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Frei

Geschriebenes. Sequentieller Zettelkasten (XVIII)


und existentialistischer Fürstenspiegel (I)
un milieu miellieux

Ideenmaterien II: Janus-Coda







Ein Jahreswechsel bringt Minimitenprosa - auch paolanische Grotten-
prosa genannt - mit sich oder hervor.

I
Es ist nicht die Form, es ist der Rest von Leben. Unter dem Leder. Und
ein wenig Auge. Und Mund.

Wie soll Leben noch funktionieren in der geballten Alterität des All-
tags?

Der Begriff der Kontinuität, setzt er nicht voraus, dass er nicht altern
kann. Kontinuität ist die dynamisierte Fassung des Bleibens. Also pa-
radox. Es ist erstaunlich, dass der Begriff der Kontinuität es unter den
Menschen so viel leichter hat als viele andere, ähnlich paradoxe Vor-
stellungen.

Invisible - invincible. Die kluge Nähe dieser beiden Worte ersetzt jeden
Syllogismus. - Die Differenz der Schwingungen selbst ist der Syl-
logismus. Der Form nach dem Gedanken familienähnlich. So wie der
Sinn von Ebenbildlichkeit auch in der Differenz liegt. - Z: (leise) Wie
bei der Kopie und der Wiederholung... und beim Menschen.

Wie spät ist es? – Gar nicht spät. Nur sieben Sekunden später. Eine
kleine Einheit Ewigkeit zu früh. Sieben Sekunden zu früh. Die Ewigkeit
zählt ihre Siebensekundeneinheiten rückwärts. Kokett und ein wenig
heiser, aber auch heiter. So gelingt sie sich. Noch postum.

Je rostiger die Luft zu sein scheint, desto räumlicher ist der Raum. Und
widerstandslos. Durch nichts kannst du so leicht hindurchgreifen wie
durch Raum aus rostiger Luft. Just do it.

Der Versuch lohnt; sich.

Mit den normalen, faden Worten ist nichts mehr zu sagen, geschweige
denn zu bewirken oder anzufangen. Und die anderen sind der Zukunft
längst entlaufen. Kinder, was sprecht und schreibt ihr soviel?

Was ist zurzeit das schwierigste Ding der Welt? - Die Transmission.

II
Germanenlocke. Wirst nicht schwarz.

Der Raum der Vernichtung ist immer überfüllt. Auch wenn du nichts
darin findest.

Du brauchst Abwechslung. - Nein, danke. Ich brauche mich nicht.

W: Wenn sich ein Grün spiegelt. - Y: Das ist eine unsinnige Zeitangabe.
- W: Bei der ich aber bleibe. Ich habe Gründe.

Denken muss sein. Schon zur Täuschung. - Z: Vor allem zur Täuschung.

Die allgemeinste und zweideutige Aussage über die Welt: Sie ist be-
denklich.

Die ganze Welt vom Himmel fällt. (Unbekannter, aber liebenswert
naiver Mystiker)

Warum drängen sich Hoffnungen im Gegensatz zu Befürchtungen
nicht auf. - Sie fühlen sich nicht zuständig.

Es ist wie in der Musik. Nur absolute Töne sind Zwischentöne.

Bereitet die Wege, bereitet die Bahn. - Bis zum Ende sei alles vorläufig,
sagen sie.

Du schenktest mir Lampenöl. In dieser Zeit noch. Du wolltest, das be-
griff ich, das mögliche Maß äußerster Verlegenheit erkunden. Ich hät-
te gern, das gebe zu, in Celans Windschatten Antwort gegeben. – Z:
Warum hältst du das, wie du sagte, für zu gutmütig?

Sie wollte sein Leben nicht an sich verspielen.

Die Traufe ist eine der einsamen Varianten einer kommunizierenden
Röhre.
III

Nadeln, sagte er, solltest du nur im Heuhaufen suchen. – Z: Und wo ist
der Heuhaufen? - In ahnender Lust. (E. Roth)

Die Dinge verlaufen sich in der Zeit.

Klappern ist Schandwerk.

Nur seichtes Wasser ist einigermaßen durchsichtig. Und lohnt den
Blick.

Reue: Vergeblicher Schandfleckenreigingungsversuch. – Z: Reue ist
also für die Katz? – Eher der Versuch, ein Aas als Köder einzusetzen.

Wie denkst du? - Ich denke noch nicht. - Was tust du? - Ich versuche
zu denken. Im Stil einer dialektischen Weltenchronik.

Versuchen ist wie so tun als ob. Zum Beispiel: so tun, als komponiere
man. Indem man Kleckse verteilt. Oder wenn du entsprechend denkst.

Die Gegenwart ist eine Falle. Aber nicht jede Falle eine Gegenwart. - Z:
Ach!

Die Uhr nimmt uns die Zeit ab.

Wirkliche Teppiche interessieren mich nicht. Und fliegende Teppiche
fliegen immer an mir vorbei.

Originalität ist das, was zum Absturz in eine Art Himmelsferne führt.
Aber nur selten weiter oder wieder zurück.

Vertrauen vertäut. Vertrauen bleibt die Grundlage der Akzeptanz. Ob
du jemandem eine Wahrheit abnimmst, darüber entscheidet nicht die
Wahrheit der Wahrheit, sondern dein Vertrauen, an das sich deine
Bereitschaft gleichsam anklammert, wie ein kleiner Affe.
IV

Ich weiss, dass das Wissen um etwas sein Etwas überflügelt. - Sich mit
einem Aha! zufrieden zu geben, ist aber nur die triviale Variante
davon.

Was man nicht sein kann, das muss man sein lassen. Voller Respekt.

Das Unaussprechbare hat nichts als Relevanz. Es ist das Element, in
das wir geworfen wurden, und in dem wir in Gesten des vermiedenen
Ertrinkens überleben. Relevanz ist der Inbegriff der Spannung. Reiner
suspence.

Tragik. Fehler lernst du nur kennen, wenn du sie machst. Gelerntes zu
rehabilitieren scheinbar int mir unmöglich. Das neu Gelernte saugt
sich am früher Gelernten wie ein Blutegel fest. Das ist eine schmerz-
liche Erkenntnis, die über bestimmte sehr bedauerliche existentiellen
und epistemischen Unmöglichkeiten viel aussagt. Freilich auch Vo-
raussetzungen dafür, dass wir sie als bedauerlich erkennen können.

Wenn ich überhaupt eine Methode benennen kann, ist es die: Die
piratenhafte Missdeutung, zu der die Sätze Wittgensteins und anderer
einladen.

Gedanken zu sich - d.h. ihnen selbst - hin missdeuten. Biegen. Heim-
biegen.

Wir sollen viel verrückter denken als die Philosophen, rät uns - aus
seinem Nachlass heraus - Wittgenstein. Gleichsam unbeirrt. Daher
sagt er, erzählt uns Z, dass wir Sätze schreiben sollen, in denen sich
das Mystische, von dem Wittgenstein – so überoft zitiert - schreibt,
zeigt. Damit wir es - endlich - auch selbst sehen können.

Es herrscht, sozusagen, vom Anfang bis zum Untergang, ein ins Un-
endliche gekleideter Sprachadvent. Er ist, als solcher, die Beobach-

V
tung der Selbstvergiftung der Weltgeschichte. - Z: Der aus dem sprich-
wörtlichen Gähnen des Chaos.

Eine Reihe von Festtagen verschiebt die profane Ordnung in eine
geistige. Wir könnten darin eine balsamische Wohltätigkeit der Götter
sehen. - Z: Hätten wir noch Augen zu sehen. Goetheaugen.

Ergänzung. Zeitgenössische Festlichkeiten sind gnadenlose Feiern
der Profanität. Daher so verzweifelt und das Begehren aushöhlend. -
Z: Bis zur Wiederholung.

X: Denn die Welt blickt so leer zurück, wie du sie anblickst. - Z: Du hast
schon klüger geklagt. - Y: Aber selten so wahr. - X: Weil aus Erfahrung.
- Z: I see. I see.

Was bedeutet es eigentlich, auf einem Möbiusband im Kreis zu laufen?
- X: Du machst einen Fehler, den dir niemand ankreiden wird. - Z: im
Kreis zu laufen, so denken wir wohl, macht nichts schlimmer. Wo auch
immer. Und das ist doch ein Fortschritt. Benjamins Sturm. - W: Vom
Hier ins Jetzt und vice versa.

Aura ist natürlich auch getrübter oder verblasster Hoffnungsglanz. An
der Aura kannst du das Alter einer Hoffnung ablesen. Oder einer Idee,
überhaupt. Ihre Blässe zeigt die Trauer über ihre Vergeblichkeit und
Noblesse an.

Auch Gedankenblitze blenden nur mit dem momenthaften Glanz ihrer
Selbstresignation.

Jeder Blitz ist das pomphafte Aufbegehren seines Rückzugs.

Wittgensteins großer und unnachahmlicher Vorteil ist, dass er von
Philosophie viel versteht aber wenig weiß. (Ein Zeitgenosse)

VI
Das, was ist, ist kein Ersatz für das Verlorene, auch wenn das Ver-
lorene nicht besser war. Dass es darum nicht geht, versteht vielleicht
keiner mehr. Qualitäten sind anders. Nicht besser oder schlechter.
Qualitäten sind Träume der Unterscheidung,

Eine Qualität wirst auf eine andere und sagt: So will ich nicht sein.

Ist Gegenwart denn wirklich mehr als gouillitonierte Vergangenheit?
Der tödliche aber glänzende Schnitt durch den Hals der Geschichte.

Denken ist Angeln; wenn du einigermaßen frei bist, im Freien. Wenn
nicht, dann in einem institutionellen Brunnen, oder einer institu-
tionellen Kloake.

Es gibt sehr verschiedene Fische. Aber, doch, es gibt sie. Es gibt sie her.
- Z: Aber wem?

Nur wenn du Idealist bist, hast du heute keine Chance mehr, inklu-
diert zu werden. Du hast das Privileg, wenigstens vorläufig, einfach
nur dabeistehen zu dürfen. Wie Josef neben der Krippe. Damals. - Z:
(in Stellvertretung) Wer ist Josef?

Die Leute laufen nach der Zeit. Die Zeit läuft hinterher. (Brechtiade)

Klimmzüge geben nicht zu erkennen, ob sie in die Freiheit oder ins
Vergehen zielen.

Er meinte, dabei zuzusehen, wie eine leere Champagnerflasche explo-
diert.

Er atmete, wenn er andere traf, nicht. Weil er glaubte, die anderen
umzupusten, wenn er ausatmete. Deshalb stand er auch mit anderen
immer nur kurz zusammen. Um nicht in Atemnot zu geraten.

VII
Oft wunderte ihn der Aufwand, den manche Werke um sehr Gering-
fügiges machen.

Was geschieht oder was der Fall ist, ist nur ein Kristallisationspunkt
unzähliger umzingelnder Erwartungen, von denen es sich in Freiheit
gesetzt wähnt; resp. täuscht.

Er sagte, er schriebe immer nur Er, weil er sich als ein Er zu fühlen
gelernt habe. Man könne getrost stattdessen zum Beispiel Sie lesen.
Es käme dasselbe heraus.

Die wesentliche Frage bleibt: Wie kann man sich denken zu existie-
ren?

Er hat ein Ich wie ein wucherndes Fraktal.

Sein Außersichsein hat es in sich.

Er ist ein Autist ohne Grenzen.

Ein Melancholiker lebt von sich selbst. Ein Melancholiker braucht
nicht viel. Er ist ein bescheidener Mitmensch.

Sind alle Melancholiker Autophagen? Oder sind alle Autophagen Me-
lancholiker? - Z: Mal so, mal so.

Ich habe kein Steckenpferd. - Was für ein seltsamer Satz. Man könnte
eine quasi phänomenologische Semiotik darauf aufbauen. - Z: Und zu
seinem Steckenpferd machen. – „Das, woran ich festhalte, ist nicht ein
Satz, sondern ein Netz von Sätzen.“ (Wittgenstein)

Ich konnte, sagte er, es nicht fassen, als ich im Traum die denkbar tri-
vialsten Sätze sagte: Ich bin gerührt. Ich kann es selbst noch nicht
glauben. Die Zeit ist wie im Fluge vergangen. Etc.

VIII
Nur graue Mäuse unterscheiden sich noch; und fallen auf. - Auch das
ein apokalyptisches Zeichen?

Das Infernalische an der globalen Massengesellschaft ist, dass alle
Einzelnen jeweils alles sein und von allen anderen als absoluter Un-
terschied wahrgenommen werden wollen. - Z: Das letale Paradox fällt
dabei nicht mit ins Gewicht.

Endlich flöge jeder potentielle Inhalt in einer nicht mehr qualifizier-
baren Form auf. Das wäre nun doch das Ende der Dialektik, sagt er, an
das er nicht hätte glauben wollen.

Manchmal fühlt er sich fünf Minuten später so leer, dass er nicht mehr
versteht, wie ihm fünf Minuten früher etwas hat einfallen können

Ich versuche, die Falten, die das Kreuz auf meiner Stirn ausmachen,
durch Auseinanderziehen meiner Stirnhaut zu glätten und ver-
schwinden zu machen. Auch das ist eine Herkulesarbeit, eine drei-
zehnte.

Wunder zu erkennen oder auch nur zu sehen ist definitiv schwieriger,
als Wunder zu wirken. – Z: Und erfordert mehr Intelligenz.

Mirakelbündel. - Die Welt: auf eine liebenswerte Formel gebracht:
verlogen.

Das Glück der Anpassung. Die Neurologen sagen, dass auch das Glück
letztlich Anpassung sei. Tief im Hirn.

Der Menschheit scheint es noch immer schwerzufallen, sich als ihre
eigene Bezugssippe anzuerkennen.

Wer Angst vor Kontrollverlust hat, sollte eine Anleitung zum Lach-Yo-
ga schreiben. Oder einfach autogenes Humortraining betreiben.

IX
Es heißt bei den Neurologen auch, wer sein Stirnhirn nicht ausschaltet,
kann nicht lachen. Lachen bezeugt also einen gelungenen Rückbau
der Evolution.

„Die Leute kannten und sahen ihn, wie er... umherschweifte und nach
Resonanzholz und Haselfichten für seine Geigen spähte. Wurden ge-
fällte Stämme, wie es so häufig geschieht, von ihren hohen Standorten
über jähe Berghänge ins Tal hinabgerollt, so saß er seitwärts auf ei-
nem Felsblock und lauschte den Tönen, die sie im Stürzen von sich
gaben.“ (J. Baader, Mittenwalder Chronist) – Z: Denker sollten sich ihr
Material, scheint mir, wie Geigenbauer auswählen.

Wie schon anfangs gesagt, ein Jahreswechsel bringt Minimitenprosa -
auch paolanische Grottenprosa genannt - mit sich oder hervor.












2019

Eichkröten und Schildhörnchen (I)
Fortsetzung nie begonnener Stimmenimitate

oder

Wie sich alles verhält, ist Gott (Wittgenstein)

X

Hanc est herba argemon,
quam Minerva repperit subus remedium,
quae de illa gustaverint.

Plinius d. Ä. - u.a.


Ne pas avoir et ne pas être.

Il est dommage et triste de ne pas s'être disputé avec Beckett, de ne
pas avoir rencontré Gilgamesh, de ne pas avoir conduit Dante un peu
au diable, de ne pas avoir copié ou édité son Didaskalion avec Hugo
de Saint-Victor.



Nicht haben und nicht sein. – Dauerhafte Zustände sind das zwar alle-
mal, aber es bleibt schade und traurig, mit Beckett nicht ein wenig
gestritten zu haben, Gilgamesch nicht begegnet zu sein, Dante nicht
ein Stückchen in die Hölle begleitet, mit Hugo von Sankt Viktor nicht
sein Didaskalion kopiert oder redigiert zu haben, mit Hölderlin nicht
von Apollos Pfeilen geschlagen worden zu sein, mit Offenbach nicht
über Bismarks schlechten Geschmack gelacht, mit Frau Portinari,
offensichtlich eine meiner Urahninnen, nicht durch Florenz geschlen-
dert, mit Trakl nicht den Kalvarienberg hinaufgestiefelt zu sein, mit
Thomas Bernhard nicht geflucht zu haben, mit Walter Benjamin nicht
auratisch sensibel gewesen zu sein, mit Wagner kein Revolutionär,
zusammen mit Shakespeare nicht greifbar gewesen zu sein, mit
Napoleon nicht die Revolution beendet und ersetzt, mit Marx in
Bayreuth kein Zimmer gefunden zu haben, mit Wittgenstein nicht
XI
gepfiffen, mit Kant keinen Senf gegessen zu haben, kein Vertrauter
von Talleyrand oder meinetwegen auch Luther gewesen zu sein, mit
keinem Entdecker etwas entdeckt zu haben, mit Casanova weder Lust
noch Lues geteilt zu haben, mit Benn durch keine Krebsbaracke ge-
gangen zu sein, mit Breton kein Manifest geschrieben, mit Marie-An-
toinette, wohlgemerkt nicht mit Rousseau, in Ermenonville nicht auf
der steinernen Bank gesessen zu haben, bedauerlich, Mallarmé oder
Blanchot bei der Arbeit nicht über die Schulter, wie kalt sie gewesen
sein mag, geschaut zu haben;

bei der Beerdigung des Paracelsus nicht gesungen zu haben, auf der
Titanic nicht rechtzeitig über Bord gegangen zu sein, bei Goethe auf
seiner Fahrt über die Alpen nicht mit in der Kutsche gesessen zu ha-
ben, und einfach zu schade den Sammelhut nicht gehalten zu haben,
als Rossini und Paganini einen Abend lang als Straßensänger unter-
wegs waren, den Moment nicht bezeugen zu können, als Goethe, wohl
in der Nähe des Walchensees, den Harfner und Mignon traf, wohlge-
merkt, seine Mignon und seinen Harfner;

sich nicht zu erinnern, die Marseillaise niedergeschrieben zu haben,
als Rouget de Lisle sie mir vorsang, und als de Ligne mir im Vertrauen
zuflüsterte, dass der Kongress nur tanze, und es nicht ernst genom-
men zu haben, als Nostradamus mir einige prekäre Daten nannte, wie
schade erst, Hegel nicht vor der Cholera geschützt und Schiller nicht
medizinisch beraten zu haben;

kein Vorbild für Augustus oder auch Caligula gewesen zu sein, den
Schattenriss der Schöpfung nicht hergestellt und das catering fürs
Letzte Gericht nicht übernommen zu haben, zu schade auch, aber ver-
ständlich, dem Clemens Brentano nichts Genaueres über die Alham-
bra erzählt zu haben;

unterm Kreuz nur ein Sacktuch zum Schnäuzen dabei gehabt zu haben,
beim Sterneerfinden nicht dabei gewesen zu sein, den Turmbau zu

XII
Babel empfindlich gestört und die Formel zur Rettung der Welt nicht
rechtzeitig verraten gedurft zu haben;

überhaupt wohl alle Sternstunden verpasst oder nicht bemerkt zu
haben, keine Krippe ausgepolstert und kein Richtbeil geschliffen zu
haben, nie vorneweg, nicht hinterdrein, auch nicht mittendrin ge-
laufen zu sein, das ja nun Mal erst recht nicht, das Wort Schlagobers
schöner als das Wort Sahne und Liszts Warzen nicht nur ein wenig
eklig gefunden zu haben, jedes Gardemaß zu verlieren, nicht gewusst
zu haben, dass Schönheitsflecken nur Gefahr verbargen und offen-
barten, wie schade auch, dass du nur stellvertretend erzählen kannst,
so anders als ich, und dass du mich zu dir hin nicht überschreiten
könntest;

wie schade und unbedacht auch, dass du nur die Geste des Ausschla-
gens beherrschst, nie einer Engelstrompete den Vorzug gegeben hast,
immer pendelst wie ein Wattestäbchen zwischen einem vergangenen
und einem zukünftigen Ohr, Ohrenschmalz hat eine andere Konsi-
stenz als Vernunft, wie traurig und schade, Wittgenstein nicht ge-
nauer zugehört zu haben, und feige wie Popper seinem Schürhaken
ausgewichen zu sein;

die Schmerzempfindlichkeit der Heiligen nicht ausgetestet, zu früh
aber das Möbiusband für Schneewittchens Glassarg hieltest, selbst in
glücklichen Momenten, in denen, sagen wir, Perrudja ohne Rückhalt
sekundierte, o!, dieses Stolpern und die hämischen Blicke und An-
feuerungsrufe der beiläufigen Götter, oder waren es die drittrangigen
Generäle, die ihm einredeten, dass Lachen gut für die Gedärme sei und
selbst die Milz wieder mit sich verkeilen könnte, schade und auch
irgendwie dumm, dass er rief, so will ich nicht lachen, eingeredetes
Lachen1 ist mir zuwider, wie nichts anderes, es vergällt mir den ver-
1
…un rire répugnant, comme rien d'autre, ça me fait oublier le reste, le craquement pluriel du ciel dans mes membres,
celui de ma main et celui de mes pieds, car rester n'est que dans les orteils, mais dommage et inattendu Reconnaître la
charge de travail, pensez à Gottlieb Fichte, qui est né de démons incurables lançant des boules de boue et de neige,
sans égard à la beauté et au mérite, dormant ou endormi ou se prélassant, La créativité dort, les pensées, les partisans,
se réveillent et attrapent leurs combattants, et ouvrent tous ceux qui se tiennent debout en plénitude contre les murs et
attendent patiemment, de sorte qu'il n'a pas été clair, bien que ce fût c'était comme si nous marchions sur une piste

XIII
bliebenen bleichen Rest, das plurale Knistern des Himmels in meinen
Gliedern, in meiner Hand und in meiner Füßen, denn Bleiben ist nur
in den Zehen, aber schade und unerwartet, dass Anerkennung das
Pensum, denkt an Gottlieb Fichte, von unheilbaren Dämonen gewor-
den ist, die mit Bällen aus Schlamm und Schnee werfen, ohne Rück-
sicht auf Schönheit und Verdienst, schliefen oder schlummerten oder
lungerten sie auch;

denn wenn die Kreativität schläft, erwachen die Gedanken, die Par-
tisanen, und greifen nach ihren Gewehren und erschließen alle Ihres-
gleichen, die in Vollzahl an den Wänden stehen und ungeduldig war-
ten, und so wurde es nicht lichter, obgleich es uns war, als würden wir
eine Klangspur entlang geführt, aber nicht wussten, mit welchen Or-
ganen wir sie wahrnahmen, und überhaupt, was nehmen wir an Spu-
ren denn wahr;

die Kalligraphie eines chinesischen Schriftzeichens ist eine kinetische
Spur, die aufhört, wenn wir es lesen, das Zeichen, eine jede Spur ver-
endet in ihrer Deutung, dem Rest der Spur, wie in Leni Riefenstahls
Blauem Licht die Bergkristalle verdämmern, erschütternd schön, es-
chatologisch, das ist, werden sie wieder sagen, unpolitisch gedacht
und gesagt, eskapistisch, ja schlimmer, intellektuell verbrämt, ein-
sichtig und unwiderlegbar, stimmeneinhellig, hinterhältig immun,
und dennoch vor keiner Ranküne sicher, denn noch die lebendigsten
Gedanken, los pensamientos mas vivos, sind, wie ja auch kein Friedhof,
vor den Bulldozern der Ranküne, er meint der des kurrenten Denkens,
nicht sicher, keine Mauer schützt sie, und selbst wenn es eine gäbe,
wäre sie zu schwach, und sie würde sich, bereitwillig, wie vor einem
ungesagten Sesam-öffne-dich!, öffnen und der Ranküne Einlass ge-
währen, wie damals das brennende Moskau dem Eroberer Napoleon,
und ihr, der Ranküne, eine leere und brennende kalte Hand entge-
genstrecken, freundlich und entgegenkommend, warum auch nicht,
sonore, mais nous ne savions pas avec quels organes nous l'avions perçue, et en général, ce que nous percevons en
traces, la calligraphie d'un caractère chinois est un piste magnétique, qui cesse lorsque nous le lisons, le signe, chaque
piste meurt dans son message, le reste noirci de la piste…

XIV
denn was kann dir mehr und größere Anerkennung zollen und schen-
ken als die alltägliche Ranküne, die doch die einzige und ehrgeizigste
Form radikaler Anerkennung ist, die nicht merkt, dass sie es ist, sie
weiß ja auch nicht, was sie will, und, wie gesagt, sie merkt nicht, was
sie ist, die Opfer sollten aber merken, dass sie ihrer Seele schmeichelt,
wie ein Handschmeichler der Hand;

aber du willst ja die Dinge, die sich unter dem Gletscher, der Sahne-
haube der Evidenz, la cremosa capucha de la evidencia, tummeln, tun
und bewegen, nicht sehen;

aber welche andere Gründe gibt es, sich der Lüge der Haut oder der
anderen übergezogenen Folien anzubequemen, außer der Angst und
der Feigheit, solange ihr die nicht durchschlagt, bleibt euer Denken
tot, und euer Leben noch viel mehr, aber diese Folien, sagt ihr, zu
durchschlagen, ist schwer, vielleicht unmöglich, und schon haben
euch die spitzen vielfingerigen Eisenstangen eures seelischen und
mentalen Abgerichtetseins im Griff, fest, süß und erbarmungslos, und
ihr denkt, dass ihr der alltäglichen Ranküne, die euch wie ein Rudel
ausgehungerter Viren und Wölfe befällt und überfällt, dankbar sein,
allein, um zu fühlen, was es ist, dankbar zu sein und zu meinen, das
sei die einzige Möglichkeit, mit eurem tiefsten Herzen in Direktkon-
takt zu treten;

ja, es ist eben schade, mit Gilgamesch nicht gestritten zu haben und
Beckett nicht begegnet zu sein und nicht zusammen mit Talleyrand
und seiner schwarzen Freundin, bezeugter- und verbotenermaßen, in
einem Neu-England promeniert zu haben, sonst hättet ihr mehr Cou-
rage, euch als Symptom des zerbissenen Vakuums zu erkennen, das
ihr hättet sein können, es ist immer schade und ein totaler Jammer,
eine hohle Nuss zu vergolden, schlimmer noch, es zur Regel zu ma-
chen, am schlimmsten aber, gar nichts anderes zu kennen und zu kön-
nen;

XV
und wenn ihr sterbt, sterbt gar nicht ihr, und auch das ist schade, dass
euer Grab vom ersten Augenblick an leerbleiben muss und auch wird,
und Gottes Verlegenheit beim Jüngsten Gericht, wenn er vergeblich
wartet, wird herzzerreißend sein, aber wer, außer den Engeln, wird
das bemerken, und ihr werdet viel vom Guten und vom Richtigen ge-
redet, nur, um alles, selbstermächtigt, ungetan gelassen zu haben, wie
euch selbst, als hättet ihr das Gebirge eurer Möglichkeiten mit endlo-
sen Stollen durchzogen und ausgehöhlt, dass es ganz leicht geworden
ist und mit kaum einem Zischen verdunsten wird, ganz ohne Magie,
aber auch ganz ohne Zauber;

aber vielleicht wird das ja die größte Kunst gewesen sein, dem Nichts
das Nichts wiedergegeben, die Leere mit sich selbst gesättigt zu haben,
die Zeit wird sich euch verdankt haben und die Rache eures selbst-
verschuldeten Verlöschens gewesen sein, in der Sphäre beispiellosen
Alleingelassenseins;

nein, natürlich hatte er nicht zu viel erwartet, es ging ihm nicht um
sich, er war einfach nur rastlos ratlos, dass seine Ideale, lauter Selbst-
verständlichkeiten, wie Frühchen in ihren Brutkästen, ausgestorben
waren, es tat ihm nur um die Menschen leid, und um ihn selbst nur in
dem Maße, als er dazugehörte, also in einem kümmerlichen Maße
marginal war, er wäre gerne Koch geworden in einer Warum-nicht-
gar?-Küche;

aber er lachte auf, wie er gerne Beckett hätte auflachen sehen und
hören, und wie er selbst gelacht hat, als er einmal jemanden sagen
hören musste, er sei so allein wie kein anderer, weil das genau der
Augenblick war, in dem er die Welt und sich durchschaut hatte, und
als er jemanden hatte sagen hören, also ich, ich kenne das nicht, in
meiner Kultur, ich bin schön und schwarz, das Hohelied liegt um
meine Seele wie ein bemühter Vergleich, ich rede nur von Ähnlich-
keiten, einem Patrizierkragen, einer elektronischen Fußfessel, von
den Engeln, schon wieder die, geflochtenen Gürtelrosen, hochkarätig;

XVI
wie schade, dass sie Rilkes Zugriff entgehen mussten, seine Zeitme-
taphern hatten sogar den Engeln missfallen, und beschwichtigen,
sagte Gott, das war nie meine Sache, und wenigstens dabei wird es
bleiben, sage ich euch, sagt Gott, und noch immer, und wie immer,
spürt man nur seinen Atemhauch, den pneumatischen Ersatz-Para-
klet, der zwar nichts beweist, aber so tut, als würde er hoffen lassen
wollen, durch sich hindurch, hinter sich her, bis zu sich hin, und das
alles zu sanft, auch wenn du doch selbst die Distel warst, die Jesus in
Zunge, Mund und Nasenspitze stach;

aus dem Off, scheint es, da ruft einer, ruft, wo bleibt die Dornenkrone?,
man solle seine Stirn nicht vergessen, denkt mich euch doch einfach,
dann ist alles gut, dann wird alles gut, wie das Leben eines jeden
Taugenichts, und überhaupt, im Vergleich ist ja immer alles gut;

einmal hatte ich, als Jugendlicher, wie ihr das ausdrückt, im Halbschlaf,
im Radio, in der Domstadt Limburg, damals der christlichsten baye-
rischen Enklave, den Schluss von Joseph von Eichendorffs eben genau
jenem Taugenichts gehört, da spielten sie, zu allem Überfluss, den
Schluss der vierten Symphonie von Brahms noch ein und darüber,
und um mich war‘s Elysium, so selig konnte ich danach nie wieder
sein, wenn man so etwas erlebt hat, sagt er, ist das Leben danach eine
Beleidigung;

aber wenigstens ehrlich, Schrot und Korn, nein, wendet ein anderer
ein, Schrott und Porn, authentischer kann ich es nicht sagen, na, dann
warten wir mal ab, aber for the time being genügt es selbst mir, was
das heißt, das könntest du dir denken, wenn du nur denken tätest,
aber das tust du ja nicht, du Inbegriff des Beneidenswerten, haltet
inne! sagte ein Dritter, bekennend modo barbarico, und tanzt einen
Tanz!, da ereignet sich wenigstens nichts, auch wenn Milliarden An-
dersdenkender anders denken;

ihr müsst ja nicht so billig sterben, wie ihr gelebt habt, auch wenn ihr,
wie’s scheint, nichts anderes wollt, ihr radikalen Anderslebender und
XVII
Anderserleber des doch Immerselben, mit oder ohne Netz, braucht
euch ja, wir sprachen schon davon, die Ohren nicht mehr zuzuhalten,
weil ihr keine mehr habt, nicht einmal mehr Löcher, die noch aus-
baubar sind oder wären, ihr Ohrlosesten unter den Blinden, ihr Zun-
genlosesten unter den Lahmen, einmal ohne Rücksicht auf politische
Korrektheit gesagt, denn wir meinen ja doch alle, wirklich alle, die Be-
völkerung aller Welten, wir inkludieren rücksichtslos, vorbildlich,
ideal, denn unter den gegebenen Umständen auszugrenzen, das wäre
ja göttlich, also unter unserem Niveau;

und dennoch, wenn ich Macht hätte, würde ich mich wie ein Tagträu-
mer verhalten und allen verzeihen und vergeben, ich wäre ein Un-
mensch, sozusagen, ich wäre nichts als gut, die richtigen Worte aber
werden euch auf die Zunge gelegt, wie schwere Münzen, ja, warum
nicht aus Gold, sicher sogar aus Gold, aber auch daran erstickt ihr, das
Richtige, was es auch sein mag, ist immer der Stoff, an dem ihr erstickt,
schreibt aber trotzdem so, als wäre jeder Satz universal, Genauigkeit,
die gleichsam auf der Hand liegt, entpuppt sich früher, oder auch ein-
mal später als ein Skandalon, für das ihr zur Verantwortung gezogen
werdet, tut euch das nicht an, bleibt beim Universalen, jeder Satz ein
Kuss, für die ganze Welt, darunter tut es nicht, ja nicht;

aber wenn das Dasein eine Lücke ist, wie eine Zahnlücke, was ist dann
das Gebiss, das die Lücke umschließt und erst zur Lücke macht und
als Lücke unmissverständlich verdeutlicht, denn Breschen schlagen
und Lücken büßen, alle Sätze ersetzen, darauf kommt es, heißt es, an,
nur wenn du nicht dabei gewesen bist, hast du alle Anrechte darauf,
der Erfinder zu sein, und nur dann wenn du es doch nicht warst, kön-
nen es alle bezeugen, es gibt aber nichts, was wirklich gut schmeckt,
an den Tischen, an denen Menschen sitzen;

aber Vorwände dafür, Kommata zu setzen, gibt es überall, aber, gebt
diese Emotionalität der Beobachtung doch bitte auf, es bleibt ja einer,
der an ihr festhält, sich an ihr festhält, und auch euch, stellvertretend,
euch die Stelle vertretend, aber wie schade auch, sagte er, dass die
XVIII
musische Wertung, im Besonderen und im Allgemeinen, in die Binsen
gegangen ist, jetzt gäbe es gar keine Wertung mehr, die von Interesse
sei, deswegen sei die Jagd nach Werten ein verschriebener Denk-
volkssport geworden, so lächerlich wie die auf einen Fuchsschwanz,
Werte seien autopoetische Blasenwürfe, oder sie sind nicht;

Firn auf Mulch, die Nasenflügel, innen, ausgekleidet mit Gegenwind,
um den sie sich nicht bemüht und den sie nicht verdient haben;

eine Kinderschaukel, die sie rechtzeitig mit einer Glaskugel umbaut
und mit einem immerwährenden Vakuum gefüllt hatten, jetzt schau-
kelt sie, die Schaukel, von den Lüften ungebändigt, frei, im Leeren, in
ewiger Bewegung erstickt, Sweet Heart, Vorbild, Lust, Zeit, zu ewigem
Hinken verdammt, und die Frage, que faire?, als Leuchtkäfer überm
Firmament des Infernos;

so überlebt wenigstens Dantes Handschrift, freilich, das ist nicht ori-
ginell, aber es ist spürbar, es ist, spürbar;

und das Denken ist doch immer passager, hingehauen und -gehaucht
wie Teig in eine gigantische Konzertmuschel, ein wenig so, wie wenn
Töchter in einem Café, auf schwarzen Stühlen sitzend, ihren ziemlich
unbeweglich gewordenen Vätern Lockerungsübungen vormachen,
als würden sie, ihr kennt die Szene, ein unsichtbares oder schlichtweg
abwesendes Orchester dirigieren, singendes Herbstlaub choreogra-
phieren;

ja, es gibt triviale Wahrheiten, gegen die du dennoch, unter noch so
vergeblicher Aufbietung deiner ganzen Existenz ankämpfen musst,
wie zum Beispiel:

du kannst nur in den jeweils vorgegebenen Formen leben, gehe es
noch einmal durch, verändere jedes Wort, und es könnte etwas wer-
den, freilich, alle unsere flottierenden Zustände sind bürgerlich, spät-
bürgerlich, kapitalistisch, spätkapitalistisch etc., weil sie unsere Welt
XIX
sind und nicht anders sein können, ob wir küssen, den Blick auf eine
Landschaft werfen, oder Äste brechen, aber wenn wir nur die End-
prägung der Zustände sehen, ihren gerade letzten Schliff, ihre akuten
Ränder, bleiben sie uns unverständlich, verborgen in der selbstge-
fälligen Lust ihrer Erscheinung, an der wir unterwürfig anklopfen, um
ein wenig teilhaben zu dürfen, wer beschreiben will, wie die Welt ist,
darf vor allem nicht dunkel sein, auch keine Angst machen, er darf
nicht an Details kleben, nichts auslassen, keine Rücksicht nehmen,
nicht parteiisch sein, aber absolut objektiv, er muss seiner Objekti-
vität freien Lauf lassen, auch wenn es ihm ein schlechtes Gewissen
verursacht, denn bedenkt, Objektivitäten lassen sich begründen, Sub-
jektivitäten auch nicht, von ihnen sprechen, wäre Verlegenheit;

verwickelt euch nicht ins Unbegründbare, sonst zerhacken sie euch
eure mühsam erworbenen gordischen Denkknoten, das hätte einen
unbeschreiblichen Aderlass zur Folge, und ihr wäret für den Rest die-
ser unflätigen Zeiten metaphysische Pflegefälle, auch die notorischen
Engel wären überfordert, das Leben, seinem Wesen nach doch eine
Aufforderung zur Übersteigerung,

verpufft im Dekor,

daher kam ihm damals einmal, nur einmal, in den Sinn, dass es gut
wäre, wenn die Welt hin und wieder, nicht unbedingt regelmäßig, um-
gepflügt würde, wie ein Acker im Frühling, zum Beispiel,

dass man eine Zeitlang nur recht unförmige, große Schollen sehen
würde, wie die, die er in der Toskana einmal sah, über die er erschrak,
und sich fragte,

was hat denn dieses Land noch mit dem Land zur Zeit Palladios zu tun,
wenn es immer wieder so tief aufgerissen und gleichsam umgewirbelt
wurde, in sich zusammensackte, unter der heißen Luft zerbröselte
und zerfiel, wieder Früchte trug, um erneut zerpflügt zu werden, um
wie eine unüberschaubare Halde von Wunden dazuliegen, die sich
XX
dann wieder selbst zusammenrafft, um neuer Zerstörung entgegen-
zuheilen, ja,

warum sollte es der Welt, nicht unbedingt regelmäßig, aber doch hin
und wieder, nicht auch so gehen, oder warum nicht vor allem ihr, aber
es wäre auch viel zu greifbar, unangemessen, ein kategorialer Miss-
griff, zu agrikulturell gedacht, utopischer Schmonzes, vielleicht sogar
noch mit ein paar erschlichenen pädagogischen Nebengedanken an-
gereichert, verbotenen Düngemitteln oder Pestiziden also;

und, jetzt, wieder ein 20. Jänner, der Weg durchs Gebirg nimmt kein
Ende;

er nimmt eine Stelle ein, die ihm, dem Weg, blieb, und ihm wiederum
blieb es, leider, sagte er, undeutlich, ob es, wobei dieses Wort gänzlich
unpassend sei, peinlicher wäre, sich in einem Spiegel oder unter einer
Lupe zu entdecken, schade war es aber auch, sagte er, dass ich, zu
meinem Schaden, Narziss war, der beim Trinken und durch das
Trinken unendlich durstig wurde, durstig wurde nach seiner un-
erreichbaren Seite;

er, der Erfinder der Liebe, die er erfand, indem er, nicht mehr und
vielmehr nicht weniger, das Unmögliche heiligte, da war die Liebe
plötzlich, das ergab sich aus nur einem Schluck oder einer Handvoll
Wasser, nicht mehr und nicht weniger, ein Heiligtum wie jedes andere
Heiligtum auch, unbetretbar, nächtlich, reine Verweigerung, die Stim-
menaura bestimmter Fado-Sängerinnen, Geschwister des Narziss, - Z:
wie ja alle Sirenen. Aber über deren Rezeptionsästhetik wollen wir
jetzt nicht auch noch reden. Es genügt der Verweis auf das Datum;

assim viveu deste então -




XXI





Aber kein Status Quo lässt sich aus seinem oder überhaupt einem Sta-
tus Quo erklären. Vor allem nicht der der Welt.

Schauderhaft, sagte er altertümelnd, in einer Welt zu leben, in der
man sich nicht unterbringen kann. Schauderhaft, weil man sie doch
liebt. – Z: - Ob das Paradies nach Seife riechen wird? - Wenn ja, nach
welcher? Und süß? Oder anders? Diese Frage macht die Sache richtig
interessant. -

Spielt das Leben eigentlich noch eine Rolle? – Z: Für die Lebenden
jedenfalls nicht mehr. (und augenzwinkernd:) Das Leben ist nichts,
was der Fall ist.

Jeder Morgenwind zernagt alles. So vor- und fürsorglich ist er doch
noch..

Ich, sagt er, habe mir tatsächlich noch niemals überlegt, wie es sein
könnte, wenn ich davon ausginge, dass die Welt nicht mehr ist als das,
was sie mir zu sein einredet.

Rettet das Spiel! (Buchtitel) - Unter den zwangsneurotischen Ideen
die brillanteste.

Aber wenn Gott endlich auftritt, wackeln die Backen der Schweizer
Garde. Und Ordnung kehrt zurück und ein. Und die Farben versöhnen
sich. Und selbst die Gläubigen können ihre Augen wieder öffnen.

Es gibt wohl wenig Schöneres, als wenn Augen wieder Hoffnung schö-
pfen. Denn Augen sind ihrem Wesen nach Schöpflöffel der Hoffnung.

XXII
Es ist sehr schmerzlich, ja, aber nur die Beschäftigung mit Dingen, die
dich nicht interessieren, klärt Dich auf.

Nur das Falsche kann, logisch betrachtet, in ungefälschter Form er-
scheinen. Es ist rein. Es ist reiner als das Richtige. Darin besteht seine
Schönheit. Und der Schwindel, den es erregt. - Z: Jetzt hört aber auf!

Das Sterben lernen bedeutet einfach nur: sich mit seinem Wegsein an-
zufreunden. - Z: Ja, wenn es nur das ist -

Wenn du sehr alt wirst, verlernst du aber das Sterben. Das lange
Warten entfremdet dich dem Tod. Die Ehe wird brüchig. - Z: Das kann
durchaus seine Reize haben.

Meditationsaufgabe: Stell dir vor, wie sich Zweie einander einge-
schrieben haben und sind. Dann lies sie sich ihnen vor.

„Die eigentliche Macht des Lichts aber ist seine Gegenwart. Es ent-
fremdet die Masse ihres gewohnten Fleisches, es wirft ihr ein Kostüm
über, das sie verwandelt.“ (Kracauer)

Jedes Denken ist, von seinem ersten Geburtsschrei an, posttraumati-
sches Denken. - Was die Denker vom ersten Gedanken an aber verges-
sen haben.

Dinge mit Fetischcharakter unterscheiden sich von normalen Feti-
schen nur durch ihre Sterilität.

Du kannst die buddhistische Idee auch so wiedergeben: gelöscht = er-
löst. Das sagt über den Grund der Erlösung aber nichts aus. (Auch
Strafpunkte können gelöscht werden.)

Ironie = u.a. Verachtung des Vergänglichen - Bewusstsein = u.a. Blitz
mit Tränen in den Augen (Clemens Brentano)

XXIII
Schade auch, dass die leichten Worte vorbeigreifen und die schweren
vorbeifallen.

Schöne Redeweise, in der Nähe zum Ausdruck zu kommen scheint:
Mir geht es bei dir darum, dass... - Z: Weil sie im Grunde so zauberhaft
unverständlich ist? Wittgenstein hat sich, soweit ich sehe, nicht get-
raut, sie zu analysieren. Solche Sätze gehörten nicht zu seinen Sätzen.

Er sagt, er sucht nach dem Das, das für ihn spricht; sinnvoller: für ihn
spräche.

Er sagt, was die Welt verschweigt, das ist die Unverschwiegenheit, die,
als sie begann, ihr Ideal gewesen war. Daher, sagt er, sei Trauer ihre
logische Gegebenheit (Situation), die aber in der Nährlösung keiner
der gegebenen Logiken aufblühen könne. Die kurrenten Weltsichten,
sagt er, ließen dies außer Acht. Daher seien sie im Sinne Kants leer
und blind. Er frage sich, warum sie dennoch so fröhlich seien. - Z: Sie
müssen’s halt sein.

Die Trauer ist die schönere Verwandte des Glücks. – Z: Aber hat das
Glück denn Verwandte und lässt es sie zu?

Es ist, wie wenn du beim Griff nach dem zweiten, dem besseren Satz,
den ersten verlierst. Und der zweite Satz dir dann doch nur wie ein
leeres Fell vorkommt.

Warum gibt es das Wort Seinbar- oder Istbarkeit nicht? - Wir halten
es nicht für denkbar.

Übergänge gleiten immer, sie sind unverbindlich. Wenn sie zu gleiten
aufhören, sind sie tödlich. Sie haben etwas erreicht. Ein Target. Das
Ende des Gleitens ist die Kollision. Mit einer Idee seines Gegenteils.

Vielleicht ist das keine schlechte Definition des Tods: Kollision des
Leben mit seinem Gegenteil, je und je. - Z: Das sagt nicht viel. Und ist
XXIV
zu harmlos. Aber nett. Tausendmal so gedacht. Aber noch nie, scheint
mir, so gesagt. Es sei denn, vielleicht einmal von einer Türkin, viel-
eicht einmal von einem Eskimo, oder einer Mongolin.

Dann und wann.

Ein merkwürdiges Gefühl, wenn du fühlst, dass in Hegels Denken die
Weltgeschichte wirklich zusammengezogen ist wie in einem Mund, in
den jemand, geschält, die sauerste Zitrone der Welt geschoben hat.

„...et in pulverem revertis“. - Einzelne Ausführungen, sagt er, mit Trä-
nen auf der Nasenspitze, sind so überflüssig, wie einzelne Menschen,
Rosen, Granatäpfel und Staubkörner. - Z: Hattest du nie den Eindruck,
dass Staubkorn ein von Grund auf falsches Wort ist? Ich glaube, es gibt
keine Staubkörner. Was soll denn das Kornhafte eines Staubs oder
Stäubleins sein? Das zu denken, reicht meine Phantasie mir tatsäch-
lich nicht aus. - Die Toten kehren nicht zu Körnern zurück.

Er kam, trug eine Narrenkappe und frug mich, wie sprichst du eine
Welt an, die nicht einmal mehr Ohrlöcher hat? - Die Welt hat einen
autistisch makellosen Kopf, wie die Schaufensterpuppen.

I am, sagt er, my personal no-go.

Was du heute nicht weißt, hast du morgen leichter vergessen. Du hast
es vergessen und es zieht dich ins Gestern wie ein Ballon, der mit
Zeithelium gefüllt ist, prall und unwiderstehlich.

Du hast dich gewehrt. Das war falsch. Jetzt wirst du die Anklage nicht
mehr los. - Z: Aber wenigstens Kafka lässt dich grüßen.

Tun, sagt er, ist unweigerlich Vertun. Aber denken, sagt er, kann nicht
verdenken.

Ja, es ist immer grade anders als die Leute denken. (Kasperle)
XXV

Sie, sagt er, gieren alle nach etwas anderem als ich. Das ist skurril. -
Leben wir, fragt er, denn nicht in derselben Welt?

Für viele liegt der Reiz der Evidenz gerade darin, dass sie zu deuten
nichts übrig lässt. Die Evidenz unterschlägt jeden hermeneutischen
Einsatz. – Evidenz ist der Totentanz des Hermes bei seiner eigenen
Beerdigung.

Wir sind verloren im Guckkasten der Invisibilität und der Indivisibi-
lität. – Z: Ihr beginnt, endlich, die wesentlichen Formen der Ununter-
scheidbarkeit zu durchschauen.

Gute Theorie stellt nur Fragen in Aussageform.

Es besteht nicht nur die Gefahr, dass du bei einem Ende anlangst,
wenn du einen Anfang suchst.

Auf Bewährung. – Kann Bewährung einen anderen Zweck haben als
sich selbst? Jedes Etwas, das sich bewährt, bewährt sich als Ursache
seiner selbst. Um etwas vor Augen zu haben, lassen wir uns gerne
täuschen. Denn wir müssen uns täuschen lassen. Das hat sich bewährt.
Ja, genau so ist es gemeint: Das Müssen hat sich bewährt. Nicht sein
Grund.

„Wie hat man die Methode gelernt zu bestimmen, ob etwas existiere
oder nicht?“ (Wittgenstein)

Auch der Grund einer Anerkennung liegt nur darin, anerkennen zu
müssen, dass die Anerkennung der Zeit und des Raums, nur zum Bei-
spiel, aber nicht beiläufig, gesagt, notwendig ist.

Die Erkenntnis sagt: Ich hab mein Schema auf Nichts gestellt.

XXVI
„Das Wissen wird eben nicht in Worte übersetzt, wenn es sich äußert.
Die Worte sind keine Übersetzung eines Andern, welches vor ihnen
da war.“ (Wittgenstein) – Z: Daher heißt es ja schon lange: Am Anfang
war das Wort. – Kennt ihr es? -

Und selbst wenn das wahr ist, - was bedeutet es eigentlich? (Wittgen-
stein) - Eine Frage, die nur die Leser/innen beantworten können. –
Sie müssen es aber nicht; zum Beispiel, wenn sie sich davor fürchten.

Verstehen ist nicht nur eine Art von Abgerichtetsein, sondern ein fun-
damentales Abgerichtetsein.

Wenn du auf die Frage Kannst du mir das erklären? antwortest: Das
ist doch evident!, erklärst du etwas, was nichts erklärt.

Die Engel aber hatten noch „einen ungeteilten Verstand, der die Wahr-
heit nicht so erkennt, dass er von Voraussetzungen zu Schlü ssen vo-
ranschreitet, sondern bereits unmittelbar in den Denkvoraussetzun-
gen die sich ergebenden Wahrheiten erblickt. Ebenso erkennt er nicht,
indem er wie unser Verstand einem Subjekt ein Prä dikat zuweist oder
nicht, sondern indem er in einfacher Betrachtung des Subjekts un-
mittelbar erfasst, was auf es zutrifft oder nicht.“ (Thomas von Aquin,
De Malo)2

La langue comme ange gardien? - „`Ein guter Engel hat uns bisher be-
wahrt, diesen Weg zu gehen.´ Nun, was willst du mehr? Man könnte,
glaube ich, sagen: Ein guter Engel wird immer nötig sein, was immer

2
Ad primum autem quod in contrarium obiicitur, dicendum, quod Angelus habet simplicem intellectum quantum ad
hoc quod sicut non intelligit veritatem discurrendo a principiis ad conclusiones, sed statim in principiis videt
conclusionum veritatem, ita etiam non intelligit superaddendo praedicatum subiecto per modum compositionis et
divisionis intellectus nostri, sed statim in simplici consideratione subiecti considerat ea quae subiecto conveniunt, vel
quae ab eo removentur: utriusque enim est eadem ratio, eo quod dispositio subiecti est principium cognoscendi
inhaerentiam praedicati ad ipsum. Unde Angelus per simplicem apprehensionem subiecti cognoscit esse vel non esse,
sicut et nos componendo et dividendo. Nihil enim prohibet per simplex intelligere compositum, sicut per immateriale
cognoscitur materiale. Ex hoc autem in intellectu nostro componente potest provenire falsitas, in quantum iudicat
aliquid esse vel non esse. Unde in intellectu Daemonis potest esse falsitas, praecipue quantum ad ea quae excedunt
naturalem cognitionem.

XXVII
du tust.“ (Wittgenstein) – Z: Dann war die Sprache sein Engel. – W:
Mais il demanderait: Comment la langue peut-elle être un ange? – En-
suite, il doit y avoir des anges féminins.

Pleurer le désir. Es wäre eine wirkliche Leistung, wenn es der Mensch-
heit gelungen wäre, aus dem Instinkt der Angst ein Humanum zu
machen.

Die Tage fangen zu früh an. Die Nächte auch. Da sind wir hilflos.

Können wir uns in Ruhe unterhalten? – Wo, sagst du?

Um alles auszusprechen, darfst du nichts ansprechen. – Z: Das ist so
überzeugender als vice versa.

Feierabend der Bedeutung. - Du brauchst, sagst du, dieses oder jenes.
– Wie kommst du darauf, etwas zu brauchen, das es nicht gibt? Witt-
genstein hielte das für eine Beule. Oder einen Fliegen- oder Schmet-
terlingskadaver, tief in einem schon lange nicht mehr gereinigten Flie-
genglas. – Z: Einen verlassenen, wenn nicht gar totgesagten Zeichen-
garten, in dem die Sprache, samt ihrer Grammatik feiert.

Vielleich, sagt er, haben die Großen nie etwas anderes getan, als ihr
Begehren in die Welt hinaus zu weinen. Zuzutrauen wäre es ihnen. Es
gab ja keinen unter ihnen, der sentimental war. Die lautstärksten Trä-
nen sind die staubtrockenen.

Tatsachen seien jedenfalls sekundär, wenn auch unverzichtbar für die
Meinungsbildung.

Sätze sind Denkwegweiser. Sie sagen nichts über den Weg, seine Ge-
fahren oder seine Aussichten. – Z: Du musst ihn, wie die Propheten
sagen, erst gehen!

XXVIII
Zustand bedeutet für die Seele Gravitation. - Z: Das Zustandslose wäre
also das Schwerelose.

Warum also Erzählungen, wenn sie ihren Sinn verbergen wie eine
Darstellung der Verkündigung die Eschatologie?

Aber vielleicht, denkt wieder an Platos Höhle, sehen wir ja wirklich
nur Opakes, selbst wenn es uns blendet. Alle Verhältnisse sind einfach.
Diese Tatsache schützt sie. Wären sie nicht einfach, wären sie auch zu
regeln.

Estinguendo. - Dein Problem ist, dass du die Welt so zu beschreiben
versuchst, als hätte sie kein Modell. Eher so, als wärest du ihre Ma-
rionette. Es gibt keinen lobenswerteren Versuch. Aber Marionetten
schreiben nur in die Luft, was die Fäden ihnen diktieren. Als würde
die Welt dahinter sich darin auslöschen wollen. Modellhaft.



Schnee über Marathon. - Schränke bleiben entsetzlich jung. Und Sätze
sind Boten, die sich für die Verspätung oder die Abwesenheit anderer
entschuldigen.

Narren sind gezwungen, kräftig zu werden. - Damit ihre Körper, wenn
sie gerädert werden, den jeweiligen Schergen die Arbeit ordentlich
schwer machen: Die Rache der Narren. Mehr ist nicht drin.

Kleine, aber späte Hommage an Beckett. - Einem jeden Menschen soll-
te bei seiner Geburt unbürokratisch ein Mülleimer zugesprochen wer-
den. Er sollte ihn auch erhalten, um ihn sein Leben lang mit sich he-

XXIX
rumzutragen und im letzten Augenblick, jedenfalls aber rechtzeitig, in
ihn hineinzuspringen. - Dann kommt eh die Müllabfuhr.3

Schminkstifte stellen etwas heraus. Mehr können sie nicht, als heraus-
stellen, was unterstellt schien. Obgleich es nicht sichtbar war. Und
auch späterhin nur die Indizien kennt, die der Schminkstift hinter-
lassen hat.





Wer nicht begreift, kann ja nicht verstehen. (Thomas Bernhard)

Diese endlosen Absterbensnächte.. (Thomas Bernhard)
















3
Hommage petit mais tardif à Beckett. - Chaque homme devrait se voir attribuer une poubelle à la naissance sans
bureaucratie. Il devrait également le recevoir afin de pouvoir le transporter avec lui toute sa vie et au dernier moment,
au moins à temps, y entrer. - Ensuite vient la collecte des ordures quand même.

XXX
Eichkröten und Schildhörnchen (II)
II. Fortsetzung nie begonnener Stimmenimitate


Alle Kappen sind Narrenkappen. Alle Hüte sind Narrenhüte. Alle Mü-
tzen sind Narrenmützen. Mehr braucht es doch nicht. Wir beginnen
so, als hätten wir gar keinen Grund dazu. Wir sind noch klug.

Und nutzen es, dass bestimmte Nachrichten uns noch nicht erreicht
haben.

Es ist nichts Schlimmes an Geld und Macht, außer dass sie die Existenz
zu Kitsch degradieren.

„...erwirb es, um es zu besitzen!“ (bekannt, Goethe) - Jedes geistige Erbe,
dass wirklich erworben wurde, ist glasklar.

Vom Instinkt der Erkenntnis besessen. (Bulgakow). – Z: Das kommen-
tiere ich nicht.

Jemand hat mich, sagt er, gelobt, die Folge war frappant, ein fragiles
seelisches Wonnegefühl, unerklärlich. Unwillkürlich siehst du dich
verlegen um, ob -

Nichts wird so kalt gekocht, wie es gegessen wird.

Für Gedanken sind Auslassungen (omissions) die wichtigsten Präge-
stöcke.

Gedanken sind letztlich nur an ihrem Profil erkennbar. Ungefähr wie
Reifen. Und anders als Flammen, Wolken und Schwärme; die nur in
unzulässig arretierter Form Profil und Format zeigen.

XXXI
Immer, wenn du durchgehalten hast, fragst du dich, zurecht, warum
du nicht früher gegangen bist. Um dich deiner, rückwirkend, zu ver-
sichern.

Um das ganze Denken der Postmoderne zusammenzufassen: du
kommst immer um die Spur zu spät, der du dich verdankst.

Das Zimmern von Himmelsleitern verlangt ein überdurchschnittli-
ches fachliches Know-how.

Es gibt keine Rettung. Weil es keine Rettungsversuche mehr gibt.

Du solltest jeden Satz als das Bild eines Gedankens verstehen. - Dazu
brauchst du nicht erst Wittgenstein zu konsultieren. Du musst nur
verstehen, dass das, was du da tust, ein Verstehen ist. Lasst alle an-
deren Ideen vom Verstehen fahren.

Singen in einer Öffentlichkeit, die nicht zuhört.

Schneebar mit Graugänsen.

Argumente müssen das Heillose zerstückeln, um es zu sanieren.

Definiere das Wort gehen, und zwar sofort! - Z: Artikulation. Schaut
nur hin!

Ich war, sagte er beim Abschied, ein sehr offener und menschen-
freundlicher Mensch, hatte aber leider keine Chance, es zu zeigen.

Es ist die Unentscheidbarkeit, die das Denken in Bewegung hält. -
Denkt an das pendelnde Ohrenstäbchen.

Ihr habt eine lustige Art euch zu retten. (Kafka)

XXXII
Was einen Abschied dieser Art traurig macht, das ist das Prinzipielle.
Es ist wie ein Durchgriff in die Welt.

