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Franz Bernhard Ammann

Im Lichte der Mystik


Franz Bernhard Ammann

IM LICHTE DER MYSTIK


Eine Sammlung wahrer und tiefer Gedanken
mystischer Dichter aus Ost und West

Aurora-Verlag
Titelbild: CHRISTUS erscheint den Jüngern aus der Weltsonne.
(Fresco von Fra Angelico, Kloster San Marco, Florenz)

Gedichte von Charles Waldemar aus: Das innere Paradies


Mit freundlicher Genehmigung des Werner Classen Verlags Zürich

Erstveröffentlichung 2003

ISBN 3-9521793-1-0

© 2003 Aurora-Verlag Stäfa


Alle Rechte vorbehalten. Auszüge mit Quellenangabe gestattet.
Aurora-Verlag, Rainstrasse 12, CH-8712 Stäfa Schweiz
Druck: Optifol-Druck, Fritz Tanner, CH-8645 Jona
VORWORT:

Mystiker sind tief religiöse Menschen, die ihre Blutsee-


le durch das innere Geistesfeuer so weit geläutert ha-
ben, dass sie im Grunde ihres Herzens die bewusste
Vereinigung mit dem göttlichen LICHT erfahren. Diese
Erleuchtung wird möglich, weil die wahre, ewige
Geistseele - der Gottesfunken - als zentrales Licht-
prinzip in der Mitte des gefallenen Mikrokosmos ver-
borgen ist.

Wer seinen göttlichen Funken, der kraft seines Wesens


auf die universelle Strahlungsaufnahme des Logos ab-
gestimmt ist, zum Leben erweckt, indem er sich Ihm
aus liebender Erkenntnis ganz bewusst übergibt, be-
schreitet den Weg der Mystik. Der Gottesfunken be-
ginnt dann im Herzen aufzustrahlen, bewirkt die Ae-
therisierung des Blutes, die Läuterung der Gefühle, die
Reinigung der Gedanken, die Verfeinerung aller Sinne,
und zuletzt die Offenbarung des mystischen Christus,
als die Geburt des göttlichen LICHTES in der eigenen
Seele.

In der Vergangenheit hat es zu allen Zeiten begnadete


Menschen gegeben, die die geistige LICHT-Geburt
während ihres irdischen Lebens erfahren durften. Das
Mysterium der geistigen Wiedergeburt ist so alt wie
das Menschengeschlecht.

5
Es waren aber stets nur wenige Seelen, die durch
bewusste Selbsthingabe die geistige Wiedergeburt
erlangt haben.

Doch im Wassermannzeitalter, das bereits begon-


nen hat, werden immer mehr suchende Menschen
die Wahrheit erkennen und ihre geistige LICHT-
Geburt erringen, weil die Veränderung der kosmi-
schen Atmosphäre tiefgreifend und entscheidend
auf die Evolution der ganzen Menschheit bereits
einwirkt. Das 21. Jahrhundert wird entweder zur
wahren - mystischen Religion zurückfinden, oder
das Leben der Menschen endet in einer fortschrei-
tenden Selbstzerstörung auf Erden!

Alle Gedanken dieses Buches sind Bekenntnisse


wiedergeborener Seelen. Mögen ihre herrlichen und
sinnvollen Worte fühlende Menschen im Sein so tief
bewegen, dass auch in ihren Herzen die geistige
LICHT-Geburt Wirklichkeit werde, die einst allen
Seelen ihr wahres, unsterbliches SELBST-Bewusst-
sein schenken wird.

Franz Bernhard Ammann


Weihnachten 2002

6
Was ist Gott ?
Die wir hier kamen,
schweigen wir still.
Nennen wir nicht seinen Namen.
Bleiben wir still,
beten wir still —
Wer sagen will,
wer er ist,
muss sein,
der Er ist !

Amen.

Weihespruch der Katharer

7
Der Sinn, den man ersinnen kann,
ist nicht der ewige Sinn.
Der Name, den man nennen kann,
ist nicht der wahre Name.
Jenseits des Nennbaren
liegt der Anfang der Welt.
Diesseits des Nennbaren
liegt die Geburt der Geschöpfe.
Darum führt das Streben
nach dem Ewig-Jenseitigen,
zum Schauen der Kräfte.
Das Streben nach dem Ewig-Diesseitigen
zum Schauen der Gestalt.
Beides hat den gleichen Ursprung,
und nur verschiedene Namen.
Diese Einheit ist das grosse Geheimnis.
Und des Geheimnisses
noch tieferes Geheimnis:
Das ist die Pforte
der Offenbarung aller Kräfte.

LAO-TSE

8
In den Sinn des Seins zu dringen,
halte in dir selber Wacht.
Du selbst musst Nacht für Nacht
mit deinem Gotte ringen.
Und wenn sein erstes Sonnenlicht
durch die Nacht deiner Seele bricht,
und Er dir in dir selbst begegnet,
lasse Ihn nicht -
eh’ dass Er dich gesegnet.

Manfred Kyber

9
Wer reinen Herzens sucht, sucht nicht vergebens.
Er sucht und findet Quellen reinen Lebens,
die in der Brust des reinen Menschen springen.
Wenn er versteht zu Ihnen vorzudringen,
ist er im Land, das seine Seele liebt,
im Land, das seiner Seele Frieden gibt.
Such nach den Quellen, tief in dir vergraben,
und schöpf aus ihnen ihre heilgen Gaben.
Oh such, du findest sie, und schöpf aus ihnen
die Kraft, als Fels zu stehn und anderen zu dienen.

Ephides

10
Wo die reinen Quellen rinnen,
ist das ewige Neubeginnen.
Unsere Tage sind verloren,
wenn wir nicht wie neugeboren
alte Vorurteile lassen,
höhere Entschlüsse fassen,
neuen Weg zu Menschen finden,
enger uns mit Gott verbinden,
andre zu den Quellen führen,
bis auch sie den Aufschwung spüren
und das Wasser weiterreichen –
Solches Glück ist ohnegleichen,
eint den Himmel mit der Erde,
mit dem Schöpfungswort «Es werde» !

Ephides

11
Siehe das LEBEN,
das alles erfüllt.
Tief im Geheimnis
ist es verhüllt -.
Wer kann es fassen, wer es ergründen ?
Welche Sprache sein Wesen verkünden ?
Niemandem noch ist es vor Augen gekommen,
kein äusseres Ohr seine Stimme vernommen.
Die Seele allein nur kann es verstehn,
wenn Sehen und Hören stille stehn.

Bhagavad Gita

12
Die Finsternis begreift es nicht,
dass alles, was wir Menschen suchen
auf irdischen Bewusstseinsstufen,
zu finden ist im innern LICHT. -
Sobald wir geistig atmen lernen
aus dem göttlichen Wesenskerne,
bis Er zur strahlenden Flamme wird,
die Tag und Nacht in uns vibriert,
erfassen wir den Sinn auf Erden,
den Weg - die Wahrheit - und das Leben
im Herzen, als das tönende LICHT, -
erleben Es als ewiges ICH, -
das nicht mehr stirbt,
und nicht mehr wird,
doch immerzu -
in heiliger Ruh -
sich offenbart,
als Gegenwart
auf leibliche Art.

F.B. Ammann

13
Gott schuf den Menschen sich zum Bilde,
zum Bilde Gottes schuf Er ihn.
In flammend wunderbarer Weise
gab Er sein Herz dem Menschen hin.
Sein Feuerherz, die eine Sonne,
die alle andern Sonnen speist,
und die in heilig naher Wonne,
auch durch das Herz des Menschen kreist.

Charles Waldemar

14
Wer den Weg nach innen fand,
wer in glühendem Sichversenken
je der Weisheit Kern geahnt,
dass sein Sinn sich Gott und Welt
nur als Bild und Gleichnis wähle,
ihm wird jedes Tun und Denken
Zwiegespräch mit seiner eigenen Seele,
welche Gott und Welt enthält.

