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Kartenmaterial:

1. Pakistan: Übersicht

2. CentCom-Bereich (US Army Central Command)


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3. Ethnien

4. FATA (Federally Adminstered Tribal Area)

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5. Landwirtschaft und Vegetation

6. Kaschmir heute
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7. Machtansprüche Pakistan - Indien

8. Kaschmir: Lösungsvorschlag

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9. Pipelines in der Region

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10. Atomprogramm Pakistan: 23 Standorte

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11. Atomprogramm Pakistan: Ausgewählte Standorte

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12. Regierungsgremien

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Vorwort

Es klopft an der Zimmertür meines kleinen Gästehauses in Pa-


kistans Hauptstadt Islamabad. Ich lasse den Fernseher laufen,
in dem gerade Präsident Musharraf eine interessante Recht-
fertigungsrede zum Ausnahmezustand hält, springe von der
Couch und öffne. Weiter hinten im Flur beäugen mich zwei
eher schüchtern wirkende Bewaffnete mit langen altertümli-
chen Flinten, und direkt vor meiner Nase steht ein baumlanger
Polizei­offizier.
„Oha, jetzt werde ich verhaftet“, zuckt es mir durch den Kopf
– und das drei Tage vor Weihnachten (2007). Dann winke ich
den Offizier herein, schließe die Tür hinter ihm und bitte ihn,
sich zu setzen, was er, völlig verblüfft, auch tut.
„Ich muss Sie auf die Wache mitnehmen, so leid mir das
tut“, sagt er. „Sie müssen das Land verlassen.“ Und er reicht mir
einen dieser typischen leicht angegrauten Behördenzettel mit
einer Deportationsverfügung. „Sicherheitsgründe“, schreibt da
das Innenministerium – und besonders beeindruckt mich die
Tatsache, dass ich fast alle Institutionen, die auf dem Verteiler
stehen, vor meiner Reise beziehungsweise gleich nach meiner
Ankunft aufgesucht oder angerufen und umfassend informiert
hatte: Ich war im Auftrag eines Bundestagsabgeordneten aus ei-
ner der Regierungsfraktionen unterwegs – und auch in Sachen
Disengagement Plan für Afghanistan.1 Wenn da jemand Pakis­
tans Sicherheit bedroht sieht, finde ich das höchst bemerkens-
wert.
Innerlich bin ich begeistert, dass ich etwa zwei Stunden zu-
vor meinen langen Bart völlig abrasiert hatte, der mir in den
Tagen zuvor in Kabul bei Gesprächen mit den Taliban noch
gute Dienste geleistet hatte. „Ihr Problem ist“, erkläre ich dem
verdutzten Polizeioffizier von der Bettkante herunter, „dass Sie
bei meinen Telefonaten zuviel mithören.“ Tatsächlich hatte ich
ganz offen intensive Kontakte mit der Islamischen Bewegung
gepflegt.

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Mittlerweile hat unser wunderbarer Hausdiener mit Poker-
face einen Milchtee für den Gast gebracht, als gehörten bei uns
Polizeikommandos zum Tagesgeschäft. Ich bin amüsiert, rufe
die Botschaft an, die mir Telefonnummern von Anwälten gibt,
die nicht erreichbar sind. Dann packe ich in Ruhe meine Sa-
chen, zwänge mich in einen winzigen Suzuki, der auch noch die
langen Flinten mit den beiden kleinwüchsigen Polizisten daran
befördern muss – und nach kurzer Stippvisite in der Polizeista-
tion, wo mich der Presseattaché der deutschen Botschaft mit
seiner Frau noch kurz besuchen kommt, geht’s zum Flughafen.
Nach knapp dreiundzwanzig Jahren in Pakistan, vielen Freund-
schaften und gelegentlicher Zusammenarbeit mit den Institu-
tionen des Landes endet für mich eine Ära.

Ein Blick nach Deutschland: Die gescheiterten Anschläge der


„Kofferbomber von Köln“ senden Ende Juli 2006 Schockwel-
len durch die Republik, fast so, als seien sie ausgeführt worden.
Die Geschichte wiederholt sich Anfang September 2007, als die
„Sauerland-Terroristen“ in einer Großaktion verhaftet werden,
nachdem sie bereits längere Zeit von der Polizei beobachtet wor-
den waren.
Beide Anschlagsversuche verbindet, dass die mutmaßlichen
Täter bei „Terrororganisationen“ in Pakistan Unterschlupf und
möglicherweise Ausbildung erhielten. Auch der zum Bereich der
Sauerland-Gruppe gehörende deutsche Islamist Eric B., der seit
April 2008 in mehreren Videobotschaften für den Dschihad ge-
worben und Selbstmordanschläge in Afghanistan angekündigt
hat, soll sich bei diesen Terroristen aufhalten, heißt es.
Pakistan erscheint als eine Art „Schaltzentrale des Terrors“,
immer wieder wird das Land in Verbindung mit Anschlägen
genannt. Das ist nicht erst seit heute so, sondern hat eine histo-
rische Tradition. Die höchst mannigfaltige „Szene“ der Orga-
nisationen im Bereich der Islamischen Bewegung geht nämlich
auf die gemeinhin weniger beleuchteten Umstände der Staats-

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gründung Pakistans zurück – viele Jahrzehnte lang erfüllten
diese Organisationen in einträchtiger Nachbarschaft zu staat-
lichen Institutionen den Zweck, Indien aus der Region Kasch-
mir zu vertreiben, die zum größten Teil von Muslimen besiedelt
ist. Längst ist im Getriebe der Weltpolitik vergessen worden,
dass die UNO schon 1948 einen Volksentscheid der gebeutel-
ten Kaschmiris über ihre Staatsangehörigkeit verlangt hatte, der
aber niemals stattfand. Stattdessen dauert der Machtkampf um
Kaschmir an, der sich im Spannungsfeld der widerstreitenden
Interessen von Pakistan, Indien und der regionalen Führungs-
macht China vollzieht.
Nicht genug damit, haben die USA ab 1974, wie zuvor schon
in Ägypten und anderen arabischen Ländern, in Pakistan das
Aufblühen der Islamischen Bewegung kräftig gefördert, um ein
Gegenmittel gegen den Moskautrend der neuen afghanischen
Regierung unter Mohammed Daud zu haben, der 1973 in ei-
nem Putsch Afghanistans König Zahir abgesetzt hatte. Damit
schufen die USA und Pakistan die Grundlagen für die islamisch
motivierte, spätere afghanische Widerstandsbewegung gegen
die Sowjetbesatzung. Das der Sowjetunion nahestehende Indien
wurde dabei sehr effizient gleich mit unter Druck gesetzt.
Die Methode war simpel und erprobt: Die späteren Wider-
ständler wurden in Pakistan und im pakistanisch beherrschten
Teil Kaschmirs militärisch ausgebildet und bewaffnet, damit
diese anschließend ihren in die säkulare Staatswirtschaft abdrif-
tenden Heimatstaat Afghanistan beziehungsweise die indische
Unterdrückungsherrschaft destabilisieren konnten – und das
immerhin so effektiv, dass den Sowjets 1979 nur noch die Inva-
sion in Afghanistan blieb, wenn sie nicht vor aller Welt desavou-
iert werden wollten.
Aber der Widerstand galt auch Indien direkt, denn in Kasch-
mir standen zeitweise eine dreiviertel Million Mann indischer
Truppen, um ein paar Millionen muslimischer Kaschmiris zu
bändigen. Der Guerillakampf gegen indische Truppen im in-
dischen Teil Kaschmirs war ebenfalls im Sinne der USA und
wurde von dort indirekt gefördert, denn als Führungsmacht der

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blockfreien Staaten stand Indien aus Washingtoner Perspektive
dem sowjetischen Lager nahe, zu nahe, und bezog auch seine
Waffen von dort.2 Da erscheint es nur sinnvoll, dass das US-
pakistanische Bündnis gleich die Synergien zwischen kaschmiri-
schem und afghanischem Widerstand betonte – eine Politik, die
Pakistan auch nach dem Abzug der Sowjets vom Hindukusch
fortsetzte, dann allerdings ohne die gewohnt kräftige Protektion
der USA und notfalls auch gegen deren Willen.
Das komplexe Wachstum der Islamischen Bewegung in Zen-
tralasien lässt sich aber schon seit geraumer Zeit nicht mehr nur
national oder regional verstehen, sondern muss, ausgehend von
Afghanistan und Pakistan, deren Schicksale unauflösbar ver-
quickt erscheinen, in einen weltweiten Kontext gestellt werden,
den die Ummah, die Glaubensgemeinschaft der Muslime, und
ihr geopolitischer Emanzipationsprozess bestimmt.
Pakistan kommt dabei in mehrfacher Hinsicht eine Schlüs-
selrolle zu – aber auch dem Verhalten der USA und ihrer Ver-
bündeten inner- wie außerhalb der Nato, denn ein Gutteil der
islamischen Radikalisierung motiviert sich aus unserem poli-
tischen Fehlverhalten. Gleichzeitig entsteht eine neue Gefah-
renquelle: Im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet wird die
„74er Generation“ der islamischen Kämpfer langsam alt. Eine
neue Generation kommt auf, die die Kungeleien vieler Älterer
mit den als fehlerhaft empfundenen staatlichen Autoritäten
Pakistans ablehnt. Es ist ein Generationenwechsel, der noch
kämpferischer agierende neue Kräfte an die Macht bringt. De-
ren neuer Star, Beitullah Mehsud, bedroht bereits mit Tausen-
den von Kämpfern die berühmte alte Grenzstadt Peschawar. Sie
kann jetzt jederzeit fallen, schreibt die New York Times3. Doch
nach jetzigem Stand werden alle Gegenmittel, die lediglich den
Norden Pakistans erfassen, die Lage nur verschlimmern, weil sie
die Ursachen der Probleme nicht erreichen. Und am meisten Öl
würde ins Feuer gegossen, wollte man versuchen, die Lage um
Peschawar „militärisch zu lösen“.

München, im August 2008 Christoph R. Hörstel

22
„… eine Serie katastrophal verfehlter Entscheidungen über Krieg
und Frieden … Freiheit und Barbarei, Gerechtigkeit und Fair-
ness.“194
Al Gore nach eigenen Worten „ehemals der nächste
Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika“,
über die Politik der Regierung von George W. Bush

Kapitel 4

Wie das Terrorsystem aufgebaut ist

Als Grundlage für ein sachlich fundiertes Verständnis muss


die Terrorszene in Pakistan innerhalb des Islam philosophisch-
theologisch eingeordnet werden. Islamische Organisationen in
Pakistan beruhen auf vier islamischen Denkrichtungen. Diese
stehen jedoch im Islam erst an vierter Stelle der religionsphilo-
sophischen Hierarchie. Deshalb müssen wir von der Spitze der
Hierarchie ausgehend unsere Unterteilungen vornehmen. Zuvor
jedoch schließen wir bereits eine Denkrichtung aus unserer Be-
trachtung aus, weil sie der schiitischen Konfession zuzuordnen
ist, die Konfession ist nach dem Oberbegriff Islam die nächste
Unterscheidungskategorie. Da jedoch schiitische Gruppen sich
am Terrorgeschehen Pakistans entweder gar nicht oder kaum
beteiligen, können wir sie hier vernachlässigen.195 Die übrigen
drei Denkrichtungen gehören zur sunnitischen Konfession und
müssen in Kürze dargestellt werden, um die religionsphilosophi-
sche Übersicht zu behalten, die im Islam immer auch politische
Bedeutung besitzt. Dazu ein Vergleich: Wie das Christentum
sich in die evangelische und die katholische Konfession unter-
teilt, gibt es auch im Islam zwei Konfessionen: die sunnitische
und die schiitische.
Für die nächste unterteilende Hierarchiestufe nach der Kon-
fession gibt es im Christentum keine sinnvolle Entsprechung,
dies sind die sogenannten „Rechtssysteme“ des Islam. Dabei geht

145
es um das philosophische und rechtshandwerkliche Grundge-
rüst für die tatsächliche Rechtsfindung im Rahmen der Scharia.
Hier unterscheidet der Islam vier Systeme der Rechtsfindung.
Wir müssen jedoch nur eines davon betrachten, weil alle hier
wichtigen drei sunnitischen Denkrichtungen nur einem Rechts-
findungssystem angehören, nämlich dem hanafitischen System.
Dies ist das erste der vier orthodoxen sunnitischen Rechtssys­
teme. Es unterscheidet sich von den drei anderen dadurch,
dass es in der Ausformung des Rechtsverständnisses weniger
Gewicht auf mündliche Überlieferungen legt, die die Annähe-
rung an das Koranverständnis wesentlich beeinflussen können.
Stattdessen nutzt das hanafitische System die beiden grundle-
genden Quellen des Islam-Verständnisses: den Koran und die
Sunna (deutsch: Brauch, gewohnte Handlungsweise, überliefer-
te Norm). Sunna ist die Summe der Hadithe. Und Hadithe sind
mündlich oder schriftlich gegebene Anweisungen des Prophe-
ten Mohammed, Beschreibungen von ihm als nachahmenswert
bezeichneter Handlungen, seine Billigungen von Handlungen
Dritter, Empfehlungen und vor allen Dingen Ge- und Verbo-
te sowie religiös-moralische Warnungen, die im Koran so nicht
enthalten sind. Die Summe dieser Überlieferungen hat mit den
Jahren und Jahrhunderten ihren normativen Charakter für die
Gläubigen angenommen und dies hat ihr den Namen ‚Sunna’
eingebracht.196 Zusammen mit dem Koran als erster Quelle
bildet diese Sunna die Grundlage für das hanafitische Rechts-
findungssystem, Qiyas, eine Methode von Analogieschlüssen.
Diese Methode sieht vor, aus bekannten Zusammenhängen auf
unbekannte zu schließen, zum Beispiel von der Abkehr von Al-
kohol auf ein Verbot von Kokain-Genuss.

Die wesentlichen drei sunnitischen Denkrichtungen

Wir unterscheiden weiter innerhalb der hanafitischen Rechts-


schule folgende Denkrichtungen: Deobandi, Barelwi und eine
wahabitisch-salafistische, die sich aus Saudi-Arabien finanziert

146
und unter diesem Einfluss steht, sowie schließlich, wie oben er-
wähnt, eine aus dem Bereich der schiitischen Konfession.
Die Denkrichtung der Deobandi stammt aus einer Situati-
on der Bedrohung, der sich die Muslime Indiens im vorletzten
Jahrhundert ausgesetzt sahen. Minorisiert durch Hindus und
Buddhisten und beherrscht durch britische Kolonialherren,
wandten sie sich einer Erneuerung ihres Glaubens zu, wie sie
auch der uralte mystische Sufismus anstrebt: durch Konzentra-
tion auf Koran und Hadithe, intellektuelles Lernen, spirituelle
Erfahrung, die Scharia und schließlich den Tariqah, den heili-
gen Weg zur Essenz der Wahrheit, wie ihn die Sufis beschrei-
ben. Unter Leitung von Mohammad Qasim Nanautawi und
Rashid Ahmed Gangohi taten sich 1866 einige Schriftgelehrte
in dem Städtchen Deoband, 150 Kilometer nördlich von Delhi
im Bundesstaat Uttar Pradesh, zusammen und gründeten eine
religiös ausgerichtete Schule, eine Madrassa.
Gerade neun Jahre zuvor, 1857, war ein Aufstand in Indien
gegen die britischen Kolonialherrscher zusammengebrochen (s.
Kapitel 2), den die örtlichen Muslime angeführt hatten. Der
Aufstand brach aus, als sich die britischen Hilfstruppen aus
Muslimen und Hindus, Sepoy genannt, gegen die Benutzung
ihrer neuen Enfield-Gewehre wehrten, weil deren Munitions-
magazine mit Rinder- und Schweinefett behandelt worden sei-
en, ein Affront für beide Religionen: Den Hindus sind Kühe
heilig, den Muslimen gelten Schweine als unreine Tiere, die
nicht verzehrt oder berührt werden dürfen. Die Briten mach-
ten kurzen Prozess mit dem Aufruhr und unterstellten Indien
als Vizekönigtum direkt der britischen Krone. Dabei setzten sie
auch gleich den letzten (muslimischen) Mogul-Kaiser, Bahadur
Shah Zafar, ab – und durchbrachen damit eine 400-jährige dy-
nastische Tradition von beträchtlicher weltgeschichtlicher Be-
deutung. So war es diese unkluge, kulturell rücksichtslose Re-
aktion der britischen Besatzer, die viele Muslime aufrüttelte und
zur Gegenwehr trieb.
Weltweit fußen unsere aktuellen Probleme mit der islami-
schen Welt auf Kolonialaktionen der vergangenen beiden Jahr-

147
hunderte, für die wegen ihrer Ausdehnung über die halbe Welt
vor allem britische Akteure verantwortlich gemacht werden; mit
welchem Recht und in welchem Ausmaß kann hier nicht ab-
schließend geklärt werden, doch sei festgehalten, dass die Vor-
würfe nicht ohne gesicherte Grundlage bestehen.197
Die Begründer der Deobandi-Schule wollten durch eine um-
fassende Ausbildung modern erzogene junge Muslime schaffen,
die mit Briten und Hindus konkurrieren und die Werte des Is-
lam wiederbeleben konnten. Die Deobandis beschränkten die
gesellschaftliche Rolle der Frauen auf weniger öffentliche Be-
reiche, wandten sich gegen alle hierarchischen Formen in der
Gemeinschaft der Muslime und lehnten die Schia ab, die zweite
Konfession des Islam, die heute weltweit etwa 10% der Muslime
ausmacht.
Wie groß das Bedürfnis nicht nur der indischen, sondern
weit darüber hinaus der südasiatischen Muslime nach einer
neuen, modernen geistigen Ausrichtung und Führung war, lässt
sich aus der gewaltigen Reaktion schließen, die diese zunächst
ärmliche und behelfsmäßige Schulgründung weltberühmt
machte: Bereits 1879 gab es zwölf „Deobandi“-Madaris198 in
Indien, 1967, hundert Jahre nach der Gründung, über 9.000 in
ganz Südasien, davon allein 1.000 in Pakistan, schreibt Ahmed
R­ashid.199
Interessanterweise hielt sich der Erfolg der Deobandis in Af-
ghanistan und unter afghanischen Paschtunen in Grenzen, es
gab nur einige Schulgründungen, und regelmäßig besuchten
zahlreiche afghanische Gäste die indischen Schulen.
Seit den Anschlägen von 2001 haben sich viele westliche Ge-
lehrte und Journalisten der Geschichte mit ihren widersprüch-
lichen Informationen angenommen, denn die Deobandi-Schu-
len gelten als geistiger Nährboden der Taliban und ihrer Ver-
bündeten in Pakistan. Doch ist dies eine stark vereinfachende
Sichtweise für einen durchaus komplizierten und reichhaltigen
philosophischen Hintergrund und eine durchaus heterogene
politische Machtstruktur wie die Taliban, deren jetzige Protago-
nisten von einer neuen Generation durch den „Antiterrorkrieg“

148
inspirierter Forscher und Journalisten bereits als „Neo-Taliban“
bezeichnet werden.
Der weltweit für seine Taliban-Expertise berühmte pakistani-
sche Linksintellektuelle Ahmed Rashid, der dem gesamten Ma-
drassa-Wesen intellektuell wie persönlich-seelisch oder religiös
völlig fernsteht, konstatiert, die Taliban hätten die ursprüngli-
che Absicht der Deobandis ins Extreme und bis zur Unkennt-
lichkeit verdreht und simplifiziert. Tatsache ist, dass an dieser
Stelle ein Blick auf die nackten Zahlen mehr lehrt als manches
Philosophie-Seminar: Unter dem Militärherrscher General Zia
Ul-Haq steigerte sich die Zahl der Madaris von etwa 1.000 auf
8.000 registrierte und 25.000 nicht registrierte bei seinem Tod
1988. Das staatliche Schulsystem kollabierte mangels staatli-
cher Gelder und Initiative zusehends – parallel bildete sich eine
Art lukrativer Spenden- und Subventionsmarkt für Madrassa-
Gründungen, vergleichbar vielleicht unseren gelegentlich etwas
windigen Fortbildungsinstituten, deren Geschäftsmodell sich
auf die Zuschusspraxis unserer Arbeitsämter ausrichtet. Da Zia
nicht nur innerlich der Islamischen Bewegung nahestand, son-
dern darin gleichzeitig internationalistisch dachte, öffnete sich
der religiöse „Bildungsmarkt“ Pakistans zusehends ausländi-
schen Finanzquellen, vielfach aus arabischen Ländern, vor allem
aus Saudi-Arabien.
Das kam Schülern und auch Lehrern sehr zugute, die oft ihre
Armut an Finanzen und Wissen miteinander teilten. Ich kam
in den 80er Jahren mit vielen Zöglingen dieser aus der Not ge-
borenen Schulungsinstitute zusammen. Sie taten, was weltweit
zu beobachten ist: Angesichts immenser sozialer Verwerfungen
und Probleme ihrer Gesellschaften wenden sich junge Muslime
ihrem Glauben zu. Dort suchen sie Rat, Trost und Halt. Ge-
walttätig und hasserfüllt werden sie erst, wenn politische oder
soziale Anlässe hinzukommen. Damit sind jedoch leider Gottes
westliche Gesellschaften und ihre Freunde und Partner in islami-
schen Ländern geradezu freigebig. Internationale Konfliktstoffe
von Nahost/Palästina über Tschetschenien und Afghanistan bis
Kaschmir erfüllen in den Augen der Muslime nahezu jedes häss­

149
liche Klischee. Im ungünstigen Zusammenspiel mit nationalen
und sozialen Schwierigkeiten wie: Kinderreichtum, Jugendar-
beitslosigkeit, Umweltprobleme, Naturkatastrophen mit Behör-
denversagen, Öffnung der sozialen Schere zwischen arm und
reich, wachsende Korruption und schließlich die Öffnung einer
weit brisanteren Schere: einer zwischen vielen strenggläubigen
armen oder verarmten Menschen auf der einen Seite und weni-
gen polyglotten und verwestlichten jungen Reichen. Diese kleine
privilegierte Gruppe akzeptiert keine Einschränkung ihres Wohl-
lebens und richtet sich an den Eliten besser situierter Länder aus.
Doch gerade diese Länder sind in den Augen der armen islami-
sierten Schichten für manches Übel dieser Welt verantwortlich.
Was nun die berufliche Nützlichkeit solcher mitunter dritt-
klassigen Ausbildungen in unterprivilegierten aber radikalen
Madaris angeht, so helfen sich viele junge Leute selbst, nehmen
an Fortbildungen in verschiedenen Sektoren teil – und finden
immer wieder Unterschlupf in einschlägigen Organisationen
oder Firmen mit entsprechenden Verbindungen. Es gibt in Pa-
kistan eine ganze Subkultur des politischen, wirtschaftlichen
und sozialen Lebens, die derartig vorgebildeten jungen Leuten
gern Aufnahme gewährt. Gut bezahlte Jobs sind das zumeist
nicht – aber die jungen Leute wissen, dass sie letztlich für eine
gesellschaftsverändernde Bewegung stehen – und nehmen die-
se materiellen Nachteile großenteils auch sehr bewusst in Kauf.
Der Erfolg der Taliban wäre ohne diese Jugend nicht denkbar
– und die dabei gezeigte große Disziplin ohne diese wie immer
intellektuell unbefriedigende geistige Grundschulung nicht er-
reichbar. Wer also als westlicher Kritiker diese Madaris als bil-
dungspolitisch unzureichend ablehnt, muss sich fragen lassen:
unzureichend wofür? Zur Heranbildung eines geistig gefestigten
Kämpfers reichen diese geringen und preiswert zu erreichenden
Wissensgründe absolut aus. Und da gezeigt wurde, dass Quali-
fikation immer benötigt wird, auch im Krieg, suchen Gründer,
Eigentümer und Mitarbeiter der Madaris aus bestem eigenem
Interesse und nach Kräften den Inhalt der Lehrstoffe und die
Qualität der Vermittlung an ihrer Madrassa zu verbessern.

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Abschließend sei noch einmal auf die Forschungsergebnisse
der Expertin Fair hingewiesen, die erläuterte200, dass gerade die-
ser persönliche Hintergrund in der Leitungsebene der Madaris
entscheidend ist, wo die Posten oftmals innerhalb einer Familie
regelrecht vererbt werden, als sei es ein „Familiengeschäft“. Fair
weist darüber hinaus darauf hin, dass öffentliche Schulen eben-
falls erkleckliche Anteile an Schülern und Lehrern aufweisen,
die der Islamischen Bewegung nahestehen (S. Kapitel 2, S. 70)
und fordert die USA deshalb auf, ihre Politik gegen die Madaris
„zumindest noch einmal zu überdenken“, weil diese Schulen er-
folgreich privatwirtschaftlich organisiert seien.

Barelwi

Die Schule der Barelwi kommt ebenfalls aus Indien, ebenfalls aus
Uttar Pradesh, aus der Stadt Bareilly. Diese Großstadt mit etwa
750.000 Einwohnern liegt in einem geschichtsträchtigen Ge-
biet: Hier leben Paschtunen aus dem auch in Afghanistan mäch-
tigen Stamm der Yusufzai, die bis zu ihrer Entmachtung durch
die britischen Kolonialherren 1774 ihr Reich Rohilkhand201 be-
herrschten. Gründer der Schule war Ahmed Raza Khan (1856-
1921), der einer Familie islamischer Rechtsgelehrter („Alim“) in
Bareilly entstammt. Raza Khan wurde wesentlich durch seinen
eigenen Vater ausgebildet und hat niemals eine Schule islami-
scher Gelehrsamkeit („Dar-ul-Ulum“) besucht. Anschließend
hat er eine unglaubliche Menge Schrifttum verfasst, man spricht
von 1000 Werken, nicht nur rechtlicher, religiöser und inspi-
rierender Natur, sondern auch Dichtkunst – und dies in drei
Sprachen: Arabisch, Persisch und Urdu. Ende des 19. und zu
Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine große Anzahl charis-
matischer Gelehrter („Pir“) und von ihnen gegründeter Schu-
len und Gruppen, die sich auf die jeweiligen Schulgründer als
geistliche Führer beriefen. Entscheidend ist jedoch, dass diese
Führungspersönlichkeiten sich ihrerseits häufig auf Raza Khan
beriefen. Er schrieb seit dem 14. Lebensjahr islamische Rechts-

151
sprüche („Fatwa“) und erhielt seine entscheidenden Eindrücke
bis zu seiner Pilgerreise („Hadsch“) 1878. 1904 gründete er seine
Madrassa in Bareilly. Sein Hauptwerk ist die 12-bändige „Fatwa
Razwiya“, eine komplette Zusammenfassung der hanafitischen
Rechtsschule. Mit einem weiteren Hauptwerk („A-Daulatul
Makkiah“), das er während seiner Pilgerfahrt in Mekka während
weniger Tage schrieb, zog er sich allerdings die Gegnerschaft der
Deobandis zu, weil er darin die Person des Propheten als geistige
Lichtgestalt beschrieb, nicht mehr als gewöhnlichen Menschen,
was eine Mittlerschaft zwischen diesen übrigen Menschen und
Gott durch derartige geistige Lichtgestalten etablierte, die ande-
ren Muslimen als Abweichung gilt. Das bedeutet in den Augen
der übrigen Strömungen eine Neuerung im Islam-Verständnis
(„Bid’ah“) – die grundsätzlich abzulehnen ist. Die Barelwis fol-
gen der Tradition der Sufis, der islamischen Mystiker und besu-
chen in religiöser Verehrung die Gräber bedeutender Gelehrter.
Sie haben mehr als die Hälfte aller Madaris in Pakistan in ihrem
Einflussbereich und gelten als friedlich – jedoch genau das gilt
auch als ein Grund, warum die Anhängerschaft nicht weiter
wächst.202

Salafistische Denkrichtungen

Salafisten leben heute vorwiegend in arabischen Ländern. Man


könnte sie buchstäblich auch Fundamentalisten nennen, da sie,
einem Hadith, einem Ausspruch des Propheten Mohammed zu-
folge, Mohammeds Generation und die beiden nachfolgenden
in der Frühzeit des Glaubens zu Lebensvorbildern nehmen, um
dadurch einem möglichst reinen und unverfälschten Islam zu
folgen. Der Begriff „Salaf“ (= „rechtgläubiger“ oder „frommer
Vorfahre“) tauchte erstmals in einem Buch des Schriftstellers
Abu Sa‘d Abd al-Kareem al-Sama‘ni im 12. Jahrhundert n. Chr.
auf.
Der wohl berühmteste Salafist ist die heutige Nr. 2 der «Al-
Qaeda», Ayman al-Zawahiri. Über dessen Familie schreibt der

152
wichtige Kenner Jason Burke: „In drei Generationen sehen wir
die klassische historische Wandlung vom Anti-Kolonialismus
zum Pan-Arabismus zum radikalen Islam als Diskurs oder Ideo-
logien abweichender Meinungen.“203 Das ist der Lernstoff, aus
dem die vernünftigen Lösungsmöglichkeiten erwachsen, die un-
sere Zeit so dringend braucht.

„Wahabitische“ Denkrichtungen

Religionsphilosophisch ganz ähnlich gelagert wie die Salafisten


sind die von uns so genannten „Wahabiten“, die aus histori-
schen Gründen vorwiegend in Saudi-Arabien beheimatet sind.
Sie selbst wenden diese Gruppenbezeichnung niemals an, son-
dern nennen sich „Muwahhideen“ (= Monotheisten). Die Ge-
schichte dieser Bewegung ist bedeutsam, deshalb sollte sie zur
Allgemeinbildung gehören, weil wir sonst Saudi-Arabien nicht
verstehen können: Muhammad ibn Abd al-Wahab, aus dessen
Namen sich die Bezeichnung „Wahabiten“ herleitet, wurde 1703
in Al-Uyayna geboren, einer Kleinstadt 30 Kilometer nordwest-
lich der heutigen saudischen Hauptstadt Riadh im zentralen
Hochland Nadschd. Wir werden gleich sehen, wie entscheidend
wichtig die Rolle dieses Mannes für die Entstehung des saudi-
schen Königreiches war. Doch ist sein religionsphilosophischer
Ansatz gerade so ausgerichtet, dass er andere Lehrer außer dem
Propheten Mohammed und Angehörige seiner und der folgen-
den Generation nicht als verbindlich anerkennt – also eine eige-
ne Rolle als Mittler zwischen den Gläubigen und dem Islam ab-
lehnt, also eben nicht „Wahabiten“, sondern „Muwahhideen“.
Al-Wahab lehnte auch manche dem Islam später zugefügte Ri-
ten (Verehrung am Grab, Musik etc.) ab.
Er wurde in seiner Kindheit von seinem Vater unterrichtet
und ausgebildet, erhielt als junger Mann starke Anregungen
bei seiner Pilgerreise (Hadsch) nach Mekka und Medina. Seine
Lehren formte er im heutigen Basra aus. Schon frühzeitig setzte
er sich dafür ein, dass die reine Schrift (Koran, Hadithe) gelten

153
solle, dass alles sich daraus herleiten müsse – und dass spätere
Neuerungen nicht gelten sollten. Auch forderte er die rigorose
Anwendung traditioneller Strafen, was ihm frühzeitig Anfein-
dungen eintrug. Deshalb verlor al-Wahab Unterkunft und An-
stellung und kam schließlich, 1740, bei Mohammad ibn Saud
unter, der am Stadtrand von Riadh nahe bei Al-Uyayna in der
Siedlung Dir’iyya lebte und das politische Potenzial der Lehre
erkannte. Er ließ sich bestätigen, dass die Sauds die Imame die-
ser neuen Lehre sein sollten. Beginnend mit dem Ende des 18.
Jahrhunderts n. Chr. begann die Familie Saud einen 140 Jahre
dauernden Eroberungszug über die gesamte arabische Halbinsel.
1927 war das Werk mit der Begründung des Königreiches Sau-
di-Arabien vollendet, just elf Jahre bevor 1938 die gewaltigen
Ölreserven des Landes entdeckt wurden, die den ursprünglich
relativ anspruchslos lebenden Wüstensöhnen zu ihrem fabelhaf-
ten Reichtum und weltweiten Einfluss verhalfen.
Dieser Hintergrund hilft möglicherweise, Dinge nicht gleich
zu verurteilen, die wir nicht sofort verstehen, weil sie uns sehr
fremd sind.

Die wichtigsten Madaris

In eine Madrassa gehen Kinder von Anfang an, es gibt keine


Vorschule dazu. Sie lernen lesen, schreiben, rechnen, meist auch
Englisch und Arabisch.
Madaris bieten kostenlosen Unterricht, oft kostenlose oder
preiswerte Lehrmittel, die gelegentlich nicht viel taugen oder
restlos veraltet sind, vielfach auch kostenlose oder preiswerte
Schulspeisung. Für interne Schüler gibt es Übernachtungsmög-
lichkeiten in Schlafsälen oder kleineren Gemeinschaftsräumen.
Alles ist ganz einfach gehalten, überall ist sichtbar, dass für je-
des Angebot, jeden Ziegelstein, jedes Stück Stoff Spendengelder
eingeworben werden müssen.
Wer Madaris besucht wird feststellen: Die Schüler sind durch
die Bank hellwach, freundlich, aufgeschlossen – und sehr inte­

154
ressiert. Es ist jedoch auch vielfach spürbar, dass sie von westli-
chen Nicht-Muslimen nichts wirklich Neues erwarten, vielmehr
scheinen sie nur gespannt zu sein, wie sich der Gast verhält.
Und Gäste hatten die Madaris ja in den letzten Jahren viele, seit
es hieß, dass hier der „Taliban-Nachwuchs gezüchtet“ werde,
dass hier „die Brutstätte des Fundamentalismus und des Terro-
rismus“ sei. Tatsächlich, ein Teil der Absolventen wird direkt in
den Kampf ziehen, so, wie sie es zum Teil auch schon während
der Ausbildungszeit per Sonderurlaub getan haben.
80 % aller rund 10.000 Madaris in Pakistan gehören mitt-
lerweile zur Richtung der Deobandis, vier dieser Madaris davon
sind so bekannt, dass mindestens eine aus diesem Kreis in jedem
Bericht auftaucht, der sich mit diesem Thema befasst. Diese vier
sollen hier näher betrachtet werden.

Muridke

Nahe der Hauptstadt der Provinz Punjab, Lahore, in der Ort-


schaft Muridke, liegt die Markaz-e-Taiba, betrieben von der Or-
ganisation Jamaat-ud-Dawa, (= Missionsbruderschaft), die wie-
derum die Missionsorganisation der Islamischen Bruderschaft
Pakistans ist (= Jamaat-i Islami). Jamaat-ud-Dawa ist gleichzei-
tig der politische Arm der nach 9/11 verbotenen größten und
wichtigsten Kaschmir-Kampftruppe Lashkar-e-Taiba (= Armee
der Reinen/Rechtgläubigen). Doch gibt es auch Nachrichten-
dienste, die Jamaat-ud-Dawa für die Nachfolgeorganisation die-
ser Kampftruppe halten.
2.000 Lernende, Schüler zwischen 6 und 17 Jahren sowie
Studenten, zählen Schule und Universität zusammen, dort
können religiöse Fächer studiert werden – aber auch Compu-
ter- und Ingenieurswissenschaften oder Medizin. Ein Kranken-
haus mit 100 Betten wurde 2004 zu den bestehenden 26 Bet-
ten hinzugebaut, jeden Monat werden 6.000 Patienten durch
die Behandlungszimmer geschleust: kostenlos oder zu geringen
Preisen. Monatsbudget der Gesamtanlage: 35.000 Euro.204

155
Vor dem Gebäude fallen zwei martialische Wachen mit Ka-
laschnikows auf, die gern einmal einen westlichen Journalisten
zurückweisen. Drinnen gibt es einen wohlgepflegten grünen
Rasen, Swimmingpool, Cricket- und Badminton-Plätze, Reit-
unterricht und Computer-Kurse. Hier soll sich im Dezember
2004 der Londoner U-Bahn-Bomber Shahzad Tanweer vor dem
Attentat vier oder fünf Tage lang aufgehalten haben, eine Be-
suchsstation auf einem zweimonatigen Trip durch Pakistan.205
Hübsche rote Ziegelhäuschen beherbergen die Klassenräume,
davor laden weite Rasenflächen zu Freizeit oder Sport.
22.000 Lernende zählt Jamaat-ud-Dawa in 137 Madaris
überall in Pakistan.
Es kann keinen Zweifel geben, dass engste Beziehungen
zwischen Muridke und den Taliban und „Al-Qaeda» bestehen
– nur wird darüber nicht geredet und jede Nachfrage höflich
abgewürgt. Denn Lashkar-e-Taiba wurde vom ISI als besonders
brutale Kampftruppe mitgegründet – und mit dem ISI möchte
es sich niemand durch lockeres Geplauder, noch dazu mit Aus-
ländern und Nicht-Muslimen verscherzen. Weltweit wundern
sich die Journalisten, warum es diese Schule noch gibt. Das ist
keine Frage, die Schule ist eine Rückversicherung Pakistans in
der Auseinandersetzung mit dem mächtigen Nachbarn Indien
um die zwischen beiden Ländern umstrittene Provinz Kasch-
mir. Selbstverständlich kennen auch Geheimdienste der USA
und der Nato diese Infrastruktur genau. Warum sie dann bis
heute überlebt hat, ist ein wichtiger Gegenstand der weiteren
Analyse.