Jedes Fort, von dem du Kenntnis hast, ist ein Da. Dabei bleibt das Da
aber nur die Übersetzung eines Forts, das sich selbst, bleibend, in sein
Originalsein verhüllt und so in seinem Fortsein erhält. Freud sah da-
rin das Verfahren des Traums. - Z: So, wie du es dir denkst.

Gärten sind bisweilen ins Sichtbare gezogene, versetzte Phantasma-
gorien, die ihren Doppelsinn dabei aber nicht verlieren. Insofern
kannst du auch sagen, sie sind Phantasmen, die auf der Grenze stehen-
bleiben, also jedes ein Janus, Bewohner des hauchdünnen Raums
zwischen den zwei Welten des Hier und des Dort, die auf übermütige
Weise mit ihren Zeigefingern aufeinander zeigen und verweisen.

Ein Fangspiel der Zeichen im Raum- und Zeitlosen. Unendlich repro-
duktiv.

Ein Gartenbauer ist auch ein Analogon zu einem phantasierenden
Kind.

Sieh den Garten, auch, als ein Verweisspielplatz der probenden Phan-
tasie. Einen Spielplatz der Verweise. Hier verweist alles aufeinander,
teilt Verweise aus, und alles verweist sich auch vom Platz.

Wir bauen eine Welt des Denkens (aus dem Denken der Welt, soweit
wir es kennen).

Glücks-Fälle. - Wir gehen von dem sanften Irrtum aus, dass alles auf
seinen Platz gehört. Ein Platz wird aber immer zugewiesen, hat eine
Konsequenz für die Umgebung und war ja selbst eine Konsequenz der
Umgebung. Darin steckt das ganze Geheimnis des Gehörens. In der
Herausbildung von Nachbarschaften. Förderliche und andere.

XXXIII
Auch Fort und Da gehören einander wie Noch-nicht und Schon. Und so
weiter. – Z: „So oder ähnlich, der Teufel zu mir“4. -

Ich jause im Grünen. (Kafka)

Ja, in der Sprache, lieber Heidegger, versammelt sich die Welt, um zu
stammeln. - Z: Lallen ist Lust. Aber nur von unter dem Lichtbart5 her.

Warum, sagst du, ist Freud so unzeitgemäß? - Weil er die Einzelnen
noch ernst nimmt, und das können wir nicht mehr begreifen.

Alle Hermeneuten sollten, was sie leider aber gerne tun, nicht ver-
gessen, dass es praktisch nie zu entscheiden ist, in welchem Sinn ein
Dichter, ein Denker oder ein weniger normaler Mensch, ein Symbol,
das einen ganzen Schatz von Deutbarkeiten bereithält, meint oder
einsetzt.

Seekrankheit auf festem Lande. (Kafka)


Zwischenspiel: Gespensterweisen

Demiurg, multi tasking. - In die Architektur des Gartens geht ein, was
der Architekt ererbt hat, sich ihm aber nur in seinem Garten zeigt. Es
ist seltsam, dass der Architekt zum Geburtshelfer dessen werden
muss, was er geerbt hat, damit es da ist und sicher sichtbar wird. Selt-

4 Thomas Mann, Joseph und seine Brüder


5 Zur Erinnerung: Käme, / käme ein Mensch, / käme ein Mensch zur Welt, heute, mit / dem Lichtbart der / Patriarchen: er dürfte, / spräche

er von dieser / Zeit, er / dürfte / nur lallen und lallen, / immer-, immer- / zuzu. / / („Pallaksch. Pallaksch.“) - (Celan)

Venisse, / venisse un uomo, / venisse un uomo al mondo, oggi, con la barba di luce die /patriarchi: potrebbe, / se parlasse di questo / tempo,
potrebbe / solo / balbettare e balbettare, / continua-, continua- / mentemente. / / (“Pallaksch. Pallaksch.”)

Should, / should a man, / should a man come into the world, today, with / the shining / beard of the / patriarchs: he could / if he spoke of
this / time, he / could / only babble and babble / over, over / againagain. / / (“Pallaksh. Pallaksh.”)

Si v enait, / si v enait un ho mme, / si venait un ho mme au mo nde aujo ur d’hui, av ec / la bar be de lumièr e des / Patr iar-
c hes : il po urr ait, / s’il parlait de c e / temps, il / po urr ait /seulement br edo uiller et br edo uiller / to ujo ur s, r ebr edo u-
iller to u- / jo ur s, -jour s / / ( “Pallaksc h, Pallaksc h.”)

XXXIV
sam, dass der Architekt her- und darstellen muss, was in seinen Schoß
gefallen war, um sich dessen und seiner selbst, sicher zu sein, oder
wie man einmal sagte, wenigsten sicher dünken zu können. Vielleicht
kommt es daher, dass der Architekt glaubt, oder wie man früher ein-
mal sagte, wähnt, dass seine fertiggestellten Gebäude ausgewachsene
Pflanzen seien, deren Samen er nur in die Erde gelegt hat, um ihr den
Regeln gemäßes Wachstum beobachten zu können. Daher sieht sein,
zum Teil doch durchaus steinerner Garten wie ein in ein Gewächshaus
gepackter Dschungel aus. In dem alles Gerade geradezu verboten zu
sein scheint, oder nur dazu erlaubt und da, um die Regel zu bestätigen:
das Krumme, das Gebeugte, das Hypertrophe, das Verkrüppelte, das
Freie. Eben die noch nicht geschienten Glieder der Welt. Alles in allem,
ein seltsamer Maieut, unser Architekt. Ein paradoxer Demiurg. Ein
Demiurg ex nihilo. Ein deformierter Professioneller, der darstellen
muss, um sich seiner sicher zu sein. Wenigstens als eines Gespensts:
ich (Gespenst) bin, glasklar, ein Gespenst (ich). Ein Ding, noch sonder-
barer als die Zeit. Und nicht schwächer als Granit.

Geständnisse wären am klarsten, wenn man sie widerriefe. (Kafka)

Das Urbild des Gespensts ist der Azur. Das kannst du schon bei Mal-
larmé lesen.

Ein sehr epigonales Zaubermärchen nach Lacan. - Du bist nicht nur
besessen, das wäre nicht so schlimm, du bist von dir besessen, der zu
besitzen glaubt, was auch immer, darauf kommt es dir nicht an, aber
von dem, das du umarmst, dir an die Brust ziehst, das du herzt, be-
sessen von deinem von dir selbst erfüllten schweren Vakuum. Du bist
ein wunderlicher Magier, der sich, das Kaninchen, aus sich, dem Hut,
zieht, aber ganz ohne Zauberstab. Weil Deine Hand zu schwach ist,
einen Zauberstab zu halten, zu führen oder gar zauberisch zu schwin-
gen. Später, wenn du ihn halten könntest, kannst du nicht mehr zau-
bern. Willst es auch gar nicht mehr, willst es nicht einmal mehr kön-
nen.

XXXV
Warum ist alles so schlecht gebaut? (Kafka)

Sich selbst etwas anzumerken oder gar anzusehen, ist unmöglich. Und
wenn du dir doch einmal etwas ansiehst, bleibt es unentscheidbar,
was es ist.

Irgendetwas am Leben ist immer unüblich.

Triumph der Evolution. - Geißeltierchen: Es geht darum, den Magen zu
füllen. – Menschen: Es geht darum, den Magen zu füllen.

Du musst akzeptieren, dass die Dinge für dich verloren sind, dann hast
du vielleicht noch ein paar geschmäcklerische Tage und lernst den
Seelen der Golfer nachzutrauern. - Z: Und das soll ich verstehen? –
Verstehst du es etwas nicht? –

Nächstenliebe. - Mittäter-Exzess.

Z: Wenn sich überall, meine Lieben, ein Paradox verbirgt, dann arbei-
tet doch auch im Inneren des Eigentlichen das Uneigentliche - und vor
allem auch umgekehrt?!

Die deutlichsten Spuren sind immer die des Nichtgewesenen, sagte er
zu sich, beim Blick in den Spiegel.

Gespenster zeugen vom Geheimnis ihrer Entstehung. (V. Mazin)

La garde absente. - Das Fatalste an den Blicken, die uns überwachen,
ist ja nur, dass wir sie nicht sehen, deswegen kann man uns mit Über-
wachungsattrappen so spielend leicht täuschen. – Z: Wir können uns
nicht mehr denken, dass da kein Wächter ist.

XXXVI


Wir wissen nur, dass unsere Blicke uns vorausgehen, uns gleichsam
vorweg sind. - Als die uns unsichtbaren Gespenster unserer eigenen
zukünftigen Blicke. - Z: Lacan sei Dank! Der unermüdlichen Gedan-
ken-Hebamme!

Oft ist die Beziehung, die zwischen zwei Relata ja herrschen soll, nichts
als eine Kaskade von Kategorienfehlern.

Jede Logik versucht nur zu sortieren, auf ihrer Suche nach Kriterien.
Dabei wird sie ziemlich alleingelassen. Wird sie und ist sie und bleibt
sie. - Z: Warum sollte es ihr besser gehen als allen anderen Einbil-
dungskräften?!

Es ist zwar selbst neurotisch, aber auch erschütternd klarsichtig,
wenn Freud darauf hinweist, wie oft wir mit ‚neurotischer‘ Währung
zahlen, besser: heimzahlen. - Z: Vor allem Schuld kann gar nicht an-
ders heimgezahlt werden. - Also nicht. -

Keine Antwort kann eine Frage bezahlen. Dass sie etwas heimzahlt,
das ist allerdings denkbar.

Das so genannte Ausrufezeichen ist nur die gestreckte Form eines
Fragezeichens. Das will was heißen.

Jeder bewusste Lebensaugenblick ist eine Spektral-Synthese. Denkt
darüber nach, wie das geschehen kann, so in der Retorte ihrer selbst.

Das Aktuelle ist die Reserve des Unerwartbaren. - - - Z: Manche Sätze
dürfen einfach einfach sein.

XXXVII
Insofern jede Kommunikation auch eine Entscheidung beinhaltet, lädt
sie die Zukunft nicht ein, sondern lädt und sperrt sie aus. – Z: Der
Engel der Zukunft darf bis an den Hauseingang kommen, aber keinen
Schritt weiter -

Aktualitäten sind gespenstische Mauern, und ich kann euch nicht sa-
gen, wie es uns gelingt, immer wieder hindurchzugehen. - Z: Vielleicht,
weil wir sie als Gespenster nehmen, ohne es zu erkennen, d.h. ohne
sie als solche zu erkennen. – Es kann aber auch sein, dass wir selbst
Gespenster sind, die keine Probleme mit Mauern haben, welcher Art
auch immer. – Z: Einer der unveräußerlichen Vorteile, ein Gespenst
zu sein, ist es also, durch Gespenster-Mauern gehen zu können, ohne
es zu merken. Was freilich auch schade ist.

Abschiede sind die besten Gelegenheiten, zu sich selbst in Beziehung
zu treten und das zu ontologisieren, was du nicht zustande gebracht
hast. Das Ungetane hat mehr Gewicht als das Getane. Daher kann dich
das Getane nicht erdrücken. Es ist viel zu leicht; muss ich ergänzen:
für die Seele?

Nur was nie war, hat die Chance, zu einem Überrest zu werden, der
bleibt. Ihr seht, ich rede nicht über das, was zu machen ist, sondern
über das, was zu verstehen und zu ertragen ist. Das Herz der Finster-
nis, d.h. das Herz der Welt. Ich rede nur über das, was du sezieren
solltest, bevor du stirbst. Das Leben ist die Autopsie des Todes.

Eine Rechnung wird ausgestellt, eine Quittung verpasst. Von einem
Kellner ignoriert zu werden, das ist Glück.

Liebe ist die Achtung vor ihrer Unmöglichkeit. Gibt es eine größere,
d.h. abgründigere Neigung zum und Huldigung ans Abwesende? Und
welches Abwesende könnte dem widerstehen? Und was könnte die
Achtung sich selbst Besseres antun!

XXXVIII
Bedeutung hat nur, was über den Zustand des Jeweiligen hinausgeht.
- Z: Das glaubt keiner mehr, ist aber wahr.

Was definiert die Welt? - Die hilflose Trauer des So-Seins.

Z: Deutscher ohne Migrationshintergrund. Eine verlorene Existenz.

Wodurch wird das Leben endgültig definiert? - Es hätte sein können.

All die akuten Bilder sind Lügen. Auch wenn sie unzählbar sind.

Klar, wem der Tod egal ist, dem ist alles egal. Und ihr seid Kinder. Ihr
bildet euch etwas ein. Am Tod erfolgreich vorbei.

Denn wenn du bereit bist zu sterben, für nichts, ist alles gut. Die
Details gelten nichts.

Es ist. Alles in den Händen der anderen. Die Grenze der Philosophie.

Er sagte über sich, er sei doch nur ein Bagatellschaden der Schöpfung.

Wir brauchen jetzt nur noch ein nices framing für das Genderstern-
chen.

Er sagte, manchmal sei er sich selbst gespenstisch, vor allem dann,
wenn er sich beim Weinen ertappte.

Bedeutung ist der Schleier, den du den Dingen überwerfen musst, um
sie greifbar zu machen.

Es wäre gut, innig gefühllos zu sein.

A: Vielleicht ist das zu kurz gesagt, aber: im Sehen inkorporiert sich
der Unwille, nichts zu sehen. - Z: Ich sehe, du willst nicht nichts sehen,
und die Folge, gleichsam das Resultat der Leugnung, resp. der Ver-
XXXIX
leugung des Nichtsehens ist das Sehen. Aber das ist doch genau die
Art, wie eine gewisse Psychoanalyse die Genese eines Fetischs be-
schreibt. - A: Dann ist das Sehen halt ein Fetisch. - Z: Und stets will-
kommen im Klub der Gespenster!

O(?): Übrigens, wenn Freud auch hiermit recht hat, verrät mein Name,
Peter, dass ich ein Doppelgespenst meiner Großväter bin, die ich nie
gesehen habe. Ich hätte sie bei den Asphodelen besuchen müssen. Ich
wusste aber nicht, wo das ist und wie das geht. - Z: Wahrscheinlich
wolltest du nicht.

Jede Hantise ist auch eine Sottise – und umgekehrt..

Nachtrag: Der Azur verfolgt mit seiner Blankheit. Armer Mallarmé.


αποστήματα

Zustände eines Spazier- und Papiergängers
im Flachsland (30. Jänner)

Erdschaukel im Schongang
Bewusstseinsschwemme
unter Vermäntelung schöner Worte
Kesselfang und beim Tauziehen
eingeholte Gedankenblasen

Hermes macht noch seine Runde
auf der Ideentitanic
die Überwächter geben sich Mühe
auffälliger nicht aufzufallen
und doch fallen aus allen Wolken

die Bälle der Betriebsamkeit
und der Erdball dreht sich mit

XL
Ginster bepflanzt im Schongang
und bedeckt seine schwarzen
Wundenlöcher mit der Zunge

mit der Sintflut aus seiner
Sprachröhre mit der aufgeriebenen
Flut der Deserteure der in
der Sand- und Wasserprobe
verdursteten Wüstenflüchtlinge

Schwären
altes Wort das nicht aufgibt
uns zu begleiten
ein Tupfer aus Granitwatte
leichter werden schwerer sein

Die Sexte aber bleibt aus
es besteht kein Bedarf
an Trug- und Halbschlüssen
der Untergang geht
immer aufs Ganze


Er fühle sich neuerdings wie ein mit Trauer getränkter Schwamm. Das
verleihe ihm Halt.

W: Ich, sagt er, gehe lieber denselben Weg immer anders als immer
andere Wege auf die immer gleiche Weise. - Z: Ein erfreulich koketter
Denker!

Keine Wahrheit lässt sich auf sich selbst reduzieren. Versuch es, und
du hast ein Waisenkind vor Augen.

Mensonge épuisé. - Freilich ist auch nichts daran zu ändern, dass
Wahrheit stets eine Gestalt der Erschöpfung ist.
XLI

Alle diese Erkenntnisse müssen – schon aus Rücksicht - an Praktikern
und Amtsmächtigen vorbeigehen; oder vorbeigetragen werden.

Die „wegbahnende Arbeit der Spur, die ihren Weg nicht durchläuft,
sondern hervorbringt.“ (Derrida)

Mein automatischer Korrektor, ein Gespenst ganz eigener Art, ver-
wandelt ‚Derrida‘ zu ‚Dereinst‘.

Auch der Modus des Gespenstseins wandelt sich auf gespenstische
Weise.

Konkretes. - Es kann der Beste nicht in Strümpfen gehen, wenn es dem
bösen Nachbarn nicht gefällt. – Und es kann die Beste sich nicht ihrer
Einkäufe erfreuen, wenn der böse Nachbar sie ihr wegschnappt.

Er, sagte er, kam mir vor wie ein Quasimodo der Beseeltheit.

In manchen gotischen Kathedralen überkommt mich, sagt er, das gute
Gefühl, von Leichtigkeit übermannt zu werden. Vom doch so über-
triebenen Gewicht der Schmetterlinge.

Keramisches Leben, Schleifspur seiner selbst. Fast zu unbedenklich
im Schatten und in der Scham der eigenen Gegenwart. Als könnte es
sein Altertum, das von jetzt grade oder einigen Spurenelementen da-
nach, einfordern, als Indiz, dass es sich einrichten kann in einer ein-
ladenden Form, die endlos auf sich warten lässt, als sei sie ihrer Ge-
burt nicht sicher, aber auch ihr einziger Wetteinsatz ist, solang es ihr
um sich selbst geht. Perpetuum immobile. Geräuschlos und unüber-
hörbar, wie es seine Art bleiben wird. - Z: Vielleicht wäre ja auch hier
die Liebe die Lösung. Wie so oft auch vorher schon nicht. Übt euch
einfach in der Beschreibung von Notstromaggregaten, das hilft euch
zu Schnecken zu werden und euch an euch zu reiben, bis sich eure
Schneckenhäuser aneinander entzünden. Jedem Kommunikations-
XLII
versuch sei das gegönnt. Frühlingsfeste der Ambivalenz. Ganz sicher.
Die Zungen sprechen nicht mehr. Aber sie lecken. An den Backen der
anderen, - als könnte das noch besser werden. - Du willst die Welt
treffen? - Rede an ihr vorbei! Oder stich Ihr gelbe Tulpen ins Herz.

Unter Menschen beginnt das Inhumane, wenn Intuitionen zu Institu-
tionen werden.

In so ganz normalen Sätzen, wie sie gut redigierte Aufsätze auszeich-
nen, kann man sich heute eigentlich nicht mehr ausdrücken; aber wir
stehen unter Einfluss und Beobachtung. Und sind Verlockungen aus-
gesetzt. Und genießen das Klatschen des Fußvolks. Und im Augenblick
zu leben, das heißt nicht, in der Zeit zu leben.

Und im Augenblick zu leben, das heißt, nicht in der Zeit zu leben.

Und Sätze setzen, nein, säen Aussatz aus. Aus vollen Händen.

X: Es ist ein Irrtum, Zeit zu haben.
















XLIII
Eichkröten und Schildhörnchen (III)


...sie klassifizieren Wolken nach ihrer Gestalt

(Wittgenstein)






Y: Denkt besser ans Denken, denkt es aus. Dann folgt auch die Zeit.
Wie ein Putzdienst. - Nennt es service of time. – Z: Die Gärtner nannten
den Februar Schmelz- oder Taumond.

Das Leben ist ein Kompensationstraum. - Z: Aber für welches Wa-
chen? -

Diesen Traum, sagt er, hat er schon vor fünfzig Jahren geträumt: ich
stieg in einen Fluss, es gab nur ihn und seine Ufer, der genau in seiner
Mitte längs durch eine feine Naht zusammengenäht zu sein schien.
Merkwürdig aber war, dass gerade und nur diese Naht es dem Fluss
ermöglichte, zu gleicher Zeit in zwei Richtungen zu fließen. Das konn-
te ich an der Bewegung der Wellen erkennen. Sie bewegten sich
diesseits und jenseits der Naht jeweils in entgegengesetztem Sinn. Mit
XLIV
jedem Schritt, tiefer in den Fluss, fühlte ich mich glücklicher. Die an-
deren Menschen, die an den beiden Ufern des Flusses standen, folgten
mir nach oder kamen mir in diesem seltsamen Gewässer entgegen.
Wir ließen uns treiben. Wir trieben in den langsamen Wirbeln und,
das sehe ich noch deutlich, lächelten einander an. Ich erinnere mich
seither daran, ich muss es so sagen, wie an den beseligendsten Augen-
blick meines Lebens. Weil er wirklich stattgefunden hat. In diesem
Fluss mit Ufern, irgendwo im Leeren. Zumindest war nichts anderes
zu sehen.

Bewusst, planmäßig und schön. - Merkwürdig, dass wir das Schöne,
was es auch sein mag, und bevor wir es benennen, mit dem Bewussten
und Planmäßigen zusammendenken können. Wir haben vergessen,
dass das nicht selbstverständlich ist, was uns, im Gegenzug, erleich-
tert, unbekümmerter zu gestalten, etwa einen Garten. - Z: Aber der
Blick für das Gestaltete muss gelernt sein. Er lernt sich nicht leicht.
Beim Gestalten schon gar nicht.

Gestalten zu können, das heißt - noch lange nicht - , Gestalten sehen
zu können.

Jemanden vergöttern, das heißt, zunächst einmal, etwas von ihm zu
erwarten. - Z: Auch das ein do ut des: Was gibst du mir, wenn ich dich
vergöttere?

Was folgt denn im Windschatten einer Gunst?

Es wird dabei geblieben sein: Das Herzstück einer Gabe ist das Offene.
- Z: Weil das aber meistens schon jetzt nicht mehr so ist, habt ihr die
Verpackung erfunden. Lasst sie also besser verschlossen oder, wenn
ihr ganz vorsichtig sein wollt, versiegelt. Das Offene kann nur unter
Verschluss entfristet werden.

Denken bedeutet auch, und nicht nur quasi, das Unmögliche auszu-
füllen.
XLV

Das prothetische Denken gebührt nur den Menschen. Tiere und Göt-
ter benötigen es nicht, denn sie brauchen ja den Mangel an Allwissen-
heit oder Instinkt nicht zu ersetzen.

X: Also ist auch jedes Denken ein Kompensationsdenken. - Z: Aber für
was, überhaupt? Und wie könnten wir das, überhaupt, entscheiden?
Kann es, ontologisch gefragt, prothetische Entscheidungen denn ge-
ben? Prothetisches Wissen? Prothetische Erkenntnis? Prothetische
Wahrheit? Und, wenn ja, in welchem Sinn denn? - Y: Das ist doch leicht
zu beantworten: nur im Sinn des Gespenstischen, gleichsam dem
Nährgespinst unseres Urvertrauens. – Z: Sinn, sagt Husserl, ist „das
Gemeinsame der Richtung auf den Gegenstand.“6 – Kein Wunder, dass
er so selten zustande kommt. Er verlangt zu viel.

Unsere Erkenntnis kann letztlich nur eine ersetzende Ergänzung des
Unverfügbaren sein. - Z: Das ja leider auch nicht verführbar ist. - X:
Lernst du etwa immer noch dazu? - Z: Ja, ich bleibe alert. Denn nur
„Gespenster sind unsterblich“ (V. Mazin). Und jede Wiederholung
wiederholt auf eine einmalige Weise. Muss das noch einmal betont
werden? - Y: Lieber nicht. Das würde uns gewiss nicht genügen. Du
weißt, auch noch einmal ist immer noch keinmal.

Die Wiederholung will nur eines: das Original unmöglich machen,
auch im umgangssprachlichen Sinn, so wie eine Kopie ihr Original
frisst. - Z: Sind also Digestion und Impossibilisierung so ziemlich
dasselbe? Ich hoffe, mich nicht zu wiederholen.

Macht die Auflösung eines Falls, eines Problems, oder eines Lebens,
das Leben, das Problem, den Fall zunichte und ungeschehen? Oder
kann Auflösung auch Transformation sein, die andere Art der Erhal-
tung qua Verlöschen, der einige den Decknamen Transzendenz geben.

6
Vgl. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, HUA XXXVIII: 18

XLVI
Wohin, dachte Wittgenstein, verschwindet ein Problem? Jedenfalls
schrieb er, dass es nur verschwinden und nicht gelöst werden kann.
Schwebte ihm vielleicht ein Nirvana der Probleme vor? - Z: Das würde
zu ihm passen.

Nichts ist doch wichtiger, als die Bildung von fiktiven Begriffen, die
uns die unseren erst verstehen lehren. (Wittgenstein)

Wittgenstein erfuhr das ähnlich, sagte es aber erheblich anders: „Fast
möchte ich sagen: Man fühlt die Trauer so wenig im Körper, wie das
Sehen im Auge.“

Zur Verstellung gehört auch, daß man Verstellung beim andern für
möglich halte. (Wittgenstein)

Ich, sagt er wieder, halte es für sinnlos, über Philosophen so zu philo-
sophieren, wie Philosophen es tun.

Es ist ja gerade die Allverwandtschaft der Gedanken, die es dem Den-
ken so schwer und bitter macht.

Etwa: Er ging in den Wald und dachte bitterlich.

Dennoch denke ich, es ist nicht zu leugnen, dass jeder Gedanke ver-
ewigen, wenigstens aber versteinern möchte. Medusisch. - Z: Aber
nicht grundsätzlich oder der Reihe nach, eher zufällig oder schicksal-
und sprunghaft.

Gott hält, habe ich gehört, sagt er, den Satz „Ich möchte auch gern ein-
mal Schicksal spielen!“, von Menschen gesprochen, für den blasphe-
mischsten, den er sich denken könne.

Es gibt Gedanken, sagt er, die ihn aufbringen könnten.

Bestimmten Denkern dient das Denken als eine Art der Narkolepsie.
XLVII

Alle Mythen beginnen mit einer Selbstimitation. Und bleiben dabei.

Unsere archaischen Erbschaften (Freud): Wir wollen sie und wollen
sie nicht, wir brauchen sie und wollen und können sie auch nicht
brauchen, wir nehmen sie an und wehren sie ab, wir eigenen sie uns
unter Protest an, wir überlassen uns ihnen, voller Abscheu. Es geht
uns auch da, wie es uns mit allen unserem Gespenstern geht. Wir tan-
zen mit ihnen auf der Schneide der Gegensinnigkeit. Auf der Naht von
Greifbarkeit und Ungreifbarkeit.



Störungen sind Übersetzungsfehler; Strickfehler, Webfehler, Schürz-
fehler beim Verknoten des allseitig spiegelnden Möbiusbandes.

Es ist das Reale, das die Störungen schafft, und die Störungen schaffen
das entgangene Reale, kokreszent: Serien von gordischen Knoten, die
sich zwar selbst lösen könnten, dies aber nicht als ihre Aufgabe an-
sehen.

Immer sind es das Reale und seine Verstörtheit, das Unbewusste und
die Welt, die den einzigen Unterschied noch machen, sich einander zu
ersetzen. In ihrer unbekümmerten Art, sich nichts anderes einfallen
zu lassen. –

Paranoischer Ordnungszwang des Zerfalls. Wenn die borromäischen
Ringe auseinandergleiten, beginnt die Zeit der Jongleure. –

XLVIII

Bei den Wahnerkrankungen (der Paranoia) ist die Systembildung das
Sinnfälligste. (Freud)

Im Tod „schürzt“ sich „das Leben als eine Schleife“, am „Schürzungs-
punkt der Schleife“ ist ein „Spiegel“: „Wir treten aus ihm hervor und
gehen wieder in ihn ein.“ (Ernst Jünger(!))

Indem wir die Verstörungen zählen, beten wir die Welt vor uns hin.
Wir schürzen der Gottheit lebendige Schleifen. Wir schürzen und
schürzen. Als könnte etwas aufkommen. – Z: Du solltest nicht so
unbedingt annehmen, die Dinge seien. Sie sind ja.

Auch der Zerfall, vor allem der, ereignet sich im Kampf mit sich selbst.
Der Prozess der Heimtücke. Unhemmbar. Es ist ein Auf-sich-Zulaufen
in der Gestalt des Entkommens. Ein Entkommen in der Gestalt des
Umklammerns.

In der Zeitenfolge steigern die Bedingungen ihre Qualität, auf unglei-
che Weise. Sie verlieren ihre Egalität. Unumkehrbar. Wie Berge wach-
sen, oder einstürzen. Und dazwischen: Scheinstillstand.

(Hier: Voraussichtliches Ende der explizierten Gespensterweisen)


Zerbrich das Faß,
doch hab acht auf den Wein!

(Jüdisches Sprichwort)


Perseveration und Transport. – Wenn der Grübelzwang dich im Griff
hat, kannst du dich nur noch mittragen lassen. – Z: Was doch eine
durchaus komfortable Fortbewegungsart ist.

XLIX
Z: (wieder ergänzend) Der Grübelzwang ist ohnehin der allerver-
dienstvollste Vollzugsgehilfe der Verdrängung.

Wenn wir das Leben psychoanalytisch deuten, tun wir dann nicht so,
als würden die Menschen sich im Dauerschlaf befinden?

Schlafstörung nennen wir ja auch das, was den Schlaf im Schlaf zu stö-
ren versucht, ihn zum Erwachen drängen möchte. In diesem Sinne
sollten wir jenen gewissen Zug zur Transzendenz Wachstörung nen-
nen.

Mit der Geburt [...] ist ein Schlaftrieb entstanden. (Freud)

Das Leben ein Traum(a). - A: Der Traum ist auch entstellte Wachheit.
– O: Das Wachleben ist auch ein entstelltes Träumen. – A: Ihr seht: wir
haben sehr einfache Überzeugungen. – O: Und wir lieben den Traum,
weil er so hinreißend spielerisch leicht setzt, verschiebt, d.h. genauso
unbehindert jongliert, wie er es außerhalb von Zeit und Raum eben
kann und soll. – A: Und so das Ich energisch webt, wie Freud – ähnlich
oder ungefähr - sagt. – O: Mit Sicherheit lässt sich also nur behaupten,
dass die Existenz, also das, was wir lieber das Dasein und das Gefühl
davon nennen sollten, ein Kompromiss ist.

Laienhafte Laienanalyse. - Ich, sagte er, verschreibe mich immer wie-
der, wider besseres Wissen. Mit Vorliebe schreibe ich Siegmund statt
Sigmund. Das kann doch nur heißen: ich fühle, dass Freuds Mund,
seine Worte mich besiegt oder betört haben.

Intensive Allgemeinhemmung. (Freud) – Nicht doch ein Kofferbegriff
für die Existenz?

Das Denken verklebt die Wörter mit dem stummen Abyssos. Und der
Abgrund dankt ihm mit dem Geschenk seiner Unauslotbarkeit, die
nun an jedem Wort hängt, als eingeschlossene kalte Unendlichkeit.

L
Es geht nur, wenn du aufhörst. - Auch das eine seltsame Redeweise. –
Z: Nicht seltsamer als Tot-Sein.

Hic Archimedischer Punkt. - Hic salta!

X: Es kommt mir so vor, als ginge es dahin. – Y: Seltsamer kann es nicht
gehen. – Z: Und doch kommt es stets in Frage.

Als würde die Sprache mir ein paar alte Münzen in die Hand geben;
mit denen ich ein Spiel treibe, aber nicht meines.

Ich merke gerade, dass meine Erinnerung an meine Großmutter, eine
geborene Ziegenbein, vor allem anderen eine Art Borromäischer Kno-
ten, eine verknotete Trinität ist, aus drei Elementen sehr verschie-
dener Art: 1. dem Tipp, den Geschmack des Kaffees zu verbessern,
indem man, vor dem so genannten Überbrühen, auf das Kaffeepulver
eine Messerspitze Salz streut, 2. der befehlsartigen Aussage: „Ein
Deutscher friert nicht!“ und 3. der Erinnerung an ihren nur wahn-
sinnig zu nennenden Blick, mit dem sie auf der Holztreppe stand und
mich, als ich aus dem Krankenhaus kam, wo in der Nacht vorher
meine Mutter gestorben war, in ihrem Mainzer Dialekt fragte, Iss es
dood? – In meinem Dachzimmer wartete wirklich ein schwarzer, recht
großer Schmetterling auf meinem Schreibtisch. Er schien mir nur
darauf zu warten, dass ich ihn frei- oder losließe. Ich öffnete dienst-
ertig das ins Dach gebaute Klappfenster und der Schmetterling flog
schnurstracks und grußlos ins Freie. – Das war am 1. November 1977,
gegen Mittag. - Z: Und was ist daran jetzt symbolisch, was imaginär
und was real?

Gedächtnis-Regime. - Niederschmetternd die Vorstellung, dass je-
mand oder dass etwas will oder gar bestimmt, dass wir uns erinnern.
Dann wären nämlich alle unsere Erinnerungen Marionetten einer
Korruption. Und wir selbst sowieso, als part and parcel.

LI
Corruption et duvets. - Ein parcel, sagt mein Autokorrektor, ist ein
Parvenü. - Da hat er wohl recht. Ein Parvenü, der uns die Korruption
einschleppt, kredenzt auf einem Brokatkissen, einer almohada de
brocado, um ihr wenigstens klanglich näher zu kommen. Und wir
greifen so wacklig wie Marionetten es tun müssen – und mit hölzer-
nen Scheinaugen scheinbar blickend - mit unseren hölzernen zittern-
den Scheinarmen fast wie Dürstende danach. Wir wissen nicht, was
wir tun. Aber zum Gehorchen bedarf es keiner Überlegungen. Das
macht uns unser Nichtsein so leicht, daunenfederleicht. – Z: Das Nicht-
sein ist ja das Leichteste am Sein. Ganz ohne und oder oder.

Thrill. - Mir fiel dann noch ergänzend ein, dass ich meine Großmutter
manchmal bat, mir „Rotkäppchen“ vorzuspielen. Sie tat das gerne,
aber spielte dann nicht die Großmutter, die sie ja war, vor, sondern
den Wolf, der die Großmutter verzehrt hatte. Sie konnte mir das
Wolfsgesicht sozusagen unverwechselbar vor die Augen bringen. Im
Grunde war sie dann der Wolf, der die Existenz seines Maules - mit
den Worten des Märchens – plausibilisierte: dass er mich damit besser
fressen könne. Ihre ganze Erscheinung war dann nur wölfische Wild-
heit, in Blick, Stimme und Gebärde. Und wenn sie einmal so weit war,
wollte und konnte sie nicht mehr aufhören, sodass es mir unheimlich
wurde und meine Angst, gefressen zu werden, mir echt und vernünf-
tig vorkam. Ich weiß nicht mehr, wie ich den Wolf, meine Großmutter,
zu beruhigen versuchte. Ein letztes Vertrauen, die Szene zu überleben,
war mir wohl geblieben. Als sie sich dann endlich in die gefressene
Großmutter zurückverwandelte, war ich erschöpft und fühlte mich
meinerseits wie aufgezehrt. Aber ich habe sie trotzdem immer wieder
gebeten, mir „Rotkäppchen“ vorzuspielen.

Wir sind anscheinend lieber „da“ als „fort“, und scheuen weder Kosten
noch Mühen. – Z: Also auch das ein ökonomisches Syndrom.

Jetzt komme ich endlich dazu. Der Vater meiner Mutter war wohl
ziemlich begabt. Eine Vollwaise. Angeblich wuchs er in einer Familie
mit vierzehn Töchtern auf, die jünger waren als er. Was zur Folge
LII
hatte, dass er erst mit fünfzehn oder sechzehn Jahren seine erste Hose
erhielt. Vorher musste er die Röcke der Mädchen auftragen. Vielleicht
hat ihn das zu einem Autodidakten gemacht. Eine seiner Begabungen
war die Mathematik. Eine andere die Musik. Ich konnte es nicht he-
rausfinden, wie er es geschafft hat, aber er brachte es zum Elektro-
meister, der überdurchschnittlich gut Geige und Trompete spielen
konnte. Er gründete eine Band, die man, wie es heißt, oft im lokalen
Radio hören konnte. Irgendwann wurde die Vollwaise verantwortlich
für das erfolgreiche Funktionieren der gesamten Elektrik der damals
sehr renommierten Mainzer Aktienbierbrauerei. In dem Gebäude, in
dem einmal Peter Cornelius geboren worden war, und mein Groß-
vater sterben sollte. - Unter so genanntem Kriegseinfluss war eine Ma-
schine unbrauchbar geworden und musste repariert werden. Eine
Aufgabe meines Großvaters war es, in Briefumschlägen, den Monats-
lohn an die ihm zugeordneten Arbeiter zu zahlen. An diesem ersten
Tag eines Monats war er, sagen wir, zu aufgeregt. Die reparierte Ma-
schine sollte wieder angefahren und in Betrieb genommen werden:
Ihr kriegt euer Geld gleich! – Als er den Maschinenraum betrat, riss
eine Eisenkette der wieder hergestellten Maschine und zertrümmerte
den Schädel meines Großvaters. Vergleichbares ist oft passiert. Aber,
erlauben Sie mir, das Außerordentliche meines Falles liegt, ich glaube,
es so sagen zu dürfen, weil heute wieder ein schneereicher Tag ist,
darin, dass die hilflosen Zeugen der Szene die Frau meines Großvaters,
Ziska, und seine fünfzehnjährige Tochter, Minni, wie sie genannt wur-
de, meine spätere Mutter, herbei- und hinzuriefen. Deswegen war
auch ich, in gewisser Weise, dabei gewesen. Ich habe es gelernt, die
Situation durch die Augen meiner Mutter zu sehen. Ich war mitten in
ihren Augen dabei. Sie hat es mir beigebracht: Ihr Vater lebte noch
und, wie sie es mir tausendfach erzählt hat, bei jedem Herzschlag
schoss eine Blutfontäne aus seinem zerbrochenen Kopf. – Auch das
kommt vor, ist vielleicht sogar normal. Aber dass meine Mutter mich
nicht als ihren Sohn, sondern als eine Wiedergeburt ihres so tragisch
zu Tode gekommenen Vaters, den sie sich als Liebhaber wünschte,
sah, das hat mein Leben geprägt. Und mir meinen Namen gegeben.

LIII
Einmal sagte er auch, die Zeit vergeht nicht gut.

Ein Hund, nicht einmal halb so hoch wie der Schnee, trippelt durch
den Park.

Ich erinnere mich auch, dass es ein, das einzige, Foto meines Groß-
vaters gab, das auf einer monströsen Kommode im Zimmer meiner
Großmutter stand, in einem schmalen Silberrahmen. Ich schaute es
mir oft an. Dieser Peter sah mir wirklich gespenstisch ähnlich. Ich er-
schrak immer wieder, wenn ich mir in seinem Gesicht in meine Augen
sah. So klein sie auch waren. – Die ursprünglichen elegant gebogenen
Glasscheiben an den Seiten des Aufsatzes der Kommode waren bei ei-
nem Bombenangriff auf Mainz zerbrochen und ungeschickt durch
schmale Glasscheiben ersetzt worden, die so breit waren, dass sie
locker und unbehaglich in die gekurvten Holzschienen eingesetzt
werden konnten. Gerade diese schmalen Glasscheiben ließen die
Kommode noch monströser erscheinen. Sie schienen mir die Welt um
sie völlig unmotiviert zu spiegeln. Sie schielten in die Welt.
Interesselos. Das Foto meines Großvaters stellten sie immer genau
vor diese schmalen, unglücklich eingepassten Fensterglasscheiben;
deren Ränder übrigens sehr grob und für die Finger, die sie hin und
wieder zurrechtrücken mussten, gefährlich.

Das Zimmer meiner Großmutter, das mit der monströsen Kommode,
war auch das einzige, wenig genutzte, Fernsehzimmer im Hause. Un-
zählige Male saß ich allein vor diesem damals noch sehr knausrigen
Fenster zur Welt und reagierte nicht auf die Stimme meines Vaters im
Parterre, ich solle doch endlich zum Abendessen kommen. – Herun-
terkommen.

Dem Denken sagt er, einem jedweden Denken kann es ja nur um die
Analyse von Selbstwahrnehmungskomplexen des Seins gehen. – Z:
Welche anderen Objekte könnte es denn sonst auch noch haben?,

LIV
Illustrateurs sonores. - Die Trompeten von Jericho. Rameau hätte ih-
nen die Spiel-Anweisung doux gegeben.



Trotzdem ist es das Beste, sich im Unklaren zu bleiben. - Z: Besser
noch: zu lassen. Solange man angenehme Konsequenzen erwartet.

Du fühlst dich nur dann gelassen, wenn du aufgegeben hast. Aber
vielleicht ist das ja dasselbe. Was ist aufgeben anders als seinlassen.

Das Glück der Masse ist unumkehrbar zu dem geworden, was Adorno
einmal den Stumpfsinn der tolerierten Exzesse genannt hat.

Sehr persönlich: Heute endet mein Leben als Universitätsdozent, nach
fast exakt genau achtunddreißig Jahren. Ich begann damit ein halbes

LV
Jahr vor Lacans Tod. Und es hat sich ergeben, dass ich in meinem letz-
ten Seminar über Mori Ôgai und die die deutsche Philosophie spre-
chen werde. – Z: Das müsstest du dir einmal vorstellen. Aber kannst
du dir denken, dass deine Phantasie dazu ausreicht; oder es auch nur
zulassen würde? – Denkbar ist das überhaupt nicht, aber vielleicht tun
ja die Wolken auch mir einmal einen Dienst. – Z: Das wäre legitim und
nett.

Vielleicht sagen mir die kalten und harten Sterne heut Nacht deshalb so
bestimmt und mahnend: Besinne dich auf den Exzess!

Der Gottesbegriff ist uns, sagt er, auch deshalb so unangenehm, weil wir
ihn uns so denken, dass er einen Beobachter höherer Ordnung ausschließt.
Das gefällt uns nicht. Gott ist auch wie eine Gräte im Menschenhals. Wir
haben ihn uns zu unbekümmert ausgedacht. Das mussten wir tun, weil wir
doch so sein wollen wie er.

Gebt zu, sagt er, dass ihr zwischen leerer und erfüllter Zeit noch längst
nicht zu unterscheiden wisst.

Wie dankbar das Gesetz dem Obszönen doch sein muss! Es ist sein Ret-
tungsring. Das ausgewachsene Rettende überhaupt. - und, im Vertrauen,
seine Rettung dem Obszönen zu verdanken, das ist sehr ehrenvoll. – Z:
Aber leider suchen sich die Meisten das aus, was grade im Angebot ist. -
Rettung als Schnäppchen,

Freu dich Darm, wirst Elend essen! (Jüdisches Sprichwort) - Jouissance:


der – vielleicht sogar aus guten Gründen - unterstellte Seins-Intensitäts-
Überschuss der Anderen, transfiguriert. - Z: Verklärter Neid. Geisteselend
mit Heiligenschein.

Hier hast du’s! - Im Unbehagen rächt sich das - zwar auch - von „in-
nen“ her hochdrängende Gefühl, es richtig gemacht zu haben. Es richtig
machen zu wollen, das ist ja das primäre Motiv für jede Untat. Das Unbe-
hagen schwärt die Selbstlüge an den Tag, lässt den kranken Geist aber im

LVI
Ungewissen. Was für ein raffinierter Mechanismus! Woher bezieht das Es,
besser gesagt das Ça!, seine übermenschliche Klugheit, die es aber diskret,
gleichsam „hinter dem Rücken“, exekutiert?

Jouissance, encore et... - Fleisch zu essen, vermittelt das Gefühl, ein Sie-
ger zu sein. Den Tod des anderen, hier des Tiers, zumindest in der Regel,
zu genießen. Jedes Mal ein kleiner Sieg über den Tod in der Geste des
genussvollen Zubeißens und Zermalmens. Auch mit falschen Zähnen. Da
kann die Jagd als genüsslerisches Vorspiel fungieren, wo der Jäger sich,
auf den Stelzen der Imagination, die Größe des Todes, re vera, anmaßt
und -misst. Strukturell gilt das freilich auch für den Biss in eine Karotte,
der ist aber weniger spektakulär. Da ist, der Konvention nach, weniger
Tod im Spiel. Karotten bieten Siegern zu wenig Genuss. - Es macht sie
zu Spöttern, die den anderen jede Genussfähigkeit absprechen und aber-
kennen. - Z: Das ist ein bedeutender Unterschied. ...pour toujours.

Nichts kann erfüllen, wenn es nicht wirklich nichts ist. Insofern, wenig-
stens, ist das Chillen der Erfüllung näher als die Spitze des Mount Everest.

Und Narzissmus ist die zweifellos virtuoseste Art des Verzichts, kurz vor
den Palisaden des Autismus. Mit andern Worten, resp. den Worten der
anderen: Diskrete Freundlichkeit und eine ziemlich herablassende Ver-
beugung vor dem Sozialen.

L'odeur d'écurie correcte aura. - Ihr, sagt er, habt mich nur los, weil ich
euch nicht will. Ich verzichte auf auch auf euch. Ihr gefallt mir nicht. Ob-
gleich ich doch auch aus eurem Stall stamme. – Z: Und auch noch danach
riechst.

Wir wissen viel, auch das, dass wir nicht wissen können, was wir wis-
sen müssten. Aber das tut uns nicht gut. – Z: Wittgenstein würde
traurig nicken.

Bedeutung liegt um die Worte, sagen wir, wenn auch wenig originell:
wie eine Aura. Die Worte liegen in ihrer Bedeutung wie in einem at-

LVII
mosphärischen Kokon. Das ist gut so, sonst könnten wir sie, die Be-
deutung, nicht durch eine Art von Schnuppern (das ist allerdings
selbst ein Wort mit einer schrecklichen Aura) erfassen oder erschlie-
ßen. Wir erschnuppern die Bedeutung mit der einen Nase unserer
diversen Erkenntnisorgane. Die körperliche Nase bleibt dabei gleich-
sam außen vor. Manche Worte machen es uns einfach. Andere Worte
machen es uns schwer. Es gibt aber ein Wort, das ich für höchst ge
eignet halte, das Erschnuppern von Bedeutung erfolgreich zu üben.
Das ist das deutsche Wort

dumpf.

– Versuchen Sie es! Sie werden bei diesem Selbstversuch sofort ver-
stehen, was ich meine. - Spüren Sie es schon? – Eines der französi-
schen, alle ganz anders duftenden Äquivalente von „dumpf“ ist übri-
gens – erfreulicher- und akkordierenderweise - d’un air stupide.

Jaques Offenbach wusste, was er tat, als er sich von seinem Vater nach
Paris schicken ließ.



Quelle honte! Quelle hante! - Und er sagte, vielleicht hätte ich mich in
der deutschen Aura nicht so stilsicher einrichten dürfen. Mit stilsicher,
ergänzt er, meine ich nur: instinktiv passend und gehorsam. – Z: Also
letztlich eine peinliche Fähigkeit.

Das Gesicht ist ein Denunziant. (Jüdisches Sprichwort). - Das Übermaß
an hübschen Gesichtslosigkeiten, sagte er, beispielhaft, schließt un-
sere Alltagshorizonte; geradezu hermetisch.
LVIII

Hypertrophe Einzeller, die sich jetzt auch noch klonen, selbstmitleids-
los.

Was einem, wieder zum Beispiel, den Abschied spürbar verständlich
machen könnte: der Blick auf einen Orangenschnitz in einem roten
Glühwein; spätwinterlich, das sowieso.

Y: Seit Freud schon wissen wir, dass Menschen die Tendenz haben
können, mit einer negativen therapeutischen Reaktion auf das Leben,
Befriedigung an dem zu finden, was ihnen fehlt, - um es kompakt und
formelhaft zu sagen. - Z: Es scheint sogar, dass dies zum allgemeinen
Verfahren der Lebensbewältigung geworden ist. - X: Freud hätte es
wohl nicht erwähnen dürfen.

Y: Seit es die Worte memory stick und joy stick gibt, könnten wir ei-
gentlich wissen, wie es sich mit unserer Erinnerung und unseren
Freuden verhält. - Z: Genau!

Wir wissen ja auch, dass die Erfahrung des Verlusts des nie Gehabten
(ex voto Lacan) der Moment ist, in dem, fast zu altmodisch gesagt, der
Mensch sich in sich von sich selbst befreit, sich also sich selbst erst-
mals assimiliert; wir wissen das zwar, sind aber nicht bereit, die Chan-
ce wahrzunehmen.

Zu reden bedeutet, den Verdacht erregen zu wollen, sprechen zu kön-
nen. Denken bedeutet, den Verdacht erregen zu wollen, denken zu
können. Leben bedeutet, den Verdacht zu erregen, zu leben. Zu lieben
bedeutet, den Verdacht zu erregen, dass man sich verschwenden kön-
ne. Etc.

Ja, sagt er, die Schöpfung ist ein eruptives cogito!, eben, wie man sagt,
ein big bang, der Grübelzwang des Universums.

LIX
Hören und sehen, seht und hört auf den Volksmund!, können uns zwar
vergehen, aber sie sind auch je selbst ein Vergehen, am Schweigen
und am Dunkel, gleichsam an Gott.

Adam war nackt, Eva nur barfuß. (Jüdisches Sprichwort)

Modo theologico: La volonté et le royaume des cieux. – Wahrscheinlich
kommen wir alle wirklich nicht umhin, Fehler zu machen (im Denken,
im Leben), aber warum gelingt es uns nicht, sie anmutiger zu gestal-
ten? Oder auch nur ein wenig authentischer? – Immerhin ist es ein
veritables Gottesgeschenk, dass der Mensch sich mitten in seiner Un-
möglichkeit gleichsam reflektieren kann, was er freilich nur selten
will. - On n’en fait jamais qu’à sa guise. - Sich für möglich zu halten,
bleibt folglich der beliebteste, orgiastisch zelebrierte generische Irr-
tum und -glaube der Menschen. Im alltäglichen Exzess der Wiederho-
lung. – Z: Die Resultate sprechen für sich.

Versucht euch das vorzustellen: Jemand sagt: „...und das hier, das ist
der genetische Fingerabdruck des Nichts.“7 – Z: Meint er seinen eige-
nen? – Oder sein eigenes?

Heute weiß Hamlet: die wirkmächtigste Minimalität oder die mini-
malste Wirkmächtigkeit (an/in Aufwand, Abweichung, Aufprall, An-
lehnung, etc) entscheidet über Sein und Nichtsein - und den ganzen
Rest von Schweigen.

Du könntest es als akrobatischen Akt sehen: das Zusammenbiegen
der Weltenden.

Trauer ist der Exzess an Gewaltlosigkeit, der sich nach innen richtet
und das Innere zersetzt oder leise versengt.

7
...et cela, c'est l'empreinte génétique du néant -

LX
Wenn Erinnerung auch als eine Art von Resonanz gedeutet werden
darf, gewinnt ihr Ausbleiben ein ganz eigenes Gewicht. Als würde ein
Senkblei das Trommelfell der Zeit durchschlagen und schwer und un-
gehindert ins Vergangene stürzen. Lautlos, wie gesagt.

Erinnerungslosigkeit ist also ein wenig wie Reimlosigkeit. - Freud sah
auch das zweifellos genauer. Mir scheint es aber in seiner Ungenau-
igkeit sehr deutlich.

Du hast mit deinem Rauschen mir ganz berauscht den Sinn. (Mül-
ler/Schubert, „Wohin?“) – In meinen Ohren rauscht auch die Lautlo-
sigkeit ein wenig. So ganz ruhig sind die Sinne nie. Deswegen lüge ich
immer, wenn auch nur beiläufig, wenn ich von Stille und Schweigen
rede. Ich höre sie immer, wie sie auf dem Sprung sind. Aber ohne zu
wissen, wohin.



Und könnte es nicht sein, dass die Schöpfung der Bruch einer Schwei-
gepflicht ist? Wie ein verbotener Blick?

Der Unterschied zwischen Selbstversessenheit und Selbstvergessen-
heit beträgt immerhin einen Buchstaben.

Jede Nähe, die ihn trifft, straft ihn lügen. (W. Benjamin)

Orgues de barbarie. - Die Vorstellung, dass zwei elektrische Orgeln, die
koordiniert aber unabhängig voneinander in vollkommenem Ein- und

LXI
Wohlklang zum Beispiel die Tristan-Ouvertüre spielen, ist gespen-
stisch.

Ich, sagt er, kann mir vorstellen, dass ein Baum ohne Mund redet, aber
nicht, dass er sich dabei nicht menschlich bewegt. Etwa vertraulich
seinen Wipfel neigt. Oder mir einen Ast auf die Schulter legt.

Nunc stans, stante pede. - Das Reale, das was die Philosophen gerne
Substanz nannten, nur das ist es, was als Engel der Vergangenheit und
als Engel der Zukunft anzieht und antreibt, uns ihm ohne Unterlass zu
assimilieren; als Antreibendes ist es uns verloren, als Anziehendes
verlockt es unsere gierige Verlorenheit. Wir folgen ihm stehenden
Fußes.

Das Zwischen ist der allgemeine Begriff für das Medium der Oszillation.

Vielleicht erzeugt - doch - nur Oszillation Sinn. Stellt euch eine auf
einem Möbiusband wirbelnde Doppelhelix vor.- Z: Immer wieder das
Möbiusband! Jetzt auch noch mehr- und großspurig. Und gegenstre-
big.

Wiederholung ist eben die Oszillation des Stillstands. Zufrieden, mein
lieber Z? - Z: (schweigt grimmig) –

Pastores te invenerunt, sine manibus collegerunt, sine foco coxerunt,
sine dentibus comederunt. (trad. „Zauberspruch“)

Zwischen dem Reden von notwendigen Bedingungen und von der Be-
dingung schlechthin liegen Welten, welche die Bedeutung von Bedin-
gung und Bedingungen – auch in diesem Satz - geradezu unendlich
affizieren und auseinandertreiben; sozusagen bedingungs- und auch
gnadenlos.

Meine Tragödie, sagt er, ist, dass ich mich nicht für etwas entscheiden
kann. Ich will mich für alles entscheiden. Und das geht nicht. Wenig-
LXII
stens hat es mir einen schlechten Ruf eingetragen. Oder gar keinen.
Auch das wäre nicht wenig.

Solange der Mangel noch zu viel Fleisch hat, hat er noch zu viel Prä-
senz, ist er noch gar nicht. Wenn er sich aber entkarniert, schenken
die Parzen ihm Gelegenheiten. Dann springt er von lieu zu lieu. Und
die Kinder singen: Il ne veut pas être gonflé.

Dem goldenen Kalb geht es gut. Es lässt grüßen. Und der Kaiser hat
gemerkt, dass er ohne Kleider sogar besser auskommt. Wie alle. Sogar
besser als alle.

Denn Musik, die nur virtuose Umkleidung ist, hat nichts für sich.

Il tourne, mais passe devant moi.

Sah im Traume, sagte er, Engel, die, wie so oft auf christlichen Bildern,
ein Schriftband trugen, diesmal war es aber ein Möbiusband, das zwei
Münder zu bilden schien, jedenfalls sah es aus der Ferne so aus. Es sah
auch ein wenig wie das Unendlichkeitszeichen, die gestürzte Acht, aus.
Die Münder öffneten sich, der eine nach dem anderen, und riefen sich,
wie die beiden Cherubim in Monteverdis Marien-Vesper etwas zu, das
jetzt wie ALL PHALLOS AKE PHALOS klang. Das Band vibrierte dabei
in Alpha-Wellen. – Z: Das geschieht jedem recht, der vor dem Einschla-
fen noch Lacan liest, oder auch nur an ihn denkt.

Ich würde mir gerne glauben, was ist. Es gelingt mir aber nicht, mich
dazu zu überreden.

Die Namens-Initialen, die ich meine Sprüche sagen lassen, dienen nur
dazu, anzuzeigen, wie fern sie mir sind. Oder, bisweilen, wie nah.
Manchmal sogar kommt es mir so vor, als würden sie von mir selbst
stammen. Dann glaube ich, sie für sich selbst stehen und sprechen
lassen zu müssen. Denn selbst, wenn sie aus meinem Mund kommen

LXIII
oder aus meiner Hand, weiß ich nicht woher. Sie stürzen mich – in
Überraschung, die überzeugendste Erscheinungsform des Paraklet.

Meine Augen sind zwei unkoordonierte Kaleidoskope. Also sehe ich
Wirklichkeit so, wie sie ist, nicht wie sie scheint. Ich könnte auch sa-
gen: meine Augen sind Rekoordinierer, die die Welt auf eine Weise
zusammenpacken, verkleben und auf dem Möbiusfließband des
Traums herumschleudern, dass es Freud die reinste Freude machen
würde.

Der Traum ist gänzlich unbändig. Der Traum ist das selbständigste
Element des Lebens. Er macht nur, was er will, ohne zu wissen, wer
ist und was er will. Er tanzt auf dem nadelspitzen Gipfel seiner Iden-
tität. Der Beweis: er will es gar nicht wissen, so sehr ist er - sich. - Das
kann man leider nur so sagen. - Und wir Träumer haben das Problem,
uns nicht mitreißen lassen zu können. Es treibt uns, wie jene Holz-
planke in E. A. Poes Malstrom immer wieder heraus, ins eigene Nicht-
identische - Adorno meint damit etwas anderes! - , wo wir glauben,
uns benennen und uns unsrer sicher sein zu können. Da, wo wir keine
Angst hätten, fühlten wir uns nicht wohl. - Z: Lieben wir den Horror
der Selbstgewissheit, die wir meinen, wirklich so sehr? Warum bauen
und dienen wir seit Jahrtausenden, fragt er, Kommunikationsma-
schinen, vulgo Gesellschaften, die uns die unbändige Identität des
Traums vorenthalten?

Der Geburtsort ist der Mörder des Menschen. (Th. Bernhard)

A: Jeder Blütenfall, noch der schwereloseste, ist ein Kieselkonfetti-
regen. – O: Das kannst du doch einfacher sagen.

Dieser Denker erinnert mich an Menschen, die so schwere und
unförmige Schuhe tragen, dass sie sich damit nur auf Skiern fortbe-
wegen können,

LXIV
Im Agon verausgaben sich die Subjekte. Indem Gesellschaft entago-
nalisiert eliminiert sie die Subjekte, endgültig.

Du musst dich bemühen, Narr oder Häretiker (selon Wittgenstein)
genannt zu werden, um nicht in die Falle dessen, was der Fall sein soll,
zu fallen. Vulgo: Stelle dich taub für das Nein und den Namen des Va-
ters. – Z: Taubstellen kannst du dich doch wenigstens?