Hermann Hesse

15
Die Sonne tönt nach alter Weise
in Brudersphären Wettgesang,
und ihre vorgeschriebne Reise
vollendet sie im Donnergang.
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
wenn keiner sie erkennen mag,
die unbegreiflich hohen Werke
sind herrlich wie am ersten Tag.

J.W. Goethe

16
Wär nicht das Auge sonnenhaft,
es könnt die Sonne nicht erblicken,
läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
wie könnt’ uns Göttliches entzücken !
Lass der Sonne Glanz verschwinden,
wenn es in der Seele tagt.
Wir im eignen Herzen finden,
was die ganze Welt versagt.

J.W. Goethe

17
Es sei des Menschen Herz
der Kelch des Herrn,
darin die heil’ge Wandlung sich vollzieht.
Dem roten Lebenstrank
entsteigt der Stern
von Bethlehem, vor dessen Strahlglanz flieht,
was dunkel ist und mächtig war im Blut,
und sich verklärt zu Morgensonnenglut.

Ephides

18
Alles, was die Seele sucht,
kann sie in sich nur finden.
Es öffnet sich das Lebensbuch,
soweit sie überwindet.
Erst, wenn sie lernt zu sterben,
das heisst, sich selbst zu lassen,
und wirklich selbstlos werden,
wird sie das SELBST erfassen,
das aus sich selber strahlt
als göttlicher Flammengeist,
der allezeit und überall
sie heilend unterweist.

F.B. Ammann

19
Je weniger ich von mir,
je mehr will Gott von mir.
Er kommt aus mir hervor,
sobald ich mich verlier.
Ueber und um dich her ist Gott
und unter dir, -
fortwährend ist er tief
als Gegenwart in dir.
Fühl Gott in deinem Haupt,
den Gliedern, in der Brust.
In deinem ganzen Leib
sei Gott dir stets bewusst.
So wahr du formgestaltet,
so wahr ist Gott Person,
ein Teil des Weltengeistes
lebt in dem Körper schon.

J.F. Fink

20
Im HERZEN - Haupt und Lenden
webt in Dir Gottes Geist, -
in Füssen - wie den Händen
fühlst du den heiligen Strom.
Und wenn Gott dir erscheint
im reinsten Aether-LICHT,
schaust du in Dir den Sohn,
als ewig - wahres ICH !

F.B. Ammann

21
In dem Schoss der ewigen Rose
tönt das höchste Schöpfungslicht.
Dauernde Metamorphose
wandelt diese Rose nicht.

Ihr im Purpurkelche glühen


wunderbar die sieben Sphären.
Duftend muss ihr heilig Blühen
alle Seraphime nähren.

Myriaden Welten schweben


tief von ihrem Hauch entzückt,
denn die Rose ist das Leben,
das sich brennend selber glückt.

Ja, sein Herz ist selbst die Blüte,


deren Duft unwandelbar,
und in grenzenloser Güte
bringt Er jedem Sein sie dar.

Auch im Menschenherzen glühet


eine Rose keusch und zart,
und je reiner sie erblühet
spürst du seine Gegenwart.

Charles Waldemar

22
Gott ist in mir das Feuer
und ich in Ihm der Schein,
sind wir einander nicht
ganz inniglich gemein ?

Das Feuer schmelzt und eint,


sinkst du in Ursprung ein,
so muss dein Geist mit Gott
in eins geschmolzen sein.

Sobald durch Gottes Feuer


ich mag geschmolzen sein,
so drückt mir Gott alsbald
sein eigen Wesen ein.

Berührt dich Gottes Geist


mit seiner Wesenheit,
so wird in Dir geborn
das Kind der Ewigkeit.

Angelus Silesius

23
Wär Christus tausendmal
in Bethlehem geboren,
und nicht in Dir,
so bleibst du doch verloren.

Soll ich mein letztes End


und ersten Anfang finden,
so muss ich mich in Gott
und Gott in mir ergründen.

Je mehr du dich aus dir


kannst austun und ergiessen,
je mehr muss Gott in dich
mit seiner Gottheit fliessen.

Wer sich verloren hat,


von seinem Ich entbunden,
der hat Gott seinen Grund
und seinen Heiland funden.

Angelus Silesius

24
Wer in dem Nächsten nichts
als Gott und Christum sieht,
der siehet mit dem Licht,
das aus der Gottheit fliesst.

Oh Wesen, dem nichts gleicht,


Gott ist ganz ausser mir,
und inner mir auch ganz,
ganz dort und auch ganz hier.

Vom ersten Anbeginn


und noch bis heute zu,
sucht das Geschöpfe nichts,
als seines Schöpfers Ruh.

Gott ist das höchste Gut,


und wäre Gott nicht Ruh,
ich schliesse für Ihn selbst
mein’ Augen beide zu.

Angelus Silesius

25
Glaubst du, dass du zuerst
im Mutterleib entstanden,
so liegst du noch gar tief
in der Verblendung Banden.

Bei Gott gibt’s kein Entstehn,


kein Werden, kein Vergehn,
all’ drei sind bei Ihm eins -
wenn du dies kannst verstehn.

J.F. Fink

26
Immer wieder und wieder
steigst du hernieder
in der Erde wechselnden Schoss,
bis du gelernt im Lichte zu lesen,
dass Leben und Sterben eines gewesen,
und alle Zeiten zeitenlos.
Bis sich die mühsame Kette der Dinge
zum immer ruhenden Ringe
in dir sich reiht -
in deinem Willen ist Weltenwille,
Stille ist in dir - Stille -
und Ewigkeit.

Manfred Kyber

27
Wohl ist der Gottheit Kern
in jedem Ding enthalten,
nur muss sich Gottes Geist
erst deinem Geist entfalten.

Dein Leib, er lebt so lang,


als sich das Herz bewegt,
Du aber lebest erst,
wenn Gott in Dir sich regt.

In jedem Augenblick
die Botschaft in mir ruht,
in Gott zu sein im Geist -
in Gott mit Fleisch und Blut.

J.F. Fink

28
Wer seine Lebenszeit
in Gott hat zugebracht,
dem ist der Tod so viel,
als spräch er: Gute Nacht.

Der Himmel ist ein Reich,


das jetzt schon in dir waltet,
und nach dem Erdentod
nach aussen sich entfaltet.

Ich bin vereint mit Gott


im Denken - Fühlen - Sehn,
gehst du denselben Weg,
wirst du nie irregehn.

J.F. Fink

29
Im schwachen Menschen ist Gott mächtig,
weil in der Demut liegt die Kraft,
was du gewirkt im Leben täglich,
hat Liebe wohl zuerst geschafft.
Doch an der Demut kannst du ranken
empor zum wahren Gotteskind,
wenn deine Werke und Gedanken
in Demut erst geboren sind.

Das Zentrum Gottes steht dir offen,


die ganze Schöpfung ist enthüllt,
wenn du in demutsvollem Hoffen
des Vaters Willen hast erfüllt.
Der Vater lässt dich alles schauen,
Er teilt die Herrschaft dann mit dir.
Du Gotteskind auf Himmelsauen,
die Gottheit findet sich in Dir !

Otto Hillig

30
Durch all mein heimlich Sehnen geht
ein leuchtend stiller Schein,
und wann ich lieb und wann ich bet’ ,
webt er sich golden drein.

Oft glüht er fern, oft glüht er nah,


wie Licht von reiner Firn !
Doch noch so schwach, er ist stets da,
umglänzt mir Herz und Stirn.

Mir ist, als käm der gold’ne Schein


vom Vaterauge licht,
denn alle Welt und alles Sein
sich strahlend in Ihm bricht.