Quetta

Dieses Dar-ul-Ulum (= Haus des Wissens) ist bekannt, weil


ihr Leiter, Nur Mohammed, ein ehemaliger Abgeordneter des
Nationalparlaments für die Muttahida-Majlis-e-Amal (MMA,
= Vereinigter Aktionsrat), ausgesprochen Taliban-freundlich ist.
Sehr simpel sind Gebäude und Ausrüstungen für die etwa 700

156
Schüler, von denen etwa die Hälfte Internatszöglinge sind. Das
Kurrikulum umfasst auch Englisch und Ingenieurs- und Com-
puter-Kurse, das Niveau erscheint jedoch zweifelhaft. Im Eng-
lisch-Unterricht wird Lesestoff geboten, der an den heroischen
Abwehrkampf gegen die britischen Invasoren der Kolonialzeit
erinnert. Als ich im öffentlichen Gespräch mit dem Schulleiter
Nur Mohammed auf die unbedingte Aktualität des Textes hin-
wies, erntete ich ein fröhliches Lächeln. Es ist gerade ein Neu-
bau in Arbeit, der Rohbau steht bereits und wird etwa 600 Qua-
dratmeter Fläche bieten. Zugpferd einer radikalen Madrassa zu
sein ist nur etwas für Idealisten. Im nahen Privatgebäude Nur
Mohammeds stand sein heruntergekommenes Auto mit mehre-
ren luftleeren alten Reifen.
Quetta und Umgebung ist eine Hochburg des afghanischen
Widerstandes. Die wenigen guten Straßen sind sämtlich durch
Sicherheitskräfte kontrolliert. Noch exakter als in Peschawar
und Umgebung können Pakistans Geheimdienstler hier alle Be-
wegungen verfolgen – auch die von Schülern, die ihr Praktikum
im afghanischen Abwehrkrieg gegen die Nato machen.
Berühmtester Schüler dieser Madrassa war der im Mai 2007
von Natotruppen erschossene Talibanführer Mullah Dadullah,
der heute in seiner alten Schule hohe Verehrung genießt.206

Akora Khatak

Etwa 60 Kilometer von Peschawar entfernt an der Straße nach


Islamabad, liegt in dem Städtchen Akora Khatak die berühmte
Haqqania (= Ort der Wahrheit), die älteste und einflussreichs­
te Madrassa in Pakistan. Sie wird gern von Journalisten aus
aller Welt besucht, weil Glaubensstärke, Gastfreundschaft und
Wildheit der Paschtunen hier eine besondere Einheit eingehen,
die dem Beobachter ein gutes Bild von der Geistesverfassung
der Taliban geben kann. Das lässt sich deshalb sagen, weil
nicht weniger als vier Minister der 2001 verjagten Taliban-Re-
gierung an dieser Schule ihre Ausbildung erhielten, dazu eine

157
ungenannte Anzahl ihrer Anführer und höheren Verwaltungs-
chargen. Leiter Sami ul-Haq betreibt diese Schule tatsächlich
wie ein Familiengeschäft – und er hat seine eigenen Ansichten
über den Schulstoff: Wann immer die Taliban Kämpfer zu-
sammenriefen, werde die Schule geschlossen und alle gingen in
den Krieg.207 Jährlich graduieren hier etwa 600 Studenten208,
die sich dann ‚Haqqani’ nennen dürfen – und sich zumeist auf
die eine oder andere Art für den afghanischen Widerstand en-
gagieren.
Die Schulleitung hat in jüngster Zeit keine westlichen Journa-
listen mehr zu den emotional stark aufgeladenen Abschlussfeiern
zugelassen, weil die Berichterstattung sich von soviel Bekenner-
tum durchaus beeindruckt zeigte – und stets betonte, dass das
Regime Musharraf offenbar nicht in der Lage sei, die „radikal-
islamischen Umtriebe einzudämmen“. Auch hat Sami ul-Haq
seine kriegerische Rhetorik heruntergefahren und spricht jetzt
nicht mehr davon, die Schule zu schließen, sobald die Taliban
zum Kampf rufen.209 Man hat sich also bewusst entschieden,
den öffentlichen Wirbel einzudämmen – aber an der tatsächli-
chen Praxis hat sich gar nichts geändert.
Vielleicht ist es auch genau diese herausragende Madrassa,
die bei der International Crisis Group zu dem Eindruck geführt
hat, die Madaris und ihr systematischer Ausstoß an Kämpfern
seien der Kern der Bewegung und am Aufstieg der Taliban
schuld. Jedenfalls arbeitet Sami ul-Haq mit einer ganzen Reihe
von Kampfgruppen zusammen, es gibt Treffen und einen regen
Austausch – und wir können davon ausgehen, dass die Perso-
nalpolitik der Islamischen Bewegung in Pakistan insgesamt von
den genannten Schulleitern stark beeinflusst wird, wobei ul-
Haq eine der einflussreichsten Stimmen sein dürfte. Dies gilt
auch und gerade im Hinblick auf Kandidaten für Trainingslager
der Taliban oder von «Al-Qaeda». Ul-Haq ist kein ausgewiese-
ner Militärexperte – doch er weiß, wer von seinen zahlreichen
Schülern das geistige Rüstzeug für einen guten Kämpfer mit-
bringt. Sami ul- Haq ist damit ein wichtiger Ansprechpartner
für Kampfgruppen von Kaschmir bis Afghanistan, einschließ-

158
lich «Al-Qaeda». Diese Eigenschaft teilt er mit fast allen nam-
haften Chefs der Madaris der Bewegung, so funktioniert das
Netzwerk, und keiner kann es stoppen – es sei denn mit ebenso
nachhaltiger wie tiefgreifender Reformpolitik, die die Menschen
überzeugt, die schon so oft getäuscht worden sind und auch
weiterhin getäuscht werden.

Islamabad: Madaris um Lal Masjid

Die letzte berühmte Stätte in dieser Reihe und inzwischen welt-


weit zu trauriger Berühmtheit gelangt ist die Lal Masjid (= Rote
Moschee) in Islamabad. Der Name stammt tatsächlich ganz
simpel vom tiefroten Anstrich der Außen- und Innenmauern.
Die Moschee ist Zentrum einer ganzen Reihe von Seminaren
für mehrere Tausend Schülerinnen und Schüler in der näheren
Umgebung und kommt seit 2001 aus den Schlagzeilen nicht
heraus.
Die Schülerschaft stammt zumeist aus der Nordwestprovinz
(NWFP), die insgesamt der Islamischen Bewegung nahesteht
und die nachgiebige US-Politik Pakistans stark angreift. Beson-
ders aktiv zeigten sich die Schülerinnen der Jamia Hafsa Ma-
drassa, direkt neben der Moschee, eine Madrassa nur für Mäd-
chen. Es war ihre gewalttätige Protestaktion gegen angebliche
chinesische Bordelle in Islamabad, die schließlich zur Eskalation
der Lage mitten in der ansonsten ruhigen Diplomatenstadt Isla-
mabad führte und in einer gewaltsamen Räumungsaktion gegen
die Moschee am 10. Juli 2007 über 100 Todesopfern endete.
Damit begann auch der Niedergang der Präsidentschaft von
General Musharraf in den Folgemonaten.
Interessant ist dabei, dass die Rote Moschee, in der wichtige
Freunde von «Al-Qaeda» und den Taliban sprechen durften, wie
zum Beispiel Maulana Masood Azhar, Führer der Kampfgruppe
Jaish-e-Mohammad (= Armee Mohammeds), der dort, gemein-
sam mit manchen anderen, auch zur Ermordung von Präsident
Musharraf und zum Krieg gegen die USA aufrief.

159
Noch wichtiger ist, dass die Moschee traditionell und auch
nach dem 9/11 regelmäßig vom Establishment der Regierung,
insbesondere von hohen Militärs besucht wurde und ganz in
der Nähe der Zentrale des Militärgeheimdienstes ISI liegt, des-
sen Mitarbeiter dort immer wieder bei Gebet und Gottesdienst
gesichtet wurden210 – und ganz offensichtlich nicht zu Überwa-
chungszwecken gekommen waren…
An dieser Stelle muss einiges klargestellt werden: Nicht weit
von der US-Botschaft entfernt, in fast direkter Nachbarschaft
mit der ISI-Zentrale, wo jeden Tag die Mitarbeiter der Nato-
Geheimdienste ein- und ausgehen, mitten in einem Stadtbe-
reich höchster Sicherheit und Überwachung, verkehren stän-
dig prominente Köpfe mit «Al-Qaeda»-Verbindungen in einer
bestimmten Moschee, schwingen wilde öffentliche Reden, ge-
winnen Anhänger, fordern die USA und ihre lokalen alliier-
ten Eliten heraus. Und das soll übersehen worden sein? Keiner
kam auf die Idee, lasst uns doch den Chef der Roten Moschee,
Maulana Abdul Aziz (der kurz vor der Erstürmung bei einem
Fluchtversuch gefasst wurde), oder seinen Bruder und Stellver-
treter, Abdul Rashid Ghazi (der bei der Erstürmung ums Leben
kam), ein bisschen einbuchten und verhören? Oder auch den
hitzköpfigen Gastprediger und Kampfgruppenchef, Maulana
Masood Azhar? Das sollen wir glauben? Da sind die Folterlager
in Guantánamo oder Bagram bei Kabul verstopft mit Taxifah-
rern, Straßenverkäufern und anderen Unwissenden – und hier
laufen die Mörder-Jackpots und Terror-Goldnuggets frei herum
– und keinen schert das? Weshalb denn: aus Dummheit? Faul-
heit? Ignoranz? In diesem Ausmaß nicht denkbar.
Oder liegt es vielleicht doch daran, dass das Kontakt-Ange-
bot einfach zu gut ist, dass Top-Angehörige des politisch-mi-
litärischen Establishments ja sowieso jederzeit mit den Herren
Osama, Omar und Hekmatyar oder entsprechend die rang-
niedrigeren Chargen mit den Pendants in den Kampfgruppen
in Kontakt stehen, sodass es nicht nötig ist, hier mit „ferner
liefen“ die Zeit zu verschwenden?

160
Dann wäre die ganze Affäre um die Rote Moschee einfach
eine Art „Betriebsunfall“ im gewohnten, auffällig nachlässigen
Umgang mit dem Terrorkrieg, weil die Schulleitung der Roten
Moschee im Mörderspiel der hohen Politik einfach ein bisschen
zu laut und zu übermütig auftrat.
In der Folgezeit nach der blutigen Erstürmung der Moschee
gab es öffentliche Kriegserklärungen der Islamischen Bewegung
Pakistans gegen Musharraf und die Regierung, ein neuer Füh-
rer der neuen pakistanischen Taliban erblickte das Licht der Öf-
fentlichkeit, Beitullah Mehsud, Hunderte von Soldaten wurden
bei Kämpfen auf pakistanischem Gebiet getötet und gefangen-
genommen, wobei Insider die Gefangennahmen größtenteils
als Überläufer bezeichnen, was Islamabad gern vertuscht und
verschweigt. Vielfach waren die eingesetzten Kräfte auch nicht
bereit, auf ihre „Brüder“ zu schießen.
Für die USA bedeutete das eine interne Debatte: Mit oder
ohne absichtliches Versagen, Pakistan musste härter zum „An-
titerrorkrieg“ getrieben oder mit Gewalt dazu gebracht werden,
seine Versprechen einzuhalten: Bombenkrieg und US-Truppen-
verstärkungen auf pakistanischem Boden eingeschlossen. Aber
selbst von der Neocon-Seite aus betrachtet, mit viel Arroganz
und Ignoranz, Gottesgnadentum und angeborenem Recht auf
Weltherrschaft, eines lässt sich ja nicht vermeiden: die Frage
nach dem ‚wie weit noch?’ Wie viel tote Soldaten, verschwende-
te Steuer-Milliarden, weltweiten Rufverlust und Misserfolg wol-
len US-Regierungen in Zukunft noch in Kauf nehmen – und
ihren Verbündeten zumuten?
Hier schließt unser Überblick über kämpferische Madaris
der Islamischen Bewegung in Pakistan. Grundsätzlich halten
wir fest: Es sind nicht die Madaris, die die Gesamtheit ihrer
Absolventen in den Krieg gegen die Feinde der Islamischen Be-
wegung entsenden, vielmehr entsteht diese Gegnerschaft über-
all, wo junge Menschen Unterricht erhalten, mit Ausnahme
gehobener Privatschulen in einem privilegierten verwestlichten
Umfeld, die die jeunesse dorée auf Studiengänge im Ausland

161
vorbereiten: Dort bilden sich grundlegend kritische Ansichten
in deutlich geringerem Maße heraus.
Grund für diese weltweit wachsende Bereitschaft gerade
unter Muslimen, sich in den Kampf gegen die USA und ihre
Interessen zu begeben, liegt in den zahlreichen Konflikten, bei
denen Muslime sich nicht nur langfristig benachteiligt sondern
vor allem auch direkt und ständig physisch bedroht fühlen. Is-
raels aggressive Politik gegen die palästinensische Bevölkerung
innerhalb und außerhalb der eroberten Gebiete ist der wich-
tigste Einzelfall unter den vielen Punkten, die diesen Kampf
motivieren, sagen namhafte amerikanische Wissenschaftler der
führenden Universitäten.211
Madaris mit einem besonders starken Bezug zu kampfberei-
ten oder bereits kämpfenden Teilen der Islamischen Bewegung
verfügen über einen besonders starken Rückhalt aus drei Quel-
len: in der Gesellschaft, aus der ihre Schülerinnen und Schüler
kommen, von ganz oben bis zur Basis in der Politik, die die
gleichen Zielsetzungen wie die wütendsten Kämpfer zum Teil
völlig offen formuliert und sich mit politischen Mitteln dafür
einsetzt – und, nicht zuletzt, bei den Sicherheitskräften, Militär,
Polizei, bei den Geheimdiensten, jeweils auch von ganz oben
bis in die Mannschaftsränge. Das heißt: Der Krieg gegen sich
selbst, gegen den eigenen Staat Pakistan, in den laut Journa-
list und Buchautor Zahid Hussein der pakistanische Präsident
Musharraf sein Land geführt hat, um einen Krieg mit den USA
zu vermeiden, diese Auseinandersetzung, die wird auch in den
Madaris und in deren Umfeld ausgetragen.
Und genau wie überall sonst wird nicht richtig zugegriffen,
lässt man alles schleifen: in den Madaris wie in der Gesellschaft,
in Politik und Militär. Aus dem immer gleichen Grunde, dass
man die tatsächlichen Fragen nicht angehen will: In Pakistan
sind das die soziale Ungerechtigkeit, die Korruption, die Geld-
verschwendung an das übergroße Militär. Für diesen Schlendri-
an hat man seit 2001 in Gestalt der USA einen großen Sponsor
gefunden, der ständig neue und zugkräftige Argumente benö-

162
tigt, um seine Truppen und Geheimdienste in der Region be-
schäftigt zu halten.
Aber diese Fragen sind allesamt Sekundärfragen. Für echte
Lösungsansätze, für solide Politik, für den konstruktiven, fai-
ren Umgang zwischen Staaten und Völkern, also für das Ge-
genteil von dem was hier passiert, geht es primär um folgende
Herausforderungen und Aufgabenstellungen: einerseits um das
ungelöste Kaschmirproblem, andererseits um Lösungen an der
anderen britischen Grenzziehung, der Durand-Linie zu Afgha-
nistan, parallel zum vernünftigen nachhaltigen Aufbau von
Industrie, Land- und Wasserwirtschaft sowie Umweltschutz,
Bildung und interethnischen Ausgleich. Und es geht im glo-
balen Blick um die anderen Steine des Anstoßes, von Nahost
bis Tschetschenien, die die Muslime in Pakistan und anderswo
beunruhigen.

Die Kampfgruppen der Islamischen Bewegung

Ein vorläufiger Höhepunkt der Gewalt in Pakistan war mit der


Ermordung Benazir Bhuttos am 27. Dezember 2007 in Rawal-
pindi, ganz in der Nähe des Armee-Hauptquartiers, erreicht.
Beschuldigt wurde sofort ein junger Komet am Sternenhimmel
des Widerstands, Beitullah Mehsud, soeben zum Chef der Ta-
liban von Pakistan gekürt, der diese Ehre jedoch ebenso rasch
zurückwies. Pakistan hat sich mit der Erstürmung der Roten
Moschee verändert – und der Jahrestag am 10. Juli hat wieder
viele Menschenleben gekostet, allein 41 und 130 Verletzte bei
dem Bombenattentat auf die indische Botschaft in Kabul vom
7. Juli. Unter den Todesopfern befanden sich auch der indische
Militärattaché und drei weitere Inder. Da Pakistan die wach-
sende indische Präsenz mitsamt ihrem ebenfalls zunehmenden
Einfluss ein Dorn im Auge ist, geriet sogleich der ISI unter
dringenden Verdacht, an dem perfekt durchgeführten Anschlag
mitgewirkt zu haben.212

163
Es erscheint für das Verständnis der innenpolitischen Lage
und des Terror-Exports aus Pakistan wichtig, die bedeutendsten
Gruppen kennenzulernen, die sich der Gewaltanwendung ver-
schrieben haben.

Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP, Taliban-Bewegung Pakistans)

Zuerst wenden wir uns der jüngsten Gruppe zu, die am meisten
von sich reden macht, weil sie einen berühmten Namen ange-
nommen hat: Taliban. Zum Verständnis: Die afghanischen Ta-
liban pendeln ohnehin ständig zwischen Pakistan und Afghani-
stan, halten sich oft in Pakistan auf. Jetzt sollte plötzlich auf pa-
kistanischem Boden eine Bewegung gleichen Namens entstehen
– das störte sozusagen „die Inhaber der Markenrechte“. Deshalb
gab es auch im Dezember 2007 eine kritische Stellungnahme
von Mullah Omar, als der jetzt 34-jährige Beitullah Mehsud
Chef der Truppe wurde. Berichten in der pakistanischen Presse
zufolge erklärte die graue Eminenz des afghanischen Widerstan-
des, Mullah Omar, in Pakistan sei eine solche Bewegung nicht
notwendig. Dennoch sind die Beziehungen zwischen beiden
gut, Beitullah erkennt Omar nach eigener Aussage als „Amir-ul-
Momineen“ (Fürst aller Gläubigen) an. Plötzliche Meldungen,
ein bestimmter Widerständler sei von Omar gefeuert worden,
müssen nicht unbedingt stimmen.213 214 Es kann sich auch um
einen Trick ausländischer Nachrichtendienste handeln, die an-
schließend besonders genau den Telefonverkehr überwachen,
um daraus wichtige Erkenntnisse zu ziehen – oder schlicht
Uneinigkeit im afghanischen Widerstand215 säen wollen, denn
Misstrauen gehört selbstverständlich zum Geschäft.
Für die ferneren Beobachter tauchte Beitullah eher unver-
mittelt auf. Dabei hatte er bereits 2005, beim erwähnten Nord-
Waziristan-Abkommen, sein Debut als einer der Zeichnungs-
berechtigten auf Seiten des Widerstandes. Damals schloss der
pakistanische Staat, vertreten durch den zuständigen Bundes-
verwalter der Stammesgebiete („Political Agent“) und zahlrei-

164
che hochrangige Militärs bis in Generalsränge, mehrere davon
beim ISI, ein weltweit umstrittenes Abkommen mit den Taliban
und lokalen Kräften, das monatelange Kämpfe mit pakistani-
schen Truppen beenden und offiziell auch den Grenzverkehr der
Kämpfer mit Pakistan beenden sollte. Aber, wie vorherzusehen
war, die Sache funktionierte nicht wie dargestellt, sondern ganz
anders: Die grenzübergreifenden Militäraktionen des afghani-
schen Widerstandes verdreifachten sich, die Nato musste wieder
einmal ihre Truppen verstärken.216 Während der Friedensphase
jedoch hatten die Widerstandskämpfer in Nordwaziristan be-
rechtigte Aussicht auf einen warmen und trockenen Winter im
vertraglich geschützten pakistanischen Reservat. Bis heute gibt
es kaum eine öffentliche Debatte über diesen Riesenskandal im
sogenannten Antiterrorkrieg. Die öffentliche Entrüstung der
USA ist nicht ernst zu nehmen: Zu eindeutig hat die US-Re-
gierung in der Vergangenheit das Ausmaß ihrer doppelbödigen
Pakistan-Politik verschleiern helfen.217 Dazu später mehr: Kapi-
tel 6.
Beitullah Mehsud stammt aus dem Dörfchen Landidog und
den Unterordnungen der Shabikhel und Broomikhel in Süd-
waziristan. Sein Stamm, die Mehsud, hat schon zu Zeiten der
britischen Besatzung so viel Ärger gemacht, dass er den Beina-
men „die Wölfe“ erhielt – und britische Besatzungstruppen sich
fernhielten. Beitullah ist 1974 geboren und hat keine religiöse
Ausbildung. Statt dessen verfügt er über einen guten Draht zum
ISI, schreibt die New York Times218, die zur Motivierung dieser
Tatsache ausgerechnet die Uralt-Geschichte mit der von Paki-
stan angestrebten „strategischen Tiefe“ auf afghanischem Gebiet
anführt, als könnte man dieses Ziel nicht auch weit weniger
aufwendig, brutal und für Pakistans Gesellschaft weit weniger
gefährlich mit den bisherigen Stammesstrukturen und erprob-
ten Milizsystemen erreichen. Aber die NYT zitiert immerhin
einen alten Stammesführer und hochrangigen Ex-Soldaten, der
erklärt, bei Abschluss des Abkommens mit Mehsud habe er ge-
wusst, dass die Armee ihren Kampf gegen die Extremisten in
Waziristan nicht ernst meine. Schließlich genügten zwei Mona-

165
te, um so einen wie Mehsud fertigzumachen, wenn man rich-
tig hinfasse. Aber der ISI habe Mehsud bisher wohl „in Reserve
gehalten“. Diese Aussage müssen wir sehr ernst nehmen. Denn
aus allen Richtungen hören wir heute in Afghanistan und Pa-
kistan die Botschaft, die in diesem Buch noch oft auftaucht:
Es wird nicht getan, was man tun müsste, um das öffentlich
erklärte Ziel zu erreichen. Wenn jedoch ständig festgestellt wird,
dass systematisch, an vielen Stellen, immer wieder und immer
stärker das erklärte Ziel verfehlt oder gefährdet wird, dann ist
das erklärte Ziel eben nicht das tatsächliche. Dann muss irgend-
wann untersucht werden, wohin denn die tatsächlichen Aktio-
nen führen – und dann wird schließlich ganz empirisch und mit
aller Konsequenz festgestellt werden müssen: DAS ist offenbar
das heimlich anvisierte Ziel – und nicht etwa das aus der letzten
Kongress-Rede von George Bush. „Wenn sie die Offiziersliste
durchgehen, würden fast alle festen ISI-Mitarbeiter über die Ta-
liban sagen: ‹Das sind meine Jungs.›“, erklärte ein pakistanischer
Ex-Diplomat dem US-Autor Seymour Hersh219 - mit Bezug auf
die „alte“ afghanische Truppe. Zu den neuen pakistanischen Ta-
liban ist der Draht kaum weniger eng, nur hat der ISI jetzt auch
Konkurrenz vom IB.
Mehsud gehört, wie der vor einem Jahr erschossene Mullah
Dadullah, zu einer neuen Generation der erwähnten Brutalos,
die rücksichtslos Stammesführer ermorden, gerne durch Kopf-
abschneiden, wenn sie auf Widerstand stoßen. 250 Stammes-
führer habe ihr Widerstand gegen die Taliban schon das Leben
gekostet, schreibt der Spiegel.220 Damit wird die alte Stammes-
ordnung ebenso umgestoßen wie die überlieferten Ehrengesetze
der Gastfreundschaft, des Schutzes und des familiären Zusam-
menhalts. Aber auch eigene Leute innerhalb der neuen paki-
stanischen Taliban bekommen den Druck zu spüren. Wer sich
einem Befehl widersetzt, erhält 1.000 Rupis, verbunden mit der
Aufforderung, sich Nähzeug zu besorgen – um ein Totenhemd
zu nähen. 24 Stunden später ist der Kandidat tot.221
Pakistans neue Taliban-Truppe hat in den vergangenen zwei
Monaten drei große Erfolge verzeichnen können: Sie hat im

166
April in Südwaziristan eine Zusammenkunft von mehreren
Tausend Kämpfern organisiert, am Schluss gab’s eine öffentliche
Hinrichtung.222 Sie hat am 20. Mai 2008 eine mit 30 Journalis­
ten aus den In- und Ausland geradezu öffentliche Pressekonfe-
renz mit Mehsud im südwazirischen Örtchen Speenkay Raghzai
abgehalten, genau dort, wohin zwei Tage zuvor, am 18. Mai, Pa-
kistans Militär 20 Journalisten geflogen hatte, um stolz die Ge-
ländegewinne ihrer Operation Zarzala vom Januar zu demon-
strieren. Und sie verhandelt langwierig und offenbar erfolgreich
mit Pakistans neuer Regierung um eine Befriedung der Region
und des ganzen Landes. Denn die meisten Selbstmordattentate
in ganz Pakistan gehen auf Mehsuds Konto, dazu für Pakistans
Armee höchst verlustreiche Kämpfe sowie eine Koordinierung
mit anderen Gruppen bis nach Quetta und Karatschi.
Mehsud wird vom Sirajuddin Haqqani unterstützt, Sohn des
alten Widerständlers Jalaluddin Haqqani, der im vergangenen
Sommer plötzlich und ein wenig voreilig für tot erklärt wur-
de. Und sein wichtigster Mitarbeiter ist Qari Hussein, aus dem
Unterstamm der Behlolzi, die im Rang über Beitullahs Clan ste-
hen.
Beitullah hat viel vor. Demnächst will er Kampf-Videos bei
Youtube ins Netz stellen. So viel Initiative lässt auf gute Bezie-
hungen zum ISI schließen. Und der ISI kann, wie auch IB, ohne
die CIA kaum einmal husten. Wir erinnern uns, wie hervorra-
gend Washington stets über das hoch geheime Atomprogramm
im Bilde war…

Wenn wir uns jetzt außerdem erinnern, dass die USA 750 Mil-
lionen Dollar in die FATA stecken wollen, um den afghanischen
Widerständlern das Wasser abzugraben und das Rückzugsgebiet
in den Griff zu bekommen, dann stellt sich die Frage: Wer von
den Menschen, die dort leben, glaubt und vertraut diesen Geld-
gebern? Klare, eindeutige Antwort: Fast keiner. Was wird mit
der Aktion geschehen – egal ob es unseren Hannings223 und
einflussreichen US-Kreisen gelingt, in Deutschland und Europa
dafür ebenfalls Geld loszueisen? Diese wertvollen Steuergelder

167
werden versickern, es werden wieder einmal ein paar Paschtu-
nen „geleast“ – und wenn das Geld verbraucht ist, ist das Thema
erledigt, jeder wird seiner Wege gehen, die er auch vorher gegan-
gen ist – und diese Wege führen zunehmend in Attacken gegen
die USA und Europa. Oder gegen Amerikaner und Europäer,
wo immer die islamischen Kämpfer sie erreichen können. US-
Präsident Bush mag einen Terrorkrieg gestartet haben – aber wir
haben nur sehr begrenzte Vorstellungen darüber, wie es zugehen
und was alles passieren kann, wenn seine Gegner erst richtig an-
fangen, diesen Krieg ihrerseits zu führen. Da könnte bei uns das
biblische „Heulen und Zähneklappern“ ausbrechen. Denn wir
sind nun einmal nicht in der Lage, in die Köpfe unserer Gegner
hineinzusehen. Völlig unverdächtige Menschen entschließen
sich plötzlich zu ihrem ganz persönlichen Terrorakt – und ir-
gendwann werden sie aufhören, sich bei der Internet-Nutzung
ausspähen, am Telefon und in der Wohnung abhören und im
gesellschaftlichen Leben beobachten zu lassen. Und was dann?
Wie lange wollen wir denn immer weitergehende Überwachun-
gen zulassen und damit nicht nur fremde Staaten sondern auch
unsere eigene Demokratie und unsere liebgewonnenen bürger-
lichen Freiheiten beschädigen, während wir an den Terror-Sym-
ptomen herumdoktern, bevor wir uns bequemen, die Krankheit
selbst in ihrem Kern anzugreifen – nämlich unsere eigene ver-
fehlte Politik an zu vielen Stellen in der Welt?

Jaish-e-Mohammad (JeM, „Armee Mohammeds“)

Diese Gruppe ist mit Gründungsjahr 2000 eine der jüngeren


– und bereits wieder (offiziell) verboten. Gründer ist Maulana
Masood Azhar, der eine bemerkenswerte Karriere hinter sich
hat.
1994 trat er einer hoch aktiven Spezialtruppe bei, die den
Namen Harkat-ul-Ansar (HuA, „Gefährten/Beschützer des Pro-
pheten“) bekam. Hauptzielrichtung: die Befreiung Kaschmirs
von indischer Herrschaft. Man darf davon ausgehen, dass der

168
ISI von Anfang an stark beteiligt war, höchst wahrscheinlich
sogar als die eigentliche Gründungsinstanz. Solche Beschlüsse
werden im Büro des Generaldirektors (DG) gefasst, Pakistans
Regierung wird informiert (oder auch nicht) – und dann suchen
die Mitarbeiter erfahrenes Personal zur Durchführung der Akti-
onspläne. Doch Masood Azhar hatte Pech, er landete gleich zu
Beginn in einem indischen Knast. Unter den Gefährten war of-
fenbar jemand nicht genügend gescreent worden. Erst fast sechs
Jahre später wurde Masood durch einen spektakulären Coup
befreit, bei dem wieder der ISI seine Hände im Spiel hatte224:
Fünf Pakistanis, allesamt Mitglieder der HuA-Nachfolge-Orga-
nisation Harkat-ul-Mujahideen (HuM, „Gefährten/Beschützer
der Kämpfer“, gemeint ist: Beschützer im islam. Glauben, Anm.
CRH), entführten am Weihnachtsmorgen 1999 auf Anordnung
des ISI eine Maschine der offiziellen Fluglinie Indian Airlines
von Katmandu. Mitgeplant hatten Spezialisten von «Al-Qaeda».
Nach spektakulären Zwischenlandungen in Amritsar (Indien),
Lahore (Pakistan) und Dubai, landete die Maschine schließlich
in Kandahar, Afghanistan, direkt bei den sympathisierenden
Brüdern der Taliban. Dort begannen zähe Verhandlungen, auf
der „islamischen Seite“ geschickt und effizient geleitet vom ISI,
der drei wichtige Kämpfer freipressen konnte, darunter neben
Masood und einem weiteren „verdienten“ Kaschmir-Kämpfer
namens Mushtaq Ahmed Zargar auch der so wichtige Omar
Sheikh Saeed.
Osama bin Laden gab vor Freude eine Feier für die Freigelas-
senen – und der ISI war die ganze Zeit an der Seite der Taliban
in Kandahar dabei.
Masood Azhar gründete wenige Tage später seine Gruppe
JeM – und schlug damit ein Angebot der HuM zur Zusammen-
arbeit aus. Ein wenig mag Misstrauen eine Rolle gespielt haben
– vor allem jedoch war der Schritt ein Zeichen seines gestiege-
nen Ranges: Immerhin hatte der ISI seine Macht spielen lassen,
um ihn aus dem indischen Knast zu holen, wo er auch von FBI-
Beamten befragt worden war – und zwar zu seinem Engagement
für die somalischen Brüder.225 1993 soll er die Kämpfer für den

169
Abschuss von Hubschraubern mit Panzerfäusten trainiert ha-
ben. Am 25. September 1993 fand dann die Schlacht statt, die
Hunderte Somalis und 18 Amerikaner das Leben kostete – wo-
bei drei US-Hubschraber vom Typ Blackhawk abgeschossen
wurden.226
Azhar227 wurde nach einem Attentat auf das indische Parla-
ment in Delhi (13.12.2001) in Pakistan festgenommen, schließ-
lich unter Hausarrest gestellt und daraus am 14. Dezember 2002
wieder entlassen, ohne dass je Anklage erhoben worden wäre.
Dieses und andere spektakuläre Attentate in Indien (Ayodhya-
Tempelkomplex) zeigen, dass JeM den rein kaschmirischen
Kontext längst verlassen hat und daran arbeitet, Hindus und
Muslime in Indien gegeneinander aufzubringen und dafür im
ganzen Land zu arbeiten, selbstverständlich in enger Anbindung
an den ISI, ohne dessen Protektion er diese Aktivitäten keine
Woche durchhalten könnte. Die engen Verbindungen zu Tali-
ban und «Al-Qaeda» in Afghanistan zeigen, dass Masood Azhar
den Kampf international und weltweit austragen will.
JeM arbeitet auch mit anti-schiitischen Organisationen zu-
sammen, die ihre Namen geändert haben, nachdem sie von
Präsident Musharraf 2002 als terroristische Gruppen verboten
wurden.
Masood Azhar soll einer wohlhabenden Familie von Groß-
grundbesitzern entstammen (* 1968 in Bahawalpur, Provinz
Punjab). Er ist Autor mehrerer religiöser Bücher. Er erhielt sei-
ne Ausbildung in der renommierten Jamia Uloom-i-Islami bei
Karatschi.
Es gibt in Pakistan Hunderte von Gruppen und Grüppchen.
Überleben können sie nur, wenn sie Geldgeber finden. Und
nur wenn sie sehr große Geldgeber finden, können sie spek-
takuläre Anschläge oder andere Aktionen ausführen. Und nur
wenn der Gründer selbst ein ausgewiesener Islamgelehrter, cha-
rismatischer Politiker oder ein brillianter Netzwerker ist, gibt
es auch eine Chance, Spender für eine eigene Schule aufzutun.
Aber auch diese Spender werden nicht zahlen, jedenfalls nicht
genügend, wenn der ISI nicht eine Art „Gütesiegel“ daraufsetzt.

170
Denn tatsächlich, nicht alle Gelder, die der ISI einsetzt oder
die von anderen Institutionen eingesetzt werden, sind staatlich.
Vieles kommt auch aus großen privaten Spendentöpfen. Wenn
also derart radikale Gruppen wie JeM auftauchen, dann zeigt
das nicht nur, wo der Staat seine Akzente setzt, sondern auch,
wo die Gesellschaft Pakistans steht – oder zumindest einige fi-
nanzkräftige und einflussreiche Teile davon.
Ich hatte zu Beginn der 90er Jahre Kontakt mit einem stol-
zen kaschmirischen Widerständler, der nicht zur islamischen
Bewegung gehörte und nicht einmal ein großer Freund des
Anschlusses seiner landschaftlich wunderschönen Heimat an
Pakistan war. Er war einfach nur ein Feind der indischen Be-
satzung und ihrer Übergriffe gegen die Bevölkerung. Aber in
der entsprechenden Polit- und Militärszene Islamabads und
Rawalpindis hatte er gegen die vorherrschende Aufbaustrategie
für die Islamische Bewegung keine Chance. Er bekam nicht ge-
nügend Geld und Bewegungsfreiheit, um erfolgreich arbeiten
zu können, obwohl er tapfer, mutig, fähig und charismatisch
war. In der eher bürgerlich und mittelständisch ausgerichteten
Gesellschaft Kaschmirs hätte er besser funktioniert als manche
linientreu-radikale Gruppe. Das sagt viel über Ausrichtung und
Strategie der pakistanischen Anstrengungen, die die „Befreiung
Kaschmirs“ nicht unbedingt beschleunigten. Es stellt sich sogar
die Frage, ob nicht auch in Pakistan der Bevölkerung Ziele ver-
kündet werden, die man gar nicht oder zumindest nicht vorran-
gig anvisiert.

Islamische Jihad Union in Deutschland (IJU)

Diese Partei macht zurzeit gerade in Deutschland viel von sich


reden. Die „verhinderten Sauerland-Bomber“ haben sich angeb-
lich in ihren Camps trainieren lassen, der Deutsche Eric B. ist
dort untergekommen, gerade rechtzeitig, bevor seine Kollegen
in einer spektakulären Riesenaktion mit 300 Beamten festge-
nommen wurden.

