Leibe bei der Erschaffung des
brächte. Gott hat also, wie geschrieben steht, den Menschen recht ge Menschen. Aber so sehr überragt das Gute an siegreicher Kraft das
macht und sonach ihn mit gutem Willen ausgestattet; denn ohne solchen Böse, daß, obgleich dem Bösen verstattet ist zu existieren, um zu zeigen,
wäre er nicht „recht“. Der gute Wille ist also das Werk Gottes; mit ihm wie sich Gottes Vorsehung in ihrer Gerechtigkeit selbst des Bösen zum
295 ward der Mensch von Gott erschaffen. Dagegen der erste böse Wille, Guten zu bedienen weiß, gleichwohl Gutes zwar ohne Beimischung
zwar ein Abfall zu schlechten Werken deshalb, weil diese Werke dem oberhalb dieses dunstigen Luftkreises, nicht aber Böses ohne Gutes,
Menschen gemäß, nicht gottgemäß sind. Der Wille seinerseits also oder weil die Naturen, woran das Böse haftet, doch eben als Naturen gut sind.
schlechte Baum, der solche Werke als seine schlechten Früchte hervor 320 hinzugetreten wäre, oder ein Teil einer Natur aufgehoben würde,
bringt. Demnach haftet der schlechte Wille, obgleich er nicht der Natur sondern dadurch, daß eine Natur, die verdorben und verschlechtert
gemäß, sondern ihr als ein Gebrechen widrig ist, doch an der Natur, worden ist, geheilt und gebessert wird. Also ist die Wahl des Willens
deren Gebrechen er bildet, da ein Gebrechen nicht für sich, sondern nur dann wahrhaft frei, wenn er nicht Gebrechen und Sünden unterworfen
werden, der allein ihn hatte geben können. Deshalb spricht die 345 Engelserscheinung und seine überragende Natur und redete, sie als sein
Wahrheit: „Wenn euch der Sohn frei macht, dann werdet ihr wahrhaft Werkzeug mißbrauchend, Lug und Trug zu dem Weibe, indem er bei
dann werdet ihr wahrhaft gesund sein“. Denn Heiland ist der Sohn stufenweise zum Ganzen zu gelangen, in der Meinung, der Mann werde
330 durch das gleiche Mittel wie Befreier. nicht so leichtgläubig sein und könne eher durch Nachgiebigkeit
Paradiese. [...] Nachdem jedoch jener hochmütige und deshalb neidische [..] so hat vermutlich auch der erste Mann seinem Weibe, der einzige der
Engel, eben durch seinen Hochmut von Gott ab und sich selbst zuge einzigen, der Mensch einem Menschen, der Gatte der Gattin, in der
gen, aus seinem geistigen Paradies herabgefallen war [...], ging sein 355 verführen zu lassen.
Streben dahin, sich mit verführerischer Verschlagenheit in den Geist des (14,16) Es gibt also Lüste nach vielerlei Dingen; wenn jedoch von Lust
Menschen einzuschleichen, dem er neidisch war, da er aufrecht stand, schlechthin die Rede ist ohne Beifügung eines Gegenstandes, worauf sie
als sein Sprachrohr, geeignet für sein Vorhaben, die Schlange, ein spruch und regt den ganzen Menschen zumal auf, indem sich mit dem
schlüpfriges Tier, gewandt in krummen Schleichwegen. Diese machte Begehren des Fleisches zugleich eine Gemütsbewegung verbindet und
Augustinus über den Menschen 11
vermischt und so ein Genuß erfolgt, der unter den körperlichen Genüs Zeugungswillen, sondern selbst der geilen Lust die Lust den Dienst, und
sen obenan steht; in einer Weise, daß in dem Augenblick, wo er seinen während sie sich dem zügelnden Geist in ihrer Ganzheit meist wider
im Ehestande lebt, jedoch nach der Mahnung des Apostels „sein Gefäß um die körperliche Erregung handelt.
in Heiligkeit und Ehren zu besitzen weiß, nicht im Fieber der Begier,
de natura et gratia (über natur und gnade) 3.3.