Wenn es mit dem Als-ob doch nur leichter wäre! Einer, der sagt, ich tu
so, als ob, steht stets unter dem Verdacht, nicht beweisen zu können,
dass er nur so tut, als ob das Als-ob sein Prinzip wäre. Wenn er es
beweisen könnte, wäre allerdings nichts gewonnen. Nicht einmal Zeit.

Die Welt beginnt ihm zu dämmern.

Zuordnungen ordnen etwas zu, das heißt doch auch: sie schließen in
die Ordnung ein. Klappe zu. Sie werfen die Klappe ins Schloss.

Vielleicht ist ein Subjekt sich tatsächlich nur im Exzess der Selbst-
opferung gleich. - Z: Aber nur, wenn es kein Heldentod ist.

Denken/Träumen ist auch, in einem abgesprengten Cockpit steuerlos
durch die Dinge zu treiben.

Ordnung ist mechanisiertes Chaos. Ordnung ist ein von der Wieder-
holung kontaminiertes Chaos. Ordnung ist das installierte Etcetera.

Ja, ich habe, sagt er, Ideen über mich selber, ich erkenne sie daran,
dass ich sie nicht ratifizieren kann. Sie sind wie ein kleiner verwun-
schener Garten in einem großen verwunschenen Garten. - Z: Nicht
eher doch ein verwünschter?

Der Traum, ein Archäolog, ja, da habt ihr recht, aber ein getriebener,
seiner selbst bewusstloser, mit geschlossenen Augen und mit den
Händen schürfend und grabend und räumend. Ein Maulwurf im Ima-
LXV
ginären. Er sieht nicht, was wir sehen. Deshalb will er es auch nicht
haben.

Warum benutzen wir den Traum überhaupt auch als Deutemaschine,
indem wir uns in ihn hineinsetzen wie in einen ausgehöhlten Sessel
mit Schlitzen für unsere gierigen Blicke? - Weil uns 1. die Wirklichkeit
weniger Bequemlichkeit bietet, 2. weil uns das Target in der Wirk-
lichkeit immer wie ein glitschiger Fisch entgleitet und 3. weil wir in
der Wirklichkeit weniger sehen. - Z: Das alles spricht nicht für den
Traum, aber gegen die Wirklichkeit, wie wir sie uns erträumen.

Wie Tristans Blick antworten? - O: Wir kommen uns durch indirekten
Austausch näher; obgleich sich nur das Ausgetauschte unter sich aus-
tauscht. Das zeigt, wie unbedeutend die Signifikantenraserei der
Weltgeschichte ist. Unbedeutend, aber letal. Für uns einzelne, Gott sei
Dank, aber nur beiläufig. - A: Wir treiben im Weltraum unter all dem
anderen Schrott und üben uns, um lange mittreiben zu dürfen, in
Schutz- und Abwehrgesten. Und manchmal bringen die Karambo-
lagen das Vakuum kurz zum Klingen.

Und vielleicht gibt es ja Paradoxe, die unmittelbar in der Realität lie-
gen. Zum Beispiel: leiser werden, lauter sein.

Wenn du bereit bist, Erkenntnis für ein mögliches Resultat des Den-
kens zu halten, dann löst Denken nicht primär Probleme, sondern
verfestigt die Widerstände des so genannten Realen.

Erkenntnis kristallisiert. Diamanten brechen zwar das Licht, sind aber
transparent und sehr hart.

Wir können, aus Vernunftgründen, über die kritisch zu reden wäre,
nicht umhin, vorauseilend die Katastrophe eines Endes zu erwarten
und versuchen, uns zu stabilisieren und nehmen dabei das Ende
vorweg. Bereit zu sein, das meint erstarrt zu sein. Wie Tiere vor der
blenden Linse eines Zielfernrohrs; dem des unsichtbaren Jägers.
LXVI

Warum verzaubert uns die Vorstellung vollkommener Präsenz so un-
widerstehlich? - Präsenz, vollkommene zumal, ist ein Sumpf, in den
wir instantan versinken.

Ich erinnere mich an die filmische, starre Präsenz des Moments, als
ich in das Krankenzimmer trat, in dem vor einen großen Glasfenster
meine tote Mutter auf dem Bett, in dem sie gestorben war, lag. Das
Krankenhaus stand auf einem Hügel, der noch immer den fast mytho-
logischen Namen Schafsberg trägt. Es war kurz nach Mittag und die
Sonne stand, ihrerseits, so blendend, dass ich meine Mutter nicht
erkennen konnte, genau in der Mitte dieses großen Glasfensters hin-
ter dem Sterbebett meiner Mutter. Seither stehe ich immer, wenn ich
mittags einer blendenden Sonne in einem wolkenlosen Süden stand-
zuhalten versuche, im Sterbezimmer meiner Mutter.

Y: Wie denkst du dir Gott? – X: Ganz konventionell: G steht wie ein
Feldherr auf einem ungeheuren Hügel, die Arme leicht in seine Flan-
ken gestützt, schaut sich langsam umherblickend sein Universum an
und, - ja -, er lächelt ein wenig. Schau es dir nur selber an! Dann sagt
er in seiner Sprache etwas, das er natürlich nur selbst verstehen kann.
Ich kann mir den Sinn nur ausmalen und mich fragen, was ich an sei-
ner Stelle sagen würde. - Ich würde wohl sagen: Ich bin der Sinnvoll-
ste. (Je suis le plus significatif)8

X: Der Mangel ist das ermöglichende Surplus nicht nur in den Dingen.
Dieses Surplus widerstrebt aber seiner eigenen Tendenz, sich abzu-
schaffen und belässt es gerne bei dem Mangel, der es ist; oder den es
darstellt. Es streckt seine leere Hand aus und sagt: Hier hast du sie,
ich geb sie dir! Ja, bedingungslos. Nimm sie hin, zu meinem Gedächtnis.
- Z: Du sagst immer wieder sehr Ähnliches, aber doch auch immer eine
8
Zum Vergleich: Y: Que pensez-vous de Dieu? - X: Complètement conventionnel: D se tient comme un général sur
une énorme colline, les bras légèrement soutenus dans ses flancs, regardant lentement autour de son univers et, oui,
il sourit un peu. Regardez-le vous-même! Puis il dit quelque chose dans sa langue, bien sûr, qu'il ne comprend que
lui-même. Je peux seulement imaginer le sens et me demander ce que je dirais à sa place. - Je dirais: Je suis le plus
significatif.

LXVII
kleine Dosis anders. Gleichsam bereichert um ein Schleifchen Neuheit.
- Y: Das sehe ich auch so. Es ist so, als würde er bei jeder Runde auf
dem Möbiusband andere und neue Blumen pflücken und neue und
andere Dornenkronen flechten. – Daher übrigens seine wunden und
manchmal blutigen Hände! - Z: Aber wem kann er die Blumen schen-
ken? Und wem will er die Dornenkronen aufsetzen? - Y: Tja, wer das
wüsste! -

Gespräche unter Vertrauten, Freunden, Liebenden sollten so ablau-
fen: XY: Was ist dein Wahnsinn schon gegen meinen! – YX: Und meiner
erst gegen deinen! - XY: Sieg! – YX: Revanche! –

Sich unerbittlich zu erweisen, das wäre die freundlichste, ehrfürch-
tigste Form der Kommunikation. – Z: Und ja auch die einzige Form,
dem Nichts Respekt zu erweisen. Der Tod muss warten. Und die Sie-
ben Siegel zu lösen, das erfordert Fingerspitzengefühl.

Wie könnte man Phänomene, in denen unsichtbare Ordnungen hilflos
versuchen, Gestalt anzunehmen, tatsächlich verstehen? – Sie sind ja
auch nicht auf Verständnis aus. Am liebsten bleiben sie, auch in ihrer
Erscheinung, incognito.

Raum gewinnt hinzu, wenn du ihn ausräumst. Aber das hast du ja
schon bemerkt. Raum kannst du nur mit Leere füllen und aufblähen.
Wortwörtlich.

Er nahm seine Stimme, brach und verteilte sie.

Maßregelvollzug. Schönes deutsches Wort. – Z: Heidegger nannte es
aber Geworfenheit resp., gleichsam sportlicher, fast olympischer „ge-
worfener Entwurf“. – Z: Ja, er meinte, das sei die Voraussetzung dafür,
dass wir überhaupt eine Chance haben, uns einmal zu verstehen.9

9
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 190-213

LXVIII
Traum10. – Eine ganz und gar japanische Szenerie, ein museales In-
terieur. Auch lebendige Mumien in kimono-ähnlichen Gewändern. Mit
hohlen, schwarzen, runden Augenlöchern, schwarzen halbmondähn-
lichen Mündern. Mit ungewöhnlichen, mich gerade noch an Turbane
erinnernden Kopfbedeckungen aus Brokatstoffen. Überall, gleichsam
ringsumher, unverwechselbar japanischer Dinge sehr verschiedener
Art. Kunstgegenstände. Masken, Schachteln, und sehr vieles irgend-
wie Japanisches, wie es mir vorkommt, dessen Funktion oder Zweck
nicht identifizierbar ist. Alles staubbedeckt, staubüberzogen. Ich ver-
suche mit einem Pinsel mit borstenharten Haaren eine anscheinend
goldene, große Theatermaske zu säubern. Es gelingt mir nicht recht.
Ich sehe, dass die Maske ein Art Kippbild geworden ist, eine Land-
schaft aus Staub und Gold, kleine goldene Rinnsale, die durch Staub
fließen, Rinnsale aus Staub, zwischen goldenen, glatten Narben, wie
es mir vorkommt. Weder der Staub noch die dunklen Mumiengesi-
chter verbreiten eine Aura; weder von Tod noch von Vergängnis.
Überhaupt fehlt ihnen jede Aura. Wenn die Mumien sprechen, kom-
men mir ihre Stimmen aber geradezu heiter vor. Obwohl sie doch aus
diesen schwarzen Mündern tönen. Verstehen kann ich freilich kein
Wort. Viele zierliche, eigenartige, ich möchte sagen, heuschrecken-
oder auch zikadenartige Kakerlaken huschen fast tänzelnd zwischen
den zahllosen Dingen umher. - Kakerlaken waren mir nie zuwider. -
Andere fliegen in großen Schwärmen und in Flug- und Tanzformation
sehr schnell links an mir vorbei, in eine Richtung, in der ich eine Tür
vermute. Ich sehe aber nichts außer Dunkelheit, wie man sie in der
Nacht durch geöffnete Fenster oder hinter offenen Fenstern sehen
kann. Die fliegenden Kakerlaken ziehen oder zerren meine Erinner-
ung, auch die an den Traum, mit sich weg.

Die Kinder lernen nur dann gehen, wenn sie es wagen, zu früh, folglich
zur Unzeit, den ersten Schritt zu machen. Wenn sie sich nach dem
zweiten Schritt, vom ersten überrascht, umdrehen, können sie es. (In
Erinnerung an Lilis erste Schritte, im Jahr 2000, auf dem Pariser Flug-
hafen)
10
In der Nacht vom 18. auf den 19. Februar 2019

LXIX

Symmetriebruch. - Y: Auf den richtigen Augenblick zu warten, heißt
also, ihn zu verpassen. – X: Nur die Wahl der falschen Augenblicks
schafft dem Gelingen erst eine Basis, eine schiefe Ebene. Einen ver-
spätetem Beginn. – Z: So begann, kann man lesen, ja auch der Kosmos.
- X: Die Schöpfung ist die schmerzlich spürbare Konsequenz eines un-
vermerkten Hauchs. – Y: Daher auch diese hartnäckige Faszination
des Bildes von einem ursprünglichen ruach? – Ja. Er weht überall.
Wenn er nur will.

Ideen erstarren in ihren Realisierungen, mit anderen Worten: in ihrer
so genannten Umsetzung. Sie versteinern, sachlich gesehen, in ihrer
Überdeterminiertheit (jede Realisierung überdeterminiert). – Ver-
wirklichte Ideen bedeuten schlichtweg zu viel. Jede Kante strotzt von
Bedeutung. Sie ersticken an sich selbst. Und warten auf Nachfolger,
die sie auslösen. – Z: Dann wären also Revolutionen ausgekochte
Pfänderspiele, die für Bewegung sorgen. Damit die Weltgeschichte
nicht stockt. Oder einfach aufhört. Oder sich aus Langeweile ihres
Endes überführt.

Meine Sprüche, sagt er, fliegen mir zu wie Würgemale. Oder hängen
um den überlangen Hals meiner Seele wie vergessene Krawatten.

Viele ängstigen sich vor dem Tod, weil er mit Erwachen droht; mit
Stranden. Der prophezeite Schiffbruch am Rand des Schlafs.

Und der Körper? - Der verelendigt und verausländigt den Menschen
gerne. Den Menschen. Ich sage nicht die Seele.

Solange Zeit absehbar ist, versucht sie, in die Riege der Schmeichle-
rinnen einzudringen.

Das wenigstens sollten wir endlich gelernt haben, dass Bewusstsein
nur Ankündigung ist, noch längst keine Botschaft. Und das alltägliche
Erwachen, die Arbeit, das Gespräch, der Handschlag, jede Geste des
LXX
Hierseins etc. sind Versuche des Sichabwendens und des Zorns auf
das sich anbiedernde Jetzt. Wir wären doch so gerne gehorsam, kada-
vergehorsam, müssten dazu aber anspruchsvoller sein. Es fehlt uns
das Gesetz, das uns hilft, uns dazu durchzuringen. - Z: Fehlt und also
ernsthaft die Fürsorge eines väterlichen Signifikanten?

Wir können auch dann nicht in Sinn baden, wenn sich eine Über-
schwemmung oder eine Sintflut dazu anbietet. Unser Schicksal ist es,
auf Strandpromenaden zu flanieren und uns vom Sturm die Gedan-
kenschuppen wegreißen zu lassen. Das ist schmerzhaft und schützt
uns.

Das Unwetter, dem wir in jedem Augenblick entstammen, ist ein In-
effabile, was sage ich, es ist das Ineffabile an sich. Woher könnte es
denn selbst sonst stammen! – Z: Eine stürmische Fuge auf dem Möbi-
usband, wie alles. (Jetzt fällt auch mir nichts anderes mehr ein.)

Jedes Traumbild ist ein Gespenst. Es kann nichts anderes sein. Das
zwingt uns zur Dankbarkeit. Die Dinge sind nicht so schön und wahr
und gut, wie Kafka es uns vorgaukelt. Wir müssen so ehrlich sein, wie
es gar nicht geht. Mehr fordert Gott doch nicht.

Nur dann fällt uns etwas zu, wenn wir dafür unempfindlich sind. Wir
tragen unsere Haut zu selten umgekehrt. Oder einfach nur zu oft?

Erinnerungspartikel sind die Scharniere der Wahrnehmung und auch
die der Sprache. Und die, die sie nicht haben, haben auch keine Spra-
che und keine Wahrnehmung. - Wie viele seid ihr? - Viele, denn wir
sind Legion. (Ihr kennt die Stelle: Markus 5.9)

Im Traum kannst du dich nicht einrichten. Immer hoffst du, ohne es
zu merken, darauf, dass er dich wieder ausspuckt. Und nicht erst nach
drei Tagen oder wie ein Wal. Wir, heutzutage, wir bleiben ja auch im
Traum Realisten.

LXXI
Das Nächtliche, sagte er, kann mir leider nichts anhaben. Es geht in
mir unter. Und ich schaue ihm traurig nach, wie ein kleiner Junge, dem
ein Bonbon oder eine Spindel in den Abgrund gefallen ist. Und dieses
Gefallensein macht mir Spaß. Darf ich das so sagen? Zu sagen, dass ich
mein Gefallen daran finde, das würde euch sicher zu kokett erschei-
nen.

Der Spaß, den ich meine, der ist eine ziemlich endlose Maschine,
seicht und beispielhaft erhaben. Ein Tropfen ozeanischen Gefühls,
könnte ich mir denken.

Wenn man sich den Abgang einer Lawine nicht so recht erklären kann,
nennt man ihn Spontanabgang. – Wenn du einem Elefanten begegnest,
ruf ihn zu dir und frag ihn: Was willst du? (Aber erst, wenn du dich
versichert hast, dass kein anderer zuhört.)

Sub specie spontaneitatis. - Traumerzählungen musst du spontan
stoppen, sonst ufern sie aus, und werden zu unendlichen Analysen im
Sinne Freuds. – Der Ruf Es werde licht! ist aber leichter zu denken als
Es werde dunkel!

Die größte Süße des Lebens, das Verlangen. (Proust)

Verfall ist der ewige Eingang in eine Welt der Erosion, eine Teilnahme
an der Fügung des Zwischen. Erosion ist Artikulation (Zeigen ist Sa-
gen). (A. J. Mitchell)

Y: Erinnern wir uns: Für Heidegger schafft der Künstler das Unsicht-
bare erst, das die Welt ist. – Z: Er bringt nicht das Licht an den Tag, Er
bringt die Welt ins Licht. – X: Er macht das Ungesehene geschehen. –
Y: Sind wir den Künstler? – Z: Das wird sich noch zeigen müssen.

Jede Wahrnehmung ist die jeweilige Beziehung ihres Mediums auf
sich selbst. Das Bewusstsein ist die Selbstwahrnehmung eines Dufts.
- Der Huayen/Kegon-Buddhismus prägte dafür den Begriff des Durch-
LXXII
duftens, hsün-hsi, kunju). - Immer versucht die Welt dabei zu stören,
aus Neid. Die Welt bringt sich selbst zum Stürzen; über das, was sie
nicht kann. – N: Was du da sagst, das ist - und klingt such so in meinen
feinen Ohren -, als würde Giacometti versuchen, aus Hegels Denken
einen Totenmaske aus Ton (oder Wachs?) zu formen.

Das Universum ist die Partitur, die wir zu exekutieren versuchen. Die
Harmonie unserer Welt ist aber, wenn es hoch kommt, die endlose
Synkope eines Missklangs. – Z: Immerhin ein Klang, wenn auch ein
ständig und unter großem Aufwand misslingender.

Phrenologia postmoderna. Wenn man, sagte er lachend, Lavatern Pho-
tographien von Trumps Gesicht zeigte, en face und im Profil und sagte:
Das ist das Gesicht der Gegenwart. Oder: Das ist das Gesicht der Welt. –
Was würde Lavater dazu sagen? – Ich, sagte er, noch immer lachend,
frage das gerade deswegen, weil uns schon lange Lavaters Wissen kei-
nen Pfifferling mehr wert ist.

Dennoch sind wir alle Anagramme einer unendlichen Buchstaben-
kette, die länger wird, von Augenblick zu Augenblick. – Z: Warum
sagst du nicht, dass die Buchstaben auf einem Möbiusband ständig
aus der Reihe tanzen? Selbst Turing würde sie nicht bändigen können.

Ich arbeite an nichts, aber alles arbeitet an mir. Es ist wie Holzfällen.
Oder Felsensprengen. Es macht müde und verlegen. Als suchte man
nach neuen Seinsgewohnheiten.

Traum, Fragmente. - Kälte empfand ich auch keine. Obgleich die Fen-
ster zum All doch lange schon offen standen. Womit hatte das All sich
denn aufgewärmt? Fernwärme aus Aderlass? Ich kümmerte mich
nicht um eine Antwort. - Als ich aufwachte, konnte ich gerade noch
den Wecker deaktivieren. Ich hasse alle Weckrufe, die menschlichen,
die mechanischen, die elektronischen.

LXXIII
Wirklich meinst du, dass ihr das schadet, dass sie noch mehr sterben
könnte? (Proust)

Reminiszenzen sind der Baustoff aller Dinge und aller Ereignisse, aber
eine Rolle spielen sie nicht. Denk nur an die Momente der Liebe oder,
wenn du sie kennst, an die Momente des Glücks.

Lüge: der Mund denkt. Wahrheit: der Mund träumt. Die Lüge ist reich.
Die Wahrheit ist arm. Der Wahrheit fehlt die Gabe zur Erfindung. Die
Lüge ist ein phantasmagorischer Sturm. Nur ihre Lust kommt der des
Schöpfers nah. Und versäumt es nicht, ihr den Mund zu küssen.



Auf Auferstehung, sagt er, lassen nur die kleinen Engelsfinger hoffen,
die durch das Profunde und das Profane hindurch greifen und uns zu-
winken. - und ja, sagt er, glaubt mir, das geht auch mit Fingern.

Die großen Traumerzähler, selbst Proust ist einer davon, sind für ihre
Träume zu ordentlich. Sie tragen weiße Handschuhe. Als wollten sie
sich nicht kontaminieren. - Z: Weiße Handschuhe. Als Arbeitsklei-
dung für Traumerzähler und -deuter? - Was könnten die schon nü-
tzen?

Im Frühling ist herbstliche Klarheit im Kopf am besten.

LXXIV
X und Y: Wir waren Gott- und Wahrheitssucher. – Z: Und das hat euch
zu Däumlingen gemacht. Mit verkrüppelten Zeigefingern.

Es scheint ihm, sagt er, dass manche nicht mehr von ihrem Leben
haben als die Furcht, es zu verlieren. – Z: Das erklärt mir vieles.

Was an deinen Bildern verstört, sagt er, wirklich verstört, ist, dass
man sie sich nicht vorstellen kann. Nicht einmal denken. Wozu sollen
sie also gut sein? – Z: Gib einfach nicht auf!

Oxymorantien oder Le cristal de l‘évémement total (Benjamin) – Kris-
tallisierte Bewegung, bewegtes Kristall. Je näher die Bilder an die
Wirklichkeit reichen, desto undenkbarer sind sie. Darin unterschei-
den sie sich nicht von komplexen Formeln. Es handelt sich dabei im-
mer um genau die Undenkbarkeiten, die uns zu denken geben, um die
Verzweiflungspunkte, an denen das Denken anfangen sollte. - Proust
hat sie sinnlich und unmittelbar, wie Bruchstellen des Jugendstils, er-
fahren, wenn er in Venedig - in Venedigs Palästen, seinen Gassen, sei-
nen Kanälen, selbst in der Lagune - eine matière cristallisée erkannte;
oder im Gesicht von Albertine eine cristallisation dans la chair sah.
Sein Okular war präzise eingestellt; auf die akuten Oxymora, in denen
die Realität sich bewusst und lustvoll entblößt und verweigert. - Z:
Wieviel hat Lacan eigentlich bei ihm gelernt? –

Kristallene Waldung. (Jean Paul)

„[Albertine] s’etait endormie aussitôt couchée; ses draps, roulés com-
me un suaire autours des son corps, avaient pris, avec leurs beaux plis,
une rigidité de pierre.” (Proust, Recherche)

Créatures tordues. - X: Alle Kreaturen sind unweigerlich gekrümmt.
Vom Raum und mehr noch von der Zeit. Nicht weil Raum und Zeit ihre
Transzendentalien sind. Im Gegenteil! Die Kreaturen sind ja selbst das
Element ihrer Transzendentalien. Sie sind nichts anderes als das Ele-
ment dessen, das die krümmt, in ihre Existenz krümmt. - Dem können
LXXV
sie nicht entgehen. Das ist der erste Satz ihrer Seinslogik. Wohl auch
der letzte, unausgesprochene. - Y: Es sei denn, es fragt einmal jemand
danach. Das ist aber sehr, ich möchte sagen: umfänglich unwahr-
scheinlich. – Denn manche Dinge sind in einem Maße und in einer
Masse unwahrscheinlich, dass du sie mit Armen nicht umfassen
kannst. Und wärest du ein Krake. – Z: Wollt ihr damit sagen, dass es
sich mit Raum und Zeit prinzipiell so verhält, wie Heidegger es - mal
so und mal so - beschreibt, nur viel schlimmer?

“[L]’une toujours manque à l‘autre.” (Deleuze) – Vielleicht nur im be-
griffenen Oxymoron nicht.

Was hybrid ist, das bedarf, zumindest im Grunde, keiner Hybridisie-
rungen mehr. Das schert die Hermeneuten aber meistens nicht.

Ein Hybrides hybrid zu nennen, das ist im entschuldbarsten Falle eine
Selbst-Ridikülisierung.

Und wer die Aussage, eine Aussage verhalte sich zum Aussagen wie
eine Gabe zum Geben, noch immer für trivial hält, befreit sich von der
Möglichkeit, weiterzudenken und braucht auch nicht weiterdenken.
Er ist an der Grenze seiner Welt angelangt. Und darf sich einrichten.

Andererseits: Wenn wir in der Welt einen Hund sehen, brauchen wir
nur ihrem Ruf Bei-Fuß! zu folgen und wir sind schon bei ihr, vielleicht
sogar in ihr. – Z: Oder vielleicht aber so gar nicht in ihr, das wir nicht
einmal mehr entlaufen können. - Parce que parfois les gens sont des
chiens qui ne peuvent pas s'échapper. ( - Wie der Volksmund doch end-
lich einmal sagen könnte!)

Erfundene Sprichwörter (1): Einer, dem der Hund wächst. – Gemeint
ist hier jemand, dem vor lauter Einsamkeit und gefühlter sozialer Käl-
te nichts anderes mehr einfällt, als sich – gleichsam als Antidot – einen
Hund wachsen zu lassen. Womit er freilich beweist, dass er den Herr-

LXXVI
schaftsbereich seines vertrauten und kurrenten Herrensignifikanten
nicht verlässt. Dazu hat die Einsamkeit offensichtlich nicht gereicht.

Erfundene Sprichwörter (2): In den Teppich beißen. Aristokratischere
Variante von Ins Gras beißen, dessen Bedeutung an dieser Stelle als
bekannt vorausgesetzt wird.

Erfundene Sprichwörter (3): Alles neu macht der Juni. – Trostwort für
eine/n, bei der/dem es der Mai nicht geschafft hat.

Ich, sagt er, praktiziere mein Leben schon und noch immer, als würde
ich jedem Tag auf einen Debütantenball gehen. – Z: Wunderlicher
Alter! Da wird ihm sein kleiner Teller aber leer bleiben.

Vorbildlich, wie Rilke es geschafft hat, Paris, das ihm erst so fremd und
verschlossen schein, schließlich als ein Interieur zu erleben.

Auto-décomposition universelle. - Für den frühen Walter Benjamin
schon, auch wenn er diese Tatsache noch kritisch beäugte, waren
Emanzipation und Perversion sozusagen assoziiert. Heute kannst du
sie – politisch, ontologisch, psychologisch – gar nicht mehr auseinan-
derdenken. Das Problem liegt darin, dass du diesem Dual praktisch
überall und auf Schritt und Tritt begegnest. Die Praxis hat ihr eigenes
Verfahren zersetzt. Stell dir die Welt als Salzsäure und die Salzsäure
als eine Zunge vor, die an sich selber leckt.

Physionomie de la langue. – Und wie, fragte er sich, würde Lavater
Trumps Zunge beschreiben?

Im Französischen, sagte er, mit einem erschreckend ernsten Gesicht,
heißen Wandervögel „oiseaux migrateurs“. – Wenn wir Migranten
einfach als „Wanderer“ bezeichnen würden, könnten wir vielleicht
besser mit unseren Problemen umgehen.

LXXVII
Air respirable conditionné et respectable? - Sprache und Gesang. Je-
weils eigen konditionierte Atemluft.

Amortiguador de cristal. - So wie Stendhal sich dachte, dass die Liebe
ein (Salzburger) Kristallisat sei, müssten wir in der Melancholie
kristallisierte Langeweile sehen. Das soll kein gedämpft originelles
Bild sein, sondern nur auf eine probate psychische Verfahrensweise
hinweisen, die en detail beschrieben werden müsste. Das würde die
vielen anderen Ansätze endlich obsolet machen und ersetzen. – Z:
Und das wäre zu brutal.

Die Kreativität des Verfall(en)s. Wenn man einige Bemerkungen Hei-
deggers ernst nimmt, kann jeder Selbstausdruck, ja jeder Ausdruck
überhaupt nur eine Deformation (der Absicht oder all des anderen)
sein? Oder, wie H. vorsichtiger sagt, der „Deformation unterliegen“? -
Heißt das nicht zuletzt (und wieder), dass sich die so genannte Ei-
gentlichkeit doch nur als Uneigentlichkeit artikulieren kann? - Also als
Symptom, im Sinne und im Ton Lacans?

Wenn man den anfangs reformpädagogisch gemeinten Gruß Heil! mit
Cura! ins Lateinische übersetzen kann, dann hat doch selbst der Fa-
schismus eine phänomenologische Sorgen-Falte.

即, soku, würde ich heute mit zeit-und-ort-gleich übersetzen. Jetzt also
simpel und treffend. – Z: Daher kannst du ja auch im Jetzt eine vergan-
gene Spur der Zukunft erkennen.

Le Sisyphe le plus moderne. – Auch: Noch immer vorläufige Grundfor-
men des Existierens: artikulieren, spekulieren, kopulieren, insistieren,
kapitulieren, rekapitulieren, kapitulieren, insistieren, kopulieren,
spekulieren, artikulieren. Im Windschatten der Sonne, die du über die
Wolken rollst. - Ad infinitum.

Die Redeweise, dass man ein Einsehen haben kann, sagt er, hält er für
eine der reizvollsten und dümmsten Drolerien der deutschen Sprache.
LXXVIII

Rempli d'espace vide. - Aber wer immer von Aura redet(e), hat(te) eine
andere Art Erotik oder sogar einen Ersatz dafür im Sinn: Fernenliebe,
hier und jetzt. Oder, vertrauter: eine Nähe, so fern sie auch sein mag.
– Z: Aura bringt Nähe und Ferne zusammen, ohne sie zum Kopulieren
zu zwingen. Dafür erweisen sie sich dankbar und spendabel.

Hast du schon bemerkt, dass deine Syllogismen oft wie Embleme auf-
gebaut sind, zu denen sich der Betrachter das Bild ergänzen muss.
Etwa: I[cône]: Hier ist sie, die res picta, die Hohlform, das leere Ange-
bot, die Welt, die gierige Disposition. - L[emme]: Ich liefere die in-
scriptio, die Schattenbilder vom Horizont der Unendlichkeit. - É[pi-
gramme]: Da darf meine subscriptio nicht ausbleiben. Denn ihr lasst
mich nicht, ich segnete euch denn, sozusagen.

I: Je mehr ihr die Welt mit euren Phantasmen anfüllt und zustopft,
desto unerträglicher wird sie. – L: Aber wenn ihr sie aus- und leer-
räumtet, - É: - wäre sie nicht mehr da. Das Problem haben aber alle
Innenarchitekten.

Manche Denker behandeln den Blick (the gaze, le regard) als wäre er
ein ausgelagertes Organ, in das die so genannte Subjektivität wie ein
Unbehagen eingekapselt ist.

Und der Blick der Motte klebt an der Flamme mit dem verhaltenen
Wunsch, zu verglühen.11

In einem unbedachten Augenblick sagte er, über dem ist das Damo-
kles-Schwert schon viel zu lange hängen geblieben.

En aucun cas! - Ja, kennst denn du noch ein Signum, das kein Stigma
wäre? Dann verehre es mir, bitte! Ich werde es in Ehren halten. Als ein
Entflohenes, besser Entgangenes, besser ewig Vorenthaltenes. Denn
11
Et le regard du papillon de nuit s'attache à la flamme avec un désir étouffé de se consumer.

LXXIX
die Ewigkeit des Vorenthaltenen ist, das weiß ich, die einzige Fabel,
die uns etwas von der Eigenart des Ewigen erzählt und spürbar macht.
In dem, was wir nie erhalten werden, lächelt uns, wie soll ich sagen,
die Ewigkeit vertraut blinzend und überzeugend an, wie ein ehrlicher
Augenzeuge. Es gibt uns etwas zu verstehen, das anders nicht zu
haben ist. Es ist ein Kompliment des Unendlichen. Wir müssen nur
noch lernen, es zurückzugeben. Mehr nicht.

I: Der Lebensraum, sagen einige, ist ein flirrender Raum, eine box aus
emergenten chok-Momenten, der uns, trotz seiner Virtualität, her-
metisch umschließt und einschließt. – L: Haut und Habitat sind nicht
trennbar und nicht zu unterscheiden. Je mehr du dich bemühst, desto
vergeblicher ist es. - É: Versucht doch stattdessen, eure eigene Haut
um euch, freilich in einiger Entfernung, aufzuspannen – als Zelt oder
Jurte. So haltet ihr euch die Wunden, die eure Haut sammelt und kon-
serviert, ein wenig vom Leib.

(I) So wie das Blut im Körper ein Tastorgan sei und sein Pulsen ein
Klopfen, mit dem es sich abhöre, sei die Zeit, sagt er, das Blut der Welt,
(L) das aber schon lange vergebens nach einer Sprache suche, um sich
zu hören und mitzuteilen. (É) Noch ist die Welt daher eine stumme
Erzählung der Zeit. („...avec leurs beaux plis, une rigidité de pierre.”)

LXXX
Biedermeierliches Emblem. (I): Das Leben geht blütenhaft auf und wel-
tenhaft unter: in einem einzigen Durch, wie wir es nennen dürfen,
einem absoluten Nur-durch-Einander. – (L): Es ist die Entzweiung
(Hölderlin würde sie innig nennen), das Zerreißen (lacération) dieses
jeweiligrn Schöpfungsaugenblicks ipso momento; oder sogar ein we-
nig früher. – (É): Es ist genau dieses Nichts, das auffliegt, wenn du so
tust, als würdest du aus dem Hohlraum, den deine Hände zufällig
bilden, einen Schmetterling freilassen.

Du kannst natürlich auch einfach und prägnant und – vor allem -
weniger sentimental sagen: Das Leben ist ein kosmisches, genauer:
kosmogonisches Hüsteln oder Räuspern. So, als hätte sich die Gottheit,
und das wäre ja völlig legitim, entschieden, nur Kostproben ihrer
schöpferischen Fähigkeiten darzubieten.

Glauben bedeutet, sich (einer Sache etc.) nicht länger versichern zu
wollen. Der Stil des Glaubens richtet sich aber nach seinem Gegen-
stand.

Eigentlich seltsam, dass es unmöglich zu sein scheint, mit der sym-
bolischen Ordnung geordnet umzugehen. Das scheint außerhalb des
Menschseins zu liegen.

Gedankenlose Maximen. Gedankliche Lockerungsübungen. Mehr oder
minder zum Beispiel:

Kann man unter den gegebenen Bedingungen tapfer sein? Und was
könnte das noch heißen?

Du kannst vertrauen, aber du solltest nicht. – Z: Das erklär ich nicht
weiter.

Wenn es so einfach wäre, über das, was man verstanden hat, oder
glaubt verstanden zu haben, hinwegzugehen.

LXXXI
Über etwas hinwegzugehen und über etwas hinwegzusehen, ist das
nur im Deutschen – ungefähr - dasselbe?

Vielleicht müsste man sich wirklich verweigern, und so tun, als würde
man nicht verstehen, was diesseits des Kragens anlangt. Kluger Als-
ob-Autismus. Gar nicht gezielt. Nur als diskreter Selbstschutz.

Zur Welt sagen: Komm, na komm schon!

Schlittschuhlaufen ist nicht die schlechteste Metapher für Verliebt-
sein. Und zwischendurch kannst du Gänse füttern. In der Sonne und
unbekümmert.

Es steht nicht immer ein laubgepolstertes Waldstück zu Verfügung.

Je mehr Sprüche zusammenkommen, desto verlorener stehen sie da.

Schweigen ist die hinterlistigste Aggression. Wenn einen Hunde be-
grüßen, lässt man sich leicht täuschen. Das liegt nicht nur am Licht.

Der tolle Titel des Buchs von Theodor Reik: Der überraschte Psycholo-
ge. Jedes Leben sollte den Titel haben: Der überraschte Mensch.

Hier wollte ich eigentlich schreiben, dass kein Imaginat die Ordnun-
gen, die von uns abhängig sind und uns überwältigen, reparieren kann.
Aber ich schreib es nicht. Ich lass stattdessen das Glas, ohne etwas
dazuzutun, in meiner Hand zersplittern.

Le vrai n‘a pas de fenêtres; le vrai ne donne nulle part sur l‘univers.
(Benjamin) - Weil das Wahre ja eine Monade ist. Am Grunde eines
mächtig durchschwärmten Fischteichs.

Das Gewesene ist eine Wolke, die auf wundersame Weise trägt und
vorbildlich stabil ist. – Z: Der Ekel auch? Und der Hass?

LXXXII
Sinn ist die Konstellation medialer Zonen, folglich eine Art Granulat.
Ein Nebenprodukt der Reibungen, die sich beim Konstellieren nicht
vermeiden lassen. Alle Zonen sind also erogen.

Zonen ordnen sich zu Argumenten. Das Möbiusband bündelt, verdich-
tet und verknotet die Argumente, bis sie transparent sind. – Z: Auch
Schleifen binden bedeutet hier sie zu lösen.

Die Welt war W, sagt er, wie irgendeine Frucht, die er auspresste und
mit dem schwarzen Tuschesaft und den Spitzen seiner Gedanken-
finger Hieroglyphen zeichnete. Er verstand sich als créateur d’hiero-
glyphes und Harlekin.

Nur erdachte Wahrheiten sind narkotisch. Kalte Duschen sind es nicht.

Vom absoluten Trick der Verführung. - Das Gewesene ist die Ladung
Absenz, ohne die die Gegenwart keinen Reiz hätte. Wir verfallen im-
mer nur dem Abwesenden in der Präsenz. Die Masken wissen das.
Und sie sind nicht so feige wie, sagt er, ich.

Selbst Valéry schreibt einmal: „In all diesen Fällen [=Armee, Familie]
sind die anwesenden (präsenten) Werte abwesender Dinge und die
realen Wirkungen imaginärer Gründe erforderlich.“ – Wir nehmen
das prinzipiell.

Der Teufel ist ein armer Teufel, den Erkenntnis hilflos macht.

Rappel. – Leibnizens Monaden sind zugleich unkörperliche und natür-
liche Automaten und Orte der Wahrnehmung, lieux de perception. – Z:
Schon vergessen?

Oft wache ich, sagt er, auf und habe noch den Titel eines Projekts oder
auch eines Auftrags in den Ohren, den ich in der Regel nicht recht ver-
stehen kann. Heute morgen lautete er: Pompejanische Nach- und
Nackt- und Nachtbilder. Ein lange schon verspieltes Pasticcio.
LXXXIII

Der Begriff Rekapitulation, sagt er, habe ich gelesen, ist theologischer
Herkunft und Natur. Das merkt man jeder Rekapitulation an. Sie nickt
am Anfang ab, was sie am Ende nicht mehr halten kann. Sie ist der
Knabe Äon, der beschwörend aber hilflos seine Hände über sein baby-
lonisches Kartenhaus hält.

Man müsste die Worte so schweben lassen können wie die Weltkugel
schwebt auf Bramantes Gemälde mit dem lachenden Demokrit (Bra-
bante?) und dem weinenden Heraklit (Leonardo?).

Auch ein Echo kann nur treu sein, wie man sagt, wenn ein Medium
ihm hilft; oder es muss sich in das Medium seiner selbst verändern.

Rhythmus ist der Tanz der Wiederkehr. (Fr. G. Jünger)

...der Ursprung liegt immer irgendwo dazwischen, es gibt ihn nur als
Unterbrechung. Und die Unterbrechung ist ein Ausweg. (Agamben)

Die Parabase, der Ein-Schnitt, in der antiken Komödie findet sich im
japanischen Nô als naka-iri wieder. - Jede Epiphanie beginnt als Rück-
zug. Der Rückzug bereitet die Szene. Zeitlich gesehen ist er ein Kar-
freitag.

Dieser seltsame Seinsmodus der Gedanken!, sagte er mir. Geht es dir
nicht auch so, dass sich dir Gedanken manchmal aufdrängen. Beim
Aufwachen zum Beispiel. Oder ganz unerwartet im Wachzustand.
Dann sind sie so laut, dass sie alle Geräusche um dich übertönen, ob-
gleich man doch nicht sagen kann, dass sie hörbar sind. Sie übertönen
dann aber auf ihre Weise tonlos alles, was sonst in deinem Bewusst-
sein lungert. Sie packen dich beim Kragen deiner Seele. Und auch das
tun sie ohne Hände.

LXXXIV
Ich hüte mich davor, mich dazu einzuladen, aber hin und wieder ver-
suche ich doch, mit mir mitzukommen. Wider alle Vernunft. – Z: Auf
den Flügeln des Verhängnisses! Ich kann es vor mir sehen.

Lockerungsübungen in einer Zwickmühle. – Z: Also: Des exercices de
relâchement dans un dilemme ? – Oder was ?

In der Tragödie handelt, modo barbarico gesagt, die Handlung selbst.
In der Komödie sind es, nach Aristoteles, die einzelnen Charaktere. –
Z: Das ist es wohl, warum das Weltgeschehen zurzeit eine infernali-
sche Komödie zu sein scheint.

Anders gesagt: die Systeme scheinen weltgeschichtlich gesehen er-
schöpft zu sein. Oder sie verweigern - zu guter Letzt – den Akteuren
ihre Mitarbeit. Und am Ende der Befreiung der Akteure aus ihren
Kontexten steht ja immer - das Ende.

Die Tragödie ist nur die Strafe, die einem unverschuldeten Fehltritt
unweigerlich auf dem Füße folgt. Schöner, freilich, Goethe: Ihr (himm-
lischen Mächte) lasst den Armen schuldig werden, dann überlasst ihr
ihn der Pein.

Der komische Charakter entschließt sich zur Unentschlossenheit. Je-
des Sein-zu Irgendetwas (etwa das „zum Tode“) ist ihm suspekt, ja
zuwider. Und jedem Geworfensein zieht er einen fliegenden Teppich
vor. Aber der soll ihm zufliegen. Wie ein bunter Vogel.

Gesten tun so, als ob es etwas zu tun gäbe. Sie setzen es mutwillig
voraus. Aber das ist eine falsche Voraussetzung. Und eine notwendige.

X: Es gibt nur noch eine Praxis, nämlich den Exzess, sie, die Praxis, zu
unterlaufen. Anarchie, Terror, Cyber-Attacken etc. haben ausgedient,
wie wir es alltäglich beobachten können.

LXXXV
Ressortegoismus, sophisticated. - Niederschmetternd sind Verhältnis-
se nicht, weil sie so oder so sind. Was an Zuständen verstört, ist, dass
sie darauf bestehen, irreparabel zu sein. Und dass das ihnen das
Wichtigste ist.

Das absolute Phantombild der Erkenntnis. - Wittgensteins Bemer-
kung, dass Gott, wenn er in unsere Köpfe schaut, nicht weiß, wovon
und über wen wir sprechen, sagt alles, was zu sagen ist.

Es geht immer um etwas anderes – herum.

Und immer wirft sich ein Y dem X als Fraß vor, in der Hoffnung, dass
X das Y nicht verdauen kann. Das ist das vielleicht beliebteste Struk-
turmodell, gegen das ein Gras noch zum Wachsen überredet werden
müsste.

Ersetze in allen Sätzen der Welt die Nomina durch das eine Nomen
Monade. Näher kannst du der Wahrheit nicht mehr kommen, auch
wenn dir Leibniz unbekannt ist. Zumindest ist das ein Trick, mit dem
du erreichst, dass alle Sätze irgendwie stimmen. - Z: Endlich!

Das Herz ist zu einem Bunker geworden, bei dem Interieur und Ex-
terieur nicht mehr zu unterscheiden sind. Der allliebende Gott wendet
sich ab. Und das Herz sagt: das freut mich, aber, was hab ich davon? -
Das fragt sich der allliebende Gott allerdings auch.

Aber wenigstens das ist klar: die Welt kann sich definitiv vor sich
selbst nicht mehr schützen. - Z: Dass man zu einem Kondom wird,
dessen einzige Aufgabe es ist, sich vor sich selbst zu schützen, ist eine
echt abgefahrene Vorstellung.

Echtzeit (28. Februar 2019, 18.43h), Echtraum (München, Rotkreuz-
platz, Jagdschlössl). Herrentoilette. Ein Mann hält einem anderen die
Tür auf und sagt: Wir sehen uns wieder.

LXXXVI
Das Fascinosum der Hostie: - im gemeinsamen Konsum scheint die
Metamorphose kommunizierbar und teilbar. Wir verwandeln uns. Ein
Abendmahl genügt. – Plötzlich genügt ein Mahl.

Wie schön wäre es, wenn man von einer Verfeinerung der Unsitten
reden könnte; wenigstens prophylaktisch.

Der Satan verkörpert den Stillstand in tausendundeiner Gestalt. – Z:
Das heißt: wir haben es hier mit einem sehr genauen Bild zu tun.

Es ist, als würden wir die Spitze eines Eisbergs mit der Nasenspitze
Pinocchios identifizieren.

Monstren ziehen an, wie Geräusche im Dunkel.

Die Liebe zum Normalen ist eine Idolatrie des Stillstands. Wenn es ei-
ne paranoische Idee von/vom Stillstand gibt.

Wir könnten zum Beispiel lernen zu versuchen, die Wendetreppe als
ein dialektisches Bild zu verstehen.

[I] Der Turm zu Babel wäre, [L] wäre er gelungen, [É] die perverse
Erfüllung der Idee von der Himmelsleiter gewesen.


LXXXVII


Das absolute Phantombild der Erkenntnis. - Wittgensteins Bemer-
kung, dass Gott, wenn er in unsere Köpfe schaut, nicht weiß, wovon
und von wem wir sprechen, sagt alles, was zu sagen ist. – Z: Gut, dass
Wittgenstein nicht glaubte, darüber schweigen zu müssen.

Der sehende Fleck in den geblendeten Augen eines Ödipus.



























LXXXVIII
Eichkröten und Schildhörnchen (IV)

Fortgesetzte Transmutationen


Quicquid transmutatur
illud non definit in nihil,
sed in aliquam sui partem.
Est enim
proprium omnis transformationis,
ut id
quod convertitur
non annihiletur,
sed definat in aliquid.



Manche sagen, dass alles schön ist, was an seinem Ort ist. - Z: Eine
bequeme Ästhetik. Aber wer entscheidet über den richtigen Ort? Und
wenn du den Ort als schön und richtig empfindest, täuschst du dich
nicht gerade dann? Und steckst blutend in der Falle, die man dir gelegt
hat, am richtigen Ort? - Sagen wir in Dux, wo du Casanova begegnen
könntest, in der Gestalt eines mumifizierten Froschs, der wochenlang
auf uns, links auf der Mauer am Eingangstor zum Schloss, gewartet
hatte. - Wir haben ihn, das ist eine wahre Geschichte, jahrelang, ohne
uns weiter um ihn zu kümmern, in einer Zigarettenschachtel, auf un-
seren Reisen bei uns gehabt. Und hin und wieder haben wir tat-
sächlich über ihn gesprochen. Und haben gesagt, wir haben ja
Casanovas Seele dabei. Als Talisman. Das hat uns Sicherheit gegeben.
Und irgendwann erzähle ich auch noch, wie es überhaupt dazu ge-
kommen war. Ich erinnere mich gerne an diese schwarze aber sehr
appetitliche Froschmumie. Und auch daran, wie genau sie in die
Zigarettenschachtel passte. Und über die Selbstverständlichkeit, mit
der wir annahmen, dass das Casanovas Seele ist, unbefragt. Was denn
sonst! - Ich bin mir heute noch sicher. Wenn man Casanovas Seele
dabeihat, kann einem nichts passieren. – Das hat sich ja auch bewahr-
heitet.

LXXXIX
Wäre es nicht, pflegt er auf seine rückgewandte Art zu sagen, an der
Zeit, hinter dem Ephemeren wieder ein wenig Welt zu sehen? Oder
zu erdichten? Wenigstens soviel Ehre sollten wir dem Ephemeren
doch antun.

Es gibt Verzichte, die den Mangel aufblasen. - Späte Stimme aus dem
verkohlten Dornbusch: Auf die solltet ihr endlich verzichten!

Es ist zwar, meinte er noch, zu spät, das anzumerken, aber Pascal hät-
te schreiben müssen: wir sind nur (=einzig) verloren in dem, was wir
finden. - Aber vielleicht war ihm das noch nicht selbstverständlich. -
Wie könnten wir, zum Beispiel, verloren sein in einer Unendlichkeit,
die wir nicht bemerken, in einer Leere, die uns entgeht. – Z: Vielleicht
fühlten wir uns dann wie Tiere. Was ich mir aber nicht vorstellen kann.

Wir wissen es schon lange, machen es uns aber nicht klar, dass wir
von den Dingen der Welt nur die Signaturen wahrnehmen, gleichsam
nur die Namensschildchen, hinter denen die Dinge sich verbergen,
wie Waren hinter den Preisschildchen. - Z: Wenn die doch wenigstens
polyglott wären!

Klio. - Dass die Muse der Geschichtsschreibung Rühmerin heißt, das
kommt doch wohl daher, dass ihr einziger Auftrag und Auftritt darin
besteht, schönzureden. Eigentlich müsste auch sie, wie Justitia, eine
Augenbinde tragen, dann brauchte sie nur zu erfinden und nicht zu
lügen. Das wäre wie von der Traufe in den Regen zu kommen, wäre
also wenigstens etwas.

Er sucht schon sein Leben lang nach seiner Lesart. – Z: Was sagst du?
Er kann lesen?

Seltsames Deutsch (Fortsetzung). – „So, wie es sich gehört.“ – Z: Wer
das wüsste!

XC
Seine beste, wenn auch einzige, den Oikos in seiner ganzen Breite be-
treffende Kunstfertigkeit: die Handwäsche.

Etwas mit Gedanken aufladen, das scheint ihm noch immer eine hüb-
sche Vorstellung. Und zu einer solchen zu gehen, das ist unerhört reiz-
voll. Und verspricht eine Erfrischung; bis hin zu einer Unterkühlung.
Und Unterkühlungen sind stilbildend.

Gnadenakt, ein Brot von Gottes Gnaden.

Par la grâce de Dieu ? ...des clous ! - Alles, was der Fall sein soll, muss
sich zeitlos voran sein, um sich nachhinken zu können. Wie jede Melo-
die. – Denn eine jedwede Einheit erfüllt sich erst in ihrer verspäteten
Ankunft. Das ist logisch und ontologisch gemeint, dankbar und bedau-
ernd. Eine trockene Wahrheit von der irreparablen Art. – Z: Könnte
nicht doch Gottes Gnade dahinter stehen? –

Sinkt ja auch die Welt ihrem Untergang nur nach. Wie eine Titanic.

Stochastique du monde. - Die Weltelemente waren von Anfang an
funktional differenziert, austauschbar, fremdbestimmt und fremdbe-
stimmend. - id facit exiguum clinamen principiorum / nec regione loci
certa nec tempore certo – (Lukrez). Die emergente Logik des Gesche-
hens kann auch nachträglich nicht mehr erfasst werden. Sie zeigt sich
tatsächlich nur im Begehren und Wahrnehmen, in Behagen und Unbe-
hagen, heftig und passager. Dennoch darf man sich das Ganze getrost
so vorstellen, als wären Lukrezens Atome Leibnizens Monaden.

Und wie könnten Monaden auch die Fenster haben, die sie sind!

Pacta sunt disputanda. Gusta non sunt servanda.

In Echtheit und Einzigartigkeit liegt die größte Verletzbarkeit. Wir
stimmen – wieder einmal - Walter Benjamin zu. Nur sind Einzigartig-
keit und Echtheit ihrer Verletzbarkeit schon längst zum Opfer gefallen.
XCI
Wir können uns nur noch an die Wunden halten, die, wie Statthalter,
eine Gewesenheit, ein autrefois, wie sie es nennen, bezeugen: Genau
hier war etwas, das jetzt nur noch als Beklemmung im Angesicht sei-
ner Abwesenheit wahrgenommen werden kann. – Z: Und dabei
vielleicht einen gleichsam auratischeren Effekt bewirkt als eine wie
auch immer geartete Präsenz. Vor allem bei denen, die Wunden, in der
Fülle ihrer Formen, als Zeit-Zeugen zu sehen verstehen.

L'odeur des sirènes. - Die Sirenen haben, in der Zeit, in der Kafka lebte,
ihre Insel verlassen, singen nicht mehr und agieren heutzutage olfak-
torisch, sie sind zu nomadischen Aromen geworden. Dem Odysseus
steigen sie heute in die Nase. Den unermüdlich an seinen Mast Gefes-
selten können sie aber noch immer nicht – und sie werden es niemals
können - an seiner Nase herumführen: Er muss weiterhin verzichten.
– Der Unterschied zwischen Ablenkung (distraction) und Versenkung
(immersion) löst sich in Aromen auf. Die Fesseln werden zum allge-
meinen Element, das in sich selbst nomadisiert, zum ozeanischen
Aroma. – Z: „Ich glaube mich wiederzufinden, wenn ich in dieses uni-
verselle Gewässer zurückkehre.“ (Valéry) - Selbst ich könnte es nicht
besser sagen, würde es aber anders meinen.

Das konkrete Menschenleben, sagt er, scheint mir heute in einem Ein-
üben der Gebräuchlichkeit aufzugehen. Wenn die Gebräuchlichkeit in
Fleisch und Blut übergegangen ist, beginnt der existentielle Ruhe-
stand. Der vollendete Mensch unserer Zeit ist – genau besehen und
anders als Oberfläche und Propaganda es nahelegen - der Mensch au-
ßer Dienst. - Ein komplexes und komplettes organisches Räderwerk
im Leerlauf.

Selbstgesprächsnotiz. - Wenn unsere Denunziation der Evidenz, sagt
er sich, ein Aufstand gegen die Dominanz des Augenscheinlichen ge-
nannt werden kann, haben wir in Blaise Pascal einen frühen Partei-
gänger. Selbst unsere Motive und Argumente ähneln sich, sagt er, lies
nur nach!

XCII
„Pascal ist der Typus eines Anarchisten und das finde ich am besten
an ihm.“ (Valéry)

X: Es ist seltsam und auffällig, dass gerade ein Denken, dem es um die
Perfektion der Eleganz des Denkens geht, zu Gedanken mit hohem
Wahrheitswert führt; zumindest aber zu einem eleganten abschlie-
ßenden Seufzer. – Y: Das ist bei einem Dichten, dem es um die Eleganz
der Dichtung geht, nicht so. – Z: Gibt es also vielleicht ganz verschie-
dene Elegantien?

X: Ich wäre, sagte er, gerne eine Kassandra, die euch etwas nachruft.
– Z: Heißt dass, das ein Echo ein Nachruf ist? –

Sie kommunizieren miteinander, als würden sie sich gegenseitig Pe-
stizide verabreichen. – Z: Sie gehören eben zu der harmloseren Spe-
zies.

Seltsames Deutsch (Fortsetzung). – Es kommt jemand wie getrieben,
fast atemlos, auf dich zugelaufen uns ruft aus einiger Entfernung:
„Denk‘ dir: ich habe...,“ oder gar: „Denk‘ dir, sie hat mir eben doch tat-
sächlich...“

Sagen wir: Das Allgemeine ist die Ordnung. Das Besondere ist das
Abenteuer. Das Allgemeine ist die Zeit. Die Jahreszeiten sind die Aben-
teuer. Der Tod ist das Allgemeine, das Leben eine Ordnungswidrigkeit
(der Zeit). Hier herrscht eine ganz eigene Chrono- und Geographie.
Das Universum (!) ist das Allgemeine, meine rechte Hand seine archi-
medische Fläche. Der Schluck Wasser, den du gerade trinkst, ist das
Allgemeine, das Meer aber das Besondere, das sich darin zu begegnen
und zu erkennen versucht. Darauf solltest du stolz sein. – Z: Aber
kannst du das denn?

Seltsames Deutsch (Fortsetzung). „...wo das Allgemeine ungetrübt
sich selbst gleich bleibt.“ (Hegel)

XCIII
Das Glänzen der Natur ist höheres Erscheinen. (Hölderlin, im Turm) –
Z: Müssen wir jetzt auch noch Hölderlin sein Vertrauen in die Evidenz
austreiben? –

Du kannst es auch ganz einfach sagen: Das Zerbrochene und das Zer-
stäubte prägt sich am schmerzlichsten und am tiefsten ein.

Er lebte vor sich selbst, als lebte er in einer Hundehütte vor seinem
Haus. Er wollte sich nicht ausliefern. Er hatte, wie Valéry kurz vor
seinem Tod, von seinem Lebenswerk geträumt, das ein Engel ihm
zeigte. Da war nichts. Immerhin, dachte er, das habe ich trotz allen
und gegen alle Widerstände, und davon gab es viele, geschafft und
geschaffen: nichts. - Valéry sagte nur, ich habe gemacht, was ich konn-
te.

Er ist sich sicher, verfolgt zu sein; von einer allgemeinen Ranküne. Es
macht aber überhaupt keinen Sinn, ihm zu sagen, dass es seine eigene
Ranküne ist, die ihn verfolgt, aber ein wenig, um das Maß einer klei-
nen entscheidenden Idee, delegiert.

Es ist nicht mehr korrekt, politisch oder anders, zu fragen: wer fürch-
tet sich vorm schwarzen Mann? – Dass es nicht mehr korrekt ist, das
steigert aber die Angst vor ihm, dem Schwarzen. Daher laufen wir
schon, bevor er kommt. Wir laufen, auch wenn er gar nicht kommt.











XCIV
Eichkröten und Schildhörnchen (V)

Stockende Transmutationen

Ringsum von Wellen angehüpft, / Nichtinsel - . - Ideen, die dir, nachdem
du sie abgelegt hast, entgegenkommen oder dich von hinten, so ima-
ginär sie sein mögen, gleichsam a tergo, überfallen, sind tödlich. – Z:
Untote Ideen sind aber die erfahrensten und besten Kriegerinnen.
Penthesileen sind dagegen nur Schmetterlinge und Musterbeispiele
von Schlüsselkindern. – Z: Missbrauch in der Kirche, wenn wir schon
einmal von a tergo reden, ist das nicht die mitwillige Produktion von
Schlüsselkindern, deren Schlüssel, in keine Schlösser (mehr) passen.
– Welch erbärmliche Ironie, dass gerade Petrus das Schloss am Him-
melstor verwalten soll.

12

12

XCV
Deine Sätze ähneln immer mehr den Schotterhalden, wie du dir sie zu
sein wünschst.

Auch Geworfenheit wird zum Schweben, wenn du sie lernst. - Den
Schmetterlingen aber muss das Gefühl der Geworfenheit wohl so
fremd bleiben wie der Begriff der Schwere überhaupt..