In seinem wunderbaren Glanz


werden die Dinge schön,
das Dunkle hell, das Halbe ganz
und liebend anzusehn.

Charles Waldemar

31
Licht schwingt sich durch alle Sphären
und verbindet Stern mit Stern.
Aus verborgnem, dunklem Kern
muss sich Blume, Frucht gebären.

Licht besiegt die Finsternisse


und erfüllt die tiefste Leer,
denn der Sonne Flammenspeer
tötet jedes Ungewisse.

Licht beseligt alle Wesen


der eratmenden Natur,
und in der Atome Spur
ist noch strahlend Gott zu lesen.

Licht und Liebe: Gleiche Worte,


kennen nicht der Trennung Schmerz.
Sie erfüllen Herz zu Herz
leuchtend alle Zwischenorte.

Charles Waldemar

32
Aus dem Innersten wächst
in der Stille das Licht.
Es durchdringt in der Seele
die dichteste Schicht -
als Erkenntnis der göttlichen Gnade.
Doch nur jener, der liebt,
trotz Enttäuschung und Last,
und das Himmlische sucht
ohne Neugier und Hast,
kommt voran auf dem geistigen Pfade.
Denn Ihm bleibt auch im Alltag,
in Leid und in Lust,
die Verbindung zu Gott
jede Stunde bewusst,
dass er Wahrheit vom Trug unterscheidet.
Er vergisst nicht die Erde,
und dient ihr, er strebet nach Ruh -
und vollkommenem Frieden
mit allem, was lebt -
und die Schmerzen des Wachstums erleidet.

Margarita Kritzinger

33
Wir Menschen verloren
den Sinn unseres Lebens.
Wir sind nicht geboren
um leidend zu sterben.
Einst müssen wir lernen
aus der Strahlung der Sterne
der tönenden Sphären
unsere Seele zu nähren,
um im eigenen Wesen
auf mystische Weise,
aus geistiger Speise,
durch wahre Synthese
und reines Empfinden
unserer höheren Sinne
die Kleider zu weben
fürs ewige Leben.

F.B. Ammann

34
Nächtliche Stille,
Heilige Fülle,
wie von göttlichem Segen schwer,
säuselt aus ewiger Ferne daher.
Was da lebte,
was aus engem Kreise
auf ins Weiteste strebte,
sanft und leise,
sank es in sich selbst zurück
und quillt auf in
unbewusstem Glück.
Und von allen Sternen nieder
strömt ein wunderbarer Segen,
dass die müden Kräfte wieder
sich in neuer Frische regen,
und aus den Finsternissen
tritt der Herr, so weit Er kann,
und die Fäden, die zerrissen,
knüpft Er alle wieder an.

Friedrich Hebbel

35
Oh Atem der Sterne, - Wir neigen
ins leuchtende Schweigen
uns betend hinein.
Das Lauschen, das Schauen,
das tiefe Vertrauen,
sind Dein.

Oh Atem der Sterne, - Wir heben


das zitternde, zuckende Leben
zu Dir, der die Welten durchdringt.
Es heilt uns dein heiliger Wille.
Das goldene Herz der Stille
erklingt.

Oh Atem der Sterne, - Oh Wesen


darinnen wir hören und lesen
vom höchsten Gebot:
Ich und der Vater sind eines !
Oh Purpur des Abendmahl - Weines,
Oh Hochzeit - oh Tod.

Herbert Fritsche

36
In meinem Herzen kreisen
alle Gedanken um Dich,
nichts anderes spricht die Zunge
als meine Liebe zu Dir.
Wenn ich nach Osten mich wende,
strahlst Du im Osten mir auf.
Wenn ich nach Westen mich wende,
stehst vor den Augen Du mir.
Wenn ich nach oben mich wende,
bist Du noch höher als dies.
Wenn ich nach unten mich wende,
bist Du das Ueberall hier.
Du bist, der allem den Ort gibt,
aber Du bist nicht sein Ort.
Du bist in allem das Ganze,
doch nicht vergänglich wie wir.
Du bist mein Herz, mein Gewissen,
bist mein Gedanke, mein Geist,
Du bist der Rhythmus des Atems,
du bist der Herzknoten mir.

Al - Halladsch

37
Niemals steigt
und niemals sinkt die Sonne,
ohne dass nach Dir der Sinn mir stände,
nie sitz’ mit den Leuten ich zu sprechen,
ohne dass mein Wort Du wärst am Ende.
Keinen Becher Wasser trink ich dürstend,
ohne dass Dein Bild im Glas ich fände.
Keinen Hauch tu ich, betrübt noch fröhlich,
dem sich Dein Gedenken nicht verbände.

Al - Halladsch

38
Sei verbunden seinem Bunde,
aller Wesenheit geweiht,
mit dem Blut aus seiner Wunde
künde seines Kelches Kunde,
Rufer in der Einsamkeit.
Werde Träger seiner Male,
Er in dir und du in Ihm.
Einmal in topasnem Saale
neigt sich dir des Grales Schale
aus der Hand der Cherubim.

Manfred Kyber

39
Oh lebendige Liebesflamme,
wie zärtlich verwundest du
die Seele in der tiefsten Mitte !
Da du nicht mehr spröde bist,
vollende, wenn Du willst, -
zerreiss die Hülle dieser
zärtlichen Begegnung.

Oh sanfte Gefangenschaft !
Oh geschenkte Wunde !
Oh milde Hand !
Oh zarte Berührung,
die nach ewigem Leben schmeckt,
und alle Schulden tilgt !
Sterbend hast Du Tod
in Leben umgewandelt.

40
Oh Leuchter aus Feuer,
dessen Widerschein
den tiefen Höhlen der Sinne,
die finster und blind waren,
in seltener Pracht -
Wärme und Licht verleihn,
dem Liebsten im Verein.

Wie sanft und wärmevoll


erwachst Du in meinem Schosse,
wo Du insgeheim alleine wohnst !
Und mit deinem köstlichen Sehnen
voll des Guten und der Herrlichkeit,
wie zärtlich führst Du mich
zur Liebe !

Johannes vom Kreuz

41
Wenn alle untreu werden,
so bleib’ ich dir doch treu,
dass Dankbarkeit auf Erden
nicht ausgestorben sei.
Für mich umfing dich Leiden,
vergingst für mich in Schmerz,
drum geb’ ich dir mit Freuden
auf ewig dieses Herz.

Oft muss ich bitter weinen,


dass du gestorben bist,
und mancher von den Deinen
dich lebenslang vergisst.
Von Liebe nur durchdrungen
hast du so viel getan,
und doch bist du verklungen,
und keiner denkt daran.

42
Du stehst voll treuer Liebe
noch immer jedem bei,
und wenn dir keiner bliebe,
so bleibst du dennoch treu.
Die treuste Liebe sieget,
am Ende fühlt man sie,
weint bitterlich und schmieget
sich kindlich an dein Knie.

Ich habe dich empfunden,


Oh ! Lasse nicht von mir,
lass innig mich verbunden
auf ewig sein mit dir.
Einst schauen meine Brüder
auch wieder himmelwärts,
und sinken liebend nieder,
und fallen dir ans Herz.

Novalis

43
Ich habe den Menschen gesehn
in seiner tiefsten Gestalt.
Ich kenne die Welt bis auf den Grundgehalt.
Ich weiss, dass Liebe -
Liebe ihr tiefster Sinn,
und dass ich da,
um immer mehr zu lieben bin.
Ich breite die Arme aus, wie Er getan,
ich möchte die ganze Welt, wie Er umfahn.

Christian Morgenstern

44
Licht ist Liebe- Sonnen- Weben,
Liebes-Strahlung einer Welt
Schöpferischer Wesenheiten,
die durch unerhörte Zeiten
uns an ihrem Herzen hält,
und die uns zuletzt gegeben
ihren höchsten Geist in eines
Menschen Hülle während dreier
Jahre, da Er kam in seines
Vaters Erbteil - nun der Erde
innerlichstes Himmelsfeuer,
dass auch sie einst Sonne werde.