171
Wenn wir in den verschiedenen öffentlich zugänglichen
Quellen nachlesen, stellen wir fest, dass die Nachrichtenlage
über IJU selbst extrem dünn ist.
Weit dicker ist die Akte mit den Zweifeln an der Echtheit
der IJU, die eine Abspaltung der Islamischen Bewegung Usbe-
kistans (Islamic Movement of Usbekistan, IMU) sein soll. Um
diese Zweifel untersuchen zu können, müssen wir sie zunächst
genauer unter die Lupe nehmen. Dabei hilft uns zunächst die
ARD-Sendung „Monitor“. Und später werden wir feststellen,
dass auch „Monitor“ uns nicht alles sagt.
Zu Beginn des Themas zitierte „Monitor“228 aus einem ver-
traulichen Lagebericht des Bundeskriminalamts (BKA): „Die
IJU gilt als unabhängige Gruppierung, jedoch mit engen Ver-
bindungen zur «Al-Qaeda».“ Dann jedoch kommt es knüppel-
dick, „Monitor“ befragt den baden-württembergischen Verfas-
sungsschützer Benno Köpfer: „Die Islamische Jihad Union, so
wie sie sich uns darstellt, ist erst mal eine Erfindung im Internet
und hat nur eine Präsenz im Internet.“ Und in der Sendung
heißt es weiter: „Die Terrororganisation, die Fritz, Daniel und
Adem geführt haben soll. Nur eine Erfindung im Internet? Die
Verfassungsschützer nennen Gründe für ihre Zweifel. Alle isla-
mistischen Terrororganisationen würden sich im Internet ihrer
Anschläge rühmen oder Übungsvideos ihrer Ausbildungslager
zeigen. Selbst hierarchische Strukturen könnten die Experten
inzwischen im Internet ablesen. All das haben sie bei der Islami-
schen Jihad Union nicht gefunden. Auch an enge Verbindungen
zu Al-Qaida glauben die Verfassungsschützer nicht.“
Dazu lässt „Monitor“noch einmal Verfassungsschützer Köp-
fer zu Wort kommen, der etwas holperig, doch dem Sinne nach
klar begründet: „Es wird unterstellt, dass hier zwei Organisa-
tionen Verbindungen haben in der Berichterstattung. (Köp-
fer meint gegenseitige Berichterstattung über ihre Aktivitäten
durch die Gruppen – Anm. CRH.) Aber vielmehr ist es, wenn
überhaupt, eine ideologische Nähe. Also die Islamische Jihad
Union, so wie sie sich auf der türkischsprachigen Seite präsen-
tiert, nimmt Ideen von Al-Qaida auf, aber es lässt sich nicht

172
erkennen Zawahiri oder Bin Laden haben die Islamische Jihad
Union noch nie erwähnt, was sie aber bei andern Organisatio-
nen gemacht haben. (Köpfer meint, die Beeinflussung in Ge-
genrichtung, dass also «Al-Qaeda» auch etwas von der IJU auf-
nimmt, sei nicht feststellbar, was er verdächtig findet. – Anm.
CRH) Und wir haben in den letzten Tagen und Wochen einige
Verlautbarungen dieser beiden.“ (Köpfer meint Zawahiri und
bin Laden. – Anm. CRH)
Dann zitiert „Monitor“ aus dem angeblichen Bekenner-
schreiben der IJU: „Sie waren mitten in den Vorbereitungen für
den Anschlag gegen den amerikanischen Luftwaffenstützpunkt
Ramstein...“
Dazu sagt jedoch Köpfer: „Dieses Bekennerschreiben, was
wir ausgewertet haben und gesichert haben auf einer türkisch-
sprachigen Internetseite ist in türkischer Sprache und nicht in
englisch oder usbekisch, wie man es bei einer usbekischen Or-
ganisation, die die IJU sein soll, erwarten würde. Dann werden
in diesem Bekennerschreiben konkrete Anschlagsziele genannt,
Ramstein. Meines Wissens sind aber die Verhafteten bis zuletzt
unsicher gewesen, welches Ziel sie überhaupt angreifen sollen,
auf welches Objekt sie diesen Anschlag ausüben werden. Und
so wird in diesem Bekennerschreiben Medienberichterstattung
aufgenommen und eine Woche später kolportiert, und das lässt
mich eben an dieser Authentizität zweifeln.“
Dagegen stellt „Monitor“ noch einmal den Lagebericht des
BKA: „Die IJU hat ihre Handlungsfähigkeit mit Bomben-An-
schlägen gegen die amerikanische und israelische Botschaft in
Taschkent ... und weiteren Anschlägen gegen den usbekischen
Staat unter Beweis gestellt.“
Nun das stimmt schlicht nicht. Zum Beweis zitiert „Mo-
nitor“ den besten Augenzeugen, den man für die Wahrheit in
diesem Fall haben kann, den Alptraum des britischen Außen-
ministeriums, nämlich einen dicklichen kleinen sympathischen
Schotten namens Craig Murray, ehemals britischer Botschafter
in Usbekistan, der das Komplizentum seines Landes mit Mör-
dern und Folterern nicht länger mitmachen wollte und darüber

173
seinen Posten und seine Privatsphäre verlor. Murray war zum
Zeitpunkt der angeblichen IJU-Anschläge in Taschkent und
schreibt darüber laut „Monitor“: „Es gibt keinen wirklichen Be-
weis dafür, dass die Islamische Jihad Union existiert. Zum ersten
Mal haben wir den Namen gehört, als die usbekische Regierung
sie für Bombenanschläge in Taschkent verantwortlich machte.
Ich war da, ich habe die Beweise selbst gesehen. Minuten nach
der angeblichen Explosion. Und da waren keine Bomben. Das
waren meiner Meinung nach Erschießungen von Dissidenten.
Insofern ist die Islamische Jihad Union das erste Mal als Propa-
ganda aufgetaucht. Es war die Rede von Bomben, die es nicht
gab.“
(Sein entsprechender Botschafter-Bericht, schrieb Murray229
2007, sei damals von der zuständigen britischen Dienststelle,
JTAC (Joint Terrorism Analysis Centre), als korrekt akzeptiert
worden. – Einfügung CRH)
Hier müssen wir ein wenig innehalten. „Erschießungen“ von
Dissidenten? Das ist ja doch recht vorsichtig übersetzt. Lesen
wir bei Craig Murray direkt nach, sagt er: ‚außerrechtliche Tö-
tungen’ (= „extrajudicial killings“).230
„Monitor“ fährt fort: „Usbekistan gilt international als Fol-
ter- und Unrechtsstaat. Immer wieder ließ die Regierung Re-
gimegegnern blutig nieder prügeln wie hier vor zwei Jahren in
Andidschan.“ (Zur Erklärung: In Andidschan hatten usbekische
Truppen eine nicht genehmigte Demonstration mit Schusswaf-
feneinsatz und zahlreichen Todesopfern auf Seiten der Demon-
stranten aufgelöst, „Monitor“ beschönigte hier, Anm. CRH)
„Monitor“ weiter: „Doch Deutschland arbeite schon lange
mit Usbekistan zusammen, auch auf Polizei- und Geheimdienst­
ebene, sagt Murray. Er hält das für problematisch.“

Hier wird weiter unten an zwei Punkten noch erheblich


nachzulegen sein – doch zurück zu „Monitor“ und der IJU-Ge-
schichte. „Monitor“ lässt wieder Murray sprechen: „Als ich briti-
scher Botschafter in Usbekistan war, erhielten wir laufend Infor-
mationen von den usbekischen Geheimdiensten. Wann immer

174
es möglich war, haben wir die Informationen nachgeprüft. Ich
kann mit Sicherheit sagen, dass immer, wenn die Überprüfung
einer Information möglich war, sie sich als unwahr erwies. Jedes
Mal war das so. Nie war auch nur eine einzige Information, die
wir überprüfen konnten, wahr.“
„Monitor“ weiter: „Murray glaubt, dass die usbekischen Si-
cherheitsbehörden hinter allen Anschlägen der Islamischen Ji-
had Union stecken.“
Und wieder Murray bei „Monitor“: „Ich persönlich glau-
be, dass die Islamische Jihad Union höchstwahrscheinlich von
den usbekischen Geheimdiensten erschaffen wurde. Entweder
dadurch, dass sie Anschläge wie in Taschkent selbst inszeniert
haben oder indem agents provocateurs naive Menschen dazu
verleitet haben, Terroranschläge zu verüben.“
Formidable Schlussformulierung bei „Monitor“: „Die Ter-
rorverdächtigen vom Sauerland. Im Moment gibt es mehr Fra-
gen als Antworten. Komisch, dass sich nach den Festnahmen
alle so schnell so einig waren.“

Soweit die „Monitor“-Sendung. Murray schreibt übrigens


später231: „Eine neue ARD-Dokumentation nahm diese Ge-
schichte noch weiter auseinander. Zum Beispiel haben deutsche
Ermittler gesagt, dass die Gruppe Material zum Bombenbau
(Isolierband, Batterien und eine Uhr) von einem Werkstattla-
den kaufte. Die Autoren der Dokumentation kontaktierten das
Geschäft, das seine Kassenbelege prüfte und herausfand, dass es
keins dieser Dinge am angegebenen Tag verkauft hatte.“
Und zu dem Auftauchen von IJU schreibt Murray am 12.
September 2007, nach der Verhaftung der „Sauerland-Grup-
pe“232: „Die Sicherheitsdienste fangen eine erstaunliche Zahl
elektronischer Mitteilungen zwischen Extremisten und Terror-
verdächtigen ab. Es hat niemals in irgendeinem abgefangenen
Austausch einen Hinweis auf die IJU gegeben.“
Soweit so schlecht. Aber Murray kann noch mehr, nämlich
Licht in Schäubles deutsche Terrorszene bringen, zunächst über
die „Prügelei“ von Andidschan, die bei Murray und in zahlrei-

175
chen anderen Medienberichten weltweit ganz anders aussieht:
„… das Massaker der usbekischen Streitkräfte an mindestens
700 Demonstranten in Andidschan im Mai 2005.“233
„Monitor“ ist eine ebenso beliebte wie seriöse Sendung.
Woher die erstaunliche Rücksichtnahme auf Usbekistan? Die
Gründe könnten Abgründe sein. Murray schreibt234:
„Deutschland unterhält eine Luftwaffenbasis in Usbekistan,
bei Termes, und unterhält eine enge Beziehung zum usbekischen
Regime. Der deutsche Außenminister ist ein enger Protégé des
„in Ruhestand getretenen“ Ex-Kanzlers Gerhard Schröder.
Schröder ist der hoch bezahlte Vorsitzende des Aktionärs-
ausschusses von Nord Stream, die 51%-Tochter von Gazprom
(russischer Erdgas-Gigant – Anm. CRH) die eine 8-Milliarden-
Dollar-Pipeline baut, um mehr russisches und zentralasiatisches
Gas nach Europa zu bringen. Schröder hat das Konzept als
Kanzler durchgeboxt – und sich danach sofort bei Amtsende in
die Führungsposition begeben. Schröder steht Alisher Usmanov
sehr nahe, Vorsitzender von Gazprom Invest Holdings. Usma-
nov, ein Usbeke und großer russischer Oligarch, der in den letz-
ten beiden Jahren die Übernahme der usbekischen Gas-Reser-
ven durch Gazprom bewerkstelligt hat. Usmanov ist der nächste
politische Verbündete von Karimov und seiner Tochter Gulna-
ra. Gulnara erhielt ein Schmiergeld von 88 Millionen US-$ von
Gazprom Invest Holdings als Gegengabe für die Kontakte.
Die EU-Sanktionen gegen Usbekistan (wegen der Menschen-
rechtsverletzungen in Andidschan – Anm. CRH) schließen ein
Einreiseverbot für diejenigen usbekischen Offiziellen ein, die
direkt am Andidschan-Massaker beteiligt sind. Der oberste
Name auf der Liste war Almatov, damals usbekischer Innenmi-
nister. Am allerersten Tag des Verbots wurde er in Deutschland
zur medizinischen Behandlung zugelassen – die privat in einem
Krankenhaus in Gerhard Schröders Heimatstadt (Hannover235,
Anm. CRH) stattfand, bei einem Arzt, der ein persönlicher
Freund Schröders ist.
Usbekistan gehört mit Nordkorea und Burma zu den schlimms­
ten totalitären Staaten der Welt. Man würde nun hoffen, dass die

176
Deutschen, mit ihrer Geschichte, sich vor offener Unterstützung
für ein Land hüten würden, das Todeslager für Tausende von po-
litischen Gefangenen unterhält. Aber tatsächlich gibt die deut-
sche Regierung keinen Pfifferling auf Menschenrechte.“

Lange Zeit haben sich viele gefragt, warum denn der ehe-
malige Kanzleramtschef und fortdauernde Kanzler-Vertraute
Steinmeier unbedingt Außenminister werden musste, nicht
gerade eine typische Karriere. War es so, dass Schröder seinen
Job bei Gazprom nur bekam, weil er eine derart „sichere Bank“
wie Steinmeier in der neuen Bundesregierung vorweisen konn-
te? Waren also das Gazprom-Geschäft und das Personal-Paket
Steinmeier als AA-Chef und Schröder als Gazprom-Favorit und
Nordstream-Chef Teil von nicht-öffentlichen Koalitionsverein-
barungen – auf Deutsch: heimlichen Absprachen? Damit mich
niemand falsch versteht: Deutschlands Zugang zum russischen
oder zentralasiatischen Gas liegt in unserem nationalen und im
europäischen Interesse. Die Zusammenarbeit mit dem russi-
schen Energieriesen Gazprom hilft uns, amerikanische Ansinnen
an unsere Außen- und Militärpolitik zu relativieren. Doch die
Frage bleibt: Was müssen wir dafür tun? Wie viele ethische Kom-
promisse erscheinen tragbar – und sind wirklich notwendig?
Oben hatten wir von schonender Darstellung des Usbekis­
tan-Problems in der „Monitor“-Sendung gesprochen, das wird
jetzt vielleicht besser verständlich: Zwei SPD-Politiker stecken
bis zum Hals in einem Energie-Rohstoff-Geschäft – (hier betrete
ich als langgedienter ARD-Mitarbeiter das bekannte Minenfeld
der ARD-internen „politischen Farbenlehre“) und „Monitor“
gilt in der ARD als „Einflussbereich der SPD“ (noch immer,
trotz CDU-Machtübernahme), kann also nicht frisch und fröh-
lich das publizistische Feuer auf die Spitzengenossen eröffnen.
Hieran lässt sich auch exemplarisch der Handlungsspielraum
unserer Medien ablesen. CDU-Mann Schäuble wird in seiner
Terrorkriegsführung angegriffen, Steinmeier und Schröder wer-
den in ihrer anrüchigen Usbekistan-Freundlichkeit elegant aus
der Schusslinie gehalten.

177
Inzwischen jedenfalls haben Mitarbeiter im Geschäftsbereich
von Steinmeier in der IJU-Frage nachgelegt. Es hatte Kritik ge-
geben, dass die IJU so wenig kommuniziert hat: Jetzt gibt es Vi-
deos, zum Beispiel zwei mit Eric B. Es wurde bemängelt, dass
IJU-Führungskräfte nicht benannt sind, jetzt gibt es Namen.
Und es gibt neuerdings eine ganz lange Geschichte zur IJU, ver-
öffentlicht von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)236.
Die IJU-Story trägt geheimdienstliche Handschrift – nichts Un-
gewöhnliches für die SWP, BND-Bindung schon kurz nach der
Gründung augenfällig wurde: Am alten Sitz in Ebenhausen (süd-
lich von München) soll BND-Personal im Hause residiert haben,
der frühere SWP-Standort Ebenhausen südlich von München sei
bewusst in der Nähe des BND-Standortes Pullach gewählt wor-
den.237 Die SWP wird wiederum aus dem Budget des Auswärti-
gen Amtes finanziert. Steinberg hat die gesamte Diskussion um
die IJU mit keinem Wort erwähnt. Dafür schreibt er kurz zu den
Attentaten von Taschkent, jedoch ohne irgendeinen Hinweis,
dass an den „Attentaten“ oder „IJU“ etwas nicht stimmen könn-
te. Stattdessen seitenweise gut klingende Informationen, ohne
jeden Nachweis. Wurde hier vom BND „angefüttert“?
Wer hat eigentlich, grundsätzlich gefragt, diese Verbindung
zwischen der „Sauerland-Gruppe“ und der IJU aufgebracht?
Hier ist der oben erwähnte, couragierte baden-württembergi-
sche Verfassungsschützer Benno Köpfer anzuhören. Er hatte in
einem taz-Interview238 erklärt, die Information, dass die IJU
hinter der Sauerland-Aktion stecke, sei von „US-Geheimdiens­
ten“ gekommen – und bestätigte damit entsprechende Spiegel-
Meldungen vom September.
Hier stellt sich die Frage, ob die IJU-Connection ungefähr
funktioniert wie folgt: Die für Pakistan und Afghanistan zu-
ständige CIA sagt es deutschen Dienststellen – und die sagen
es Steinberg, der daraus eine vom AA beauftragte Geschichte
bastelt, weil das die Geschäftspartner vom alten Schröder gerne
wollen, Freund Steinmeier tut ihm sicher gerne den Gefallen –
war es so? Und gewinnt Innenminister Schäuble aus derartigen
Verfahren den Eindruck, dass aus einem Bedrohungsszenario

178
durch die IJU ein formidabler Rückenwind entsteht für seine
Überwachungspläne und andere „Sicherheitsmaßnahmen“, die
alle geeignet sind, unsere demokratischen Freiheiten und Rechte
einzuschränken?
Noch lautet ja der Name der Regierungsstiftung „Wissen-
schaft und Politik“ und nicht: „Propaganda und Politik“. Aber
dieses hoffnungsvolle Unternehmen hat ja auch in Volker
Perthes einen Leiter, der bei Amtsantritt anregte239, die aus dem
Irak abrückenden amerikanischen Truppen durch deutsche zu
ersetzen. Wird nun, wenn Bush aus dem Weißen Haus abrückt,
auch Perthes ersetzt?

„Deutschland beherbergt die größte westliche Konzentration


usbekischer Dissidenten im Exil“, schreibt Murray240, „und im
Mai 2004 waren die usbekischen Sicherheitsdienste schon da-
bei, angebliche Erkenntnisse über Attacken der der IJU gegen
US-Ziele in Deutschland weiterzugeben. Seltsamerweise kamen
Zeitungsberichte über diese IJU-Komplotte in Deutschland re-
gelmäßig in den letzten beiden Jahren hoch, noch vor den jüngs­
ten Festnahmen.
Nur zur Erinnerung: Oben (S. 173) hatten wir von Benno
Köpfer erfahren, dass die Truppe zum Zeitpunkt der Festnahme
noch gar nicht wusste, wo sie ihre (untaugliche, ungeeignete)
„Bombe“ einsetzen wollte/sollte.
Wozu benötigen die Menschenschinder in der usbekischen
Regierung die Glaubwürdigkeit für die IJU? Wozu dient der enor-
me Aufwand mit gefälschten Anschlägen in Taschkent? Antwort:
Weil dadurch die Bevölkerung mit Festnahmen, Gerichtsprozes-
sen und Folter eingeschüchtert und politisch gelähmt werden
kann und sich nicht mehr dagegen wehrt, dass die Herrscherfa-
milie Karimov buchstäblich das gesamte Wirtschaftsgeschehen
des Landes unter Kontrolle bringt und aussaugt – ich hatte oben
die Provisionsempfängerin Gulnara, die Tochter Karimovs kurz
erwähnt. Craig Murray hat diese Methoden als britischer Bot-
schafter zwei Jahre lang aus erster Hand miterlebt und in seinem
Buch „Mord in Samarkand“241 eindrucksvoll geschildert.

179
Gibt es ein heimliches Zusammenspiel auf Regierungsebene
zwischen Usbekistan und Deutschland beim Thema IJU – weil
sich beide Seiten davon innenpolitischen Vorteil versprechen?
Welche Firmen mit ihrer Sicherheitstechnik profitieren von
derartigen Entwicklungen? Siemens?242 Auf rund 1,3 Milliar-
den Euro taxiert die Süddeutsche Zeitung die schwarzen Kassen
des Konzerns, dessen zur Tatzeit verantwortlicher Chef, Pierer,
soeben von seinem früheren Arbeitgeber auf Schadenersatz
verklagt wurde243 – die ganze Korruptionsaffäre ist in Art und
Umfang ein Novum in der bundesdeutschen Unternehmensge-
schichte. Pierer fungierte noch bis zum April 2008 als „Berater“
von Kanzlerin Merkel, ausgerechnet für Innovation. 1,3 Mil-
liarden. Und wenn einer im Dienst privat telefoniert oder im
Internet surft, kann er gefeuert werden.

Islamische Jihad Union in Pakistan

Da wir gerade beim Geld sind: Wie finanziert sich eigentlich die
IJU, mit ihren (angeblichen) Trainingslagern, wer versorgt sie?
Das lässt sich ziemlich klar sagen: Spenden von Glaubensbrü-
dern und Zuwendungen geneigter staatlicher Stellen.
Zunächst einmal: Eines der größeren Lager der usbekischen
Stammmannschaft auf pakistanischem Boden, nahe der Ort-
schaft Miranshah in Nordwaziristan, rekrutiert sich aus 50 us-
bekischen Familien, 500 Menschen insgesamt, die sich 2001 im
pakistanischen Stammesgebiet unter Bundesverwaltung (FATA)
niedergelassen haben. Fromme, freundliche Menschen, soweit
mir berichtet wurde. Sie leben in Not – und in Angst vor den
Brutalos in Taschkent, in Ablehnung der ganzen mörderischen
Szenerie an der afghanischen Grenze – doch was hilft es? Die
Paschtunen haben ihnen Platz gemacht, ganz reibungslos soll
das nicht gegangen sein.
Die Islamische Bewegung Usbekistans (IMU = Islamic Move-
ment Uzbekistan) wurde 1991 zunächst als salafistische Gruppe
namens „Adolat“ (= Gerechtigkeit) gegründet, ab 1998 dann als

180
IMU. Gründer waren ein ehemaliger sowjetischer Fallschirm-
springer, Jumaboi Ahmadzhanovitch Khojayev (Kampfname:
Juma Namangani, 1969-2001), und der Salafist Tohir Yuldashev
(* 1967). Frühzeitig begann die Zusammenarbeit mit den Ta-
liban. Nach der Entführung einer amerikanischen Bergsteiger-
gruppe 2000, erklärte das US-Außenministerium244 die IMU zu
einer terroristischen Vereinigung. 2001 erlitt die IMU schwere
Verluste, überlebende Reste flohen ins pakistanische Waziristan
und ließen sich dort mit Hilfe des ISI nieder.
Ohne den ISI und das IB geht gar nichts, in der Versorgung
der notleidenden Schwestern und Brüder aus Usbekistan. Ein
Beispiel: Die Usbeken benötigen Winterjacken. Dann hört das
der mehrfach erwähnte Hekmatyar über seine Vertrauensleute
und überlegt sich: Das kann ich organisieren, die Brüder brau-
chen das, also los. Schreibt ein Bestell-Zettelchen, lässt seinen
Boten kommen und gibt ihm Anweisungen. Dann wandert das
Zettelchen getreulich von Hand zu Hand, bis es einem Freund
von mir in die Hand kommt. Dieser ist Organisator – und ar-
beitet sowohl für Hekmatyar als auch für beide pakistanischen
Geheimdienste. Er beschafft die 500 Winterjacken in verschie-
denen Größen, preiswert und gut, steckt sich 5-10 Prozent des
mitgelieferten Geldes in die Tasche – und fährt die Ladung brav
in die FATA. Der Usbekenchef ist gerührt, dankbar. Es gibt Tee
oder eine richtige Mahlzeit, eine Übernachtung. Und dann geht’s
am nächsten Tag acht Stunden über Holperstrecke zurück nach
Peschawar. Auftrag erledigt, Bericht an Hekmatyar, der Winter
kann kommen. So funktioniert das. Es kann aber auch so sein,
dass das Geld direkt von einem der pakistanischen Geheimdien-
ste kommt. Im Zweifelsfall lässt sich das manchmal gar nicht so
genau sagen.
Ich kenne seit Jahren auch den pakistanischen Geheimdienst-
ler. An dieser Stelle muss ich ein bisschen vorsichtig formulieren.
Aber es kann keinen Zweifel geben, dass das «Al-Qaeda»-Geschäft
eine Kungelei mit häufiger Todesfolge ist. Einen Fehler darf man
dabei allerdings niemals machen: Den beteiligten Kämpfern ist
es zumeist buchstäblich todernst. Sie kämpfen für ihre Ziele

181
und setzen dabei ihr Leben und ihre Gesundheit ein, mein af-
ghanischer Freund auch. Aber wenn man versuchen wollte, den
Kämpfern zu erläutern, dass ihre Anstrengungen Washingtons
Brückenkopf-Szenarien in Zentralasien zugute kommen, muss
man damit rechnen, dass es heißt: „Papperlapapp, was auch im-
mer, davon träumen die Amerikaner – und wir schmeißen sie
hier ’raus.“ Und das Verrückte daran ist: So wird es vermutlich
kommen, weil die USA ihre Terrormanagement-Rechnung ohne
den Wirt gemacht haben – und aus ihrer eigenen Fehler-Spi-
rale nicht mehr herausfinden. Einen Abzug vom Hindukusch
em­pfinden sie als traumatisch – wie ein Vietnam-Erlebnis. Also
wird verlängert, das Truppenkontingent um abrückende Einhei-
ten aus dem Irak aufgestockt. Nur die Strategie wird nicht revi-
diert. Stets ist von Soldaten und Militäreinsätzen die Rede, ob-
wohl ziviler Aufbau der eindeutig bessere Weg wäre. Nutznießer
dieser sagenhaften Fehlkalkulation sind die Chinesen. Während
wir stets meinen, klug und schnell zu handeln – und dabei zu
rücksichtslos, brutal und zu verlogen vorgehen, lassen chinesi-
sche Emissäre sich viel Zeit, knüpfen geduldig und langfristig
ihre Verbindungen – und müssen nichts weiter tun als abwar-
ten. So wie die Nato in Zentralasien vorgeht, lassen Menschen
nicht mit sich umspringen, vor allem keine Paschtunen – aber
Usbeken auch nicht. Die Karimov-Regierung hat sich mit den
USA überworfen, die den Truppenstandort räumen mussten.
Die Deutschen durften bleiben, der Preis ist unser Stillschweigen
angesichts der entsetzlichen Menschenrechtsverletzungen und
kriminellen Methoden der Bereicherung.
In Peschawar traf ich 2007 den ältesten Sohn des Usbeken-
führers, er besuchte mich im Hotel. Der junge Mann sah müde
aus, auch deutlich älter als er war: eher wie dreißig statt wie ge-
rade 20. Er sah auch ängstlich aus und verhielt sich abweisend.
Er setzte sich auf einen Sessel mir gegenüber, den Oberkörper
halb seinem afghanischen Freund und Organisator dieses Tref-
fens zugewandt und sprach wenig. Erst als ich ihm sagte, dass
im Jahr 2006 etwa 4000 Deutsche zum Islam übergetreten sei-
en, wurde er zugänglicher. Er schwitzte während unseres ganzen

182
Gesprächs. Trotzdem hörte er sich aufmerksam an, dass Frie-
densbemühungen für Afghanistan und Pakistan nicht bedeuten,
dass alle ausländischen Kämpfer verraten werden. Dass es einen
Weg zum Frieden geben kann, mit dem alle ihren Frieden ma-
chen können. Und dass es Menschen gibt, die sich einen Anfang
hier in Zentralasien erhoffen und dafür arbeiten. Aber ich be-
zweifle, dass er auch nur das Geringste von dem glaubt, was er
an diesem Nachmittag hörte.
Mein Bekannter im pakistanischen Geheimdienst spricht
wesentlich mehr als der junge, unsichere Usbeke, vor allem auch
gut Englisch. So ganz kann er diesen freundlichen aber seltsa-
men Deutschen ja nicht einschätzen. Er wird Meldung machen
müssen, dass ich ihn wieder besucht habe. Davon hört wahr-
scheinlich der BND, die Zusammenarbeit ist sehr eng, wie ich
an einem praktischen Beispiel erfahren konnte. Und wir beide
wissen, dass kaum jemand in Pakistan auch nur eine kleine Be-
wegung unternimmt, ohne dass die CIA dies mitbekommt. Wir
hatten das Thema mehrfach beleuchtet.
Die IJU ist eine „terrorpolitische Spielwiese“ für Westenta-
schen-Machiavellis in Islamabad, Washington und Berlin. Das
Szenario stellt sich mir so dar: Die USA haben das Verfahren mit
Osama vorgemacht, jetzt sollen wir Deutschen zeigen, dass wir
das hier auch können. Die CIA arbeitet hier „um zwei Ecken“:
Ihre Wünsche teilt sie den üblichen pakistanischen Kontakt-
leuten in Pakistans Geheimdiensten mit – und die wiederum
handeln durch und über ihre erprobten Mittelsleute der ver-
schiedensten Nationalitäten: Afghanen, Araber, Usbeken. Es ist
nicht ganz einfach – aber es geht.
Die Usbeken leben und sterben dafür, dass Karimov ver-
jagt und die Scharia in Usbekistan eingeführt wird. Ihnen ist
gleichgültig, ob sie den Sieg erleben. Der Sieg ist im Dienst und
Geist Gottes erkämpft, also muss er kommen. Das ist das Ein-
zige was echt ist an der ganzen Sache. Alles Andere ist verlogen.
Der sympathische pakistanische Kricket-Star Imran Khan, der
Politiker wurde, um gegen die Korruption in seinem Lande zu
Felde zu ziehen, schrieb245: „In muslimischen Ländern, in denen

183
die Regierung als US-Marionette gesehen wird, steigen sowohl
Anti-Amerikanismus als auch Terrorismus (z. B. Pakistan, Sau-
di-Arabien, Ägypten und Afghanistan). … Und wo man denkt,
dass die Regierung ihre Macht von ihrem eigenen Volk bezieht
(und nicht von den USA), wie Iran und Malaysia, dort gibt es
keinen Terrorismus.“
Die USA haben bereits eine Menge Unheil angerichtet mit
ihrer Unterminierungspolitik „Marke Terrorkrieg“. Viel Zeit für
weitere hilflose Versuche und halbgare Strategien im Umgang
mit den Ursachen des Terrors bleibt uns nicht mehr. Doch der
vermutlich nächste US-Präsident, Obama, hat bereits ange-
kündigt, einen Teil der im Irak nach seinem Rückzugsplan frei
werdenden Truppen im Konflikt-Bereich Afghanistan und Pakis­
tan einsetzen zu wollen.246 Übereinstimmend damit zwingt die
Bush-Regierung unterdessen Pakistan mit finanziellem Hebel-
druck,247 das „Taliban-Problem“ mit rein militärischen Mitteln
anzugehen,248 ohne neuen Gesamtplan, ohne eingehende Kom-
munikation mit der Bevölkerung, ohne zivile Begleitprojekte.
Dies alles steht im Widerspruch zur aktuellen und demokratisch
festgelegten Strategie und Taktik der pakistanischen Regierung
– und selbstverständlich auch zu sämtlichen nationalen Interes-
sen Pakistans.
Jeder Kenner der Szene weiß außerdem, dass die amerika-
nische Methode das Problem mit Sicherheit verschärft – genau
wie in Afghanistan. Nicht ohne Grund hatte die neue pakistani-
sche Regierung direkt nach Amtsantritt im Frühjahr 2008 einen
neuen Versuch unternommen, das Problem der Ausweitung des
verheerenden Afghanistan-Krieges auf das eigene Gebiet zu stop-
pen. Doch es zeigt sich, dass die USA bisher mit immer schär-
feren Mitteln eingreifen, um Fortschritte und Lösungsansätze
zu verhindern. Der einzig bekannte Gedankengang dahinter:
Wenn die pakistanische Regierung die Verhältnisse stabilisieren
kann, gewinnt sie an Kraft – und damit an Unabhängigkeit ge-
genüber den örtlichen Machtansprüchen der USA. Es ist kaum
zu glauben: Dies ist der einzige denkbare Grund, warum die
USA mit derart ranghohem Personal Druck auf Pakistan aus-

184
üben: um den regionalen Friedensschluss zu hintertreiben und
sich selbst so im Spiel zu halten.
Nebenbei kann man die heimische Wählerschaft über die
außenpolitische Kompetenz der Bush-Regierung beruhigen,
weil jetzt unter großem Fanfare zunächst Mitte Juli 2008 US-
Armee-Chef Mullen249 und anschließend Ende Juli CIA-Vize
Kappes250, er ist ausgerechnet zuständig für heimliche Opera-
tionen, nach Pakistan gereist sind. Politisch bedeutet das nicht
mehr als „das übliche Geklapper“, auch dadurch verstärkt, dass
es jetzt heißt, die „Nr. 2“ von «Al-Qaeda» sei durch eine US-
Bombenattacke – eine weitere kontraproduktive Machtdemon-
stration – schwer verletzt oder getötet worden251. Mit dieser
Aktion haben die USA klargemacht, dass sie auch mit eigenen
militärischen Mitteln eingreifen, um ihre politischen Vorstel-
lungen durchzusetzen – und mögen sie noch so kurzsichtig und
schädlich sein.
Selten findet man diese komplexen und schwer zu durch-
schauenden Zusammenhänge in dieser Klarheit aus den Medien
so eindeutig belegt wie gerade im Juli 2008.
Besonders eindrucksvoll hat nach diesem politischen Spek-
takel die Dachorganisation wichtiger NGOs in Afghanistan,
Acbar, die zunehmende Verschlechterung der Sicherheitslage
kritisiert und vor allem die sichere Zuflucht für Widerständler
in Pakistan verantwortlich gemacht – eine deutliche Kritik auch
an den USA. Und es ist symptomatisch, dass westlichen Re-
gierungen, die zu den Truppenstellern in Afghanistan gehören,
dazu so gar nichts einfällt.252
Wichtig für die Beobachter: Es bleibt beim hilflosen Her-
umballern durch die USA, bei Strategielosigkeit und Mangel an
politischer Bodenhaftung in der Region, wider alle Vernunft,
die doch nach sechs Jahren Misserfolgen in ununterbrochener
Abfolge nachweist, dass nur die weitere Destabilisierung der
Region erreicht wird – und dass dies den tatsächlichen, langfri-
stigen US-Interessen auf die Dauer schweren Schaden zufügen
kann. Beim Besuch des pakistanischen Regierungschefs Gillani
im Weißen Haus des politisch stark angeschlagenen US-Prä-

185
sidenten Bush klingt dann schon wieder alles wie sonst auch:
Pakistan bemühe sich, die Grenze zu schließen.253 Aber die aus­
tralische Zeitung „The Australian“ ließ sich schon vor der Reise
des US-Armeechefs nach Pakistan Mitte Juli 2008 nicht mehr
beeindrucken und fragte spitz, wen die USA eigentlich mit ihrer
Politik noch an der Nase herumführen wollten: Seit langer Zeit
schon sei die Grenze zu Pakistan undicht, die Widerständler
suchten und fänden dort seit langem Zuflucht – und deshalb
drohe Afghanistan nunmehr ein „Rückfall“ in die Zeiten der
Taliban.254 Pakistan jedoch droht ebenfalls eine weitere Taliba-
nisierung – und dieser Prozess könnte die Zündschnur für den
Funken am weltweiten Pulverfass darstellen.
Nicht zuletzt wächst auch in Deutschland die Gefahr durch
die Zündelpolitik unserer Freunde und Verbündeten.

Was können wir gegen diese Politik praktisch tun?

Der saarländische Konvertit Eric B. wird nicht gegen seinen Wil-


len irgendwo festgehalten. Aber er wird überwacht – und genau
beobachtet. Aus drei Richtungen: im Camp, durch die Pakista-
nis – und durch die CIA. Es ist auch nicht unerheblich, wie die
Bevölkerung in Deutschland reagiert. Wir hatten oben gesehen,
wie die „operative Kritik“ durch Verfassungsschützer und Medi-
en an der „IJU-Story“ dazu geführt hat, dass dieses etwas dün-
ne Konstrukt wesentlich angereichert wurde. Aus der IJU kann
durchaus noch etwas werden. Aber wir sollten es dabei bewenden
lassen und dieses ekelerregende Blutspiel beenden, das die tief-
sten Überzeugungen der Menschen und ihre Opfer verhöhnt.
Was Eric und anderen helfen könnte, wäre, dass Freunde
und Verwandte „die Show schmeißen“, also Dinge tun, mit de-
nen das Kanzleramt und das Weiße Haus nicht rechnen: auf
Erics muslimische Freunde ernsthaft zugehen, Kontakt zu ihnen
aufbauen, Verständnis lernen. Sich ernsthaft kulturell öffnen,
aufhören mit Verurteilungen, aufhören mit Beeinflussungsver-
suchen255, auch wenn es schwer fällt. Das Wichtige ist nicht,

186
dass Eric zu unseren Normen zurückfindet, sondern dass er sei-
ne findet und lebt. Sollten seine Verwandten und Freunde in die
pakistanische Grenzstadt Peschawar reisen? Warum nicht? Und
die Familienangehörigen sollten die Öffentlichkeit suchen, dort,
in Pakistan und hier, in Interviews die Verhältnisse anprangern,
die nur schlimmer werden können, so lange man sie schleifen
lässt. Das heißt in der Konsequenz: Schluss mit dem Gerede un-
serer albernen Partei- und Fraktionschefs vom Fraktionszwang.
Ende der Kriegsmandate – und stattdessen auch für Pakistan
Übergangskonzepte, Entwicklungshilfe-Strategien, die etwas
taugen, ehrlich sind und aus der Abhängigkeit führen. Nur freie
Menschen können einen dauerhaften, konstruktiven Frieden
schließen und mit Leben erfüllen.
Eine ältere Dame erzählte mir bei einer Veranstaltung, sie sei
mit einer Seniorengruppe bei SPD-Fraktionsschef Struck gewe-
sen. Als einer der betagten Teilnehmer zu Struck sagte, es müsse
doch nun endlich Schluss sein mit dem Gewurstel am Hindu-
kusch, das alles nur schlimmer mache, sagte der nur: „Ja – aber
ich weiß mehr als Sie“.
Auch das stimmt ja nicht wirklich. Wir werden von einer
Truppe von stellenweise unberatbaren Ratlosen regiert, die es
geschafft haben, ihre Berater zu korrumpieren und die ehrlichen
und guten darunter mundtot zu machen, zu feuern oder zu ver-
graulen. Das einzige, was Struck besser weiß als der sympathische
alte Mann, ist, wie er sich nach oben boxen kann, seinen Posten
behält und wie er „’rüberkommt“: seriös, schwer tragend an der
unendlichen Bürde der hoch komplizierten Staatsgeschäfte, die
kein gewöhnlicher Sterblicher durchschaut, verbunden mit ei-
nem Schuss frecher Einschüchterung.

Die Islamische Bewegung im politischen


System Pakistans

Pakistan ist ein föderaler Staat aus vier Provinzen mit eigenen
Parlamenten und Chefministern (Pandschab, Sindh, Balutschi-

187
stan, NWFP). Diesen Chefministern sind vom Präsidenten er-
nannte Gouverneure beigestellt, die die gewählte Regierung und
den Chefminister jederzeit entlassen können. Eine Besonderheit
stellen die Gebiete an der afghanischen Grenze dar, die direkt
von Islamabad aus über den sogenannten „Politischen Agenten“
regiert werden (FATA). Für den pakistanisch verwalteten Teil
Kaschmirs gilt eine relativ autonome Sonderregelung, für die
so genannten Nordgebiete (Skardu etc.) eine andere, weniger
autonome.
Es gibt ein Zwei-Kammern-Parlament, bestehend aus dem
Senat und der Nationalversammlung. Es gilt das Mehrheits-
wahlrecht.
Die tatsächliche Macht im Staat liegt jedoch bei drei ein-
flussreichen Kreisen: traditionelle Großgrundbesitzer, Militärs
und Unternehmer. Die soziale Mobilität ist nicht besonders
hoch.
Es gibt eine Unzahl sehr kleiner Parteien und eine Gruppe
größerer. Diese schließen sich oft zu Bündnissen zusammen,
die jedoch nie lange halten. Die meisten Parteien haben kaum
innerparteiliche Demokratie, sie sind auf ihre Führungsper-
sönlichkeiten zugeschnitten. Die Loyalität vieler Pakistanis zu
diesen Persönlichkeiten, auch zu solchen von zweifelhafter ethi-
scher Bonität, ist anrührend und weitgehend.

Die wichtigsten Parteien außerhalb der Islamischen Bewegung


sind256:
PPP (Pakistan Peoples Party) wurde 1967 von Zulfikar Ali
Bhutto gegründet, Mitglied der Sozialistischen Internationale,
(SI). Stellt heute den Ministerpräsidenten, Youssaf Raza Gilani,
wird von Nawaz’ PML-N unterstützt.
PML-N (Pakistan Muslim League – Nawaz), nach dem frü-
heren Regierungschef Nawaz Sharif benannter Hauptflügel de
Moslemliga.
PML-Q (Qaid-e-Azam = Größter Führer (Jinnah-Anspielung)),
aus Opposition gegen Nawaz abgespaltet und Militär-freund-
lich

188
MQM (Mohajir Qaumi Movement = Volksbewegung der ein-
gewanderten Muslime), Mittelschichtspartei, PPP-Konkurren-
tin im Sindh
ANP (Awami National Party = Nationale Volkspartei) links­
sozialistische Paschtunen
BNP (Balochistan National Party) größte Belutschen-Partei,
schlagkräftig – aber von der Zentrale argwöhnisch betrachtet
und immer wieder sabotiert
JWP (Jamhori Watan Party = Republikanische Nationalpartei)
Autonomiebewegung der Belutschen
Die wichtigsten Parteien der Islamischen Bewegung des Landes
sind:
MMA (Muttahida Majlis-e-Amal = Vereinigter Aktionsrat) ist
ein Wahlbündnis aus sechs Gruppierungen, bei dessen Entste-
hung der ISI stark nachgeholfen hat.

189
JI (Jamaat-e-Islami = Islamische Bruderschaft), wurde 1941 von
Maulana Maududi gegründet, im religiösen Spektrum die ältes­
te und einflussreichste Partei mit traditionellen Bindungen an
Hekmatyars HIA.
JUI (Jamiat-e-Ulema-e-Islam = Gemeinschaft der Islamgelehr-
ten) ist unter Maulana Fazl-ur Rehman mit guter PR und hoch
aktiver Mitgestaltung des politischen Diskurses besonders er-
folgreich geworden. Der Kern der Taliban entstammt ihren Ma-
daris.
JUP (Jamiat Ulema-e-Pakistan = Gemeinschaft der Geistlichen
in Pakistan) einzige Barelwi-Partei in dieser Zusammenstel-
lung

Wie funktioniert Terrormanagement?

Nahezu sämtliche organisierten Träger des Widerstandes in


Afghanistan und Pakistan haben Ansprechpartner im pakista-
nischen Sicherheitsapparat, der hauptsächlich durch die Insti-
tutionen IB („Intelligence Bureau“) und ISI („Inter Services
Intelligence“) repräsentiert ist. Es mag in Einzelfällen Sonderbe-
richterstattung und –führung über andere Büros geben – doch
das ist für die große Masse des Widerstandes, soweit er von der
Islamischen Bewegung ausgeht, unerheblich.
Hier spätestens wird sich jeder normale Leser fragen, wie das
angehen kann: Moment mal, ich lese doch täglich, dass die pa-
kistanischen Dienste den Terror bekämpfen oder zumindest ein-
dämmen sollen – und dies in enger Abstimmung mit den Ame-
rikanern, die genau deswegen erheblichen politischen Druck
auf alle möglichen Institutionen in Pakistan, vor allem auf die
Regierung und den Präsidenten, ausüben.
Das ist jedoch nur die offizielle Version, Terrormanagement
ist vor allem eine Propaganda-Anstrengung. Wenn wir die offi-
zielle Version des von US-Präsident Bush so getauften „Antiter-
rorkrieges“ nicht mehr glauben, wird man uns beiseite nehmen
und uns die zweite Variante auftischen: sozusagen Lügen für

190
Fortgeschrittene. Und so könnte diese „propagandapolitische
Rückfallposition“ aussehen:
Beginnen wir ganz banal mit den Grundlagen des nachrich-
tendienstlichen Geschäfts: Es ist unmöglich, eine Widerstands-
/Terrorbewegung zu zerstören, ohne dort Agenten zu postieren.
Das ist im weltweiten Drogengeschäft nicht anders als bei «Al-
Qaeda» oder eben der Islamischen Bewegung. Also muss es Per-
sonal geben, das zwischen den Apparaten, also zwischen den
verfolgenden Behörden und den Tätergruppen pendeln kann.
Wenn also mit den pakistanischen Taliban verhandelt wird, geht
es auch darum, friedensbereite Kräfte in dieser Gruppe zu stär-
ken.