Wie steht es um die Selbstbestimmtheit eines Außenseitern? – Der
Außenseiter ist mehrfach registriert. Il povero!

Das Kind, das die schwebende Bewegung der Wiege selbst fühlt... (H.
v. Kleist)

Nur durch bewusstes Vorbeireden (aber was ist das, eigentlich?) kann
ein Gipfel erreicht werden.

Die Sprache kann nur wieder da anfangen, wo Becketts Fahrräder um-
gekippt und mittlerweile verrottet sind. Überhaupt sahen die Alchi-
misten ja nur in der Fäulnis, der putrefractio, die Chance eines Be-
ginns.

Dass das Verweste anheimelnd erscheint, daran können wir nichts
ändern. Wir können aber in all diese Nester der fristgemäß abgestan-
denen Verwesung Kuckuckseier zu legen versuchen. Die brauchen ja
nur ein wenig Wärme. Mehr Bezug ist nicht nötig. Der Zauber, der dem
Anfang innewohnen soll, ist ein hinterlegter Treppenwitz, nichts als
der Zauber einer jeden Fäulnis. – Z: Wenn du so tust, als würdest du
daran glauben, gibst selbst du der Welt eine Chance.

Ich habe, sagte er, in der letzten Nacht, endlich einmal. ein paradoxes
Instrument erfunden, die Ein-Ton-Ukulele. Und einer sagte mir, mir
völlig unverständlich, das sei eine Metapher für das Glück. - Meine
Träume beginnen, mich zu enterben. – Z: Tun sie es? Jung würde dich
fragen, wie das denn gehe, dass Archetypen einen enterben.

XCVI
Zwei oder auch drei Mal wiederholt Klaus Mann in seinem Bericht
über sein Gespräch mit Richard Strauß, ich möchte sagen: in betrof-
fener Vertrautheit: Fremd, fremd. fremd! – Er schickte seine Notizen
zuerst, in einem Brief, an seinen Vater Thomas.

Wie häufig Schlüsselkinder bei dir vorkommen! – Sie sind die gebore-
nen Nomaden. – Was sag‘ ich! Außer Schlüsselkindern gibt es gar kei-
ne Nomaden. – Zumindest solange Schlüsselkind bedeutet, aus struk-
turellen Gründen keinen Ort (zu sein) finden zu können.

Ortlosigkeit ist somit das transzendentale Schlüsselerlebnis.

Der Schlüssel, der hier gedacht wird, ist der dialektische Dietrich, der
kein Schloss zu öffnen vermag. Weil die Idee eines Dietrichs der Idee
des Schlüssels widersteht. Aus Natur. Er annihiliert die Schlösser, die
Scham, das Spiel, die Überraschung, den Betrug, das Unerwartete, die
Erwartung, kurz: Merleau-Pontys Fleisch, alles, was der Mensch,
kunstlos gesagt, sein kann. Seine ganze unmögliche Lust und seine
ganze lustvolle und auch lustige Unmöglichkeit.

Der Dietrich ist der allgemeine Schlüssel, die absolute Idee der Lange-
weile. Stell dir zum Beispiel vor, es gäbe einen Dietrich, der dir den
Zugang zu all deinen potentiellen Erinnerungen ermöglichen würde,
du verfügtest dich sofort in ein Märchen und würdest ihn in den näch-
sten halbwegs intakten Brunnen entsorgen und der Vergangenheit
überantworten und anheimgeben. Und pfeifend die Treppe hinun-
terspringen. Und sei es eine Wendeltreppe.

Arno Schmidt nannte sich einen Stein-Metz. Ich gäbe ihm einen Kuss
auf die Stirn.

Wenn Marmelsteine versuchen, auf Wasser ins Runde zu rollen. Das
sieht so schön aus, weil er so leicht zu sein scheint, der Stein, er fliegt
und beweist damit, dass Fliegen das Wunder einer minimalsten Ent-
fernung ist, nämlich zu dem, das einen trägt und zu fliegen ermöglicht.
XCVII

Ein Kaugummi kann eben dem Mund und dem Halm, wenn diese Vor-
stellung erlaubt ist, nicht so entfliehen wie eine Seifenblase.

Es ist nicht anstrengend, zu scheinen, was man ist, aber zu sein, was
man zu sein scheint, sagt er, wer denn sonst, ist unmöglich. – Z: So
einfach ist das.

Du müsstest jeden Tag in eine Oper gehen, um auf der Welt zu sein. –
Aber nur unter der Bedingung, dass der Kosmos dich noch begeistert.

Er sagt, sein Traum habe ihm eröffnet, er sei der Zürich-See. Aber er
baue weiterhin darauf, dass ihn keiner erkennt. – Z: Die Wahrschein-
lichkeit ist hoch.

Messa di voce. - Praktisches Lebensmodell. Flexibel in der Anwen-
dung.

Sie glauben an nichts mehr, sie beschwören ihren Unglauben, versu-
chen aber hartnäckig, ein Ideal zu verwirklichen. Aber selbst das wer-
den sie nicht zugeben.

Wirkliches Denken und wirkliches Sprechen fangen an, wenn Sprache
und Denken den Rahmen sprengen, den sie sich setzen. Gegen jedes
andere Sprechen und Denken zeugt deren Überschaubarkeit, die lei-
der vielen Denkern und Dichtern ein Ideal zu sein scheint, an dem sie
sich gegenseitig erkennen. Sie nennen es natürlich anders. Stil oder
Stringenz oder Logik oder auch Wissenschaftlichkeit. - All das, was auf
einem Floß Platz findet.

Der Pfiff, der sich, wie Hegel sagt, leicht lernt. Ganz leicht.

Irgendwie und irgendwo und irgendimmer fliegt das Leben vor sich
so! dahin.

XCVIII
Unerlöst zu sein, ist ein unendlicher Vorteil.

Über die Einsamkeit ist immer noch nichts zu sagen, aber sie ist die
denkbar intensivste Form der Wahrnehmung. - Das kann sich natür-
lich noch ändern.

Die Welt ist unauffindbar. Das macht ihre Popularität aus.

Durabilité sous réserve. - Der Vorbehalt schont. Dazu ist er da. – Z: In
gewisser Weise ist er auch der Inbegriff von Nachhaltigkeit.

Kommunikation existiert doch nicht. Dafür gibt es Beweise. Wie etwa
die nächtlichen Schwärme schwarzer Vögel. Oder die Faltermonstren,
die dem Schlaf der Vernunft entschlüpfen. – Z: Das kann sich natürlich
nicht mehr ändern.

Glissement sémantique (Michel Delon, zu Voltaire) - Ist denn semanti-
sches Gleiten nicht die Grundbewegung des Denkens? - Wie könnte
man anders weiter oder auf etwas kommen? Z: Wir können über das
Eis und durch das Vakuum gleiten. Durch Stein ebenso gut wie durch
Wolken. Durch Stein vielleicht sogar am besten.

Faire un Corps. - Im Zusammenhang mit der Ordnung scheint mir, sagt
er, dass wir nicht ausreichend von der ordnenden Hand des Stils re-
den. Schon Buffon sah 1753 im Stil eine Art Verfügungsgewalt, die
ihren eigenen Wirkungsbereich im Denken hat. Er sei es, der dem Ge-
danken einen Körper gibt; somit Einheit. - Z: Tut er es nicht, und das
geschieht leider nicht selten, ist er kein Stil. Vergleichbar einer Hand,
die nicht gestaltet und ordnet, sondern über eine Oberfläche streicht,
um sie zu glätten. In gewisser Weise teilnahmslos.

Aber jede Verfügungsgewalt ist eitel. - Wie alle Formen von Amts-
macht.

XCIX
X: Es gilt noch immer: Sätze dürfen nicht zu viel sagen. Sie sollten
schmale Türen – (Y: Warum nicht Schlupflöcher oder lacunes?) - sein,
durch die man in weite Bedeutungshöfe eintritt. – Z: In semantische
Universen kann man also nur durch das Schlupfloch der Ranküne13
gelangen? -

Kleine Methodenlehre. - Z: Du meinst, in Sinn und Bedeutung kann man
nur eindringen? Wie in eine Wohnung oder eine Privatsphäre? – X:
Ein Hermeneut ist immer ein Spion, ein Späher, ein Spitzel. – Y: Ist es
nicht treffender ihn mit einem Dieb zu vergleichen, der nur das raubt
und heimholt, was er vorher selbst am Ort seines cambriolage abge-
legt hatte? – Z: Dann ist ein Hermeneut ein Dieb, der keine Enttäu-
schungen erleben möchte? – X & Y: So kann man es sagen. Vielleicht
mag er aber auch nur keine Überraschungen. – Z: Ein Hermeneut fin-
det also genau das gerne wieder, was er absichtlich verlor.

Es ist ein großer Unterschied, ob ein Hermeneut unbedenklich agiert
– oder ob er keine Bedenken hat zu tun, was er tut. – Z: Dazwischen
liegt ein großes Kategorienintervall.

Er glaube mittlerweile, dass er seine Gedanken der Luft, dem Papier,
dem Monitor vermitteln könne. Den Menschen aber nicht. Die besä-
ßen keine Aufnahmeorgane, keine Antennen oder dergleichen. Nicht
einmal die Indifferenz, die das Fehlen von Rezeptoren ersetzen könn-
te.

Une relativité raffinée. Dichter und Denker (ab jetzt: D & D) leben,
nicht nur in gewisser Weise, davon, dass sie aufzeigen, warum das Le-
ben, das sie, wenn sie schon leben wollen, leben müssen, kein Leben
in seinem eigentlichen, wie sie oft meinen: gottgegebenen Sinne ist
oder sein kann. – Z: Die Strategie ist relativ raffiniert und vice versa.

13
„von französisch: rancune < mittelfranzösisch rancure < mittellateinisch rancura < lateinisch rancor = das Ranzige“ (de.wiktionary.org)

C
Gedanken formen mit Pochen, Prallen, Pulsen und Hämmern. - Nicht
mit dem Hammer, wie Nietzsche dachte und sagte.

Die Existenz der Götter: Teilnehmen am eigen Verschleiß. Und das Le-
ben, überhaupt, ist vielleicht eine Konvulsionsverletzung.

Er hat, sagt X, oft erlebt, wie jemand nach langem Schweigen an einem
Tisch oder bei einem Spaziergang kräftig oder geradezu vital seufzt -
vielleicht auch, falls er an einem Tisch sitzt, die Arme bestätigend ver-
schränkt - und sagt: Ja, so ist das! - Der Gesprächs- und Schweige-
partner reagiert meistens nicht oder erst sehr viel später. - Und X fragt
mich, ob das alles nicht merkwürdig sei. - Ich antworte: Ja, es ist merk-
würdig.

Es besteht im Grunde zwischen Apriorischem und Transzendentem
kein Unterschied. - Sie können sich zwar darüber nicht einigen, ob es
so ist. Aber gerade das scheint mir der Beweis dafür zu sein, dass kein
Unterschied besteht.

Was du sagst, sagte er, kann nur abgelehnt werden. Du ziehst ihnen
den Boden unter den Füßen weg, du schwemmst ihnen die Felle weg,
du benimmst ihnen den Atem, du bist das Brett, das ihnen ihre Welt
vernagelt, du lässt ihnen keine Alternative, du verdenkst und verha-
gelst es ihnen. Und du wunderst dich, dass sie dich ablehnen? Freu
dich lieber, dass sie dich nicht vierteilen! Und auf dem Mond ver-
streuen. Du tust ihnen nichts Gutes und sie vergelten es dir nur damit,
dass du ihnen leid tust. Eine großzügigere Rache scheint mir nicht
denkbar. - Z: Dass man denen leid tut, ist das nicht die größte Tortur?

Ist die Liebe, fragt er, nicht die holdeste Rache? – Ich: Viele seiner
Worte verstehe ich nicht. – Er: Ich meine Lust um Lust. – Ich: Du
meinst also, das sei besser als Aug um Aug und dergleichen?

Wie: wenn eine Serviette ungenutzt durch einen Park flattert.

CI
Das tust du ja nur der Anerkennung wegen! - Ja, aber sei getrost, wir
wissen ja, sie bleibt aus.

Alle Theorien der Perzeption scheinen mir darauf hinauszulaufen, das
kleine Leben zu heiligen, vielleicht sogar zu retten. - Z: Sinnstiftung,
wie es sich gehört, nein, wie sie sich gehört.

Sedes entis. - Da sitze ich oft da, gedankenlos, und vermeine zu sein.
Wie Wachs, wie eine Farbe, wie ein Gott, wie ein gänzlich überhörter
Vogelruf. Gefasst wie ein Diamantsplitter. (Descartes, aus dem Nach-
lass)

Ich bin für mich die Veranschaulichung der Welt. Wenn ich Glück habe,
auf einem Liegestuhl in einem Wellness-Hotel, wenn ich Pech habe,
woanders. Aber wo, das tut eigentlich nichts zur Sache. Das Tragische
oder Komfortable ist, dass ich immer die Welt nur in mir und als mich
anschaue. Der Welt geht es nicht anders. Auch sie hängt von mir ab:
Der unvermeidbare milliardenhaft geteilte Autismus. - Z: Geteilter Au-
tismus! Glaubt ihr, damit das Problem der Intersubjektivität – gleich-
sam global und in praxi - gelöst zu haben? - Alle: Ja! -

Du könntest die Zeit ja auch bitten, dir ein wenig ihrer Unerbittlichkeit
zu überschreiben, zu schenken oder zu vermachen. - Z: Lässt das Erb-
recht das denn zu?

Es geht ja nur darum, das Umfassende in den Griff zu bekommen, es
zu umarmen, zu umhalsen und zu küssen. – Z: Ja, es geht nur darum!

Ich: Das, was wir fälschlich Mittätigkeit (des Anderen etc.) nennen, ist
die Tätigkeit überhaupt, an deren Rändern Täter und Mittäter abtro-
pfen. Wie Fladen, die Dalís weichen Uhren ähnlich sehen. – Er: Fladen,
das ist ein gutes Wort für diese hostienförmigen Schnittflächen von
Zeit und Nichtzeit.


CII
Eichkröten und Schildhörnchen (V)

Fortgehetzte Transmutationen



Die Realität ist auch nicht wie das Tageslicht,
das den Dingen erst Farbe gibt,
wenn sie im Dunkeln schon,
gleichsam farblos,
vorhanden sind.

Wittgenstein


...nur weiche Dinge widerstanden.

Stifter


Er: Variationen über Zwangsbescheidenheit. – Ich: Falsche Investitio-
nen.

Er: Ich denke noch immer gerne nach, das ist so meine Unart. – Ich:
Wer hat dich denn so kokett gemacht? –

Er: Wer immer die Dinge entmischt, demêle, wie Diderot das wohl ge-
nannt hat, um sie zu durchschauen und dabei zu erkennen, sieht zu-
letzt nur einen diffusen champ libre: ein Freifeld, das die Dinge vorher
voneinander getrennt und sie dabei erst sichtbar gemacht hatte. .- Ich:
Eine solche, gleichsam entwirrende episteme vergießt die Dinge, löst
sie auf in die leeren Zwischenräume, die allein dazu da waren, sie zu
markieren und als Objekte zu sichern. Und dabei der Gefahr aussetz-
ten, vom Gedanken zersetzt zu werden. – Er: Zu dem und in das, was
sie einmal unterschied.

Ich (lästig): Ist es, wenn wir über den Unterschied nachdenken, wich-
tig, uns zu fragen, ob der jeweilige Grad des Unterschieds eine präg-

CIII
nante Rolle spielt? – Er: Der Grad spielt eine Rolle, aber keine präg-
nante. Und dabei verhält es sich überdies so, dass ein kleiner Unter-
schied bedeutsamer ist als ein größer. – Ich: Wittgenstein sagt, dass
es schwer sei, nur ein wenig von einem „alten Gedankengeleise“ ab-
zuweichen. Das gilt, denke ich, für alle Fälle. – Er: Wenn sie zu all dem
gehören, das der Fall ist. – Ich: Du meinst: zur Welt? – Ja, vorsichtig
gesagt.

Wittgenstein: „Etwas tun zu können, erscheint wie ein Schatten des
wirklichen Tuns,“ – Er: Ist aber genau das Apriori, ohne das ein Tun
undenkbar bliebe. – W: „gerade wie der Sinn des Satzes als Schatten
einer Tatsache,“ – Er: Ohne ihren Sinn-Schatten oder ihren Schatten-
Sinn aber wäre die Tatsache nur ein winziges Körnchen kosmischen
Treibsands. Wenn nicht sogar, was ich annehme, weniger. – W: „oder
das Verstehen des Befehls als Schatten einer Ausführung.“ – Er: Der
Schatten des Verstehens aber entscheidet über die Tat. – W: „Dieser
Schatten aber, was immer er wäre, ist nicht das Ereignis.“ – Er: So we-
nig wie die Tat es ist. Das Ereignis negiert und löscht beide. Den Schat-
ten und die Tat. Weil, wie uns Zizek lehrt, das Ereignis nur ein Exzess
sein kann. Unabhängig von der Richtung, die er einschlägt.

Er (zitiert Jean Paul): Ihre Sehnerven waren durch ihr langes Malen
gleichsam weiche Fühlfäden geworden, die sich eng um schöne
Formen schlossen. – Ich: Aber auch die Schönheit ist eine Ablenkung.
Man sollte es einfach darauf ankommen lassen, dass alles plötzlich
nicht mehr ist. - Ich sage „man sollte“. Ich kann es nicht.

Er: Besonders Architekten müssen doch furchtbar darunter leiden,
dass ihre holz- oder stein- oder betongewordenen Ideen in der Regel
so jämmerlich dastehen, auch wenn sie fünfhundert Meter hoch sind
oder höher. Das muss doch zum Verzweifeln sein! – Ich: Ich finde es
verwunderlicher, dass sie sich nicht schämen. So genannte Verwirk-
lichungen sind Lackmustests, deren Ergebnisse sich nicht verschwei-
gen oder verheimlichen lassen, aber notorisch ignoriert werden.

CIV
Fahrlässige Erwartungen behindern die Erkenntnis, verunmöglichen
sie. Aber was sollte ohne sie werden? Und Fahrlässigkeit hat doch
auch eine existentielle Energie. Man könnte sie verführerisch nennen.
Wie einen verlockenden Naturlaut, von dem man nicht weiß, wo er
herkommt. Wie einen erfrorenen Vogel, der nicht von einem Baum fiel.
Und es offen lässt, von wo er her stürzte. So rasseln die Dinge unend-
lich durcheinander, wie Stifter es so treffend beschreibt.

Die Schatten von Zeitpunkten sind allerdings die winzigsten. Die
Kleinheit der Zeitpartikel hat wirklich etwas Reizvolles. Als würde
man als ein Gefangener in Platons Höhle an den Wänden einen rie-
selnden Cancan aus Zeitflöckchen wahrnehmen. – Z: Bei Hofmanns-
thal rieselt die Zeit aber in den Gesichtern.

Dort, zum Beispiele, wallt ein Strom in schönem Silberspiegel, es fällt
ein Knabe hinein, das Wasser kräuselt sich lieblich um seine Locken,
er versinkt – und wieder nach einem Weilchen wallt der Silberspiegel,
wie vorher. – – (A. Stifter)

Thomas Mann bewundert die sensationelle Qualität der Langeweile
bei Stifter.

„Alles gut!“ – Die Theodizee kräht heute, als Diminutiv, aus allen Häl-
sen. – Z: Und sie wissen nicht, was sie tun, die krähenden Hälse.

Eisbruch, anthropofugal. - Er braucht sich das Eis nicht vom Leib zu
kratzen, seht nur, wie es ihn flieht. Auch Eis kann sich ekeln und ekelt
sich auch. – Z: Wer sagt das?

...nur die zerquetschten Kräutlein suchten sich aufzurichten und der
Rasen zeigte seine zarte Verwundung. (A. Stifter)

Wenn es heißt: die Dinge standen in der vollkommensten Ordnung,
wie hat man sich das zu denken? - Klinisch? - Neurotisch? - Kosmisch?
– Und hat der Zauber, von dem es ja heißt, dass er innewohnen kann,
CV
eine Ordnung, oder ist nur das Chaos zauberisch? – Z: Wäre das nicht
eine Frage vor allem für Filmtheoretiker?

Er: Dass dieses Bündel unglücklicher Bedeutungen jemals mit dem
Namen „Identität“ belegt werden konnte, kann doch nur eine karne-
valistische Pointe des Schöpfergottes sein. – Ich: Auch er konnte es
sich nicht anders denken. Und er konnte uns auch nicht mehr geben.

Ich: Allmacht ist die narzisstischste Form der Ohnmacht. – Er: Die All-
macht ist der explosive Autismus des Alls, wenn es richtig ist, dass
Bleuler, wie es heißt, den Begriff Auto-Erotismus zu Autismus ver-
kürzt hat.

Er: Ich baue ein Echo-Lot nach oben. – Ich: Die Richtung scheint mir
nicht so wichtig. Aber erwartest du ein Echo; von oben?

Das absolute Sozialisationsmodell, heute, ist der integrierte Ausstei-
ger. Rote Schuhe, Embonpoint, Zwergenmütze, iPhone 10. – Z: Ein
Phantombild for the time being, - call again!

Ich: was, denkst du, hast du von oder bei Bruyère gelernt? - Er: Das
Glück der Selbstverständlichkeit bei der Perücke zu nehmen, oder
beim Zipfel der Küchenschürze der Mutter. Das Glück, das weiß, dass
es außer Oberfläche nichts gibt. Mir scheint, vielleicht nur mir, das für
B die hauchdünne Folie der Sichtbarkeit alles war. Umgekehrt war für
ihn nur alles das der Fall, was er sah. Was er sah, war für ihn das, was
wahr war. Nichts davor und nichts dahinter. Das Verhalten und das
Fehlverhalten. Das Sprechen und das Versprechen. Alles gleich wahr
auf einer unsichtbaren Bühne. So wie nur das Spiel der Schauspieler
Rückschlüsse auf eine Bühne zulässt, dachte, denke ich, B, so lässt nur
das Spiel der Menschen Rückschlüsse auf Gott zu. Die zog er allerdings
lustvoll und exzessiv. - Ich: Eine interessante Theodizee. - Er: Doch
eher eine Epistemologie! - Ich: Man könnte daraus schließen, dass
Glück immer das Glück des moderaten Denkens ist, dem die hauch-
dünne Zeichenwelt genügt. - Er: Wer kam nur darauf, ehrgeiziger zu
CVI
sein? - Ich: Jedenfalls war es ein gelehriger Schüler dessen, der uns
aus dem Paradies vertrieben hat. - Er: Aber das waren wir doch selbst.
-

Heilung kommt, falls sie kommt, immer aus heiterem Himmel. Und
der ist selten wirklich heiter. Wir wissen auch nicht, woran wir ihn
erkennen können. Und worin die Heiterkeit des Himmels besteht.

Vielleicht wollte uns Proust beweisen, dass nur Erinnerungen einen
gewissen Reiz und überhaupt einen Geschmack haben.

Es ist seltsam. Ich lese viele Geschichten, die mich gar nicht interes-
sieren, die so schlecht geschrieben wie erfolgreich sind und aus denen
man nichts lernen kann. Dennoch vertue ich meine Lebenszeit unter
einem mir unerklärlichen, unverzeihlichen Bann mit der Lektüre die-
ser Texte. Weil ich nicht verstehen kann, warum es sie gibt.

Postkolonialistische Skizze. - Komm und zieh mir deine Grenze. Ich
ziehe dir meine. Den Rest geben wir der Welt. Ich bin die Antwort, du
die Frage, die mir nachfolgt. So wie du mir immer voraus warst und
bist. Und bleibst. Das darf man von einer Frage immer erwarten, die
ich nie werden stellen können, nicht in der Zeit, nicht außer ihr. - Z:
Wie auch! Sie ist eine Diebin, die zu stellen es noch niemandem gelang.
Aber bedenke, was würde aus dir, wenn es dir gelänge? Du würdest
Dir selbst fraglich und vergingst. Nein, du würdest Dir nur deines Ver-
gangenseins inne. Du wärst sehr allein, so ganz ohne dich.

Auf der Suche nach dem vergorenen Kleid der Gottheit. - Z: Lasst es! -
Den seltsamen absurden Most möchte keiner Kosten.

Y: Und jetzt beneide ich sie, diese Menschen, die wunderbar und wie
toll immer um das Selbe gekreist sind. Den Tod. Die Liebe. Den Hass.
Das Geld. Die Macht. - Und du? – Z: Das war mir zu wenig. Jetzt
schwenkt mich Gott am Kragen über den Abgrund. Vielleicht will er
mich ihm schenken. Aber was hat er davon?
CVII

Er: „Dem unterm Tische ist’s getan.“ (Goethe) - Dem Betrunkenen
unterm Kneipentisch. Dem repräsentativen Toten unter den Tischen
der Götter. Der Unterschied ist marginal. - Ich: Wer sagt denn das ? –

Wenn ich, sagte er, es mir erlauben könnte, kaufte ich mir jeden Tag
eine bestimmte Erfahrung. – Nein, nicht die, die euch in den Sinn
kommt. Wie könnte ich so originell sein!

Unterlippenlastig wäre ich gern, wie mein Nachbar.

Traumfrisch, die Gestalt meines Feindes, frühlingshaft. - Der Lenz des
Universums. - Aber kann es den geben, hier und jetzt? - Andererseits,
wie komm ich auf ihn? - Den Lenz des Universums zu sehen, das bringt
doch keinen Vorteil, oder?

Schon vor dem Lapsus soll Eva zu Adam gesagt haben: Belaste dich
nicht mit Visionen, bevor du sie brauchst. - Es scheint, dass Eva schon
und noch in Eden ihrer Zeit voraus war. Vielleicht sogar jeder Zeit
voraus, so viele es auch geben mag.

Das älteste Spiel: Du! - Wer? Ich? (Hatte ursprünglich die Form: Gott:
Du! – Mensch: Wer? Ich?)

Trinke, Liebchen! - Aber ich will doch gar keine hellen Augen.

Könnte Maria dem Erzengel Gabriel entgegnet haben: Ich weiß, aber
das macht doch nichts! - Z: Das würde Maria entlasten. Meint ihr
nicht?

Die Welt sagt zu sich selbst: Es wär so schön, wenn ich mich be-
schreiben könnte.

CVIII
Keiner glaubt mehr an die Physiognomik. Und doch ist jedes Gesicht
ein Schicksal. Diesen Eindruck gewinnt man wenigstens in einer U-
Bahn.

Er: Ich habe bis eben (22. 3. 2019, 20.46h, München, U-Bahnhof Send-
linger Tor) über Schminke anders gedacht. Aber jetzt weiß ich, dass
sie nie gelingt. Sie macht nur aufmerksam. - Z: Auf das, was sie ver-
birgt. – Ich: Spielverderber! Lass die Leute doch selber draufkommen!

Er: Entweder sie haben Stimmen wie Maschinen oder wie Vögel. Oder
sie gehen krank. – Z: Ist denn krank ein Adverb? – Ich: Eines, wie kein
anderes!

Ich: Also noch einmal: Entweder sie haben Stimmen wie Maschinen
oder wie Vögel. Oder sie gehen krank. – Er: Die frühen Psychopa-
thologen waren viel aufmerksamer auf den Gang der Menschen; und
konnte ihn noch deuten. Ich habe viel bei ihnen gelernt, aus ihren ge-
nauen Beschreibung. Aber ich leide sehr darunter. Bei zu vielen, die
vor mir herlaufen, als wollten sie mir ihren Gang demonstrieren, ja
zur Deutung aufdrängen, zerreißt es mir das Herz. – Ich: Wendest du
deine Beobachtungs- und Deutungsgabe auch auf Ganarten des Den-
kens an? -

Freiheit, die ich meine. - Manchmal gibt es Tage, an denen man eine
kleine Freiheit fühlt, oder zu haben meint; aber dieses Gefühl ist im-
mer, zumindest bei mir, gekoppelt mit einem ängstlichen schlechten
Gewissen. - Z: Freunde, wie steht’s mit euch? -

Kommt es noch so weit, dass das Timbre einer Stimme nur noch das
Maß der Verzweiflung des Sprechers zu verstehen zu geben versucht?

Gauß‘sche Relativitätspraxis. Auch: Glocken, die Kurven ziehen. - Ja, es
gibt einige Glückliche mehr, weil es soviel mehr Unglückliche gibt. Das
Glück ist eine bissige Pointe der Normalverteilung.

CIX
Auch für Aristoteles war die „Theorie“, das „entfernteste“ Wissen, das
allgemeinste, und gerade deshalb wertvollste - „und am meisten zur
Herrschaft geeignet“. (Metaphysik, I, 2, 982a, 982b) - Wir glauben
aber, dass Theorie uns so nahe ist wie Benjamins Aura, „so fern sie
sein mag“. Theorie ist die nächste Ferne überhaupt, sie ist ihrem We-
sen nach die Konditorin des Unmittelbaren, der Nähe, der Praxis.

Theorie ist die Greifbarkeit der Praxis, und sei es als Überdruss oder
-dosis.

In der Theorie sagt uns, sagt er, die Praxis: Kommt mir bitte nicht zu
nah! Ich bin eine Karnevalist- und Kannibalin. Lasst es euch von mei-
ner sanfteren Doppelgängerin, der Theorie gesagt sein.

Freilich wusste der kluge Aristoteles noch nicht, dass Theorie hört.
Und dass das alles ist, was sie kann. Die Augen sind die lauschigsten
Ohren, die es gibt.

Ich: Für einen Kurzsichtigen liegen weiße oder auch bunte kleine Kie-
sel da wie gefallene Blüten; und wenn sie dunkelrot sind, sind sie blu-
tiger als Blut, Blutbrunnen der Wahrheit. – Er: Aus diesem Satz ließe
sich eine ganze Epistemologie entwickeln.

Confession d'une Madeleine. - Die Schwäche, der Mangel, die Dürre der
Erinnerung liegt darin, dass sie ausdehnungslos wie ein Gespenst ist.
Sie hat immer schon und für immer das Wunderbare, den Zauber der
Präsenz, den Körper, die Trägheit, das illusorisch Gemächliche eines
Mittagsschlafs auf Patmos, nur so zum Beispiel, verloren. Jede Erin-
nerung beweist und zeigt sich als verlorene, drängt sich als Verlorene
auf. Mag sich der Geschmack eines Teegebäcks im Mund auch ver-
breiten können, Erinnerungen können es nicht. Nicht im Mund und
auch nicht anderswo. - Z: Eigentlich schade. Aber selbst Proust musste
sich ja mit der Suche zufriedengeben. Das Wiedergewonnene hatte er
auf Vorrat angelegt. Und das bekommt niemandem.

CX
Y: Viele versuchen sich in der Kunst, Erinnerungen aufzublasen, aber
wie kann man Punkte aufblasen? – X: Dazu müsste man ja ins Ausdeh-
nungslose stechen können. Und das könnte nicht einmal der All-
mächtige. - Z: Aber der käme auch nicht auf die Idee, es zu wollen.
Nicht einmal darauf. Was sollte denn aus den Punkten werden? Sie
müssten ihre Definition aufgeben. - Und das käme selbst einem Gott
in die Quere.

Punkte solltest du in ihrem Frieden ruhen lassen. Wenn du ein unver-
schämtes Glück hast, werden sie dir zum Dank aufgehen, ein wenig so
wie Blüten, wenn auch nur zum Schein. Das könnte immerhin ein
triumphaler Augenblick sein.

Wenn du Dinge hören kannst, sind sie gerade taktil genug. - Z: Soviel
zu Strawson.

Die Seele greift, so Aristoteles, nach den „erblickbaren Formen“, ohne
sie sehen zu können. Sie ist uns voraus. Im Zugriff und in Hinsicht. Die
Seele rennt. Wir hinken. Weil wir es dem Teufel gleichtun wollen.

Am Ende paschen wir uns selbst hinweg. Wenigstens insofern glau-
ben wir dem Teufel noch zuvorkommen zu können.

Jedes Erinnerte ist etwas, das seinen Raum verloren hat. Nicht einmal
ein Sarg umgibt es mehr. Es ist so frei wie ein (wieder per defini-
tionem) raumloser Punkt. Also nicht frei. – Oder kannst du mir die
Freiheit einer raumlosen Entität definieren?

Ich: Nur das, was einen Ort hat, kann frei sein. - Er: Oder gerade auch
nicht. - Ich: Bleiben kann nur, was ein olles Dilemma ist.

Ich: Leben ist und bleibt Ausgesetztsein. Nur die Modi des Ausgesetzt-
seins tun sich und dich ändern. – Er: Daher die stets willkommene
Abwechslung.

CXI
Ich bin, sagt er, das Material womit der Kosmos spielt. Er hat mich
nicht gefragt. Ich weiß, er braucht es auch nicht. Aber darf man denn
nicht wenigstens vom Kosmos ein wenig Anstand oder gar Höflichkeit
erwarten?

Das Rauschen hat sich verwandelt. Es entlässt keine Informationen
mehr. Es lässt sie nicht mehr frei.

Kalauer. - Ein Körperlos zu ziehen ist nie ein Hauptgewinn. Wenn
überhaupt ein Gewinn.

Wenn es wahr ist, dass sich alles, was ist, in seiner Erscheinung ver-
birgt, und dafür spricht vieles, wenn nicht alles, dann muss man die
Welt einen Jahrmarkt der Uneigentlichkeit nennen. – Z: Das darfst du
ja auch, solange du keine Prämie erwartest.

Les femmes, im Selbst-Angebot. - So kommt man an. Ende März 2019. -
Viele Mädchen, mit oder ohne Kopftuch, sehen jetzt so aus wie genial
gemalte Mumien, und sie tauchen aus den Wüstensand auf wie erst-
klassige Epiphanien, mit Gütesiegel. Das sie freilich gar nicht nötig
hätten.

Ich: Alles ist doppeldeutig. Nur der Untergang nicht. – Er: Ist das nicht
schön gesagt! Ihre ganze Existenz lebt in meinen Worten auf. Und kei-
ner sagte es ihnen.

Ein Buch untern Arm geklemmt, ich sage nicht welches, so dumm bin
ich nicht, unter einem frühlingsblauen abendlichen Himmel, - ein Auf-
stand gegen die ganze Welt; wären nur alle so!

Mein Herzensmuttermund fließt über, des mein Hirn zu voll ist.

Wer mehr als die Hunde haben das Privileg, uns Menschen zu hassen?

CXII
W, Aphoristiker: Sätze fließen nur schön, wenn ihnen Tücken wie Brü-
che eingebaut sind. – Z: Oder Brüche wie Tücken.

„Die Wunde! Die Wunde!“ – Parsifals Thema ist der Körper. Nur der
Körper, als Membran aller Erfahrung. Von Erzählung flattrig umbaut
und umlungert. Die freilich immer weniger bleiben muss als die Wun-
de. - Immer leidet die Erfahrung, jede Erfahrung ist eine Nah-Tod-
Erfahrung, an der Wunde, die sie zwar ist, aber nicht erfahren kann.
Das ist der Kern, der Wunden-Kern der Erfahrung. Daran ändern auch
astronomische Boni nichts: Auch ihr kommt dem Leben nicht nah! –
Z: Amen!

Verfahren Amazon. - Er: Ich habe vergessen zu sagen, dass jede Erfah-
rung - genauer - als vorausgenommene Nach-Tod-Erfahrung bezeich-
net werden müsste. - Z: Du hast es uns gesagt. Jetzt wissen wir es ja! –
Er: Wirklich? – Wisst ihr, dass die Erfahrung eine Vorauszahlung ist,
für welche die Lieferung ausbleibt? – Zugegeben, dazu brauchte es die
online-Bestellbarkeit nicht. Das begann schon sofort jenseits von Eden,
zeitlich und deutlich gesehen.

Er: Das Laub hat sein Hüttenfest gehabt. Die heurigen Herbste passen
in keine Landschaft mehr. – Ich: Und die Frühlinge üben und verdin-
gen sich als aufgefrischte Glücksverdunkelungen, von sich selbst in
Auftrag gegeben. – Er: Also nurmehr Wegbereiter des Herbsts. – Ich:
Und der Sommer ist der antipodische Wegbereiter des Winters.

Die Auswahlkriterien bei der Erschaffung der Welt, das müssen wir
endlich zugeben, sind nicht zu ermitteln.

Jedes eine Andere ist nur der Wegbereiter eines anderen Anderen. –
Wenn wir nur wüssten, was wir da sagen!

...; wer weder Blitz noch Donner ertragen kann, der fährt mit dem
Kopf in ein Bette, um beyde Sinne zugleich zu verwahren. (Johann
Jakob Engel, 1785)
CXIII

Er: Die Realität ist das Moment des Unumgänglichen an allen lebens-
gebenden und wahrheitsstiftenden Paradoxen. Es aufzulösen wäre
das Ende des Lebens und der Tod der Wahrheit. – Ich: Wieder und
wieder flattert uns das Möbiusband voraus und ins Gesicht. – Er: Und
kratzt an unserer Würde. Es ist nicht weich. Es ist nicht aus Seide. Es
ist nicht einmal aus Wolle. – Ich: Aber es ist eine stattlicher Stoff, ein
Tuch, aus Turin.

Zu viele reden noch von Grundwidersprüchen. Es gibt nur den einen
Widerspruch, und der ist der Grund.

Ein in sich geschürzter Weg, ein Wegweiser, der ungerührt von sich
weg weist. Als könnte ein Weg zu sich selbst sagen: Du, geh mir aus
dem Weg. In der Sonne kannst du mir, wenn du willst, stehen bleiben.

„Die Erde nur als neunte bleibt unbeweglich, an immer gleicher Stelle
steht sie im Mittelpunkt der Welt. Jene acht Sphären aber - zwei ihrer,
Venus und Merkur, gleich an Geschwindigkeit - erzeugen - sieben
durch Intervalle abgestufte Töne: Das ist die heilige Sieben, der Wun-
der aller fast geheimnisvoll geschürztes Band.“14 (Cicero, Somnium
Scipionis)

Versuche nur, dich in die Sphärenharmonie einzumischen, -

Die Wunden und Beulen des Verstandes verändern sich bei jedem An-
rennen gegen die allgemeinen Rätsel; sie, die Beulen und Wunden,
werden größer, blutiger, schmerzhafter, die Beulen platzen, die Wun-
den schwären, - aber sind das Gründe abzulassen? – Z (zu sich, herab-
lassend): Nie und nimmer!

14 nam terra nona inmobilis manens una sede semper haeret complexa medium mundi locum. Illi autem octo cursus, in quibus eadem vis

est duorum, septem efficiunt distinctos intervallis sonos, qui numerus rerum omnium fere nodus est.

CXIV
Er: Wie hast du es geschafft, dich selbst zu tolerieren? - Ich: Das war
sehr einfach, ich habe mir die anderen zum Modell genommen. – Er:
Manchmal ist Mimesis also doch angeraten.

Ich: Wenn die Wirklichkeit eine Polizeibehörde wäre, würde sie nur
Seinsverbote aussprechen.- Er: Dann ist sie (die Wirklichkeit) ja doch
eine (Polizeibehörde). –

Ich: Kannst du mir einen Rat geben? – Er: Ich gebe gar nichts mehr her.

Ein Ereignis ist eine richtige Geste am falschen Ort oder eine falsche
Geste am richtigen Ort. Wenn sich Möglichkeit und Unmöglichkeit in
die Arme und in die Parade fallen. Wenn sich zwei, Horatio und Ham-
let zum Beispiel, mit ausgestreckten Armen, wie getrieben aufei-
nander zulaufend, verfehlen.

Mitte der Erkenntnis. Der äußerste Zipfel des Wirbels.

Wie nur ein Ei keinem andern gleicht.

Hat er (Z) wirklich gesagt: Ich habe es satt, satt zu sein.

Unumgänglich aber vorläufig. (Heidegger) - Er: Wie alles.

Ich: Können von der Not - also in gewisser Weise notwendig - zusam-
mengekehrte Menschen miteinander kommunizieren? - Er: Das
kommt auf die Art der Not an.

Krankheitsgewinn. - Ich: Was bringen Therapiegruppen? - Er: Du
lernst, nach den Sessions, beim gemeinsamen Essen, beim Inder in der
Regel, affektiert über das Leiden (Anderer) zu reden. Und erntest
Zustimmung von denen, die gerade kauen. (Erlebt am 27. März 2019
in einem Münchner Restaurant, Taj Mahal) – Z: Schon Rochefoucault
hat gesagt, dass wir die Schmerzen anderer leicht ertragen können.

CXV
Klar, wir sind alle in Überlieferungen eingeschlossen. Verrückt wird es
aber, wenn wir in eine Überlieferung eingeschlossen sind, die von sich
glaubt, auf eine seltene und vorbildliche Weise, offen zu sein.

Er drehte sich plötzlich um, schaute mich mit einem wirklich überzeu-
gt horrifizierten Gesichtsausdruck an und sagte: Du hast recht, wir
haben ja gar nichts mehr, das wir verlieren könnten. - Ich habe mir
eben meine Hände angeschaut.

Trébuchement d'or. - Wir sind die Welt, mit der es zu Ende geht. Der
Unterschied liegt nur in der Einsicht. Wie sind dem Untergang der
Welt, die wir sind, um den Moment eines Stolperns voraus. Wie das
möglich war, das zu wissen wird uns vorenthalten bleiben. Es herr-
schen da eigenartige Gesetze. Wer zuerst stolpert, den lassen sie zu-
rück, weil es auf sie selbst zukommt.

Er: Was wir Bedingungen nennen, das sind Vorereignisse, denen folgt,
was danach passiert; es folgt, ontologisch gesehen, unausweichlich
das jeweilige Argument, dass die Bedingungen erledigt sind. – Ich: Das
gilt fürs Denken und fürs Leben. – Er: Und für die Physik. Da ist es
sogar am deutlichsten. – Ich: Vielleicht sagte Feynman in seinen spä-
teren Jahren, auf seine unnachahmlich genial-kokette Weise, dass er
sie, seine Quantenmechanik, nicht versteht; respektive so wenig ver-
steht, wie schon bei seiner Geburt.

Er: Alle Masken gleichen sich. Auf der Ebene der Eigentlichkeit. Ge-
sichter aber nicht. Daher sind Gesichter leichter zu durchschauen und
zu lesen als Masken. – Ich: Der Blick, der in die Augenlöcher der Maske
fällt, kehrt nicht mehr zurück. – Er: Aber ich komme gleich darauf zu-
rück.

Y: Muss es nicht lauten: Das Leben ist unverrechenbar, auch im Zu-
stand des Versickerns? – X: Freilich ist es das nicht an sich, aber es ist
dazu gekommen. Es ist dazu gemacht worden. – W: Die Gefühle, die
du hast oder entwickelst, wenn du das siehst, die sind legitim.
CXVI
Eichkröten und Schildhörnchen (VI)

Fortgehetzte Transmutationen (II)
Kurz wieder auf Heideggers Spur



Der Grad des Zeughaften15 der Dinge und der Gedanken bestimmt das
Maß des Sinnhaften, sozusagen seine Karat-Zahl. – Z: C’est fou!

Weltlicher Erfolg wird nur dem garantiert, der sich der Welt ausliefert.
Das ist die Bedeutung von „seine Seele verkaufen“. – „Teufel“ ist hier
oft nur ein Deckname für die Welt.

Alles Zeigen ist Verstellen. Das ist das Paradox des Seins überhaupt.
Deswegen auch das des Schauspielers.

Verstehen kannst du etwas nur als etwas, aber nicht unmittelbar,
denn zu sagen „mittels Unmittelbarkeit“ oder auch „als Unmittelba-
res“ ist unsinnig, und sagt ja auch keiner. – Jede Verstehens-Situation
ist unhaltbar. Aber wir haben uns zu arrangieren gelernt, epistemolo-
gisch. Außer dem Unhaltbaren gibt es kein Kriterium für Authentizität
mehr.

Das „Als“ des Verstehens ist der unvermeidbare Spalt zwischen dem
als verstanden Verstandenen und dem Verstehen. – Das ist die trau-
15 Denn Zeug ist „ein Sammelwort für sächliche Concreta“ (Grimm)

CXVII
rige Wahrheit. Immerhin. Wahr sind die Fetzen des Einen für die des
Anderen. Der unverzichtbare Verzicht.

Er (übermütig): Etwas zeigt sich nur als die Spur eines Gezeigten;
oder als der Film, den es über sich zieht. Als der Film, den das Etwas
auf sich legen muss, um sich als diesen Film zeigen zu können. Ich
(mitgerissen): Diese quasi primordiale Verstellung ist noch keine Lü-
ge, sie ist unumgehbar als Bedingung des Zeigens, das nichts anderes
als der Film auf der Bedingung sein kann.

Heidegger durch Luhmanns Spaßbrille. - Der eine Sinn ist nur Sinn
unter Ausschluss, Verbergung, aller anderen. Du entgehst der Kon-
tingenz nicht ungestraft: Jetzt musst du so sein! - Das Konkrete muss
folglich definiert werden als Zwangsjacke.

Sicher und fest ist nur das Latente. Der Rest ist „schwankende Er-
scheinung“ (bekannt, also Goethe).

Also doch: Volute, Endlosschleife à la Moebius, fraktale Vertigo. –


Heideggereien. – Je entschlossener, desto tiefer sackt der Sinn des
Seins ab. Du beginnst mit der Idee des Diamanten und hast zu guter
Letzt Kohlenstaub in der Hand. Aber der ist dann wirklich gegeben.
Wie ein Anlass.

CXVIII
Ich: Heidegger sagt (überzeugend): „Die Ansässigkeit im Gängigen ist
aber in sich das Nichtwaltenlassen der Verbergung des Verborge-
nen.“ – Er: Dann kommt deine notorische Kritik am Kurrenten also zu
spät, viel zu spät. Du hättest sie getrost, fast getröstet, sein lassen kön-
nen. – Ich: Zu werben ist, meines Erachtens, eine bleibende Aufgabe.
Ungestört und ungehört. Heidegger vertrat, unter anderem, das Seins-
geschick, ich die Operette, mindestens zwei, drei Generationen zu
spät. – Her die Hand, mit oder ohne Kohle und Staub, es muss ja sein!

Traum-Architektur. - Die absurd großen Häuser in deinen Träumen,
die nach oben Sprießenden, die in die Breite Wuchernden, die in die
Tiefe Getriebenen. Kristallisches Gelächter und perfider Gottesbeweis.
Wenn du das ab- und zurückweist, bringst du dich um alles. Du bringst
dich um - um alles. – Du weißt, das ist noch die weichste Option.

„Es folgten ungläubige Gesichter im Saal.“ (News, 31. März 2019)

Da lachen sie wieder, die Statthalter der Ranküne. Aber es kann keine
präzisere Beschreibung dessen geben, was hier gemeint ist.

X: Ein Anlass muss nicht gegeben sein. – Y: Kein Anlass muss gegeben
sein.

Appetit auf Pegasüßigkeiten. - Er: Das Monströse ist das Anspruchslo-
se. - Ich: Nach Bedeutung kannst du trotzdem nicht beliebig tauchen;
oder fliegen. Er: Und auch lustvoll etwas zu durchleben hat nichts mit
Bedeutung zu tun. – Ich: Lacans Theorie ist der treffendste und zy-
nischste Kommentar auf unsere Situation, die denkbar ist.

Irgendwann einmal muss Kafka zu Max Brod gesagt haben: Ich gehe
jetzt und geh zu Bett.

Das Herz steht immer auf dem Kopf, obwohl es keinen hat. Es ist wie
wir alle.

CXIX
Das „Man“ im Ohr. - So genannte Volksmusik erkenne ich daran, das
sie mich einsam macht. Dabei wäre es doch genug, wenn sie mich kalt
ließe. - Z: Besteht denn da ein Unterschied?

Gerade für die Dinge, für die es eine Erklärung gibt, gibt es keine Ent-
schuldigung. - Z: Sonst brauchten sie ja keine Erklärung.


Es kommt etwas
Hinzu das das Fehlen
Reicher macht

Du stehst am Rand
Aller springenden Punkte

Der Abend gießt sich
Dir geläufig ins Netz
Deiner Sinne und

Immer geläufiger tasten
Auch deine Blicke nach den Weg-
Und Drehkreuzen

Alle stehen unter Verdacht
Oder anderen leeren Himmeln:

Verzärtelt unsere Träume
Nicht so rücksichtslos


Auf der Suche nach endlich ungebräuchlichen Affekten.

Z: Mein größter Stolz? - Dass es mir gelungen ist, so viele Spielregeln
zu – W: - brechen? – Z: - nein, zu vergessen.

Der Zenit wurde nur erfunden, um der Sonne Gelegenheit zur Ent-
spannung zu geben.



CXX
Eichkröten und Schildhörnchen (VII)

Fortgehetzte Transmutationen (III)
Ohne weitere Zusätze


„Es ist keinem Ding der Welt gegeben, in sich umgeschaffen zu werden
und in neue Gestalt zu kommen, es komme denn vordem zum Nichts,
das ist zur ‚Gestalt des Dazwischen‘.“ (Martin Buber, in: Baal-schem)

Weiß jemand unter euch, auf wie viele Münder sich ein Glas bei seiner
Geburt vorbereitet oder gefasst macht; und freut?

Aber ich sage dir: ich nehme die Hölle mit, und ich weiß nicht, was dir
dann noch bleibt.

Ihr behauptet die Verfügungsgewalt über das Nichts, weil ihr sonst
nichts in der Hand habt.

Er fragte sich, wann seine Fingernägel ihm mehr gehören: wenn sie
sauber sind? - oder wenn sie schmutzig sind? Gehört nicht nur der
Schmutz zum Wesen? Was ist denn das Wesen der Sauberkeit? - Das
Reine, der Mangel. Der Mangel an Schmutz. Dann wäre das Reine das
Wesenlose. – Z: Das klingt plausibel.

Trotzdem ist es, bis heute, problematisch zu sagen: Leih mir das
Schwarze unter deinen Nägeln, denn ich möchte wesentlich werden.

Ich bekenne, wenn ich männliche Hunde, so genannte Rüden, sehe,
schäme ich mich, ein Mann zu sein, abgrundtief. Bei jungen Pferden,
so genannten Fohlen, geht es mir ähnlich. Erklären sich vielleicht da-
raus Gottes Lachfalten? Andere hat er jedenfalls keine.

Es gibt vor allem das Schweigen nur als Werden.

CXXI
Motive schwelen, sonst können und sollen sie ja nichts.

Beim Essen ist es ähnlich wie beim Ausräumen. Irgendwann ist der
Teller leer; im Notfall übernimmt ihn ein anderer.

Kauf dir ein Seepferdchen und sag: es ist ein Butterbrot und - nein,
beiß nicht hinein, sondern setz es aus.

Ich: Nie wird es wieder so sein, wie es einmal war. – Er: Was würdest
du denn sonst erwarten?

Er: Ich möchte mein Dasein jedenfalls lieber nicht bei Licht besehen.
– Ich: Und woher kommt dieser giftige und hinreißende Duft, der uns
zur Lüge einlädt? – Er: Und wer ist es, der das fragt?

So ist es immer: Es gibt keinen Ort, an dem man zusammen sein könn-
te. Ich fürchte, unter Menschen kann es keinen Kontakt geben. (Mal-
larmé, in: Conflit16)

Hilflosigkeit definiert uns. Da dürfen wir nicht unzufrieden sein.

Du sagst mir nichts. Du gibst mir eine Chance.

Das Unerbittliche ist die verlorene, also die gegenwärtige Form des
Glücks. Auch Paganini, der so viel besser war als du, musste sich mit
seinen Grenzen abfinden. Das wollte er freilich nicht und erfand den
Teufel. Aber auch der arbeitet gerne, allzu gerne, mit Grenzziehungen.

Er: Willst du das? – Ich: Eigentlich nicht. – Er: Lös dich von den verlo-
renen Stunden. Lass sie vor sich hin marschieren. Geordnet, wie der
Tod es ihnen vorschreibt. – Ich: Und von Kadavergehorsam werden
wir erst wieder im Paradies reden. – Er: Spurenlust lohnt sich nicht. –
Ich: Aber wenn die Engel nichts anderes vorsehen? – Er: Was könnte
da denn helfen? –
16
Toujours le cas: pas lieu de se trouver ensemble; un contact peut, je le crains, n’intervenir entre des hommes.

CXXII
Y: Flammen und Fackeln zittern. Das Licht der Glühbirnen aber nur,
wenn sie kaputt sind Oder ihnen eine Zitterfunktion eingebaut ist. –
Z: Ist das Archaische dem Gestell also doch überlegen? – X: Zumindest
konnte es das Leben noch imitieren.

Vielleicht gibt es also im Universum nur eine einzige suavitas. Die der
Versagung. Die zu genießen musst du dich üben. Wenn du es aber be-
herrschst, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass du an der Lust stirbst.

Psyhokardiologie ist ein etabliertes Fach. Kardiopsychologie gibt es
nicht. Wir müssen sie noch erfinden.

Manchmal ist er geschickt darin, die Bedeutungslosigkeit von Phäno-
menen auf den Punkt zu bringen. Unnachahmlich präzise. Er sollte
mich in seiner Kunst unterweisen.

Wir nennen das Zufall, aus dem wir nichts machen können. Keine Lei-
stung, nicht einmal eine Eitelkeit.

Was der „Unstern“ (guignon) mir „in die Stirn geschnitten“ hat, sind
keine „geheimnisvollen Lettern“ (Baudelaire) - es ist ein schlichtes,
ein wenig krummes, aber deutliches Kreuz.

Was in der Zeit abstürzt, darüber darfst du lachen. Wenn die Zeit
selbst aber abstürzt, lacht sie - herzhaft - über dich. - Z: Freilich kannst
du versuchen mitzulachen.

Suchbild (Def.) - Ein Bild, das alles Denkbare sucht.

Romanbeginn (I). - Ich hatte 17 Burnouts, mein angeborener Autismus,
obgleich von Anfang an aktenkundig, fiel nicht so ins Gewicht. Ich ha-
be den Kitsch der Welt durch den Filter meiner Existenz gereinigt. Alle
Gurus des Ostens habe ich gefällt. Meine, zugegeben, allzu genaue
Seele hat sie zerkaut samt dem Salz ihrer Mantras. Ich war eine Nym-
phe, die das Lachen der Männer zersetzt hat. Es geht mir gut. Das muss
CXXIII
keiner glauben. Manchmal ist es 8 Uhr und die Sterne wollen nicht
mehr, wenigstens grade jetzt. Aber ich weiß, es wird weitergehen. Wie
tapfer die letzten Vögel noch zwitschern. Sie tun es unnachahmlich.
Die Welt begreifen nur die noch, die keine Hände mehr haben. Sie ist
nämlich ein realer Phantomschmerz, also von der harmloseren Art.
Aber ich kann mich nicht so recht daran gewöhnen, dass die Sonne
nicht mehr scheint. Ich kenne einen, der deutet das alles ganz anders
und sagt: Gott macht es wie der Urknall. Er ist ständig mit der Schö-
pfung beschäftigt, er knetet und knetet, er formt und verformt, wie
Giacometti, wenn er ein Gesicht erfand, nur eben ewig.

Konvulsionen sind liebenswürdig und widerwärtig. Wie fast alle Ge-
sprächspartner.

Das Elend des Glücks. - Keine Frage mehr, dass alles unwirklich ge-
worden ist. Aber immerhin ist auch das ist ein Glück im Unglück.

Widerspruch: wir sitzen bequem in der U-Bahn. Und wir glauben es
dem, der das sagt. - Was für ein Wort: ulkig.

Noch nie tat mir ein Ekel so leid. Ich werde menschlich. Das könnte
falsch sein.

Eine kleine Frau mit einem gewaltigen Cellokasten auf dem Rücken.
Das ist wie ein existentieller Überbiss.

Wenn du andere schon (dazu) aufforderst, solltest du sagen: denk mir
doch bitte einmal, [...]

Sartre, lese ich, schreibt, dass die Dichter zur Zeit des Dritten Napole-
ons „Echos des Schweigens“ waren. - Hier haben wir einmal einen
Kontext, in dem der Begriff des Schweigens seinen notorischen und
vorauseilenden Glanz verliert.

CXXIV
Il doit y avoir quelque chose d’occulte au fond du tous, je crois déci-
dément à quelque chose d’abscons, signifiant fermé et caché, qui habite
le commun. - Ich kann mich (warum wohl?) zwar nicht erinnern, die-
sen Satz von Mallarmé je einmal gelesen zu haben, aber der Gedanke,
den er enthält und zum Ausdruck bringt, verfolgt mich von meinem
Anfang an:

Hermeneutischer Goldrausch. - Das Geheime ist das verborgene Gold
des Gewöhnlichen. Das ist die Formel. Du kannst auch sagen: Das Ge-
wöhnliche ist die verborgene Gestalt des Geheimen. Das meint etwas
anderes als Goethes „offenbar Geheimnis“ - und ist auch schwerer zu
verstehen. Ja, du musst es tonnenschwer verstehen. Dann ist die in
Aussicht gestellte Beute (an Gold etc.) auch größer.

Das Narrativ ist nichtig. Und es vernichtet. Das beginnt schon mit der
Geschichte als Mythos (wie auch bei Wagner noch, Mallarmé hat es
heftig kritisiert). Oder könnt ihr euch, versucht bitte einmal ehrlich zu
sein, Ereignisse als Narrative vorstellen? - Schon die Idee spottet jeder
Epistemo-Logik.

Nichts, sagt er, treibt dich so in die Höhe wie der Versuch, dich zu un-
terlaufen. - Z: Gilt das nicht für alles? - Es sei denn, es übernimmt
sich.17

Ni but ni sens de l'orientation. – X sagt, er selbst sei ein Flüchtender
ohne Richtungssinn. – Z (zitiert aus M. Buber, Legende des Baal-
schem): Aber auch alle Reisen haben heimliche Bestimmung, die der
Reisende nicht ahnt. – Y: Und was nutzt es einem, sein Ziel zu kennen
und zu wissen, wo es ist? Grade so einer sollte sich doch betrinken, bis
er denkt, im Licht der Straßenlaterne gefangen zu sein. – Z: Und so,
gleichsam auf der Stelle, um die Laterne kreisend, unbesorgt flüchten
kann.

17
Überlieferte Variante: Es sei denn, es überhebt sich.