wie die Heiden auch, die Gott nicht kennen“, würde lieber, wenn es in
Die Natur des Menschen wurde freilich zuerst als schuldlose und ohne
370 seiner Macht stünde, ohne solche Lust Kinder erzeugen, so daß auch bei
irgendeinen Schaden geschaffen; diese Natur aber des Menschen, in
diesem Geschäft der Nachkommenschaftsgründung die hierfür erschaf
welcher ein jeder aus Adam geboren wird, bedarf bereits des Arztes,
fenen Glieder in derselben Weise seinem Geiste dienstbar wären wie die
390 weil sie nicht gesund ist. Allerdings hat sie alle guten Dinge, welche sie
übrigen je ihren besonderen Aufgaben dienenden Glieder, also nicht auf
bei der Bildung mit Leben, Sinnen und Geist hat, vom höchsten Gott,
Anreizung durch hitzige Lust, sondern in Bewegung gesetzt durch den
dem Schöpfer und ihrem Hersteller. Den Schaden aber, der die natürli
375 Wink des Willens. Aber selbst auch wer Freude hat an solchem Genuß,
chen Güter überschattet und schwächt, so daß sie Erleuchtung und Für
fühlt sich dazu nicht gerade immer dann angeregt, wann er will, gleich
sorge braucht, zog sie sich nicht vom schuldlosen Hersteller zu, sondern
viel ob es sich um eheliche Beiwohnung oder um unlautere Schandtaten
395 von der ursprünglichen Sünde, welche begangen wurde aus freiem Wil
handelt; vielmehr stellt sich diese Regung mitunter ungestüm ein, ohne
len. Und daher gelangt die strafwürdige Natur zu einer äußerst gerechten
daß ihrer jemand begehrte, zuweilen läßt sie den danach Schmachtenden
Strafe. Wenn wir nämlich in Christo schon ein neues Geschöpf sind, wa
380 im Stich und bleibt die Begierde im Körper kalt, während sie im Gemüte
ren wir dennoch von Natur aus Kinder des Zorns so wie auch die übri
heiß entbrannt ist; und so versagt merkwürdigerweise nicht nur dem
Augustinus über den Menschen 12
gen; Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, machte uns wegen seiner Wenn ferner eine Seele entstand, aus welcher diejenigen aller Gebore
rer Verbrechen, lebendig zusammen mit Christo, durch dessen Gnade jener erste [Mensch] sündigte? Wenn aber die Seelen einzeln entstehen
wir heil gemacht wurden. in einem jeden der Geborenen, dann ist es nicht verkehrt, ja vielmehr er
ne heil werden können, wird nicht aufgrund von Verdiensten gegeben, fahren verdiente Übel die Natur des Nachkommen ist und daß das ver
rechtfertigt, spricht er, gratis durch sein eigenes Blut. Von daher werden Denn was ist daran unangemessen, wenn der Schöpfer sogar so zeigen
die, die nicht durch jene befreit werden, sei es weil sie noch nicht hören wollte, daß die Würde der Seele in dem Grade die [nur] leiblichen Ge
nen, nicht empfingen, zurecht schlechterdings verdammt, weil sie nicht weil sie vor dieser Strafe besser war.
ohne Sünde sind, entweder weil sie sich vom Ursprung her zuzogen oder
de fide, spe et caritate 8
weil sie sie durch schlechten Lebenswandel vermehrten. Denn alle sün
430 23. Weil wir die Ursachen des Guten und Bösen kennen müssen, soweit
digten sei es in Adam sei es in sich selbst und ermangeln des Ruhmes
es der Weg erheischt, der uns zu dem Reiche führt, wo Leben ohne Tod,
415 bei Gott. (Übersetzung von Thomas Meyer)
Wahrheit ohne Irrtum, Glück ohne Trübung sein wird, so dürfen wir
de libero arbitrio (über den freien willen) 3.20.56.188f nicht im geringsten daran zweifeln, daß bei allem, was uns Menschen
Augustinus über den Menschen 13
betrifft, die Ursache des Guten allein die Güte Gottes ist, die Ursache Gerechtigkeit ihres Herrn verurteilt worden. Den Menschen trifft dabei
des wandelbar Guten [des Geschöpfes], der Engel zunächst, sodann der 455 die Todesstrafe war es, die Gott ihm für den Fall, daß er sündigen
Menschen. 24. Das [nämlich dieser verderbte Wille] ist das erste Übel werde, angedroht hatte1. Gott stattete den Menschen mit einem freien