Soweit eine denkbare, halboffizielle Version. Doch die Realität


ist eine andere.

Die Interessenlage der USA

Wir müssen uns darüber klar sein, dass am Hindukusch, in


Zentralasien, mitten zwischen Iran und China, die Feststellung
„mission accomplished“ eine Art Horrorvorstellung für ame-
rikanische Interessenvertreter darstellt: Denn in diesem Fall
müssten die USA ihre Truppen zurückziehen. Und dann macht
Asien sich sozusagen „selbständig“. Der Iran stellt seine Ener-
gierohstoffe chinesischen Abnehmern zur Verfügung, abgerech-
net werden diese Lieferungen bereits heute nur noch zu 40% in
US-Dollars – und dann haben die USA tatsächlich Macht und
Einfluss verloren. Weil derzeit jedoch die Militärdoktrinen und
außenpolitischen Weichenstellungen auf „Beherrschung“ der
Rohstoffströme und -börsen abzielt, erscheint das in der Nato
nicht als hinnehmbar.
Mein Unterrichtsstoff bei ausgewählten Führungskräften
unserer Bundeswehr-ISAF-Truppe lautete deshalb: Die USA
wollen in Zentralasien Iran einkreisen, China und Russland
eindämmen, lukrative Wirtschaftspositionen entwickeln und

191
selbst bestimmen, welche Wege die Islamische Bewegung geht.
Schließlich lässt sich mit dieser ideologisch gefestigten und ge-
waltbereiten Truppe so manches Land im Umkreis von meh-
reren Tausend Kilometern unter Druck setzen. Man muss nur
militärisch in der Lage sein, rasch die geeigneten Verwandten
von Kämpfern, die „aus dem Ruder laufen“, deren Gehorsam zu
wüschen übrig lässt, zu verhaften und notfalls zu foltern, schon
werden die wildesten Männer zugänglich. Ich habe solche Fälle
in meiner Bekanntschaft erlebt.
Wenn nun jedoch Washington offenbar kein Interesse daran
hat, sofort vom Hindukusch abzuziehen, wie dargelegt – und
pakistanische Sicherheitsapparate ihre islamischen Freunde
nicht grundsätzlich ausliefern oder „hängen lassen“ wollen,
dann neigt dieser Abwehrkampf zur automatischen Selbstver-
längerung – oder sagen wir ruhig: Der „Krieg gegen Terror“ ist
für die Ewigkeit ausgelegt. Der weltweit führende Terrorkrie-
ger, US-Präsident Bush, sagt das immer wieder. Und damit kei-
ner einen Zweifel hat, wie das funktioniert, spricht er immer
wieder den Definitionsrahmen für Gegner an: „evil“ = „böse“.
Über diese wunderbar unexakte Argumentation haben sich
inzwischen schon ganze Generationen von Journalisten und
Experten aufgeregt. Diese Aufregung teile ich gar nicht. Es ist
doch aus dem ganzen bisherigen Vorgehen der USA seit vie-
len Jahren, nicht nur ihrer verbohrten Regierung sondern auch
fast der gesamten „politischen Szene“, einigermaßen klar, dass
der „Terrorkrieg“ als weltweites Machtergreifungs- und -Erhal-
tungsinstrument geplant und durchgeführt ist. Auch die Clin-
ton-Regierung hat sich daran beteiligt und auf ihrem Niveau
des „weltweiten Terrors“ die „notwendigen“ Schritte unternom-
men. Sie hat Konflikte nicht in der Geschwindigkeit der Bush-
Regierung eskaliert, das ist sicherlich allgemeine Ansicht, doch
lässt sich keineswegs behaupten, Clintons acht Amtsjahre seien
eine „ganz andere Kategorie Politik“ gewesen: Tatsächlich war
Clintons Vorgehen nur rücksichtsvoller und viel weniger brutal.
Und auch der Hoffnungsträger Obama hat bereits klargemacht,
dass er den Iran angreifen wird, wenn er dies für nötig erachtet,

192
um die atomare Bewaffnung des Landes zu verhindern, völlig
unabhängig von den Realitäten in den iranischen Labors. Die-
se Realitäten interessieren in Washington niemanden ernsthaft.
Die Definitionshoheit über das Bedrohungspotenzial des Iran
liegt bei den US-Geheimdiensten. Kaum jemand in der demo-
kratischen Partei entzieht sich den „Notwendigkeiten“. Als ich
2005 bei den wichtigsten Washingtoner Denkfabriken (Think
Tanks) vorsprach: Council on Foreign Relations (CFR), Center
for Strategic and International Studies (CSIS), Brookings In-
stitution, war jeder Gesprächspartner, völlig unabhängig von
der Distanz zur Bush-Regierung, selbstverständlich mit einem
Irankrieg einverstanden, sollte die CIA plötzlich sagen: „In sechs
Monaten haben die die Bombe…“. Parlamentarische Kontrol-
le? Nicht in den USA. Friedensstrategien? Nicht, wenn dabei
Einfluss und unbegrenzte Rohstoff-Zugriffe aufgegeben werden
müssten. Unterwerfung unter die UNO – niemals.
Betrachten wir das Thema Folter an Muslimen mit US-Dul-
dung oder Mitwirkung, so war dies in Clintons Amtszeit vor
allem in Israel und an Palästinensern üblich – und wird von den
USA nur so schwach verurteilt, dass es die Kongress-Genehmi-
gung für das jährliche Milliardenpaket an Unterstützungszah-
lungen an Tel Aviv nicht beeinträchtigt.
Jeder Student der Politischen Wissenschaften weiß, wie sen-
sibel und differenziert Terror-„Szenen“ (das soziale Umfeld von
Terroristen) sind und dass daher adäquate Gegenmaßnahmen
immer beidseitig ausgerichtet sein müssen: einerseits vernünfti-
ges, politisches Entgegenkommen, also: das ehrliche und echte
Eingehen auf berechtigte Forderungen aus dem Kreis der Terror-
Sympathisanten, der ja immer das Kämpfer-Potenzial, also den
Rekrutierungspool umfasst – sowie andererseits typische Sicher-
heitsmaßnahmen, die für jeden Tag Zeitgewinn und schlichte
„Attentats-Verhinderung“ leisten. Diese beiden Aspekte müssen
über einen längeren Zeitraum sensibel verflochten werden. Mi-
litär hat in dieser Betrachtung fast gar nichts zu suchen, weil es
nichts Positives beitragen und bewirken kann und ist deshalb
mit weitem Abstand vor allem anderen im Terrorkontext nur

193
denkbar als Teil einer Eskalationsstrategie, nicht als Weg zur Be-
ruhigung.
Kopfschmerzen sind nun einmal kein Aufgabenfeld für
Chirurgen heißt es oft bei Diskussionen, es sei denn, es ist ein
Tumor: scharf umrissen und dann operabel – oder: Füchse jagt
man auch nicht mit der Luftwaffe. Und in angelsächsischen Län-
dern: Für jemanden mit einem Hammer sieht jedes Problem wie
ein Nagel aus. Doch solche Vergleiche hinken immer, Politik ist
nicht vergleichbar, alle Parallelen, gerade auch mit früheren Zei-
ten oder anderen Ländern (besonders beliebt: das Desaster im
Irak – und momentane PR-Kunstgriffe wegen der zeitweiligen
Erhöhung regulärer US-Truppen) werfen stets mehr Probleme
auf als sie lösen helfen.
Von einer echten und weiterführenden Vergleichbarkeit der
Verhältnisse in Pakistan und Afghanistan mit anderen anderswo
sind wir weit entfernt – und jetzt, 2008, weiter denn je. Ledig-
lich der nationale und ethnisch/tribale Selbstbehauptungswil-
le der Afghanen mag mit Blick auf die Abwehr britischer und
sowjetischer Beherrschungsversuche angeführt werden, außer
dieser Betrachtung habe ich noch keinen wirklich intelligenten
weiterführenden Vergleich gesehen.
Dass die USA in den vergangenen Jahren aus ihren Misser-
folgen im „Terrormanagement“ entscheidend dazugelernt hät-
ten, erschließt sich nicht. Vielmehr ist zu beobachten, dass man
sich nach Kräften bemüht, immer weitere islamische Bevölke-
rungskreise durch gezielte Eskalation und weltweite Provokati-
on in den Widerstand einzubeziehen, um endlich gegen die so
angewachsene Masse von „Zwischenfällen“ große militärische
Chirurgie einsetzen zu können, die, so die offizielle Wahrneh-
mung in Kreisen der Neocons, allein die militärisch-ökonomi-
sche Kolonialisierung der Welt sicherstellen kann. Die Drohung
eines gegen Pakistan gerichteten militärischen Einsatzes ist ja
bereits seit 2007 handfest und ausgesprochen auf dem Tisch257
– und wäre ein großartiger „Erfolg“ jahrelanger „Bemühungen“
der Strategie-Abteilung im Kabinett Bush – mit anderen Wor-
ten: von Karl Rove. Der jedoch hat sich persönlich abgesetzt,

194
offenbar weil er den politischen „Kladderadatsch“ nach der
erwartet schmählichen Niederlage der Republikaner nicht aus
dem Weißen Haus heraus begleiten möchte, denn das erscheint
schädlich für das politische Ansehen und damit für die weite-
re Karriere. Inzwischen sammelt Rove schon Punkte als kluger
TV-Kommentator, sogar seine Ausgewogenheit wird gelobt.
„Früh-Aussteiger“ der Bush-Administration wie der ehemalige
CIA-Chef George Tenet oder Ex-Verteidigungsminister und
Folter-Organisator Donald Rumsfeld mussten vermutlich des-
halb lange vor dem Bush-Abtritt gehen, weil das Vertuschen ih-
rer Verbrechen offenbar nur durch stärkeren zeitlichen Abstand
zum Verschwinden der Bush-Regierung möglich erschien. Ob
die juristische Aufarbeitung ihrer Taten der kommenden US-
Regierung gelingt, wird für den Ruf der USA als demokrati-
scher Rechtsstaat allerdings entscheidend. So bereitet sich das
Führungspersonal der Neocon-Ära auf eine neue Gang- und
Tonart vor, von der, zumindest laut Ex-US-Präsident Carter258,
im Prinzip nichts Neues zu erwarten ist, „weil beide Präsident-
schaftskandidaten tun müssen, was Israel will“. Und auch ein
Obama hat es offenbar nötig, sich von einem Rockefeller pro-
tegieren zu lassen, Senator Jay Rockefeller, Vorsitzender des Ge-
heimdienst-Ausschusses des US-Senats.259
In dieser Situation erscheint es den USA sinnvoll, ihre
Truppenzahlen am Hindukusch zu erhöhen. Der Unterschied
zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten, Obama und
McCain, beträgt dabei nicht einmal eine Brigade: Obama will
zwei mehr an den Hindukusch verlegen, das wären rund 10.000
Mann260, McCain drei, aber nicht nur Amerikaner, sondern
auch andere Nato-Soldaten, also etwa 15.000.261 Pakistan wird
weiterhin extrem unter Druck gehalten. Kaum ein Tag vergeht,
ohne dass ein US-Funktionär mit Bombenangriffen oder Ein-
satz von Bodentruppen droht.
Es ist klar: Wir befinden uns in einer Eskalationsphase des
Terrors: Hier ist entscheidend, wie im Einzelfall die Steuerungs-
mechanismen bei den herausgehobenen Akteuren, einzelnen
Geheimdienst-Managern und deren Agenten funktionieren.

195
Dies wird weiter unten an zwei Grafiken und mit Beispielen
veranschaulicht.
Ich hatte oben festgestellt, dass offenbar alle wichtigen Wi-
derstandsträger in und nahe Afghanistan ständige Verbindun-
gen zu Führungsoffizieren pakistanischer Dienste unterhalten.
Da es in den höheren Chargen des Widerstandes Persönlichkei-
ten gibt, die nicht gut selbst zwischen der pakistanisch-afgha-
nischen Grenze und Büros in Peschawar oder gar Islamabad
pendeln können, weil sie dafür viel zu prominent sind, schaffen
sie buchstäblich Liaison-Büros, die sie mit Getreuen oder viel-
fach auch mit nahen Verwandten besetzen. Dazu ein realiter
vorhandenes Beispiel: Eine wichtige Führungsfigur der Taliban,
Mitglied im obersten Führungsgremium „Rahbari Shura“, so-
zusagen in Mullah Omars „Regierungskabinett“, hat einen sehr
nahen Verwandten in der Widerstandshochburg Miranshah
postiert, der Hauptstadt Nord-Waziristans – und einen zweiten
in Islamabad, der dort die laufenden Kontakte zum ISI wahr-
nimmt.
Wenn jetzt die USA kritisieren, dass Taliban-Verteidigungs-
minister Jalaluddin Haqqani in die beiden spektakulärsten At-
tentate der letzten Zeit in Afghanistan verwickelt war,262 näm-
lich in das Attentat auf Afghanistans Präsident Karzai am 27.
April 2008263 und auf die indische Botschaft in Kabul am 7.
Juli 2008,264 dann muss ich hier feststellen, dass es sich bei dem
eben erwähnten, so hervorragend mit Pakistans Geheimdiensten
UND der pakistanischen Talibanführung vernetzten, afghani-
schen Talibanführer um eben genau diesen Jalaluddin Haqqa-
ni handelt – und dass, mit allen Konsequenzen, keine Macht
der Welt mich dazu bringen kann, anzunehmen, die CIA hätte
von diesen Verbindungen und ihren Inhalten nichts gewusst.
Schließlich verlor Haqqani auch Mitte Juli seinen Sohn Omar
bei Kämpfen gegen US-Truppen nahe der Stadt Gardez. Also ist
offenbar schon Vergeltung geübt worden – jeder Afghane ist sich
sicher, Omars Tod hängt mit dem kämpferischen Engagement
des Vaters Jalaluddin zusammen. So viele Zufälle auf einmal
wären stark erklärungsbedürftig. Und eigentlich müssten nun

196
in Washington und Langley mehr Köpfe rollen, als die Taliban
im für sie günstigsten Fall je abschneiden könnten.
Doch das Folgende ist ganz öffentlich: Manchmal, wenn
Dinge schief gehen – oder die US-Auftraggeber „umdispo-
nieren“, dann öffnen sich plötzlich Sichtschneisen hinter die
Kulissen. In der zweiten Morgenstunde des 29. Oktober 2002
wurde Dr. Ghairat Baheer – Schwiegersohn des Parteichefs der
Hizb-i Islami Afghanistan, Gulbuddin Hekmatyar, einem seit
2002 hoch aktiven Widerstandsführer neben den Taliban – in
seinem großzügigen Wohnhaus in Pakistans Hauptstadt Isla-
mabad verhaftet. Die entsetzten Kinder beschrieben eine Grup-
pe von etwa 15 bewaffneten Pakistanis, bei der auch eine Frau
gewesen sein soll, möglicherweise die damalige Stationschefin
der CIA.265 Ghairat Baheer ist eine international bekannte Per-
sönlichkeit mit Medien- und Regierungskontakten. Die USA
haben ihn Anfang Juni 2008, also nach fast sechs Jahren, aus
ihrem Gefängnis in Bagram freigelassen. Er wohnt inzwischen,
wie auch so manche prominente Freigelassene aus Guantána-
mo, in Kabul.
Warum die Festnahme eines bekannten Mannes, ein Jahr
nach 9/11, fragt sich der Zuschauer – und warum jetzt die Frei-
lassung? Vielleicht hilft folgende Erklärung mit zwei komple-
mentären Begründungen: Baheer wurde einerseits höchst wahr-
scheinlich festgenommen, weil die Regierung Musharraf und
seine US-Sponsoren einen sichtbaren Erfolg benötigten. Ande-
rerseits störte sicherlich auch die hohe Sichtbarkeit des Mannes
und sein Draht zu den Medien. Denn der wichtigste und emp-
findlichste Punkt des amerikanischen Terrormanagements ist
die unangefochtene mediale Lufthoheit. Wir erinnern uns an
die Bedingung Nr. 5 der USA an Pakistans Präsidenten Mus-
harraf vom 12. September 2001 (Kap. 2: „Kampf um Kargil
und wieder ein Putsch“) in Kurfassung: „Stets den „Terroran-
schlag“ verurteilen“. Da stören Äußerungen eines Baheer. Auf-
fällig ist jedenfalls die absolute Medienstille um die vielen ande-
ren weiterhin existierenden „halboffiziellen“ Kontaktleute von
«Al-Qaeda» und Taliban in Islamabad, Quetta und Peschawar.

197
Dass man den anderen großen Widerständler Afghanistans,
Hekmatyar, auf Dauer mit der Person Baheers erpressen kann,
ist ebenso auszuschließen wie der Gedanke, die CIA wollte
durch diesen Gefangenen eine Signalmöglichkeit an Hekmatyar
herstellen, wie durch einen gefangenen Botschafter. Denn man
könnte Hekmatyar alle gewünschten Signale sicherlich leichter
persönlich überbringen, schließlich weiß der ISI jederzeit ge-
nau, wo Hekmatyar ist, falls der ISI nicht sogar eingetragener
Hauseigentümer von Hekmatyars aktuellem Wohnsitz ist. Zu-
rück zum Geschäft und zu unserer Grafik.

198
Eigene Ziele der Organisation / persönliche
Ambitionen des Agenten

Das Grundsegment der „Aktivitäten für eigene/persönliche


Ziele des Agenten oder für die Ziele seiner Organisation, zum
Beispiel die neuen pakistanischen Taliban, Tehreek-e-Taliban
(TPP), umfasst manche Dinge, die der Agentenführer im pa-
kistanischen Geheimdienst grundsätzlich kennt – aber auch
andere, die er nicht kennen soll – und die er nicht wünschen
kann. Zum Beispiel: Der ISI versucht mit höchster Kraft, die
jungen Leute aus der neuen TPP in den Griff zu bekommen.
Da muss er fördern und helfen – und auch in Kauf nehmen,
dass zu dieser Truppe Leute gehören, die plötzlich den Distrikt
SWAT besetzen und dort ihr hartes Regime errichten, wobei
alle offiziellen Regierungsvertreter das Weite suchen müssen.
Oder ein besonders radikales Mitglied bringt einen hohen Of-
fizier der pakistanischen Armee um. Jetzt könnte man Ermitt-
lungen aufnehmen, versuchen, das ganze Geschäft der TPP
umzukrempeln, um den Schuldigen zu finden, das geht nur mit
Verhaftungen, Folter und Kommando-Aktionen. Aber dann ist
der Landesfriede dahin und in Kürze Feuer unterm Dach. Also
wird der tote Kamerad in Kauf genommen und die Ermittlun-
gen werden auf kleiner Flamme weitergeführt. Und weil ja auch
noch die für derart sensible Fragen wesensmäßig ungeeigneten
amerikanische Kräfte in Pakistan herumspuken wie ungerufe-
ne Geister, muss man vielleicht auch einmal eine große Akti-
on starten, mit tausend Mann einen Landstrich in Waziristan
oder Nachbarschaft besetzen, ohne dabei den größten mögli-
chen Druck zu entfalten. Und natürlich gilt für Kameraden,
die vorne zu den Taliban überlaufen, die offizielle Wortwahl:
„gerieten in Gefangenschaft“. Auf keinen Fall wird von hinten
auf diese Überläufer geschossen… Diese Fälle können Agen-
tenführer in den Diensten mit ihren Gesprächspartnern in den
Widerstandsparteien abhandeln. Selbstverständlich werden für
bedeutendere Aktionen auch ranghöhere Kämpfer ins Gespräch
einbezogen.

199
Der „offiziell bekannte“ Anteil der Aktivitäten eines Agenten
für sich selbst oder seine Partei wird dabei auch offen bespro-
chen und vom Agentenführer im pakistanischen Geheimdienst
schriftlich fixiert. Darüber wird dann auch mit den amerikani-
schen Geheimdienstlern aus den mittleren und unteren Segmen-
ten ihrer Hierarchie gesprochen. Über die bekannten Tätigkei-
ten hinaus gehende sind grundsätzlich nicht erwünscht, werden
jedoch teilweise akzeptiert – und teilweise eben auch gar nicht,
dann wird der Agent entweder getötet oder verhaftet und den
Amerikanern auf den niedrigeren Rängen (und der staunenden
Öffentlichkeit) als Erfolg im Antiterrorkrieg präsentiert.

Anordnungen mit Wunschcharakter: Mittelbereich

Nun haben Geheimdienste ja nicht nur freundlich zur Kenntnis


zu nehmen, was ihre Ansprechpartner in der Islamischen Bewe-
gung im Feld treiben oder planen, sondern sie haben Vorgaben,
die eine möglichst kohärente, wenn auch in Teilen geheime,
Regierungsagenda voranbringen sollen. Also ergehen Anord-
nungen an die „Militanten Kräfte“, vor allem an deren Füh-
rungspersonal. Nur einen Teil davon wollen die neuen, jungen
Taliban umsetzen, eher sogar einen ziemlich kleinen Teil. Der
Agentenführer und seine Vorgesetzten müssen sich also darüber
klar werden, welchen Teil der Anordnungen sie notfalls für still-
schweigend verschiebbar oder verzichtbar halten: Diesen Teil
der Befehlslage stellt der mittlere Bereich der Grafik dar. Muster
von Verhaltensweisen der Agentenführer und ihrer Agenten im
sind dabei kaum zu erkennen, lediglich individuelle Entschei-
dungsparameter wie Glaube, Finanzsicherheit, Familiensituati-
on, tribale Zusammenhänge, Beziehungs-Netzwerke.

200
Bereich der unbedingten Anordnungen

Und schließlich gibt es ja auch noch Anordnungen, die zum Bei-


spiel aus der ISI-Spitze ergehen – und keinen Aufschub dulden.
Beispiele: Einer der Kämpfer ist „erheblich über das Ziel hin-
ausgeschossen“, hat einen Drogenkurier bestohlen, der einem
General „gehörte“, eine Exekution ist fällig – und zwar schnell.
Oder: Ein besonders radikales Grüppchen hat sich gebildet und
gebärdet sich absolut „unansprechbar“, bei gleichzeitig sehr blu-
tigem Vorgehen. Dann wird eine andere Organisation gebeten,
sich der „Brüder“ mit wachsendem Druck „anzunehmen“ –
auch wenn da heimliche Sympathien zwischen den Mitgliedern
bestehen. Da werden dann auf allen Seiten Führungsfähigkeiten
getestet… Und nur zur Vervollständigung des Bildes mag fol-
gender Hinweis dienen: Was macht man mit Forderungen nach
mehr Härte, die offenbar direkt aus dem Weißen Haus kommen,
zum Besuch von US-Vizepräsident Dick Cheney in Pakistan am
26. Februar 2007 – und in ihrer Summe den ganzen Betrieb in
blutiges Chaos stürzen würden? Lösung: Man nimmt Obeidul-
lah Akhund, den ehemaligen Taliban-Verteidigungsminister in
freundlicher Form und rechtzeitig zum Cheney-Besuch fest266,
ein fetter Brocken, – und wenn die Lage sich beruhigt hat, im
Herbst 2007, lässt man ihn ebenso freundlich wieder laufen.267
Nichts für ungut.
Dieser Vorgang und seine Berichterstattung, in ihrer bis dato
nahezu unerreichten Öffentlichkeit und Klarheit in den Inter-
pretationsmöglichkeiten, zwingt zu einer kurzen Betrachtung
eines Teils der Akteure in der Region.

Der westliche Einflussblock („CIA“) ist in Afghanistan nicht


mehr so monolithisch wie bisher, das wirkt sich auch auf Pakis­
tan aus. Andere Nachrichtendienste kochen ihre z. T. „eigenen
Süppchen“, zwischen Briten und Amerikanern gibt es häufiger
Ärger, das System schwächelt.

201
Die „Widerstands- und Terrorszene“ ist stark segmentiert
und unübersichtlich, dabei personell fluktuierend und politisch
stark veränderlich.
Pakistan verfügt über zwei hier wichtige Nachrichtendienste:
ISI (Inter Services Intelligence = Militär) und IB (Intelligence
Bureau = zivil), mit gelegentlich durchaus konkurrierenden und
sich überschneidenden Agenden.

Lage in Pakistan

Wir sehen bereits an dieser Stelle: Was immer der Westen


in Pakistan versucht, es ist ausgeschlossen, dass es klappt wie
es müsste. Die Struktur der Verhältnisse ist dazu schlicht nicht
„aufgestellt“.

Automatisch ergibt sich die Frage, wie dieses von mir als
„Terrormanagement“ bezeichnete Vorgehen aus der Sicht eines
Agentenführers in einer pakistanischen Sicherheitsinstitution
aussieht. Auch hier ist von einer Dreiteilung auszugehen:

Aktivitäten eines pakistanischen Geheimdienst­


mitarbeiters in der Agentenführung

Dabei muss der Agentenführer bestrebt sein, einen vermuteten


Anteil heimlicher und verbotener Aktivitäten so klein und ge-
heim wie möglich halten, in Abhängigkeit davon, wie „musli-

202
misch solidarisch“ er tatsächlich zunächst persönlich empfindet
– dann aber auch, wie er in dieser Hinsicht seine Vorgesetzten
einschätzt.
Zum Beispiel: Ein bestimmtes Attentat liegt nicht im geneh-
migten Bereich. Es wird jedoch durch den Agenten trotzdem
ausgeführt, wobei es darum geht, dass die Akteure sich nicht er-
wischen lassen, um weder den Agenten noch seinen „toleranten“
Agentenführer zu desavouieren. Meistens geht es so vonstatten,
dass Kämpfer im Umfeld des berichtspflichtigen Agenten ein
solches Attentat ausführen, um ihn zu schützen. Dafür wird der
Agent, wenn dies nicht unter seinem Rang liegt, die Attentate
selbst ausführen, die „ok“ sind, für die er „grünes Licht“ bekom-
men hat.
Auch wenn der „Manager“ in der pakistanischen nachrich-
tendienstlichen Betreuungseinheit im Fallbeispiel tatsächlich
ziemlich genau im Bilde ist, was da passiert, wird er darüber
wohl kaum eine schriftliche Meldung anfertigen. Das Maß sei-
ner Konspiration mit seinem Informanten ist von vielen Fakto-
ren abhängig: Stammeszugehörigkeit, Glaube und persönliche
Vergangenheit spielen dabei eine wichtige Rolle. Und schon gar
nicht wird der Führungsoffizier auf Anfrage ausländischer Dien-
ste darüber Kenntnisse andeuten. Aber sein oberster Chef, der
DG ISI (= Director General ISI) wird dies möglicherweise auf
höchsten Ebenen der US-Partner sehr diskret tun – und da ist
dieses Attentat dann möglicherweise wesentlich willkommener,
als es den unteren Chargen laut deren Befehlslage sein darf.
Im wirklich sensiblen Spitzenbereich der Geheimhaltungs-
und „Verbotszone“ geht es um Aktivitäten, die der Agent „auf
eigene Kappe“ und/oder auf allerhöchste Weisung entfaltet.
Hiervon darf der Agentenführer im mittleren Management des
zuständigen Geheimdienstes nicht einmal eine schwache Ah-
nung bekommen, sonst landet der Agent im Folterkeller, sei
es in Pakistan, Guantánamo oder sonstwo. Klar ist: Ein guter
Kämpfer muss darauf achten, dass er das geheime Spitzenseg-
ment und die mittlere Grauzone, also den gesamten Aktionsbe-
reich außerhalb der Reports, so groß und bedeutend wie mög-

203
lich hält, um nicht in die Blutmaschine mit ihren Mahlsteinen
1. CIA und deren befreundete Folterstaaten, 2. pakistanische
Dienste und 3. radikalisiertes Fußvolk des Widerstandes, also
der „eigenen Leute“, zu geraten.
Bedenkt man, dass es allein auf pakistanischer Seite zwei gro-
ße und konkurrierende Einheiten gibt, ISI und IB, dazu un-
zählige Splittergruppen von Fußvolk im Widerstand und in der
Terrorszene, ähnlich komplizierten Firmengeflechten weltweiter
Drogenkartelle, großer Steuerhinterzieher oder Betrugsfirmen
(BCCI268, Enron269 oder Flowtex270), dann ahnt man, dass so
ein Leben ganz schön kompliziert werden kann.

Diese kleine Einführung mag genügen, um einen kleinen


Einblick in komplizierte „Gemengelagen“ des komplizierten
und hoch gefährlichen Terrorgeschäfts zu erhalten, in dem
nicht nur Greenhorns regelmäßig scheitern müssen.
Aber auch auf der internationalen Ebene der „großen Poli-
tik“ sind diese Dinge kaum erklärbar. Sie machen das Geschäft
sehr schwierig und zum Beispiel für einen beteiligten Politiker
wie Musharraf auch einsam. Der Masse seiner Landsleute und
anderen Gesprächspartnern ist das Verfahren nicht zu erklä-
ren, international muss er sich ständig verteidigen – und die
USA verlangen ständig irgendwelche Leistungen, die sich wi-
dersprechen. OEF-Erfolge in Afghanistan bei der Terrorjagd
– aber es müssen ja genügend Terroristen übrigbleiben, damit
man nicht unversehens abziehen muss. Das von den USA an
die pakistanische Adresse beklagte „Doppelspiel“ betreibt vor
allem Washington. Pakistan bewegt sich dabei zumeist im Be-
reich der politisch-militärischen Notwehr. Ein täglicher Ritt auf
Messers Schneide für beteiligte pakistanische Spitzenpolitiker.
Kein Wunder, dass die neue PPP-Regierung unter Gilani nicht
mehr mitspielen will. Denn diese täglichen Terrorspiele stärken
stets die Rolle des Militärs – und verringern Macht, Rolle und
Außendarstellungsmöglichkeiten der Zivil-Regierung.
Damit kommen wir zu einer notwendigen Betrachtung der
Wissensstände in den Hierarchien der beteiligten Organisa-

204
tionen. Dazu betrachten wir noch einmal das dreistufige Mo-
dell. Dort gibt es in den jeweiligen Hierarchien der Akteure
enorme Unterschiede, was die Wissensstände angeht: Nur eine
kleine Oberschicht kennt alle grundlegenden Zusammenhänge
ziemlich gut. Bei der CIA und in den pakistanischen Diensten
hindert diese Führungselite das Mittelmanagement regelmäßig
daran, spektakuläre Fahndungserfolge zu erzielen, was in den
kommenden Jahren zu einer stattlichen Anzahl Enthüllungs-
stories frustrierter Ex-Agenten führen wird. Der spektakulär-
ste bisher bekannte Fall in dieser Hinsicht ist sicher die New
York Times-Story vom Juli 2007 über die vom damaligen US-
Verteidigungsminister Rumsfeld in letzter Minute gestoppte
Ergreifungsaktion gegen Ayman al-Zawahiri, die „Nr. 2“ der
«Al-Qaeda» im Jahre 2005.271 Offizielle Begründung damals:
Man habe Pakistan mit einer Einsatzstärke von 300 US-Solda-
ten im Ergreifungskommando nicht „brüskieren“ wollen. Als
ob ein Staat, der ganze Kriege fingiert und „gewohnheitsmäßig“
Staats- und Regierungschefs oder andere missliebige Notabeln
umbringen lässt, vor vergleichsweise geringfügigen Brüskierun-
gen zurückschrecken würde, insbesondere, wenn es angeblich
um die Ergreifung von al-Zawahiri geht, für die ja bereits jetzt
mindestens 25.000 Mann US-Truppen in Pakistans Nachbar-
land Afghanistan eingesetzt sind und die gesamte Region de-
stabilisieren – oder sollten wir sagen: „brüskieren“? Besonders
„hübsch“ ist auch die Schilderung Michael Moores über den
Sonderflug von 22 Verwandten des angeblichen Terrorzars aus
den USA nach Hause während des allgemeinen Flugverbots in
den USA während der ersten Tage nach 9/11 – ohne jedes Ver-
hör oder andere kriminalistische Begleitaktivität.272
Der Deutsche Bundeswehrarzt Dr. Reinhard Erös, dessen
Schulbauten in Krisengebieten Afghanistans ein Musterbeispiel
guter und erfolgreicher Entwicklungshilfe sind, erzählt in sei-
nen Vorträgen immer wieder die Geschichte, wie er im Septem-
ber 2001 dem BND 2001 mit Hilfe seiner guten Beziehungen
zu afghanischen Stammesältesten die Ergreifung des Terror-
chefs bin Laden angeboten hatte – vor allem um das unwei-

205
gerlich folgende Bombardement und die Invasion der Nato zu
verhindern. Es dauerte zwei Wochen, bis der BND antwortete,
so erzählt Erös. Die Antwort soll gelautet haben: „Vielen Dank,
gute Idee, durchführbarer Plan – aber für uns (den BND) eine
Nummer zu groß!“
Nun darf man solche Informationen nicht einfach so stehen-
lassen: Der BND ist nichts anderes als eine Informationssam-
melstelle der CIA und muss alles weitermelden, was wichtig ist.
(Umgekehrt gilt dies übrigens nicht. Nur die Briten behaupten,
sie bekämen alles, was die CIA weiß – was lächerlich ist, die Da-
tenmenge ist so groß, dass alle Agenten dafür ins Archiv wech-
seln müssten…) Jedenfalls müssen wir davon ausgehen, dass der
BND das Erös-Angebot der CIA vorgetragen hat und sich eine
klare Abfuhr holte.
Die Liste der Geschichten ist noch länger: Im Januar 2007
erzählte Afghanistans Präsident Karzai dem CDU-Bundes-
tagsabgeordneten Wimmer, die USA hätten im Jahr 2004 in
Afghanistan Frieden machen können, hätten dies jedoch abge-
lehnt.273
2006 brachte Karzai bei einem Besuch in Pakistan eine Liste
mit Adressen, Telefonnummern und Adressdaten von Arbeit-
gebern für mehr als 150 Top-Taliban mit und überreichte sie
seinem Amtskollegen Musharraf. Monate später erklärte Mu­
sharraf, die Listen seien nicht mehr auf dem neuesten Stand
und deshalb wertlos.
Oder etwas aus dem Geschäftsleben? Bei seinem Pakistan-
Besuch im Herbst 2007 drohte US-Vizeaußenminister Negro-
ponte seinen pakistanischen Gesprächspartnern mit Luftangrif-
fen auf pakistanisches Territorium wegen angeblicher Fehler im
Terrorkrieg. Gleichzeitig jedoch verkündete er eine ganz andere
Botschaft: Pakistan solle besser gar nicht erst daran denken,
eine Gaspipeline vom Iran aus über sein Territorium nach Indi-
en („IPI“-Route) zu bauen. Das bedarf für Eingeweihte keines
Kommentars, schließlich haben die USA eigene Pipeline-Pläne
für die Region – und das politische Risiko eines Abzweigs von
der Röhre in Richtung China wäre viel zu groß…

206
Doch auch in der afghanischen Widerstandsszene gibt es
Grenzen für den Tatendrang. Das jüngste und bislang ein-
drucksvollste ist sicherlich das Scheitern des Taliban-Kämpfers
Mullah Dadullah, der gleich doppelt über die Stränge schlug:
Zunächst konterkarierte er durch die gezielte Ermordung von
Stammeschefs, die CIA/ISI zuvor mühevoll angeworben hat-
ten, in Pakistans Paschtunengürtel die Management-Ambi-
tionen Washingtons. Potenziell weit bedrohlicher war jedoch
die wachsende Medienpräsenz. Denn sehr schnell könnte ein
charismatischer Talib weltweit eine Underdog/David-Helden-
rolle einnehmen, das wollte Washington offenbar nicht dulden.
Dadullah wurde regelrecht persönlich gehetzt und hingerichtet.
Widerstandsgeist ist offenbar ein Familienmerkmal, Dadullahs
Bruder Mansur, der ihm im Amt als Militärführer zunächst
nachgefolgt war, wurde durch eine CIA-Medienente („von
Mullah Omar abgesetzt“274) regelrecht „verwarnt“.

Wissensstände in den Geheimdiensten

Ein erster Blick auf die Grafiken für den Widerspruch zwischen
Arbeitsleistung, Mitarbeiterzahl und Wissenstand zeigt, dass
CIA-Arbeit und das Vorgehen pakistanischer Dienste nicht auf-
einander passen – und zu endlosen Reibereien führen muss.

Während in den Diensten beider Staaten fleißig gearbeitet wird


(gleiche Lastverteilung innerhalb der Hierarchien), ist das tat-
sächliche Wissen in der Hierarchie der für Pakistan und Afgha-

207
nistan zuständigen CIA-Mitarbeiter so verteilt, dass brauchbare
Arbeit nicht geleistet werden kann. Anders ausgedrückt: Die
Hierarchie-Spitze geht von einem völlig anderen Wissensstand
aus – und hält es für nützlich und angemessen, auch hochran-
gige Mitarbeiter über die tatsächlichen Zielsetzungen im Un-
klaren zu lassen. Selbstverständlich stellen Mitarbeiter privat
Vermutungen über die Verhältnisse innerhalb ihres Arbeitgebers
CIA an, manche wählen dann auch den Ausstieg, doch erheblich
für eine objektivierte Betrachtung sind selbstverständlich aus-
schließlich die dienstlichen Veranlassungen. Dieses Diagramm
basiert auf zahllosen Zitaten in der Literatur, besonders ergiebig:
Seymour Hersh, sowie auf mehreren persönlichen Begegnungen
und Beobachtungen, verteilt über viele Jahre. Der BND wäre in
einer solchen Grafik eine Mischform zwischen CIA und ISI/IB
– jedoch mit starken individuellen Varianten. Wollte man einen
Kommentar zur Überlebensfähigkeit eines Systems abgeben,
so muss klar festgestellt werden, dass hier nicht nur die CIA
schwach abschneidet. Vielmehr geht es ja auch um die Informa-
tionsverteilung in der ganzen Gesellschaft, deren institutionel-
ler Bestandteil ein Geheimdienst nun einmal ist. Für die USA
muss klar festgestellt werden, dass der gesellschaftliche Zustand
grundsätzlich den in der CIA widerspiegelt. Die breite Bevölke-
rungsmasse in den USA hat keinen blassen Schimmer, was in
der Welt los ist, was eine erstrangige Gefahr für die Standfestig-
keit der Demokratie bedeutet. Daran gemessen sieht Pakistan
erheblich besser aus, nur sind andere Faktoren (Chancenvertei-
lung, soziale Beweglichkeit, Reichtumsverteilung, Bildung) so
ungünstig aufgestellt, dass die vorhandenen guten demokrati-
schen Kräfte im Volk ihre Wirkung auf die gesellschaftliche Rea-
lität nicht entfalten können.
Wenn wir jedoch die Wissensverteilung in der CIA und die
entsprechenden Rückschlüsse auf die Gesellschaft in einen his­
torischen gesellschaftlichen Vergleich stellen, dann entspricht
das „Modell CIA“ nicht einem demokratisch verfassten Staats-
wesen, sondern eher einer Diktatur im Europa des vorletzten
Jahrhunderts.