Christian Morgenstern

45
Oh göttlicher Weltenlogos,
weil wir aus Dir genommen,
bist Du zu uns gekommen,
nahmst unser Wesen an
und ziehst uns stets hinan,
bei Tag und Nacht
durch Deine Kraft
zu Dir - oh LICHT -
wer Dich je sah,
erstirbt in sich
zum ewigen JA !

F.B. Ammann

46
Hinüber wall ich
und jede Pein
wird einst ein Stachel
der Wollust sein.
Noch wenig Zeiten,
so bin ich los,
und liege trunken
der Liebe im Schoss.
Unendliches Leben
wogt mächtig in mir,
ich schaue von oben
herunter nach Dir,
an jenem Hügel
verlischt mein Glanz -
ein Schatten bringet
den kühlenden Kranz.
Oh sauge Geliebter
gewaltig mich an,
dass ich entschlummern
und lieben kann.
Ich fühle des Todes
verjüngende Flut
zu Balsam und Aether
verwandelt mein Blut -
Ich lebe bei Tage
voll Glauben und Mut -
und sterbe die Nächte -
in heiliger Glut.

Novalis

47
Wer mit den Augen
der Andacht geschaut
wie die Seele der Erde
Kristalle baut,
wer die Flamme
im keimenden Kern gesehn,
im Leben den Tod,
Geburt im Vergehn -
wer in Menschen und Tieren
den Bruder fand,
und im Bruder den Bruder
und Gott erkannt,
der feiert am Tische
des heiligen Gral
mit dem Heiland der Liebe
das Abendmahl -
er sucht und findet,
wie Gott es verhiess,
den Weg
ins verlorene Paradies.

Manfred Kyber

48
Wie ist die Welt ein Hochaltar,
gar herrlich ausgeschmückt.
Der Himmel stellt das Linnen dar,
mit Sternen reich bestickt.

Die Sonne als ein Weihkelch glüht


aus laut’rem reinen Gold.
Die Erde selber duftend blüht
als Blumenopfer hold.

Der Aether, sieh, ist die Monstranz,


die das Geheimnis wahrt.
Wie funkelt hier der Liebesglanz
von seiner Gegenwart.

Charles Waldemar

49
Wenige wissen
das Geheimnis der Liebe,
fühlen Unersättlichkeit
und ewigen Durst.
Des Abendmahls göttliche Bedeutung
ist den irdischen Sinnen Rätsel.
Aber wer jemals
von heissen geliebten Lippen
Atem des Lebens sog,
wem heilige Glut
in zitternden Wellen das Herz schmolz,
wem das Auge aufging,
dass er des Himmels
unergründliche Tiefen mass,
wird essen von seinem Leibe
und trinken von seinem Blute
Ewiglich!
Wer hat des irdischen Leibes
hohen Sinn erraten?
Wer kann sagen, dass er das Blut versteht?
Einst ist alles Leib,
Ein Leib -
in himmlischem Blute
schwimmt das selige Paar.

50
Oh dass das Weltmeer
schon errötete,
und in duftiges Fleisch
aufquelle der Fels!
Nie endet das süsse Mahl,
nie sättigt die Liebe sich.
Nicht innig, nicht eigen genug
kann sie haben den Geliebten.
Von immer zärteren Lippen
verwandelt wird das Genossene
inniglicher und näher.
Heissere Wollust durchbebt die Seele,
durstiger und hungriger
wird das Herz. -
Und so währet der Liebe Genuss
von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Hätten die Nüchternen einmal gekostet,
alles verliessen sie, und setzten sich zu uns
an den Tisch der Sehnsucht,
der nie leer wird.
Sie erkennten der Liebe
unendliche Fülle,
und priesen die Nahrung
von Leib und Blut.

Novalis

51
Wie rot und rein die Rose ruht
in ihrer Blätter Schoss -
und giesst ihr blühend Rosenblut
ins Licht, begierdenlos -
eins mit dem Weltenwillen - also werde
die Seele auf der Wanderung dieser Erde.
so rosenrein, bis frei von aller Qual,
sie selig blutet in das Blut des Gral.

Manfred Kyber

52
Du, meine Seele neige
in Ehrfurcht dich und schweige,
dass sich das Wunder zeige:

Es kommt aus Sternenweiten,


es klingt aus fernen Zeiten
und rührt der Seele Saiten.

Die unerschaffne Weise,


nach der die ew’gen Kreise
die Sterne ziehn. - Erst leise,

dann aber hell aufrauschend,


vernimmt die Seele lauschend
und Brudergrüsse tauschend

der Sterne Klang und Singen


und wird dann selbst ein Klingen,
und darf mit ihnen schwingen
im heilgen Weltenreigen.

Soll sich das Wunder zeigen,


oh Seele, musst du schweigen -
und dich in Ehrfurcht neigen.

Ephides

53
Durch die Ketten deiner Leben
erdennah und erdenfern -
immer segnend dir zu Häupten
hält dein Engel deinen Stern.

Geh in Grauen, Not und Schande,


wandre aller Hoffnung bar,
auch im allertiefsten Dunkel
flammt das Licht, das ewig war.

Unter Dornen, unter Rosen,


unbeirrt seit Urbeginn
leuchtet über deiner Seele
das urewige «ICH-BIN».

Jede Nacht kannst du Es schauen,


neu zu jedem neuen Tag
rührt dich reinigend und sühnend
deines Engels Schwingenschlag.

Und befreit die Todesstunde


deines Wesens wahren Kern -
heimwärts in die ewige Heimat
trägt dein Engel deinen Stern.

Manfred Kyber

54
Es kehrt nicht um, wer seinen Stern erkannt,
der ihm als flammend hohes Zeichen
zu Häupten steht, das niemals zu erreichen,
bis es in seiner eigenen Brust entbrannt.

Das Zeichen ruft ihn stets in jeder Nacht


mit fernen, doch verheissungsvollen Blitzen.
Er weiss, er muss das Feuer selbst besitzen,
bis sich ihm zeigt des nahen Sternes Pracht.

Es ist der Stern das allerhöchste Ziel,


und zu erreichen nur in heissem Mühn.
Das eitle Leben wird zum Kinderspiel,
der Stern und du ein einz’ges Glühn.

Charles Waldemar

55
Allnächtlich überschreiten wir die Schwelle,
wir alle, die dem Tag verpflichtet sind,
und tauchen in die uferlose Helle
und stehen staunend an des Ursprungs Quelle
und werden, was wir sind, des Lichtes Kind.

Warum, so fragt ihr, findet uns der Morgen


so unbelehrt, als wäre nichts geschehn ?
Wir stehen ratlos vor dem Stapel Sorgen
und müssen mühsam fremdes Wissen borgen,
aus fremdem Buch und könnten doch verstehn.

Warum, warum ? Ihr selbst löscht eure Lichter,


weil ihr nicht wisst, dass Leben brennen heisst.
Im Tode erst entspannt ihr die Gesichter,
doch jeden Abend spinnt das Netz ihr dichter
und spinnt Ihn ein, den flugbereiten Geist.
Er weiss den Weg zum Licht,
dem wir entstammen,
die kurze Frist der Nacht nur gebt ihn frei,
statt Ihn zum Lastentragen zu verdammen.
Ja, leuchtet, lodert auf,
verklärte Flammen,
dass jeder Morgen neu voll Wunder sei !

Ephides

56
O könntest du in deinem Leben
und wär’s nur für geringe Zeit,
allwie zum Saum der Ewigkeit
dich federleicht ins Sein erheben.