CXXV
Gott, im letzten Augenblick und hastig das Jüngste Gericht ankündi-
gend: Du musstest nicht über alles schreiben, du solltest aber über al-
les geschrieben haben.

Y: Wenn Mallarmé, statt französisch zu schreiben, das Deutsch seiner
Übersetzer benutzt hätte, kennte ihn niemand mehr. – X: Und, denkt
euch, wie es dem armen Lacan ergangen wäre!

Alles in allem war ‫ יהוה‬ein kluger Sprachpolitiker.

...und die Mischungen und Entmischungen, die das Leben der Leben-
digen kochen, und der Geist des Menschen mit all seinem Versuchen
und Vergreifen an der weichen Fülle des Möglichen, sie alle können
nicht ein Gleiches schaffen und nicht wiederbringen eines der Dinge,
das da besiegelt ist, gewesen zu sein. (Martin Buber, Die Legende des
Baal-schem)




















CXXVI
Eichkröten und Schildhörnchen (VIII)

Fortgehetzte Transmutationen (IV)
Zusätze


O: Um was bittest du Gott, wenn du betest? – A: Ich versuche ihn zu
überzeugen, mir zu helfen, mich zu dem zu machen, den er in mir sieht
- oder mich, eben, so zu machen, wie er mich haben möchte.

Hegels Fassung des Pater Noster soll gelautet haben: In mir bist du,
mein Vater, dir anders geworden, jetzt vermittle mich bitte wieder mit
dir selbst.

Eine der sympathischen Beobachtungen Heideggers, sagte er, ist die,
dass im Gehörtwerdenkönnen und Gehörtwerdenmüssen der Spra-
che das Miteinander der Menschen gründet. Diese Beobachtung prä-
zisiert, denkt er, Hölderlins Aussage: Ein Gespräch sind wir. - Gespräch,
sagt er, sind wir, nur wenn wir auch Gehör sind. Das ist selbstver-
ständlich und wird vielleicht deshalb unterschlagen. - Z: Oder weil wir
es nicht mehr wahrhaben wollen.

... das Hören, weil es ein Vernehmen des Sprechens ..., weil es die Mög-
lichkeit des Miteinanderseins ist. ... Der Mensch ist nicht nur ein Spre-
chender und Hörender, sondern er ist für sich selbst ein solches Sei-
endes, das auf sich hört. (Heidegger, GA 18:104) –

Das Hören ermöglicht also erst das Miteinander mit sich selbst. Im
Hören muss der Einzelne sich selbst vertrauen und gehorchen, weil
wir – bleibend - ja nicht verstehen können und - nie - verstanden ha-
ben werden. Hier, am Anfang, haben wir keine Wahl. Das ist das ur-
sprüngliche Geschick: keine Wahl zu haben. Hier ist der absolute
Selbstbezug erzwungen; und er bleibt dunkel, einfach unobjektivier-
bar. Und hält die Denker in Schach.

CXXVII
Finiter Lapsus. - Wir können nicht aufhören, auf das zu hören, das uns
nicht sagt, was es ist. Wenn wir aber doch aufhören, dann sind wir
nicht mehr.

Vergessen - in seiner Verlaufsform - bedeutet ja nur, eine Präsenz
nicht zu bemerken. Manchmal hältst du dir sogar, mit ebenso unbe-
merkter Absicht, alle deine Gedankenohren und -augen mit den Ge-
dankenhänden zu. - Z: Oder malträtierst sie mit deinen Gedankenkral-
len.

O: Schweigen gehört zunächst zur Seinsweise des Hörenden. Er hört
auch dann noch, wenn der Andere schweigt. - A: Jedes Gespräch ist
schweigenartig. - O: So gesehen. - Z: Ich bitte euch, taucht wieder auf!

Y: Elementar strukturell gesagt: das Eine und das Andere existieren
nur und nur solange, solange sie füreinander von Belang sind. - X: Da-
für sorgt doch schon ihr Unterschied. - Y: Die Fülle der Varietäten die-
ses Belangs zu beschreiben ist freilich beglückend unendlich. - Z: Und
ermüdend.

X: Wenn Weg- und Auslassen ausgelassen sind, dann mausert sich der
Umweg vielleicht zum Weg. - Z: Und du kannst uns einladen mitzu-
kommen.

Aber jedes Scheitern, nicht nur der Schiffbruch, ist eine legitime Kon-
sequenz, weltgeschichtlich gesehen: das latente Motiv. -

Zeit und Welt: Autopoiesis des Verschwindens.

Romanbeginn (II). - Ich habe mir Tisch und Bett im Blauen gemietet.
Und versuche, den Ruf, gastfreundlich zu sein, zu hüten und mir zu
bewahren. Sonst kommen die Gedanken und die Buchstaben nicht
näher und lassen sich nicht einfangen. Sie lassen sich ja grundsätzlich
nur überlisten. Dennoch werde ich euch nicht raten, es so wie ich zu

CXXVIII
machen. Wollt ihr etwa noch wissen, warum? Ihr würdet es euch
damit zu leicht machen. – Aber sei’s drum! - Hier also der Hergang: -

Das, ohne das nichts (denkbar) wäre, wenn es nicht dazugehörte, aber
gerade dadurch nicht (denkbar) ist. - Selbstverdunkelung im Aufblen-
den, wie es Tag für Tag des Nachts unzählbar oft auf den Autobahnen
geschieht.

Etappentitel: Hörversuche. - Y: Hören bringt die Totalität näher als
Sehen. Du kannst beim Sehen nicht alles mit-sehen. Beim Hören
kannst du es. Du kannst es dir wenigstens einbilden, alles mitzuhören.
Das Hören scheint nicht begrenzt. Wenn du glaubst, dein Hörfeld sei
begrenzt, versuchst du dich nur zu beruhigen. Der Versuch, die Un-
endlichkeit zu hören hingegen, ist legitim und reiz- und verdienst-
voller als der Versuch, sie zu sehen. - Z: Ich gebe dir recht. Dennoch ist
bei mir der Versuch, ins Unendliche zu lauschen, mit der Vorstellung
verbunden, bei geschlossenen Augen, den Blick gleichsam immer
weiter zu werfen, wie ein Scheinwerfer sein Licht. Aber du weißt ja,
dass ich glaube, mit den Augen lauschen und mit den Ohren spähen
zu können. Als teilten diese beiden Sinne Ort, locus, und Fähigkeit,
facultas.

Clearcut. - Er: Gestern wurden die ersten Photos von einem Schwar-
zen Loch veröffentlich. - Es war eine lautstark gefeierte und sehr tri-
viale Sensation, die beiläufig die Grenzen der Photographie, wenn
man die hier verwendete Methode noch so nennen darf, aufzeigte.
Dieser langweilige bunte Ring kommt bei weitem nicht an das man-
nigfach schwarze Skandalon heran, dass mir die Einbildungskraft vor
– oder besser: in - meine geschlossenen Augen stellt. – Ich: Ich weiß,
es ist wohl falsch und keiner will es hören, aber ein „reales“ Bild zeigt
nur, was übrig bleibt, wenn der Sprache das ganze Surplus, das sie
mehr ist als besitzt, abgezogen wird. Sozusagen nach der Art eines
unkontrollierten Kahlschlags. – Z: Und mittendrin die Nomadin, die
Musik. – Ich kenne aber kaum jemanden, der das hören will.

CXXIX
Das Andere der Welt. - Im Nachdenken versuchen wir nichts anderes
als herauszufinden, wie unser Zugang zur Welt zu denken ist und sich
abspielt; und wie er möglich ist, und ob er überhaupt möglich ist. Da-
bei wir wissen seit langem, dass es ihn vielleicht gar nicht gibt. Und
dass wir uns genau mit dem, was wir Welt nennen, diesen Zugang -
glücklicherweise - versperren. – Z: Genau in diesem Glück liegt der
Grund dafür, dass wir es immer und immer wieder vergessen. – Hier
müssten jetzt die letzten Sätze aus „Rameaus Neffe“ folgen. -

Ich denke nicht, dass wir entsetzt wären, wenn wir die Wahrheit se-
hen könnten. Nicht, weil ich optimistisch bin, sondern weil das Nichts
keine Qualität hat, die wir zu spüren imstande sind. - Z: Aber woher
kommt er, der Zwang, darüber zu reden, worüber wir nicht reden
können?

Das Dilemma der Methode. Es ist immer wie eine Welt, die sich selbst
durchschreitet. Sich in sich stülpt oder faltet, als ob es ihr möglich
wäre. - Z: Früher hättest du gesagt: wie ein Möbiusband, das sich in
sich umzukrempeln versucht.
















CXXX
Eichkröten und Schildhörnchen (IX)

Fortgehetzte Transmutationen (V)
Fables faibles, sonst nichts




Vielleicht solltest du,
genauer,
von einem Tagebuch
der Weltgedankenlosigkeit
reden.
Das befreite dich (auch)
vom letzten Rest
Verantwortung.

(Ratschlag eines Freundes)


Nicht ist es aber
Die Zeit. Noch sind sie
Unangebunden. Göttliches trift untheilnehmende nicht.
Dann mögen sie rechnen
Mit Delphi. Indessen, gieb in Feierstunden
Und daß ich ruhen möge, der Todten
Zu denken. Viele sind gestorben
Feldherrn in alter Zeit
Und schöne Frauen und Dichter
Und in neuer
Der Männer viel
Ich aber bin allein.


und in den Ocean schiffend
Die duftenden Inseln fragen
Wohin sie sind.

Denn manches von ihnen ist
In treuen Schriften überblieben
Und manches in Sagen der Zeit.
Viel offenbaret der Gott.
Denn lang schon wirken
Die Wolken hinab
Und es wurzelt vielesbereitend heilige Wildniß.
Heiß ist der Reichtum. Denn es fehlet
An Gesang, der löset den Geist.
Verzehren würd’ er
Und wäre gegen sich selbst
Denn nimmer duldet
Die Gefangenschaft das himmlische Feuer.

Es erfreuet aber
Das Gastmahl oder wenn am Feste
Das Auge glänzet und von Perlen
Der Jungfrau Hals.
Auch Kriegesspiel

und durch die Gänge
Der Gärten schmettert
Das Gedächtniß der Schlacht und besänftiget

CXXXI
An schlanker Brust
Die tönenden Wehre ruhn
Von Heldenvätern den Kindern.
Mich aber umsummet
Die Bien und wo der Akersmann
Die Furchen machet singen gegen
Dem Lichte die Vögel. Manche helfen
Dem Himmel. Diese siehet
Der Dichter. Gut ist es, an andern sich
Zu halten. Denn keiner trägt das Leben allein.

Wenn aber ist entzündet
Der geschäfftige Tag
Und an der Kette, die
Den Bliz ableitet
Von der Stunde des Aufgangs
Himmlischer Thau glänzt,
Muß unter Sterblichen auch
Das Hohe sich fühlen.
Drum bauen sie Häußer
Und die Werkstatt gehet
Und über Strömen das Schiff.
Und es bieten tauschend die Menschen
Die Händ’ einander, sinnig ist es
Auf Erden und es sind nicht umsonst
Die Augen an den Boden geheftet.

Ihr fühlet aber
Auch andere Art.
Denn unter dem Maaße
Des Rohen brauchet es auch
Damit das Reine sich kenne.
Wenn aber

Und in die Tiefe greifet
Daß es lebendig werde
Der Allerschütterer, meinen die
Es komme der Himmlische
Zu Todten herab und gewaltig dämmerts
Im ungebundenen Abgrund
Im allesmerkenden auf.
Nicht möcht ich aber sagen
Es werden die Himmlischen schwach
Wenn schon es aufgährt.
Wenn aber
und es gehet



An die Scheitel dem Vater, daß

und der Vogel des Himmels ihm
Es anzeigt. Wunderbar
Im Zorne kommet er drauf.

Hölderlin







CXXXII
Heraklittereien. Du denkst etwas, du hörst etwas, du sagst etwas, und
jedesmal ist zum ersten Mal etwas da. Alle Sinne sind unvermerkte
Hebammen des Logos, des richtig verstandenen, versteht sich. Und
jedes Mal sind und waren Empfang und Empfängnis, quasi hebräisch,
vokal- und makellos und deutungsoffen: - Siehe, wir sind wie Mägde
des Herrensignifikanten.

Y: Für Merleau-Ponty ist die Beobachtung aber (nur) une vision locale,
die den Gegenstand aus la vie totale du spectable heraushebt und das
wahrnehmende Subjekt nach Belieben lenkt: gouverne à sa guise. - Z:
Das ist gewiss, no cabe duda, nicht schlimm, aber, scheint mir, doch
bedenklich. Zumindest überraschend diskret. Als würde das Fleisch
der Welt selbst ihn ein wenig einschüchtern.

(Bei der Lektüre von G. Günther) - Y: Kontextur ist für mich, sagt er,
mutig, nichts anderes als ein anderer Name für die Grenzen der Mög-
lichkeit. - X: D.h. für die Grenzen der Ermöglichung von Möglichkeit.

(Bei der Lektüre von P. Fuchs) - X: Wir dürfen Gott duzen, wie die Hof-
narren ihre Herren und Brotgeber oder die Organisationsberater die
Organisationen, die sie beraten. - Y: Aber wie diesen geht es auch uns
nur so lange gut, wie wir unseren Brotgeber und Herren zum Lachen
bringen. - Z: Auch Gott hat, wie alle Herren und Organisationen, einen
ausgeprägten Sinn für Angstlust. Womöglich hat diese Freude am
thrill ihn zum Schöpfer gemacht. Und er hat es vergessen, sie nicht auf
die Schöpfung zu übertragen.

CXXXIII
„Dir danken wir die Freude, / Daß wir im Frühlingskleide / Die Erde wieder sehn. / Daß laue
Zephiretten / Aus süßern Blumenketten / Uns Duft entgegenwehn. / Dir danken wir, / Daß
alle Schätze spendet / Und jeden Reitz verschwendet / Die gütige Natur, / Daß jede Lust er-
wachet / Und alles hüpft und lachet /Auf segensvoller Flur.“ (Amadé Mozart, Dir, Seele des
Weltalls, „Freimaurerkantate“, KV 429, Fragment)


Das ist neu, sagte er plötzlich, und es überrascht mich, beobachten zu
müssen, dass das Denken stumm macht. Und das Misstrauen vor der
Zukunft sich mit der Vergangenheit dehnt und mit ihr wächst. Ver-
gangenheit und Zukunft kommen mir jetzt vor wie die beiden Enden
eines schwingenden Springseils, die den Ehrgeiz haben, den sprin-
genden Gegenwartspunkt zu Fall zu bringen. Als ahnten sie nicht ein-
mal, dass das nicht möglich ist. Früher oder später werden sie er-
schöpft sein. Aber es bleibt, scheint mir, dennoch offen, ob und in wel-
chem Sinne der Punkt denn siegen könnte. Es sieht mir ganz so aus,
sagte er, dass Niederlage und Verlust einst zu gleichen Teilen ausge-
händigt und vergeben sein werden. Wie Visen und Lizenzen, wie Vi-
ren und Lemuren. - Dann sagte er noch, schaut nicht auch mich so
misstrauisch an, ich bin die Zukunft nicht. Und wenn ich springe, dann
nur wie eine Sprungfeder oder ein Glas. Mit einem Wort: Ich rate euch,
meinen Optimismus nicht zu teilen! Bleibt ihr mir lieber vernünftig!
Zu zögern braucht nur der, der nichts zu verlieren hat.

Und zittern darf nur, wer etwas vom schönen Wesen des Espenlaubs
geerbt hat. Und ungestört über Verlorenes verfügt.

Der Geist weht wo er will und nur, wenn er will.

CXXXIV
Du darfst dir überlegen, was ein Kreuzgang mit einem Friedhofsorbit
zu tun hat.

Es ist vielleicht schwer zu denken, aber eine jede Möglichkeit hat die
energetische Form einer Durchkreuzung.

Stell dich her! - Der wäre genial, dem das mit einem Schlage gelänge!

Verschwendung ist, ein Schweißtuch wiederzuverwenden, bevor es
getrocknet ist.

Ich habe mir, sagt er, den so genannten Bewandtnis-Zusammenhang
immer als ein rahmendes Irgendwie vorgestellt, das schien mir pas-
sender. Ich werde dabei bleiben. Das Irgend18 ist der eleganteste und
überzeugendste Namen für jeden Herkunftsort. Präziser lässt sich das
Woher eines Gedankens, eines Motivs, eines Triebs, selbst eines In-
stinkts oder eines Gefühls nicht bestimmen.

Harmonia impossibilis. Du zerfällst in einen abertausendstimmigen
Kinderchor, den nichts mehr hemmt. - Das war zwar immer die Gefahr.
- Die Welt geht in dir durch. Du wolltest doch nur Archäologe sein und
Eden freilegen. Mehr nicht. Wirklich.

Höhere Fügung oder Irreführung durch ein Kinderlied. - Hänschen
klein ging in die Welt, um sich absorbieren zu lassen. Da war nichts
mehr mit „läuft nach Haus geschwind“. Die Vermittlung des sich An-
derswerdens mit ihm selbst erwies sich für ihn als mission impossible.
Und wer war schuld? Der Himmel über oder das Gesetz in ihm? - Z
(sehr leise, zu sich selbst): – Mama aber weinet sehr. Ihr Tränenge-
schäft verrichtet sich auf jeder Seite.

18
„irgend , pronominaladverb, welches örtliche, zeitliche, modale zahlbestimmungen verallgemeinert. 1) form. das wort erscheint ahd. bei
Otfrid als getrenntes io wergin neben bloszem wergin usquam, alicubi, im altniederfränkischen (gloss. Lips. 711) in der negation nie wergin
usquequaque; und wie von dieser negation bereits (ebenda 713) die zusammenziehung niergin sich findet, so kommt von der positiven formel
auch im späteren ahd. das contrahierte iergen auf: sâ het ir iergen mı̂ nen wine? Williram 22, 4; eine form die mhd. die gewöhnliche, wenn auch
nicht die alleinige bleibt (vgl. gramm. 3, 220). verkürzung zu irgen ist zunächst vorzugsweise mitteldeutsch: alicubi irgen Dief. 22b;“ (Grimm)

CXXXV
Wenn man am Knie angekommen ist, ist der Weg nicht mehr weit. (Di-
derot, Jacques der Fatalist)

So wie Goethe, sagt er, den ersten Teil des „Faust“ nur geschrieben
haben soll, um einen zweiten nachfolgen lassen zu können. - Vom Wil-
helm Meister wolle er erst gar nicht reden.

Einseitigkeit verletzt. (Hegel) - Das Einseitige geht, es geht in seiner
Totalität unter. Das gilt auch für das Substantielle und Gediegene,
wenn es in Einseitigkeit verharrt. - Genauer: Es geht unter, indem es
wesenlos bleibt. - Wesenlos. Aber es bleibt. Und wir haben es auszuba-
den.

Der Genuss des Geizes ist kahl. - Freie Heiterkeit, hingegen, erhebt.
(Hegel)

Er gibt mir gern Ratschläge. Vor allen anderen liebt er diesen: „Es gibt
eine hervorragende Möglichkeit, deine Kreativität anzustacheln. Du
brauchst deine Triebe oder Bedürfnisse und dergleichen nicht zu su-
blimieren, nein, das wäre dumm und nahe der Onanie. Du solltest sie
einfach ein wenig verschieben, wie auf einem Rangierbahnhof. Es
bieten sich da, überzeuge dich nur, hilfsbereite beschriftete Weichen
an. Wenn du nicht essen kannst, was du gerade essen möchtest, nicht
trinken kannst, was du gerade gerne trinken würdest, nicht lieben
kannst, was gerade nicht verfügbar ist, denke und schreibe! Sättige
dich gleichsam autophag an deinem Begehren. Das gelingt immer.
Weil du dabei ja im Grunde nur ein wenig am Weltschöpfungsver-
fahren schmarotzt. Nur, dass du nicht ex nihilo, sondern aus ex grillo
kreierst. - Das ist ein menschlicher Fortschritt. Ich sag‘s dir!“

A: Und du behauptest ernsthaft, dass du nur Kommentare zur All-
tagspolitik schreibst? – O: Nichts anderes! Das habe ich immer schon
getan, und überall, und tu es auch jetzt. Ich kann nichts anderes und
ich habe auch keineswegs vor, mich zu ändern oder zu verändern.
Frage mich, bitte, in tausend Jahren noch einmal. – A: Und du glaubst
CXXXVI
nicht, dass es dir vorher vielleicht doch noch langweilig wird? – O:
Hast du dich nicht auch an die Welt gewöhnt? – Erklimme die scala
santa, wenn es eine Wirkung haben soll, auf den Knien. – Schon weil
der Himmel zu tief und dir im Weg hängt. Und die Ränder des Him-
mels schärfer sind als Rasierklingen. – Das ist dir, denke ich, neu. –

Er glaubt unter dem Zwang zu stehen, nur zu leben, um eine Geheim-
botschaft zu hinterlassen. Er weiß aber nicht, was eine Geheimbot-
schaft ist, und wo und wie er sie hinterlassen könnte. Am wenigstens
aber, wem? - Das beunruhigt ihn. Er glaubt, sich nicht entziehen zu
dürfen. Außerdem hat er keine andere Aufgabe.

Er sagte zu seinem Sohn: Du lebst heute, hier, mein Sohn, und sagst,
du hast eine Identität? – Ja, dann lass sie doch stehn, mein Sohn, lass
sie einfach stehen! Denn dann hast du ja etwas, das du einfach stehen
lassen kannst.

Solange die Identität ein Standbein ist, ist das Übel zu überschauen.
Wenn sie zum Spielbein wird, tritt der Bock den Gärtner. Heftig und
desaströs. – Z: Auch so kann ein Eden veröden.

Er sagt sich, sagt er, morgens gerne: Ich möchte, dass du bei mir
bleibst, was kann ich dafür und für dich tun? - Bisher, sagt er, habe ich
noch keine Antwort bekommen, und ich frage mich, ob er mich ver-
steht.

Vergesst nicht, ergänzt er noch, dass jede Identitätsbildung mit Unter-
werfung begonnen hat. Und Identität immer nur die Form ist, in der
du deine Unterwerfung ratifizierst; unter den Phallos, den Vater,
unter Gott, Europa, unter einen Meister oder eine Maitresse.

Die Menschen hatten begonnen, Verheißungen zu lieben, die ihnen
schon jetzt das Nichts gaben, das sie ihnen versprachen. – Z: Alle Last
will Gegenwart.

CXXXVII
Stable Marriage. – Y: Es ist, wie wenn du einen Kuchen backst oder
bäckst, nur um Verteilungsprobleme zu provozieren. – X: Im Fall der
Schöpfung ist die Schöpfung (obendrein?) selbst der Kuchen. – Z: Das
gefällt mir! – Das Universum, ein aus spiegelndem Kuchenteig. End-
lich hat es Sinn, vom Möbiusband als dem conditor mundi zu sprechen.
– Und ist dann nicht das Nichts der Sumpf, aus dem sich das universale
Möbiusband am eigenen Zopf, als Beiprodukt die Zeit generierend, he-
rauszieht? – Y: Was heißt hier heraus? – Z: Genau das bleibt das punc-
tum saliens in der Rätselkiste.

Nomadisierung ist Normalisierung. Die universal(istisch)e Pointe der
Entropie. So endet auch die Politik. Und stirbt, aller Erwartung nach,
einen ziemlich kalten Wärmetod.

Die Entwicklung setzt sich fort, wenn die springenden Punkte erstar-
ren. Sich gleichsam einmummen im Sprung.

Der Philosoph fragt sich, wie lange die Bilder wohl noch zu einfach
bleiben werden?

Metaphern. Die Brosamen vom Tisch des Herrn der Signifikanten. –
Phallos-Brösel.

Posthistoire: Die Welt gibt sich den letzten Schliff.

Mantra, zum Verschenken, espirando: Tod ist, wenn der Hauch ver-
dorrt. – Einmal lag im Weltenkasten die vertrocknete Mumie einer
Souffleuse. Keiner wollte es glauben.

Die Sprache Europas ist die Übersetzung. (Balibar) – Und ein idealer
Übersetzer, mehr noch ein Dolmetscher, ist die Luft dazwischen, die
für die Kommunikation sorgt; und sie trägt.

Die (einzige) Zukunft der Kreativität: Zeit verwischen. Entgrenzung
der Erwartbarkeit. - Das Gegenteil stehender Musik (Satie). – Und sich,
CXXXVIII
selbstverständlich, keiner Idee überantworten. – Sich überhaupt nie
einem Saugnapf überantworten. - ... wenn am Feste / Das Auge glänzet
und von Perlen / Der Jungfrau Hals (Hölderlin, s.o.) -

Die konsequenteste Anarchie ist der Kniefall auf der Schwelle eines
Schwarzen Lochs.

Er empfand, berichtete er, den Tag noch nie so, wie übers Brücken-
geländer gelehnt.

Idéaux fatals. - Jeder mundane Fortschritt ist das fortschreitende Selt-
samwerden eines Natürlichen. Das Organische ist seltsam geworde-
nes Anorganisches. Das Tier ist die sehr seltsam gewordene Pflanze.
Der Mensch die seltsame Variante des Tiers. Und seit Menschen sich
Götter zu denken versuchen, denken sie sich sie - wider jede zeitliche
Logik - als ins höchst Seltsame mutierte Menschen. Wie nachdrücklich
aber erst, seit sie sich den einen Gott zu denken versuchen. - Mich
dünkt, sagt Z, dass all diese Entwicklungen auf das regulative Ideal
schließen lassen, das auch das Denken selbst vor Augen hat, und dem
es unerbittlich folgt. Das wäre freilich keine Ausnahme. Alle Ideale
sind fatal.

Als hätte Notre Dame sich selbst entzündet, um gesehen zu werden,

Nur das Ohr kann erwarten. Das Auge kann sich nur erinnern, wenn
auch im Voraus (Husserl). – Z: Das spricht für Wort und Melodie.

Denke, sagt er, meinetwegen anders, aber die Zeit bleibt dabei, sich
nur hören zu lassen. Ein elegantes Hörrohr kann dabei von Nutzen
sein. – Z: Das klingt wie eine Eloge auf den Godmiché.

Erwartungskunst. Gibt es das schon? Im Internet kann er das Wort
nicht finden. - Z: Da hatte er zu viel erwartet.

CXXXIX
Nüchternheit ist eine intellektuelle und frivole Plage. Nüchternheit
mischt die Worte anders. Von den anderen Lebenselementen einmal
ganz zu schweigen. Beim Jüngsten Gericht werden deine traurigen
Augen davon zeugen. Dann liegen Wahl und Entscheidung schon nicht
mehr bei dir. Aber auch der Zeigefinger des Absoluten wird dann nur
noch ein Entweder/Oder kennen. Das wird ein sehr überschaubarer
Vorteil sein. – Z: Zugleich jedoch auch ein absoluter Unterschied, wie
es bis dahin keinen gegeben haben wird.

“Is Heaven a Place — a Sky — a Tree? / Location's narrow way is for
Ourselve — / Unto the Dead / There's no Geography — / But State —
Endowal — Focus — / Where — Omnipresence — fly?” (E. Dickinson)

Gut das, drollig, kurios. (Th. Mann, Dr. Faustus)

Bedeutet nicht jedes Handeln, sich am Osterparadox ein Beispiel zu
nehmen? – Was nicht sein darf, das muss sein.

Ungestraft in Quintparallelen singen zu dürfen. – Ein Privileg der En-
gel.

Die Absenz aller Blüten. - Die Türme sind stumm. Unbewegt darüber
die Sonne. Die weiß wohin die Gedanken geflohen sind. Aus den Tür-
men und aus den Köpfen. Aus allen Körpern. Das ist ihre Art zu trium-
phieren. Die Sonne verrät nichts. Die Gedanken schließen sich ihr an.
Und tropfen in die Wolken. Goutte à goutte -

Y: Hören ist, wenn ich es richtig verstehe, Selbstreflexion der Sprache;
also beginnendes Denken.19 – X: Kann man denn vom Selbstbezug ei-
nes Möbiusbandes reden? – Z: Nur im Sinne einer verdrehten Selbst-
reflexion. – X: Vielleicht ist verdrehte Selbstreflexion ja die Grundform
einer jeden Bewandtnis. – Y: Das würde sie mir endlich vorstellbar
machen.

19
Vgl. David Espinet: „Phänomenologie des Hörens“, passim.

CXL
Messias-Allüren. Früher, meint er immer noch, hatten sie einmal Mo-
tive. Manchmal wussten sie sogar noch welche? und warum? sie sie
hatten.

Mater desertorum. - Die Zeit, schon wieder die, eine Lawine, avalanche,
die keine Spuren hinterlässt.20 Die Zeit ist also, genaugenommen, die
Mutter der Ödnis. – Z: Auf Dauer betrachtet unbedingt.

Was immer – und immer auch - bleiben wird, ist das Gewesensein. Das
ist zumindest auf logische Weise nicht zu leugnen. Vielleicht ist es
tatsächlich nur der Gedanke des Gewesenseins, der uns eine Spur von
Ewigkeit zumutet. Nur die Gedanken an Momente des eigenen Gewe-
senseins füttern uns – gleichsam - mit échantillons gratuits, Probier-
häppchen der Ewigkeit, aus der Hand der Mutter der Ödnis.

Aber das Skelett der Worte, ihr Konsonantengerüst, füllt sich mit dem
Sinn der Laute, dauernd neu und dauernd anders, mit vokalischer Un-
endlichkeit. Daher nur ist das Gebet an der Klagemauer und allen an-
deren Orten unendlich. Wer betet, setzt sich dem Eingriff des Unend-
lichen aus. Und er greift mit den ungeübten Fühlhörnern und den
noch leeren Füllhörnern, den Konsonanten seines Seins, ins Offene,
das manche noch Transzendenz, vom ganzen Praß die Quintessenz,
nennen würden. Den, der zu beten aufhört, lässt das Unendliche wie-
der fallen, spart seine vokalische (grenzenlose) Fülle für ihn und fürs
nächste Mal aber auf. Jedes Gebet ist exemplarisch; exemplarisch für
das Ganze. Aus den genannten Gründen. Das gilt selbstverständlich
schon und zuletzt für den Gottesnamen.

Es ist nicht verboten, den Gottesnamen zu nennen. Im Gegenteil, du
sollst ihn nennen; unaufhörlich vergeblich. – Z: Hurry up!

20
“… blend of aval (“downhill”) and standard lavençhe, from Vulgar Latin *labanka (compare Occitan lavanca, Italian valanga), of uncertain
origin, perhaps an alteration of Late Latin lābīna (“landslide”) (compare Franco-Provençal (Dauphiné) lavino, Romansch lavina), from La-
tin lābēs, from lābor (“to slip, slide”).” (en.wikitionary.org)

CXLI
Lieu vide de transbordement. - Die Leere kann nur ein Unendlichkeits-
gewimmel sein. Das Gewimmel der Sinnunedlichkeit. Der Umschlag
unendlicher Fraktale. – Le chant des Fractales de flamme auto-léchant.

Das Reelle der Wahrnehmung ist das, was nicht zum Gegenstand ge-
hört, ihn aber als dessen Element allererst zeigt, selbst aber in seinem
Zeigen verschwindet. Nicht anders verhält es sich mit Lacans Realem,
dem match maker als „Verlorene Form“.

Das Gelingen und das Glück sind Diebe, die sich einschmuggeln. Man-
che sprechen auch von eingeschleusten Fremdköpern.

Das existentielle Meldewesen der Welt. Die Welt ist zur Stelle, wenn sie
dir meldet: Da fehlt etwas. Oder sich dir anbietet, mitzusuchen oder
mitzuforschen: Da war doch was! - könnte da nicht etwas sein? Sie
zeigt dir Abwesenheiten, um sich interessant zu machen. Ein selt-
sames Vorgehen, wie das einer Frau, sit venia exemplo, die sagt: Schau,
wie schön ich sein könnte! Überlege dir, was mir alles fehlt!

X: Das Meldewesen der Welt versucht, dich dazu zu bestimmen, frei-
und eigenwillig Schimären-Maler zu werden, und dein Weltinterieur
raumfüllend mit deinen Schimären auszustatten. - Z: Warum denn mit
Schimären? - Y: Die sind, was sie zeigen.

Zuwachs. Brüche vermehren die Bruchlinien und -flächen. Brüche se-
tzen Fraktale frei. Wenn der Glanz von Bruchstellen singen könnte,
würde er singen: Viva la libertá! - Z: Ganz sicher!

Entweder findet das Innerweltliche in der Welt keinen Platz mehr,
oder es wird an der Grenze abgewiesen.

Der Charakter von Megacities wird nicht nur durch ihre Slams, son-
dern auch durch ihre Pfützen geprägt. Einem sensiblen Beobachter
und Nachtspaziergänger genügen die Pfützen, um große Städte zu
taxieren.
CXLII
De mélanger les cartes. - Ich habe, sagte er, vergessen, was ich mit
Worte mischen meinte: - Ich meinte: denken. – Der Trunkene denkt
anders als der Nüchterne. – Es ist unmöglich zu sagen, von wem dieser
triviale Satz, diese schroffe Wahrheit, stammt. – Z: Vielleicht von dem
Kartenmischer, der die Karten mischt, bevor er sie an Nüchterne und
Trunkene verteilt.

L’unique. - Vielleicht treffen sich Nüchterne und Trunkene im Traum.
Der Traum mischt die Worte so und so. Nicht so und mal so. Nein, so
und so, in einem. Er stellt gerne Beine, das ist seine Lieblingsver-
richtung, vor allem und mit Inbrunst aber den Nüchternen und den
Trunkenen.

Par la suite. - Ein Unikum zu sein des jeweils Anderen, das ist apart.
Der Einschlag der Kugel, auf der Münchhausen vormals ritt.

Denn es ekelt den Herrn das Überständige. (Th. Mann, Joseph), auch:
Karsamstagszauber 2019. - Mitunter lebhafter Wind. Impfpflicht ge-
fordert, über die Masern hinaus. Der Vorschlag sollte für Entsetzen
sorgen. Der rauchige Klang der Traversflöte. Suchinterpretationen.
Führerscheine nicht mehr unbegrenzt gültig. Ende der lilafarbenen
Banknote. Polnischer General droht Russland mit Atomwaffen.,

Denn, was uns unvorteilhaft ist, erscheint meistens dem Intellekt ab-
surd. (Schopenhauer)

X: Wie, fragt er, soll man Weltereignisse deuten, die beim Beobachter
keine Unruhe mehr auslösen? Sollen diese Ereignisse den Beobachter
denn nur noch lähmen? - Y: Es wäre jedenfalls kein Gottesbeweis,
wenn die Weltgeschichte in sich selbst versumpfte. - Z: Mir scheint, es
ist ein wenig so, als würde der Schiffbruch seine Beobachter mitneh-
men. Y: In einen Sumpf versinkt man aber nur - relativ - langsam. - X:
Darin liegt eure Chance, ihr spectatores!

CXLIII
A: Wir verwandeln die Dinge nicht in Symbole. Es ist tatsächlich um-
gekehrt. – O: Alle Dinge treten in unser Bewusstsein als Symbole und
nur wenn sie Glück haben, treten sie als Dinge wieder heraus.

Du solltest dir überlegen, wie viele Gedichte Mallarmés es nicht gäbe,
wenn ein Kaminsims für ihn (primär) keine Ausstellungsfläche gewe-
sen wäre. Er machte das Interieur zur Fassade; als hätte er Benjamin
verstanden.

Sage also: Armer Mallarmé! Er musste sich durch eine Unendlichkeit
von Dekors zum Nichts hindurchwühlen. Ja, mir kommen seine Ge-
dichte wie Schürfwunden vor, die er sich dabei geholt hat. - Z: Und
kann man einen Schiffbruch nicht auch, mit zusammengekniffenen
Augen, als Schürfwunde sehen?

Er sprach gerne abstrakt. Kunst, sagte er, ist die Abwärme der Welt. -
Das gebe ich zu, aber nur, weil ich Abwärme für das Wichtigste halte.
Sie ist das, was übrig bleibt und sich dem Kosmos als Wiedergutma-
chung heimzahlt.

A: Man müsste aus allen Richtungen leben können, aus denen man
kommt. – O: Dann könnten wir auch in all diese Richtungen denken. -
A: Dann würde es interessant.

Z: So manche Schwärze verkümmert in Buntheit, das ist das größte
denkbare Elend für Seelen. – Seele: Kunterbuntheit ist auch nicht bes-
ser.

„Auf Augenhöhe“ – Ich ziehe es vor, einfach nur au niveau zu sagen,
dann tut man wenigstens nicht so, als wäre das Niveau ziemlich hoch.
– Z: Vielleicht meinen sie damit ja „auf Hühneraugenhöhe“.

Mantra (2): Wer einundfünfzig Prozent versteht, liegt weit über dem
Durchschnitt. Immer und überall.

CXLIV
Du tust gut daran, dich zu verweigern. Das Glück hat einen schlechten
Leumund. Manche behaupten sogar. – nein, das passt nicht hierher.

Warum benutzt du, wenn man Begriffe denn benutzen kann, so viele
Begriffe, die man aus guten Gründen archaisch nennen könnte? - Gott,
Blut, Wunde, Stein, Hauch, und all die anderen? - Weil ich weiß, dass
wir nur so noch an Seele und Welt, die Archaischsten von allen, heran-
kommen können. Anders geht es nicht mehr. Das beweisen mir all die
anderen Versuche. Greife doch einmal nach einem Körper, der ganz
aus Phantomschmerz besteht! Das fordert von deinen Greif- und re-
trograden Vollzugsorganen der Schöpfung ein Übermaß an Phantasie.

Mein Kopf ist eine Höhle oder eine Grotte, in die sich, so kommt es mir
vor, die letzten Worte wie erschöpfte Fledermäuse zurückgezogen ha-
ben und zu träumen versuchen. - Aber wie könnte das ihnen, in An-
betracht ihrer selbst, gelingen! Merkwürdig genug, dass sie meinen,
einmal geträumt zu haben. Sie verwechseln die Träume, offensichtlich,
mit der Erinnerung an sie. Aber hinter den Rändern ihrer Erinnerung
ist nichts. Eine der Fledermäuse glaubt, sich an eine bunte Jacke zu
erinnern.

Es lohnt sich nicht, sagt er, allzu wörtlich zu denken. Und was du vo-
raushast, wird dir doppelt abgezogen.

Wenn jemand sagt, ich habe die Übersicht verloren, dann sag du: Wo?
- Zeig mir den Ort! – und lache ihn aus.

Apropos bunte Jacke! – Fülle ist die Schamesröte des Mangels.

La dignité absolue du refus. - Die Gedankenfabrik ermattet nicht an
ihrer Tätigkeit. Sie ermattet am Mangel, am Ausbleiben der Zuliefe-
rungen, oder an deren Mängeln, an deren Qualität, wenn denn die
Weigerung, sich bearbeiten zu lassen, die Qualität eines Materials ist.
Dann sind Götter und Engel die vollkommensten Materialien. Und
Transzendenz ist der euphemistische Namen ihrer Qualität, die im
CXLV
Mangel jeglicher Verarbeitbarkeit liegt. Was sich der Formung ver-
weigert, ist das dem Geformtwerden Würdigste.

Die Seele ist (Hölderlin) ein Horchendes (Aristoteles) auf Erden (Höl-
derlin). Sie horcht auf das Offene ihrer Grenze, aus dem sie auf sich
zukommt (Heidegger). - Z: D‘accord! Und Seinsvergessenheit stellte
sich kürzlich heraus als Taubheit fürs eigene Echo. Das taube Selbst-
seinsgefühl des Trommelfells.

Darf man denn überhaupt sagen, fragt er, dass ein böser Geist uns das
Trommelfell über die Ohren gezogen hat?

Ein Hörsturz infolge eines Trommelfellrisses quälte Celan in den Tod.

Die Gegend Ist so finster, dass es verzeihlich scheint, Heideggers mat-
ten Fackeln zu folgen, auch gegen den Wind der Ranküne.

Die Zeit ist das imaginäre Konglomerat aller Ersatzmomente ihrer
selbst, so würde ich Merleau-Ponty übersetzen, der sagt, die Zeit sei
une fuite génetale hors du Soi.

Die Zeit stockt nur unter Vorbehalt des Vorenthalts nicht. Unter der
Bedingung des Schon im Nochnicht, konventionell gesagt.

Heideggers Konzept der Sorge ist das Anarchichste, das wir zurzeit
(um Ostern 2019) noch haben. Aber mit dem Trommelfell über den
Ohren (s.o.) wird uns auch die Sorge, die letzte Diva assoluta, abhan-
den kommen. - Fragt in einem Jahr noch einmal nach.

Nunc instans . - Immer und überall in einem südlichen Garten sein und
einen Regenwurm aus einem Brunnen retten. Sich fragen, wo das
Plätschern eines Wassers denn genau statthat und zuhören, wie seine
Ränder verbrennen. - Ein Wie gibt es, ein Gleichwie nicht. Obgleich es
sicherer ist, das Gegenteil zu behaupten.

CXLVI
Y: Wie hältst du all diese Bilder aus? - X: Ich seh sie ja gar nicht, ich
denk sie nur. - Z: Das erklärt freilich alles.

Nichts muss stimmen, um etwas zu sein. Daran denken wir, wenn wir
denken, leider nicht. Darum fällt unser Blick auf das Sein mit Vorliebe
und blinder Absicht daneben.

Eines darf man getrost und sicher sagen: Endzeiten verstehen sich
nicht auf Tarnfarben.

Ein vernünftiger Satz kann nur erkenntniskritisch sein, d.h. zerset-
zend.

Er sagte gerne, er freue sich der wunderbaren Masse von Erzählungen,
die sich täglich ereignen und von denen er nichts erfährt.

Ich kenn eine 95jährige Dame, die sehr klar denkt und beurteilt. Ihre
Sprechweise ist sehr distinguiert, ein wenig manieriert. Sie bevorzugt,
zum Beispiel „frug“ zu sagen statt „fragte“. Man hört ihr gerne zu. Das
Wort aber, das sie benutzt, um ihre Abscheu – quasi unmissverständ-
lich zum Ausdruck zu bringen, lautet „ätzend!“ – Im Ohr des Hörers,
in meinem etwa, klingt das wie ein Donnerschlag. Für die alte Dame
ist es ein nicht weiter auffälliges, völlig gleichberechtigtes Mitglied
ihres Wörterparlaments. Mit geregelten Auftritten. Und durchschnitt-
licher Redezeit.

Träume müssten sehr tief fliegen, um sie aus der Kavaliersperspek-
tive betrachten zu können. Leider fliegen sie gerne so hoch, dass du
nicht umhin kannst, ihnen unter den Rock zu schauen.

Wenn Reflexivität einen bestimmten, d.h. zu bestimmenden Grad
überschreitet, ist sie nicht mehr zu kommunizieren. Das führt zu ir-
reduziblen Einsamkeiten. Zum Schrei. Zur Verzweiflung. Zum Tod. -
Also hüte dich, rechtzeitig.

CXLVII
Wir Erben Edens. (Vergesst nicht, wir vergaßen, das Erbe auszuschla-
gen.) - Die universale Mischlokalität. (Das Wort sei hier benutzt, auch
wenn es sich, wenn ich es richtig sehe, bei Freud, wie auch die Vari-
ante Mischräumlichkeit, nur ein einziges Mal findet.) - Die Auffor-
derung Denke unordentlich! kam immer schon um Äonen zu spät. Es
ging immer nur um die Frage, welche Unordnung sich als Ordnungs-
schema durchsetzen konnte, und welche Macht sich welcher Unord-
nung bediente. Denken wir an die Geschichte des allgemeinen post-
lapsarischen Existentialtheaters: die scholastischen Wellness-Pro-
gramme, die Clownerien der Aufklärung, die sürrealistischen Bilder-
pürees, der neoscholastische Karneval der Psychoanalyse, die Knall-
und Lallbonbons der künstlichen Intelligenzija etc., nur so zum Bei-
spiel und voller Verehrung und unverbrüchlicher Abhängigkeit von
einer Salzsäule von einem Abendländers gesagt. - Warum der Globus
trotzdem noch nicht zerbröselt ist, das bleibt unerfindlich. Und in
gewisser Weise auch unerfreulich und unverzeihlich. Unser Denken
hängt uns von den Hüften wie ein zerlumptes Feigenblatt. Und wir
stehen auf dem verkohlten Floß, das aus Bosheit nicht sinken mag,
den zerknickten Mast fest im Griff, den Blick fixiert auf seinen blin-
desten Fleck.

Wenn ein Ninja wirklich die Kunst beherrscht, sich unsichtbar zu
machen, dann ist es ein Vorteil, ein Ninja zu sein. - Dann werde zum
Ninja!

In der Regel beweist du dein Gutsein dadurch, dass du gewisse Dinge
nicht tust. Wenn nun das Böse, wie, was heute jeder weiß, Augustinus
sagt, der Mangel an Gutem ist, dann ist es damit nichts anderes als der
Mangel an Nichttun (gewisser Dinge). - Z: Logisch! -

Schneebruch ist ein rätselhaftes Wort. Manchmal im Jahr taucht es in
den Nachrichten auf. Dann bilden sich die Hörer etwas darauf ein. Als
könnten sie es verstehen.

In der Praxis bezeichnet Verstehen den Punkt äußerster Ratlosigkeit.
CXLVIII
Deswegen gab sich Wittgenstein ja nie mit einer Definition zufrieden.

It‘s just a riot.

Ein Buch, aus dem ich nichts lerne und in dem ich mich immer wieder
nicht zurechtfinde, seit vierzig Jahren, seit mein Doktorvater es mir
geschenkt hat. Schopenhauers Eristische Dialektik.

No intermission will be. - Innen sind wir größer, sagt er, zumindest ich
bin eine Praline, eine unendlich quellende Quelle aus Nirgendwo. Ich
sollte Songtexte für Amanda Palmer schreiben, sagt er, rät er mir.
Oder für andere, die sie - mehr oder minder - auch nicht brauchen.

Ein Produzent leerer Zentrifugalkraft, ein durchgedrehtes Karussell.
Veitstanzend, auf der Stelle wirbelnd, des Kusaners Kreisel, auf seiner
einen kleinen punktuellen Zehenspitze. Mit all den anderen Schnei-
dern und Engeln, von denen immer wieder, scholastisch oder auch
nicht, die Rede ist. We can talk for – (h)ours.

Etwas für sich selbst zu behalten. - Unüberbietbarer Inbegriff der Ver-
schwendung, der nur übertroffen werden kann durch - ihr wisst
schon. - Aber behaltet es für euch! -

Ich habe, sagt er, mein Studiolo im Kopf. So gut eingerichtet, funkti-
onal und verträumt könnte keines außerhalb meines Kopfes sein.
Auch nicht so unbescheiden.

Von rhodischen Springmäusen, elfenhaften Orakeln und patmischen
Ontokalypsen. - Einen Roman mit diesem Titel würde ich gerne lesen.

Und wäre also die Vernunft nur der Schlaf der Monster?

Standby. Der Zufall ist der Kuppler, der einspringt, wenn kein anderer
zu Diensten steht.

CXLIX
Das Hinhören ist der Leim, auf den ihm Sinn und Bedeutung gehen
sollen; vom denen aber noch niemand etwas weiß, wenn die Leim-
ruten des Gehörs sich auslegen. - Macht das Bild klar, was Heidegger
sagt, wenn er sagt: Das Hinhören „gibt es dort erst rein, wo gar kein
Vernommenes uns anfällt, wo gar nichts verlautet“?

Misfits. - Zu sagen, nicht gestimmt zu sein, bedeutet nur, nicht zu ver-
hehlen, dass man nicht resonieren kann. Dass man gleichsam ver-
messen ist, überspannt, ohne zerreißen zu können. Und immer wenn
und solange das so ist, ist Verstehen, von der Wurzel her, wenn ihr
mich das so sagen lasst, ausgeschlossen. Nicht gesellschaftsfähig.

Was verbindet unverbrüchlich? - Die stählerne und mustergültige
Härte der Sterilität.

Aber auch und zugleich ist Verstehen, das sich nicht absetzt, kein
Verstehen. Du kannst auch sagen, indifferentes Verstehen ist ein kom-
fortabler und wohltuender Selbstwiderspruch der sterilen Art. - Z:
Und hat daher globalen Kultstatus.

Auch das Noli-me-tangere! kann auf den Hund kommen.

Du hast die Falten-Metapher erst restlos verstanden, wenn du begrif-
fen hast, dass sie keine Metapher ist.

Echten, aggressiven, knallgelben Neid empfinde ich nur, wenn ich
kluge Menschen treffe, kluge Gedanken oder Aphorismen oder Ge-
dichte lese, auf die ich nicht gekommen bin, kurz: im Grunde immer,
wenn ich erkenne, dass man klüger wahrnehmen kann, als ich es tue:
klüger hören, klüger sehen, klüger tasten, klüger schmecken, und
auch klüger riechen. Und das alles sowieso. - Ein unendlich kluges Be-
wusstsein, das wärs! Leuchtende Sinne.

Klugheit ist, genetisch gesehen, zunächst einmal die Klugheit der Sin-
ne. Und wie klug ist der Buddhismus, für den das Bewusstsein ein
CL
intelligibles Wahrnehmungsorgan ist. Und wie dumm war das Abend-
land, so klug es ist, als es das Denken aus der Familie der Sinne riss.

Wer, wenn ich schriee, ... - vielleicht, lieber R.M., solltest du Engel an-
ders einladen. Aber, sagt er, ich habe es auch noch nicht heraus. Des-
halb mache ich mir auch für dich nichts daraus. - Die Engel: À la bonne
heure!

Quos ego! – Z sagt: Alles Vergängliche ist nur eine Kippfigur. - Das
Pathos übersetzt: Alles Vergängliche ist das Schwären der Transzen-
denz. - Der Filmemacher übersetzt: Erste Szene: Überstürmtes graues
Meeresufer, windgepeitschte Dünendisteln, leerer Horizont, Atemlos
Strandende nach einem Schiffbruch. Großaufnahme eines Philoso-
phenkopfs und seiner patschnassen Strähnen, Kameraschwenk auf
seine rechte Faust, die dem Himmel droht und flucht.

Der Film ist das deutlichste Medium, weil es das archaischste ist. Jeder
kleinste Effekt schmarotzt an der Schaffung des ersten Atoms.

Ein Lichtfunke ist der Zeuge des Einschlags, in dem er verlischt. - Es
wird nur letzte Zeugen gegeben haben.

Nur die Gedanken geben dem Gewesenen ein Format. - Aus pragma-
tischen Gründen sollten wir an einen Gott glauben. Seiner Gedanken,
nicht seiner Schöpfung wegen.- Das Gedachte und das Gewesene ent-
stammen demselben Stamm. Fortlaufend.

Recht besehen, arbeiten die Denker seit Jahrtausenden ausschließlich
an der Entmächtigung des Denkens. - Die Engel (wieder): Bravo!

Als ob Kämmen nur eine Ausdünnungsprozedur wäre. Bei der sich die
Schwächen der Verwurzelung herausstellen. - Ein Engel: Herrje!

CLI
Shivering news, subkutan. - Das Unheimliche sei eine flächendeckende
Schicht unter der Haut; manchmal mache die Haut einige seiner Bot-
schaften fast sichtbar. Man müsse den Blick dafür üben.

Ruling proportions. - W: Man muss die Dinge ins Verhältnis bringen! -
H: Lasst sie doch einmal selbst entscheiden, oder unbehindert zögern.
- W: Und wenn sie nicht aufhören zu zögern? - H: Auch dann (noch). –
W: Und warum nicht erst recht? -

Gott, nach dem Ende, wenn die Arbeit getan sein wird (ein wenig nach-
denklich): Technisch ist alles in Ordnung.

Was noch keiner gesagt hat: Die Sphärenharmonie ist ein in Men-
schenohren wohlklingendes Weinen. - Die Engel (bis auf einen): Seht
ihr! -. At least.

Mary goes around. The universe is much to young. Nobody cares. The
universe included. Even in itself.

Z (wie schlaftrunken): Wenn Freud betont, dass es keine harmlosen
Träume gibt, dann gilt das erst recht für die seltenen Wachzustände.
Die wiederholen doch nur (gähnt) die nicht-harmlosen Momente der
Träume.

Ein schweizerischer Romanbeginn (3). Sie sind alle so unförmig, im
Ganzen, gleichsam am Stück, wie an mir nur der Buckel, unter dem ich
aber leide und an dem ich arbeiten möchte, getrieben von einer
Menschenfreundlichkeit, die ich an den Anderen nicht wahrzuneh-
men vermag. Die Idee eines Monopols auf Menschenfreundlichkeit
erscheint Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, vielleicht gwundrig und
merkwürdig, gar widersinnig. Aber sie drängte sich mir, ich möchte
sagen: realiter, auf. Sie kam und ging nicht mehr. Sie wollte nicht mehr
gehen und blieb. Sie schmiegte sich auf eine Weise an mich, die Katzen
zueigen sein soll. Und sie präsentierte mir ihren Buckel - den man
freilich nur einen Buckel nennt, der aber keiner ist - als das elastische
CLII
Ideal, dem ich mich verschreiben müsse. Sie war die Überzeugungs-
kraft in Katzenperson und Katzengestalt. Ich konnte ihr nicht wider-
stehen. Geschweige denn widersprechen. So begann, aus Mangel an
Widerspruch und Widerstand, diese Geschichte, deren Beginn mir
heute, rückblickend, über die Maßen köstlich dünkt. -

Aber manchmal nähme sein Leben noch die Intensität von Gedanken-
losigkeit an. Vielleicht, sagt er, im Weggehen, den geschulten Blick
über seine Schulter werfend, schaffe er es ja noch bis zur Intensität
der Gedankenleere. – Z (keinen Kalauer scheuend): Bist du dann Bud-
dhist?

Es gehörte zum „unvermeidlich guten Ton, die Töchter nicht in der
Sprache des Landes, sondern in der wie alles Fremdländische für et-
was Besseres gehaltenen französischen Sprache zu erziehen, mit der
sich die Gedankenleere bekanntlich am glänzendsten übertünchen
läßt.“21 (Dr. Eduard Engel, Königin Luise, 1876, Seite 86)

Le plan d'épargne logement (divin) oder Bestelle dein Haus! – : Sofort
und permanent! – Es ist dich die einzige Lebensaufgabe, die du hast:
Bereite dich stets und ständig auf das vor, was nicht feststeht und
nicht feststellbar ist. Bestelle ohne Unterlass das Haus, das du nie ha-
ben oder besitzen wirst, um seiner würdig zu werden. – Z: Da sage
noch einer, der Weltgeist sei kein Humorist. – Sein bester practical
joke ist der Bausparvertrag.

Z (beim Kochen, zu sich selbst): Es gibt ja keine Anerkennung. Selbst
mit der Ehre eines Eremiten ist es nicht weit her. Es sei denn, du hältst
die Stigmatisierung für eine Anerkennung.

Conditio luctus. - Um zu trauern, braucht es viel Kraft. Nur Seelen mit
einer seltenen Kondition können trauern.

21
Vgl. vorher, S. 81: „Zur Genüge ist bekannt, wie Friedrich der Große durch eine unglückliche in der Jugend begründete Richtung für das
Franzosenthum so gar wenig zur Entwickelung der idealeren Elemente seines Volkes beigetragen.“

CLIII
Spontanität demonstriert den Mangel an Disziplinierungsschwellen.

Kommunikation und Nächstenliebe. Explosionen des Sinnvakuums.

Echte Spontaneität. - Du kommst mit mehr Sinn nach Hause, als du ge-
plant hattest.

Odysseusfaktor. – Leben, damit du nichts davon hast. Vgl. auch: Die
Weisheit des Silen.

Eine Narrenkappe für den Aschermittwoch. Ode besser: zwei.

Harre der Stunde der Tat (Hesiod) – oder tu immer das Falsche.

Kairos. – Alter Name für die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Heute
Schutzgottheit der Stochastik.

Duende22. – Der endzeitliche Verführer, der Zwerg. Gnadenbrot-Kai-
ros.





22
Die erste Definition von duende im Wörterbuch der echten Akademie der spanischen Sprache ist ein phantastischer Geist, der angeblich
in einigen Häusern lebt und reist und Unordnung und Rumpeln verursacht. Erscheint mit der Figur eines alten Mannes oder eines Kindes
in traditionellen Erzählungen. Eine andere Bedeutung von duende im Wörterbuch ist restaru. Duende ist auch trocken und dornige Disteln,
die in den Kopfsteinpflaster der Wände gelegt werden, um den escalo zu behindern. (educalingo.com)

CLIV
Süßer Schlaf, reprise simultanée :


Der politische Gefangene Florestan reflektiert; über den süßen Trost
in seinem Herzen, seine staatsbürgerliche Pflicht getan zu haben. -
Plötzlich aber betört ihn die milde, sanft säuselnde Luft der Oboe:

CLV
Und dann, bis er – jeweils - zum letzten Mal singen wird: „Zur Freiheit,
zur Freiheit, in‘s hi(a)-himm(g)-lische Reich(f)!“ sagt W, kommt es mir
immer vor, als würden die Oboentöne wie kleine goldpuderumsprüh-
te Disney-Engel und -Feen (in rosigem Duft)

CLVI
um Florestan (in seinem dekorativen Lumpenkostüm) herumtanzen
und -flattern, um ihn schließlich im Sog eines ganz knappen aber
scharf und beiläufig klingenden Triolen-Windschattens, f‘-h‘-d‘‘ - f‘‘-
h‘‘d‘‘‘ (y además: mit einem aufsteigenden Tritonus in der ersten und
einem in der zweiten Triole! – quasi per pedes diaboli) unerbittlich
nach oben zu ziehen, wenigstens bis zum dreigestrichen f (fast der
höchste Ton, über den eine Oboe oder eine Königin der Nacht ver-
fügen), dem f fast der Freiheit, das nur achtelkurz am Himmelstor an-
klopft; um mit Florestan im Klanggepäck, c‘‘‘-a‘‘-b‘‘-g‘‘, wieder aufs
zweigestrichene f retour zu sinken und auf einem spröden Klangdau-
nendiwan23, sempre dim. bis zum ppp, familienähnlich dem „gefälligen
Wahnsinn“ Egmonts24, des Schicksalsgenossen in carcere - sehr dis-
kret und fast überhörbar wieder aufzusetzen.