208
Gibt es eine Schaltzentrale des Terrors?

Viele mag die Frage beschäftigen, wer denn entscheidet, wann


und wo ein spektakulärer Anschlag ausgeführt wird. Wir hören
von Telefonanrufen, in denen ein Attentäter von einem Freund
einen Segen erfleht – und dann kommen Nachrichten über
einen Anschlag, den der Anrufer nach dem Telefonat verübt
hat.275 Damit ist jedoch der Angerufene nicht automatisch der
Stichwortgeber oder Organisator, „das Gehirn“…
Osama bin Laden hat sich damit gebrüstet, 9/11 organisiert
zu haben. Nun gibt es eine ganze Menge zu organisieren für
ein Attentat von dieser Größenordnung. Ohne bin Ladens „Ver-
dienste“ schmälern zu wollen (oder zu können): Der geringste
Teil der tatsächlich zu leistenden Arbeit kann dabei aus der af-
ghanischen Bergwelt heraus erbracht werden. Auch politisch-
philosophisch lässt sich keine Zentrale ausmachen – für „die
Brüder, die in die gleiche Richtung gehen“. Nicht einmal für
Deutschland gibt es eine „Terrorzentrale“, wie unter anderem
aus dem Buch der Journalistin Annette Ramelsberger „Der
deutsche Dschihad“ eindeutig klar wird.
Lässt sich umgekehrt formulieren: Das Wesen des Terrors ist
dezentral? Nun, dafür wiederum sind die Kontakte der Topleu-
te dann doch zu vielfältig in Pakistan/Afghanistan angesiedelt
– und es geht zu viel Reisetätigkeit dorthin. Wir hatten außer-
dem verschiedene Personalführungsmöglichkeiten betrachtet,
Stichwort: ‚lange oder kurze Leine’.
Also kann das Modell zur Erklärung der Gewichtsverteilung
im Terrornetz nur Vielgestaltigkeit des Kampfes sein, mit ei-
nem regionalen geographischen Schwerpunkt in Pakistan – und
vielen ausländischen Verbindungen an diesen Schwerpunkt von
ganz unterschiedlicher Qualität. Damit ist jedoch auch klar,
dass wir unsere politischen Prioritäten verschieben müssen: Pa-
kistan muss in Fragen unserer Sicherheit, also auch in Fragen
der Terror-Vorbeugung und -überwindung, unsere allerhöch-
ste Aufmerksamkeit zuteil werden. Unsere besten Diplomaten,
unsere besten Nachrichtendienstler gehören dorthin. Und dort

209
müssen wir auch unsere besten Strategen ansetzen – und sehr
viel mehr uneigennützige, echte Entwicklungshilfe. „Nicht
kleckern, klotzen!“ – hat Helmut Schmidt einmal gesagt, als er
noch Kanzler war. Das erscheint hier bedenkenswert.

210
«In … weiten Teilen der Dritten Welt wurden die örtlichen Sicher-
heitskräfte derartig von der CIA unterwandert und manipuliert
– in manchen Fällen waren sie sogar Kreationen der CIA – dass
es ihnen niemals möglich war, gegen die von egoistischen Interessen
gesteuerten (und den manipulierten Sicherheitskräften, unbekann-
ten) Operationen der CIA-Residenzen einzuschreiten oder sie zu
gefährden.»292
Philip Agee, Ehemaliger CIA-Agent, 1975

Kapitel6

Die gefährlichen Ambitionen


des Auslands

Für Außenstehende ist oftmals unbegreiflich, wie stark in der


internationalen Politik der Einfluss von Geldgebern auf die
Empfänger sein kann.
So beschwert sich ein Kommentator293 aus Pakistans Pro-
vinzhauptstadt Quetta, Belutschistan, dass in der wechselvollen
Geschichte seines Landes die politischen Führungskräfte oft-
mals über ihre geheimen Pläne eher mit Ausländern (Briten,
Amerikanern) gesprochen haben als mit ihren eigenen Leuten.
Und er fügt als Beispiele die erste Verhängung des Ausnahme-
zustands in der Geschichte des Landes durch Präsident Iskan-
der Mirza 294 an sowie Gespräche der Tochter des ersten Militär-
herrschers, Ayub Khan, Naseem Aurangzeb, mit dem britischen
High Commissioner H. A. Twist über die Frage, ob ihr Vater
zurücktreten solle. Der Brite zeigte sich in seinem Report295
nach Hause einigermaßen perplex über diesen Vorgang.
Wenn wir feststellen, dass Benazir Bhutto über eine kleine
Friedensorganisation in Crawford, Texas, also am Ort der Ranch
des US-Präsidenten, eben diesen Präsidenten auffordert296, „dass
Musharraf die Verfassung wieder in Kraft setzt, den Notstand

269
aufhebt und Wahlen abhält wie geplant“, dann können wir uns
vorstellen, dass sich an diesen pakistanischen Verhältnissen in
allen Jahren zwischendurch niemals viel geändert hat.
Wenn wir weiterhin feststellen, dass in beiden Fällen, Mirza
und Bhutto, die jeweils erste Besorgnis gegenüber ausländischen
Repräsentanten die Entwicklungshilfe betraf: Mirza: ob man
auch zukünftig Hilfe erhalten werde – und Bhuttos Mitarbei-
ter: bei 1,5 Milliarden Dollar US-Unterstützung für Musharraf
könne man doch mehr tun als weiche Töne gegenüber dem Mi-
litärdiktator anzuschlagen – dann entsteht sehr rasch das Bild
von Klassenstrebern, die hauptsächlich versuchen, sich beim
Lehrer gegenseitig schlecht machen und vor allem darauf ach-
ten, ob sie noch in seiner Gunst stehen.
Als feststand, dass nicht nur Benazir Bhutto sondern auch
Nawaz Sharif zur Parlamentswahl – und damit innenpolitisch
gegen Präsident Musharraf – antreten würden, erhielt ich aus
Pakistan eine e-mail, in der sich ein Pakistani wortreich und
böse darüber beschwerte, dass nun drei US-abhängige Politiker
vor das pakistanische Publikum träten, was er offenbar nicht als
„freie Auswahl“ empfand.
In einem bisher unveröffentlichten wissenschaftlichen Ar-
beitspapier297 stellt ein junger Wissenschaftler fest, dass in
Entwicklungsländern „mit guter Politik“ Kredite eine gute
Wirkung hätten. In Ländern, in denen jedoch Kredite durch
schlechte Politik kein oder nicht genügend Wachstum erzeug-
ten, gerate das Empfängerland in hohe Schulden, die dann ih-
rerseits Abhängigkeit und Entwicklungsunfähigkeit erzeugten.
In Pakistan, einem Land mit erheblichem US-Einfluss, war die
Politik oftmals nicht so erfolgreich, das Land ist hoch verschul-
det.

Regionale US-Ambitionen

Wie die inzwischen vielfältigen Dokumente aus den Anfangs-


zeiten des jungen Staates Pakistans und auch schon vor seinem

270
Entstehen zeigen, bestand weder in der britischen noch in der
US-Außenpolitik Interesse daran, diesen Staat stabiler zu ma-
chen als nötig. Sehr schnell wuchsen die USA in der zweiten
Hälfte der vierziger und in den fünfziger Jahren in die Rolle des
Bankrott-Profiteurs bei der Auflösung des britischen Empires.
Es bestand jederzeit hohes US-Interesse daran, dass Pakistan
den amerikanischen Ambitionen diente, was man sich einiges
kosten ließ. Die Zahlen liegen zwischen sechs und zehn Milliar-
den US-$ in den 80er Jahren und seit 2001 bis jetzt bei etwa 10
bis 15. Auf offizielle Angaben sollte man sich dabei nicht allzu
sehr verlassen. Die Politik hat dabei sowohl in den 80ern als
auch jetzt wieder einen interessanten Nebeneffekt: Die Bevöl-
kerungen radikalisieren sich, die gewaltbereiten Teile der Isla-
mischen Bewegungen wachsen, die Ablehnung der USA wächst
ebenfalls. Während der sowjetischen Besatzungszeit in Afgha-
nistan waren es die als zu gering empfundenen Lieferungen an
Waffen und anderem Nachschub, die den Krieg in die Länge
zogen und 1,3 Millionen Tote verursachten, mit großem Ab-
stand vor allem in der Zivilbevölkerung. Die USA wussten, dass
Pakistan einen hohen Anteil der Gelder für den afghanischen
Widerstand in seine Nuklearrüstung steckte. Es lag auch im
US-Interesse, die Sowjetunion wegen ihrer Menschenrechtsver-
letzungen in Afghanistan möglichst lange an den Pranger der
Weltöffentlichkeit zu stellen. Nach dem Abzug der sowjetischen
Truppen, in der ersten Hälfte der 90er Jahre, ließen die USA
Pakistan mit der afghanischen Flüchtlingswelle aus den 80ern
praktisch allein. In der zweiten Hälfte verärgerten die USA die
von ihnen selbst finanzierten Taliban mit allerhand Druck- und
Zwangsmethoden, um deren Zustimmung zu einem Pipeline-
Geschäft mit der US-Firma Unocal zu bringen. Dann kam
2001 und ein Angriff, der in Afghanistan wieder vor allem Zi-
vilisten tötete – auch dort, wo zuvor niemals Taliban gewesen
waren und kein militärisch wichtiges Ziel vorhanden war. Und
jedes Mal bekam Pakistan die Not und die Wut der Flüchtlinge
zu spüren und die Medien (vor allem in Pakistan, nur sehr ver-
einzelt in Deutschland) waren voll davon.

271
Fassen wir die aktuelle Lage in Afghanistan kurz zusam-
men: Die Besatzungsmächte haben bisher (2008) unter tau-
send Soldaten verloren, während sich die Verluste unter Af-
ghanen und Pakistani etwa auf 50.000 Menschen belaufen.298
Das Gesamt-Engagement am Hindukusch hat bisher etwa 140
Milliarden US-$ verschlungen. Weder in Afghanistan noch in
Pakistan zeigt sich eine Macht, die den US-Interessen ernsthaft
gefährlich werden könnte. Doch die Kräfte, die über Vorgehen
und Leistungen der USA begeistert sind und sich mit ihnen
befreundet fühlen, schwinden weltweit, nicht nur in dieser
Krisenzone.
Die strategischen Vorteile, die die Nato durch ihre Kriegs-
führung am Hindukusch erhält, kommen erst jetzt praktisch
und faktisch ans Licht: Großbritanniens Premier hat bei einem
Busch-Besuch als Teil eines Maßnahmenpakets gegen Iran299
auch erklärt, sein Land wolle die Truppenzahlen am Hindu-
kusch erhöhen.300
Afghanistans Präsident Karzai hat immer wieder betont, er
sei aus Finanzmangel gezwungen, sein Land mit Hilfe von Dro-
genwarlords zu „regieren“301:

„Diese schmutzigen Deals sind absolut notwendig, weil


wir nicht die Macht haben, die Probleme anders zu lösen.
Was wollen Sie? Krieg? Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir
wollten einen wirklich schlimmen Warlord verhaften,
konnte dies aber nicht tun, weil er von einem bestimm-
ten Land geschützt wird. Wir fanden heraus, dass sie ihm
monatlich 30.000 Dollar zahlen, um sich mit ihm gut
zu stellen. Sie nutzen seine Soldaten sogar als Wachen…“
Spiegel: „Das hört sich an wie die Geschichte des Kom-
mandeurs Nasir Mohammed in Badakhshan, einer Pro-
vinz, in der die Deutschen stationiert sind.“ Karzai: „Ich
will das Land nicht nennen, weil es ein enger Freund und
Verbündeter ist.“

272
Soweit der arme Karzai, der sich mit Verve auf dem Stecknadel-
kopf behauptet, den wir ihm zugewiesen haben. Was würden
denn die Deutschen sagen, wenn sich ihr „enger Freund und
Verbündeter“ auf ihrem Territorium mit der Drogenmafia zu-
sammentäte?
Dieses sei hier erwähnt, weil Pakistan die Ausgangsbasis für
viele Aktivitäten ist, die in der US-Führung bestens bekannt
sind, mindestens ebenso bekannt wie die Nuklearrüstung – und
trotzdem unternehmen die USA nichts oder nicht genügend
gegen diese Verhältnisse. Im vierten Kapitel habe ich deshalb
die Schlussfolgerung nahelegen müssen, dass bestimmte Ver-
hältnisse der einzig verbliebenen Supermacht willkommen sein
müssen, wenn sie über viele Jahre hinweg nicht versucht, die-
se Verhältnisse zu ändern. Bereits im „Sprengsatz“302 hatte ich
den USA mit vielen guten Indizien eine Eskalationsstrategie in
Afghanistan nachgewiesen. Pakistan ist das Land, in dem die-
se Strategie in zäher Arbeit erfüllt wird. Und wie genau diese
Verhältnisse aussehen, die in erschreckender Permanenz nicht
geändert werden, habe ich versucht, mit dem Drei-Stufen-Py-
ramidenmodell darzustellen. Dazu passen folgende ganz empi-
risch gesammelte Fakten aus namhaftesten Quellen.
Einige dieser Tatsachen müssten die Abgeordneten der
Nato-Mitgliedsstaaten zum Mandatsentzug für den Krieg am
Hindukusch bringen: Da heißt es ausgerechnet in einer Studie
des Pentagon-Thinktanks Rand Corporation303: „Nato-Offizi-
elle entdeckten mehrere Gelegenheiten, bei denen ISI-Agenten
Aufständische der Taliban mit Informationen versorgten, auf
taktischem, operativem und strategischem Niveau. Das schloss
ein, den Taliban-Kräften Hinweise zu geben über Standort und
Bewegung von afghanischen und Koalitionskräften, was ver-
schiedene US- und Nato-Militäroperationen gegen die Taliban
unterminiert hat.“
US-Verteidigungsminister Rumsfeld zog noch Ende 2005
rund 3.000 Mann US-Truppen aus Afghanistan ab – als Ersatz
ließ er für 83 Millionen US-$ die Landebahn in Bagram bei Ka-
bul und in 14 dezentralen Luftwaffenstützpunkten im ganzen

273
Land ausbauen.304 Diese Entscheidung traf er, obwohl er wusste,
das der Einsatz der Luftwaffe weit weniger zielsicher ist als Bo-
dentruppen – und er damit riskierte, dass durch die Verlagerung
der Kriegführung auf die Luftwaffe ständig steigende Zivilverlus­
te entstehen, die dann die Afghanen in stetig wachsenden Zah-
len früher oder später auf die Seite der Widerständler bringen.
Das Ergebnis sehen wir bereits heute.
Schockierendes lesen wir auch in großen Mengen bei Ah-
med Rashid305, der zum Beispiel vermeldet, im Jahr 2006 hät-
ten Nato-Geheimdienste Trainingscamps des ISI in der Nähe
von Quetta gefunden, Waffenlager und Treffpunkte der Tali-
ban. „Jeder einzelne (Selbstmord-)Bomber, den wir verhaften,
ist irgendwie mit Pakistan verbunden“, zitiert der weltweit re-
nommierte Kenner Rashid den Chef der afghanischen Geheim-
dienste, Amrullah Saleh.306 Arabische Kämpfer der Islamischen
Bewegung holten aus ihren Camps in den FATA Muslime aus
aller Welt zusammen, ein großer Erfolg nach der Nato-Invasion
2001.307 Am 9. Juli 2006 sei eine „Policy Action Group“ aus
Geheimdiensten der Nato und Afghanistans zusammengetre-
ten, unter Vorsitz Karzais. Darin wurde festgestellt, dass vier
von zehn Top-Taliban in Pakistan seien. Und wörtlich zitiert
Rashid308 aus dem im Termin vorgestellten Bericht:

„ISI-Agenten sollen eine erhebliche Anzahl von Tali-


ban, die sowohl in Pakistan und Afghanistan leben und
kämpfen dafür bezahlen … Eine große Anzahl derjeni-
gen, die kämpfen, tun dies unter Zwang, auf Druck des
ISI. Der Aufstand kann ohne seinen Rückzugsraum in
Pakistan nicht überleben, der Bewegungsfreiheit, sichere
Anlaufstellen, Einrichtungen für Logistik und Training,
eine Rekrutierungsbasis, Kommunikationsmöglichkei-
ten für Befehle und Kontrollen und eine sichere Umge-
bung für Zusammenarbeit mit ausländischen Extremi-
stengruppen bietet. Der Rückzugsraum Pakistan bietet
einen scheinbar endlosen Nachschub frischer Rekruten
für den Aufstand.“

274
Im nächsten Kapitel werden wir feststellen, dass Pakistan bei der
Armutsbekämpfung seit 2006 keinen Fortschritt mehr gemacht
hat – und auch vorher nicht viel dafür getan hat.
Zurück zu Rashid309: „Der ISI weigerte sich weiterhin stand-
haft, die Kommando- und Kontrollzentrale der Taliban in
Quetta aufzulösen.“ Und er zitiert einen US-Spitzendiplomaten
mit der Bemerkung310: „Niemand hat den Taliban damals viel
Bedeutung zugemessen. Um die Taliban zu jagen hätten wir den
Fokus von «Al-Qaeda» wegnehmen müssen, und das war nicht
möglich, weil «Al-Qaeda» die Hauptbedrohung gegen die USA
darstellte.“
Das muss erst einmal verdaut werden: Da erklärt also ein
Augenzeuge mit Zugang zu erheblichen Datenmengen erster
Güte, man habe die Taliban nicht für wichtig gehalten. Dass
diese seit Jahren eng mit den ausländischen Kämpfern zusam-
menarbeiten und ihnen jede Hilfe gewähren, steht aber doch in
jedem Geheimdienstbericht – und in den meisten Zeitungen!
Und hatten die USA nicht gerade, in brüsker Abkehr von ih-
rem „Fokus“, völkerrechtswidrig ein von Afghanistan deutlich
entferntes Land überfallen, das bis dahin nichts mit «Al-Qaeda»
zu tun hatte – aber nach dem Überfall prompt erheblich, und
unter hohen Verlusten für die Zivilbevölkerung, unter «Al-Qae-
da» zu leiden hatte? Und nebenbei bemerkt: Ist es nicht so, dass
unsere Medien fast ausschließlich amerikanischen Presseoffizie-
ren zuhören, wenn sie aus dem Irak berichten?311 Und ständig
«Al-Qaeda»-Anschläge mit hohen Zivilverlusten zeigen – aber
fast nie den einheimischen irakischen Widerstand, der zahlen-
mäßig unendlich größer und kampfstärker ist?
Wann begreifen wir, dass die USA hier und anderswo ständig
Nebelkerzen werfen?
Eine weitere Schere zwischen offizieller Rhetorik und den
Fakten am Boden öffnet sich im Bereich Drogenerzeugung und
-handel. Auch der britische Ex-Botschafter Craig Murray312
zeigt sich entsetzt, dass Afghanistan den Weltmarkt praktisch
überschwemmt und den Heroinpreis in London ebenso hat
abstürzen lassen wie überall in Europa. In München hat der

275
Polizeipräsident in einem Privatgespräch einmal beklagt, es sei
billiger, sich einen Schuss zu setzen als sich zu betrinken. Für
den Norden Afghanistans macht Murray vor allem den Drogen-
warlord Dostum in Mazar-i-Sharif und dessen Komplizen, den
usbekischen Präsidenten Karimov, für diese Drogenwelle ver-
antwortlich, die an diesem Grenzübergang in Richtung Europa
schwappt. Deutschland steht mit seinen Truppen direkt am Ge-
schehen – und ist doch so schwach, dass nicht einmal LKWs an-
gehalten werden können, aus Angst vor Scharmützeln mit den
Warlord-Truppen, von denen wir uns vor den Taliban schützen
lassen müssen. Pakistan ist der andere große Transportweg der
Drogen, schreiben alle Beobachter. Die Heroinkultur beeinflusst
längst das dortige Wirtschaftsgeschehen. Die gewinnträchtige
Ware geht von den Häfen überall dorthin wohin Schiffe fahren.
Interessant ist auch, dass ständig Goldschmuggler ihre Ware mit
kleinen Schnellbooten an die völlig unbewachte Küste des Lan-
des bringen. Niemand ist da, sie zu hindern, mit Drogensäcken
in ihre Heimatorte zurückzukehren.
Wie kommt es, dass die Nato am Hindukusch das Problem
nicht in den Griff bekommt? Die deutschen Truppen in Nordaf-
ghanistan mischen sich in das gesamte Dogengeschäft nicht ein.
Nicht im Anbau, nicht bei der Ernte – und erst recht nicht beim
Transport – die Bundeswehr hat klare Order, Drogentransporte
in Ruhe zu lassen. Die zu stoppen sei Aufgabe örtlicher Ord-
nungskräfte heißt es. Doch die verdienen alle an der Opium-
wirtschaft mit. Zu dieser vertrackten Gesamtlage zwischen Wi-
derstand und Drogenbaronen sagte ein deutscher Oberst dem
Autor: „Sie sehen das alles viel zu schwarz! Die Taliban können
uns gar nichts tun, das kann sich Fahim gar nicht leisten!“
Dies ist eine sehr klare Aussage eines glaubwürdigen höher-
rangigen Praktikers aus ISAF-Diensten: Fahim ist der zweit-
oder drittgrößte Drogenwarlord Afghanistans, der bis 15.000
Mann unter Waffen hat. Der Oberst hatte soeben zugegeben,
dass die Bundeswehr unter dem Schutz eines Drogenwarlords
operiert.

276
Ganz ähnlich verhalten sich amerikanische Einheiten. Man hat
sich abgesprochen, keine Frage. Rashid erzählt dazu ein erhel-
lendes Erlebnis313:

„Ein frustrierter US SOF (= Special Operations Forces)


Oberst, der das PRT (= Provincial Reconstruction Team)
Helmand führte, sagte, dass er jeden Morgen beobachte,
wie die LKW-Konvois vollgeladen mit Opium an seinem
Camp vorbeirollten, er aber keinen Befehl habe, sie zu
stoppen. Seine Verhaltensregeln besagten, dass er, wenn
er Drogentransporte entdecke, diese zerstören könne, aber
dass da kein Befehl sei, dass er sie zerstören müsse oder
dass er Drogenkonvois verbieten müsse.“

Jedem seine Dienstauffassung. Dass die Taliban damit nicht


nur leichtes Spiel haben, ihr Geld zu verdienen, sondern auch,
die Bevölkerung zu überzeugen, dass die ferengis, die Fremden,
nichts taugen, weil sie keinen Ordnung schaffen wollen, das ist
Fakt – und der Todeskuss für jegliche Aktivität in der Großre-
gion. Denn Afghanistan ist Asien – und da verliert man sein
Gesicht nur einmal. Ungeachtet dessen sind die Briten jedoch
nun schon zum zweiten Mal da – keine gute Gesellschaft für
erfolgreiche Arbeit.
Vergleichen wir diese Fakten am Boden mit dem verantwor-
tungslosen Gerede unserer Politiker und mancher Journalisten,
Publizisten, Berater und „Wissenschaftler“, ist erneut klar: Wir
werden dumm gehalten und für dumm verkauft.

Aktive US-Verschleierung

Die Rückkehr der Taliban zu Macht und Einfluss begann schon


2003 und wurde 2004 unleugbar wirksam. Zwischen 2002 und
2005, so fand Rashid heraus314, mussten die Briten feststellen,
dass die USA nichts unternommen hatten, um die Aktivitäten
der wieder aufblühenden Taliban in vier Provinzen in Südaf-

277
ghanistan oder in Quetta zu beobachten. Rashid schreibt wei-
ter, dass ein US-General ihm gegenüber zugab, dass die Nato
den Preis dafür bezahlte, dass die USA eine Satelliten-Überwa-
chungskapazität für Südafghanistan und Quetta gar nicht erst
vorgesehen hatten. Der Irakkrieg habe so viele Ressourcen benö-
tigt, man sei nicht davon ausgegangen, dass es in dieser Gegend
«Al-Qaeda»-Führer gegeben habe.
Am 28. September 2006, zwei Wochen bevor der Nato-
Oberkommandierende, US-General James Jones, vor dem Se-
natskomitee für Auswärtige Beziehungen erklärte, dass das Ta-
liban-Hauptquartier in Quetta sei, saßen die drei betroffenen
Präsidenten zusammen: Bush, Karzai und Musharraf. Es war
der 28. September, und Karzai trug zum Verdruss von Bush das
Problem bei Tisch vor. Kein Wort habe Bush dazu gesagt, är-
gerte sich Karzai hinterher.315 Jahrelang hat Bush Musharraf vor
Kritik in Schutz genommen – und tut dies heute noch.
Dafür hat Pakistan eine weitere „Leistung“ zu bieten: Zwei
Mal berichtete einer meiner afghanischen Informanten, der eng
mit beiden beschriebenen Geheimdiensten Pakistans zusam-
menarbeitet, von deren Anfrage nach möglichen Lieferanten
für Elektronik-Bauteile zum Bombenbau. Diese Anfrage wurde
zwei Mal gestellt: das erste Mal 2005 und erneut 2006. Danach
kam nichts mehr; man war sich offenbar mit Lieferanten han-
delseinig geworden. Auf Nachfrage nach den Spezifikationen
für die Elektronik-Teile war die Information dem guten Mann
dann wohl doch zu heiß, er äußerte sich nicht. Und ich woll-
te auch nicht mit einem Katalog der Firma Electro-Conrad in
Peschawar erwischt werden…
In diesem Zusammenhang schreibt Rashid316: Entlang der
afghanischen Grenze stellten die Menschen in Heimarbeit Teile
für Bomben her, die dann am Straßenrand explodieren: elek-
tronische Schalttafeln, Zünder, Sprengsätze. Das Grundmaterial
dafür stellen den fleißigen Heimwerkern offenbar die pakistani-
schen Geheimdienste zur Verfügung!

278
Fazit: Terrormanagement auf der ganzen Linie

Die Aktivitäten pakistanischer Geheimdienste, die sich nicht


bewegen können, ohne dass die CIA dies zwangsläufig mitbe-
kommt, begleiten also alle Schritte des Widerstandes, von der
Rekrutierung bis zum Training, von der Ausrüstung bis zum
Bombenbau, vom taktischen Hinweis über Natotruppen an
kleine Talibangruppen bis zur strategischen Beratung der Füh-
rungsschicht beim Tee in Quetta oder jetzt in Waziristan.
Und das alles soll an den USA vorbei geschehen sein?
Hier müssen wir auch noch einige „Highlights“ erwähnen:
Im Frühherbst 2002 sprach ich, einem Verdacht folgend,
mit verschiedenen Insidern über mögliche, jedoch nicht erfolg-
te «Al-Qaeda»-Festnahmen. Dabei erzählte mir ein glaubwürdi-
ger und seriöser Mitarbeiter einer großen deutschen Tageszei-
tung die folgende Geschichte, die ihm passiert war: Er habe der
CIA den Wohnort der Nr. 5 von «Al-Qaeda», des damaligen
Sprechers der Organisation, Abu Gaith317, komplett mit Stra-
ße, Haus- und Telefonnummer sowie Name und Anschrift des
Arbeitgebers mitgeteilt. Als Reaktion darauf sei er aus dem CIA-
Büro geworfen worden.
Daraufhin habe ich an den damals noch amtierenden CIA-
Chef Tenet geschrieben, derartige Vorfälle seien geeignet, die
Glaubwürdigkeit der CIA und der US-Politik zu untergraben.
Die Antwort kam mündlich durch einen CIA-Mitarbeiter mitt-
lerer Ranghöhe, ich erinnere nur noch, dass wir irgendwo, nicht
weit entfernt vom Münchner US-Generalkonsulat, auf einem
Bürgersteig standen – und war überraschend: Man wolle keinen
weiteren Kontakt mehr, da man sich von mir bedroht fühle.
Dann nahm mein Gespräch eine höchst überraschende Wen-
dung: Der CIA-Mitarbeiter, der im ganzen Gespräch bereits ei-
nen gestressten Eindruck vermittelt hatte, fragte urplötzlich und
in allem Ernst, ob er seine Tätigkeit aufgeben solle. Ich habe ihm
ganz ernsthaft geantwortet, dass die CIA ehrliche Mitarbeiter
dringend benötige. Wenn er also dort bleiben könne, ohne sich
allzu sehr zu beschädigen, solle er versuchen, weiterzumachen.

279
Waffenlieferungen

In diesem Juli 2008 meldet die ISAF offiziell jede Woche nicht
weniger als 200 „Zwischenfälle“ mit den Taliban in ganz Af-
ghanistan. „Zwischenfälle“ gliedern sich in: direkte Kämpfe
und Beschießungen seitens der Taliban, Straßenbomben und
Selbstmordattentate. Eine enorme Zahl, die außerdem stark ge-
schönt ist318: 400 wäre realistischer. Wer liefert die Waffen für
die vielen Taliban und anderen Kräfte? Die Waffen kommen
von Russen und Chinesen, sagte ein Taliban-Kommandeur dem
Autor im Jahr 2006. Der Grund ist klar: Die Anwesenheit ei-
ner Nato-Streitmacht in der Nachbarschaft passt ihnen nicht.
In Anwesenheit dieses gemeinsamen Konkurrenten haben sich
die beiden inzwischen angefreundet. Sie finanzieren auch sonst
recht interessante Dinge, wie zum Beispiel den Lebensunterhalt
mancher Afghanen, denen sie sich verbunden fühlen, hochran-
gige Taliban zum Beispiel. Davon hören wir sonst gar nichts.
Die USA beschuldigen jedoch den Iran, Waffen zu liefern. Und
sie hören damit auch nicht auf, obwohl sogar die afghanische
Regierung diese Kritik klar zurückweist.319 Dabei läuft in Afgha-
nistan ein Krieg, der inzwischen wohl schon deutlich intensiver
ist als die Kampftätigkeit gegen die sowjetischen Besatzer je war.
Das heißt, dass da eine größere Nachschub-Anstrengung laufen
muss, sonst ließe sich dieses Kampf-Niveau gar nicht durchhal-
ten. Es ist eigentlich alles fast wie zu sowjetischen Zeiten in den
80ern, nur dass heute auf unsere Truppen geschossen wird. Die
einzige Konstante sind die Chinesen, sie haben schon immer
den Widerstand beliefert. Da wird auch verständlicher, warum
Pakistan solche Unsummen an Militärhilfe braucht, weil das
Land offenbar sowohl einen Teil des Nachschubs für die Taliban
mit organisiert, als auch immer wieder die Gefechte gegen die
Taliban im Grenzgürtel. Noch einmal: knapp 1.000 Soldaten
haben dabei ihr Leben verloren Für die Organisatoren dieses
militärischen Großbetrugs ist das natürlich eine Art Rentenbe-
rechtigung, die stets hohe Einkünfte sichert.

280
Die Definition des hier umfangreich skizzierten politischen
Großbetrugs lautet also:

Zur Legitimierung ihrer militärisch durchgesetzten


strategischen Hegemonialinteressen in Asien lassen die
USA heimlich über pakistanische Geheimdienste ihrer
Gegner hochpäppeln, die sie gleichzeitig durch gewalt-
same Eingriffe zu steuern versuchen. Dieses Doppelspiel
sichert den ständigen Zuwachs an eigenen und verbünde-
ten Truppen in der Region, die dann dazu benutzt werden,
weitergehende geschäftliche Ziele zu erreichen. Ihren Par-
lamenten, die diese wachsenden Truppenentsendungen
absegnen müssen, erklären die führenden Nato-Politiker,
die sämtlich über die hier mühsam zusammengetragenen
Tatsachen bestens informiert sind: Wir brauchen mehr
Truppen, weil wir Afghanistan stabilisieren und aufbauen
wollen, weil die Taliban stärker werden und wir verhin-
dern müssen, dass sie wieder an die Macht kommen, weil
alle bisherigen Anstrengungen im „Krieg gegen den Ter-
ror nicht vergeblich gewesen sein dürfen - und schließ-
lich: weil sonst der Terror zu uns kommt.
Angesichts der bisher gesammelten Tatsachen kann
hier von Lügenpolitik nicht mehr gesprochen werden,
das ist schon eine konzertierte, langfristige Politik des
Großbetrugs.
Die Verbündeten kooperieren in der Hoffnung auf ei-
gene Geschäftsanteile und ahmen die Machtergreifungs-
szenarien amerikanischer Cliquen bei sich zu Hause in-
nen- und außenpolitisch nach.
Gegen eine solche Politik besteht meiner Ansicht nach
Widerstandspflicht.

281
Sensation im Kanzleramt

Im Juni 2008 sprach ich nach längerem Vorlauf am Telefon


und über e-mails mit einem regelmäßigen Teilnehmer der wö-
chentlichen „Geheimdienst-Lage“ im Bundeskanzleramt. Dort
berichten alle Dienste über ihre Erkenntnisse. Als ich fragte, ob
denn der BND über diese Doppelpolitik der USA informiert
sei, den Krieg am Hindukusch heimlich zu befördern, um ihn
offen ausweiten zu können, senkte mein Gegenüber den Kopf,
sah plötzlich sehr müde aus und gab völlig schnörkellos zu: „Ja,
wir wissen das.“ Klar und deutlich. Und es klang nach einem
langfristigen Wissen und grundsätzlichen Tatbeständen.
Ich habe dann das Thema fingierter Anschlagsversuche auf
deutschem Territorium angesprochen. Wörtlich: „Was macht
der Schäuble da, will der hier 9/11 spielen? Und was hat der Ex-
BND-Chef auf dem Posten eines Innenstaatssekretärs verloren?
Das sieht in diesem Zusammenhang ganz übel aus.“ Mein Ge-
genüber wurde sichtlich unruhig, wusste nicht, ob es links oder
rechts an mir vorbeisehen sollte. Schließlich hieß es, Schäuble
sei ohnehin nicht mehr lange im Amt.

Wie es weitergeht (wenn sich nichts ändert)

Angesichts dieser Sachlage wundert es dann nicht mehr, warum


die USA nicht etwa beschämt und verzweifelt in sich gehen und
sich fragen, was sie in Afghanistan und Pakistan falsch gemacht
haben – und wie es denn künftig besser ginge. Vielmehr wird
die chaosfördernde Methode beibehalten und perfektioniert.
Dazu hat die Rand Corporation, der offizielle Think Tank
des Pentagon, im vergangenen Jahr eine ganze Reihe von Studi-
en veröffentlicht. Nicht eine davon befasst sich mit einem Ab-
zug vom Hindukusch, mit dem „Recht auf Glück“ der Besetz-
ten und Benutzten, auf das die USA in ihrer Verfassung pochen
– und mit Recht sehr stolz sind, nicht eine spricht von einem
radikalen Strategiewechsel, um Ruhe zu schaffen. Vielmehr geht

282
es zum Beispiel in einem RAND-Beitrag320 um größere Kosten­
ersparnis – offenbar, um das Terrormanagement künftig effizi-
enter zu gestalten. Dies soll erreicht werden, indem weniger Mi-
litär und mehr zivile Intelligenz genutzt wird, wobei gleichzeitig
die Kompetenzen dezentralisiert werden, damit Entscheidun-
gen schneller getroffen werden können. Auch einem weiteren
Autor321 geht es um Kostensenkung. Wird da bereits die nächste
Stufe im weltweiten Terrormanagement gezündet? Die Metho-
de hieße: Mit weniger kostspieligen Truppen und mehr zivilem
Sozialeinsatz den Herrschaftsanspruch sichern – auch mit Hilfe
afghanischer Unterstützer, nach dem bewährten britischen Ko-
lonialsystem: teile und herrsche, lass’ fremde Völker sich unter-
einander bekämpfen und die Verluste tragen.