Und in ihm wie im Aether schweben


vor dräuendem Geschick gefeit,
in tiefgefühlter Seligkeit
verflochten mit dem Weltenweben.

Wie blüht darin des Daseins Feld


dem wachen Sinn in neuen Tönen
ergreifend vor ihn hingestellt.

Im Bunde mit dem göttlich Schönen,


das strömend in ihm Einzug hält
sein Schaun aufs herrlichste zu krönen.

Ludwig Weibel

57
Willst du den Pfad vollendet sehn,
musst du im Herzen tief verstehn,
der Funke muss zur Flamme werden,
solange du noch lebst auf Erden.
Musst auf die Flamme atmen lernen,
deinem göttlichen Wesenskerne,
und hüten sie bei Tag und Nacht
bis sich ihr Wesen ganz entfacht,
und sie zur Innen-Sonne wird,
die alle Wesen selbstlos liebt -
und segnet ohne Unterschied.

F.B. Ammann

58
Sobald des Feuers Glut
ein grünes Hölzchen findet,
saugt sie den Stoff heraus,
und alle Kraft vertreibt,
sie macht die Rinde schwarz,
die Flamme sich entzündet,
und brennet durch und durch,
bis nichts vom Holze bleibt.
Dann glüht es schön und still.
So geht es auch im Herzen,
wenn man sich unbedingt
der Liebe Zucht ergibt.
Dies Feuer läutert uns
durch wunderliche Schmerzen
und öfters um und um,
bis in den Tod betrübt.
Doch ist es Liebe nur !
So muss sie mit uns handeln,
und brennen weg, -
was ihr im Grunde widerstrebt.
Gib ihrer Flamme Raum,
so wird sie dich verwandeln,
bis du ganz eins mit Gott -
und Gott in Dir nur lebt.

Gerhard Tersteegen

59
Wir müssen Eines nur erkennen,
geistig leben, heisst entbrennen,
des HERZENS - Liebe-Glut entzünden,
durch seine Wahrheit überwinden,
indem wir täglich uns verleugnen,
und unser Sein soweit erneuern,
dass im innersten Seelengrunde,
zu vorbestimmter Gnadenstunde
unser Ich sich SELBST erkennt,
als das LICHT, - das ewig brennt.

F.B. Ammann

60
Wenn nur mein Herze brennend ist,
da ich das Wort des Lebens fasse,
so weiss ich, dass Du’s selber bist,
des Vaters Wort, das ich nicht lasse.

Die Flamme deiner Liebe macht,


dass ich mich immer höher schwinge,
und wenn ich deine Treu betracht,
ein Liebes-Feuer-Opfer bringe.

Die Flamme ist von Dir entzündt,


drum eilt sie zu dem Ursprung wieder,
und wenn sie unterwegs Dich findt,
so kehrt sie nie zur Erde nieder.

Oh’ lass mich stille stehn und hören,


wenn Du willst in mein Herz einkehren,
Du ziehst allein bei denen ein,
die Dir im Grund gelassen sein.
Wie gerne wär’ ich doch
in dieser Flamme rein.

Gottfried Arnold

61
Der Schlaf ist heilig.
Wenn die Nacht sich neigt
herab mit ihren sterngeschmückten Schwingen,
löst sich der Geist vom Leib und steigt
empor zur Heimat, die er nie erreicht,
wenn ihn des Körpers Fesseln zwingen.

Der Schlaf ist heilig.


Sein umflorter Schleier
hüllt das Vergängliche in seine Nacht.
Das Geistige in dir erwacht
und rührt die sieben Seiten seiner Leier
allabendlich zur Auferstehungsfeier.

Der Schlaf ist heilig.


Heilig halte ihn
als deines Seins verhangne Tempeltüre,
dass er dein ewiges Ich-Bin
allnächtlich zu des Daseins Sinn
aus deiner Tage wirrer Wildnis führe.

62
Er trägt dich fern von Lust und Qualen,
die du in seinem Schoss vergisst,
in blaue Flammenfernen des Astralen,
in dem sich tausend lichte Farben malen,
in dessen Formen, Wesenheit und Zahlen
dein eigentliches Leben ist.

Er lehrt dich sterben, auferstehen,


im Tag den Trug,
im Schlaf das Wachen sehen.

Der Schlaf ist heilig.


Bette sanft und sacht
die Seele ein in seinen Engelsarmen
und denke: neben ihm im Allerbarmen
hält Nacht für Nacht
der Tod, sein Bruder, treue Tempelwacht.

Manfred Kyber

63
Ich liebe Dich oh Gott in mir,
Du Herzensflamme mein,
mein Atem und mein Leben Du,
wie könnte ich sonst sein?
So lange schweifte ich umher,
verlor Dich aus dem Sinn,
doch endlich bin ich heimgekehrt
und gebe mich Dir hin.

Ich spüre Dein Verlangen nun,


und tauche ein in Glück.
Oh, all’ mein Wollen, all’ mein Tun
führt ja zu Dir zurück.
Und Deine Wahrheit steht nun da,
enthüllt für jedermann,
die Liebesmacht in jedem Herz
alles befreien kann !

64
O Liebesmacht in jedem Herz,
tritt Deine Herrschaft an !
In Lieb’ verwandle Not und Schmerz,
verzehre Angst und Bang !
Bis jede Seele endlich sieht,
Dein Wille, Gott, ist gut,
und Gross und Klein in sicherer Hut
in Deinen Armen ruht.

Wir Menschen lernen, dass Dein Plan


Vollendung für uns will,
und Dankbarkeit füllt jede Brust,
und macht uns froh und still.
O Wahrheitsflamme, tritt hervor,
zeig Deine Herrlichkeit,
Dein hoher Plan vollziehe sich,
jetzt und in Ewigkeit.

Unbekannter Autor

65
Ach, dass ich dich so spät erkannte,
du hochgelobte Schönheit du,
dass ich nicht eher mein dich nannte,
du höchstes Gut, du wahre Ruh,
es ist mir leid, ich bin betrübt,
dass ich dich, ach, so spät geliebt.

Ich lief verirrt und war verblendet,


ich suchte dich und fand dich nicht,
ich hatte mich von dir gewendet
und liebte das geschaffne Licht.
Nun aber ist’s durch dich geschehn,
dass ich dich habe ausersehn.

66
Ich danke dir, du wahre Sonne,
dass mir dein Glanz das Licht gebracht,
ich danke dir, du Himmelswonne,
dass du mich froh und frei gemacht,
ich danke dir, du güldner Mund,
dass du mein Herze machst gesund.

Erhalte mich auf deinen Stegen,


und lass mich nicht mehr irregehn,
lass meinen Fuss auf deinen Wegen
nicht straucheln und nicht stille stehn,
erleucht’ mir Leib und Seele ganz,
mit deines Himmelslichtes Glanz.

Angelus Silesius

67
Entflammtes Herz bannt alle Welten,
entflammtes Herz ist Morgenrot.
Und ob auch tausend Höllen gellten,
entflammtes Herz bannt jede Not.
Nur eine Wahrheit gilt für alle Zeiten,
des wahren Menschen innres Königtum.
Du sollst in Dir die Schwelle überschreiten
zu deines eignen Herzens Eigentum.

Albert Moldenhauer

68
Es brennt die Welt,
ein fressend schwelend Feuer,
mit der Begierde Flammen
Nahrung suchend.

Entbrenne selbst
zur Flamme der Befreiung,
eh’ dich die Welt verbrennt
zu toter Asche.

Entbrenne selbst
im Feuer innrer Wandlung,
dich selbst verzehrend
in der eignen Glut.

Dem Phönix gleich,


der sterbend aufersteht,
der Sonne gleich,
die leuchtend untergeht.

Anagarika Govinda

69
Wie ist doch der Verstand
ein gar armselig Licht !
Es brennt nur aus sich selber
weiss um den Starkstrom nicht,

der aus dem Kraftwerk droben,


der Lichtzentrale stammt,
die angeschlossene Herzen
zu lichter Glut entflammt.