- Visionen nehmen, das lehrt, sagt er, die Erfahrung, einen mit - und
wieder mit sich zurück. Und sei es, wie hier, auch nur bis zum zweige-

23
... urspünglich (beauemer) Sitz des Beamten, ein Bettsofa ohne Lehne ... (wikipedia)
24
... und eingehüllt in gefälligen Wahnsinn, versinken wir und hören auf zu sein ...

CLVII
strichenen f - der fatigue, auf halbem Wege. – Aber wohl nur bis auf
weiteres, wie es steht. Das Rettende, heißt es, sagt er, wächst ja. Und
wenn es wächst, dann auch in und unter Camouflagen, in Schüben und
mit Schaufeln. – Die Oboen warten auf immer neuen Einsatz.

CLVIII
Eichkröten und Schildhörnchen (X. Camouflage25)
Einübungen ins Amtsdeutsche (I)

L'acier, la dureté exemplaire de la stérilité



Ich habe eben zum ersten Mal (bei Franz Borkenau) – zumindest zum
ersten Mal bewusst – das Wort Sachrichtung gelesen. - Was kann das
sein?

Y: Was heißt dann, nach allem, also existieren? – X: Hervorgehen, wenn
sich das Nichts und das Sein gegenseitig camouflieren. – Y: Das be-
kannte Hexeneinmaleins. – X: 2mal Verbergen = 1mal Entbergen. – Z:
Also nur wenn das Verbergen zwei Mal reziprok ist.

Glaube nicht, dass das Glück etwas mit dem Leben zu tun hat. Das
Glück ist eine fremde Insel. Und Glücksgefühle sind ihre Botschafter.

Warum wunderst du dich noch immer, dass in einer Welt, in der quan-
tifizierend produziert, quantifizierend gedacht, quantifizierend kon-

25
Camouflage Irreführung, Täuschung, Tarnung ♦ mit französisierender Endung aus frz. Camoufler „verschleiern,
tarnen“, unter Einfluss von frz. camouflet „ins Gesicht geblasene Rauchwolke“ aus ital. camuffare „verkleiden, ver-
mummen, unkenntlich machen“, vielleicht zu mlat. muffola, muffula „Halstuch, Schal“, mlat. muffolae, muffulae
„Pulswärmer“ (wissen.de)

CLIX
sumiert wird, auch quantifizierend qualifiziert wird? Du pochst, mein
Freund, zu spät auf dein Menschsein. Und hättest es auch früher nicht
gekonnt.

Heute löst sich die Anerkennungsproblematik end-gültig in likes auf.
Die Anerkennung hängt an Haken.

Man könnte meinen, ich sei mit dem Ausbau von Nischen beschäftigt.
Non est ita! Ich teste nur mein Atemgerät aus.

Und die echten Eskapisten sind amtlich geprüfte Vollzugsgehilfen des
Universums (geworden).

Y: Jetzt aber mal ernst! - Du sagst, dass selbst das Universum in seinem
Tun und Denken von einem unbegrenzten Resort-Egoismus gelenkt
und geleitet wird. - Ist das denn nicht ein rundum gewichtiger Gottes-
beweis? – Denn einem Urknall, denke ich, wäre das nicht eingefallen.
Wenigstens traut man das einem Urknall nicht zu. - X: Ja, ich habe auch
immer gedacht, dass die Würde des Urknalls ausschließlich in seinem
Altruismus beschlossen sei.

Zum Zimzum. - Y: Die zerborstenen Gefäße mit ihren funkelnden
Bruchstellen, das war doch noch ein geschlossenes Weltbild! - X:
Gleichsam ein erwartungsfrohes geschlossenes Sammelgebiet, das
sich den Briefmarken der ehemaligen DDR zugesellt.. - Z: Ein echter
Engel der Zukunft. Ein kosmisches Kleeblatt.

Damals hieß es in den Klappentexten noch: Der Philosoph XY hat wie-
der einmal einen Sack voll kosmischer Splitter zusammengesammelt
und schüttet ihn vor Ihnen aus. Ein Auflesevergnügen unvergleich-
licher Art erwartet Sie!

Als einer, der den Blick auf sich mit seinem Leben verstellte, ist Mo-
lière zugleich der Repräsentant seines eigenen Typs. Dazu passt, dass
er das – absolute – „Genie der scène“ genannt wird. – Z: Dass er aus
CLX
den Augen Corneilles blickt, und Corneille aus seinen, ist eine hübsche
Volte dieses Teils der Weltgeschichte, sozusagen.

Neologismen (I) - „Stigmifikant“. - G: Ich habe hören müssen, du befin-
dest dich in einer existentilellen Umbruchsphase. Ohne diesen techni-
schen Terminus wirklich zu verstehen, oder vielleicht gerade nur, um
ihn zu verstehe, erlaube ich mir, dich zu fragen, wie es dir dabei geht,
und was du dabei lernst? – H: Ich fühle mich, so will es mir scheinen,
dabei überraschend und unverdient gut. Und, auch das will mir so
scheinen, ich lerne dabei tatsächlich etwas. Ich lerne zu fühlen. Ich
lerne, mich wie einen frei flottierenden Signifikanten zu fühlen. Ich
lerne zu fühlen, wie ein frei flottierender Signifikant fühlt. Ich lerne zu
fühlen, wie ich glaube, dass ein frei flottierender Signifikant fühlt. Ich
kann auch sagen, ich nehme etwas in Besitz, genauer: ich bin dabei,
etwas in Besitz zu nehmen, ich habe es aber noch nicht ganz. Nein,
ganz und gar habe ich es noch nicht, dieses Stirb und werde! –

Er sagte tatsächlich, dass er Einlass begehre. – Z: Soweit denke ich nie
vor einer verschlossenen Tür.

Ob wohl auch Hemden Phantomscherzen verspüren, wenn man ihnen
die Ärmel abschneidet? Zumindest wäre das ein dienlicher Persön-
lichkeitstest.

Im dem deutschen Ich habe dich verstanden! klingt meines Erachtens
und unmissverständlich mit, dass es dennoch zu spät ist. – Z: Die Art
der Mitteilung ist dabei, das muss man doch zugeben, sehr rücksichts-
voll.

„Amtsschimmel mit den Allüren eines Pegasus.“ – Z: Ich kenne keinen
Kaltblüter, der sich des Hermes geflügelte Sandalen nicht gerne an-
ziehen würde.

Loge infernale. - Die zurzeit trostloseste aller trostlosen Aussichten:
dass die Herrschaft der blogger kein Ende nehmen könnte.
CLXI
Dass man ungestraft sagen kann: vorläufig geht es nicht weiter.

Aber er leidet ja gar nicht darunter, dass er in seiner einen kleinen
stickigen Welt eingeschlossen ist. Er leidet darunter, dass sie so
schrankenlos austauschbar ist. Er leidet an seinem strukturell vergeb-
lichen Lechzen nach einer Alternative.

Geschichten hinter den Wahrheiten (I). - Nehmen wir doch einmal an,
die so genannte Kanonade von Valmy (am 20. September 1792) war
ein abgekartetes (engl. „prearranged“) Spiel (coup monté), was ja viele
Historiker glauben, und der Raub des Staatsschatzes aus dem Garde-
Meuble (am 16. September 1792) eine Inszenierung, dann könnte
doch die vorweggenommene Installation der Guillotine (schon am 11.
September 1792) vor dem späteren Tatort das eigentliche Ziel des
Komplotts gewesen sein. - Und was würde das bedeuten? –


Robespierre hatte früh erkannt, dass er seinen Kopf nicht mehr retten
kann, war aber, hamletähnlich, zu feige zum Selbstmord, ließ seine
strategische Phantasie spielen und nahm das Unvermeidliche lang-
fristig in die eigene Hand. Die Details ersparen wir uns hier. - Die Guil-
lotine musste immerhin noch bis zum Juli 1794 auf ihn warten, acht
Monate länger als auf Marie-Antoinette und anderthalb Jahre länger
als auf Ludwig den Sechzehnten.

“No neutral ground between the two.” (J. K. Jerome)

CLXII
Jedes Nachdenken, oder auch das Nachforschen, ist ein Im-Trüben-
Stochern. Die Stöcke und Stäbe, mit denen du stocherst, das sind deine
Methoden, die sich aber erst im Stochern erweisen: ante festum über
ihre Geeignetheit zu spekulieren, das wäre nur unsinnig, wenn es
nicht auch tautologisch wäre. Denn es ist ein In-sich-selbst-Stochern
der Stäbe und Stöcke als dem Trüben. Aber, wer weiß, vielleicht er-
weist sich jede Methode überhaupt nur in solcherart In-sich-Selbst-
Stochern des Trüben. – Z: Was könnte Erkenntnistheorie denn ande-
res sein! - Und was Erkenntnispraxis!

Ablenkungsmanöver ist ein übergewichtiges Wort, weil das Manöver
die Ablenkung ist und die Ablenkung das Manöver.

Y: Napoleons liberté begann mit der Einführung der Gewerbefreiheit.
– X: Das hat die Zünfte und die anderen (taxonomisch gesehen: gemei-
nen und allverbreiteten) Resort-Autisten sicher nicht gefreut, ja nicht
einmal amüsiert. – Z: Und heute würden sie ihn als einen Gefährder
sehen. Jeglicher Freiheit. Grade die Neoliberalen, die vor allem.

Ein Leben, das geleistet werden müsste, würde nicht existieren. Und
existiert ja auch nicht. Das Leben, das existiert, leistet sich - sich. Und
wir leisten es uns. Als faulen Kredit.

Sophismus aus der loge infernale (1). Ehrlich, wenn es nur eine Wahr-
heit gäbe, dann müsste sie das Ganze sein, weil das ja keine andere
Wahrheit enthalten dürfte und darf. Und das klänge wie eine Rehabi-
litation Hegels. Was ja keiner will. – Da haben wir den Widerspruch. –
Man kann die Wahrheit (den Pudding) nicht haben ohne sie (ihn) zu
essen.

Als hätte die Gottheit, anfangs, gesagt: Der Mensch sei eine Verdunk-
lungsgefahr seiner selbst. – Oder etwas Strukturanaloges.

Lachen ist der Ton, wenn Schiefer an Schiefer kratzt. Das Lächeln ist
ein Angebot, an seinem Selbstgenuss teilzunehmen.
CLXIII
Das Schweigen ist - auch - eine Trunkenheit, der die Worte fehlen.

Seltsam, dass ihr vom Vogel-Ruf sprecht. - Ich bewundere euch für
euer verständiges Ohr. Ich verstehe die Vögel nicht. Ich merke nicht
einmal, dass sie mich rufen. Wenn sie mich rufen, wie ihr sagt.

Douceur lisse. - X: Es ist an der Zeit, dass einsichtige synthetische Vio-
linen die Gedankenarbeit übernehmen. - Y: Wenn sie ihre Herkunft
geklärt und uns verständlich gemacht haben, kann die Flucht, jetzt
unter besseren Sternen, weitergehen. – Z (als zitierte er eine Princesse
obscure): Da haben wir’s, endlich! Das betörend triste und gleichgül-
tige Glück, mit dem die Computerspiele uns vertraut gemacht haben.
Ein für alle Mal. Wir dürfen - wohlgemerkt, und auch wohlgemut - für
die Ewigkeit hoffen. (Das darf nur Z so sagen, wenn er zitiert.)

Das, was uns das Leben gekostet haben wird, wird die Moral gewesen
sein. Auch wenn wir es gar nicht für Moral hielten.

Romanbeginn (4). – „Shelter from the storm“. - Stellt euch das vor: Es
gibt eine Kirche, eine gigantische Organisation, mit unzähligen Pfar-
rern, eine Organisation, deren Kathedralen die Treppenhäuser in den
Pfarreien ihrer ungezählten Pfarrer sind. Ihr fragt, welches ihre Sa-
kramente sind und wie sie sie feiern? – Zunächst müsst ihr wissen,
dass sie sagen, dass ihre Treppenhäuser symbolische Architekturen
seien. Sie sagen aber nicht, was sie symbolisieren sollen. Da ihre Trep-
penhäuser immer dunkel, stockdunkel sind, Man betritt sie durch
schlauchartige Flure, die man zu den Treppenhäusern hin nur öffnen
kann, wenn sie, wie die Treppenhäuser selbst, finster sind. Vielleicht
darf man daraus schließen, dass die Treppenhäuser eine Schwerkraft
symbolisieren. Denen die Treppen, jemand nannte sie irreführend
Eselstreppen, wohl ein wenig Nachdruck verleihen sollen. Und der
dunkle Raum, dürfen wir mutmaßen, soll als Wahrnehmungsverstär-
ker dienen. Beispielsweise zur Verstärkung des Gefühls einer Abwe-
senheit, um sie anschaulicher zu machen. Oder zu einer Anschau-
lichkeit zu verhelfen, die anders nicht zu bewirken oder herzustellen
CLXIV
wäre. Das Gefühl der Anwesenheit ist, wie wir wissen, das Überhang-
mandat einer Abwesenheit. Es ist anders als bei Kafka, auch wenn du
Ähnlichkeiten vermutest. Es ist auch vergleichsweise bequem, hinein-
zukommen. Und einmal drinnen, willst du partout nicht wieder he-
raus, auch wenn du es könnest. Versuche, in Gedanken, eine der Trep-
pen in diesen Treppenhäusern hinaufzusteigen. Und beschreibe, was
geschieht und was mit dir geschieht. Ich weiß, es ist schwer, fast un-
möglich, weil es dir so vertraut scheint. –

Wenn du etwas erfolgreich beschrieben hast, beweist das nur, dass du
etwas erfolgreich beschreiben kannst. Und dass das Leben an seiner
Beharrlichkeit schmarotzen muss, um enden zu können.

Nur die Beharrlichkeit, die du gelernt hast für eigen zu erachten, ver-
spürst du als eine angenehme Schwere deiner Seele. Das Beharrliche
eines äußerlichen Reizes dagegen, und sei es nur das „tintement re-
bondissant, ferrugineux, intarrisable criard et frais“ der „petite son-
nette“ am Hoftor in Combray, wird zum Schrecken, wenn es sich para-
sitisch, als dislozierter Tinnitus, ins Innere einnistet: „je fus effrayé de
penser que c’était bien cette sonnette qui tintait encore en moi, sans
que je pusse rien changer aux criaillements de son grelot.“ – Wenn das
eigene Innere zu einem akuten Resonanzraum des Äußeren wird, in
dem sich der Lärm der Lärmprojektile, die hier eingeschlossen sind,
von der Decke, dem Boden und den Wänden dieses überwirklichen
Raums, wie die Kugeln von den Banden eines Billardtischs, endlos hin
und her gestoßen werden, stetig und ins Unermessliche zu verstärken
scheint. Als wollte er zu einer einzigen und unendlichen tönenden
Massiv werden, einer absoluten Substanz aus Getöse und Gedröhne,
„moi, juché à son sommet vertigineux.“ (alles Proust) - Z: Du bist nicht
Proust, mein Lieber! Weißt du das noch? – Und du brauchst einen um-
fassenden Aderlass, so nach barocker Manier. – So wie der Dr. Ei-
senbart nach seiner eignen Art dir einen verpasst hätte.

In Anbetracht unserer schwachen Phantasie können wir, was uns die
Philosophen auch erzählen mögen, nur Wiederholungen erwarten.
CLXV
Ich glaube, sagt er, darin liegt auch der Witz Nietzsches. – Z: Anderer-
seits liegt darin auch der Grund dafür, das uns die Zukunft nicht be-
stätigen wird. Wenigstens darauf – und auch darüber – sollten wir uns
freuen.

Valéry hielt sich für eine Kuh am Pflock seiner Gedanken.

Herr schicke, was du willst. - Wir haben das Gebet erfunden, um doch
über die Zukunft sprechen zu können. - Dein Reich komme. - Das Gebet
fingiert Souveränität, indem es delegiert.

Wir sind wie Piraten, die das Schiff aussetzen, das sie entern wollen.

Die Gier (auch der Haie) ist gespieltes Seins-Gefühl. - Gott (wieder aus
dem Off): Was habt ihr denn mehr!

Aber das Gebet ist nicht das einzige Medium, das hinterlistig zu kas-
sieren versucht, was nicht zu sagen ist. - Wir unterschätzen Gott; nur
zum Beispiel.

Das Medium fabriziert das Euter, wenn es melkt. Und Projektionen
beweisen nur die Existenz der Projektionsflächen.

Warum sagen wir: eine Haltung oder dergleichen an den Tag legen? -
Richtig wäre doch zu sagen: wir legen sie an die Nacht. Und sehen zu.



Gäbe es einen Gott, ich lebte nur für ihn. (Valéry)

Unser Thema bleibt das Unwahrscheinliche. Wir präferieren Expedi-
tionen in Bereiche, in denen es wahrscheinlich nichts zu entdecken
gibt. Wir bekennen uns zu unserer Anmaßung. Wir wissen, wenn wir
erfolgreich sind, ändert sich alles, was der Fall ist.

CLXVI



Auch wir sind Narcisses curieux.26



Frage an Valéry: Wohin soll das führen, wenn du auch noch mit dem
Überdenken beginnst? – Valéry: Habt Vertrauen. Das Meer ist treu.



Die Zeiten konkordieren nur in ihrer Zeitlichkeit.

Ein jedes Interesse orientiert sich an den Esssitten der Geißeltierchen,
vor einer Gemeinschaftsbildung.

Babylon ist die Woge, die wir zu zügeln versuchen. Nicht, weil wir uns
überschätzen, sondern weil wir den Auftrag haben. Zu haben glauben.

Gegen moderate Nüchternheit, soll jemand gesagt haben, sei nichts
einzuwenden: - There is nothing wrong with...

Wer eine einzige Linie verfolgt, endet als Kollateralschaden.



26
Nicht nur Paul Valéry, wie Gide meinte!

CLXVII


A Streetcar Named Desire. Ohne Endstation. - X: Da gibt es, denke ich,
sagt er, schon eine Ähnlichkeit. Das kritische Haften an der Welt, der
Leidensmasse, ist bei Hegel das auf Genuss zielende, (aber notwen-
dig) vergebliche, verzweifelte, leidvolle Festhalten an Welt und Leib
und Leben, an der Unmittelbarkeit, die in ihrer unerbittlichen abso-
luten Vergänglichkeit den Schmerz erschließt und sich dabei, listig
wie die Vernunft, als rettende Wirklichkeit des Geistes durchsetzt. - Y:
Und die verzweifelte Hingabe an das Gewisse und Unmittelbare ist in
einem Zuge zugleich auch das Negative, das das Unmittelbare, aus
dem es hervorgeht, aufhebt... - X: ...aber als dialektisch (notwendig)
Bestimmtes, also Einseitiges, auf den Weg ins Nirvana erst einmal,
gleichsam auf halbem Wege, im Übergang, hängenbleibt. - Z: Es ver-
schwindet im Punkt des Umschlags (selbst), einen ganzen Karsamstag
lang.



Y : Die Not stellt sich der „Seinsvergessenheit“ in den Weg, wie eine
schwache Sperre, gleichsam nur der Form halber,... X: ...um wegge-
räumt zu werden, als wäre sie eine Frage,... Y: ...aber sie überrennen
sie, als hätten sie sie nicht gesehen. – Z: Vielleicht sind sie ja nur um
eine Antwort verlegen. – X: Das sind sie immer. – Y: Darin liegt ihre
tödliche Gefahr. – X: Und ihre Stärke.

CLXVIII
Coquille doublée. - Wenn sich das Echo die Hand ans Ohr hält, um noch
besser zu hören. Oder sich unbeirrt der Autorität des Schweigens zu
unterwerfen.



Volonté perverse de pouvoir. – Schreiben, sagt er, ich weiß es, bedeutet
heutzutage, das Risiko zu riskieren, obskur zu bleiben. – Z: Früher,
heißt es, fing man es heimlich an, wenn man ein Herz zu verschenken
hatte, und jetzt tust du es, wenn du sprichst.

Sensibilität. – Eine Todsünde.

Teilnahme. – Die (hypertrophe, wenn nicht gar astrale) Gestalt der
Heimlichkeit.

Er findet es merkwürdig, sagt er, dass das Maß, die Quantität des
Lallens über seinen Präsenz enzschiedet.

Travail de la respiration. - X: Eine Wahrheit aussprechen heißt, sie in
ihre ursprüngliche Virtualität zurückzuversetzen. – Y: Das geschieht
makellos konkret. Immer dann, wenn du sprichst. Wie auch wenn du
lügst. Weil deine Stimme nicht umhin kann zu verzittern. – X: Der Rest,
das verlegene und ironische Schweigen, das bekanntermaßen bleibt,
ist die tendenziell verewigte Form der Stimme; vielleicht himmlisch,
vielleicht höllisch. Das ist sekundär. Unwesentlich. – Z: Gerade darin,
unwesentlich zu sein, liegt ja der Triumph der Ewigkeit. (- wörtlich
hieß es: Être insignifiant, c'est le triomphe de l'éternité.)

H: Wohin treibt der Todestrieb denn überhaupt? – Gott: Weg, nur weg
aus der Gegenwart! – H: Warum? – Gott: Das fragst du mich?

CLXIX
X (versonnen): Die Philosophen unserer Endzeit folgen anscheinend
einem Vorbild: Marie-Antoinette. - Wie die unglückliche Königin
schreiben sie ihre Sendbriefe in Geheimschrift und verstecken und
verschicken sie in Schokoladendosen. – Z: Dass Marie-A. ihren
schönen Schweden Axel von Fersen „bis zum Tod“ liebte, das wissen
wir zwar, das sei zugegeben, nur aus einer ihrer verschlüsselten
späten Botschaften.

Les damnés états de l'ame. - C'est à dire, dit-il, je trouve cela tellement
bizarre, d'une manière douloureuse, que les choses sont si claires
dans ma conscience que je pourrais les saisir. - En même temps, cela
ressemble à des mots, à des états articulés, vous savez, mais il n’y a
aucun moyen de les faire sortir, à l’extérieur, où ils pourraient aider,
où ils pourraient aider le monde à se montrer.

Les états sonnent juste comme moi. Mais, les états ne sont pas moi.

Die Religionen sind nichts anderes als archaische dating platforms. –

CLXX
Hermeneutischer Zirkel. - Auch jede Aura bezeugt, dass Bedeutung die
Überzeugungskraft der Nähe braucht. Und die Bedeutung, wie einen
Gegengabe, der Nähe Aura verleiht. Und die Aura wiederum der Nähe
Bedeutung.

H: Einem Vorgängigen, das du nicht irgendwie, frag mich nicht wie?,
bereits überholt hast, kannst du nicht mehr nachlaufen. Solang das
der Politik nicht klar ist, ist sie für die Katz, wenn das ein Name für
den übertrieben vorzeitigen, aber programmierten Weltuntergang ist.
- W: Oder für den Kastagnetten-Klang, der ihn begleitet. Einmal mehr
rhythmische Prosa, ein andermal mehr nur prosaischer Rhythmus.
























CLXXI
Eichkröten und Schildhörnchen (XI)

Prelude als Legitimation: Des images qui ne suffisent pas

oder auch

Témpus ést iucundíssime éxecutándum27


構築 Construction

Le préconscient, das sollten wir doch endlich zugeben, das ist der
eigentliche und daher ärgerlichste Taktgeber unseres Lebens. Jedes
Wort ist ein Ungeheuer. Deshalb erscheint dieses Leben uns schick-
salhaft, verspätet und dunkel. Alles Dezisionistische ist uns im Grunde,
auch wenn wir es in bestimmten Situationen vehement leugnen, zu–
tiefst zuwider: Weil uns die Entscheidungen, die uns setzen und uns
aufs Spiel setzen, unzugänglich sind. Sie kränken uns vor allen –, dass
sie uns auch mitgegeben haben, das wissen zu wollen, von dem sie uns
sicher zu wissen zwingen, dass wir es nicht wissen können. - Selbst
wenn Descartes zu wissen glaubte, er sei, wenn er nur dächte,
praktizierte er nur post festum das Ergo, das Symptom, den ent-
scheidenden clash zweier Unentschiedenheiten. - Ich frage mich
immer, was ein Dirigent hört - hört er etwas? – man sieht es jedenfalls
- wenn er, wie es der Sache nach auch muss, dem Orchester stets um
den kritischen Moment voraus ist, der über die Musik entscheidet.
Wie alles andere ist auch Musik nur, wenn sie zu spät kommt. Sie ist
der Zeit auf vielfache Weise verschworen. Es braucht viele Verträge,
i.e. Verträglichkeiten, bis es sich die Zeit erlaubt, singend und klingend
zugrunde zu gehen. Sich exemplarisch musikalisch zu opfern. Die Zeit
ist das mysterium eines jeden martyrii. Was entsteht, das will - das ist,
ich weiß, keine weltmorgentaufrische Erkenntnis - dass es zugrunde
geht, c‘est-à-dire que seulement cela veut, cela veut, qu‘il veut. - Ein

27
Begonnen am 1. Mai 2019.

CLXXII
Faktum, das, wie ihr seht und lest, nicht einmal mit Anstand zu arti-
kulieren ist. Auch der Zeit, die das Opfer der Musik bringt und verlangt,
ist der eigene Ursprung unzugänglich. - Auch sie muss ihn, bleibt ihr
doch nichts anderes übrig, verspielen. - Grundsätzlich gesehen un-
terscheidet sich das Leben also nicht von der Musik. Auch darin nicht,
dass le bénéfice des formes enorm sein kann; Bachblüten.



Der eschatologische Formenausbeutekoeffizient wird beim Jüngsten
Gericht als exigium fungieren, hört man. (Nicht alle altertümelnden
Sätze stammen von mir.) Und dennoch folgt die Weltgeschichte dem
so genannten Schwinde-Schema der Zaubersprüche, - was das Jüngste

CLXXIII
Gericht zum Teil entlasten wird. - Z: Lasst mich raten: Mit dem Lauf der
Welt und ihrer Dinge schwindet das kommende Gericht. – So müssen
wir uns das denken. Das ist an sich nicht sehr originell, aber wenn es
wirklich in den Genen der Genesis beschlossen liegt, wäre das der
kreativste Witz der Schöpfung. Die Entropie (das Wort und die Sache)
nur die letzte Station einer Stillen Post: Etwas platziert mich, sagst du,
und gewährt mir den Ort, der ich bin. Aber erst, wenn ich ihn wahr-
nehme, mich auf das mir Gewährte einlasse, das mir Gewährte,
pardon!, gewahre. Jetzt erst kann das ominöse Etwas sich bei mir ein-
richten, Mitbewohner des Raums werden, den es mir eingeflüstert hat.
– Z: Wie hat es denn das gemacht? – Wie soll ich es anders sagen? Es
war, als würde mir etwas eingeflüstert. Aber nicht in die Ohren, son-
dern in die Augen. Oder ins Bewusstsein. Nein, es war überhaupt kein
Flüstern. Es war ein Packen und packte mich von innen bei den Armen
und riss mit ihnen, meinen Armen, einen imaginären Vorhang, ähnlich
einem Theatervorhang, auf und auseinander, der in diesem Moment
plötzlich vor meinen Augen sichtbar geworden war. Nur, um mir den
Blick auf mich selbst freizugeben. Ich dachte, in einen Spiegel zu
schauen - und dachte: Wie langweilig! Wozu diese umständliche Pro-
zedur! Für einen Blick in den Spiegel? Dann kam aber der, den ich sah,
plötzlich auf mich zu und klopfte mir auf die Stirn. Das klang, wie
wenn Knöchel auf Glas klopfen, auf eine unangenehme Weise vertraut.
Das machte mir klar, dass ich der im Spiegel war. Genauer, viel ge-
nauer: dass ich der Spiegel war. Denn ich hatte bemerkt, dass ich flach
war und eine Flunder gegen mich ein aufgeblasener Ballon gewesen
wäre. Ich lachte auf, wie man sagt. Mein Lachen war aber das Lachen
meines plastischeren Selbst außerhalb des Spiegels, mit dem es mich
auslachte. Es ärgerte mich, dass er, so werde ich es ab jetzt nennen,
dabei hinter mich griff und mit seiner Fingerspitze meine Nase aus
dem Spiegel heraustrieb und -stülpte, so dass ich, soweit ich es sah,
nun praktisch gar nicht mehr von ihm zu unterschieden war. Er
schien geradezu nur dazu da zu sein, mich ihm zuzumuten. Und um-
gekehrt. Das würde ich gerne so sagen, aber das geht ja gar nicht, weil
es so einfach nicht ist. Denn wir sind nicht einfach die Umkehrungen
voneinander. Wir sind nicht derselbe Strumpf, einmal so ein andermal
CLXXIV
so herum. Eher ist es noch einmal umgekehrt, oder auch en medio de
las medias. Aber das glaubt mir ja keiner. Weil es keiner versteht. Sie
sind ja alle selbst auch so verstrickt und verwickelt. Vielleicht sogar
noch verwickelter. Aber das zuzugeben, das liegt ihnen nicht. Keinem
liegt das. Wir müssen vorsichtig sein. Wir müssen, hörst du!, wir
müssen vorsichtig sein. Vergiss nicht, noch sitz ich, wie soll ich es
sagen?, wie willst du es hören?, jedenfalls sitz ich noch im Glas, wie in
einer Retorte. Wir müssen verhindern, dass das Licht vor der Zeit
ausgeht. Das muss auch deine Sorge sein. Überhaupt ist da nur von
außen etwas zu machen. Mir sind die Hände gebunden. Ich sitze hier
wie in Bernstein. Nichts zwar könnte meine jetzige Identität besser
konservieren. - Er sagte zwar, ich müsse dankbar sein. - Aber darin
besteht ja gerade die Gefahr. Mich können nur wenige retten. Sie
dürfen es aber nicht wissen. Denn nur so lange können sie es. Die
Wahrheit ist im Ursprung nur durch Sätze voneinander getrennt. Das
Ich auch. Und manchmal bleibt das so. Ganze Geschichten lang. Ganze
Weltgeschichten lang. Unter gegenseitiger Kontrolle. Wie in einer
großen Stadt mit zwei Polizeipräsidenten. Es war auch falsch, mich
vor meiner Existenz zu denken. Mein Gott, mein Gott, was hast du da
getan. Es ist immer ein großer Fehler, den Transmissionsriemen
nichts mitzuteilen. Bleib stehen. Komm zurück. Du bist noch zu
schnell. Diene Lider sind noch nicht beschnitten. Deine Füße sind
noch nicht gebunden. Du hast deine Schwimmhäute noch nicht ab-
geworfen. Dein Pelz ist noch zu nichts geeignet, zu nichts zu ge-
brauchen. Du stecktest zu lange im Bernstein. Deine Stimme hat den
Schlunddeckel noch nicht gehoben. Die Vokale stecken noch fest. Dei-
ne Konsonanten stehen noch allein. Es pfeift deinen Worten noch
nicht durch die Kiemen. Deine Augen drehen ihre Blicke noch wie die
Zeiger an den Turmuhren. Siehst du etwa noch immer alles? Und
siehst als Zubrot und Überbiss obendrein auch noch die Zeit? Dann
nimm sie dir doch und reiß dich zusammen, als wolltest du wieder
eins sein, ein wieder intakter Vorhang. Und pflücke Dornen. Du
brauchst gleichsam unbedingt einen großen Vorrat an Grammophon-
nadeln. Das hat man mir gesagt, dir zu sagen. Und es ist gut, wenn du
es dir gesagt sein lässt. Bereite dich vor. Steck dir einen Dorn in jede
CLXXV
Einzelne deiner Poren und höre hin. Die Laute spiegeln sich gerne im
Grau der Blutstropfen, der magnetischen Blasen, der kleinen uner-
sättlichen Speichermedien deiner Selbstsorge. Du hast in den Staub
einen Brunnen gestochen. Das war sehr bedacht. Und wird dir Lob
einbringen. Aber, du siehst, der Brunnen führt kein Wasser. Woher
sollte er es denn auch führen? Er quillt zwar über, aber über nur von
unzähligen Papptäfelchen, die aus einem Märchen stammen, in denen
eine Tyrannin herrscht, die die Dame Dürre heißt. Jedes einzelne Tä-
felchen ruft dir zu: Beschrifte mich! Federn wirst du finden, bei den
vielen toten Vögeln hier. Wenn du keine Tusche hast, dann nimm,
nach alteuropäischer Art, dein Blut. Warum sagt er das, an dieser
Stelle: Ich weiß nicht, ob das richtig ist? Du gehst in deiner Selbstfin-
dung unaufhaltsam unter. Das sollte nicht so sein. Und entspricht
doch weder deinem Auftrag noch meiner Botschaft. Warum machst
du das aus mir? Wo ist die Liebe zu deinem Schattenbruder, der du
mir bist? Warum hilfst du mir nicht, wenn ich dir zur Seite stehe?
Warum stehst du nicht an meiner Seite, wenn ich dir selbstlos helfe?
Und immer vertust du die ersten Stunden nach Mitternacht. Warum
gerade die? Die geduldigsten Stunden in der Entourage der Sterne,
wie es einmal jemand zu sagen versuchte. Es sagt sich leicht, wie
beiläufig sagt es sich, dass die Dinge sich nicht sagen lassen. Sie lassen
sich nicht gehen. Sie lassen sich nicht los in unsere Worte. Sie stoßen
stattdessen uns, den Vielen, vor den Kopf. – Unser Wissens-Pool läuft
und tropft ständig aus. Unseren Seins-Pool erkennt ihr an den Stock-
flecken. Dem Ornat seiner Milchhaut. Und wir sind nur die Nutznießer
der unterschlagenen Depesche. Wir suchen, raum- und zeitgleich, in-
einander nur das, was vor uns lag und dem wir entstammen, und das
erst sein kann, wenn wir es, der eine im anderen, finden, und uns
vorenthalten, bis wir es vergessen haben werden. Dann aber wird es
uns mit sich ziehen. In Himmelsrichtung. Freilich, wir sind auch das
Material. Aber das, was wir auf charakteristische Weise sind, das ist
das, was wir verlieren und dazutun. Folglich bin ich dein Schatten und
du bist meine Gestalt. Unser Material ist unsere unwesentliche Un-
unterscheidbarkeit, die erste Abstraktion unseres Zwillingswesens,
unserer nur substantiellen Zweiheit, mirror horror.
CLXXVI
内容 Content (I)

Moses wirft mit Steinen und erfindet die unsichtbare Hand.

Blumenkohlblüten, die schrägen Quellprodukte einer noch unbedach-
ten Selbstsetzung. Vom ästhetischen Reiz halbentfalteter Bäckertü-
ten: Gott hatte gedacht: ich schaffe die Welt, damit ich etwas zu be-
arbeiten habe. Anders als die Menschen habe ich sie, die Welt, nie für
das Beste von allem gehalten. Ich hatte sie auch nie so konzipiert. Da
sie, die Menschen, nun aber denken, ich hätte es so geplant, tun sie es
bei ihrer Selbstkonstitution ihren falschen Vorstellungen von mir
nach. Darin liegt ihre unveräußerliche Freiheit und, in meiner Sicht,
auch ihre Tragik. Aber da sie sich nun einmal ihre Freiheiten nicht
nehmen lassen, kann ich ihnen ihre Tragik nicht vorenthalten. Dass
ihr Schicksal ihnen aus ihren falschen Gewissheiten erwächst, dafür
sei ihnen mein göttliches Bedauern sicher. Auch das war in meinen
Plänen nicht enthalten. Die Fähigkeit zu Reflektieren habe ich ihnen
nämlich tatsächlich erst als Ersatz für den irgendwie mutwilligen Ver-
lust ihrer Instinkte nachgeliefert. Das war unüberlegt. Mir ist klar,
dass ich die Verantwortung dafür übernehmen muss. Das ist eine to-
pologische Delle in der Eschatologie. Ein nachträglicher, faktisch
postlapsarischer défaut structurel des Universums. Das macht mich,
den Gott, hilflos. Und ich kann nichts dagegen unternehmen, dass sie,
die Menschen, mich ziemlich unverschämt fordern. Aber ich kenne,
wenigstens, noch meine Grenzen. Trotzdem war es ein horrender
Fehler, dass ich Rimbaud zugeflüstert habe, dass das Ich das Andere
sei. Wollte ich einfach nur wissen, wie Musik geht? Sie hätten dieses
Je est un autre doch gar nicht gebraucht. Ich hatte anfangs übrigens
gedacht, sie würden den Betrug durchschauen, dieses Selbst, das ich
ihnen verpasst hatte. Ich hatte den Spaß, den sie daran hatten, nicht
für möglich gehalten. Das Verfahren hatte bis dahin aber, wenn auch
nicht unbedingt in meinem Sinne, einigermaßen funktioniert. Und
wenn es ein Glück gab, dann war es das, dass die Menschen nichts
davon wussten. Ich kann nicht sagen, was mich zu und bei meinem
Selbstverrat getrieben hat. Und warum meine Wahl gerade auf ihn,
CLXXVII
Rimbaud, fiel. Ja, die Wahl, sie fiel. Im Grunde von selbst. Ich habe sie
nicht einmal fallen gelassen. Sie fiel, in eigener Regie. Wie ein anderer
schon einmal vor ihr. Es tut mir gut, dass mir das endlich klar ist. Wie
ist es, wenn einem Gott ein Stein vom Herzen fällt? Fällt denn der Stein
auch so, wie eine Wahl fällt? Jedenfalls waren die Steintafeln die Form,
in der Moses Gottes Gesetze erhielt. Er ließ sie mit Nachdruck fallen,
um sie zu zerschmettern: cumque adpropinquasset ad castra vidit
vitulum et choros iratusque valde proiecit de manu tabulas et confregit
eas ad radices montis. Die Herrschaft der Gesetze begann, seh ich das
richtig?, als die Steine, auf denen sie geschrieben standen, brachen.
Als sie ihre Form verloren.

Content (II)

Jouissance und Identitätswaage

Das Gesetz herrscht seither als das Andere seiner Form: la loi est une
autre. Und das Je, das andere autre, das zu suchen wir im Sinne Rim-
bauds vorgeben, ist nur die Aura, die wir in unserem Eigennamen
wahrzunehmen glauben. Es ist das Licht, das um deinen Namen, um
„Maria“ oder auch um „Josef“ spielt, wie das um das kugelrunde
Schwarz bei einer Sonnenfinsternis, und von dem du, in all deiner
Seinsbescheidenheit, begehrst, das du es bist, nur du. Denn wenn du
es bist, bist du dir das Surplus, das über das Allerwelthafte hinausgeht.
Deses wirkmächtige Surplus, das keinesfalls aber, nie und nimmer, es
würde dich enterben, unfragliche Gestalt annehmen darf. Allein das
Auratische ist, alles andere ausschließend, seine Seinsform. - Es ist
freilich eigenartig, dass das Auratische, das ja weder Form ist noch hat,
das leisten kann! – Aber wenn es (das Surplus) aus der (auratischen
Unform) heraustritt, ist es nicht mehr. Du kannst ja auch nur auf das
an und in dir stolz sein, was dir dein Leben lang fremd und unerfahr-
bar ist. Alles andere wäre und ist enttäuschte Täuschung. - Das Toupet,
von dem alle, der Evidenz genügend, gesagt hatten, dass du nur daran
erkennbar seist, flog dir vom Kopf. Wie der Hut vom Kopfe des Mül-
lers. - Solange jemand sagt Das bin ich! kann er nur solch ein Toupet
CLXXVIII
meinen. Lacan nannte es noch Symptom. Und ‚sein Toupet wie sich
selbst zu lieben‘, das bedeutete, eine gesunde, praktikable und gesell-
schaftsfähige Vorstellung von sich selbst zu haben. Eben existenziell
schlagfertig und schlagbereit zu sein. Sieh es so: Wir sind uns ein
Klang, der Klang unseres Eigennamens, der niemals von uns selbst
ausgeht. Nur im Erschrecken darüber haben wir uns. Auch du hast oft
heimlich deinen Namen vor dich hingesprochen und versucht, dich in
seinem Klang zu genießen. Das waren ratlose, schreckliche, selige Mo-
mente, in denen du dir verräterisch nahe kamst. Und hat nicht auch
der Schrecken über die krachende Zertrümmerung der steinernen
Tafeln vom Sinai, die wir die Form der Gesetze nannten, die Tänzer
vom ablenkenden Tanz um das Goldene Kalb abgelenkt und wieder
zu sich, in die Nähe ihres Gottes, gebracht? Um so dauerhaft und über-
zeugter wieder das zu sein, was sie zwar nie waren. Und plötzlich
kamen sie sich wieder ins Spiel und ins Gehege, die Menschen. Sie be-
griffen, dass es nicht gut ist, von einem Toupet abzufallen, wenn man
ihm seine Identität verdankt. Gegen solch ein Toupet hat ein Kalb aus
Gold nichts auf jene Waage zu bringen, die Identitäten wiegt. Wie
schwörst du einer Sache ab, die du nicht hast, aber vorausgesetzt wer-
den muss, damit du auf die Idee kommst, sie loswerden zu müssen?
Doch nicht nur Ausgangslagen sind verwirrend. Und sie sind auch
nicht nur Ausganglagen.

Content (III)

Tout tourne, tourne, tourne, retrospektiv und prinzipiell. Das hat Of-
fenbach nur aufgenommen; und weitergedreht.

Nichts kommt gegen die Macht des Geringfügigen an. Das Ganze schon
gar nicht. Das Ganze kann das Geringfügige nur parodieren. Und der
Einsturz eines Berges geschieht oft aus Neid. Etwa auf die zwei Fin-
gerspitzen, die an einer Wimper zupfen. Ich glaube, Kleist hat ähnlich
gedacht. Aber das tut nichts zu unserer Sache. Noch schauen wir Gott
auf die Finger. Weil wir noch immer glauben, etwas lernen zu können.
Münchhausen ist uns langweilig geworden. Aber von den Augenbli-
CLXXIX
cken kurz vor der Schöpfung erwarten wir noch etwas. Weil wir die
Situation gut kennen. Im Grunde kennen wir gar keine andere. Unsere
Sehnsucht ist einfallslos, sentimental und monogam. Alle Augenblicke
auf allen Nadelspitzen arrangieren sich gleich. Sie unterscheiden sich
nicht von der Welt. Sie halten noch die winzigsten Zeitelemente für
Nüsse, die es zu knacken gilt. Es ist das Knacken der Zeitatome, die
den Takt diktieren. Und wenn du das nicht hörst, brauchst du gar
nichts mehr anzuhören, brauchst du nirgendwo mehr hinzuhören.
Denn dir entgeht der Takt überhaupt. Das Entgangene lässt sich nicht
mehr hegen. Und das Hegen des ursprünglichen Takts - so sagt er das
tatsächlich! - täte doch not. – Mein Gott! Où sommes-nous arrivés là? –
Vielleicht in der Welt? Dem unsozialsten aller Netzwerke. - Gut, dann
treffen wir uns also im Ohr. Im Ohr musst du dich gewaltig an-
strengen, wenn du dich entziehen willst. Das Ohr zwingt dich, dein
heikles Halbsein, erst einmal anzuerkennen. Dass dir gerade dieser
Umweg nicht gefällt, ist konstitutionstheoretisch sehr interessant. Du
fährst dir selbst in die Parade, die du noch gar nicht beherrschst. Als
könntest du deinem Gegner beim Duell in den Rücken schießen. Sag
mir, wie man eine Zunge umstülpt. Und was man dann kann. Kannst
du davon erzählen? Die Bühne ist ein Mund. Sie hat eine seltsame
Zunge. Nicht eher ein Lid? Eine nur vorgeschobene und statthaltende
Zunge. Gleichsam einen Strohmann von einer Zunge. Der Mund öffnet
sich, indem die Zunge sich wie ein Vorhang hebt oder aber fällt und
hastig zur Seite und weggeschleift wird. Schreien denn manche Mün-
der nicht nur, weil es dazu keiner Zunge und keiner Übung bedarf? Es
bedarf nicht einmal eines Zeugen. Es gibt Ethnien, behauptet ein
Freund, deren Körper der Körperlichkeit der der Embryonen nahe-
geblieben ist. Es ist die Kleidung, mit der sie es verbergen wollen, die
das Embryonenhafte ihrer Körper verrät. Sie und ihre Körper sind
nicht dankbar dafür. Das ist sonderbar. Es ist doch ein Glück, wenn
sich wider Erwarten mal etwas verrät. An den Tag kommt. Zum Vor-
schein. Wodurch auch immer. Sich bezeugt. Wenigstens für anderes.
Für uns. Mehr ging ja doch noch nie. Realitäten, die offensichtlich, was
alle bestätigen, Gestalten des Wahnsinns sind, faszinieren nicht durch
das, was sie als Wahnsinn auszeichnet, das bleibt ein zwar unverzicht-
CLXXX
bares, aber beiläufiges Element, nein, sie faszinieren schlichtweg
durch ihre Realität. Durch das, was sich (der Realität) eigentlich nicht
gehört. Wirkungsästhetisch taxiert, ist der Wahnsinn die schlechthin
schönere Realität, eine Plage- und Vexier-Realität. Die beklemmende
systolische Schönheit des Diastolischen, des Herzzereißenden. Oder,
wenn dir dieses Bild gebildeter erscheint: Die Realität ist das, was als
eine Varianz ihrer Grundierung in Erscheinung tritt. Nach dem
Vorbild des Todes. Varianz einer transparenten Textur. Und niemals
anders oder anderes. Als leicht verschobene Auto-Epiphanie. Von der
verhalten-spektakulären Art des Zitternd-Abgehobenen einer Fata
Morgana. Wie - ihr erinnert euch doch? – wie das Je als Surrogat,
Double und Advokat des Autre. Als sein Seins-Prokurist. Als sein
sachwaltendes Mädchen für alles, als seine resolute und radikal un-
genierte bonne à tout faire. - Und Je spricht zu Autre: Wir sind Fisch
und Fleisch aus der Wurzel Jesse. Jetzt weißt du, wo du hergekommen
sein könntest, wenn du es nur wärest. Und das ist, Freunde, doch nicht
wenig.

CLXXXI
志向 Intent (I)

Doppelspalt, any signal, misused

Auch Karl der Fünfte war sehr gefräßig. Einmal sei er während eines
langen und heftigen Gelages vom Stuhl gestürzt und so unglücklich
aufs Gesicht gefallen, dass er dabei fast alle Zähne verloren hat. Von
da an soll der das Fleisch in großen Stücken ungekaut verzehrt haben.
– Die Pragmatik der Römischen Kaiser deutscher Nation. - Aber auch
der christliche Kaiser Karl soll an der Ichkonstitutionsproblematik
ausreichend gelitten haben. Vor allem aber darunter, dass er Martin
Luther nicht schon beim Treffen in Worms den Garaus gemacht hatte.
Das verschlimmerte die Gicht, die Krankheit der Könige, an der er
schon seit Jahrzehnte gelitten hatte, in den Jahren nach seiner Ab-
dankung spürbar und erheblich. Er soll dann aber doch an Malaria
gestorben sein. Damals. In der Extremadura. Die Sprache müsste auf
ihren Protuberanzen tanzen und hüpfen wie ein Papierboot, ein
papierenes Hausboot ihrer selbst. Gleichwie der Gravitation entklei-
det. - Wie? Wusstet ihr das nicht, dass Gravitation ein schwerer Man-
tel ist? Ich darf auch sagen: nur ein schwerer Mantel. Schwer von
Nässe oder Blei oder Lust; ganz wie ihr es nehmt. Ihr solltet das be-
greifen. Das wird euren Umgang damit erleichtern, erfederleichtern.


Intent (II)

Von drüben, hinüber, bleiben wir bei den Federn



DU bist alles, sagen sie, was du nicht integrieren kannst. Dein Leben
ist, sagen sie, zu vergegenständlichend, wie ich finde, ein autistisches
Trance-Ritual. Oder sie sagen: Du, sie meinen, hörst du, damit jedes

CLXXXII
du: du bist die Energieblockade in deinem Nervensystem. Du – ab hier
immer als Stellvertretender Singular, im Sinne der grammatischen Ka-
tegorie gebraucht - bist ausgeliefert. Bist abgerückte Klarheit. Bist
ganz dein Teil der Welt, des Wellenpakets. Wo die Photonen und die
Phantome jeweils landen, sagen sie, die es wissen, das wissen wir
erwartungsgemäß nicht. Sie sagen dir nur: Alles ist Überlagerung sich
ausschließender Möglichkeiten. Das bestimmt der Zufall, sagen sie.
Du willst wissen, warum es zu all diesen Zufällen kommt. Gott will es
nicht. Uns genügt das, sagen sie. Macht euch auch das einfach und
zusätzlich klar, dass Indifferenz die totale eschatologische Interferenz
ist. Das sagt er, sagen sie. Und stört euch nicht an seinen Worten. Gott
der Dichter, der macht keine kleinlichen Unterschiede. Am Ende glei-
chen sich die Muster eh, das hätte er, sagt er, Adam schon sagen sollen..
Er stellt das Glas erneut zurück, auf den Tisch, und sagt auf seine
herkömmliche joviale Art: Nehmt auch das einfach hin: Sehen und
Denken sind, wie alles andere, letztendlich ein Messen und Ver-
schränken, freilich nicht, lasst euch da bitte nicht täuschen, wie von
Armen. Nichts von der Art eines Ellenverflechtens. Obgleich die Vor-
stellung noch immer reizvoll wäre, (lachend) je endzeitlicher, desto
verführerischer: Sie brächte, sozusagen, andere Horizonte in unseren
doch schon sehr schöpfungsermüdeten und -müden Blick. Es bleibt
dabei: wenn du nicht misst, ist auch, sagen sie und reden – Seins-
messer, keiner besser! - gerne darüber, die Liebe nicht. Auch die Liebe,
ja die vielleicht sogar vor allem, ist das Produkt messender Beobach-
tung. - Das steht hier aber nicht zur Debatte. Wir wollen uns nämlich
unsere delikaten Seelenfinger nicht verbrennen. Und wir verzichten,
klug wie wir sein wollen, auf schräge Herztöne. Zumindest auf allzu
schräge. Wir wollen nicht, das ihr von underen allzu schrägen Herz-
tönen abstürzt. Es ist aber lustig und steigert die Laune an der Partie,
wie die Physik uns Stabilität erklärt. Und auch das Ganze. Setzt euch
in einen Ohrensessel, irgendwo steht doch wohl noch einer, klopft
euch mit den Fingern auf den Bauch und lest das mal nach!28

28
Wir empfehlen, für die gebildeten Laien unter den Leser/inne/n: Philip Ball, Beyond Weird, London 2018

CLXXXIII



Intent (III)

Intermezzo, matter, out of place

Eigentlich unerträglich, das Fleddern am Unsäglichen, für alle. Am
meisten für die Unbeteiligten. Es ist wie eine Umkehrung des Tanzes
um das viel zu oft zitierte Kalb. Aber nur, sofern sich das, ich meine
diese Vorstellung, der Denkbarkeit entzieht. Und dadurch wie hand-
greiflich vor den Augen steht. Die Innenseite seiner goldenen Haut he-
rausgekehrt. Die Innenseiten kommen einem jeden grundsätzlich
gern entgegen. Sie freuen sich, höllisch, ihrer Unerwünschtheit. Wenn
sie Einfluss gehabt hätten, wäre das Gellen zu einer aristokratischen
Essenz erklärt worden. Dann wären sie so recht in ihrem Element ge-
wesen! Und den Schostakovich hätten sie zum Hauskomponisten be-
stellt. Und an jeder Ecke der Welt hätte eine gellende Innenseite ge-
standen und dich oder irgendjemanden erwartet. Was für eine Welt
hätte das sein können! Es ist ihnen aber nicht gelungen. Sie müssen,
daran hat sich nichts geändert, entgegenkommen, um eine Chance auf
Anerkennung zu haben oder eine solche wenigstens einfordern zu
können: Nabelschau ist etwas beispiellos Unsinniges, weil das Außen
eines Nabels nichts hergibt, und allein schon die Frage, wo genau ei-
gentlich das Innere eines Nabels ist, oder auch nur, wo es anfängt und
wie viele Schnitte (Präparate) es zulässt, bringt uns schnell an un-
überschreitbare Grenzen, an denen Cusanus, der andere Charon und
Schattenführer, wartet und uns als Fährgeld die Definition des Unend-
lich Kleinen abfordert. Er sagt: „Ihr redet so viel von meinem Besitz,
dem Schweigen, der anderen Sprache, wie ihr es auch nennt, aber
nicht einmal Blanchôt, als er kam, schien mir zu wissen, wovon er

CLXXXIV
sprach. Ich war sehr enttäuscht. Und verstehe selbst nicht, wie man
bei euch, in eurer unechten Schattenwelt und Welt der unechten
Schatten, soviel Schindluder treiben kann mit meinem als miserabel
eingestuften Besitz. Und dass ihr nie, nie begriffen habt, dass ich eure
universelle Metapher bin; für alles, wirklich alles, was ihr denken und
sagen könnt. Ich wäre euer Bild für alles gewesen. Ich werde es wohl
ungenutzt bleiben müssen. Noch wenn ich euch alle übergesetzt habe,
genauer: übergesetzt haben werde. Warum habt ihr denn nie diese
einladende Stille in den Mündern der Toten hören und schmecken
gelernt? Ihre jeweils ersten Botschaften, die nur euch gelten. Und
denen keine anderen folgen. Tränen wurden einmal erfunden, um da-
mit echte Trauer zu verraten. Daher weine ich nicht.“ – So oder so
ähnlich, berichtet er, soll dieser Charon gesprochen haben.






















CLXXXV
規約 Convention (I)


Matter matters

Im Getriebe der allgemeinen Walpurgistage
Das alltägliche Hexenbrennen29



Call this the convention of intention.
In general,
what is not allowed
Is forbidden.

(Spencer-Brown)




„Du glaubtest zu schieben
und du wurdest geschoben.“

(Faust, im Imperfekt,
noch in der Nacht)



Nous récapitulons. (Die Rede eines jeden von uns.) - Wir haben uns zu
Anfängern entwickelt. Wir sahen im Weltenbeginn nur die Phase da-
nach. Und genossen unser Trauma und pressten es bis zum letzten
Blutstropfen aus. Ohne zu wissen, was für ein Blut das war. Über-
haupt lag unser ganzer Beginn im Vergessen. Dann die lange, lange
29
Verzeiht die barocken Allüren des Titulators und lasst sie durchgehen. Er behauptet, dass er Gründe hat.

CLXXXVI
Phase der Pflege des Vergessens, der Feier des Vergessens und seiner
aufwendigen und kunstvollen Mumifizierung. Das hat uns überfor-
dert. Jetzt ahnen & suchen wir. Uns & die Welt. Und wissen doch, nicht
wahr, dass unsere ganze Existenz nur im Genuss der Unversöhnbar-
keit bestehen kann. Im sorgenden Eintauchen ins Klaffen der Welt-
wunden. In die blassblaue Grotte des Universums, das wir haben ste-
hen und bleiben lassen. Mit eingezogenem Kopf. Wie wir in ein Auto
einsteigen. Und wir können dabei nicht einmal sagen, ob das alles
unsere angestrengten Worte wert ist. Der Sache und der Anlage nach
ist es, heißt es, aber doch sicher. Da hat Gott wohlweislich vorgesorgt
und steht auch davor und dafür. Aber uns geht es, sozusagen, nicht ein.
Als wären wir nicht geeignet für das Einzige, das uns noch zusteht. Als
fehlte uns nicht nur die Ader, sondern jeder Sinn dafür. Man muss sich
das vorstellen. Uns fehlt das Wahrnehmungsorgan für das vielleicht
Einzige, das uns noch zusteht. Und sind uns auch noch klar darüber.
Und dieser ganze in sich verwuselte, in gewisser Weise missratene
Komplex soll unser Dasein sein, dessen Gebrauch und Einsatz uns
aber rundum rätselhaft ist. Wir könnten die Anweisungen auf den
Schalttafeln nicht einmal lesen, wenn es sie gäbe. Dazu kommt noch
die Tatsache, dass uns nichts weiterhelfen kann. Und selbst auf dem
Mars oder in anderen Galaxien sitzen wir noch im selben Komplex.
Mittendrin. Nur entschieden einsamer und verwirrter, ich möchte fast
sagen: noch herrenloser, aller Signifikanten entkleidet und beraubt,
auch wenn das in euren Ohren vielleicht sogar vielversprechend
kleingen mag. Ihr wollt ja noch autonom und frei sein. Ich werde
versuchen, auf eure Kindereien Rücksicht zu nehmen. Ihr seid mir ja
noch immer lieb. Trotz allem. Trotz aller zur Schau getragenen Signi-
fikantennacktheit. Wenn ich die Botschaft der Philosophen zusam-
menfassen soll: eure Lebens- und Sterbensaufgabe ist es, euch mit
dem allgemeinen Unvertrauten vertraut zu machen. Was das bedeu-
tet, darin liegt der verflixte Witz des Auftrags, das müsst ihr selbst
herausfinden. Versuch als Irrtum, Irrtum als Versuch. Das kennt ihr
wenigstens schon. Aber ihr müsst es anders machen. Hilfestellungen
bleiben ausgeschlossen. Bis zum Ende der Zeiten. Macht euch darauf
gefasst! Für Handreichungen aus fremder Hand solltet ihr euch aber
CLXXXVII
auch zu gut sein. Zu fein, anyway. Es ist nämlich euer größter Fehler,
noch immer Narrative zu erwarten. Hofnarrative, as it were. Seht ihr
den Haken? Seht ihr ihn nicht? Ich kann stellvertretend für uns alle
nur fragen: Wie soll man es lernen, mit euch umzugehen, wenn ihr es
selbst nicht könnt! Ihr verleiht der Geschichte mit dem zerknitterten
Möbiusband, quasi aus Unaufmerksamkeit, ein neue, wie ich finde,
aparte Pointe. Das ist fast mehr als wir hätten erwarten können. – Eso
es más de lo que esperaba.