Bhutto-Mord – ohne Geheimdienste kaum möglich

Unter diesen Umständen müssen die aktuellen politischen


Verhältnisse in Pakistan noch einmal näher betrachtet werden.
Wenn der von pakistanischem Boden aus organisierte Krieg in
Afghanistan, der zunehmend die Grenzregion destabilisiert und
bereits auf Pakistans weiter entfernte Metropolen übergreift, mit
derart hohem Einsatz von Propaganda und Ressourcen geführt
wird, müssen die innenpolitischen Verhältnisse dieses enorme
Ausmaß an Korruption und Verlogenheit widerspiegeln.
Unter diesen Umständen muss auch der Mord an Benazir
Bhutto noch einmal gründlich betrachtet werden. Zunächst ein
Rückblick: Die Familie ist ein einziges Schlachtfeld. Vater Zulfi-
kar Ali Bhutto wurde, wie im dritten Kapitel beschrieben, 1977
durch einen Militärputsch von seinem Stabschef aus dem Amt
gejagt und 1979 unter fadenscheinigen Vorwänden hingerich-
tet. 1985 starb das jüngste ihrer Geschwister, ihr Bruder Shah­
nawaz, unter mysteriösen Umständen in Frankreich. Er lag tot
in seinem Apartment an der Riviera – und man fand nie heraus,
ob er durch Gift, eine Überdosis Rauschmittel oder eines natür-
lichen Todes gestorben war. Mir Murtaza, der ältere von Bena-

283
zirs beiden Brüdern, kam 1996 in Karatschi ums Leben. Er war
linksradikal und tat sich während der sowjetischen Besatzungs-
zeit Afghanistans mit dem dortigen Regime zusammen. 1993,
nach dem Scheitern der Kabuler Regierung, kehrte er nach Pa-
kistan zurück und kandidierte erfolgreich für die Bhutto-Par-
tei in der Heimatprovinz Sindh. Jedoch kam es zum Streit mit
Benazirs Ehemann Asif Ali Zardari wegen dessen Korruption.
Zardari soll mit seinen Beziehungen dafür gesorgt haben, dass
Murtaza von einem zahlenmäßig starken Polizeikommando
überfallen und erschossen wurde. Die tödliche Kugel wurde
ihm wie bei einer Hinrichtung von hinten ins Genick geschos-
sen. Mit Murtaza starben seine sechs Begleiter, sie verbluteten
ohne medizinische Hilfe am Tatort. Zardari war und ist also
ein höchstrangiger Mitwisser – auch das kann eine Erklärung
dafür sein, dass Benazir Bhutto ihn stets gegen die vielfältigen
Korruptionsvorwürfe vehement in Schutz nahm: Blieb ihr keine
andere Wahl?
Eines ist jedenfalls klar: Dass unter diesen Umständen auch
ein Verdacht auf die damals amtierende Regierungschefin Be-
nazir fiel, erscheint angemessen. Der enorme Personalaufwand
bei der Ermordung, die späteren Beförderungen für Teilnehmer
dieser Aktion und auch der mysteriöse Tod zweier Zeugen deu-
ten darauf hin.
Dass nun die Ermordung der populären Politikerin nicht so
einfach aus den Bergen Waziristans heraus organisiert werden
kann, wird unter Fachleuten nicht bestritten. Es gibt nicht we-
niger als neun Punkte im Ablauf, an denen Führungspersonal
der Sicherheitskräfte Pakistans beteiligt waren – oder Musharraf
selbst.
Da ist zunächst die Tatsache, dass Musharraf wegen seiner
sinkenden Popularität von den USA und Großbritannien ge-
zwungen wurde, sich mit Bhutto über ihre Rückkehr nach Pa-
kistan zu verständigen.322 Ob nun die USA selbst hinter den
Kulissen zum Absinken dieser Popularität beigetragen haben –
wie sie es gewohnheitsmäßig in anderen Ländern mit Politikern

284
organisiert haben324323, die nicht taten, was Washington befahl
– oder nicht, kann hier nicht abschließend geklärt werden.
Wichtig ist die Frage nach Bhuttos Feinden: Hier hatte sie
durch eine Bemerkung gegen die Besatzer der Roten Moschee in
Islamabad erheblichen Unmut erzeugt. Da sie noch von der Er-
mordung ihres Vaters durch General Zia eine Feindschaft gegen
islamisch ausgerichtete Militärs hegte und sich außerdem gegen
die Islamische Bewegung gestellt hatte, bekam sie sofort wüten-
de Antworten von Gruppen, an deren Gründung und Tätigkeit
der ISI entscheidenden Anteil hatte und noch heute hat: Bei-
de Taliban, afghanisch und pakistanisch, Jaish-e-Mohammad
(JeM), Lashkar-e-Taiba (LeT), Hezb-ul-Mujaideen (HuM) und
«Al-Qaeda».
Bei Bhuttos Ankunft am 18. Oktober 2007 gab es einen
Mordanschlag auf sie mit über 150 Toten und rund 500 Ver-
letzten. Hinterher machte ihr Mann Asif Zaradari Kreise in der
Umgebung des Präsidenten Musharraf verantwortlich.
Musharraf hatte mit US-Vertretern und Bhutto ausgehan-
delt, dass eine Übergangsregierung die Wahlen organisieren
sollte und örtliche Staatsbedienstete ausgewechselt werden, um
Wahlfälschungen vorzubeugen – daran hat sich Musharraf nicht
gehalten.
Bhutto selbst hatte sich beklagt, dass ihre Wünsche, die ihre
persönliche Sicherheit betrafen, von der Regierung absprache-
widrig nicht erfüllt wurden, bis zur Ermordung nicht. Es ging
vor allem um sogenannte Jammer gegen Handys, die in einem
größeren Umkreis jede Handy-Kommunikation stoppen; denn
Attentäter benötigen Handy-Kontakte, um sich in Menschen-
massen dirigieren lassen zu können. Bei dem Attentat am 18.
Oktober hatten die Jammer nicht funktioniert. Dafür zu sor-
gen, dass diese Geräte funktionieren, wäre jedoch die höchste
Pflicht der Regierung gewesen. Aber es ging auch um vier Fahr-
zeuge mit getönten Scheiben, die jederzeit um sie sein sollten
– und die sie nicht bekam. Hier muss auch eine Mitschuld der
US-Verantwortlichen angenommen werden, die wussten, dass
eine Rückkehr Bhuttos auf dieses aufgeheizte und hoch gefähr-

285
liche Pflaster ein hohes persönliches Risiko einschloss. Gerade
die USA, deren Institutionen ganze Städte stilllegen, wenn der
US-Präsident reist, von Flughäfen, Schiffsrouten etc. ganz zu
schweigen, hätten hier die Gelegenheit gehabt, die Ernsthaftig-
keit ihres Interesses an der Rückkehr Pakistans jedenfalls zu ei-
nem Minimum an Demokratie unter Beweis zu stellen. Wer mit
klaren machtpolitischen Überlegungen einen pakistanischen
Militärdiktator unter Druck setzt, muss sich auch für das Echo
mitverantwortlich halten lassen.
Schließlich geht es um die Frage des Personenschutzes und
der Sicherheitsvorkehrungen. Pakistans berühmtester ehemali-
ger ISI-Chef, Hamid Gul, hat hier, wie so häufig, die korrek-
ten Bemerkungen gemacht. Um den rückwärtigen Ausgang
des Liaqat-Platzes, auf dem Bhutto die letzte Rede ihres Le-
bens hielt, hatte die Polizei einen Kordon aus Beamten gebil-
det. Gul fragt mit Recht, wie es der Attentäter geschafft habe,
durch diesen Kordon in die Nähe der berühmten Politikerin
zu kommen. Dazu zwei Bemerkungen. Die Polizei in Pakistan
ist wie in vielen weniger wohlhabenden Ländern chronisch und
eklatant unterbezahlt, das hatte ich bereits angesprochen. Das
bedeutet, dass die Beamten, wie ebenfalls erwähnt, einen Teil
ihres Unterhalts durch Korruption sicherstellen müssen. Wenn
also ausschließlich Polizisten für die Absperrung zuständig wa-
ren, ist dies eine klare Fahrlässigkeit. Wenn es auch noch andere
Sicherheitsbehörden waren, dann reicht die Verantwortlichkeit
sofort bis in die höchsten Staatsspitzen. Hier sollten wir uns an
die Ermordung des israelischen Premiers Itzhak Rabin erinnern.
Der Attentäter hatte sich ebenfalls in einem abgesperrten Be-
zirk in der Nähe der geparkten Autos aufgehalten. Verantwort-
lich für die Absperrung war der israelische Inlandsgeheimdienst
Shin Beit. Lange nach dem Mord an Rabin kam heraus, dass
der Mörder den Geheimdienstlern bekannt war. Man hatte mit-
einander gescherzt. Er war nicht gefragt worden, was er in dem
abgesperrten Gelände zu suchen habe. Doch wir dürfen und
müssen fragen, wie Bhuttos Attentäter in den Sicherheitsbereich
gelangt waren – und wie sie es schafften, dort lange genug zu

286
bleiben. Allein diese eine frage wirft ein sehr übles Licht auf Pa-
kistans innere Verhältnisse – und auf die Führungsmacht USA,
die alles kontrolliert.
Das Gerangel um die Todesursache sah dann einen Präsiden-
ten, der sich lange nicht mit den Fakten anfreunden konnte:
Bhutto war an einer Schussverletzung verblutet.
Eine Autopsie wurde nicht vorgenommen, weil die Polizei
keine verlangt hatte.324 Aziz Saud, Polizeichef von Rawalpindi,
wird glaubwürdig beschuldigt, die Autopsie persönlich verhin-
dert zu haben, was er selbst allerdings bestreitet.325 Eine Autopsie
ist in Pakistan für Fälle wie den hier betrachteten gesetzlich vor-
geschrieben. Nach der Beerdigung erklärte sich Bhuttos Familie
dann nicht einverstanden mit einer Exhumierung, verbunden
mit dem Bemerken, sie habe kein Vertrauen in die „Autoritä-
ten“.
Und nur wenige Stunden nach dem Mord war der Tatort
blitzblank gereinigt worden, ohne dass zuvor das erste gesche-
hen war, das nach einem Mord geschehen muss: Absperrung
– und stundenlange, tagelange, peinlich genaue Untersuchung,
unter Einbeziehung neutraler Experten aus dem Ausland wenn
irgend möglich.
Neun schwer wiegende Punkte gegen Präsident Musharraf,
wo unter den besonderen Umständen drei bis vier ausgereicht
hätten für einen Rücktritt.
Sehr verdächtig erschien allerdings auch manche Bericht-
erstattung in den Nato-Ländern, die sich in allerhand langat-
migen Schwafeleien um Bhuttos Leben, «Al-Qaeda» und die
Gewalttätigkeiten nach ihrem Tod erging – aber kaum sauber
analysieren mochte.

Fazit: Die negative US-Beziehung zu Pakistan

Die US-Strategie für Pakistan und Afghanistan ist die der Kon-
flikt-Eskalation und der Unterminierung ihrer Gesellschaften.
Nicht einmal die Demokratisierungsanstrengung durch Bhutto

287
haben die USA ernsthaft betrieben, sonst wäre sie viel besser
geschützt worden und noch am Leben. Auch wird Pakistan nun
schon zum dritten Mal innerhalb von dreißig Jahren benutzt,
um in Afghanistan einzugreifen. Und jedes Mal rückt Pakistan
weiter in Richtung Islamische Bewegung, die dem Temperament
des Großteils der Bevölkerung und dessen Wünschen nicht ent-
spricht. Dabei stärkt und verselbständigt sich die ökonomische
Abhängigkeit. Diese Vorgehensweise ist weder neu noch außer-
halb der Diskussion.
Der amerikanische Geschäftsmann John Perkins326 hat für
Personen, die diese Verhältnisse organisieren, den Begriff „Eco-
nomic Hitman“ geprägt, auf Deutsch vielleicht mit „Wirt-
schaftsschläger“ zu übersetzen. Solche Leute arbeiten für die
freie Wirtschaft – aber ihr Geschäft ist die Beeinflussung von
Führungskräften, bis hinauf zu Staats- und Regierungschefs,
notfalls mit Gewalt. Er hatte im gehobenen Management einer
Beratungsfirma gearbeitet, die dafür sorgt, dass US-Wirtschafts-
interessen stets die Oberhand gewinnen. Die Methoden sind
nicht besonders fein, vor allem dann nicht, wenn Regierungs­
chefs oder einflussreiche Manager oder Unternehmer nicht tun,
was ihre amerikanischen Gesprächspartner von ihnen fordern.
Regierungschefs werden mit Streiks und Aufständen unter
Druck gesetzt – und manchmal werden sie auch ermordet, wie
Patrick Lumumba, Salvador Allende, Omar Torrijos und man-
che andere. Der Iraner Mohammed Mossadegh wurde durch
den Schah ersetzt und starb im Hausarrest. Sein Verbrechen:
Verstaatlichung der Ölindustrie, die die Vorkommen ausbeu-
tete und dem Iran nur einen Anteil von 20% ließ, festgeschrie-
ben für 60 Jahre. In jüngster Zeit haben wir erlebt, wie Hugo
Chávez unter Druck gesetzt wurde. Und auch heute wieder ist
der Iran ein „internationaler Mobbing-Fall“.
Tatsächlich hat Musharraf bisher alle US-Pläne erfüllt, zum
Beispiel auch mehr US-Waffen gekauft als er bezahlen kann: 3,6
Milliarden Dollar allein 2006327, das ist etwa gleich viel wie von
1950 bis 2001 zusammengenommen. Das ständige Lob durch

288
Bush und Nachfolger ist ihm deshalb sicher, auch wenn es für
uneingeweihte Beobachter seltsam klingen mag.
Das ist das eine „Erklärungsmodell“ für die seltsamen Ver-
hältnisse in Pakistan. Das andere ist die so genannte „Schock-
Doktrin“ der US-Schriftstellerin Naomi Klein, ebenfalls eine
Bestsellerin. Sie definiert Schock-Doktrin so328: „Dies ist eine
Doktrin, die Momente kollektiver Krise als „Fenster de Gele-
genheit“ ansieht.“ Und sie sagt auch, wer bei dieser Gelegenheit
profitiert: Diejenigen Kreise, die einen „Disaster-Kapitalismus“
betreiben, definiert als soziale und ökonomische Manipulation
durch Schock. Und gleich als erstes Beispiel in ihrem Buch be-
schreibt sie, wie das Flutunglück von New Orleans zur goldenen
Gelegenheit der Privatschulen wird, die sich bezahlen lassen für
Leistungen, die der Staat anbieten sollte, vor der Flut auch an-
geboten hat – aber nachher nicht mehr. Und Klein zitiert sehr
beeindruckend aus der New York Times329 die Begeisterung der
Privatschul-Anbieter. Und zeigt natürlich auch die Schwierig-
keiten der Bevölkerung, die zusätzlich zu vielen anderen Kosten
wegen des Sturmschadens jetzt auch noch mehr für die Schule
ihrer Kinder bezahlen müssen als je zuvor.
Aber das ist nur ein ganz kleines Beispiel. Klein zitiert330 aus
dem Buch des früheren Korrespondenten der New York Times,
Stephen Kinzer, der untersucht hat,331 welche Motivation US-
Politiker angetrieben hat, die in den letzten mehr als hundert
Jahren „regime change“-Operationen in anderen Ländern durch-
geführt haben, von Hawaii 1893 bis Irak 2003. Diese Beweg-
gründe erwachsen in drei Stufen: 1. Eine US-Firma sieht ihre
Interessen von einer ausländischen Regierung bedroht: durch
Steuern, Arbeitsmarktgesetze oder Umweltschutz. Manchmal
muss diese Firma Land oder anderes Eigentum verkaufen oder
wird verstaatlicht. 2. US-Politiker betrachten diese Ereignisse
als Angriff auf die Interessen der USA. Dabei gehen Sie davon
aus, dass jede Regierung, die gegen US-Firmen vorgeht, anti-
amerikanisch, autoritär, diktatorisch und möglicherweise von
einer politischen Macht getrieben ist, die die USA beschädigen
will. 3. Anschließend „verkauft“ die Politik der heimischen US-

289
Bevölkerung die Notwendigkeit eines „Eingriffs“ als Bestandteil
eines Kampfes zwischen „gut“ und „böse“.
Aber, so sagt Klein332, die Architekten des Antiterrorkrieges
seien eine ganz andere Sorte „Unternehmenspolitiker“ (corpo-
rate-politicians) als ihre Vorgänger, denn für sie seien Kriege
und Katastrophen an sich das Ziel. Und sie beschreibt, dass der
frühere US-Verteidigungsminister Rumsfeld seine persönlichen
Investitionen in Geschäften mit Kriegs- und Katastrophenbezug
über ein halbes Jahr in seine Amtszeit hinein verlängerte – und
möglicherweise darüber hinaus. Und sie beschreibt Pressemel-
dungen, dass Rumsfeld nach seinem Ausscheiden aus der Re-
gierung „in die Wirtschaft zurückging“. Und kommentiert:333
„Die Wahrheit ist, er hat sie (die Wirtschaft, Anmerkung CRH)
nie verlassen.“
Diese Politik funktioniert so, dass die Kosten für die „Staats-
abenteuer“ dem Steuerzahler aufgebrummt werden, während
die Gewinne bei den Firmen bleiben, in die auch Politiker, ihre
Familien und Freunde investieren. Bestes Beispiel in Europa:
der inzwischen mit offizieller rechtlicher Immunität ausgestat-
tete italienische Regierungschef Berlusconi.
Der ehemalige britische MI6-Agent und weltweit renom-
mierte, hoch seriöse Buchautor „John le Carré“ (ein Alias) hat
Kleins Buch als „höchst informativ und höllisch erschreckend“
bezeichnet.334
Ein weiteres weltweit bekanntes Beispiel für die brachiale
Durchsetzungskraft amerikanischer Industrieinteressen bietet
der Gentechnikkonzern Monsanto. Dessen Interessen spiegeln
sich in der Nationalen Sicherheitsstrategie335 der Vereinigten
Staaten wider. Der wichtigste Satz lautet: “Erzwinge Handels-
abkommen und Gesetze gegen unfaire Praktiken. Handel be-
ruht auf der Herrschaft des Rechts (so funktionierte schon die
britische Herrschaft in Indien... Anm. CRH), internationaler
Handel hängt von durchsetzbaren Handelsabkommen ab. Un-
sere obersten Prioritäten sind, andauernde Auseinandersetzun-
gen mit der Europäischen Union, Kanada und Mexiko zu lösen
und eine weltweite Anstrengung zu unternehmen, um neue

290
Bestimmungen für Technologie, Wissenschaft und Gesundheit
anzugehen, die Agrarexporte und verbesserte Landwirtschaft
unnötig behindern.“
„Verbesserte Landwirtschaft“ ist hier das Schlüsselwort für
genmanipulierte Produkte der Firma Monsanto und anderer
Konzerne: Bayer, BASF, Syngenta, die sich weltweit in das Saat-
gutgeschäft eingekauft haben.
Dabei nutzen die Konzerne auch Kriegssituationen aus: In
seiner berühmt gewordenen „Order 81“336 hat der umstrittene
Chef der irakischen Übergangsverwaltung CPA (Coalition Pro-
visional Authority), L. Paul Bremer, eine Verfügung erlassen,
die den Versuch unternimmt, im Irak künftig landesweit nur
noch genmanipuliertes Saatgut zur Verwendung freizugeben.
Europas Imkerchef Haefeker bedauert, dass „dies die Wiege der
europäischen Saatgutzucht bedroht“.337 Und eine US-Natur-
schutzorganisation mutmaßt, wie zuvor in Indien könnten sich
nun wohl auch bald im Irak die Bauern gezwungen sehen, den
Selbstmord der Abhängigkeit und Ausbeutung durch Saatgut-
Imperialismus vorzuziehen.338
In Europa hat die Firma Monsanto den Genmais Mon810
in den Markt zu drücken versucht. Wichtiges Argument: die-
se Maissorte sei durch Genveränderung gegen den Schädling
Mais­wurzelbohrer immun. Problem dabei: In Europa gab es
diesen Schädling zunächst nicht. Doch dann kam der Balkan-
krieg – und bei dieser Gelegenheit kam der Schädling nach
Europa, sagte der Leiter des Fachzentrums Analytik der Bay-
erischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau, Herr-
mann.339 Der Maiswurzelbohrer kommt aus den USA, erklärt
dazu Eder340, Sachgebietsleiter Maisanbau an der Bayerischen
Landesanstalt für Landwirtschaft – und fügt hinzu: „Der
Käfer fliegt gern.“ Der Käfer sei in ganz Europa in der Nähe
von Flughäfen aufgetaucht. “Der Vorsitzende der Deutschen
Phytomedizinischen Gesellschaft, Andreas von Tiedemann,
erklärte … ,die Schädlinge seien Anfang der 90er Jahre “un-
beabsichtigt” von Soldaten aus Nordamerika auf den Bal-
kan gebracht worden.”, schreibt die Süddeutsche Zeitung.341 

291
In der Szene der Gentechnik-Gegner gehen deshalb Gerüchte
von absichtlicher Verbreitung um, die sich nicht so leicht erhär-
ten lassen werden, wenn nicht einer der Beteiligten „auspackt“.
Doch auch in Fragen der Welthungerkatastrophe fühlt sich
die Gentechnik-Industrie berufen, das Problem zu lösen. Jean
Ziegler erzählt342, wie er in seiner Eigenschaft als Sonderbericht-
erstatter der UNO-Kommission für Menschenrechte persönlich
bedroht wurde, als er Zweifel daran geäußert hatte, dass die
landwirtschaftliche Gentechnik zur Beseitigung des weltweiten
Hungers sinnvolle Beiträge leisten könne. Und auf den Seiten
zuvor beschreibt er eine ansehnliche Anzahl von Menschen, die
im Kampf gegen derartige Konzerne ihr Leben gelassen hatten
– und dass er sogar von Freunden gewarnt worden sei: „Die
Amerikaner wollen Dir an den Kragen.“343

Und wo liegt nun der Gewinn von dem ungeheuren Ärger


in Pakistan? Die Firma Monsanto zum Beispiel hat am 13. Mai
2008 eine Absichtserklärung mit dem pakistanischen Landwirt-
schaftsministerium unterzeichnet.344 Ein Sieg für Monsanto auf
der ganzen Linie, denn in diesem „LoI“ ist festgelegt, dass gen-
manipuliertes Saatgut nicht nur im Baumwollbereich, sondern
in der gesamten Landwirtschaft des Landes eingeführt werden
soll. Außerdem wollen das Ministerium und die Firma gemein-
sam an der weiteren Durchdringung der Landwirtschaft mit
Gentechnik zusammenarbeiten!
Das milliardenschwere Rüstungsgeschäft Musharrafs war er-
wähnt worden. China hilft mit etwa 200 Millionen beim Bau
eines riesigen neuen Hafens in Gwadar/Belutschistan am Ara-
bischen Meer, dicht an der Grenze zum Iran. Belutschistan ver-
fügt über Bodenschätze wie zum Beispiel Gas, der Hafen könnte
ein Energie-Drehkreuz werden. Und China könnte dort seine
Marineeinheiten stationieren – mit erheblichen potenziellen
Einwirkungsmöglichkeiten. Das, so sagen Beobachter, sei nicht
nur geschäftlich, sondern auch militärstrategisch hoch wichtig:
40 % aller Öltanker der Welt fahren an Gwadar vorbei. Dies
könnte ein Grund sein, warum es mit dem Bau nicht so recht

292
vorangeht. Bedauerlicherweise kommt stets etwas dazwischen,
zum Beispiel der Belutschen-Widerstand, der, wie erwähnt,
von der CIA untergestützt wird. Vielleicht hat ja auch Indien
ein Interesse, dass mit dem Hafen nicht alles ganz so schnell
und glatt geht? Jedenfalls berichtet Elizabeth Mills von der Asia
Times345: „Nach offiziellen Angaben gab es 2005 in Belutschi­
stan 187 Bombenexplosionen, 275 Raketenangriffe, acht An-
griffe auf Gaspipelines, 36 Angriffe auf Stromleitungen und 19
Explosionen an Bahnlinien.“ So kann man das größte Prestige-
projekt Pakistans ganz effizient zu seinem langsamsten machen.
Und die Chinesen vergraulen, schreibt Mills: Hätten zunächst
etwa zweihundert chinesische Ingenieure frei in Gwadar unter
den Pakistanis gelebt, seien es jetzt nur noch 20, die den gan-
zen langen Tag lang in Armee-Baracken eingeschlossen arbeiten
müssen – schwer bewacht. Der Grund: Bomben, denen schon
mehrere der chinesischen Gäste zum Opfer fielen.
Auch damit kann man zwischendurch vielleicht Geld ver-
dienen: Dunkle Grundstücksgeschäfte im Hafenumfeld hätten
eine kleine Elite sehr reich gemacht, schreibt Asia Times. Wenn
aber der Hafenbau sich endlos verzögert, sinken die Preise viel-
leicht wieder – und dann könnten die einsteigen, die mit den
Bombenlegern in so guter Verbindung stehen, dass dieese an-
schließend mit dem Krach aufhören? Jedenfalls bewirbt sich
jetzt neben Hutchison aus Hongkong auch DP World aus Du-
bai um das Hafenmanagement. DP World steht im Besitz der
Regierung von Dubai – und diese ist ein führender militärischer
Partner der USA. Im Top-Management sitzen zwei Inder und
ein Amerikaner. Es geht doch.
Und wie war das mit den Versuchen der neuen pakistani-
schen Regierung, sich durch Verhandlungen mit den Kampf-
gruppen aus der Terror-Umklammerung durch die USA zu be-
freien? Ganz schlicht: Erst haben die USA die neue Regierung
scharf kritisiert mit Angriffen gedroht346 – und dann haben sie
die Drohung wahrgemacht.347 Dies alles firmiert offiziell alles
unter Antiterrorkrieg. Aber eigentlich ist es Terror. Falls nicht
die Briten gerade für die Taliban ein Trainingslager bauen, mit-

293
ten in der von Großbritannien verwalteten Provinz Helmand.348
Kaum zu glauben – aber so stand es im britischen Independent:
Ein Trainingslager mit Berufsausbildung und Sportmöglichkei-
ten. Fast wie ein Reha-Zentrum für Glaubenskämpfer. Und da-
für sterben unsere Jungs in Kunduz. Auf starkes Betreiben durch
die Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD, die voll infor-
miert sind. „Ich weiß mehr als Sie“, hatte Struck gesagt.
Talat Masood, ehemaliger Brigadegeneral („Brigadier“) der
pakistanischen Armee, kritisierte den US-Dronen-Angriff349 auf
pakistanische Soldaten mit den Worten, die USA seien mehr an
der Sicherheit der Grenzregion interessiert als an der Sicherheit
des ganzen Pakistan. Stimmt genau, gut gesagt. Nützt es etwas?
Nein. Unsere Soldaten sterben weiter, der Terrorkrieg geht weiter
– und manche verdienen damit Geld. Masood zum Beispiel ist
direkt nach der Pensionierung 1990 von seinem letzten Job als
zuständiger Staatssekretär für Militärproduktion in einen Mul-
timillionen-Dollar-Vertrag mit dem US-Rüstungshaus UDLP
eingestiegen. Nebenbei arbeitet er für verschiedene mächtige
Medien – und sagt natürlich nichts, was er nicht sagen soll.
Was hier jetzt betrachtet wurde, sind nur die Symptome.
Über die Krankheit, den internationalen Rückschlag aus drei-
hundert Jahren Kolonialismus und Machtausdehnung der west-
lich-christlichen Welt in die islamische, sprechen Beamte in
Nachrichtendiensten und Staatsschutz nur privat. Israels aggres-
sive Politik gegen die palästinensische Bevölkerung innerhalb
und außerhalb der eroberten Gebiete ist der wichtigste Einzel-
fall unter den vielen Punkten, die den Terror weltweit motivie-
ren, sagen zwei prominente US-Professoren350, einer von ihnen,
Stephen Walt, kommt von der Harvard-Universität. Das Buch
der beiden, „The Israel-Lobby“, wurde sofort als antisemitisch
verrissen. Schade. Auf diesem Niveau lässt sich die Sicherheit
eines Landes nicht diskutieren, das sich bei seinen Nachbarn
weidlich unbeliebt gemacht hat. Da wäre vor allem Deutsch-
land gefordert. Aber wir sind ja ebenfalls keine ehrlichen Makler
mehr. Das haben wir klammheimlich aufgegeben.

294
Wohin mit Pakistan?

Die Frage ist: Was wollen denn die USA in Pakistan, wohin wol-
len sie das Land bringen, wie weit wollen sie die Blutmaschine
Terrorkrieg noch laufen lassen? Wir sollten uns an die sieben
Punkte der Forderungsliste erinnern, die Musharraf am 12. Sep-
tember von US-Botschafterin Wendy Chamberlain zugesandt
erhielt: Unbeschränkte Überflugrechte, jederzeitige Nutzung
der Häfen, Flughäfen und Stützpunkte, freier Zugriff auf alle
Informationen des Staates, vor allem auf seine geheimen – so
ein Terrorkrieg muss sich doch lohnen! Pakistan ist für die USA
das Sprungbrett für Zentralasien, mit der weichen Unterseite
Russlands, das durch seinen mit 20% hohen Anteil an Musli-
men in seiner Stabilität gefährdet ist, wenn der Islam erwacht
und mehr Rechte fordert. Also könnte man diesen Islam doch
ein bisschen kitzeln und aufwecken. Pakistan liegt direkt ne-
ben China: Wenn man das Land so schwächen könnte, dass es
Horchposten an der chinesischen Grenze akzeptiert, wäre das
doch deshalb ein Fortschritt, weil man nicht mehr auf Indiens
Wohlwollen angewiesen wäre. Mit geschickten Methoden lie-
ße sich aus dieser Mittelposition Pakistans heraus ganz Asien
in Schach halten: Iran von Belutschistan aus, China über den
Karakorum Highway, Indien mit Hilfe der Kampfgruppen in
Kaschmir. Und Afghanistan ist über die Paschtunische Bevölke-
rungsmehrheit gut erreichbar für alle Ambitionen, die vorstell-
bar sind, bis hin zum Zugriff auf die wertvollen Bodenschätze,
von Gas über Beryllium bis zu Eisenerzen. Und noch immer
sind die Pipelinepläne nicht ausgeträumt, die schon Ahmed
Rashid in seinem berühmten Werk „Taliban“ ausgebreitet hat,
auch jetzt nicht, wo alles gefährdet erscheint. Die Taliban waren
Ende der 90er Jahre zu stark geworden, sie wollten damals auf
die amerikanischen Knebelbedingungen mit Weltbankkredit
und geringen Verdiensten nicht eingehen.
Wenn es nun jedoch gelänge, die Region so zu schwächen,
dass niemand mehr widersprechen könnte, weil sie alle müde
gekämpft, drogengeschwächt und hungrig sind? Wenn das

295
gesamte Spektrum unendlich fein in tausend kleine radikale
Grüppchen zerschlagen ist, nicht in eine Sammelbewegung wie
die Taliban gegossen, wenn die Verzweiflung durch missgestalte-
te Kinder nach häufigem Einsatz von Uranwaffen groß und die
Zukunftshoffnung gering ist – dann könnt man ja noch einmal
Unocal vorbeischicken. Denn unabhängig davon, wie die üb-
rigen Pipeline-Netze der Region sich entwickeln, keine Groß-
macht setzt nur auf ein Pferd, nur auf eine Transportröhre.
Wie bekommen wir nur unsere Abgeordneten dazu, diesen
Wahnsinn nicht mehr mitzumachen?

China und Pakistan – enge aber ungleiche Freunde

China und Pakistan haben nicht leicht zueinander gefunden.


Die enge Anbindung an die USA hat dies zunächst verhin-
dert. Die indisch-chinesischen Spannungen von 1926 brachen
das Eis. Daraus erwuchs in den Folgejahren eine enge, positive
strategische Partnerschaft, die für Pakistan viele Vorteile bringt:
Chinas Außenpolitik ist stabil, langfristig, verlässlich – alles das,
was die USA nicht mit sich bringen. China hat erheblich zur
Atomrüstung Pakistans beigetragen, die das Land zweifellos ge-
sichert hat. Doch auch Pakistan hat an dieser sehr guten Bezie-
hung mitgebaut: die Vermittlung der später „Pingpong-Politik“
getauften Annäherung der USA an China unter Präsident Nixon
in den Jahren 1969-71, durch Pakistans ansonsten nicht so vom
Glück begünstigten Staatschef Yahya Khan – oder das Eintreten
für Chinas Platz in der UN-Vollversammlung. Im Wirtschafts-
austausch wird Pakistan voraussichtlich benachteiligt bleiben,
weil ein Weltgigant mit Billigprodukten in der Nachbarschaft
nicht leicht zu bewältigen ist. Besonders die Überschwemmung
mit billigen Waren aus der Volksrepublik kann der Wirtschaft,
deren Schwierigkeiten im folgenden Kapitel näher beleuchtet
werden, ernsthaft schaden.
Das chinesische Außenministerium erwähnt auf seiner Web-
site über die Beziehungen zu Pakistan den Antiterrorkrieg nicht

296
einmal, obwohl mit den Uiguren vor allem um die Stadt Urumt-
chi in Nordchina sogar eine unruhige muslimische Minderheit
im Spiel ist. Das sagt viel über das Verhältnis der beiden Länder
zueinander. Probleme birgt die Islamische Bewegung Pakistans
aber doch: Die Ausschreitungen gegen Chinesinnen in Islama-
bad durch die Schülerinnen aus dem Bereich der Roten Mo-
schee, zeigen, das hier auch ernste Spannungen denkbar sind.
Für das Gegengewicht im Verhältnis zu Indien und Russ­
land war und ist China als Freund für Pakistan absolut wichtig.
Geradezu anrührend ist Chinas rücksichtsvoller und höflicher
Umgang mit dem deutlich kleineren Freund. Bei Besuchen wer-
den die höchsten Chargen bemüht, währen die USA durchaus
auch für Pakistan existenzielle Fragen von Vizeaußenminister
Negroponte erledigen lassen. Pakistan revanchiert sich bei den
Chinesen durch geradezu überschwängliche Beflaggung, keine
Straßenbrücke in Islamabad, die nicht mit Parolen und herz-
lich-freundlichen Begrüßungsworten geschmückt ist. Und die
Militärs beider Länder verstehen sich derart prächtig, dass man
annehmen darf, dass es nicht immer die harte Arbeit ist, die
sie zusammenbringt… Die gemeinsame Waffenproduktion hat
davon profitiert: von Kampfflugzeugen bis zu Lenkraketen-Fre-
gatten.
Pakistan wird alles tun, um künftig mit China und dem Iran
auf gutem Fuß zu stehen. Die bisherige US-Politik kann hier
nur noch stören, konstruktive Ansätze bringt sie derzeit nicht.

Iran: Partner, Konkurrent und


innenpolitisches Problem

Altpersische Reiche haben das Gebiet des heutigen Pakistan kul-


turell stark beeinflusst. Heute teilen sich beide Länder, Iran und
Pakistan, das Siedlungsgebiet der Belutschen, was das Zusam-
menleben keineswegs erleichtert. Hier konzentrieren sich die
meisten der 20% Schiiten Pakistans – ein weiteres Erschwernis,
weil unter den ganz radikalen Gruppen der Islamischen Be-

297
wegung solche sind, die die Schiiten bekämpfen. Auch nicht
hilfreich sind US-Bestrebungen, mit Hilfe des Terrormanage-
ments von Pakistan aus den Iran zu destabilisieren351, wie von
der US-Fernsehgesellschaft ABC gemeldet. Als Musharraf sich
entschloss, die Führungsspitze einer CIA-gestützten anti-irani-
schen Belutschen-Gruppe namens Jondollah festzunehmen und
an den Iran auszuliefern, kam es zu einem Krach hinter den
Kulissen. Für die Einschätzung der Affäre ist es wichtig zu erin-
nern, dass in der Zeit dieses Krachs das Tauziehen der USA mit
Musharraf hinter den Kulissen um die Rückkehr Bhuttos nach
Pakistan stattfand. Diese für Musharraf unerfreulichen Ver-
handlungen, in denen er auf einen Teil seiner Macht verzichten
musste, hat er offenbar mit diesem Schlag gegen die regionalen
US-Interessen begleitet, um Stärke zu zeigen. Wie üblich war je-
doch die erste Reaktion aus der US-Politik auf den Bericht nicht
etwa, dass man Terrorgruppen besser nicht zu einem Zeitpunkt
unterstützt, an dem man der Welt gerade einen Terrorkrieg auf-
zwingt, sondern vielmehr, dass man die ABC-Veröffentlichung
über die eigene politische Verlogenheit verdammte.352
Iran gehörte zu den ersten Ländern, die den jungen Staat Pa-
kistan anerkannten. In der Regierungszeit des Schah (Moham-
med Reza Pahlavi, regierte 1941-79) in Persien, einer US-Mario-
nette, arbeiteten beide Länder eng zusammen. Gemeinsam mit
der Türkei traten sie dem US-gesponserten Verteidigungsbünd-
nis CENTO (Central Treaty Organization) bei. Als sich in den
70ern die Belutschen in allen drei Siedlungsstaaten: Pakistan,
Iran und Afghanistan, erhoben, verbesserte die gemeinsame Nie-
derschlagung des Aufstandes auch die pakistanisch-iranischen
Beziehungen. Als jedoch nach der Revolution im Iran die Bezie-
hungen zu den USA schlechter wurden, zog sich der Iran aus der
CENTO zurück – auch die Beziehungen zum US-freundlichen
Pakistan litten darunter. Die Sowjeteinmarsch in Afghanistan
brachte dann wieder einen Aufschwung, beide Länder fanden in
der Gegnerschaft zur Invasion wieder näher zueinander. In den
90ern bestimmten zwei eher schwierige Faktoren, Schiismus und
die Verschiedenheit der Positionen zu den Taliban, das Bild. Die

298
bewaffneten Auseinandersetzungen in Belutschistan zwischen
Schiiten und Sunniten nahmen an Schärfe zu, schließlich zog der
Iran sogar 300.000 Mann Truppen an der Grenze zusammen.
Die Krise konnte überwunden werden, der pakistanische Atom-
techniker Khan setzte seine Exportbestrebungen in den Iran fort.
Nach der Zerschlagung des Taliban-Regimes verbesserten sich
die Beziehungen zwischen beiden Ländern. Dennoch steht Pa-
kistan dem vom Iran geförderten Plan einer Autobahn vom af-
ghanischen Kandahar ins iranische Zahidan skeptisch gegenüber.
Pakistan betrachtet Afghanistan als „eigenes Hinterland“. Beide
Länder sind, wie beschrieben, Mitglieder in der nicht sonder-
lich aktiven ECO (Economic Cooperation Organization) – und
in diesem Rahmen gibt es auch Zusammenarbeit bei Handel
(Umsatz 2005: 500 Mio. US-$) und Investment. Wichtigster
gemeinsamer (wirtschafts-) politischer Diskussionspunkt ist zur-
zeit die vom Iran über Pakistan bis Indien geplante Gaspipeline.
Wichtigster Gegner dieses Jahrhundert-Vorhabens – neben den
Schwierigkeiten Pakistans mit Indien wegen der umstrittenen
Provinz Kaschmir – sind die USA353, vor allem aus hegemonialen
aber auch aus währungspolitischen Gründen: Der Rohstoffver-
kehr über diese Pipeline würde voraussichtlich nicht in Dollars
abgewickelt, das bekäme der angeschlagenen Währung nicht.
Die iranisch-pakistanischen Beziehungen können sich noch
kräftig verbessern, wenn die USA dies nicht verhindern, sogar
die Taliban stellen nicht mehr das große Hindernis dar wie in
der Vergangenheit. Auch hier hat die Nato klar die Initiative
verloren.

Indien

Kurz vor der Teilung des indischen Subkontinents hat Indien


alles getan, um Pakistan möglichst nicht lebensfähig werden
zu lassen. Die Enttäuschung über den Verlust der Einheit war
enorm. Die englisch dominierte westliche Literatur hat Paki-
stans Staatengründer Jinnah denn auch immer wieder als hu-

299
morlos und starrköpfig gebrandmarkt. Auch Pakistan hat lange
Zeit alles getan, um Indien zu schwächen. Wenn einige hundert
Mann viele Tausend indische Soldaten in Schach und auf Trab
halten konnten, waren Pakistans Generäle zufrieden, auch wenn
es keine Geländegewinne in Kaschmir gab.
Nach einem Tiefpunkt der Beziehungen zwischen Indien
und Pakistan, hauptsächlich in den 80er und90er Jahren, hat es
nach 2001 Verbesserungen gegeben: 2004 wurde ein Waffenstill-
stand geschlossen. Seitdem haben kaschmirische Gruppen zwar
schon wieder Anschläge verübt, Indien hat ebenfalls und wie
bisher Unruhe unter den Mohajirs, den Flüchtlingen, die 1947
aus Indien nach Pakistan übersiedelten, geschürt, man blieb sich
nichts schuldig. Indien hat auch einen Zaun entlang der Demar-
kationslinie (LoC = Line of Control) in Kaschmir gezogen, was
die bewaffneten Auseinandersetzungen eingeschränkt hat, doch
die Probleme nicht beseitigt, sondern nur verdeutlicht. Mehre-
re erfolgreiche vertrauensbildende Maßnahmen konnten durch
zwischenzeitliche Anschläge in Kaschmir und an anderen Orten
nicht nachhaltig gestört werden und bleiben ein gutes Zeichen:
ein Atomteststopp, Gespräche über einen von Indien geplan-
ten Damm am Chenab-Fluss in Kaschmir, Indien hat Pakistan
einseitig die Meistbegünstigungsklausel eingeräumt – Pakistan
hat jedoch noch nicht gleichwertig reagiert. Immerhin wurde zu
Jahresbeginn 2008 ein indischer Spion in die Freiheit entlassen,
der über 30 Jahre in pakistanischen Gefängnissen verbracht hat-
te. Der wieder eröffnete Busservice zwischen beiden Ländern,
Visa-Erleichterungen und Cricket-Turniere, die für die Men-
schen in beiden Ländern so viel bedeuten wie in Deutschland
der Fußball, runden das erfreulichere Bild ab.
Neuerliche Attentate bislang wenig bekannter islamischer
Kampfgruppen wie in Kabul und am 26. Juli in Ahmedabad,
wo in einer per e-mail angekündigten Welle 16 Bomben über
40 Menschen in den Tod rissen354, beweisen augenfällig: Das ge-
meinsame Friedenspotenzial beider Länder bleibt eng begrenzt,
solange die Grundursachen des Übels politisch nicht neu und
nachhaltig adressiert werden.