Er flackert nur im Umkreis,


erlischt gar mit dem Tod,
bleibt raum- und zeitgebunden,
versaget in der Not.

In Kerkern und in Grüften


mag man sich seiner freu’n,
und auch fortan begnügen
mit seinem Irrlicht-Wahn !

Allein die Lichtgebornen,


die seiner Nacht entronnen,
sie wandeln in der Klarheit,
die sie in Gott gewonnen.

C.M. Feuerbach

70
Unsterblich ist des Menschen
ewiger Geist,
und ohne Grenzen seines
Wachstums Weg.
Geburt und Tod - Tod und Geburt
so kreist
er auf und ab im bunten
Schicksalspiel,
bis er durch Leidens-Feuerglut
verklärt, -
endlich, ein Gott, ins Land
der Götter fährt.

Anatol Rembe

71
Wenn in langen trüben Stunden
unser Herz beinah verzagt,
wenn von Krankheit überwunden
Angst in unserm Innern nagt,
wir der Treugeliebten denken,
wie sie Gram und Kummer drückt,
Wolken unsern Blick beschränken,
die kein Hoffnungsstrahl durchblickt.

Oh, dann neigt sich Gott herüber,


seine Liebe kommt uns nah,
sehnen wir uns dann hinüber,
steht sein Engel vor uns da,
bringt den Kelch des frischen Lebens,
lispelt Mut und Trost uns zu,
und wir beten nicht vergebens
auch für die Geliebten Ruh.

Novalis

72
Ich spüre einen lichten Geist
der segnend mich begleitet.
Er ist’s, der Höhenpfade weist
und Sterne um mich breitet.

Er schwebt in Zeiten über mir,


wenn ich mich selbst gefunden.
Dann leuchtet er, nein leuchten wir
und müssen beid’ gesunden.

Er kann ohn’ mein Herz nicht sein,


und ich nicht ohn’ sein Strahlen.
Verlass ich ihn, so fühl ich Pein
von tausend Wundesmalen.

Doch geb ich ihm mit reinem Sinn


mein Fühlen und mein Denken,
dann werd’ ich wahrhaft, der Ich-Bin
und kann selbst Licht verschenken.

Es nimmt der Geist an Feuer zu,


strömt mir durch Haupt und Glieder,
und in der tatenvollsten Ruh -
strahl ich Ihn flammend wieder.

Charles Waldemar

73
Geht tief nach Innen
zur heiligen Mitte.
Bei jedem Schritte
ihr werdet gewinnen.

Ach, nur im Schweigen,


in leuchtender Stille
kann sich die Fülle
all der Himmel zeigen.

Erst im Beschwören
hoch eigener Geister,
wird euch der Meister
der Ewige hören.

Habt ihr im Dunkeln


der Brust euch entdecket,
wird Licht erwecket
der Sternenbaum funkeln.

Ewige Quellen
kristallenklar springen,
hebt nur die Schwingen
der Seele zum Hellen.

74
Selige Lichter
demutsvoll steigen,
Götter Gesichter
werden sich zeigen.

Himmlische Rosen
euch flammend erblühen
bringt ihr euer Mühen
dem Zeitenlosen.

Goldene Pforte
sich offen erweiset,
so ihr lobpreiset
das Wort aller Worte.

Herzensaltäre
stets reiner gebauet,
und herrlich erschauet
wird siebente Sphäre.

Geist auferstanden
zu höherem Werden,
lebt ihr auf Erden
in himmlischen Landen.

Charles Waldemar

75
Verborgne Kraft - Geheimnis - ewig unversehrt,
oh stiller, klarer Quell, aus dem das Leben quillt.
Im allertiefsten Wesen sind wir mit dir verbunden,
aus dem grossen EINEN fliesst die Vielheit ungezählt.

Die Bahn ist erste Ursach in sich selbst beschlossen.


Sie war, ist, und wird sein in alle Ewigkeit.
Ihre Allmacht wirkt begrenzt durch Raum und Zeit.,
und ihrem LOGOS ist die Weltenseel entsprossen.

Der rechte Weg: In ihrem Rhythmus schwingen,


in jedem Atemzug erkennend ‘s Allbestehn.
In ihrem geistig-strahlend Leuchten aufzugehn,
dass nichts kann sein, als allbeseelend Wollen.

Die grosse Kraft, die alle Form beseelt,


die aus der Saat die Eiche aufwärts dringet,
die fortbewegt die mächt’gen Himmelschwingen,
erschafft den Lotos aus dem dunklen Schlamm.

76
Darum sucht jeder Sterbliche auf Erden
das, was ihn bindet ans vergessne Wort,
oft schwingt ganz schwach ein zarter Akkord,
voll Ehrfurcht fühlt er das göttliche Leben.

Hat einmal ‘s LICHT die Finsternis durchbrochen,


erkennt der Mensch sich SELBST im Weltenall,
dann keimt das WORT, das einmal ausgesprochen,
ihn frei macht von dem irdschen Tränental.

Die Bahn erweckt und lässt Es wachsen,


entwickelt, nähret und vollendet,
reift, behütet und lässt sterben - werden
in einen Kreislauf, der nie endet.

Sie ist die Macht, die alle Dinge führet,


und nichts besitzt, als eignes - tiefes Leben,
nicht tuend, atmet sie die Ewigkeit, -
als das Geheimnis, das niemals wird umschrieben.

LAO-TSE

77
Aus Geist entstand die Welt,
und gehet auf in Geist,
Geist ist der Grund aus dem,
in den zurück sie kreist.
Der Geist, ein Aetherduft,
hat sich in sich gedichtet,
und Sternennebel hat
zu Sonnen sich gelichtet.
Der Nebel hat in Luft
und Wasser sich zersetzt,
und Schlamm und Erd und Stein,
und Pflanz und Tier zuletzt,
und menschliche Gestalt,
in der der Menschengeist
durch Gottes Hauch erwacht
und Ihn, den Urgeist preist.

Friedrich Rückert

78
Nimm einen Sonnenblumenkern und pflanze
ihn in der Erde Mutterschoss,
und warte andachtsvoll, er ringt sich los,
ein kleiner Stiel reckt sich im Sonnenglanze,
er wächst, wird stark und gross,
umarmt von seiner Blätter grünem Kranze -
bis sich das Ganze
sonnenüberglüht
zur Knospe krönt und eine Blume blüht.

Und in der Blüte, Kern an Kern gereiht,


ruht tausendfältig künftige Wesenheit.
Und pflanzest du die tausend Kerne wieder ein,
es wird dasselbe Bild, dasselbe Gleichnis sein.
In tausend Blüten abertausend Keime senke
die Seele allumfassend - und dann lenke
langsam und rückwärtsschauend
die Gedanken heim und denke:
das alles war im ersten Keim !

Manfred Kyber

79
Herr, deine Welt ist schön,
Herr, deine Welt ist gut.
Gib mir nur hellen Sinn,
gib mir nur frohen Mut !
Ich fühle, dass ich bin,
ich fühle, dass Du bist,
und dass mein Sein von Dir
ein sel’ger Abglanz ist.
Die Welt beseeligst du,
beseeligst Dich in ihr,
sollt ich nicht selig sein,
Allseliger in Dir ?

Friedrich Rückert

80
Der ist gelehrt,
wer nichts für sich begehrt,
wer nichts will sein bei allen,
wer sich auch selbst nicht will gefallen.
Wer in sich selbst nichts findt,
als dass er wie ein Kind,
sonst nichts will wissen, nichts will denken,
als in sein Nichts sich zu ersenken.
O schönes Nichts !
Du Fülle alles Lichts,
du Sonne voller Klarheit,
Du Brunnen aller Wahrheit,
verborgenes Winkelein
so unansehnlich und so klein !
Wer sollte das von dir
du armes Häuslein denken,
dass du uns würdest so
die wahre Weisheit schenken.