Convention (II)

Arten- und Artistensterben als proaktives Überbevölkern

Das Ende der Biodiversität. Sie zeigen uns Modelle. Und wir finden
nichts mit uns Vergleichbares. Oder wir erkennen uns nicht. Etwas
treffend erklären, das bedeutet, alles zuzuschütten. Und dafür zu sor-
gen, dass es dabei bleibt. Dass das Zugeschüttete auch versiegelt
bleibt. Wenn man mit den Füßen gegen Disteln stößt, ich erinnere
mich an die Nähe von Epidauros, weckt das Hoffnungen. Wenn man
sich Jahrzehnte später an Erinnerungen erinnert, weckt es nichts
mehr. Nein, wir lassen die Welt nie, nicht früher und auch nicht später
mehr, zur Sprache kommen. Wir wollen sie nicht einmal reden lassen.
Das wäre ja auch noch schöner. Sie redet uns einfach zu einfach, sie
redet ohne Rücksicht auf uns. Und auch an uns vorbei. Deswegen
klingt es aber in unseren Ohren so sirenenhaft irreführend wahr.
Selbst ich werde von Zeile zu Zeile neugieriger. Die Fenster habe ich
geschlossen. Nicht, dass ein Regen käme. Nur aus Vorsicht. Solo por
precaución.







CLXXXVIII
Convention (III)

Wer mit seinem Maul herausfährt,
über den kommt Verderben.

Aber das Licht der Gerechten
brennt fröhlich.

Das Böse meiden
ist den Toren ein Greuel.

Salomo

... Und wir lassen das die Weltgeschichte, soweit sie uns machbar er-
scheint, auch unnachgiebig spüren. Sie soll ächzen! Wie wir. Und
Staub schlucken. - Aber ihr leidet nicht. Euer Ächzen lässt nur die Oh-
ren der Anderen leiden. Euer Fehler ist, fragt nach bei Hegel, dass ihr
nicht leidet. Euer Fehler ist, das ihr eure Fehler nicht anerkennt. Des-
wegen verweigert sich das Leiden euch. Und weil euch das Leiden
fehlt, fehlt euch alles. Und das ganze Maß, die ganze Masse des Fehlens
zeigt euch euer zündelnder Genuss. Kein besserer Zunder als das Feh-
len. Nur das Leere kann vergüten. Nur das Leere brennt so schön. Es
kann über sich ganz beruhigt sein. Das Leere hat keine Greifarme. Es
bringt nichts in den Griff oder zustande, kann aber auch kein Ende
nehmen oder finden, kann aber auch nicht an sich halten. Noch an sei-
nem winzigsten Mangel, so muss man das sagen, zerschellt die Unend-
lichkeit und gibt dem Rest, der verlassenen Endlichkeit, dem Begeh-
ren, den Weg frei. Jede Unendlichkeit zerschellt nur an Winzigstem,
an und für sich. – Und auch du musst einmal etwas erzählen müssen.
Du wirst es müssen. Am fehlenden Leiden vorbei. Wir werden immer
von der Sprache geleitet. Das wissen wir jetzt endlich schon lange,
lange schon: Die nachgestotterte Welt, bei der ich zu Gast gewesen sein
werde30. Bei der wirst auch du zu Gast gewesen sein müssen. Auch du
wirst aus dem Schiffbruch auftauchen müssen, wenn das schräge Bild
erlaubt ist. Mehr hab ich nicht übrig, selbst für dich. Ich finde in den
Werkzeugkästen nur noch Katachresen. – Differenzierungen fahren
und fallen einzig noch als choks aus den verfärbten Himmeln. Unvor-

30
Celan

CLXXXIX
hersehbar. - Und du wirst die zurückgelassenen Planken vom toten
Schiff zusammensuchen und daraus ein Floß zu bauen versuchen, wie
so oft schon aus anderem Stoff. Du wirst, auch das ist signifikant ge-
nug, nur die flüchtig aus deinem Blut gedrehten Seile zur Verfügung
haben, um die toten Planken zusammenzubinden. Aber wenn es dir
gelingt, dann wird dein Floß stabil sein.

知られること Knowledge

Das Parterre. Die Etage des Zyklopen. Die Unfähigkeit zu schielen, zu
lächeln. Noch D-Dur. Scheinhelle. Das sich formierende Wissen.
Selbstgespräch mit vielen verteilten Rollen. Die Monaden. Der Tanz
der Ordnung als nur erscheinendes Chaos. – Welt aus Welten. Die
Welt tauscht ihre Welten aus und kombiniert sie ständig neu. Es gibt
nicht ein Spiel, es ereignet sich das Spiel der – strukturellen? symbo-
lisch prägnanten? – Differenzen. Maskentausch als Verfahren der
Transformation und -figuration. Das Muster (das Exemplarische) der
Eigenschaft, die das System charakterisiert. – Die in den Monaden im-
mer schon eingezogenen und verdichteten Perspektiven; mit ihrer
eigenen unentfalteten Geschichtlichkeit. Granatäpfel, jeweils gefüllt
mit einer Unendlichkeit von Punkten. Aber die Singularitäten (inte-
resseloses Wohlgefallen etc.) werden auf der Ebene der 1. Ordnung
schon gesprengt, zwar noch unsichtbar. – Das Verhältnis Ursprung-
Beginn im Parterre. Der Ursprung ermöglicht den Beginn. Und ver-
liert sich darin. Die Dialektik von Flucht- und Blickpunkt auf der 1.
Ebene. Die Kokreszenz. Die Medien gebären sich. Die Möglichkeit des
Vergessens wird geboren. Noch liegt sie da wie nutzlos. Bei und
zwischen den anderen träumenden Utensilien. Sie bleibt unbemerkt.
Sie verweilt unbemerkt. Sie wird einmal vergessen, dass sie noch
immer und ewig da liegt, und diesem Status ihr Verlorenes Paradies
nennen.




CXC
形式 Form

Die jungfräuliche Ebene der Stereometrie. Das Kinderspiel des Schie-
lens. Von geängsteten Eltern beäugt: Wenn du damit nicht aufhörst,
bleiben deine Augen stehen! Hüte dich vorm Des-Dur! - Das dyna-
misch-formierte Wissen. Das eine Stimmengewirr. Das Konglomerat
mit seiner animiertem Ordnung, der dynamisch-formativen weich-
gerittenen Grammatik des Wirrwars. Zweigleisige, nein, entgleiste
Autopoesis. - Einerseits: Leben und Erfahrung. Andererseits: Betrach-
tender Blick, Beschreibung und Erkenntnis. Die Erkenntnis tauscht
ihre Elemente aus und kombiniert sie ständig neu. Es gibt kein Spiel.
Es ereignet sich das Spiel der – semantischen – Differenzen. Wirklich
alle haben das schon beschrieben. Maskentausch als iterativ-additives
Überblenden bis zur (vielfach gefalteten Mischform der) Familien-
ähnlichkeiten. Das Muster der Eigenschaft der Familienähnlichkeit.
Ein neuer Apparat entsteht: das kaleidoskopische Perspektiv, das die
Singularitäten auf der Ebene der 2. Ordnung endlich sprengt. Das
Verhältnis Ursprung-Beginn auf der 2. Ebene: Der Ursprung hat den
Beginn strukturiert. Und geht darin unter. Hegel, der Schrittmacher,
wird bestätigt und installiert. Die Dialektik von Flucht- und Blick-
punkt auf der 2. Ebene. Die Reflexion. Medien-Kompetenz will sich
unverstellt zeigen. Die Erinnerung bemächtigt sich des Vergessens.
Nein. Vergessen und Erinnerung bemächtigen sich einander. Du
kannst jetzt lange Romane schreiben. Proust legt sich zu Bett und
arbeitet. In einer Tasse Tee stockt das Rinnsal der Zeit. Die Kinder
trinken daraus wie die Hunde. Ohne noch zu wissen, dass dies die
beste Art ist, ihre Zunge zu stärken. Sie verkleckern dabei aber viel zu
viel Zeit und Erinnerung. Und man sieht und hört auch nicht gerne hin.
– Oder geht es dir etwa anders? Pfui! – Irgendwo kristallisiert (sich)
ein Wattebausch. Und übt das Privileg des Danebenstehens. - Die
Knochenfingerspitze Karls des Fünften, die Reliquie, die untersucht
werden durfte, entpuppte sich als eine kleine, spitzige Kathedrale aus
Harnsäurekristallen. Die Wissenschaftler begannen, entsetzt, den ein-
samen Karl zu bewundern. Die Schmerzen des an der Krankheit der

CXCI
Kaiser erkrankten Kaisers, sagen sie, sind uns schlichtweg zu un-
vorstellbar.

名前 Name

Let the name indicate the state. – Das Seyn? - Immer der erste Stock.
Die Identität von Kokreszenz und Reflexion, als absoluter steady state.
Die Diva unter allen Zuständen. Identität als absolute Be- und
Anzüglichkeit. Denn Identität ist das auf Dauer gestellte feierliche Re-
quiem für das Selbst. Das gefällig-mühseliges Ruhen in endloser Un-
ruhe. Allergetriebenste Behaglichkeit. Euphemistischste Infamie. Und
wir gehen Hand in Hand, immer wieder, über die Schwelle, über die
Schwelle Edens. Das ist der einzige ewige Wiederkehraus, den wir uns
eingehandelt haben, und auf den wir uns verstehen, wie niemand
sonst. Wer sollte das auch sein! Wir sind die einzigen Bewohner der
Rotation. - Man könnte spekulieren, das dieses eschatologische Rin-
gelspiel selbst die Ewigkeit ist: Die Ewigkeit ist nicht etwa der andere
Zustand, auf den vielleicht etwas hinführt. Die Ewigkeit ist dieser
Zustand, aus dem nichts herausführt, sondern (eben) ewig nur hinein,
immer und immer wieder hinein, über die Schwelle, über die Schwelle
Edens. Das ist ja der Witz des Möbiusbandes (Z (mischt sich ein): Er-
staunlich, dass wir uns das ausdenken durften!): Wir brauchen nicht
erst zurück, wir haben die Schwelle, die wir grade überschritten ha-
ben, immer vor uns, immer wieder vor uns, Zeit und Ewigkeit in einem
Aufwasch und Durchlauf.31 – Das Meer, das sich ins Meer ergoss. Wir
sind die Lust der Ewigkeit. Auch wenn sie uns nicht wollte. Wir
spielen ihr Spiel. Wir verlieren ihr Spiel. Wir baden und büßen sie aus,
wir holen für sie die Kastanien aus dem Feuer, die Brote aus dem Ofen.
Und löffeln für sie noch das Blut aus, das wir für sie bluten. Wir sind
ihr zu verbindlichstem Dank verpflichtet. Damit werden wir nicht
fertig. Schon aus strukturellen Gründen. Alle Maßnahmen flankieren,
prinzipiell und mehr nolens als volens. Das spürt ihr ja ständig am

31
Ungefähr: Nous n'avons pas besoin de revenir en arrière, car le seuil que nous avons franchi est toujours
devant nous, encore et encore, le temps et l'éternité en un seul lavage.

CXCII
eigenen Leibe und seiner ängstlichen Gesundheit. Ihr wisst ja, das ihr
(nur) ein Sein-zum (nur zu was?) seid.

配置 Arrangement

... with regard to one another (that is to say, considered in the same
form) …. – Comme les cris silencieux du paysage. - Wir könnten es uns
einfach machen und behaupten, wir beschrieben zu Übungszwecken
fraktale Landschaften. Aber wir tun hier weder das eine noch das an-
dere. Wir wollen nicht lügen. Wir komponieren lediglich eine Sym-
phonie für Glasklangkugeln, in denen die Schreie der Landschaft ein-
gekapselt sind. So denken wir uns das wenigstens. Wir hören die
Schreie, weil die Kugeln leer sind. Sie gäben sonst keine Klänge her.
Es sei denn, die Schreie wären in ihnen verstummt, das heißt in sie
eingesickert. Wie der Regen in den Boden, selbst, der Landschaft der
Schreie eingesickert ist. Und sie genährt und gesäuert hat. Das ge-
säuerte Brot der Schreie, Sie brauchten diese Transsubstantiation
und Verklärung. Sonst hätte unser Trommelfell sie zwangsläufig ver-
leugnet. Sie hätten die Tore vor ihnen verschlossen und gerufen: Kei-
ner da! Versucht es nur! - Und: In uns fahrt ihr nicht wie in die Schwei-
ne, nicht so, introierunt in porcos, wie die Legion, Legio nomen mihi
est quia multi sumus, in Markus 5 (Verse 6 bis 13). Und kämet ihr wie
Blitze, die in den Acker fahren wollen. Denn wir sind kalt und nicht
empfangsbereit. Das hat sehr verschiedene und zudem ein Übermaß
an Gründen. Aber fragt nicht danach. Wir sind hartnäckig nach unsrer
Art. Das schlüssige Arrangement, das wir getroffen haben, das ist die
Abwehr. Aversion, ins Hypertrophe degeneriert. Die Schildwache vor
unserer Wahllosigkeit. Der Nimbus unserer Promiskuität, in den so
schönen Farben der Schweizergarde. Oder wie die Reflexe auf deinem
Monitor, wenn die Abendsonne schräg hinter deinem Rücken steht.
Und mit ihren goldenen Pfeilen an ihm vorbei zielt. - Am Eingang zur
Elendgasse. Die Sommerfrische der Weltgeschichte. Ferien von Be-
schäftigungsduldung und Qualzucht.


CXCIII
表現 Expression

Call any arrangement intended as an indicator. – Urgetöse. Eher fahl
als Phallos. Das versprochene Wissen um das Ausbleibende. Der Trost,
der einspringt. Das einzig wahre Pendeln. Die Schaukel zwischen den
Fernen, die sie ermisst, die nur in ihrem Ermessen liegen. Und der
Trost schwingt sich immer dahin, wo die Schaukel gerade fehlt, und
sie fehlt immer auf der Seite, wo der Trost gefragt ist. Er könnte selbst
darüber verzweifeln. Wahrscheinlich ist er es ja bereits. Wüsste er
denn sonst, was man von einem Paraklet erwartet? Die wütende Ver-
lockung zur Täuschung. Der Kitzel zur Allzersprengung. Mit seiner
starken Zunge leckt er an der allgemeinen Grottenwand. Er weiß nicht,
warum er das wiederholt, wer es ihm einredet, das zu tun. Für kein
Wort gibt es ein angemessenes Tun. Das erlaubt dir, sagt der Trost zu
sich selbst, dich tragen zu lassen, auch wenn du weißt, dass es kein
Getragenwerden geben kann. Und auch die Entscheidung, dich tragen
zu lassen, ist nicht zu treffen. Das Namenlose zu benennen, schließlich,
erledigt das, was sein sollte. Trösten heißt zu besiegeln, dass nicht
einmal ein Wunsch gewesen sein kann. Der Trost macht die Trauer
transparent; transparenter noch als sein Verschwinden. Auch Para-
klet hat seine Pfeile dem Apoll entwendet. Schon vor langem. Nicht
erst in letzter Zeit, als er ihn in einem Dartcafé wiedertraf. Das klingt
unheimlich absurd, ist aber wahr. Ich sage euch, ein Paraklet, als Geist
heißt er ja heilig, lügt nicht. Er vertraut ja nicht einmal seiner eigenen
Existenz. Lügen käme ihm vor wie Zeter schreien. So lächerlich wollte
er nicht auch noch werden. Obwohl auch die Wahrheit sich in einem
ewigen Schluchzen noch hören und sehen lassen kann, also in Lum-
pen. –

値 Value

Apokalyptischer Goldstandard. Klaffender Rachen. So schallentfernt,
dass von einer Resonanz (des Ursprungs) keine Rede mehr sein kann.
Alles, was sein will, muss ein Aggregatszustand von namenloser Angst
und primordialem Konflikt sein. Sonst ist es nicht. Aber wenn es ist,
CXCIV
ist es Steinatem. Muschelpsalm. Der Gesang des Sediments. Das Orga-
nische, das uns so mitnimmt, schon das ist es nicht mehr. Das Tie-
rische noch viel weniger. Das Menschliche ist schließlich der Verlust
der Erinnerung an jeden Atem, der einmal war. Fleisch atmet nicht.
Irgendwie wohl aus eigener Schuld. Und wir verrennen uns in die Sub-
stanz, um die Kogitanz, manche reden hier noch von res cogitans, wie
ihr wisst, zu retten, mindestens in jedem halben Säkulum neu, weil
der Brennpunkt im Innern, der immer schon vermisste Sohn, vom
unendlichen Außen glüht und nicht aufgeben will. Cusanus versetzte
den panoptischen Gottespunkt nicht umsonst ins Überall und füllte
die Welt mit mehr Zentren als sie fassen kann. Jede Stelle auf der Haut
der Dinge ist, wenn ihr nur, ihr dürft dabei zögern, genau hinseht, um-
fassender als das All. Das ist so unsere Art, die Einsamkeit der Krea-
turen sicherzustellen oder erst einmal dingfest zu machen.. Das
schwöre ich, aufs Kruzifix. Denn auch wir sind Legion. Jedes Je ein fun-
damentum inconcussum, der Cartesius verfolgt uns wirklich, seiner
Zerbrechlichkeit. Vor allem anderen gebührt der Hinfälligkeit Immu-
nität. Sie liefert uns aus, daher muss sie geschützt werden. Die Hin-
fälligkeit ist das Offene unserer Sinne. Der Staub der Welt sammelt
uns ein, und die Gewohnheit gibt uns nicht auf. Sie ist ja die Transzen-
denz, die Hand, die nur sichtbar wird am Staub, wenn sie ihn formt,
dass wir ihn wieder zerfließen sehen. Die Möglichkeit verstreut die
Chancen des Irrtums. Die – ihrer Spezies entsprechend - irreparable
Welt holt sie ein und nimmt sie wieder zurück. Spontan und antriebs-
los.

同値 Equivalence(s), vraies boules de cristal

Wem wendest du dich zu, wenn du von dir umgeben bist. Vor allem
aber, wen lügst du an und mit welcher Lüge?

Die Angst vor der Wahrheit war eine Verlustangst. Und ist es geblie-
ben.

CXCV
Nehmen auch wir an, Johanna von Kastilien, die Mutter Karls des
Fünften, sein Vater, der Schöne, starb, wird überliefert, an Eiswasser,
verfiel gar nicht dem Wahnsinn. - Dann hätten wir endlich ein kriti-
sches Denkmodel, das zwar keine Gewissheit, aber ein gutes Gewissen
verschafft. Und wir erfüllten uns so den Auftrag, den Gott dem Denken
erteilt hat.

Auf Phantasmen kann man nur vertrauen, wenn sie in großen Haufen
auftreten; zumindest als ganze Wälder. - Aufruhr ist tot, bis Birnams
Waldung rückt / Bergan.

Form entsteht durch die Formierung ihrer Auflösung. Wenn wir das
Morphogenese nennen (und deren in sich gegenläufige Struktur dabei
in Acht nehmen), gibt es Form nur als formauflösende Morphogenese,
ob es sich um Kunst, Zeit oder Geschichte handelt. - Dass wir jeweils,
in jedem erfahrenen Augenblick etwas sinnfällig vor den Sinnen zu ha-
ben glauben, also in der Wahrnehmung, das ist zwar kein Wunder,
aber ich nenne es trotzdem so. Und spreche auch von Funken zwi-
schen dem imaginären Rädern und dem gleichermaßen imaginären
Möbiusband, das sie antreiben und von dem sie angetrieben wer-
den.32


Strukturanalogien.

1 Der Blick hängt an den Fluchtpunkten. - Der Mensch an den Seilen
des Fallschirms.

2 La vue est suspendue aux points de fuite. - L'homme est suspendu
aux cordes du parachute.

32
Vgl.: La forme naît de la formation de leur dissolution. Si nous l'appelons morphogenèse (et prenons soin de sa structure contradictoire),
alors la forme n'existe que comme morphogenèse-résolvant-la-forme, que ce soit l'art, le temps ou l'histoire. Que dans chaque moment
d'expérience, nous croyons que nous avons quelque chose de sensible devant nos sens, c'est-à-dire, dans la perception, ce n'est pas une
mircacle, mais je l'appelle encore comme ça. Et aussi parler d'étincelles entre les roues imaginaires et la bande-tout-aussi-imaginaire de
Moebius qui les propulse et qui les anime eux-mêmes.
.

CXCVI

Gibt es das?: Implodierender Vulkanismus. – Das Bild jedenfalls ist
plausibel.

Der Dichter arbeitet. Man müsste noch so wohlgemut sein können wie
die Surrealisten.

Das automatische Schreiben tut so, als wäre die Welt seriell organi-
siert. Deswegen geht es auch zu zweit. Soupault, Breton: sie haben es
gewusst: 1 Prisonniers des gouttes d’eau, / nous ne sommes que des ani-
meaux perpétuels. / Nous courons dans les villes sans bruits…


Modèles de la série. –

(1) Es war vertan worden. Es ist vertan worden. Es wurde ver-
tan. Es wird vertan. Es wird vertan werden. Es wird vertan
worden sein.
(2) Il avait été gaspillé. Il a été gaspillé. C'était perdu. Il se perd.
Ce sera gaspillé. Il aura été dilapidé.
(3) Es war verschwendet worden. Es ist verschwendet worden.
Es war verloren. Er ist verloren. Es wird verschwendet
werden. Es wird verschwendet worden sein.
(4) Er hatte mich geschafft. Er hat es geschafft. Er tut es. Er
wird es tun. Er wird es getan haben.
(5) Il l'avait fait. Il l'a fait. Il le fait. Il le fera. Il l'aura fait.
(6) Ich hatte es vertan. Ich habe es vertan. Ich vertue mich. Ich
werde es vertun. Ich werde mich vertan haben.
(7) Ça m'avait manqué. Ça m'a manqué. Je me trompe. Je vais
le gâcher. Je m'aurai perdu.


Es hätte, weltgeschichtlich gesehen, nicht zu den Übungen mit gestei-
gertem Einfachheitsgrad kommen dürfen.

CXCVII
Wenn sich der Vorhang vor seinen Augen, von dem eben schon die
Rede war, auf eine vertraute Weise, von der Mitte aus nach beiden
Seiten hin, öffnet, dann kann man glauben, dass dahinter Menschen
sind. Auch weil sich an den immer gleichen Stellen im Stoff Hände
abzuzeichnen scheinen. In diesen Momenten entsteht gerne der Ein-
druck, dass sich etwas zu geschehen vorbereitet. Als wäre etwas zu
tun. Als stünde, wie man sagt, etwas an. Und dränge sich etwa wie eine
Aufgabe ins Bild. Oder als ereigne sich eine Handlungsanweisung. Auf
eine eigentümliche Weise vermittelt dieser Augenblick damit den Ein-
druck, es handele sich um das Erwachen, das einen Erwachenden
überfällt oder packt. Und er sieht gerade noch, dass sich ein Einhorn
wie auf Zehenspitzen entfernt oder aus dem Staub macht. - Auf Ze-
henspitzen! Ein Einhorn! Das kann er sich ja nur dazu gedacht haben!
Daran merkt er, dass er endgültig wach ist. Und muss lächeln.


Aber wenn die Welt wirklich ein unendlicher, fraktaler Komplex aus
Selbstabbildungen ist, dann erhebt sich die Frage, ob das Verfahren
klug gewählt wurde, dieses Verfahren unendlichen Selbstportraitie-
rens. - Rät man doch in der Regel jemanden, der nicht malen kann,
möglichst nicht zu einem Maler zu werden.

Schmelzklang: Form gelungener Kommunikation, aus der nur der
Spaltklang retten kann.

Mit meinen Schaffenskrisen, sagt Gott, gönne ich der Schöpfung Atem-
pausen oder Auszeiten. Ganz wie sie will. Selbst wenn es ihr nicht
passt.

Schmetterlingspuppen hängen, wie halbverrottete Papyrusröllchen,
kopfüber an toten und hohlen Stengeln, um zu reifen. Das Schlüpfen
geschieht auch mit dem Kopf erdwärts gerichtet.

Es sind vor allem Klugheit und Güte, die keinen Schutz vor Fressfein-
den bieten. - Man findet sie aber kaum noch. Sie erzielen jetzt schon
CXCVIII
Höchstpreise. Bald werden sie unerschwinglich sein. Und dann wer-
den uns diese letzten Exemplare vorkommen wie etwas Hergewehtes,
Aufzuhaltendes und Pflegebedürftiges, das uns aber nicht mehr hab-
haft ist. – Z: So stell ich mir die Jungfernhaut der Apokalypse vor.

Einige predigen: Ein Stadt ist verdichtete Natur. Warum halten sie das
für nötig? - Bleibt wachsam!

Ich bin ein Mensch, nichts Tierisches ist mir fremd; nur das Tier.

Es ist die Gesamtheit der Tatsachen, die meinen Fall bestimmt, du
kannst auch sagen: ausmacht.

Das Ende ist der Fall all dessen, was der Fall ist. - Lest auch das, bitte,
nicht als Kalauer. – Auch der Teufel begann, das ist allzu bekannt, als
Fall. Als transfigurierender Sturz. Wie auch ihr Sturz aus den Augen
das Ra die Tränen in Bienen verwandelt haben soll.

Die Sache hat uns in der Hand. (Musil)

Mit dem Gewöhnlichen, das zu erreichen eine große Anstrengung
bedeutet hatte, haben wir es verdorben. Das ist bedauerlich, denn wir
hatten das Gewöhnliche so einrichten wollen, dass es in seinem all-
täglichen Verlauf uns quasi stetig Einblick gewährte in die Verkettung
der Motive, die die Phänomene der Oberfläche zwar auch hervorbrin-
gen und sie mit der Politur einer gewissen Singularität versehen und
überziehen, zugleich und in eins damit, wie man sagt, sie auch un-
kenntlich macht oder gänzlich invisibilisiert.

1 und 1 zusammengezählt, ist auch das Staubkorn eine Wolke.

Doku Eschatologie (Stimme, wie – bei Göttern – üblich, aus dem Off):
„Auf dem Gipfel der Menschheitsgeschichte eröffnet sich der ganze
Horizont: Das Leben hat in der Mumie seine regulative Idee.“

CXCIX
Das Unsichtbare ist das stets wachsende Reserveland unseres Den-
kens; und daher dafür verantwortlich, dass das Sichtbare stetig be-
klemmender wird. Unser Fortschritt ist von einer sehr eigentüm-
lichen Art. Er gleicht einer schleichenden und selbstverschuldeten
Einkapselung unseres Denkens. Ein wirklich makelloses Paradox. Un-
sere Erkenntnis steigert sich, je enger sie sich um sich und uns
schließt. Und uns und sich Atem und Bewegung nimmt, gleichsam
vakuumverpackt. - Es soll wenig einladende Sexualpraktiken geben,
die das zu imitieren versuchen. ‚immerhin hat Sex dann doch etwas
mit dem Erkennen zu tun, wenigstens der Form nach.

Die Angst kommt eigentlich nur wortgeschichtlich von der Enge her,
der Sache nach führt sie zu ihr hin. Obgleich sie uns davor vielleicht
bewahren wollte. Wir scheiterten Hand in Hand.

Wir laufen auf einem Eichenwald. (Lucius Burckhardt, Promenadologe,
über Venedig) Hier bringt eine kleine Verschiebung des Blickwinkels
zutage, dass uns das Unsichtbare, im unmittelbaren Sinn des Wortes,
trägt. - Wir würden zwar, ihr kennt uns, gerne viel weiter gehen und
sehen und sagen: das Unsichtbare ist das allgemeine Trägerelement.

Pharmakon. - Sein Ischias, höre ich, hat Walter Benjamin vor dem
Kriegsdienst bewahrt. Scholem wurde wegen Schwachsinns nicht zu-
gelassen.

Nur die Wolken über den Landschaften sind sich gleichgeblieben, sag-
te ein Wiedergänger, sagt er, den ich zufällig belauscht habe; ich konn-
te ihn nur hören. Er hatte, bevor ich es sehen konnte, sein Gesicht
schon weggewendet. Seine Stimme klang, ich weiß es nicht anders zu
sagen, als wäre sie durch ihn hindurch gekommen, als hätte sie mit
allen Stellen seiner Existenz eine Erfahrung gemacht.

Von wahnwitzigster Sinnlosigkeit. - Ja, es gibt in der Tat ganz verschie-
dene Arten der Sinnlosigkeit. Und wer sie erfand, war damit auch der
Erfinder des Kaleidoskops.
CC
Immer wieder verwechsle ich, das ist das ganze Geheimnis meines
Strategems, das Prinzipielle, nenn es das Grundsätzliche, mit einem
Startloch; es ist aber eine Leimrute oder ein Fangeisen. Es kommt mir
jetzt fast vor wie eine unfaire Jagdmethode Gottes. Und die Rache da-
für, dass ich sie von ihm übernommen habe.

Apropos: Jetzt! - Das wolkenhafte Trümmerfeld der gerade letzten Se-
kunden.

Bei den ersten Autorennen sprach man von einem „Auf-Galopp“ der
Rennwagen. - Kommt die Sprache immer um ein solches, fast zu ge-
rütteltes, Maß zu spät? Dann gibt sie uns keine Chance, und zu ver-
stehen, keine Chance irgendeine Gegenwart zu verstehen. Und viel-
leicht kommen mir deswegen meine Sätze so antiquiert vor. - dann
wäre es wenigstens nicht meine Schuld.

„Dich gefährdet das Verlangen nach Gemeinschaft.“ (Scholem an Ben-
jamin)

Adornos Frau Gretel war Erbin einer Handschuhfabrik, höre ich. – Z:
Ich möchte jetzt gerne noch einmal all das lesen, was ich über Hand-
schuhe schon geschrieben habe.

Gott an Adam : Es wäre an der Zeit, mein Sohn aus Staub und Hauch,
dass wir uns wiedersehen. - Und bring auch Eva mit! – Z: Soll das etwa
heißen: „Mein liebes System, und seist du tausendmal aus Hauch und
Staub, vergiss mir deine Umwelt nicht!“ - ?

Flanieren wie ein rundum echter Flaneur bedeutet: alles wahrzuneh-
men, außer der Gegenwart. - Z: dann bin ich ja ein Flaneur, aber bis
eben einer wider Wissen und Gewissen.

Er brachte es, wie gezwungenermaßen, auf die Formel, die ich hier,
wenn auch mit einigen Vorbehalt, wiedergebe: Ich möchte keiner Zeit
angehören, ich will existieren. Vielleicht sogar ganz ohne Zeit. Das mit
CCI
dem Tod zu verwechseln, das wäre aber ein Missverständnis. Wenn
auch ein wohlmeinendes.



Predigtskizze I. - Wenn ich es recht sehe, war für Walter Benjamin, ei-
nen Vornamen hatte er ja auch, die Weltgeschichte die Transfigura-
tion und, soweit möglich, auch die Transsubstantiation des Bucklicht
Männlein, will ein bißlein beten, zum Messias. - Worin konnte er also
seine eigene Arbeit sehen? Sah er sich als einen utopischen Masken-
schnitzer oder einen Schönheitschirurgen, der der Eschatologie ein
wenig ins Handwerk pfuschen wollte, wenn pfuschen33 hier das rich-
tige Verb ist. - Z: Es gibt kein besseres. Er wusste, was er tat: absichts-
voll pfuschen. Er empfand das als seinen metaphysischen Auftrag.
Den wunderbarsten und gottgewolltesten Pfuscher sah er im des-
truktiven Charakter, im Erlöser, dem, der nur Platz schafft, und dem
nur die Natur dabei das Tempo vorschreibt, sonst aber nichts. Nur so
gibt man dem Paradies eine Chance. - Die Anarchisten, die von je das
Paradies mit dem Schlaraffenland verwechseln, kleben zu sehr und zu
störrig und zu hungrig an der Substanz, oder auch nur an der Welt. -
Und überhaupt, wer das Paradies will, verhindert es nur. Das haben
wir, häufig genug, schon erlebt.

Die Weltgeschichte, eine multilateral gebrochene Verabredung.

Die Menschen haben das größte, unverbrüchliche Recht zu allen an-
deren zu sagen: gebt mir mich zurück. So war es nicht gemeint.

33
Es scheint hier das Gemeinte zu treffen, vgl.: „pfuschen hat aber zunächst die bedeutung des unberechtigten, gegen die zunftordnung
verstoszenden geschäftlichen arbeitens (vgl. stören, störer), woraus sich die weiteren bedeutungsabstufungen erst entwickelt ha–
ben..“ (Grimm)

CCII
C: Wie rechtfertigst du dein Schreiben? – B: Gar nicht. Ich kann es
nicht. - Ich kann es mir selbst nur so erklären: Ich unterliege dem
Zwang zu zügellosem Selbstausdruck, wie es alle tun, die es nicht ab-
warten können. – C: Was denn? – B: Das, was die Leute meinen, die
einem sagen: Du kannst es aber auch nicht abwarten, oder! – C: Ach,
das! – B: Ja, genau das! Dass es jemandem gelingt, einem Blinden zu
erklären, was ein schwarzes Loch ist. Und einen Tauben zugleich die
Obertöne mithören zu lassen.

指図 Instruction

Wie eine Lampe, die gelöscht wird, das Dunkel einschaltet.

Verstehen vollzieht sich mitunter sehr schnell. Im Wortumdrehen.

Will mein Weinlein zapfen. - Meine Gedanken? - Lumpen, denen das
Gesindel fehlt.


CCIII
Chiffonier. - Gedanken sammeln. Mit Gedanken spielen: die Lumpen
und den Abfall konfektionieren.

Ungeschickt lässt grüßen. Wenigstens das, wenigstens kommt’s nicht.
Und uns vergnügt das Nachsehen. Wir sind Voyeure des Versagens
(geworden).

Eintrieb des Verlorenen. Die repräsentative Geste des Letzten Gerichts.

Das Leben ist Sich-angesprochen-Fühlen ohne Ansprache - und das
durchhalten. – Z: Das Leben ist also wirklich nicht wenig, nicht wahr?

„Die Wilden sind faul.“ - Der Mensch wird durch die Arbeit aus sich
herausgerissen. (Hegel)

Wer in Kreisläufen Gegenseitigkeiten wittert, denkt falsch.

Y: Wer glaubt, etwas zu wollen, muss vorsichtig sein. Wenn er glaubt,
sich befreien zu wollen, sollte er sich fragen, ob er seine gewohnte
Selbstkontrolle nicht nur delegieren möchte. Seine Unfreiheit also
stabilisieren. – X: Vielleicht denken wir uns den Mechanismus aber
zu einfach.

Wir beobachten die Transformationen von Formen, können daraus
aber nicht auf die Motive der Transformationen schließen. Und schon
die Transformation auf der Ebene der Motive bleiben uns unbekannt,
etc. – Das ist der Grund dafür, dass wir aus erkenntnistheoretischer
Bequemlichkeit von Gegebensein, Evidenz oder gar Sachzwang reden.
– Z: Die stets kurrente Ausrede der Macht, die immer auch über die
Macht zu schweigen verfügt. Aber auch all die, die keine Macht haben,
müssen improvisieren. Sie vollziehen dabei ihren Habitus, der ihren
Improvisationen die Regeln diktiert. Aber auch die sind fluid. Ein flu-
ides Set von passageren Handlungsanweisungen, die ständige Rück-
versicherung verlangen. Zumindest von denen, die ohne Macht han-
deln müssen.
CCIV
“Breathing is habit. Life is habit.” (Beckett)

Was der Habitus aus der Wiederholung zieht, das ist der Unterschied.
(Derrida)

Wenn die Menschen vom Leben nichts mehr erwarten, fangen sie an,
es auszutesten. Mit einem theatralischen Abfall von ihren Gewohn-
heiten. Das gilt für Einzelne, Gruppen, Gesellschaften.

Pausen und Synkopen sind die Bunker der Zeit. Oder wie könnte man
das anders sagen? Fällt die was Passenderes ein?

Wenn man sagte, dass jede Erinnerung eine irgendwie in die Gegen-
wart verschleppte Vergangenheit ist, die gefunden, wie ein archäolo-
gischer Fund gereinigt, entschlüsselt und kosmetisch bearbeitet wer-
den muss, um momentum zu gewinnen, begänne für sie eine ganz
neue Karriere. Ihr wäret überrascht, welche Geheimfalten sich da
noch öffnen würden. Solche, die nur übersehen worden waren, und
solche, die es davor gar nicht gab. Erinnerung stiehlt nicht, aber sie
versteckt gerne etwas.

Komfort ist die verletzte (und verletzende) Gestalt erfüllten Wohlbe-
findens.

Was wäre also wünschenswert? - Wenn Gott auf die Frage: Was sind
die Menschen denn für dich? antworten würde: Ich sehe in ihnen mei-
ne Teilhaber. – Z: Dann sollten wir im Universum doch eine Gesell-
schaft mit beschränkter Haftung gründen.

Die Unendlichkeit liegt zwischen zwei kaum unterscheidbaren Schat-
tierungen. Es ist also ganz leicht an der Unendlichkeit teilzunehmen,
du musst nur diesen scheuen Unterschied sehen. – Z: Oder das Sehen
des Unterschieds scheuen? – Allerdings gehörtest du dann zu allen,
die behaupten, im Vollbesitz der Unendlichkeit zu sein.

CCV
An Denken ist nicht zu denken. Das Paradies ist ein Problem, weil man
es sich nicht vorstellen kann. Wie das Goldene Kalb als Ganzes. Die
Hölle liegt dagegen nur um die nächste Ecke. Und die Erkenntnis ver-
steckt sich gerne in einem Café. Jeder Zweifel besitzt einen guten
Goldgrund, auch wenn wir uns ein falsches Bild vom Zweifel machen
(Wittgenstein). Und er besitzt, wie mittelalterliche Bilder, auch eine
Bedeutungsperspektive. Er spricht gerne davon. Er besteht dabei auf
der Kategorie des Fastgelungenen. In seinem Traum ein Kuckuck saß.
Er sah in ihm den entgegenkommenden Sinn, den, der die Wunden
einfärbt. Wenn einer sich ungefüg benimmt, versucht er nur die Welt-
formel zu imitieren. Irgendwann wird die Luft dicht sein vom Ge-
schnatter der ausgestorbenen Arten. Aus all dem schließt er: Zeit liegt
in der Luft. Lasst ihr Zeit dazu. – Z: Wusstest du, dass Proust Trau-
zeuge von Bergson war?

Zeit schreibt die Zukunft. - Sie, die Zeit, ist die Schutzheilige der Ge-
burtshelferinnen. Die reden aber nicht darüber. – Z: Zeit ist also das
Schweigen der Hebammen? -

„An allen Bäumen sitzt erstarrtes Laub.“ (van Hoddis)

You have just to twist language, um sie zurück zu bringen.

X: Monaden, die sich in der, genauer: in die Lebenswelt nachahmen,
machen sich lächerlich. – Z: Beweise?! – Y: Schau dir doch nur diese
Welt an! – Z: Dann habt ihr also auch nur selbstimitierende Monaden
vor Augen? – X & Y: Leider müssen selbst wir die Welt als eine unum-
stößliche Epiphanie des Immerhin! anerkennen. – Z: Voi poveri stolti!
- Après tout. -

„SILENCE, (Critique sacrée) ce mot, outre sa signification ordinaire, se
prend au figuré dans l'Ecriture ; 1°. pour la patience, le repos, la tran-
quillité : nous les conjurons de manger leur pain, en travaillant pai-
siblement, in silentio, , II. Thess. iij. 12. Ce terme 2°. désigne la retraite,
la séparation du grand monde : Esther ne portait pas ses beaux habits
CCVI
dans le temps de sa retraite ; in diebus silentii. 3°. Il marque la ruine,
Dominus silere nos fecit, Jérem. viij. 14. c'est-à-dire, le seigneur nous
a ruiné.“ (Encyclopédie, Louis de Jaucourt)

Faire silence... – Das gibt es im Deutschen nicht. Es sei denn, wir spre-
chen von einem Stumm-Schalten. Alles muss den Weg nach außen
finden. Ohne die Enttäuschung des Seins würde es nicht gewesen sein.
Und es würde ihm auch keine Verantwortung zukommen. Es wäre ein
Inneres geblieben, dem der Schmerz noch fremd ist. Aber was kennt
es denn, wenn es keinen Schmerz kennt, die einzige matière de silence
und das einzige Echo des Daseins, deren Vertrauenswürdigkeit ver-
brieft ist. – Z: Man hat also Glück, schon weil das so selten geschieht,
wenn die Schweigerose eine Narrenkappe trägt.



“Ces divers silences sont donc, le bâton de quatre mesures, qui vaut
une longue ; le bâton de deux mesures, qui vaut une breve, ou carrée ;
la pause, qui vaut une semi - breve, ou ronde ; la demi - pause, qui vaut
une minime, ou blanche ; le soupir, qui vaut une noire ; le demi - soupir,
qui vaut une croche ; le quart de soupir, qui vaut une double croche ;
le demi-quart de soupir, qui vaut une triple croche ; et enfin, le sei-
zième de soupir, qui vaut une quadruple croche. Voyez dans les Pl. de
Musique les figures de tous ces silences.“ (Encyclopédie, Stichwort Si-
lence, J. J. Rousseau)

Gespräche, die keine Bedeutung haben, sich aber nicht sehr darum
kümmern. Weil sie an der Welt arbeiten. Ihrem Auftrag bleiben sie,
das haben sie mir versichert, treu. Warum sie glauben, mich beru-
CCVII
higen zu müssen, das behielten sie aber für sich. Manchmal denke ich,
sie gehören zu meinen Tagträumen. Aber in meinen anderen Tagträu-
men finde ich oft Spuren von Erinnerungen. Oder auch Bilder, die mir
seltsam vertraut scheinen, obgleich ich nicht weiß, ob ich sie schon
jemals gesehen habe. Es kommt mir jedenfalls nicht so vor, dass ich
sie wiedererkennen würde. Ich erkenne sie nur als irgendwie zugehö-
rig; als gehörten sie zu dem, was ich nie vermisst habe, obwohl sie
doch noch nie da gewesen waren. Die Gespräche hingegen erscheinen
mir in meinen Tagträumen wie zugelaufene Tiere, die unerklärlich
zutraulich sind, wie die Hundertdollarnote, die mir, vor ziemlich ge-
nau achtunddreißig Jahren am Piccadilly Circus in London in die
rechte Hand geflattert kam. Es fällt mir sehr schwer, diese Gespräche
nicht merken zu lassen, dass ich nie weiß, wovon sie sprechen, wenn
sie von unserer Kindheit erzählen. Oder von gemeinsamen Erfahrun-
gen, die uns fast auseinandergerissen hätten. Auf Nimmerwiedersehen.
Und wieviel sie meiner so versöhnlichen Art verdanken. Ja, im Grunde,
sagen sie, verdankten sie es ausschließlich mir, dass sie noch da seien.
Freilich kann ich sie nicht fragen, ob sie wissen, dass sie Bestandteile
meiner Tagträume sind. Sie haben nicht meinen Reflexionsstand. Au-
ßerdem teilen sie mir irgendwie mit, dass sie gerade danach nicht
gefragt werden wollen. Und ich habe das Gefühl, das unbedingt re-
spektieren zu müssen. Damit machen sie mich ja auch stolz. Weil ich
es doch offensichtlich verdiene, dass sie gerade in meinen Tagträumen
auftauchen. Sich in sie einnisten. Und, wie es mir scheint, bleiben wol-
len. Die Hundertdollarnote hatte ich schnell wieder ausgegeben.

Du brauchst dem Leben nicht den Auftrag zu geben: Verwische die
Spuren! - Du kannst ihm aber auch keinen anderen Auftrag geben.
Nicht einmal den, auch die Spuren seines Verschwindens zu verwi-
schen. – Kein Schwamm wischt sich selber ab. – Z: In gewisser Weise
aber doch oder auch nur.

Schwellenzauber I. - Kann man Dialektik nicht auch so sehen, dass der
Weltgeist seine Innereien nach außen kehrt und zerrt, gleichsam
stülpt, zur Schau stellt, und dann wieder, erfahrungsgesättigt und
CCVIII
transfiguriert, einzieht, um sich seines Schatzes zu erfreuen. – Dann
würde er nämlich darstellbar, auch außerhalb seiner selbst.

Schwellenzauber II. - Erst wenn du erwachst, der Traum hantiert
anders, wirst du erinnerungsfähig. Das könnte auch heißen, dass dir
das Leben erst im Tod erinnerbar wird, Wenn der Tod ein rich-
tungsverkehrtes Erwachen ist. Wenn der Tod ein Falsch- und Geister-
fahrer ist.

Schwellenzauber III. - Wenn du das deutsche Wort Gemütlichkeit ins
Englische übersetzt, kommst du in die Verlegenheit, es zu comfort
verfälschen zu müssen, was es aller deutschen Qualitäten beraubt.

Schwellenzauber IV. - Vielleicht umschwirren die Motten das Licht,
weil sie vermeinen, dass nur in der Flamme keine Nacht sei. - Wie der
Spaziergänger um Mitternacht, der, es kann noch heute passieren und
tut es auch, regelmäßig, glaubt, dass im hellen Fenster das Glück lun-
gere, utopisch gerahmt.

Automatische Präzision. - An jeder Stelle des Möbiusbandes betrittst
du unmerklich die andere Seite. Jeder Schritt ist hier unweigerlich ein
Schwellenzauber.

Der alltägliche danteske Effekt einer kollektiv geprägten Erfahrung
schlechten Wetters. - Er sagte, leicht versonnen: Du bist unterwegs. Es
regnet. Es ist kalt. Du frierst. Du erinnerst dich deiner Vermeidungs-
tendenzen. Du betrittst ein Café. - (Hier: Schwellenzauber (V)) - Du
legst den Schirm ab. Vielleicht bestellst du dir einen Kaffee. Du greifst
nach dem smart phone – und: Incipit vita nova.

Er sagte auch: Mir wird zu viel vom kollektiven Gedächtnis geredet.
Es gibt sogar Preise fürs Schreiben darüber. Ich sehe das kollektive
Gedächtnis in dem, was man einmal die Tränen der Dinge genannt hat.
Die laufen die Fassaden der Häuser herunter, die höhlen die Steine,
die schwächen die Gebirge, die verschwenden die Wolken, die ver-
CCIX
treten die Zeit bei Haupt- und Staatsaktionen, kurz: die zerren an den
Lidern aller Dinge.

Tränen, ergänzte er noch, tropfen außerdem immer halbwach. Dieses
Halbhafte ist ihr Anteil an der Erinnerung.

Er sagte auch, es gibt Denker, die das primordiale Weltverfahren aus
dem Einzelnen und Jeweiligen abzuleiten glauben. Das ist aber falsch.
Sie erkennen es darin nur wieder, weil sie es darauf anwenden. – Sie
könnten es freilich auch daraus ableiten. Es steckt ja in allem. Aber sie
können es nicht. Sie sehen es zwar richtig, aber auch falsch.

Wir sollten die alten Ordnungskriterien, nach denen man Wunder-
kammern einrichtete, auf die heute immer noch – der Katalog scheint
noch vollständig - unbeirrt verfolgten Denkinteressen anwenden:
Den einen geht es um die naturalia, den anderen um die mirabilia, und
wieder anderen um die exotica. – Z.: Und worum geht es dir? –


- Das sag ich dir, mein lieber Z, nicht. Aber sollten nicht alle Denker so
– schreckenserregend – mit der Welt verfahren wie Grandville in den
Augen Baudelaires es getan hat? - : Grandville habe „passé sa vie à
refaire la création. Il la prenait dans ses mains, la tordait, la réarran-
geait, l’expliquait, la commentait; et la nature se transformait en apo-
calypse.” – Mit anderen Worten, so als würde Gott seine Schöpfung

CCX
noch einmal durchprobieren, um sich auf die Schliche zu kommen und
sie dabei zu erkennen. – Ich erinnere mich, dass ich die Komponier-
methode von Rameau schon einmal so, zumindest sehr ähnlich, be-
schrieben habe. – Denn das einzig Immergleiche in den Dingen ist, wie
sie entstehen:

Wenn die Schöpfung ein Wunder ist, dann das der Morphogenese.
Und Erkennen ist dann nicht mehr als: das Bewegungsprotokoll der
Hände Gottes zu erstellen, - einigermaßen verständlich gesagt. Wesen,
die Hände haben, können dann auch versuchen, das zu imitieren... –
Z: ...und sich dabei zu übernehmen. Oder kein Ende zu finden, das ist
dann die Form der Kunst. –



Manche sagen: Das versteht sich von selbst. Aber was soll das heißen?
Selbst wenn es so wäre, hätte es keine Bedeutung. Und was, auch das
wäre gut zu wissen, steht denn dahinter? Warum sollte es sich denn
von selbst verstehen? Woher bezieht es den Bedarf? Und es könnte
das, was sich daraus ergibt, wenn sich überhaupt etwas daraus ergibt,
was sehr zweifelhaft ist, nicht weitergeben. Das ist das Entscheidende.
Es ist, als wollte das Erkennen, die Einsicht in die Vorsicht, sich für
sich selbst behalten. Mir scheint, dass alles, was sich von selbst zu ver-
stehen vorgibt, sich nur für sich selbst zu verstehen trachtet. Als ginge
der Sog der Erkenntnis immer nach innen. Das wäre aber gar nicht
wünschenswert, geschweige denn erforderlich. Es treibt mich fast zu
sagen, das versteht sich von selbst. – Z: ? –

Er hatte gerade Celan gelesen. Er legte das Buch beiseite und sagte:
Wäre es in Anbetracht des Weltzustandes nicht passender zu sagen:
Es sind noch Gedanken zu denken jenseits der Menschen - ? – Z: Du
CCXI
hast wahrscheinlich recht. Aber sei vorsichtig! Sie werden sagen:
Deine Gedanken sind politisch nicht korrekt. – Du weißt, was das be-
deutet.

W: Wenn ich will, dass meine Sätze ein wenig überdreht klingen, im
Grunde aber – nach ihrer Art - sehr einfach bleiben (was sie so unver-
ständlich erscheinen lässt), brauche ich nur die Wahrheit zu sagen. -
Z: Aber ist das denn noch korrekt? – W: Spotte nicht, es geht nicht um
den Blickwinkel. Die Wahrheit ist eine runde Sache, kein Hut. Und
selbst der bleibt ja derselbe, ob man ihn nun von unten oder von oben
betrachtet, wie uns schon Schönberg gesagt hat.

Warum sagt man, gleichsam im Vorbeigehen gefragt, wenn die Stunde
der Wahrheit naht? – Glaubt man, dass sie so schnell abgearbeitet und
abgetan werden kann? Oder will man ihr einfach nicht mehr Zeit ge-
währen? – Z: Aus Übermut oder Feigheit?

Nur wenn der Beobachter überzeugt ist, nicht gesehen zu werden, ist
er bereit, aufmerksam zu sein. Das ist eine bittere Bedingung der Er-
kenntnis. – Z: Wer erkennt, feiert damit sein Ausgeschlossensein. Ein
Voyeur, der ins Leere schaut, hätte da vielleicht die größeren Chancen
und die besten Ideen. Und allein wäre er auch nicht. Vielleicht aber
ein wenig zu eingeschlossen. Aber bleiben wir lieber hungrig und ver-
träumt.

Predigtskizze II. - Die Leere ist ein absoluter Aktionsraum. Für das Le-
ben und für das Denken. Darin liegt eine Chance für Parallelaktionen
ziemlich ausgedehnter Art. Anders als in anderen Situationen drän-
gen sie sich hier geradezu auf. Die Leere ist der Ort, an dem sich Leben

CCXII
und Denken ohne Gewaltanwendung die Hand reichen können. Und
nur in der Leere bleibt das Eigentum unangetastet.

„Ich bin zurückgeblieben, darum brauch ich noch Dressur.“ (Aus einer
Operette)

Die Menschen denken nur in den Phasen der Weltgeschichte, in denen
sie in Quarantäne sind.

Es scheint, dass alles letztlich einer Etappenlogik folgt. – Z: Ich würde
sagen frönt, denn notwendig ist das nicht.

Musil: „Die Menschen haben keine Ahnung, wie man schon denken
kann.“ - O: Der Zielpunkt aller irdischen Befreiungsversuche liegt ge-
nau dort, wo die Menschen sich zu Sklaven ihrer selbst gemacht haben
werden.

Von menschlichen Ebenen: Sünde und Reue sind die beiden Schein-
seiten des Möbiusbandes.

Predigtskizze III. - Auch das Universum hat keine Eigenschaften. Aber
unsere einzige menschliche Aufgabe ist es, sie zu beschreiben. Daran
kann niemand zweifeln. Es sei denn, er verzichtet. Dann bleibt er aber
nicht einmal sich selbst übrig. Er löst sich auf in der Verweigerung, die
Welt zu beschreiben. – Z: Möglicherweise löst er sich aber nicht
gänzlich auf. Das würde wenigstens die Miasmen über den marécages
puants in den Galaxien erklären.

Exégèse généalogique. - Die Nähe zwischen den Worten Eingeweihte
und Eingeweide, sagte er ein wenig süffisant, harrt noch der Exegese.
Wahrscheinlich würde aber auch ein bisschen Ahnenforschung ge-
nügen. - Jedenfalls dürfen wir gespannt und neugierig sein.

Die Menschen, mein lieber Musil, haben eben keine Ahnung, wie sie
denken. Daher bleibt es auch dabei. Und alles, wie es ist.
CCXIII
Die von Satelliten gesteuerten Uhren, sagt er, verdeutlichen augen-
fällig und erfreulich unumstritten, dass die Zeit etwas von außen Ge-
steuertes ist. Vor allen in den Momenten so genannter Zeitumstellun-
gen.

Wir sitzen mitten im gestauchten Anundfürsich und versuchen, uns
rückzuerinnern. Hegel hatte es besser. Er hockte noch auf der Basis,
in freier Luft, und streute Denkvoluten aus. Wie Bonbons. Eben ohne
jegliche Rücksicht. Und mit nur mangelhafter Vorsicht. Und wir sitzen
jetzt da im gottverlassenen Anundfürsich und versuchen, uns rückzu-
erinnern, hin bis vor die Basis.

Auch im Zivil sind Männer vorhanden. (Musil)



Wir stehen genau auf der Grenze zwischen Wortspiel und Elend. Aber
nicht so absichtlich wie Chaplin, als er mit einem Bein in Amerika, mit
dem anderen aber in Mexiko stand, um beiden (resp. ihrer Polizei) zu
entgehen.

Die Vielen: „Sei doch nicht immer so negativ!“ – Der Eine: „Dass ihr
das überhaupt bemerkt! – Lässt euch das nicht hoffen?“

Es war ein Versäumnis bei der Planung der Weltgeschichte, dass ein
zufälliger Kopf weniger Bedeutung hat als ein China-Restaurant.

Das schier endlose Laufen von großen schlanken Frauen im Jugend-


stiloutfit durch endlose Zimmerschluchten wird zumeist erotologisch
gedeutet. Dabei liegt eine epistemologische Deutung um Welten nä-
her. Gestalt und Kleidung zeigen unmissverständlich an, dass es sich
um Madame La Reconaissance handelt, die durch die endlosen Enfila-
den des Denkens hastet - und dabei doch zu schweben scheint -, nur
um sich ihrer doch einmal habhaft zu werden. - Also und somit ist der
Blick, der in ihr eine bewegte, anmutige Allegorie unerfüllten weibli-
chen Sehnens oder Begehren sehen möchte, im schlimmsten, d.h.
chauvinistischen, Falle nur zusammen mit ihr auf dem Holzweg. - Z:

CCXIV
Ihre Holzwege, das sind, vernehme ich, die Wege, die das Möbiusband
mit Vorliebe bereithält und -stellt. Ganz ohne Rücksicht auf irgendein
Geschlecht. – Im übrigen ist die Vorstellung, dass das Möbiusband
auch eine Enfilade sei, eine große Bereicherung.

Das, was man am Weltgeschehen nicht goutieren kann, ist, dass man
zur Teilnahme gezwungen ist. Als Rohmaterial, Würzstoff, Kata-
lysator und Opfer, je zu fünfundzwanzig Prozent. - Z: Meine Frage ist
schon lange, wer das so genau ausgerechnet hat. Und wer dafür sorgt,
dass die Ratio so genau eingehalten wird.

Warum lassen die Sieger den Beobachtern keine Ruhe? - Z: Es plagen
sie Ansätze von Erkenntnis.

Ist es gut, die Welt so zu sehen, als wäre sie kurz vorm Schmelzen? Die
Wolken, die Bäume, selbst das Wasser, samt seiner Wellen? Selbst
noch die nachgeborensten Tränen der Dinge? - Einmal faszinierte das
Panplastische der Welt, als solches. Es war ihr ganzer Charme. Jetzt
liegt der Genuss im teilnehmenden Blick auf das Dahingehen ihrer
Plastizität selbst. - Z: Lieber Gott! Nein, das ist nicht fein von Dir und
auch nicht zu verzeihen. Dass du den Vollzug des Weltuntergangs de-
legiert hast. - Und ist dir eigentlich klar, an wen? Du siehst, selbst ich,
dein Dir ergebener Z, kommt da nicht mehr mit. Du bist aus dir nicht
mehr zu verstehen. Oder sag mir, welchem Gesetz folgt ein Weltgeist,
der an sich selbst irre geworden ist? Wann ist es uns entgangen, dass
du den Kontakt aufgekündigt hast? – Du hast gar nicht delegiert. – Du
hast dementiert. -

Im Prinzip ist alles furchtbar. Solange du nicht auf einen intelligenten
metaphysischen Kontrolleur zählen kannst. Und es sieht ganz danach
aus. Dass du es nicht kannst.

Gott hätte, sagt mein letzter Bundesgenosse, nicht zulassen dürfen,
dass man an ihn glaubt. In mir, sagt er, hat er sich endgültig verloren.
Warum hat er das getan? Das war dumm. Von ihm. Definitiv.
CCXV
Gerade eben ist mir ein wichtiger Spruch verloren gegangen. Ich war
unaufmerksam. Ich traure ihm nach. – Ich kann euch nichts mehr da-
von geben. Einige Baumwipfel, an denen ich vorbeigegangen bin, grü-
ßten mich verständig mit einer Verneigung und einem „Sei‘s drum!“ –
Aber das kam zu spät. Es war schon darum gewesen.

Man könnte Graphiker sein und etwas erfinden müssen. Man könnte
eine Schrift erfinden und sie Heilige Schrift nennen.

Man könnte nur Fragesätze mit wo bilden können. Man könnte dann,
zum Beispiel, nur fragen: Wo ist die Welt? - Wo ist die Zeit? - Wo geht
es dir? - Wo denkst du? - Wo sagst du? - Wo willst du tun?

Wenn du bedenkst, dass doch jede Sekunde deines Lebens ein Expe-
riment ist, ist es erstaunlich, wie viele davon misslingen. - Selbst darin
sind wir maßlos.