300
Afghanistan

Wichtigstes Problem zwischen beiden Ländern ist die britische


Grenzziehung, die nicht nur umstritten ist aus geographischer
Sicht, sondern auch in der rechtlichen Würdigung. Die Linie
durchschneidet das Siedlungsgebiet der Paschtunen – doch de-
ren gute Seite liegt in der historisch gehärteten Selbstsicherheit,
dass sie sich durch solche Bürokratentricks wenig beeindruc-
ken lassen. Immerhin sind beide Staaten bereit, die Linie an-
zuerkennen – pakistanische Pläne, dort wegen der leichteren
Überwachung einen Zaun zu errichten, stießen von beiden Sei-
ten der Grenze auf Widerstand. Pakistans Generalität hat seit
Jahrzehnten in Bezug auf Afghanistan das Konzept der stra-
tegischen Tiefe verfochten, was Afghanistans staatlicher Ein-
heit nicht geholfen und manches kaschmirische Problem in den
afghanischen Raum verlagert hat. Die aktuellen Beziehungen
zwischen beiden Ländern bleiben angespannt, weil die regionale
US-Strategie beiden Staatsführungen keine andere Wahl lässt.
Insbesondere steht zu befürchten, dass die USA ihre Warnungen
wahrmachen und die aktuellen (Sommer 2008) Verhandlungen
der neuen Gilani-Regierung Pakistans mit den Widerständlern
im Grenzgebiet durch grenzüberschreitende Luft- und Boden-
angriffe von Afghanistan aus erschweren oder gar zunichte ma-
chen. Insbesondere befürchten viele eine Ausweitung des inner-
afghanischen Konflikts auf Pakistan, mit erheblichen potenziel-
len Auswirkungen in der ganzen Region.
Keine Frage: Beide Länder haben nur dann gemeinsam eine
Chance auf Frieden und Entwicklung, wenn die großen Mächte
ihnen dies gestatten. Diesen großen Mächten sei ein kurzer Blick
in die Geschichtsbücher dringend empfohlen: Bisher haben alle
Brandstifter der Region, unabhängig von der Entfernung ihrer
Zentralen zum Tatort, noch stets ihr eigenes Haus angezündet.
Das historisch neue Problem der Nato-Länder und ihrer
Verbündeten scheint darin zu bestehen, dass deren Regierungen
in dieser Destabilisierung tatsächlich Geschäftsmöglichkeiten
wittern. Diese bestehen jedoch nur, solange es brennt und die

301
Völker sich nicht wehren. Zwei Prämissen, die an das berühmte
Milchmädchen erinnern.

Ausblick auf die künftige Entwicklung

Die künftige politische Entwicklung in der Region hängt eng


mit der US-Politik zusammen. Für Pakistan als weiterhin zentral
wichtigen Verbündeten gilt weiterhin eine fundamentale Ab-
hängigkeit von den USA, hauptsächlich aus finanziellen Grün-
den, doch selbstverständlich auch aus militärischen. Entschei-
dend könnte werden, ob die USA kurzfristig zu weitreichenden
Reformen ihrer Politik imstande sind.
Sollte dies der Fall sein, bleibt die Entwicklung der letzten
20 Jahre als „Delle“ in der Geschichte zurück. Echte und breit
aufgestellte Freundschaft mit der islamischen Welt ist der einzig
passende Schlüssel dazu.
Sollte dies jedoch nicht oder nur ungenügend gelingen, wer-
den die USA und ihre Verbündeten die Kontrolle über Zen-
tralasien eher früher verlieren als später, weil sie die regionalen
Mächte nicht an sich binden sondern nur in Schach halten kön-
nen. Danach kann man getrost bei dem genialen Lord Curzon
nachlesen: USA und Nato werden ihre Führungsrolle über kurz
oder lang abgeben und ihren Platz in einer multipolaren Struk-
tur finden. Je gewaltsamer und brutaler der „Abstiegskampf“
wird, desto schwieriger wird die Ankunft in dieser multipolaren
Struktur. Der Weg dahin hat schon begonnen, sagt der amerika-
nische Bestseller-Autor Fareed Zakaria355: Er spricht nicht vom
Niedergang des Westens, sondern vom „Aufstieg des Rests“.
Sollte China so lange die notwendige Geduld aufbringen – und
nichts lässt daran zweifeln – schlägt seine Stunde.
Das Volk der Paschtunen hat sich vor der Geschichte als
Wächtervolk Zentralasiens erwiesen. Sollte es ihm gelingen, sei-
ne enormen Fähigkeiten in die weltweite Wissensgesellschaft zu
integrieren, stehen Afghanistan und Pakistan eine hervorragende
Zukunft bevor. Voraussetzung für Pakistan wäre aber, wie mir

302
einer seiner führenden Außenpolitiker sagte: dass Pakistan „seine
internen Hausaufgaben macht“. Dazu gehört neben der Solida-
rität seiner Bewohner auch der harte Kampf gegen Korruption.
Stabilität und Handlungsfähigkeit der Regierung muss vor inne-
ren Verteilungskämpfen Vorrang gewinnen. Dienstleistungen für
fremde und ferne Mächte müssen wieder teurer werden.
Mit Indien hat ein friedlicher Dialog begonnen. Er bleibt ein
Erfolg der Präsidentschaft Musharrafs. Indien strebt vor allem
weiterhin danach, sich in Kaschmir in Ruhe häuslich einzurich-
ten. Das versucht Indien jedoch schon seit sechzig Jahren – und
die Kosten lagen insgesamt weit höher als der Nutzen. Eine un-
beliebte Herrschaft wird nicht dadurch automatisch besser, dass
sie durch bewaffnete Kräfte einer großen Demokratie über lange
Zeiträume hinweg aufrechterhalten wird.
Mit Afghanistan ist das Verhältnis schwierig geworden, das
kann sich nur bessern, wenn sich dort die Lage klärt. „Strategi-
sche Tiefe“ gewinnt man durch Freundschaft, nicht durch ego-
istische Einmischung. Wenn die Ermordung des Belutschenfüh-
rers Bugti 2006 nachträglich einen Sinn bekommen soll, dann
nur durch versöhnliche Schritte aus Islamabad. Die gegenwärti-
ge Regierung hat das bestens verstanden. Das Verhältnis zu Chi-
na gibt Pakistan zumindest an seinem kleinsten Grenzabschnitt
Ruhe und Zufriedenheit. Der große Nachbar bleibt ein Garant
der Stabilität.

Amerikas und Europas Zukunft

Das Terrormanagement der USA hat abgewirtschaftet. Kaum


noch jemand auf der Welt glaubt an diesen besonders sinnlo-
sen Krieg. Seine Kosten sind gewaltig, an die Sechs-Billionen-
Rechnung des Nobelpreisträgers Stieglitz beim Thema Irak sei
erinnert. Sein Ergebnis ist erschütternd: Die große Mehrheit der
amerikanischen Beobachter ist sich völlig einig, dass Amerika
noch nie so viel Freunde verloren hat wie in den vergangenen
acht Jahren.

303
„Washington muss seine globale Strategie ernsthaft umformen“,
schreibt Zakaria356, „indem es sich vom beherrschenden Hege-
mon zum ehrlichen Makler entwickelt. Es muss danach streben,
Macht zu teilen, Bündnisse zu schaffen, Legitimität aufbauen
und die globale Agenda definieren.“
Alle echten Freunde Amerikas können jetzt zur Stabilisie-
rung der Lage beitragen, indem sie diesen Weg mit friedlichen
Mitteln unterstützen und auch lernen, sich zu verweigern, wenn
Amerika extreme Schritte erwägt, statt zögerlich hinterher zu
trippeln. Der Iran-Krieg ist nicht vom Tisch. Sollten die USA
sich erneut durch Israel in einen verheerend unnötigen und fal-
schen Krieg verwickeln lassen, ist Europa gefordert. Doch seine
politischen Eliten sind dieser Herausforderung derzeit weder ge-
wachsen, noch sind sie darauf vorbereitet, noch haben sie ihre
Länder vorbereitet.
Und auf der anderen, der „islamischen Seite“? Das Problem
unserer Erforschung der Phänomene islamischer Widerstän-
digkeit besteht vielfach darin, dass wir zwar viele kluge Fakten-
sammler haben – jedoch nur sehr wenige, die mit Empathie auf
jahrelange praktische Lebenserfahrung im Umfeld der islami-
schen Bewegungen zurückblicken. Wir verstehen analytisch,
nicht aus der Binnensicht heraus, das heißt, wir verstehen falsch,
methodisch, faktisch, im Resultat. Wir kleben sehr rasch Adjek-
tive an, wie: „radikal“ oder: „islamistisch“ und deuten politische
Bewegungen, die ihre Glaubwürdigkeit ihrem sozialen Engage-
ment verdanken, nach Ländern, die ihnen angeblich mit Unter-
stützungsleistungen politisch den Weg weisen: „Iran-gestützte
Hisbollah“. Damit kommen wir nicht weiter im Verständnis
– und deshalb auch nicht zu sinnvollen Reformen oder Justie-
rungen unserer Politik. Da wir die Tatsachen oft nicht sehen
wollen oder können, verstellen wir uns selbst bessere Wege des
Verständnisses mit Pauschalurteilen, die ihre Druckerschwärze
nicht wert sind. Und wir setzen sehr schnell, nach innen und
nach außen, auf unsere schwindende Macht und deren Mittel,
statt auf unsere ebenfalls vorhandene Tradition von Toleranz,
intellektueller Redlichkeit und herzlicher Hilfsbereitschaft.

304
Das Problem mit den Amerikanern lag nicht daran, dass sie nicht
aus der Geschichte lernen, sondern dass sie niemals die Komplexi-
tät einer Situation verstanden, weder rechtzeitig noch in der Rück-
schau.357
Craig Murray,
Britischer Ex-Botschafter in Usbekistan

Kapitel 7

Wege in eine neue Pakistan-Politik

Eine neue internationale Politik, nicht nur gegenüber Pakistan


– aber vor allem auch dort – muss mit vielen alten schlechten
Gewohnheiten brechen, die schon lange bestehen. Der jüngste
Nato-Geheimbeschluss von Bukarest 2008358 ist die Fortschrei-
bung und Ausweitung des Neo-Kolonialismus des 20. Jahrhun-
derts. Dieser basiert auf dem Kolonialismus des 19. Jahrhun-
derts, der seinerseits die Anfänge des Kolonialismus des 17. und
18. Jahrhunderts fortführt. Das ist eine Menge Zeit, eine Menge
Unrecht – und eine Menge vergossenes Blut, vielfach das Blut
von Muslimen.
Doch jetzt steht die Welt vor gewaltigen neuen Herausfor-
derungen, die sie meistern muss – und das geht nur gemeinsam:
Erderwärmung/Umweltschutz und Überbevölkerung, Wasser-
und Nahrungsmangel drohen. Kriege um Öl- und Gasreser-
ven sowie strategische Pipeline-Routen haben in dieser moder-
nen Welt keinen Platz mehr, sonst könnten wir plötzlich vor
Katastrophen stehen, die jeden Krieg zur Lappalie schrump-
fen lassen; außer natürlich den nuklearen, der nicht weniger
wahrscheinlich wird, weil eine Staatengruppe, die Nato, sich
plötzlich anmaßt, ein sehr weit und großzügig gefasstes Recht
auf Erstschläge gegen alle Staaten zu haben. Und dieses Recht,
so ist zu lesen359, fußt nicht etwa auf bisher geltenden Rechts-
grundlagen, internationalen Verträgen, der UN-Charta etc.,

305
sondern auch auf einem relativ neuen „Gewohnheitsrecht“.
Dieses schließt auch schlechte Angewohnheiten der jüngsten
US-Politik ein, wonach kein Vorwand zu erlogen ist, um an-
dere Völker nach Gutdünken zu überfallen, zu ermorden, zu
foltern und auszuplündern – oder mit Uranwaffen ihr Genpo-
tenzial zu zerstören. Mit dem Balkankrieg fing es an, mit dem
neuen Mafia-Staat Kosovo erreichten die schlechten Gewohn-
heiten einen vorläufigen Höhepunkt, dann kamen die angeb-
lichen Massenvernichtungswaffen und «Al-Qaeda»-Kontakte
des Irak. Die tatsächlichen Geschehnisse des 11. September
2001 und deren Hintergründe werden wir möglicherweise erst
dann einigermaßen klären können, wenn die USA unsere Welt
nicht mehr beherrschen. Bis dahin müssen wir in Afghanistan
einen zunehmend blutigen und restlos verlogenen Krieg erle-
ben, dessen Konsequenzen weltweit wirksam und fürchterlich
werden könnten.
Dieses Verhalten treibt manche Völker in rücksichtslose,
umweltpolitisch wie sozial hoch schädliche Industrialisierung,
um sich gegenüber den USA und anderen zu emanzipieren, wie
zum Beispiel China. Und andere, wie die gequälten Palästinen-
ser, sehen sich in einen „Krieg der Gebärmütter“ gedrängt, in
dem rücksichtslose Vermehrung den Blutzoll eines unwürdigen
Vernichtungskrieges seitens Israels ausgleichen soll.
Wenn wir dann noch die globale Unfähigkeit betrachten,
ein Entwicklungskonzept für den am meisten benachteiligten
Kontinent, Afrika, aufzustellen und umzusetzen, wird klar, wie
weit der Bruch mit den schlechten Gewohnheiten unserer Po-
litik reicht, der kommen muss, bevor sich die weltweite Lage
bessert. Dazu müssten unsere amerikanischen Freunde und
Verbündeten ihre Rolle als Weltpolizisten und manche ande-
re Aktivitäten ihrer „Politik der Unangemessenheit“ zugunsten
nachhaltiger und fairer, kooperativer statt imperativer Strategi-
en aufgeben – und die große Hoffnung ist, dass dies geschieht,
bevor Armut, innere Destabilisierung und vielseitige Krisen des
Landes dem bisherigen Schlendrian mit weltweit heftigen sozi-
alen Folgen ein unfreiwilliges Ende setzen.

306
Manchmal mag in der Politik ein schlechtes Mittel (Lügen,
Gewalt, Benachteiligung) notwendig sein, um gute Entwicklun-
gen in Gang zu setzen oder diesen zum Durchbruch zu verhel-
fen. In der jetzigen Situation jedoch sind es die guten Schritte,
die zu gerechten Friedensschlüssen und sozial ausgewogenen
Reformen führen, die allein geeignet scheinen, die Lage zu bes-
sern. Kennzeichen einer solchen „Umfassenden Strategie für
eine nachhaltig gerechtere Weltordnung“ müssten sein:

1. Eine multipolare Weltordnung, in der die USA nur mehr


eine Macht unter mehreren anderen Blöcken wäre: Europa,
China, Asien, Islamische Welt, Afrika – also eine Aufgabe der
bisher geltenden amerikanischen Beherrschungsdoktrinen.
2. Allein die gewaltige Mittelersparnis, die die USA bei Auf-
gabe der unseligen Rolle des selbsternannten Weltpolizisten für
die bislang vernachlässigten Belange der eigenen Bevölkerung
einsetzen könnte, würde den USA eine sehr langfristige welt-
weite Führungsrolle sichern. Diese stünde dann ausnahmsweise
einmal auf soliden eigenen volkswirtschaftlichen Füßen.
3. Würden die USA den verblieben Einfluss nutzen, um an-
deren Staaten oder Staatengruppen bei vergleichsweise geringem
Kostenaufwand zu helfen, einig und international koordiniert an
der Erledigung der jeweiligen eigenen politischen Hausaufgaben
zu arbeiten, statt solche regionalen Kooperationen zu stören, zu
bremsen oder gar zu verhindern, könnte schon der rein wirt-
schaftliche Synergie-Erfolg weltweit enorm sein, von gewaltigen
Fortschritten bei der Friedenssicherung ganz zu schweigen.
4. Wichtigste Aufgabenfelder einer freieren und gemein-
schaftlicheren Weltordnung wären: Umweltschutz, Bildung,
Überbevölkerung, Nahrungserzeugung.

Eine Welt, die es schafft, ohne größere Verteilungskriege aus-


zukommen, ist in der Lage, alle Herausforderungen zu meistern.
Zu diesem Weg gibt es zu dem jetzigen späten Zeitpunkt keine
denkbare Alternative mehr. Denn eine Welt, die diesen friedli-
chen Weg nicht schafft, muss und wird untergehen.

307
Ein zentral wichtiger, neuer Ansatz ist jedoch grundlegend
notwendig, damit die Chancen auf die beschriebenen guten
Ziele überhaupt gewahrt werden können: Es geht um die Glo-
balisierung der gemeinschaftlichen Hoffnungen und Wünsche
aller Menschen. Es geht um ein weltweites, gesellschaftliches
Gegengewicht zur Globalisierung der Industrie-Interessen, die
gnadenlos die Armut und Not der Bauern in den Armutsgür-
teln des chinesischen Riesenreiches ausspielen gegen den Kampf
der Menschen bei uns gegen unsere Form hoch entwickelter
Armut. Das funktioniert so: Arbeitnehmer bei uns verlieren
ihren Job und rutschen in die Armut, weil die Firmenleitun-
gen Arbeitsplätze aus Deutschland nach China verlegt haben
– oder schlicht aufgeben mussten. In China allerdings werden
dann die hungernden Bauern, die sich am Rand der Großstädte
um die Jobs reißen müssen, auch nicht sozial abgesichert, weil
es auch dort Firmeninhaber gibt, die neue Jobbewerber gegen
alte Jobinhaber ausspielen. In einer unheilvollen Allianz werden
dabei die Bosse hier und in China unproportional reicher. Wir
müssen alle kämpfen lernen gegen das wie eine Pest wuchern-
de Auseinanderdriften von Arm und Reich, im nationalen und
weltweiten Kontext, gegen die verbreitete Skrupellosigkeit einer
Luxusklasse von Super-Managern, die „hart arbeitet, viel ver-
dient und Spaß hat“.360 Aber auch obere und Mittelschichten
müssen aufhören, sich selbst, ihren Karrieren, ihren Familien
sowie der Organisation ihrer immer komplexeren Freizeitver-
gnügen zu leben. Allein das völlig konsequenzlos-spaßige Her-
umreisen in Ländern mit armseligsten Bevölkerungs-Millio-
nen in Riesenslums ist dégoutant, ein ekelhafter, dekadenter
Skandal. Diese Neo-Biedermeier-Mentalität ist in Wahrheit
der Totengräber unseres Erfolges, unserer Freiheit und letztlich
unseres Friedens. Und unten? Da wo Hartz IV ist, die elegan-
te Methode des Staates, mit schlechter Politik den Freunden
der Opfer in die Tasche zu greifen? Ein direkter Appell: Bitte
kommt auf die Straße, wenn es um Frieden geht, denn es ist vor
allem Euer Geld, zumindest jedoch Geld, dass zur Linderung
Eurer „organisierten Armut“ ausgegeben werden sollte – und

308
dass stattdessen jetzt in unnötige und verlogene militärische
Abenteuer wandert.
Damit nun jedoch nicht der Gedanke aufkommt, diese heh-
ren Vorstellungen seien ein unerreichbares Paradies, weshalb
man hier unten auf Erden lieber nichts mehr verbessert, soll
auch in diesem Buch konkret dargelegt werden, wie eine bessere
und nachhaltige Politik im konkreten Fall aussehen könnte. Für
den komplizierten – jedoch keineswegs unlösbaren – Konflikt
in Zentral- und Südostasien, mit den Protagonisten Afghani-
stan, Indien, Pakistan, wird ein dreiteiliger Lösungsvorschlag
unternommen, der jede Menge Zündstoff liefert. Viele werden
die typischen Biedermeier-Reaktionen zeigen: Das ist falsch/
naiv/idealistisch; das wird gar nicht funktionieren; da kann ich
mich nicht beteiligen, weil ich auch sonst keinen kenne, der
mitmacht; wer ist dieser Hörstel überhaupt – und beruhigt wei-
terwursteln wie bisher. Okay, das wäre ein Weg, für den sich
notfalls sogar Argumente finden lassen, wie zum Beispiel, dass
die direkt beteiligten Kontrahenten ebenso wenig Zugeständ-
nisse machen wollen wie die großen Mächte im Hintergrund.
Und wenn das nicht reicht, hilft sicher auch das Schimpfen auf
den Autor, mit juristisch unangreifbar formulierten Verleum-
dungsversuchen unter dem Mantel der Pressefreiheit.
Eine Bereinigung der Kaschmir-Situation wird nur dann
gelingen, wenn die Nato auf Indien einen freundlichen Druck
ausübt dergestalt, dass mit einem Entgegenkommen auch von
unserer Seite aus positive Entscheidungen fallen. Großbritan-
nien muss seine historische Bringschuld anerkennen und dafür
auch ein Stück weit die buchstäblichen Kosten übernehmen.
Was nicht mehr tolerabel ist, sind weitere Kriegszüge eines gan-
zen Bündnisses auf der Grundlage historischer Versäumnisse
und Sünden von ein oder zwei Mitgliedern, auch wenn dies die
USA und Großbritannien sind. Ein Bündnis lebt schließlich
nicht von der Kriegführung, sondern von gewinnbringendem
Friedensmanagement; andernfalls ist es bald am Ende. Wir ha-
ben es geschafft, mit dem Kosovo auf dem Balkan auf absolut
völkerrechtswidrige Weise ein eigenständig nicht lebensfähiges

309
Gebiet aus seinem Staat gewaltsam herauszulösen und als Spiel-
zeugstaat der örtlichen Mafia in die Hand zu drücken.361 Da
sollte es unseren begabten politischen Führungskräften gelin-
gen, eine friedensbegründende, vernünftige Gebietsbereinigung
im Konsens mit allen Beteiligten durchzuziehen.
Denn eines ist nicht zu leugnen: Alle wichtigen Probleme der
heutigen Welt können wir in dieser gefährdeten Region Afgha-
nistan-Pakistan-Indien wiederfinden: Probleme aufbegehrender
Muslime, geostrategische Anliegen, Energierohstoff-Geschäfte,
Wasserrechte, Großmacht-Konfrontationen, alte Gebietsstrei-
tigkeiten, letztere hauptsächlich verursacht durch „britische
Grenzziehungen“ aus Kolonialzeiten. Aus diesem gewichtigen
Grunde lässt sich einfach folgern: Wenn die beteiligten Staa-
tengruppen hier keine übergreifend akzeptablen Lösungen er-
reichen, brauchen wir uns um den Rest der Welt kaum noch
Sorgen zu machen – da wird es ebenfalls schiefgehen. Die
Wechselwirkungen sind kaum aufzuhalten. Allein der drohende
Nuklearkonflikt zwischen Pakistan und Indien gibt seit Jahren
Anlass zu großer und immer noch wachsender Besorgnis.
In seinem neuen Bestseller „Die Welt nach Amerika“ (The
post-American world) schreibt Newsweek-Chefredakteur Fa-
reed Zakaria: „Spannungen in Nahost sind wichtig, doch haben
sie in den letzten sieben Jahren alle Ressourcen, Energie und
Aufmerksamkeit von jedem anderen Thema der US-Außenpo-
litik abgezogen.“362 Und er mahnt, dass Amerika die Probleme
des achten Jahrhunderts n. Chr. (Schiiten vs. Sunniten) hinter
sich lassen und sich den Herausforderungen des 21. zuwenden
sollte: China, Indien, Brasilien.
Gerade für Pakistan schreibt Zakaria völlig zu Recht: „Was
den Vereinigten Staaten an Orten wie Pakistan fehlt, ist eine
breiter angelegte Bemühung, diesem Land bei seiner Moder-
nisierung zu helfen sowie zu verdeutlichen, dass die USA sich
mit dem Volk dieses Landes verbünden wollen – und nicht nur
mit dem Militär.“ Und er kritisiert, dass die US-Militäraus-
gaben gegen islamischen Extremismus fast eine Billiarde Dol-
lar verschlungen hätten. Demgegenüber seien diplomatische

310
und zivile Bemühungen großzügig gerechnet bei unter zehn
Milliarden geblieben.363 Und natürlich darf auch bei Zakaria
der köstliche Ausspruch von Mark Twain nicht fehlen: „Für
jemanden, der einen Hammer hat, sieht jedes Problem wie ein
Nagel aus.“364
Sagen wir es einmal ganz drastisch: Es kann nicht sein, dass
andere Länder, unter welchem Vorwand auch immer, gezwun-
gen werden, die absonderlichsten blutigen Abenteuer auf sich
zu nehmen, um die selbstmörderisch verschwurbelten Chaos-
Strategien einer „Hypermacht“365 zu bedienen, deren Regierung
dazu noch durch organisierte Wahlfälschung unter anderem zu
Lasten der schwarzen Minderheit an die Macht kam.

Pakistans wichtigste Schwierigkeiten

Stattdessen müssen parallel die drei Problemfelder in Pakistan


angegangen werden, die die Region verunsichern. Auf Grund
der im vorangegangenen Kapitel beschriebenen schwierigen eth-
nischen Verklammerung Afghanistans mit Pakistan durch die
Ethnie der Paschtunen, wird klar, dass es für Pakistans Problem
keine Lösung gibt ohne eine Lösung für Afghanistans Probleme
– und umgekehrt. Ein mit den Beteiligten afghanischen Kräften
vorabgestimmter Lösungsweg wurde bereits vorgestellt.366 In Pa-
kistan sind die Schwierigkeiten vielfältiger und breiter angelegt.
Deshalb muss auch jede Lösung mehrere Politikfelder parallel
angehen können.
Die wichtigsten drei Ansatzpunkte sind wie beschrieben:
Kaschmir, mit seiner kostspieligen Dauerkonfrontation, die
die Rolle des Militärs im innerstaatlichen Gefüge anschwellen
lässt wie einen Tumor und zur Bildung von Kampfgruppen
führt, die nicht nur die eigenen Stammesgebiete in Unruhe ver-
setzen, sondern auch den nördlichen Nachbarn Afghanistan.
Die FATA, die wegen der Grenzziehung ihre eigenen Schwie-
rigkeiten bestehen muss, jedoch auch als Nebenwirkung der
kaschmirischen Probleme zusätzliche Lasten trägt.

311
Und schließlich die durch die oben genannten Konflikte aus
eigener pakistanischer Finanzkraft nicht mehr zu stemmenden
Herausforderungen in Industrie-Aufbau und Landwirtschafts-
sicherung, die für den letzteren Bereich zu einem großen Teil
auf gravierenden Mängeln in der Wasserwirtschaft beruhen,
die bereits heute eine Notstandsverwaltung ist, mit schlechten
Aussichten für die Zukunft. Parallel ist der Bildungssektor zu
berücksichtigen und die viel zu geringe Alphabetisierung.

Kaschmir

Das Kaschmirproblem stellt für die Region die wohl bestän-


digste und schwierigste Hürde auf dem Weg zu Sicherheit und
Wohlstand dar. Wenn wir betrachten, dass wir seit fast genau
60 Jahren ständig Blutverluste und Dauerzwist zwischen Indi-
en und Pakistan haben, weil eine Grenzziehung missglückt ist,
wenn wir weiterhin akzeptieren, dass dies durchaus noch 60
Jahre so weitergehen kann, wenn nichts geschieht – und die
Konstellationen bereits heute sichtbar sind, dass dieses Dau-
erproblem sich zum Stolperstein zwischen China und Indien
auswachsen könnte, dann wird es Zeit, an Lösungen zu denken
statt an Vermeidungsstrategien.
China ist zweifellos beteiligt am Aufblühen der maoisti-
schen Bewegung in Indien, obwohl die Quellen dieses The-
ma vielfach umgehen, indem sie als Helfer die nepalischen
Maoisten angeben, die nun wirklich niemals allein und ohne
Hilfe von außen die Kraft aufgebracht hätten, ihre Monarchie
zu stürzen. Indiens Premier Manmohan Singh nannte den
maoistischen Widerstand „die größte Herausforderung für die
interne Sicherheit, der unser Land je gegenüberstand“.367 Der
Machtkampf um den Subkontinent hat längst begonnen – und
China hat hier, wegen seines kampferprobten und langjährigen
strategischen Bündnisses mit den Muslimen der Region zur-
zeit ganz einfach bessere Karten als der aufstrebende indische
Nachbar.

312
Die Muslime Indiens sind sich darüber hinaus ihrer von Pa-
kistans Staatengründer Jinnah vorhergesehenen Benachteiligung
in Indien bei Ausbildung, Karriere und Wohlstandsverteilung
durchaus bewusst.368
Vorschläge zu Lösungswegen für Kaschmir gibt es zuhauf,
beide beteiligten Nationen sind keineswegs arm an begabten
Köpfen mit Phantasie und Erfahrung. Die folgenden Angaben
zur Verteilung der Religionszugehörigkeit369 in der Region mö-
gen neben der Karte die Verhältnisse verdeutlichen:

Religionsgruppen: Indisch verwaltetes Kaschmir

REGION Buddhist Hindu Muslim Andere


Kaschmirtal - 4% 95% -
Jammu - 66% 30% 4%
Ladakh 50% - 46% 3%

Religionsgruppen: Pakistanisch verwaltetes Kaschmir

REGION Buddhist Hindu Muslim Andere

Nördliche
- - 99% -
Gebiete

Azad
- - 99% -
Jammu und

Vorbedingung des Plans ist, dass die Nato und andere Part-
ner sich einigen, die Kaschmir-Frage einer Lösung zuzuführen,
weil sie zu den Fragen zählt, die geeignet sind, den Weltfrieden
zu stören.
Dem hier vorgelegten Plan liegt ein Zeitrahmen zugrunde,
der vorsieht, exakt nach dem UN-Beschluss von 1948 ein Ple-
biszit abzuhalten, falls die gegeben Fristen überschritten wer-
den.

313
Für den Lösungspunkt Kaschmir muss als Vorbedingung eine
in­ter­nationale Konferenz einberufen werden, der neben den
beiden Beteiligten, Indien und Pakistan mindestens auch China
angehören muss sowie eine weitere Macht der Region nach der
Wahl Indiens, eventuell die USA. Diese Gruppe muss binnen
zwei Jahren alle Einzelheiten der Einigung über die Kaschmir-
Frage erarbeiten. Grundlage einer Einigung muss sein, dass In-
dien sich be­reit erklärt, seinen Herrschaftsanspruch über das
Gebiet des sogenannten Kaschmirtals ohne Jammu aufzugeben,
das ganz überwiegend von Muslimen bewohnt ist. Jammu und
Ladakh ver­bleiben bei Indien, Pakistan behält die „nördlichen
Gebiete“, Ge­biets­absprachen zwischen China und Pakistan blei-
ben bestehen.370
Der Herrschaftsübergang wird spätestens sieben Jahre nach
Beginn der vorerwähnten Konferenz vollzogen. Das damit neu
unter pakistanische Verwaltung gestellte Gebiet bleibt für alle
Zeiten entmilitarisierte Zone mit normaler Polizeistärke. Dies
gilt beidseitig für Pakistan und Indien auch für das Ergebnis des

314
eventuell abzuhaltenden Plebiszits. Die Konferenz sollte inner-
halb eines Jahres einberufen werden.
Es wird angeregt, dass Pakistan und China an Indien Zu­
sicherungen geben, die für Pakistan strafbewehrt aufgesetzt
werden können: über die Nichteinmischung durch von außen
geförderte Gruppen und andere Aktivitäten in anderen Län-
dern, insbesondere Indien. Indien könnte bestimmte Wasser-
rechte erhalten. US-Interessen an Beobachtungseinrichtungen
auf bis dato indisch beherrschtem Gebiet dürfen keine Rolle
spielen.

FATA (und PATA371)

Die so genannten Stammesgebiete Pakistans sind unterdurch-


schnittlich entwickelt. Infrastruktur im weitesten Sinne, Sozi-
aleinrichtungen, Wasserversorgung, Umweltschutz, nichts ist so
wie es sein sollte und könnte. Nur ein radikaler Plan, der umge-
hend gemeinsam mit Befriedungsbemühungen von den Bewoh-
nern selbst und in Eigenregie umgesetzt wird, kann hier noch
etwas nachhaltig bewegen. Was immer hier im Folgenden erläu-
tert wird, muss mit Abstrichen auch für die PATA gelten, um
örtlich fatale Ungleichgewichte zu vermeiden. Niemand ist in
diesen Fragen für pragmatische Lösungen besser geeignet als die
alt-erfahrenen Beamten und örtlichen Führungsperönlichkeiten,
die seit Jahrzehnten mit diesem in den meisten Bereichen gut be-
währten System leben. Für die Grundlage ist die Aufstellung einer
neuen FATA-eigenen Aufbautruppe von etwa 300.000 Mann,
die die notwendigen Bauarbeiten für die Infrastruktur ausführt.
Grundlage ist der entsprechende Plan des Generalinspektors der
Polizei in Peschawar, Malik Naveed Khan.372 Die bisherigen Si-
cherheitskräfte mit hohem lokalem Mannschaftsanteil werden
um 20.000 Mann aus der FATA-Bevölkerung aufgestockt. Beste-
hende bewaffnete Gruppen werden aufgelöst, allen Mitgliedern
müssen geregelte auskömmliche Beschäftigungsmöglichkeiten
angeboten werden. Der Staat erhält das Monopol der überge-

315
ordneten Gewalt zurück. Individuelle Bewaffnung bleibt erlaubt,
Bandenbildung wird verboten.
Mitgliedern und Führungskräften von Kampfgruppen der
Islamischen Bewegung müssen politische Mitwirkungsmög-
lichkeiten eingeräumt werden wie allen anderen Bewohnern
auch. Es muss grundsätzlich möglich sein, Gebiete mit be-
sonderen islamischen Rechtsregelungen zu bilden, wenn die
Bevölkerung dies mit zwei Dritteln ihrer Mehrheit wünscht.
Sollte dabei jedoch versucht werden, mit Gewalt die Abstim-
mungsteilnehmer zu beeinflussen, wird mit einem militärischen
Großeinsatz und Dauer-Stationierung sowie Internierung der
Schuldigen eine weitere politische Arbeit in dem betreffenden
Gebiet ausgeschlossen. Ausländischen Kämpfern (Gemeint ist:
«Al-Qaeda»; in Pakistan spricht man sogar sehr zurückhalten
oft nur von „Ausländern“) wird ein Bleiberecht so lange ge-
währt, bis in ihren jeweiligen Heimatländern freie und gleiche
politische Betätigung im Rahmen der üblichen Gesetze ohne
Nachteil ermöglicht wird. Interessierten und befähigten Kräf-
ten müssen entsprechende Ausbildungsmöglichkeiten angebo-
ten werden.
Die FATA erhalten über einen Zeitraum von fünf Jahren
hinweg vier Milliarden Euro – und über einen weiteren Zeit-
raum von 15 Jahren noch einmal vier Milliarden Euro.373 Diese
Mittel sollen unter pakistanischer Regie jedoch nach Vorlage
einer Mittelverwendungsstrategie ausgezahlt und die sachge-
rechte Verwendung nachgewiesen werden. Alle Geldausgaben
sind veröffentlichungspflichtig, auch im Rahmen einer speziel-
len permanenten Website, die alle Details enthalten muss. Die
Entwicklungsstrategie bestimmt die Bevölkerung der FATA
selbst, bei allen lokalen Projekten entscheiden die betroffenen
Bewohner mit über die notwendigen Details. Finanz- und Ver-
fahrenskontrolle führt ein jeweils zu einem Drittel besetztes
Mischgremium aus Geberländern, Pakistan und zuständigen
Fachgremien der Vereinten Nationen oder der Organisation
Islamischer Länder OIC, diese Entscheidung bleibt Pakistan
überlassen.

316
Aufgabengebiete des Unterstützungsprogramms müssen sein:
Infrastruktur, Landwirtschaft mit Wasserwirtschaft und Um-
weltschutz, Bildung sowie alle möglichen Aufgabengebiete des
Transfers von Management Know-How. Einzelheiten könne hier
nicht vorgelegt werden, wichtig ist grundsätzlich die institutio-
nalisierte Absprache mit den Einheimischen, um die notwendi-
gen Solidarisierungseffekte von vorn herein in die Prozessstruk-
tur selbst einzufügen.
Dem Projekt beizustellen ist ein Mediationsplan, der die im
Zuge der bewaffneten Auseinandersetzungen aufgestauten Kon-
flikte langfristig professionell regelt. Zugrunde liegt die Vorge-
hensweise, die auch in Afghanistan vorgeschlagen wurde und
auf den Arbeiten des hervorragenden US-Wissenschaftlers John
Paul Lederach basiert.374 Ziel der Anstrengung ist, in den Bezie-
hungen zwischen Kämpfern und Mitgliedern der Islamischen
Bewegung einerseits sowie den gewachsenen Stammesstruktu-
ren andererseits wieder ein konstruktives Miteinander herzustel-
len. Dieses hat in den vergangenen Jahren stark gelitten, weil
die CIA mit Hilfe pakistanischer Geheimdienste versucht, die
Stämme auf ihre Seite zu ziehen – und die ebenfalls geheim-
dienstlich geführten Kampfgruppen mit Ermordung zahlreicher
Stammeshäuptlinge, oft durch Kopfabschneiden, gegengehalten
haben. Es besteht tatsächlich kein Zweifel, dass ohne eine tief-
greifende Bereinigung der entstandenen Probleme jede Aufbau-
Bemühung zwecklos und Geldvernichtung ist. Das altehrwür-
dige Stammesgesetz ‚Paschtunwali’375, das eine Pflicht zur Blut-
rache ‚badal’ vorsieht, jedoch auch das System des Vergebens
‚nanawati’ kennt, müsste hier eine fruchtbare Verbindung ein-
gehen mit den neuen Methoden der Mediation – eine Aufgabe,
der einheimische Kräfte gewöhnlich bestens gewachsen sind,
wenn man sie denn fair bezahlt und ihnen nicht von außen ins
Handwerk pfuscht. Sollte diese Bemerkung als Warnung vor
entsprechenden Ad-hoc-Planungen in Deutschland und auf
EU-Ebene aufgefasst werden, so ist diese Auffassung korrekt.
Sollte sich die EU zu diesem sehr späten Zeitpunkt noch in
halbgare Schnellreparaturen jahrelanger US-Versäumnisse und

317
-Fehler einbinden lassen, wäre dies für unseren internationalen
Ruf fatal, für die Sache schädlich und für spätere Hilfsaktionen
eine ganz miserable Vorbereitung.