des vernünftigen Geschöpfes, d. h. die erste Minderung des Guten. Willen aus, jedoch so, daß sein Befehl ihn lenken und seine
entgehen sucht, heißt Furcht. Erreicht sodann das Herz die Befriedigung 26.2 Durch den Sündenfall wurde der Mensch jedoch vertrieben: damit
seiner Begierden, mögen diese noch so verderblich und wertlos sein verwickelte er auch seine Nachkommenschaft, die er in seiner eigenen
entweder von krankhafter Lust gefesselt oder in nichtiger Freude 465 die Strafe des Todes und der Verdammnis. Denn nun sollten alle Kinder,
gewiegt. Aus diesen Quellen nicht des Überflusses, sondern der Not die von ihm und seiner zugleich mit ihm der Verdammnis verfallenen
entströmt dann wie aus [ebenso vielen] Krankheitsquellen alles Elend Gattin, seiner Verführerin zur Sünde, durch die Begierlichkeit des Flei
Die genannten Übel nun haben Menschen und Engel miteinander 470 Sünde willen sollten sie unter mannigfachen Verirrungen und Schmer
gemeinsam; denn beide sind lediglich um ihrer Bosheit willen von der zen mit samt den abtrünnigen Engeln, ihren Verführern, Herren und
Augustinus über den Menschen 14
Sündengenossen, der endlosen Strafe [der Verdammung] verfallen. Also Zeit und Raum und gewährt ihnen Unterhalt. Denn Gott hielt es für
„ist durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen und durch besser, selbst aus dem Bösen Gutes zu schaffen, als überhaupt nichts
die Sünde der Tod; und so ist der Tod auf alle Menschen übergegangen, Böses zuzulassen. Aber selbst wenn er gar nicht gewollt hätte, daß sich
27. So stand es also [nach dem Sündenfall] mit den Menschen. Die dem Menschengeschlecht mit vollem Recht auf ewig von ihm verstoßen?
Verdammungsurteil unterworfene Gesamtheit des Menschengeschlech Und würde es nicht wirklich eine ewige Strafe verdienen? Dieses
tes4 lag, ja wälzte sich förmlich im Bösen und stürzte von Bösem in Bö Menschengeschlecht verließ ja Gott, trat in Mißbrauch seiner Macht
480 ses; so büßte sie für ihren gottlosen Abfall samt jenen Engeln, die [des freien Willens] das Gebot seines Schöpfers, das es doch ganz leicht
gesündigt hatten. Und diese Strafe war ganz gerecht; denn den 500 hätte halten können, achtlos mit Füßen, entstellte in sich das Bild seines
gerechten Zorn Gottes fordert alles heraus, was die Bösen in ihrer Schöpfers, von dessen Licht es sich hartnäckig abwandte, und riß sich
alles zurückzuführen, was sie, wenn auch wider ihren Willen, an heilsamen Unterordnung unter dieselben los. Und Gott hätte sicher so
485 offenbaren und verborgenen Strafen erdulden müssen. Dabei spendet (gerecht) gehandelt, wenn er nur gerecht und nicht auch barmherzig
Leben und Lebenskraft, ohne deren aufrecht erhaltende Macht sie der Rettung Unwürdiger um so augenscheinlicher strahlen lassen wollte.
zugrunde gehen würden5, und gibt den Menschen, die doch aus 1: Vgl. Gen. 2, 17; 3, 19.
2: Die Erörterung richtet sich gegen die Pelagianer.
krankhaftem und verworfenem Stamm entsprießen, Samen und belebt
3: Röm. 5, 12. Διὰ τοῦτο ὥσπερ δι’ ἑνὸς ἀνθρώπου ἡ ἁμαρτία εἰς τὸν
490 sie, ordnet ihren Gliederbau, gibt ihren Sinnen Kraft zur Betätigung in
Augustinus über den Menschen 15
κόσμον εἰσῆλθεν καὶ διὰ τῆς ἁμαρτίας ὁ θάνατος, καὶ οὕτως εἰς πάντας
4: massa damnata.
ἀνθρώπους ὁ θάνατος διῆλθεν, ἐφ’ ᾧ πάντες ἥμαρτον∙
5: Augustinus faßt also auch den Zustand eines verdammten Lebens als etwas
Deshalb, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen Wünschenswerteres auf als wie völliges Nichtsein.
durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben.
propterea sicut per unum hominem in hunc mundum peccatum intravit
et per peccatum mors et ita in omnes homines mors pertransiit in quo
omnes peccaverunt