Er sagte, der furchtbarste Satz, den er kenne, sei Liebe ist eine Lüge
aus Mitleid. - Warum so furchtbar? - Weil man den Menschen diese
Lüge zutrauen müsse, um sie für menschlich halten zu können.

Er hatte einen Alptraum. Ihm träumte, er hätte keine Abgründe mehr.

Die Dienstzeiten gleiten nach eigener Regie. Jetzt schreibt er plötzlich
direkt nach dem Aufwachen. Früher war es meistens kurz vor dem
Einschlafen.

Die Fehler meines Korrekturautomaten erinnern mich an Freud‘sche
Fehlleistungen. Das ist tröstlich.

Kann Musik falsch sein? Was kann es bedeuten, wenn du sagst: Das ist
aber ganz falsch komponiert! - Nenne mir deine Kriterien! - Du wirst
mir deine Wunden zeigen müssen.

Der Abgrund ist die Ausnahme. Der Rest ist Ödnis.
CCXVI
Monstren, nicht nur in diesem Kontext, sind autopoetisch hergestellte
Irritationen, die nur das Ziel haben, das System über sich selbst auf-
zuklären. Und in einem Zuge auch das Problem des blinden Flecks
vollends zu immunisieren. - Z: Weiter kommt man, das hab ich schon
oft gesagt, nur auf der Stelle, stante pede. - Schaut mich an!

Dass wir uns die Vorstellung des Raums mit der Hilfe der Tastorgane
(wie Diderot, zum Beispiel, dachte) erschließen sollen, kann ich nicht
glauben. Wer oder was sagt uns, dass das, was uns diese Organe er-
schließen, Raum ist? Erfahre ich Raum, wenn ich meinen Arm aus-
strecke? Dass wir es unterstellen, das ist unbestritten und es ist das
eigentliche Rätsel. - Z: Und kann wohl nur Merleau-Ponty-listisch ge-
löst werden.

Der blinde Klecks. Das Basiselement jeder Darstellung. Ob er ein Pixel
sei. Oder ein punktueller Graphitabrieb. Oder ein Sand- oder Staub-
partikel.

(Nachtrag zur Raumerfahrung.) Dass die Raumerfahrung bei ge-
schlossenen Augen so überwältigend ist, war einer der größten Schre-
cken meiner Kindheit. Erinnert ihr euch auch? Wie schwer es war ein-
zuschlafen, so mitten in dieser dunklen aber auf eine eigene Weise
ungeheuer sichtbaren Unendlichkeit, die reine Wahrnehmung war.
Ich habe sie leider nur noch in meiner Erinnerung. Die Grenze der
Wahrnehmung kommt mir im Laufe meines Lebens immer näher.
Lange aber im Bild sich unüberschaubar hinbreitender Kohlehalden.
– Wenigstens nimmt mit dieser so präzise grenzenlosen Wahr-
nehmung auch der Schrecken ab. Aber dieser Verlust ist nur ein küm-
merlicher Ersatz. - Mir scheint, dass ich die Wahrnehmung der Aus-
dehnung wohl ganz anders gelernt haben muss - als der Enzyklo-
pädist es beschreibt (vgl. ENC VI: 43, „Étendue“). Meine Kindheits-
erfahrung könnte ich, scheint mir, bei Condillac unterbringen. Oder
eher noch bei Berkeley?

CCXVII
Ja, es geht genau um diese kleine Verschiebung. Sätze sollten sein wie
verwackelte Kopien der Wirklichkeit. Das verwackelte Moment in der
Wirklichkeit ist die Wahrheit; das was unser Anteil an der Wahrheit
sein kann. – Z: Das ist sehr schön beschrieben. Und erklärt auch,
weshalb die Wahrheit Hauptweh, wie Adrian Leverkühn es nennt, be-
reitet. - Es ist, wie wenn du konzentriert auf eine verwackelte Kopie
schaust, bis sie dir, zumindest deinen Augen, weh tut.

Macht und Qualität der Musik beruhen nach Diderot gerade darin,
dass sie nicht so mimetisch wie die Malerei und selbst die Sprache sei.
Lernen wir daraus, dass die Sprache davon profitieren kann, wenn sie
immer weniger mimetisch verfährt. Das Ziel ist, dass sie sich ent-
weder von den Dingen nicht mehr unterscheidet oder so weit von
Ihnen entfernt ist, dass sie an ihrer Dinglichkeit keinen Anteil mehr
nehmen kann. In beiden Fällen, wie ich sie meine, ist Mimesis aus-
geschlossen. Und die Sprache fast so wie Musik, beide aber unverän-
dert nur noch um eine Welt voneinander geschieden. – Diderot: „Et
cela est vrai, car les violons me le dirent.“

Trostinstallationen, auf dem Weg zu einem neuen Polytheismus.. -
Wenn wir, du und ich, Glück haben, wird es auch in der Zukunft noch
einige verlorene aber gastfreundliche Orte des Unverlorenen geben.
Oder auch umgekehrt.- Unter den Maßgeblichen im Universum muss
es doch noch ein paar verständige Leute geben.

Das Ideal ist, ganz durchlässig zu werden. Aber es geht immer ein
Strich durch die Rechnung. Wie ein Storch durch den Salat. Aber der
Salat ist vielleicht einer idealen Durchlässigkeit näher. - Das ist ohne
Ironie gesagt, glaubt mir das bitte. - Gedanken sind kaum mehr als
Häkeldecken des Elends. Wenigstens seit man häkelt. Man kann sich
nicht mehr vorstellen, wie die Welt davor war.

Etwas von der Art eines Wattestäbchen, in den (elektrischen) Strom
der Einsamkeit eingefutteralisiert. - Versteht das einer? -

CCXVIII
Wenn es sich herausstellt, dass es das, worum es einem immer ge-
gangen ist, doch nicht war, ist das ziemlich unangenehm, wenn nicht
gar peinlich. - Z: Also normal. Ganz normal. -

Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder etc. - Gemeint ist: Wenn ihr nicht
auf einem Waldboden springt, um zu prüfen, ob er hält. - Wenn ihr
nicht auf der Schaukel die Augen schließt, um zu prüfen, ob der
Schwung nicht aufhört. - Wenn ihr nicht ganz fest mit eurem Bleistift
auf das Papier drückt, um zu prüfen, ob die Mine nicht doch bricht. -
Wenn ihr, nur Kinder können das, das Elend nicht willkommen heißt,
um zu prüfen, ob es nicht doch eines schlechten Gewissens fähig ist.

Wir schaffen Dinge, die versagen, um zu bezeugen. - Oder bezeugen
sie nur unser Versagen? – Z: Echt schwierige Frage.
















And what if all of animated nature
Be but organic Harps diversely framed,
That tremble into thought, as o’er them sweeps
Plastic and vast, one intellectual breeze, -

(Coleridge)

CCXIX
等式 equation, oder Übers Gewicht



Here let me pause.—These transient facts,
These fugitive impressions,
Must be transformed by mental acts,
To permanent possessions.

Then summon up your grasp of mind,
Your fancy scientific,
Till sights and sounds with thought combined,
Become of truth prolific.

James Clerk Maxwell



“Hier ist wieder ein Schritt nötig ähnlich dem der Relativitätstheo-
rie.“ (Wittgenstein)

Mosaïques d'air. Le côté audible de la pensée: Mosaike aus Luft. Die
hörbare Seite der Gedanken. Eingeborene Bedeutung, stückweise he-
rausgebrochen. Und in einen Raum (chambre oder espace? – Das wür-
de auch ich gerne wissen) versetzt.

L'amour et l'abysse (trad.), übers Liebhaben. Predigtskizze IV - Wenn
dich jemand anspricht, vertraut er wahrscheinlich auf deine Existenz.
Anders könnte er dir nicht unterstellen, dass du möglicherweise hö-
ren und angesprochen werden kannst, also ein Mensch in einem
engeren, fast heiderggerischen, Sinne bist. Solange er dich nur an-
schaut, ist es ganz anders. Daher ist die so genannte Liebe auf den er-
sten Blick offensichtlich so unausweichlich, weil sie sich auf ver-
heerend wenige Informationen stützt. Und sich mit Lust und Vehe-
menz in den Abgrund des Unwissens stürzt. Verlieben kannst du dich,
um genau zu sein, umso leichter, je weniger du weißt oder auch wis-
sen willst. (Z: Ist denn das Nichtwissenwollen hier nicht sogar die
wichtigste, im Grunde notwendige Voraussetzung und Bedingung?)
CCXX
Vor allem, wenn es sich um Ideen und Überzeugungen handelt. An-
scheinend kann man Überzeugungen und Ideen nur lieben und haben,
wenn man (darüber) wirklich nichts weiß. - Z: Darin liegt ja eben ge-
nau das Verheerende. Das sich freilich nicht sofort zeigt. 34

Y: Das führt ja doch zu nichts. - X: Sag das mal nicht! Wir kommen
schon noch an. - Z: Bei unseren Führungskräften! -–

Dass sich das Sein, hat er heute schon wieder gesagt, sich uns so un-
willig, ja widerwillig hingebe, das könne er nicht verstehen. Über-
haupt wäre das ja ein Verstehen, dem er sich bis zuletzt und darüber
hinaus widersetze. Es sei wie es wolle. Und noch hartnäckiger als ein
Motiv bei Philip Glass.

Vor der Schöpfung in die Knie zu gehen, das wäre ja, wie vor sich
selbst zu versagen.

Das Halbwache ist der Schlaf, der sich zur Flucht rüstet.

Grenzwertigkeit, ein vielversprechender Begriff. Die Seele breitet sich
aus auf einem gewaltigen Rollrasen und fühlt sich wohl. Das Dasein
atmet sowas von anerkannt auf, dass sich niemand, auch in Notwehr,
traut, noch mehr zu verlangen. – Z: Was ist ein Augenblick erpresster
Ewigkeit schon dagegen –



Wie viele es sich zutrauen, Verfall datieren zu können.

34
Z: C'est exactement là que réside le problème dévastateur. Cela ne se montre pas tout de suite. -

CCXXI
Gedankenhimmelsleiter. Eine Neuaufnahme. Predigtskizze V. - Aus
einem Programmheft. - Geschichte einer Spaßkarriere. Auch Stufen-
leiter einer Formvollendung. Abschluss und Abschuss auf einem Halb-
schluss. Eine Semisynkope, falls es so etwas gibt. Mit Weltpatent. Zu-
fällig, auffällig, hinfällig, fällig.35



Cauchemar (oder Selbstverteidigung und Resümee eines Pensioni-
sten): Ich habe die Landschaft ja lange genug verunsichert. Und den-
noch keine Schutzweste in Anspruch genommen. Um ihn nicht zu
wecken, habe ich nach keinem Hahn gekräht. Die verunsicherte Land-
schaft blieb im Nebel liegen. Eine begabte Hand zieht da aus den Wol-
ken Bartspitzen und lässt auch sie auf halbem Wege vollendet zurück.
Tote nackte Riesen treiben auf einem großen milchigen Strom. Hyper-
trophe Stiere aus Anime-Filmen traben dazwischen und hindurch und
vorbei. Mit Paukenschlägen in ihre Flanken. Die Zerlumpten unter
den immerhin noch lebendigen Riesen treffen sich auf einer kahlen
Lichtung im Dschungel (seltsames Wort) und springen, zum Kreis for-
miert, auf der Stelle. Aber was sie brüllen, verstehen wir nicht. Sie
warten auf etwas, wovor sie sich fürchten, und rufen es herzhaft her-
bei, sagt ein Neuer, der grade seinen Mantel aufhängt. Ich sollte es
nicht sagen, weil es allzu blödsinnig ist, aber der Anstand gebietet es
mir: Jetzt reißt doch tatsächlich der Nebel über der verunsicherten
35
- aléatoire, visible, caduc, dû -

CCXXII
Landschaft auf, und eine Gruppe von Alphornbläsern wird mit Getose
sichtbar. - Z: Es fehlt nur noch das Wort Apotheose, nicht wahr! - (Der
Pensionist wacht gar nicht schweißgebadet auf.)

A: Psychogeographie, endloses mäanderndes mind wandering auf der
Suche nach dem Entstehungsgeheimnis seiner selbst. – O: Du scheinst
zu wissen, wie weit du nach dir ausholen musst. Du scheinst zugleich
aber nicht zu wissen, dass du nicht so weit reichst und reichen kannst.

„Man ersetzt jedenfalls oft die erste Form durch die zweite und gibt
dieser dann oft eine besondere Intonation.“ (Wittgenstein)

Jede Stelle einer Seite kann der Ort sein, wo die Zeit verlorengegangen
ist. – Z: Zeit kann nur in einem löchrigen Medium verlorengehen.

„Wir glauben, sozusagen, dass dieses große Gebäude da ist, und nun
sehen wir einmal da ein Eckchen, einmal dort ein Eckchen.“ (Wittgen-
stein) – Das kommt daher, dass wir uns der Unendlichkeit rückversi-
chern wollen; eher noch in die Unendlichkeit rückversickern wollen.

Wenn er leidet, sagt er, tröstet ihn die Erinnerung; jeweils an die Zeit
danach. Und diese Erinnerung gäbe ihm die Kraft zu schweigen. Und
das steigere seine Geduld. Ja, mache ihn überhaupt erst dazu fähig zu
warten. Leider stellte sich nach einiger Zeit auch eine gewisse gefähr-
liche Lust am Warten ein. Sogar eine gewisse verführerische Furcht
davor, dass sich etwas plötzlich ein- und tatsächlich als etwas Erwar-
tetes vor- und herausstelle.

Die Kunst sei, sagt er, wenn du sie auf die so genannte Schöpfung rück-
beziehst, ein abgekupfertes Datum. Selbst noch in der Form einer To-
talinstallation (Kabakov). Wir sollten uns also moderat verhalten und
uns nicht so viel einbilden, sagt er, selbstkritisch. Selbst wenn wir die
ganze Welt und das, was wir dahinter vermuten, nachbildeten. Selbst
zur Freude, dem schönen Götterfunken, sei das zu wenig.

CCXXIII


Quel truc très mauvais et inévitable ! - Er: Wie sprechen gern über Pa-
radoxe, weil wir glauben erkannt zu haben, das sie am Ende eines je-
den Gedankengangs stehen müssen. Sie bedeuten für uns, sehr ein-
fach gesagt, die absolute Grenze der Erkenntnis. Wir können, das ist
eine Art überlegter wittgensteinscher Akt, unsere blutenden Gedan-
ken von ihrer messerscharfen Grenze zurückziehen. Aber das wollen
wir nicht – hierin liegt übrigens die ganze spröde oder fragile Fülle
unserer Ethik: mehr Ethik, denken wir, kann gar nicht sein – und wir
setzten uns wie Sonntagsmaler mit einer Staffelei vor die Grenze, ein
sehr entschiedenes und diffuses Ding, das vor allem die Grenze unse-
rer Gedankenwelt ist, und malen. Wir gestalten die Uneindeutigkeit
der Grenze, die wir sind, rastlos blutend neu. Mit genaueren Worten:
wir zeigen und beweisen damit die angeborene Unsichtbarkeit des
allgemeinen und des besonderen Sichtbaren. – Ich: Leider müssen wir,
solange das noch nicht begriffen wird, weiter von Paradoxen reden.
Was ein sehr schlechter und unumgänglicher Trick ist; weil er sich
endlos fortzeugt. – Er: Die Maus kreißt und gebiert Berg um Berg. –
Ich: Immerhin wissen wir zu tricksen. – Z: Après tout, nous savons
comment tromper. – Ich: So enden alle Aufträge, auch die göttlichen.

Ihr seht, was den Alltag so unerreichbar macht, ist, dass er nur um
eine Unendlichkeit entfernt ist. Aber solange ihr das ignoriert, wird er
euch unerreichbar bleiben. Langfinger seid ihr, wie mir scheint, nur
in unergiebigen Räumen.

Er: Zwischen den Sinnen gibt es Leerräume, die (wieder) urbar ge-
macht werden müssen, sagte Rilke. Das ist richtig beobachtet. Aber
man sollte sie nicht esoterisch auf- oder nachfüllen, wie Rilke es vor-
schlug. Das geht auch auf dem Boden der Tatsachen.

CCXXIV
Sich so wenig, sagte er, ins eigene Leben hineinfinden zu können, das
ist zweifellos eine Kunst, aber eben keine Lebenskunst. Dann lachte
er. – Z: Wie originell! –

Er sagte auch, er litte darunter, dass niemand seiner sicher sein könne.
– Im doppelten Sinne.

Er sagte auch, er sei sich ein Zauberspruch, für den ihm die Anwen-
dung fehle; oder die Gelegenheit ausbliebe.




Er sagte auch, das Leben ist der hochwertigste Rohstoff, mit dem wir
nichts anfangen können. Aber wir arbeiten das auf. Am edelsten als
Trauer. – Ich muss ergänzen, dass er nicht Gott dafür verantwortlich
machte. Ja, er nannte nie die Verantwortlichen.

Chr. M. Wieland hoffte, unbereut sterben zu können.

Y: Klar, die Transzendenz ist anfechtbar, antastbar ist sie aber nicht.
Die Konsequenzen (daraus) sind ersichtlich. - X: Du siehst das also so:

CCXXV
Das Zirkuspferd spannt seine Zelte immer weiter und weiter aus.
Auch, vor allem, da und dahin, wo Ort und Gelegenheit fehlen. – Z: Das
Zirkuspferd sagt auch, dass es weit mehr als einhundertsiebzehn Jah-
re alt werden wird. Aber du musst zu seiner Beerdigung kommen,
denn damit ersparst du ihn sehr viel, über das es nicht reden möchte.
– W: Das hat, sehe ich, viele Bedeutungen. Es wäre aber sinnlos, sie
alle und einzeln aufzuzählen. Denn du müsstest dich ja auch dann
immer noch entscheiden, welche davon richtig sein könnten. – Z: Aber
das schließt du ja, wohlweislich, wie man sagt, aus. – W: Sätze müssen
von der Präzision und der Disfunktion einer kafkaschen Spindel sein.

Digestion silencieuse. - Er sagte, wenn Gott auch die Erinnerung ge-
schaffen hat, dann hatte er sie sich gewiss als Strafe gedacht. Als eine
Art automatischer Strafe, die immer auf dem Fuße folgt, oder als ein
Schatten der Tat, ob sie nun gut oder böse ist. Dann hat es, ersichtlich,
in der Absicht Prousts gelegen, diese Strafe auf- und abzuarbeiten, im
Sinne einer Réparation der verlorenen Zeit. - Z: Wenn nicht gar im
Sinne einer Heilung. Oder Elimination: Man trinkt den Tee bis zur
letzten Lindenblüte aus, man verzehrt, bis zum letzten Aromapartikel,
das Gebäck. Der Rest geschieht ohne bewusste Beteiligung und ver-
schwiegen. – Dem bei einigen freilich ein veritabler Wortausbruch
folgt, eine flatternde Blutfontäne aus Worten.

Nur Schuhe, die du nicht mehr magst oder ablegen möchtest, machen
es dir einfach, zu gehen. – (Z: Peter, ich weiß, du bist in einem Schuh-
laden aufgewachsen. Das macht, du Egoist, einen erheblichen Teil
deiner Unrettbarkeit aus. - Wer hält sich denn heute noch für unrett-
bar? Warum maßt du dir an, dazuzugehören? Vielleicht war das ein-
mal der Gipfel der Verzweiflung (à la Cioran) – jetzt ist es aber der
Gipfel der Arroganz.)

Es bleibt sehr witzig, wenn ein Atheist sagt: Hol mich der Teufel! - Im
Angesicht der Weltsituation (hier: am 29. Mai 2019) sowieso, auch
wenn sich eh nichts ändert. – Wir werden ja nicht mehr dabei sein,

CCXXVI
wenn es bestätigt wird. Die Ratifizierung geschieht post festum. Ich
gebe zu, es fällt mir sehr schwer, das zu denken.

In der Tat, sagte er, ist es doch seltsam, dass mir, wenn ich von etwas
Vollkommenen reden oder schwärmen möchte, nur Bilder von An-
organischem, Kristallinem in den Sinn kommen. Organisches nur sei-
ner Nähe zum Anorganischen wegen. Bilder von Menschlichem stel-
len sich gar nicht ein. Vielleicht scheuen sie meinen Blick. – Z: Viel-
leicht aber auch nur, weil sie dir nicht fremd sind.

Zwischen Nofretete und Gesualdo. Eine Oszillation. – (I) Der Erkennt-
niswert der Bilder liegt allein in ihrer Kraft, Bilder aufzulösen; wahre
Bilder sind Säuren, Meisterinnen ihrer Selbstauflösung. Ihr Gegenteil
ist all das, was als kosmetisch gelten kann, oder kosmetisch zu sein
versucht. – Schminke zerstört die Gesichter, denen sie aufgetragen
wird, bis zur Unkenntlichkeit.

(II) Andererseits gibt es Authentizität, das wurde endlich festgestellt,
nur als ihren Schein. Authentizität hat keine Aura vera, sie hat aber
ein Aroma, das nach Aura schmeckt, den schönsten Reiz, den etwas
besitzen kann, das es nicht gibt. – Z: Vide: das leere Auge der Nofretete,
zum Beispiel. Aber auch ihr zerbrochenes Ohr.

CCXXVII
(III) Ihr Name passt da gut, nfrtjtj, ein Ereignis, das geschieht oder ge-
schehen ist: die Schöne kommt, die Schöne ist (aber woher?36) gekom-
men. Man wird nie mehr über sie wissen.

(IV) Aber wenn etwas kommt, kann es nur ein bisher Ausgebliebenes
sein. Es klemmt gleichsam mit einem Fuß oder einem Hemdszipfel
bleibend in der Transzendenz fest. Oder umklammert sie, die Trans-
zendenz, mit Verlaub, parenthetisch; herkommensanhänglich. - Zwi-
schen enharmonischem Aufstieg und Absturz. Sucht nach den Stellen!

(V) Das Leben als enharmonische Vibration. Also in einer prekären
Lage (tonal gesehen) und Situation (existenziell gesehen). Deren Auf-
lösung wäre der Tod. Die einzige Alternative, das lebendigste Leben,
ist, davon zu singen.

(VI) W: Enharmonische Vibration, zwar auch nur eine kümmerliche musi-


kalische Metapher, eine tapfere Klang-Metapher, aber sehr treffend! Wie

36
Die Wissenschaft mutmaßt heute: „aus dem Ausland“. Das sei der Sinn ihres Namens. Sollte man Nofretete dann
nicht mit die schöne Fremde/Migrantin übersetzen? Und fasziniert ihre Fremdheit denn nicht mehr als ihre Schönheit?

CCXXVIII
keine andere, die mir bekannt ist. Wenn du sein willst, musst du erst ver-
gessen, vergessen haben, was Harmonie sein könnte. – Z: Die enharmoni-
sche Vibration bleibt dir dann als einziges Hör-Bild möglicher Versöh-
nung, Goldglanz des Prekären (das halten sie alle natürlich wieder für
einen unverzeihlichen Euphemismus). Eingerollt in die feine Panade der
Dissonanz. – Z: Auch das noch! –
Mercè!, grido piangendo,
ma chi m'ascolta?
Ahi lasso, io vengo meno.
Morrò dunque tacendo.
Deh, per pietade! Almeno,
o del mio cor tesoro,
potessi dirti pria
ch'io mora: Io moro.

Die Übersetzung ist das Modell einer jeden Disziplinierungsmaßnahme;


aber nur, insofern sie alles betrifft. Anders gesagt: Übersetzung hebt aus
den Angeln, alles hebt sie aus den Angeln. Wohlgemerkt: als Modell. Die
Übersetzung aus einer Sprache in eine andere ist hier nur mitgemeint. Aber
doch auch ein repräsentativer Sonderfall.

Die Leute täuschen sich sehr. Sie brauchten Zeiten der An- und Verspan-
nung. – Z: Wenn sie glücklich und kreativ sein wollen?

CCXXIX
Predigtskizze VI - Worte wie Balsam oder Was uns an die Welt kettet. -
Psychische Grunderkrankung: Wunderbares Wort. Geradewegs aus der
Praxis. Überaktivität des Angstzentrums, wie gut auch das klingt! Und
Korrektur der Grundbefürchtungen als Therapieziel (vor allem bei Agora-
phobie) ist eine von Grund auf schöne philosophische Idee, etc.

Wenn sich (etwa in einer denkenden Seele37) Gedanken begegnen, ist es,
aus der Nähe gesehen, wie wenn Kontinentalplatten miteinander kollidie-
ren. – Z: Darf ich, oder muss mir das also als eine horizontale Konfron-
tation vorstellen? Das würde die Aussichten verringern. -

Hölzernes Glachter. „Das Sakrale kondensiert gewissermaßen an der


Grenze.“ (Luhmann) – Man sollte doch einfach sagen, dass der kritische
Diskurs um alle denkbaren Formen von Mimesis und ihrer Möglichkeiten
von einer Auto-Poetik der Erlösung abgelöst zu werden trachtet und wartet.
Diese ist ja auch schon lange auf dem Weg, aber viel zu nobel, ver-
halten und respektvoll. Lauter Zeichen einer fernen und hohen Her-
kunft.

Exécution comme interprétation. - Aber die Welt, wie es scheint, duldet
nur dass in die Welt gehört, was von dieser Welt ist. Auch im Bild ihres
Anderen muss sie sich nur selbst erkennen. – Z: Sie hält es für Freiheit,
all das zu leugnen, dem sie sich verdankt. Und hat das Leugnen als die
bequemste Methode erkannt und etabliert. Als bedeute Atmen nur,
den Lebenshauch weit von sich weg zu pusten. Als wäre es Zigaret-
tenrauch und -qualm.

Du bist kindisch sagt er, du kämpfst wie ein Krieger außer Dienst um
Gedanken, die dir von einem Felsenrand, wenn nicht gar in so ge-
nannte reißende Bergbäche aus der Hand geglitten sind. Und du
greifst endlos nach der Stelle, von wo sie wegtrieben und verschwan-
den. – Was, frage ich, was kann ein Kind gegen sich?

37
Oder gar einer durch Denken obendrein noch schönen Seele.

CCXXX
Bei Melancholikern verwandelt sich der Selbstbezug zur Selbstver-
stopfung durch Fremdbezug. Warum ist das so? Es muss so sein,
könnte aber auch anders so sein. - Lacan sagt (diesmal wieder aus
dem Off): Er könnte doch dem Herrensignifikanten anders unter-
liegen oder ihn anders parieren. Zum Beispiel rückwärts über die
Barre springen. Und im Sprung sich wie auf einer Aussichtsplattform
fühlen. Oder wie vor der Glastheke einer traditionellen Gemischtwa-
renhandlung. Aber am besten ist es, er tut so als hätte er (im Sprung
in nicht weniger als die Leere) ein Los gezogen und glaubt, er hätte
die freie Auswahl. Aber ist das nicht das Modell einer jeden Therapie?
– Z: Eigentlich doch das Modell einer jeden jeweils künftigen Hand-
lung.

Befreiungsschlag I: Orgie (sauvage) limitée de gratitude. - Schicke dei-
nen Feinden und Peinigern, auch denen, die du nur dafür hältst, Blu-
mensträuße oder -gestecke mit dem Vermerk: Danke für all das Gute,
das ihr mir angetan habt! – Aber lass sie bitte nicht auch noch all das
Gute wissen, das sie dir angetan haben. – Z: Das ergibt ein Gefühl wie
ein Strandurlaub, mit all seiner Ambiguität.

Île d'observation I. - Er sah einen schönen schwarzen Vogel, der sich
an der Rinde des Baums vor seinem Fenster den Rücken rieb. Das
strengte den Vogel sehr an, wie es schien. Und verlangte von ihm ein
äußerst methodisches Flattern; mit seinen schwarzem Flügeln. Er
hatte, wie er sagt, so etwas noch nie gesehen. Er hatte auch nie da-
rüber nachgedacht, ob es möglich sei. Aber er fühlte sich dem Vogel
nah, fast wie verwandt, und war ihm dankbar.

Etwas Grundsätzliches. - Dinge, die schön wären, finden nicht statt.
Das ist seltsam. Weil die Menschen doch vorgeben, hohe Ansprüche
zu haben.

Das Seltsame ist das Unverständliche. - Z: Und du erwartest von mir
einen Kommentar?

CCXXXI
Nie, scheint es, kommt es auf den Köper an, der darunter ist; oder auf
die Sonne, gerade jetzt hinter den grauen Wolken.

Endloses und lineares Aufsummieren ohne Summe. Nur mit der Ab-
sicht, der Unterbrechung das Gefühl zu geben, missbraucht zu werden
oder überflüssig zu sein.

Ni marteau ni high tech ! - X: Warum ist man lieber dabei, als dass man
nicht dabei ist? - Y: Du hast recht. Das ist eine Frage, die gestellt wer-
den muss. Irgendwann einmal. Aber ihre Virulenz und Chancen-
losigkeit beginnt erst, wenn sie gestellt wird. - Z: Und genau diese
Chance muss ihr ja doch - einmal, wie du sagst - gegeben werden. - Y:
Dann liegt also die einzige Chance einer Frage... - X: ...in ihrer Unbe-
antwortbarkeit. - Z: Wenn sie schön sein möchte. - Ich liebe eitle Frau-
gen. Um die Wahrheit zu sagen, was ich ja immer tu, ich liebe nur eitle
Fragen. Worin liegt denn der Reiz anderer? - Auch Nofretetes Reiz
liegt, wir sollten ihr ja gerecht werden, in der obersten skulpturalen
Schicht ihres Gesichts, unter der man, die durchleuchtende Wissen-
schaft, die Züge einer älteren Frau detektiert hat. - Y: Ach, Z! - Musst
du denn immer das letzte verunklärende Wort haben! - X: Er hat eben
noch immer eine sentimentale Beziehung zur Wahrheit. - Z: Was ich
nicht gerne zugebe, aber aus offensichtlich absichtlichem Versehen
zeige. - Mich zu durchschauen braucht es keiner Geräte.

Eben gerade, im Biergarten, fragt ein blonder Typ, kein Rapper, aber
jemand mit Brille, seine Freundin: Willst du Sonne? - Und platziert sie
unter einem Sonnenschirm. Jetzt schaut er hilflos an ihrem Gesicht
vorbei. In jede andere denkbare Richtung. Hebt ein Bier. Und krault
sich ein wenig. Am eigenen Bart. Erfolgreich.

Das Leben gewinnt seinen letzten Sinn, wenn du begreifst, dass du dir
ausfällst.

CCXXXII
Das Leben ist immer schon aus dem Rahmen der Bedeutung gefallen.
Du arbeitest, von Verzweiflung motiviert, daran es wieder einzupas-
sen, in seinen verlorenen Rahmen.

Am Maßstab des universalen Konsums gemessen. - Symptom einer End-
zeit. Lust wird immer teurer. Und einfallsloser.

Es ist immer die äußere Luft, die dich mütterlich ablenkt vom Innen38,
das ich hier nicht qualifizieren möchte. Ihr kennt ja seine Qualitäten,
sagte er - als wäre er sich seiner Sache sicher.

Une feuille de menthe fraîche et le milieu. - Alles Geschmäcklerische, an
dem sich heute alle orientieren, reißt dich weg von der Welt, der Ge-
schmack, ein Minzblatt, oder irgendeine andere Synkope auf deiner
Zunge, reißt dich mitten hinein.

Das Leben ist, wie alles, immer zu verschoben. Rettungslos vom er-
sten Augenblick an. An einem Ort, an dem es keine Rettung erreichen
kann. Die Wartezeiten sind aber verschieden lang.











38
C'est toujours l'air extérieur qui vous distrait maternellement de l'intérieur.

CCXXXIII
表現 expression
Je dis toujours la vérité:
pas toute,
parce que toute la dire,
on n’y arrive pas.
La dire toute,
c’est impossible.
matériellement:
les mots y manquent.

Lacan,
als wollte er
Wittgenstein parodieren



Poubellications. - Wenigstens das ist klar: Lacan und die Welt faszi-
nieren durch semantische Überdeterminiertheit. Und unsere Schwä-
che ist, dass wir (wo haben wir das her?) immer alles wollen. Alles
und das orthopädische Ganze. Und bleiben doch Säuglinge, die sich
endlos in einen erdachten Spiegel malen, mit kleinen spitzen Fingern,
aber ohne Farbe und Ausbildung. Wenn man bedenkt, dass der Sinn
des Symbolischen erst dahinter zu haben ist, könnte es einen fast
traurig machen. Aber nur die nicht Hereingefallenen dürfen hoffen,
wie Lacan andeutet, sich hinters Licht führen zu lassen. – Wir horchen
immer wieder auf.

Auch ich, sagt er, will Lacan eigentlich nicht glauben. Aber jeder Blick
auf die Welt führt mich zu ihm zurück. Und die, die mir meinen Glau-
ben zu nehmen versuchen, scheinen mir äußerst niederträchtige
Gründe zu haben. Jedes Mal wieder erneut.

Club Maintenant, - Der Erfolg der Existentialisten beruht tatsächlich,
sagt er, auf einem (existentell) schlimmen Missverständnis. Nämlich
dem, dass die verführerischen Exempel, die sie vorführten, die Sache
selbst seien. Aber das genau war ja nicht gemeint. Bonbons und Sex
waren auch für die Existentialisten nur attraktive Schlupflöcher ins
Sein. Aber vielleicht ist es für die Nachgeborenen, Meister/innen der

CCXXXIV
Ranküne, wirklich zu attraktiv, darin hängen zu bleiben. – Z: Eines hat
sich nicht geändert: zu wählen bedeutet zu erfinden. Die Freiheit,
mein lieber Sartre, kann in alle Ewigkeit nur erfunden werden.

Jeder Beginn beginnt als Störung. Auch das ist klar. Aber ist, fragt er,
dieser Satz auch wirklich umkehrbar? Und beginnt mit jeder Störung
ein neuer Anfang? Ich, sagt er, bezweifle das.

Er sagte mir: Es sei dir unbenommen. Aber was er mir damit sagen
wollte, das sagte er nicht. Auch nicht, wie er es erreichen wollte. Das
ist bedauerlich. Ich hätte es gerne von ihm gelernt.

Y: Das Fühlen ist unter den Unterarten des Denkens die Fragwürdig-
ste. – Z: Tu as raison. Le sentiment est la plus discutable parmi les sous-
espèces de la pensée.

Im Grunde ist vor allem die Frage, wie etwas möglich wird oder was
das Mögliche ermöglicht, sagt er noch, schlichtweg unbeantwortet,
vielleicht nicht einmal angedacht.

Gegen das Leben kannst du nichts ins Feld führen. Sein Ehrgeiz ist,
sich selbst zu widerlegen.

Phantasie, schreibt Husserl, sei auf ihre Weise entrückt. Weil sie auf
eine eigene Weise vergegenwärtigt. Gleichsam als Vollzug eines
Nichtgegenwärtigen. Ein Bildbewusstsein als Inaktualitätsbewusst-
sein.

Das Bild ist die Hülle des Nichtgegenwärtigen; und Schutzhülle des
Unsichtbaren.

Der Gegenbegriff von Darstellung sollte immer Vollzug sein.

CCXXXV
Habe mir heute von meinem Computer einen Text über Husserl vor-
lesen lassen. Die künstliche kluge Stimme las, ich liebe sie dafür, im-
mer Absenke statt des französischen absence.

Vielleicht war die einzige wirklich treibende Idee unseres Messias: Ich
möchte nicht zu spät kommen. - Es scheint, leider, dass ihm diese Idee
nicht rechtzeitig kam. Oder erreicht hat. Aber das konnte er wirklich
nicht wissen. Sein Vater hätte es ihm sagen müssen. Zur rechten Zeit.
Aber das war vielleicht sogar ihm nicht möglich. Was kümmert ihn die
Zeit!

Volltönendes Schweigen, das Ideal. Die Leere, das Unentwegte, das
sich Raum schafft.

Das Elend des Glücks ist seine Nacktheit. Umgekehrt gilt das zwar
auch. Das erkläre ich hier nicht weiter.

Den Göttern bleibt, beim jetzigen Stand der Dinge, nichts übrig als zu
helfen. Aber sie tun es nicht.

Alle Löcher werden immer größer. Trotzdem wird der Himmel das
größte (Loch) bleiben.

Das, sagt er, das dich überlebt, ist nicht das Bessere. Es überlebt dich
nur, weil es die Sperrstunde ignoriert.

Es gibt, sagt er, Momente wirklich tiefer Erkenntnis. Das sind die Mo-
mente, in denen du so einsam bist, dass dir das Überleben keine Op-
tion ist. - Z: Eigentlich ein Jammer. Aber auch eine Rechtfertigung.

Das Absolute bleibt. Ob es dir ein Trost ist. Oder sein Gegenteil. Du
liegst unter der Brücke. Und jubilierst. Wie ein Embryo. (Wenn stram–
peln auch jubilieren bedeutet.)

CCXXXVI
Du könntest auch sagen: Was für ein Glück, aus seinem Zustand nicht
herausfinden zu können! So bleiben wir den Göttern nahe. Zu ihrem
Pech. Und jetzt haben wir alles an sie delegiert.

Die Zukunft der Hermeneutik. Das Traurige ist nicht aufzuhalten. Das
Universum endet zahnlos.

Man sollte überall seine Seele ablegen können. - Aber wer erträgt das?

Das Bequeme ist das Maßgebliche aller Orte.

Das Herz, was ist das? - Jedenfalls immer das, was nicht weiter weiß;
seit Proust. - Z: Mindestens. -

Man muss und kann die Sprachlosigkeit nur für sich selber sprechen
lassen. Immerhin, sagt Z, ist das so.

Keine Glocke klingt ding-dong. Aber wir hören es so. Und schreiben es
so auf.

Leben ist Befangenheit. Ein merkwürdiges Zusammenspiel der Rich-
tungen. Der Versuch zu begreifen misslingt. Aber du fühlst dich um-
griffen. - Warum habe ich diesen Gedanke: Wo kommst du her? - Er
ist eine fremde Ladung. Er ist unumgänglich. Eindringlich. Antastbare
Fremdheit. Dein eigener Kern. Ein Staubmeteor. Du bist sein unent-
wegter Einschlag. Die eine Haut zweier Unbestimmtheiten. Irdisches
Walzwerk; für Himmelsfolien. Eingetütete Transsubstanz. – Z: Da
haben wir’s! Seine tollsten Worte äußert er so, als würde er Drops in
eine Papiertüte zählen. Wie er es in seiner Kindheit noch an den Kios-
ken erlebt hat. Aber häufiger mit Gummibärchen.

Ein Randstein ist ein Januskopf ohne Augen. Ein Kopfstein eigener Art.

Wirklich disponibel ist wohl nur die und der, für die und den nichts
mehr zur Disposition steht.
CCXXXVII

Der Stachel des Tods, nach dem der 15. Korintherbrief fahndet, heißt
in der Vulgata: stimulus: ubi est mors stimulus tuus. Das gefällt mir.

Vielleicht ist es ja tatsächlich ein Vorteil, versagt zu haben. Und nicht
gerade noch dabei zu sein, zu versagen.

Rechtfertigung, auch so ein seltsames Wort. Es spielt offensichtlich
darauf an, dass Rechtfertigung nur funktioniert, wenn schon alles vor-
bei ist.

Es sind die Dinge, die klappern. Sie hängen vom ersten Augenblick an
zu locker, viel zu locker, im Gefüge der Welt.

Es müsste genügen zu sagen, dass es keine Lösung gibt. Aber sie er-
warten, dass du es überzeugend darstellst.

Eines Tages hätte Wittgenstein gesagt, auch Fragen wie Gibt es das Lä-
cheln? und Gibt es das Unendliche? unterscheiden sich nur so vonei-
nander, wie alle Fragen sich voneinander unterscheiden. Und nicht
anders.

Die hermeneutische Distanz zwischen beständig und zuständig lässt
sich kaum Ermessen. Ähnlich verhält es sich mit Zuzug und Bezug.
Auch mit Distanz und Brisanz.

Der Sinn des Unglück-Seligen. - Wittgenstein hätte auch auf die Idee
kommen können, dass das Denken all das überwinden müsste, was es
voraussetzt. Doch das ist, gottgegeben, nicht möglich. Das Denken ist
die Welt und es ist Atlas. Es trägt sich als das absolut Unerträgliche. -
Die Seligkeit der Unglücklichen.

Das Denken scheint es nur zu geben, um uns, sagt er, den Kelch des
Unerkennbaren bis zur Neige auszutrinken zu zwingen. Das einzige
Gefühl, das dieses Zwangs würdig ist, ist der Schauder. Ein seltsamer
CCXXXVIII
Kreislauf. Das Denken. Das könnte der Sinn von Bachs Kunst der Fuge
sein. – Vorübergehend.

Gerade Vorläufer agieren immer draußen, in einem speziellen Außer-
halb.

Alles, was du zum Überleben tun musst, gehört nicht zum Leben. Das
eigentliche Leben ist das Surplus, das aus dem Denken stammt. Ein
Geschenk an das Leben. Das Urbild eines Geschenks. Das Leben ist
und erweist aber nicht immer dankbar.

Der Augenblick, sagt er, in dem du dir sagst: Ich habe die Versprechen,
die ich mir gegeben habe, nicht gehalten! beweist, immerhin, dass es
Erkenntnis gibt.

Was Kinder, noch immer, lernen, wenn sie an einem Brunnen spielen,
das ist, wie schwer das Wasser doch ist. Und wie es klatscht, wenn du
den mit dem schweren Wasser gefüllten Beutel auf das Pflaster
schleuderst. Und dass die Mütter das nicht gerne sehen.

Es geht nicht darum, zu wissen, wer man ist. Es ist wichtiger zu wissen,
in welchem Maße man es nicht ist. Bist du doch genau das Maß, in dem
zu Dich von Dir unterscheidest. - Z: Das ist nun wirklich nicht neu,
aber liebenswert gefällig und verdaulich formuliert.

Ich sehe die Welt ja gar nicht so verächtlich, wie sie ist, sagt er, aber
wenn ich lese, dass bei einer Müllaktion auf dem Mount Everest vier
Leichen gefunden wurden, scheint mir die Schöpfung doch grenz-
wertig zu sein, ja, grenzwertig, wie ihr so gerne sagt.

Eine Synkope zieht und lässt stehen. Sie zieht uns ins Himmelreich
und lässt und im Regen stehen. Ein kleines Wunderbares muss eine
Synkope ja haben. Darauf bestehen wir. Auf unserem Rest von Stolz.
Und unserem Anspruch an eine Synkope. Wir sind da eigen.

CCXXXIX
Ohr- und Seelenraub. - Musiker? – Wir müssen ihnen dafür dankbar
sein, dass wir ihnen alles rauben dürfen. Für den Zwang, dem sie uns
ausliefern, können wir aber nichts. Aber vielleicht ist es ein bisschen
traurig, dass wir mehr haben von dem, was sie tun, als sie selbst.

Lacan für Dummies. - Wir sind Formen unseres Beschädigtseins.

Es gibt nichts Formgebenderes als das Sinnlose. Wir erfahren das fort-
während.

Den Zustand zu verbessern, indem man ihn misskennt, ist nicht ziel-
führend, aber ermunternd üblich.

Wo verbirgt sich das absolute Pferd, auf das man noch setzen könnte,
auf das man auch noch setzen möchte? - Z: Auf das man sich noch se-
tzen wollte?

Du erreichst das Ziel nie. Du kannst nur üben, es nicht zu verfehlen.
Und dich über Etappenziele nicht zu täuschen.

Jede echte Fata Morgana ist nur eine gesteigerte Attrappe.

Mein Rat an mich selbst: Mach aus deiner Ratlosigkeit einen Fetisch.
Deinen einzigen.

Beweis äußerster Alienation: seine psychische Unkontrolliertheit de-
monstrativ und marktschreierisch als Kontrolliertheit zu verkaufen.

Beschwer dich nicht, sonst wirst du dir noch zu schwer.

Wer auf den Lauf der Dinge baut, vertraut sich einer mittlerweile zu
gezähmten Dialektik an.

Diogenes von Sinope, heißt es, sagt er, liebte alle, die es dann doch
nicht machten.
CCXL
Quintakkorde, sagt er, empfinde ich als Verliese; und verstehe deshalb
auch nicht so recht, weshalb sie im Jazz auch power chords genannt
werden. Sind sie doch, musikalisch gesehen, durch einen Mangel cha-
rakterisiert, der auch Geschlechtslosigkeit genannt wird: den Mangel
an einer kleinen oder einer großen Terz, die sie einem Geschlecht zu-
ordnen würden.

Y: Hast du schon einmal jemanden gesehen, der seine Aussage Das ist
bedenklich! ernst nahm? – X: Oder auch nur ernst zu nehmen versu-
chte? – Z: Mir scheint, die Leute können auch das, was sie selbst sagen,
nicht mehr wörtlich nehmen. Und das ist immer ein dead end.

Magie & Placebo. - Y: Es ist bekannt, dass die Magie unmotivierte Ef-
fekte und Reaktionen bewirken und hervorrufen kann. - X: Das muss
man sich genau überlegen: nicht in ihren Effekten, sondern in ihrer
Unmotiviertheit liegt ihr Zauber. Der Zauber imitiert die Motivation
nicht, er ersetzt sie. - Y: Die eigentliche Tragik eines Liebestranks, zum
Beispiel, liegt in seiner Absurdität. In der Wirkung ohne Ursache. - X:
Er ist und schmeckt fad; wie ein unverdientes Glück. Glück kann nicht
zufliegen. Tristan und Isolde sterben an der Fadheit von Brangänes
Trick. –

Z: Sagen wir, im Deutschen etwa, deshalb: das ist doch geschenkt! - Y:
Die traditionelle Kritik an der Rhetorik hat hier ihren Ursprung. Das
Lügen hat man ihr verziehen, ihre ursachenlose Wirkkraft aber nicht.
- X: Lügen haben eine Art Substanz, Effekten aber, die ohne Anstren-
gung oder auch nur ohne Arbeit erreicht werden, versagen wir unsere
Anerkennung. - Z: Auch wenn wir davon träumen, dieses Verfahren -
spielend - zu beherrschen.

X: Bei Gorgias ist es, anscheinend, einfach der Rhythmus, der ja so
einfach, wie wir wissen, nun auch wieder nicht ist, dem die Sprache
ihre Magie verdankt. - Y: Aber dann wäre Magie, letztendlich, nur der
Effekt eines auf eine bestimmte Weise geordneten Klopfens oder
Stampfens. - Z: Also des Takts?
CCXLI
Einmal soll Sokrates zu seinem Dämon gesagt haben: Nimm wenig-
stens die Hand aus der Tasche! - Z: - Und: Sonst geh ich dir nicht aus
der Sonne. -

Fehlleistungen sind gut, wenn sie genial sind.

Alles, sagt er, geht in diesen Augenblicken auf, denen keiner angehört,
in denen es regnet, auch mal blitzt, oder auch nichts geschieht; das
heißt, sagt er, ich will ja genau sein, vordergründig schon, ein wenig
Welt scheint immer zu geschehen und danach zu schreien, genossen
zu werden. Und immer sind Freiwillige da. Scheiß egal! sagt einer von
den Freiwilligen. Und das bleibt dann doch in der Luft stehen. Aber
alle sind zu erfolgreich von dem Moment absorbiert, der sie zu sein
glauben, von dem sie besessen zu sein glauben. Du kannst dein smart
phone zücken und den Lärm dokumentieren. Ein liebenswerter Akt,
der dir aber weder Freude noch Freunde macht. Wie auch? - Der Kork-
Maniac Proust wusste das.

Man könnte sich verweigern. Zum eigenen Schaden. Das wäre wenig-
stens ein Gewinn. Ohne die Hilfeleistung einer mehrtausendjährigen
Geschichte.

Warum, sagt er, wird es das Jüngste Gericht doch geben? Wollt ihr das
wissen? - Damit dem kleinen alltäglichen Gekröse, das sich so unend-
lich aufbläht, endlich einmal die Nase abgeschnitten wird. - Das ist,
sagt er, schon alles. – Z: Lustige Vorstellung, dass beim Letzten Gericht
die ganze Masse aller wiederauferstandenen Menschen in der Gestalt
Pinocchios, jeder mit einer hochverdienten überlangen spitzen Nase,
in Reih und Glied vor dem Weltenrichter aufgestellt dastehen und, aus
Platzmangel, nicht wissen, wohin mit ihren bouts pointus du nez – und
sich gegenseitig, noch vor dem Urteilsspruch, ordentlich malträtieren.

Was sich über die Wirklichkeit sagen lässt, ist, dass sie immer zu wenig
ist. – Daher fällt die Aussage des Thomas von Aquin, dass selbst Gott
Geschehenes nicht ungeschehen machen könne, nicht bedeutend ins
CCXLII
Gewicht. – Z: Aber auch Benjamins Überzeugung, dass nichts Gesche-
henes verloren gehen könne, fehlt jetzt, scheint mir, Charme und
Tröstlichkeit.

Z: Seltsam, dass das Bild des Netzes bei den Menschen so positiv kon-
notiert zu sein scheint. In einem Netz ist man in der Regel doch ge-
fangen, oder hängt darin fest; mehr oder weniger verloren.

Ich habe, sagte er, das Wort schönreden nie gemocht. Vielleicht weil
ich es nicht verstanden habe. Aber vielleicht bedeutet es ja so etwas
wie verklären. In dem Sinne, in dem Augustinus über den eucharisti-
schen Leib am Kreuz sagt: pendebat in cruce deformis, sed deformitas
illius pulchritudo nostra erat.

Die Leute glauben, dass Egozentrizität etwas mit der Qualität des Ich
zu tun habe. (Dosenlachen)

Gott hatte gesagt: Macht euch die Welt untertan! – Aber sie haben sich
Gott untertan gemacht. Das wird er ihnen nicht verzeihen.

Einsamkeit ist ein universale und hat nichts mit einer besonderen
Befindlichkeit zu tun.

Zweifellos funktionieren wir unter unserem Niveau. Aber was ist zu
wollen noch sinnvoll?

Es hat den Anschein, dass über deinem Denken das Motto Das muss
erst noch gehegelt werden! steht.

Das Schlimmste an der Gegenwart ist, dass sie das Vergangene nicht
bereinigt. Und das Verfehlte nicht wirklich ratifiziert.




CCXLIII
Seitdem die Metaphysik ausgefallen ist, ist das menschliche Leben -
und Denken - zwar noch zwingend, aber eigentlich nicht mehr inte-
ressant. Was bringt es uns, die Feinmechanik der Natur bis ins Aller-
kleinste zu verstehen. Das Verständnis des Allerkleinsten hilft nicht
einmal der dümmsten Seele.

Noch immer duftet es, auch in großen Städten, hier und da, nach Lin-
denblüten, und Frauen radeln vorbei, die bereit sind, Männerphan-
tasien ins Unendliche zu zerren. - Alles scheint noch zu beruhen. - Auf
was, das weiß aber keiner mehr.

Und noch einmal: Es geht immer nur um das Verzehren von Begehren,
um einem Neuen Platz zu machen. Schon bevor der Kapitalismus er-
funden wurde; und bevor er unterging.

Was jetzt ist, ist die Fetzenwirtschaft des Untergangs. Wovon der Ka-
pitalismus besonders schwärmt, wenn er wieder aufgewärmt. Der
Weltuntergang hat die Wärme des Urschleims. High tech, solange der
Strom mitmacht und sich aus der Luft greift. Weltgeschichte als prac-
tical joke.















CCXLIV
操作 operation







Any token may be taken,
therefore,
to be an instruction
for the operation
for an intention
and may itself be given
a name

cross

to indicate
what the intention is.


Spencer-Brown












CCXLV
Wenn Amöben sich solidarisieren, hält kein Universum stand.

Auto-Eugenik. Die Welt ist eine Zwergenwelt geworden, weil auch die,
die keine Zwerge sind, sich wie Zwerge zu optimieren versuchen.

Leben: der Versuch, Existenzmomente anzusammeln, solange die Ge-
sellschaft nicht dazwischenfährt, oder wenn sie gerade einmal nicht
dazwischenfährt.

Die Erkenntnis, dass du nicht mitmachen wolltest, ist um Dimensio-
nen grauenhafter als die, dass du nicht mitmachen konntest.

Das Bild unserer Weltzeit. Die Jagd. Auf das tote Kaninchen.

Er trägt es mit Würde. – Ein Satz, der so unsinnig ist wie: Er trägt seine
Ohren mit Würde. Oder gar: Ich trage mich mit Würde. – Z: Manche
behaupten ja, sich mit Gedanken zu tragen. -

Es ist tatsächlich ein bedeutender Grund zu Sorge, wenn plötzlich kei-
ne Wunder mehr geschehen.

Ich bewundere Menschen, die mit 80, 85, 90 Jahren mit einem ge-
wissen Humor, wenn nicht gar lachend, davon erzählen können, wie
sie als Kinder vor ihrer Familie ihre Seele, oder wenigstens die Haut
ihrer Seele gerettet und die anderen bleibenden Schäden integriert
haben.

Alles andere wäre gelogen. - Kannst du dir einen verlogeneren und
dümmerem Satz vorstellen?

Vielleicht genügt es, möglichst viele Gesten 1. kennengelernt, 2. aus-
geübt und 3. verworfen zu haben, um von einem gelungenen Leben
sprechen zu können.

Hand vor’s Herz!
CCXLVI
Ich hinge gerne mit mir zusammen oder würde mir gerne auflauern;
oder auch gerne beim Selbstgespräch zuhören.

Gibt es eine geschlechtsneutrale Variante zum markanten Kein Hahn
kräht mehr danach?

Er sagt: Gerade die, die sich dem Leben nicht stellen, nennt man Le-
benskünstler. Man erkennt sie an ihrem Outfit und ihren Körperspra-
chstörungen.

Umwerfende Vorstellung: Auch all die vielen Cyborgs beim letzten
Gericht. - Was werden sie mit denen anfangen? –

Die Welt ist eine Installation, die ihre Absicht nicht verbirgt. Daher ist
sie so undurchschaubar.

„Ich hasse nicht, ich bin nur kritisch.“ (München, 27. Juni 2019, 17h,
gehört am Rotkreuzplatz)

Wie simuliert man Autopoesis? Frage an die Transhumanisten.

Ich denke geschwinder als das Licht. Meine Gedanken bleiben auf der
Stelle, die ihre Strecke ist.

Der Tag ist nur dazu da, das Wandern der Sonne zu beobachten. Aber
der Mond ist nicht die Sonne der Nacht.

Ein Gespräch erreicht seinen Höhepunkt wenn einer zur anderen
oder umgekehrt sagt: Jetzt bleib doch mal bei der Wahrheit! oder: Wa-
rum kann man das nicht einmal thematisieren?! -

Sagt der eine Gott (Monotheist) zum anderen (auch Monotheist): Ich
beschneide aber anders. (Hier endet das erste Halbjahr 2019)


CCXLVII
(Hier beginnt das zweite Halbjahr 2019) - Wollte Ludwig II ein ewig
Rätsel bleiben, weil er sich selbst nicht verstand, und es den anderen
nicht gönnte, ihn zu verstehen?

Er wollte sich selbst in Versuchung führen. Es gelang ihm aber nicht.

Die Menschheit hat den Tod Gottes akzeptiert, ohne Beweise dafür zu
haben. - Z: Eigentlich ist das untypisch für Leute, die behaupten, Ra-
tionalisten zu sein.

Sie verzichten ja auch darauf, sich ein Bild von der Zukunft zu machen,
auf die sie „mit aller Gewalt“ hinarbeiten. - Z: In gewisser Weise sind
sie wie Schachspieler, die hoffen, dass ihre Züge falsch sind. Sie ahnen,
dass die Züge, die sie für zielführend halten, nicht richtig sein dürfen,
um an ein Ziel zu führen.

Hoffnung ist ja nichts anderes als das Vertrauen darauf, dass das ei-
gene Verhalten irgendwie trotzdem zu dem hinführt, was man inten-
diert. Die wird freilich meistens enttäuscht.

Vielleicht bleiben weltrettende Ideen zurzeit in einem so hohen Maße
aus, weil die, die sie haben könnten, vom erreichten status quo so
angeekelt sind. - Einer, der die Biotechnologien und ihre Optimie-
rungsutopien durchaus noch für eine Chance hält, sagte mir: Um da
noch helfen zu wollen, musst du krank und meschugge sein!

Erdbeeren mit Chili. - Die Frage ist, wie viele der vielen Millionen ei-
nes, jüngsten Tages, in das endzeitliche Bio-Technotop eingelassen
werden. Das Heulen und Zähneknirschen draußen, wenigstens das
wissen wir, wird die Lustschreie drinnen um ein Neunfaches über-
tönen.

Das Leben ist effektiv nichts als die Zeit, die uns gegeben ist, um ar-
beitend, versagend, nichts tuend, bemüht oder mit rotem Kopf über
den Tod nachzudenken.
CCXLVIII

Wie wenn einem ein Schirm nachgetragen wird, der einem nicht ge-
hört. - Das rührt dich und du bedankst dich mit einer asiatischen Geste,
die gar nicht passt oder stimmt.

Die Grundfrage: Ist es so, dann wann und wo?

Gelenkter Automatismus. - Die Hände dessen, den manche Schöpfer
nennen, die Hände des Künstlers.

Medizinstudentin am Nachbartisch: Herzinfarkt find ich arschinte-
ressant, total cool, kein Scheiß, echt! - - Z: Der Herr behüte uns!

Ich denke dauernd und denke mich immer weiter weg von der Mög-
lichkeit des Gesprächs, der Kommunikation überhaupt. - Z: Das liegt
in der Natur der Sache.

Die größte Angst ist die vor der Unauflösbarkeit der Auflösung.

Wenn du Gespenster umarmst, musst du auf Distanz achten, damit du
sie nicht zerdrückst.

Wir sind, sagt er, noch immer, limitierte Auflagen des Göttlichen

Nur Jacques Offenbach ist es gelungen, Weltsituationen auf ihre je-
weiligen definitiven Formeln zu bringen. Denkende Töne. Tönende
Geπdanken. Der Witz ist nur Zutat.

Z: La subtilité absolute en marche. Offenbach hat alle denkbaren Ge-
danken in Musik verpackt. Wenn Hegel ihn gekannt hätte, hätte er ihn
beneidet. Unendlich.




CCXLIX



































CCL



































CCLI



































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CCLIV



































CCLV



































CCLVI



































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CCLVIII


































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