Gerhard Tersteegen

81
Eine Sonne fühl ich glühen
tief im Grunde meiner Brust.
Ach, sie scheint und Rosen blühen
himmlisch seliger Liebeslust.

Alle Dunkelheit der Erde


wird erlöst durch ihren Glanz.
Und sie strahlet: Werde, werde
selbst zu Licht und Klarheit ganz.

Eine Sonne seh ich scheinen


an dem hohen Firmament.
Und ich fühl’s: Sie will sich einen
mit der, die im Innern brennt.

Leuchtet, leuchtet ihr zwei Sonnen,


die ihr mir das Leben schenkt.
Ach, vermählt euch voller Wonnen
dem, der nur an Einheit denkt.

82
Ja, mit jeder wahren Neigung,
die in Liebe sich ergeht,
wächst in mir der Sonne Steigung
auf zu höh’rer Majestät.

Und ich muss dem Schöpfer danken,


aus der Seele quellend heiss,
dass Er sich so ohne Schranken,
als das Ich des Menschen weiss.

Eine Sonne fühl ich glühen


und ich bin mir nicht bewusst,
ob im All die Rosen blühen,
oder tief in meiner Brust.

Charles Waldemar

83
Hätten wir die Flamme nicht,
fehlte uns das geistige LICHT.
Doch weil sie uns gegeben,
- als eingeborenes Leben –
geschenkt vom wahren Gott,
wird sie ins LICHT uns heben
und immerfort uns segnen,
bis wir im GEISTE leben
weit über allen Tod!

F.B. Ammann

84
Wenn wir getragen
von der göttlichen Gnade,
dann betet’s in uns
aus tiefster Inbrunst,
weil die Flamme uns nährt,
uns nicht nur bekehrt,
sondern leiblich durchglüht,
bis die Seele erblüht
zu wahrer Vollendung
und geistiger Sendung,
als strahlendes SELBST –
zur Verwandlung der Welt.

F.B.Ammann

85
Gott, Du bist mir näher,
als ich mir selber bin !
Wer dessen inne ward,
findet zur Freiheit hin.
Wenn er nach innen schreitet,
erscheint in ihm ein Licht,
das ihn zu Gott geleitet
und alle Fesseln bricht.
Die Einheit, die er findet,
ist ewig, ohne Grund,
sie wohnet in ihm selber,
das Wie ist niemand kund.

Johannes Tauler

86
Gott ist gegenwärtig !
Lasset uns anbeten
in Ehrfurcht vor Ihn treten.
Gott ist in der Mitten !
Alles in uns schweige
sich innigst vor Ihm beuge !
Wer Ihn kennt, wer Ihn nennt -
schlagt die Augen nieder !
kommt, ergebt euch wieder !

Du durchdringest alles,
wollst mit deinem Lichte,
Herr, berühren mein Gesichte !
Wie die zarten Blumen
willig sich entfalten
und der Sonne stille halten,
lass mich so still und froh,
Deine Strahlen fassen
und Dich wirken lassen.

Komm in mir zu wohnen,


lass mein Herz auf Erden
dir ein Heiligtum noch werden !
Komm Du nahes Wesen,
Dich in mir verkläre,
dass ich Dich lieb und ehre !
Wo ich geh, wo ich steh,
lass mich Dein gedenken,
mich in Dich versenken !

Gerhard Tersteegen

87
Gekommen in die Nacht
der Welt ist Gottes Licht,
wir sind daran erwacht
und schlummern fürder nicht.
Wir schlummern fürder nicht
den Weltbetäubungsschlummer,
wir blicken wach im Licht,
aufs Nachtgraun ohne Kummer.
Wo ist der Nächte Graun ?
Es ist vom Licht bezwungen,
wir blicken mit Vertraun
ins Licht, vom Licht durchdrungen.
Dass wir durchdrungen sind
vom Lichte, dem wir dienen,
wir zeigens dem Gesind
der Nacht an unsern Mienen.
In hellen Mienen macht
sich kund die Kraft des Herrn.
Und wer nicht in der Nacht
kann leuchten, ist kein Stern.

Friedrich Rückert

88
Nacht, der Nächte: Weihenacht,
weih’ mich ins Geheimnis ein,
dass das Wunder ward vollbracht
hier auf Erden Gott zu sein.

Allmacht ging zum Menschen hin,


kam in menschlicher Gestalt,
um zu wandeln unsern Sinn
mit der Liebe Allgewalt.

Jedes Dunkle werd’ verzehrt


von dem innern Lichte still:
Mensch sein hat er uns gelehrt,
kann nur der, der Gutes will.

Der das Gute auch vollbringt


fern von Hass, und Neid und Streit,
dass dem Fleische sich entringt
die gefangne Göttlichkeit.

Nacht, der Nächte: Weihenacht


weih’ mich ins Geheimnis ein,
dass das Wunder ward vollbracht
hier auf Erden Mensch zu sein !

Charles Waldemar

89
Ich finde Dich, wo ich
oh Höchster, hin mich wende,
am Anfang find ich Dich,
und finde Dich am Ende,
dem Anfang geh’ ich nach,
in Dir verliert er sich,
dem Abschluss späh ich nach,
aus Dir gebiert er sich.
Du bist der Anfang,
der sich aus sich selbst vollendet,
das Ende, das zurück sich
in den Anfang wendet.
Und in der Mitte bist Du
selber das, was ist:
und ich bin - ICH - ,
weil Du in mir die Mitte bist !

Friedrich Rückert

90
Mit Deiner Seele hat sich meine
gemischt wie Wasser mit dem Weine.
Wer kann den Wein vom Wasser trennen ?
Wer Dich und mich aus dem Vereine ?
Du bist mein grosses Selbst geworden,
und nie mehr will ich sein dies kleine.
Du hast mein Wesen angenommen,
soll ich nicht nehmen an das Deine ?
Auf ewig hast Du mich bejaht,
dass ich Dich ewig nie verneine.

Dschelaleddin Rûmi

91
Wenn wir den Flammengeist erfassen,
dann sind wir niemals mehr allein,
unmöglich kann Er uns verlassen,
weil Er der Grund von unserem Sein.
Sein Strömen löst von Leid und Schmerzen,
und bindet uns an geistige Wonnen.
Er weckt die Rose unseres Herzens
und wandelt sie zur lichten Sonne.
Dieses LICHT - als tönende Helle,
das aus sich SELBST strahlt allezeit,
trägt uns über alle Schwellen
hinan in Gottes Herrlichkeit.

F.B. Ammann

92
Der ganzen Natur wird lichter Lauf gelehrt,
umfangen sind alle Wesen in mir Selbst.
Oh feurig - grenzenloses Herz
von Liebe und Glück, wie pochst Du
in eines Sterblichen Leib.

Meine Nerven sind von Wonne durchflammt,


Atome und Zellen schauern alle von Dir,
mein Leib, Dein Gefäss, das einzig dient
als lebendiger Kelch Deiner Ekstase Wein.

Ich bin ein Zentrum Deines goldenen Lichts


und auch sein weiter - vager Kreisumfang.
Du bist meine Seele,
gross - strahlend und weiss,
Dein ist mein Geist und glühender Sinn.

Deinen göttlichen Odem fühl ich in mir


als lebenden Puls Deiner Ewigkeit.

Sri Aurobindo

93
Mein Atem fliesst in rhythmischem Strom,
erfüllt meine Glieder mit göttlicher Kraft,
ich trank das Ewige wie eines Riesen Wein.
Die Zeit ist mein Drama
oder mein Festzugstraum.
Nun sind die erleuchteten Zellen
flammendes Glück, die verzweigten Nerven
feine Bahnen, durchbebt von Entzücken,
Opalen oder klar wie Kristall, für des
Unbekannten und Höchsten Einwirkung.

Ich bin nicht länger ein Sklave des Fleisches,


ein Knecht der Natur - ihrer Herrschaft
wie Blei, ich bin nicht mehr in der Sinne
Maschen verstrickt.

Meiner Seele Schau weitet unermesslich sich,


mein Leib ist Gottes lebendiger Träger,
mein Geist eine Sonne unsterblichen LICHTS.

Sri Aurobindo

94
Sieh: der Sonne musst du gleichen,
nicht dem Mond dem kalten feuchten,
der mit seinem Glanz dem bleichen
spiegelt nur das wahre Leuchten.

Selbst musst du zur Sonne werden,


fraglos kreisend aus dir handeln,
und es werden Mond und Erden
dann nach deinem Rhythmus wandeln.

Auch die Ursonne will Sonnen,


Sonnen will der grosse Meister,
Seiner Gnade heller Bronnen
tränkt die goldnen Himmelszahlen,
die Myriaden Liebesgeister !
Tränkt auch dich, willst du nur strahlen !

Charles Waldemar

95
Die Geisterwelt ist nicht verschlossen,
dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot !
Auf ! Bade Schüler, unverdrossen
die irdsche Brust im Morgenrot !
Wie alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem andern wirkt und lebt !
Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
und sich die goldenen Eimer reichen.
Mit Segen duftenden Schwingen
vom Himmel durch die Erde dringen,
harmonisch all’ das All durchklingen !

J.W. Goethe

96
Nimm mich auf in deine Einheit,
aller Leben einiges All,
bade rein mich in der Reinheit
deines Meeres von Kristall.

Gib mir jenen Trank zu trinken,


der Vergessenheit verleiht,
lass die Seele sehnend sinken
in den Ring der Ewigkeit -

wo in diamantnen Fernen
Stern um Stern im Aether kreist.
Sternenengel, zu den Sternen
leite meinen ewigen Geist.

Manfred Kyber

97
Erlösung kommt von innen,
nicht von aussen,
und wird erworben nur
und nicht geschenkt.
Sie ist die Kraft des Innern,
die von draussen
rückstrahlend deines Schicksals Ströme lenkt.

Was fürchtest du ?
Es kann dir nur begegnen,
was dir gemäss und was dir dienlich ist.
Ich weiss den Tag
da du dein Leid wirst segnen,
das dich gelehrt zu werden, was Du bist.

Ephides

98
Sagt es niemand, nur den Weisen,
weil die Menge gleich verhöhnet:
Das Lebendige will ich preisen,
das nach Flammentod sich sehnet.

In der Liebesnächte Kühlung,


die dich zeugte, wo du zeugtest,
überfällt dich fremde Fühlung,
wenn die stille Kerze leuchtet.

Nicht mehr bleibest du umfangen


in der Finsternis Beschattung,
und dich reisset neu Verlangen
auf zu höherer Begattung.

Keine Ferne macht dich schwierig,


kommst geflogen und gebannt,
und zu letzt, des Lichts begierig,
bist du Schmetterling verbrannt.

Und solang du das nicht hast,


dieses: Stirb und Werde !
Bist du nur ein trüber Gast
auf der dunklen Erde.

J.W. Goethe

99
Das göttliche Feuer muss Es sein,
nicht menschliche Willenskraft,
Es brennt allein die Seele rein
von Schuld und Leidenschaft.
Wir müssen selbst zum Weg entwerden
durch wahres Lassen, statt durch Tun,
nur durch das mystische Ersterben
wird’s Herz zum strahlenden Heiligtum.
Dann offenbart sich uns das LEBEN
in der bewussten Gegenwart,
als das ewige LICHT der Seele,
weil Gottes Werk in uns vollbracht.

F.B. Ammann

100
O Licht, das aus des Himmels Höh’
ins Herz mir scheint hinein,
durchstrahl mich jetzt so lieb wie eh’
lass meine Seele göttlich sein.

Lass sehen mich die einz’ge Kraft,


die LIEBE - das bist Du. -
Die Menschheit aus Gefangenschaft
führst Du dem Himmel zu.

Lass Dein verwandelnd Feuer dann


durch mein Bewusstsein ziehn,
dass ich rechtschaffen leben kann,
und nur dem Wunsche dien:

Zu lieben and’re setz’ mich ein,


dass ich ein Beispiel sei,
und alle nun verstehn, - allein
die LIEBE macht uns frei.

Unbekannter Autor

101
Durch des Feuers belebende Macht
stiegen wir aus des Geistes Nacht.
durch des Feuers verzehrenden Sturm
sinken wir tiefer, als Schlange und Wurm.

Es fliesst das Blut wie Feuer


durch des Menschen Adern,
wer will mit Prometheus hadern,
dass er dem Himmel es entwand
und mit dem Erdenkloss verband ?

Das Feuer erwärmt die erkaltete Seele,


das Feuer entzündet die Weges-Fackel,
dass ich den Freund erwähle,
das Feuer erwacht unter Menschenhand
zum friedlichen Herd,
zum zerstörenden Brand.

102
Doch wenn du den Tag erlebst,
wo in deinem Allerheiligsten
das eigene, schuldbeladene Blut
in jene ewige Feuerflamme sich verwandelt,
in der der Hass, der Neid und Hochmut,
die Eifersucht, Verzweiflung, Traurigkeit,
Unmässigkeit, Unkeuschheit, Zorn,
wie Zunder brennen -
und verbrennen zu roten,
Blut-durchglühten Rosen,
die nicht mehr welken können,
die sich ewig speisen
aus dem Kreuz aus Ebenholz, -
dann bist du - hingegeben -
ganz ergriffen
vom Blut und Feuer - Eins -,
im CHRISTUS-Leben.

Anna - Iduna Zehnder

103
Wenn du den Weg der Wege,
Wanderer, zu wandern gewillt, -
ein Kreuz mit sieben Rosen
ist deiner Wanderung Bild.

Dein Kreuz, an das du geheftet,


muss mit dir verbrennen, verglühn,
bis aus der Asche des Kreuzes
deine sieben Rosen blühn.

Manfred Kyber

104
Die letzten Stufen
des geistigen Weges
kann niemand vollbringen
durch eigenes Streben.
Denn die werden vollbracht
von der göttlichen Macht,
wenn wir selbst nicht mehr ringen,
uns im HERZEN einklingen
in den Strom ihrer Kraft,
die das Werk für uns schafft.

F..B. Ammann

105
Zieh deine Ichheit aus,
und an die Göttlichkeit,
die Ichheit ist so eng -
die Göttlichkeit so weit.
Sei SELBST ! Er selber will,
dass selbst du sollest sein,
dass du erkennest selbst,
Er sei dein SELBST allein.
Erinnre dich daran ! Du
hast es nur vergessen.
Lass dich erinnern !
Stets erinnert Er dich dessen.
Wenn du Ihn hören willst in Dir,
musst du nur schweigen, -
dann spricht Er laut: Du warst,
sollst sein, - und bist mein eigen.

Friedrich Rückert

106
Du bist das immanente Licht im Sein,
das sanft aus allem strahlt und keinen blendet,
und wer sich in die eignen Tiefen wendet,
erfasst sich Selbst als Deinen Widerschein.

Und alle Dinge werden zart und fein,


da Deines Lichtes Fluten ihn umweben,
aus seinem Leben wächst ein neues Leben,
und im Bewusstsein gehst Du aus und ein.

Wann ward je Niedriges so gross und rein,


Empfinden und Erfassen so gewaltig,
als jetzt, da sich Dein Mantel tausendfaltig
um alles Dasein hüllt, um Mensch und Stein !

Waltharius

107

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