Mediation in der FATA

1. Umfassende projektbegleitende Mediation


1.1. Grundlagen

Der Prozess wird begleitet durch umfangreiche Mediationsmaß-


nahmen, wie sie John Paul Lederach376 vorschlägt, der als Sozio-
loge, Mediator und Professor für „Peacebuilding“ international
Erfahrungen mit diesem Ansatz gesammelt hat.
Der guten Ordnung halber muss gesagt werden, dass der
Einsatz von Truppen oder eine gesteigerte Entwicklungshilfe
im Verlauf des Prozesses nicht Lehrmeinung von Professor Le-
derach ist, sondern eine Adaptierung des Autors von Lederachs
Konzept für die hochkomplexen afghanischen Verhältnisse dar-
stellt. Der Einsatz von Finanzmitteln im Zusammenhang mit
Mediation nach Lederach deckt sich mit der Lehrmeinung von
Professor Dr. Norbert Ropers (Leiter des Berliner Berghof-Ins­
tituts).
Dem Mediationsansatz liegt die Definition von Professor Ja-
cob Bercovitch377 zugrunde, wonach Mediation

„ein Prozess des Konfliktmanagements [ist], bezogen auf, aber


unterschieden von, den Verhandlungen der Parteien selbst, bei
dem die Konfliktparteien die Unterstützung eines Außenstehen-
den suchen oder das Hilfsangebot eines Außenstehenden an-
nehmen (sei er ein Einzelner, eine Organisation, eine Gruppe
oder ein Staat), um ihre Wahrnehmungen oder ihr Verhalten
zu verändern, ohne Zuflucht zu physischer Gewalt zu nehmen
oder Justizorgane anzurufen.“

318
Lederach zufolge muss in Pakistan wegen der langen zeitlichen
(35 Jahre!) und sachlichen Vorgeschichte der aktuellen Konflik-
te das Modell der Konflikttransformation herangezogen werden.
Der Begriff der conflict transformation beschreibt einen langfristig
und ganzheitlich ausgerichteten Prozess, der sich nicht nur mit
der Lösung einer akuten Krise begnügt, sondern (nach Curle)
ebensoviel Zeit für die Konfliktbereinigung aufwendet, wie der
Gesamtkonflikt schon andauert. Diese aufwendige Vorgehens-
weise ist allein geeignet, nachhaltige Erfolge sicherzustellen und
enthält „broader social structures, change and moving toward
a social space open for cooperation, for more just relationships
and for nonviolent mechanisms for handling conflict, or what
might be understood as dynamic and increasingly peaceful re-
lationship.”378
Der Einsetzung von Mediationsmaßnahmen in jedem
Dis­trikt, der am Disengagement Plan teilnimmt, geht selbst-
verständlich ein Konfliktassessment voraus, aus dem Art und
Umfang der begleitenden Mediationsmaßnahmen ersichtlich
werden.

1.2. Das System Lederach

In der Personalpyramide nach Lederach sind an der Durchfüh-


rung des Projekts in den FATA/PATA beteiligt:
1. im Spitzensegment mindestens folgende Ansprechpartner:
Zentralregierung Islamabad, Gouverneur, Chief Minister,
Political Agents (= die Beauftragten für die FATA-Verwal-
tung), ISI & IB, Führungskräfte aller regulären bewaffneten
Einheiten
2. im Mittelsegment: Distriktebene: Distriktchefs, Mitarbeiter
von Provinzregierung und Political Agent, Stammesgrößen,
örtliche NGO-Chefs Chefs größerer bewaffneter Gruppen
(TTP) und weitere Notabeln, letztere jedoch nur teilweise
im Rahmen der offiziellen Ratssitzung (Shura).

319
3. im unteren Segment: Dorfchefs, örtliche Stammesführer,
NGO-Projektleiter, Chefs kleinerer bewaffneter Gruppen

2.1. Strukturelle Ebene

Ausgehend von Dugans Konflikttheorie379 entwickelt Lederach


sein Modell in Bezug auf den Aufbau eines Mediationsansatzes
weiter. Dabei unterscheidet er die vier Ebenen Konfliktgegen-
stand, Beziehung, Subsystem und System.

Unter dem Konfliktgegenstand („issue“) versteht Lederach den


unmittelbaren Streitpunkt, an dem sich der Konflikt entzündet
hat. Das könnte zum Beispiel ein ungeklärtes Grundstückspro-
blem in Miranshah, der Distrikthauptstadt von Nordwaziristan,
sein, bei dem ein örtlicher Stammeszugehöriger der Zadran auf
einen Konkurrenten aus einer Kampfgruppe trifft, der das Haus
in Besitz genommen hat. Der ständige Streit vor dem Haus hat

320
schon zu Schießereien der örtlichen Zadranis gegen Mitglieder
der Kampfgruppe geführt. Ein auf dieser Ebene ansetzender
Vermittlungsversuch würde vielleicht ein Moratorium verein-
baren, das beide Rechtspositionen zunächst nicht antastet und
Zeit für eine sachgerechte Klärung schafft.
Auf der Beziehungsebene (relationship) würde die generelle
Beziehung zwischen Stammesangehörigen und Kampfgruppen
analysiert und das Projektteam angesetzt, das mit geeigneten
Maßnahmen Vorurteile vermindern und gegenseitige Aufklä-
rung erarbeiten kann, um den Konflikt zu entschärfen.
Auf Systemebene (system) werden strukturelle Ursachen un-
tersucht, die das Verhältnis zwischen Stammesangehörigen und
Kampfgruppen der Islamischen Bewegung belasten können,
zum Beispiel Eingriffe durch den ISI/IB oder wirtschaftliche
oder politische Bevorteilungen der einen Gruppe durch das be-
stehende System. Ein Ansatz auf dieser Ebene würde versuchen,
diese Widersprüche aufzulösen, könnte den unmittelbaren
Konfliktgegenstand und das daraus erwachsende Gewaltpoten-
zial aber nicht entschärfen.
Zu diesem Zweck führt Dugan die Ebene des Subsystems ein,
das systemische Ursachen und den unmittelbaren Konfliktge-
genstand gleichermaßen angeht. In unserem Beispiel könnte
dies eine Begegnungswoche der Kämpfer mit Stammesange-
hörigen sein, in der Akteure von Begegnungsprojekten mit Ar-
beitsplätzen in gemeinsamen Projekten belohnt werden. Abge-
rundet wird das Programm mit interaktiven Begegnungen, bei
denen Akteure vor Publikum in die Rolle der jeweils anderen
Seite schlüpfen.
Wie im Abschnitt zu den Akteuren wird auch im Hinblick
auf den strukturellen Aspekt die Wichtigkeit aller Ebenen be-
tont, doch identifiziert Lederach auch hier die besondere Be-
deutung des Ansatzes am Mittelbau, also der Beziehungs- und
Subsystemsebene, die in ihrer Brückenfunktion den größten
Beitrag zu einer friedenserhaltenden Infrastruktur leisten kann.

321
2.2. Zeitachse

Ohne hier tiefer in die Mediationstheorie einsteigen zu können,


muss doch auch aus der Sicht von Lederach die Langwierigkeit
der Konflikttransformation in Betracht gezogen werden; nicht
nur der Leser, sondern am Ende auch der Steuerzahler verlangt
nach ehrlicher Information (Zeitachse nach Curle).380

• Krisenintervention: 6 Monate: Vor allem in Waziristan


• Vorbereitung und Ausbildung: 1 bis 2 Jahre für intervenie-
rende Akteure.
• Aktionsrahmen: 5 bis 10 Jahre: Akteure mit persönlicher
Betroffenheit und Erinnerung an die Konflikte erarbeiten
Grundlagen und Mechanismen für Konflikttransformati-
on.
• Gewünschter Zustand: 20 Jahre: Visionäres Programm für
tiefgreifende Veränderungen auf struktureller und systemi-
scher Ebene, erreichbar durch neue Generation.

3. Gesamtrahmen

Eine kurzfristige Perspektive kann also eine zukunftsfähige


Transformation eines Konfliktes zwar beginnen, muss aber in
längerfristige Überlegungen und Vorgehensweisen integriert
werden. Lederach entwickelt daher sein comprehensive frame-

322
work, welches beide Perspektiven gleichermaßen berücksichtigt.
Wichtig ist für ihn nicht nur, wie man einen Friedensprozess in-
itiiert, sondern auch, wie man ihn aufrechterhält.381 Dieser inte-
grative Ansatz benötigt auch einen entsprechenden Zeitrahmen,
welcher beim peacekeeping beachtet werden muss. Daher ist es
bei einer Vermittlung/Mediation wichtig „[...] die Fähigkeit zu
entwickeln, die Abläufe der gewünschten sozialen Veränderung
zu denken.“382
Die unten abgebildete Graphik zeigt, auf welchen Ebenen
die verschiedenen Aktivitäten greifen, wobei der Kreis den Wir-
kungsbereich eines möglichen, noch zu umreißenden Pilotpro-
jekts für den Frieden im System Lederach markiert. Im Endef-
fekt umfasst der Wirkungsbereich des Friedensplans schließlich
das komplette System Lederach.
Selbstverständlich kann diese Kurzvorstellung eines Mediati-
onssystems nicht ein ausformuliertes Konzept ersetzen, das vor
allem die detaillierte Anwendung auf den Fall Waziristan ent-
halten müsste.

323
Für den Moment ist nur wichtig: Es gibt weltweit genügend
Kompetenz, Personal und guten Willen, um unter Beachtung
pakistanischer, paschtunischer und durch Kampfgruppen-Mit-
wirkung bestimmter Eigenheiten und unter maßgeblicher Be-
teiligung örtlicher Fachkräfte eine erfolgreiche Mediationslö-
sung mit einer begeisternden Aufbauleistung in Waziristan und
anderen Gebieten erhöhter Militäraktivität zu verbinden.

Landesaufbau-Programm

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit


und Entwicklung (BMZ) hält zur grundsätzlichen Einführung
folgende Zusammenfassung bereit (Stand Mai 2008)383:

„Pakistan und Deutschland arbeiten seit 1961 entwick-


lungspolitisch zusammen. Seit sich die pakistanische Mi-
litärregierung nach dem 11. September 2001 an der Seite
der USA dem „Kampf gegen den Terror“ angeschlossen
hat, ist die Zusammenarbeit mit der internationalen Ge-
bergemeinschaft wieder enger. In den Jahren zuvor war
das Engagement zurückgegangen, auch Deutschland sag-
te 1999 keine neuen Mittel für Pakistan zu. Gründe dafür
waren der Kaschmirkonflikt mit Indien, der fast zu einem
Krieg führte, mehrere Atomtests und ein Militärputsch
1999.
Pakistan hat nach Indonesien die zweitgrößte isla-
mische Bevölkerung der Welt. Der Staat steht bei seiner
politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung
zahlreichen Herausforderungen gegenüber. Das Bildungs-
wesen wurde lange Zeit nicht ausreichend gefördert, die
Hälfte der erwachsenen Bevölkerung sind Analphabeten.
Es gibt noch keine flächendeckende Gesundheitsversor-
gung und die Kindersterblichkeit liegt über dem asiati-
schen Durchschnitt. Das Bevölkerungswachstum hat sich
zwar in den letzten Jahren auf zwei Prozent reduziert, ist

324
damit aber immer noch sehr groß. Ein weiteres Problem
ist die Versorgung von Flüchtlingen aus Afghanistan. Sie
leben zum Teil seit Jahrzehnten in Lagern nahe der Gren-
ze und kehren nur zögernd nach Hause zurück.

Wirtschaftliche Entwicklung

Die Wirtschaft leidet vor allem unter der fehlenden In-


frastruktur. Weite Teile des Landes sind nicht ausreichend
an das Verkehrsnetz angebunden. Die Landwirtschaft
ist der größte Beschäftigungssektor, hier arbeitet knapp
die Hälfte der Bevölkerung. Pakistan besitzt die größten
künstlich bewässerten landwirtschaftlichen Flächen der
Welt. Doch die Anlagen sind alt und die Kapazität der
Bewässerungssysteme ist begrenzt.
Das schwere Erdbeben, das im Oktober 2005 allein
in Pakistan mehr als 70.000 Menschenleben forderte, hat
in der betroffenen Region große Teile der Infrastruktur
zerstört. Der Wiederaufbau wird noch viel Zeit bean-
spruchen. Auf der internationalen Geberkonferenz für
den Wiederaufbau des Landes im November 2005 in Is-
lamabad hat Deutschland zugesagt, sich insbesondere am
Aufbau von Wohnungen, Krankenhäusern und Schulen
zu beteiligen. Kernstück der deutschen Hilfe ist die In-
standsetzung von 4.500 Wohnhäusern und der dazuge-
hörigen Infrastruktur. Viele der abgelegenen Bergdörfer
sind weiterhin schwer erreichbar und erhalten nur wenig
Hilfe.
Dennoch hat Pakistan in den letzten Jahren ein über-
durchschnittliches Wirtschaftswachstum erzielt (fünf bis
sechs Prozent pro Jahr). Das Land profitiert vom Weg-
fall internationaler Handelsbeschränkungen im Textilbe-
reich. Auch in anderen Industriezweigen steigt die Pro-
duktion, besonders in der Elektro-, der Automobil-, der

325
Nahrungsmittel- und der Zementindustrie. Ein weiterer
bedeutender Wachstumssektor ist der Dienstleistungsbe-
reich; speziell die Bank-, Versicherungs- und Kommuni-
kationsbranche entwickeln sich gut.
Trotzdem ist Armut in Pakistan weit verbreitet. Nach
Angaben der Weltbank mussten 2003 17 Prozent der Be-
völkerung mit weniger als umgerechnet einem US-Dollar
am Tag auskommen.

Verbesserung der Rahmenbedingungen

Eine notwendige Voraussetzung für die weitere positive


Entwicklung Pakistans ist die Verbesserung der Rahmen-
bedingungen. Durch eine effizientere Verwaltung und die
Eindämmung der Korruption sowie eine bessere Einbin-
dung aller Bevölkerungsgruppen in die politischen Ent-
scheidungen könnten die Landwirtschaft, die Industrie
und der Energiesektor zu notwendigen Reformen moti-
viert werden. Dazu muss allerdings auch die Menschen-
rechtssituation verbessert und eine größere Rechtssicher-
heit gewährleistet werden.

Schwerpunkte der deutschen


Zusammenarbeit mit Pakistan

Die Rolle Pakistans als Partner in einer konfliktreichen


Region bleibt weiterhin wichtig. Die letzten Regierungs-
verhandlungen im November 2005 standen allerdings
ganz im Zeichen des Wiederaufbaus nach dem schweren
Erdbeben. Es wurden Programme zur Wiedererrichtung
der Gesundheitsinfrastruktur in Kaschmir und zum Wie-
deraufbau von zerstörten Schulbauten und Wohnhäusern
in der Nordwestgrenzprovinz (NWFP) vereinbart.

326
Die in den vereinbarten Schwerpunktbereichen laufen-
den Vorhaben werden daneben planmäßig fortgeführt.
Pakistan erhielt Zusagen in Höhe von 44 Millionen Euro
für zwei Jahre sowie zusätzlich 27,5 Millionen speziell für
den Wiederaufbau. Die Gesamtleistungen Deutschlands
für den Wiederaufbau belaufen sich auf knapp 68 Millio-
nen Euro. Teil des Programms ist ein Schuldenerlass in
Höhe von 55 Millionen Euro. Die nächsten Regierungs-
verhandlungen sind für Herbst 2008 geplant.
Folgende Schwerpunktthemen der Entwicklungszusam-
menarbeit wurden zwischen Pakistan und Deutschland
vereinbart:

• Grundbildung
• Medizinische Grundversorgung, Familienplanung, Tu-
berkulosebekämpfung
• Erneuerbare Energien und Energieeffizienz

Darüber hinaus wird der Bereich "Demokratieförderung


und Zivilgesellschaft" als temporäres viertes Schwer-
punktthema weitergeführt. Die pakistanisch-deutsche
Zusammenarbeit konzentriert sich regional auf den Nor-
den Pakistans: auf die Nordwestgrenzprovinz (NWFP),
auf die von der Regierung direkt verwalteten "Northern
Areas" und auf den nördlichsten Teil der Provinz Pun-
jab.“

Das sind zweifellos gute Ziele, die eingesetzten Beträge hal-


ten sich in engen Grenzen. Wenn jedoch grundsätzliche poli-
tische Änderungen angestrebt werden, ist deutlich mehr von-
nöten. Wichtig für die weitere Stabilisierung Pakistans ist ein
positiver Weg, um eine ebenso rasche wie nachhaltige Entwick-
lung der Privatwirtschaft, insbesondere des industriellen Sek-
tors, zu fördern. Auch hier sollen jetzt nicht grundsätzlich neue
Planungsideen vorgestellt werden, vielmehr geht es darum, auf

327
hochwertige bestehende Arbeiten aus dem einheimischen pa-
kistanischen Kontext so aufzusetzen, dass ein höchstmöglicher
Synergie-Effekt eintritt.

Wachstum des industriellen Sektors

Dazu wird Bezug genommen auf eine relativ neue Studie384,


die vor allem darauf hinwirkt, dass Management-Fähigkeiten
in praktisch allen staatlichen Dienststellen und Prozessen neu
gebildet und organisiert werden müssen – und dazu auch die
Gesetzgebung vielfach modernen industriellen und privatwirt-
schaftlichen Bedürfnissen mittelständischer Unternehmen an-
gepasst werden muss.
Aus dieser Studie konnten, insbesondere durch ein Gespräch
mit dem verantwortlichen Autor385, einige Ansatzpunkte für die
Mitwirkung des Auslands herausgefiltert werden.

Kataster-Technik

Ausgehend von der Tatsache, dass hohe bürokratische Hürden


das Wirtschaftsgeschehen bremsen und verteuern, schlägt die
Studie vor, die Registratur von Grundstückseigentum zu profes-
sionalisieren und vor allem: zu beschleunigen.386 Dazu wird hier-
mit vorgeschlagen, eine kleine Gruppe pakistanischer Experten
mit einer Studie zu beauftragen, um das für Pakistan beste, hoch
moderne, elektronische Registratur-System festzulegen. An-
schließend ist der Vorschlag zu prüfen und dann zu finanzieren.

Energiesektor

Auf dem Energiesektor ist viel zu tun, weil bisher das Netz noch
täglich zusammenbricht. Laut BMZ387 arbeitet Deutschland auf
diesem Sektor bereits erfolgreich mit Pakistan zusammen.

328
Erneuerbare Energien und Energieeffizienz

Im Mittelpunkt der Zusammenarbeit steht die Nutzung der


Wasserkraft. Im Norden des Landes sind große, bisher ungenutz-
te Potenziale für diese Form der Energiegewinnung vorhanden.
Ein großes Wasserkraftwerk wurde mit deutscher Unterstützung
gebaut, ein mittleres Kraftwerk ist in Planung. Parallel zu die-
sem Engagement wird mit der Regierung und mit wissenschaft-
lichen Institutionen und Behörden an der Lösung allgemeiner
technischer, wirtschaftlicher und administrativer Probleme gear-
beitet. Seit kurzem arbeiten Pakistan und Deutschland auch im
Bereich anderer alternativer Energieformen – Biomasse, Wind,
Sonne – zusammen.
Hier könnte erheblich nachgelegt werden. Kohle, heißt es
in der Studie, sei reichlich vorhanden, jedoch nicht genügend
eingesetzt. Vom Abbau bis zum Kraftwerksbau und zum Ausbau
eines sicheren Leitungsnetzes warten hier wirkungsvolle Aufga-
ben. Die Nutzung der Wasserkraft könnte ausgebaut werden,
also mehr von dem geschehen, was schon unternommen wird.
Auch was die Transparenz der Gebührenerhebung und Mittel-
verwendung angeht, ist nachzulegen.

Güterverkehr

Desweiteren bemängelt die Studie, dass nur 4% des Warenver-


kehrs auf der Schiene stattfinden. Hierzu wird vorgeschlagen,
durch weitere Investitionen in drei Bereichen auch den Waren-
transport frühzeitig in der Entwicklungsphase der pakistani-
schen Industrie möglichst nachhaltig auszubauen, also auf der
Schiene.
Der erste Bereich ist der Be- und Entlade-Stellen in den Hä-
fen Pakistans. Hier (Karatschi und Port Qasim) sind die Effizi-
enz- und Geldverluste besonders in den Bereichen Liegezeiten,
Container-Handling und Personalmanagement hoch.

329
Der zweite Bereich betrifft Ausbau und Betrieb der pakistani-
schen Eisenbahn, um die Schienenwege mehr für den Güterver-
kehr zu nutzen. Wichtig wäre, dass der Güterverkehr auf langen
Strecken fast ausschließlich per Bahn erfolgt, weil, wie auch aus
Deutschland bekannt, der Lobby-gestützte LKW-Verkehr zu
jährlichen Milliardenkosten jede Straße zielstrebig kleinkriegt.
Und der dritte Bereich ist das Straßennetz, das allgemein in
einem schlechten Zustand ist. Es muss streckenmäßig ausgebaut
und qualitativ verbessert werden. Elektronische Mautsysteme
können die finanzielle Transparenz stärken.

Großstadt-Management

Für den Entwicklungsstand Pakistans, dessen landwirtschaftli-


cher Bereich noch immer knapp der Hälfte der Bevölkerung
Lohn und Brot gibt, ist das Land erheblich urbanisiert und er-
reicht hier den höchsten Stand in Südasien. Karatschi, Rawal-
pindi und Lahore sind große Städte. Woran es fehlt ist das Ma-
nagement aller Bereiche einer modernen Stadtverwaltung.388
Professor Nabi nannte hier vor allem Trink- und Brauchwas-
ser-Management, Transport, Beleuchtung und öffentliche Plät-
ze.

Export und Internationale Begegnungen

Außer in der weltweit bekannten Baumwoll-Branche ist der Ex-


port-Anteil Pakistans an seiner Wirtschaftsleistung gering. Das
ist durch verstärkte Beteiligung an internationalen Messen und
einem insgesamt verbesserten Austausch unaufwendig zu bes-
sern. Die guten Erfahrungen mit der pakistanischen Präsenz auf
der Hannover Messe können als Maßstab dienen. Pakistan kann
hier sicher eine Menge selbst tun – aber Einladungen, Visa-Er-
teilung, bessere Anbindung der Gäste an unsere öffentliche und

330
private Netzwerkstruktur und andere Dinge können auf unserer
Seite bewegt werden.

Schwerpunkt Belutschistan

In Pakistan gibt es ein klares ökonomisches Gefälle zwischen


den beiden bevölkerungsreichen östlichen Provinzen Pun-
jab und Sindh auf der wohlhabenden Seite und Belutschistan
und NWFP auf der ärmeren. Da NWFP in diesem Programm
bereits begünstigt wurde, ist ein stärkeres Eingehen auf diese
Provinz notwendig. Racine schreibt in der Le Monde Diploma­
tique: „Zurzeit behindert die Belutschistanfrage auch die großen
Projekte, die Pakistan wirtschaftlich voranbringen sollen, also
den Hafenbau in Gwadar, wo chinesische Ingenieure entführt
wurden, und die Pläne für eine Gaspipeline, die von Iran über
Pakistan nach Indien führen soll.“389 Zuschüsse zu Infrastruk-
tur, Land- und Wasserwirtschaft sowie Bildungsprogrammen
sollten abgerundet werden mit besserer Anbindung an die na-
tionale und internationale Handelswirtschaft.390 Das geht über
die Empfehlungen der MoIP-Studie hinaus, könnte jedoch hel-
fen, die Wunden zu heilen, die in den vergangenen Jahren auch
durch die unkluge Politik Islamabads geschlagen wurden.

Entwicklungsziele der Vereinten Nationen

Die Vereinten Nationen haben zum Wechsel ins dritte Jahrtau-


send Millenniums-Entwicklungsziele aufgestellt (Millennium
Development Goals, Abk.: MDGs). Ein Fehler dieser Liste ist,
dass sie allerhand erfreuliche Dinge aufzählt, jedoch nicht, wer
sie finanzieren soll – oder wie:
1. den Anteil der Weltbevölkerung, der unter extremer Armut
und Hunger leidet, halbieren
2. allen Kindern eine Grundschulausbildung ermöglichen

331
3. die Gleichstellung der Geschlechter fördern und die Rechte
von Frauen stärken
4. die Kindersterblichkeit verringern
5. die Gesundheit der Mütter verbessern
6. HIV/AIDS, Malaria und andere übertragbare Krankheiten
bekämpfen
7. den Schutz der Umwelt verbessern
8. eine weltweite Entwicklungspartnerschaft aufbauen

Die Verwirklichung dieser Ziele beobachten die Vereinten


Nationen für jedes Land.391 Im jüngsten Bericht heißt es, dass
zu Beginn des Jahrtausends erfreuliche Fortschritte erzielt wur-
den, das Erdbeben von 2005 jedoch einen Einbruch in dieser
Entwicklung darstellt. Seitdem konnte sich die gute Entwick-
lung der Vorjahre nicht wieder einstellen. Außerdem habe das
Wachstum der letzten Jahre nicht die ärmsten Schichten erreich,
die Schere zwischen arm und reich gehe immer weiter auf. Im
September 2005 fand in New York eine „Millenniumskon-
ferenz +5“ statt, in der sich die Staatenvertreter u. a. darüber
klar wurden, dass die Umsetzung der Ziele bis in die kleinsten
Verwaltungseinheiten hinunter verfolgt werden müssen, um
Fortschritte „grass roots“ zu organisieren. Der neueste Bericht
dazu aus Pakistan stammt von 2006. Aus diesem Bericht392 geht
hervor, dass sich das Land in den letzten Jahren nicht mehr ent-
wickelt wie erhofft. Der Schub durch Auslandshilfe und eigene
Leistung bleibt aus.

Land- und Wasserwirtschaft, Armutsbekämpfung

In der Landwirtschaft gibt es zahlreiche Probleme, die inzwi-


schen äußerst dringlich geworden sind: Wassermangel durch
Dürre und Absinken des Grundwasserspiegels sowie Umwelt-
verschmutzung. Inzwischen nehmen, auch bedingt durch diese
Faktoren, zahlreiche Krankheiten zu, außerdem ist die landwirt-
schaftliche Produktivität gering. Das wird nicht besser dadurch,

332
dass bisherigen Landreformen nicht weit genug gehen und nach
wie vor die Hälfte der Landbevölkerung, etwa 35 Millionen
Menschen, in Armut leben muss. Bei einem Treffen mit einem
hochrangigen Ministerialbeamten sagte er mir voller Sorge, das
Militärbudget verhindere dringend notwendige Großprojekte
zur Landwirtschaftsentwicklung.

Notwendige Reformen

Dies bedeutet, dass sich das Land ohne eine Militärreform nicht
rasch genug weiter entwickeln kann. Pakistan kann und muss
also auch selbst kräftig anpacken, um nicht in große Schwierig-
keiten zu geraten. Die Budgetübersicht393 zeigt, dass im Fiskal-
jahr 07/08 1.549 Mia. Rupis (= 15,5 Mia. €) ausgegeben wur-
den. Davon ging deutlich mehr als ein Drittel in den Schulden-
dienst, das meiste in Zinszahlungen, nur € 617 Mio. gingen in
Rückzahlungen. Mit einem derart hohen Schuldenstand kann
sich das Land kaum noch entwickeln.

Sicherheit und Kosten – das Militär

Der nächstgrößte Posten ist dann das Militär mit € 2,77 Mrd.,
unter 20% des Jahresbudgets. Zum Vergleich: Deutschland gab
2007 unter 10% für das Militär aus.394
Wenn die USA, wie bisher geschehen, für Pakistans Leistun-
gen im Terrorkrieg eine Milliarde Dollar pro Jahr zahlen, ist das
also für Pakistan ein erheblicher Posten. Die Frage ist jedoch,
ob das Land auf die Dauer nicht besser fährt, wenn es sich mit
seinen Nachbarn besser stellt und strukturell den Militärsektor
verkleinert. Die Frage kann hier nicht abschließend betrachtet
werden. In Pakistan ist sie selbstverständlich Gegenstand jähr-
lich wiederkehrender erheblicher Debatten. Es gibt jetzt wieder
Kommentatoren395, die an ein Zitat des sowjetischen Botschaf-
ters in Islamabad, Smirnov, erinnern, der bemerkte, Pakistan

333
werde 100 Jahre seine Mühe mit dem Pulverfass haben, das es
sich selbst mit dem politischen Vakuum nach Abzug der Sowjet-
macht untergeschoben habe.
Tatsache ist, dass der US-geführte Westen Pakistan in den
letzten 30 Jahren in erhebliche Schwierigkeiten gebracht hat.
Das sang- und klanglose Ende unserer Aufmerksamkeit für das
Land nach dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan
brachte in den 90er Jahren zwischenzeitlich fast die Zahlungs-
unfähigkeit. Insofern kam dann der Terrorkrieg für Pakistan mit
Schuldenstreichungen und Sofortzahlungen wie gerufen. Die
Kehrseite jedoch ist für Pakistan, dass der Westen immer wieder
auftaucht, eine Menge Wirbel verursacht, der die gesamte Ge-
sellschaft durchrüttelt – und dann wieder verschwindet, unter
Hinterlassung einer Menge auch kostspieliger Probleme. Beim
Sowjetkrieg waren das 3,5 Millionen Flüchtlinge und ihre Ka-
laschnikow-, Drogen- und Schmuggelkultur. Diesmal werden
es die islamischen Milizen sein, deren Arm bereits bis in die
Hauptstadt reicht.
An diesem geschichtlichen Wendepunkt gibt es jedoch eine
Neuerung: Sollte der Westen sich wieder so hurtig und unbe-
dacht verabschieden wie zuletzt, wird er selbst von den Folgen
in Form von Terroranschlägen auf dem eigenen Territorium
heimgesucht. Wenn jetzt jemand zu bedenken gibt, dass dies
also nicht der geeignete Moment sei, um über Abrüstung nach-
zudenken, so ist entgegenzuhalten, dass der Terrorkrieg mindes­
tens ebenso stark ein soziales wie militärisches Problem ist. Und
Konflikte deeskalieren kann das Militär nicht allein, auch nicht
in Pakistan.
Jedes Jahr ein bis zwei Prozent Budget-Absenkung für das
Militär müsste möglich sein, ohne die Sicherheit zu gefährden.

Geheimdienste

Pakistans Geheimdienste sind kein Ruhmesblatt im innenpo-


litischen Kontext. Wenn Parteien unter Mitwirkung des ISI

334
gegründet werden, wenn Hunderte Menschen verschwinden,
wenn jede besonders militante Kampfgruppe in Kaschmir un-
ter dieser Mitwirkung gegründet wurde, dann muss festgestellt
werden, dass dieses System aus den Fugen geraten ist. Und jeder
potenzielle Geldgeber Pakistans wird darauf achten, ob Pakistan
aus eigener Kraft in der Lage ist, sich nachhaltig zu reformie-
ren.
Natürlich gibt es eine Menge Anekdoten396 über ISI-Perso-
nal. Heraus ragt Ex-DG General Javed Nasir, der das gesamte
Währungsguthaben in die pakistanische Mehranbank legte, die
dann pleiteging. Nachfolger General Javed Ashraf Qazi hol-
te das Geld in einer Kommandoaktion vom Bankpräsidenten
Yunus Habib persönlich zurück.
Es bleibt festzuhalten, dass innenpolitische Einmischung
durch Geheimdienste nicht tragbar ist. Aktivitäten ohne Wissen
der Regierung sind verboten. Alle wichtigen Erkenntnisse müs-
sen der Regierung mitgeteilt werden. Geheimdienst-Mitarbeit
in Pakistan ist eine der letzten Möglichkeiten, VIP-Status zu ge-
nießen. Das jedoch ist das Gegenteil von geheim.
Auch hier hilft eine langfristig geplante Budget-Senkung.

Korruption

Schon Staatsgründer Jinnah beklagte die um sich greifende Kor-


ruption, die vor allem in den oberen Klassen weit verbreitet sei.
Das Phänomen hat im Bereich der Justiz untragbare Formen
angenommen. Transparency International397 meldet, dass 96
Prozent aller Befragten bei Gerichtsprozessen Korruption er-
lebt haben, dass die Polizei in ländlichen Bezirken grundsätzlich
ohne Schmiergeldzahlungen keine Anzeigen aufnimmt – wobei
der Durchschnitt bei 19 Besuchen auf dem Polizeirevier liegt,
bevor sich etwas bewegt – und das bei durchschnittlich 9 Meilen
Anfahrt zum Revier.
Wer jedoch einen Richter angreift, wird seit 2003 mit ei-
nem halben Jahr Gefängnis bedroht und/oder 1.700 US-$ Stra-

335
fe. TI zitiert den ersten Bericht des Anwaltsrates von 2003, der
schließt, dass es der Militärregierung offenbar wenig störe, wenn
Richter korrupt seien, weil Regierende dann weniger von ihnen
zu befürchten hätten. Frauen und Kinder, die keine Schmiergel-
der zahlen können, leiden am meisten. 4.000 Frauen sitzen we-
gen der ‚Hudud’-Verordnung im Gefängnis. Diese Verordnung
(im Rahmen der Scharia) aus Zias Zeiten besagt, dass Frauen,
die vergewaltigt wurden, sich strafbar machen können, wenn sie
vor Gericht gehen. Sie benötigen für ihren Prozess vier Zeugen.
Damit ist das Rechtsrisiko für Vergewaltiger in Pakistan beson-
ders gering. Auch die oben erwähnte Wachstumsstudie erwähnt
das reformbedürftige Rechtssystem als einen kostenträchtigen
Wachstumskiller: Das Hemmnis wirkt besonders auf ausländi-
sche Investoren abschreckend.

Fazit

Pakistan hat mutige Richter, Anwälte und Journalisten. Gerade


bei den Journalisten könnte auch Deutschland sich „eine Schei-
be abschneiden“. Es hat tüchtige Manager und brilliante Tech-
niker. Die Familie hat einen sehr hohen Stellenwert, Kinder in
Pakistan bekommen womöglich mehr Liebe als ihre Altersge-
nossen in Deutschland.
Tatsache ist jedoch auch: Das Land könnte wesentlich besser
dastehen, wenn es sich nicht selbst behindern würde. Anderer-
seits wäre auch vieles besser, wenn es nicht behindert würde. Das
beste denkbare Ereignis wäre, wenn sowohl im Ausland als auch
im Inland gleichzeitig die Zeichen der Zeit begriffen würden:
Für Veränderung gibt es keinen besseren Zeitpunkt als – jetzt.

336
ANHANG

Länder-Info: Auswärtiges Amt, Stand: April 2008

Ländername
Islamische Republik Pakistan
Islami Dschumhuriat Pakistan (Urdu)
Islamic Republic of Pakistan
Klima: Im Süden tropisch-feuchtes Seeklima; im Norden Kon-
tinentalklima mit kühlem Winter und heißem Sommer; Mon-
sunzeit im Juli und August
Lage: Pakistan grenzt im Westen an Iran und Afghanistan, im
Norden an China, im Osten an Indien. Im Süden hat es eine
dünn besiedelte Küste zum Arabischen Meer
Landesfläche: rund 800.000 qkm (rund zweimal so groß wie
Deutschland)
Hauptstadt: Islamabad,
letzte Volkszählung 1998: 799.000 Einwohner;
(Nachbarstadt Rawalpindi 1,4 Mio.)
Bevölkerung: rund 162 Mio. in vier Provinzen (Punjab, Sindh,
Nordwest-Grenzprovinz - NWFP, Baluchistan) und in den von
der Zentralregierung verwalteten Stammesgebieten (Federally
Administered Tribal Areas, FATA).Bevölkerungsdichte beträgt
rund 185 Einwohner/qkm; Bevölkerungswachstum: rund 2,0%
(offizielle Angabe, tatsächlich höher)
Unter pakistanischer Verwaltung stehen außerdem seit 1947 ein
Teil Kaschmirs (Azad Jammu & Kaschmir) mit weiteren 13.300
qkm und rund 3 Mio. Einwohnern, der eine Teilautonomie ge-
nießt, sowie die Nördlichen Gebiete (Gilgit), früher zeitweilig
ebenfalls Teil des Fürstentums Kaschmir.
Landessprachen: Urdu, offizielle Sprache, daneben auch Englisch.
Die wichtigsten Regionalsprachen sind Punjabi, Sindhi, Pashtu,
Seraiki, Baluchi.
Religionen / Kirchen: Islam ist Staatsreligion (96% der Bevöl-
kerung, in der Mehrzahl Sunniten, zwischen 10 u. 20 % Schi-
iten). Christen knapp 2%, Hindus 2%.

345
Die Ahmadis sind eine vom offiziellen Islam ausgegrenzte mus-
limische Sekte mit 2-4 Mio. Mitgliedern.
Mehrzahl der über 2 Mio. protestantisch/reformierten Denomi-
nationen in der Church of Pakistan zusammengeschlossen; Ka-
tholische Kirche: ca. 1 Mio.; andere Denominationen: rd. 0,6
Mio. Daneben Parsen, Sikhs, Buddhisten, Baha’i.
Nationalfeiertag:
1. Pakistantag: 23. März (zur Erinnerung an den Beschluss zur
Gründung eines Staates in den mehrheitlich von Muslims be-
wohnten Gebieten Indiens aus dem Jahr 1940).
2. Nationaltag: 14. August (Staatsgründung 1947)
Unabhängigkeit: 1947
Staatsform/Regierungsform: Parlamentarische Demokratie
mit Zweikammernsystem, Sonderrechte des Präsidenten (de
facto Präsidialregime)
Staatsoberhaupt: General a.D. Pervez Musharraf, seit
20.06.2001 Präsident (nach Machtübernahme durch Militär-
putsch am 12.10.1999, Vereidigung als ziviler Präsident für eine
weitere fünfjährige Amtszeit am 29.11.2007)
Regierungschef: Yousaf Raza Gilani (PPP), am 25.03.2008
als Premierminister einer Vierparteienkoalition (PPP, PML-N,
ANP, JUI-F) vereidigt
Außenminister: Shah Mahmood Qureshi, am 31.03.2008 als
Außenminister vereidigt
Parlament: Das Parlament besteht aus zwei Kammern, dem Se-
nat und der Nationalversammlung. Nach den Wahlen vom 18.
Februar 2008 konstituierte sich die neue Nationalversammlung
am 17. März 2008 für eine fünfjährige Legislaturperiode.
Parteien:
• Pakistan Peoples Party (PPP), ehemalige Regierungs-
partei, neuer Vorsitzender nach Benazir Bhuttos Ermor-
dung am 27.12.07 ist ihr Sohn, Bilawal Bhutto Zardari,
als zweiter Vorsitzender führt ihr Mann, Asif Ali Zardari
die Partei bis Bilawal sein Studium beendet hat.
• Pakistan Muslim League (PML-N), geführt von Nawaz
Sharif (ehemaliger Premierminister)

346
• Awami National Party (ANP), säkular ausgerichtete
Paschtunenpartei
• Jamaat-e-Ulema-e-Islamyia (JUI), derzeit einzige religi-
öse Partei in der Nationalversammlung;
• Pakistan Muslim League (PML-Q), ehemalige Regie-
rungspartei, Musharraf nahestehend;
• Muttahida Quami Movement (MQM), Partei der mus-
limischen Einwanderer aus Indien im südlichen Sindh;
kleinere Parteien
Gewerkschaften: Vielzahl von Betriebsgewerkschaften mit ca.
60 Zusammenschlüssen auf Bundesebene, aber ohne Dachorga-
nisation. Von geringem Einfluss.
Verwaltungsstruktur des Landes: Bundesstaat
Mitgliedschaft in internationalen Organisationen: Verein-
te Nationen und Unterorganisationen, Islamische Konferenz-
Organisation (OIC), SAARC (Südasiatische Gemeinschaft für
Regionalentwicklung, Zusammenschluss von 7 südasiatischen
Staaten), ECO (Organisation für wirtschaftliche Zusammenar-
beit mit Iran, Türkei, zentralasiatischen Republiken, Aserbaid-
schan und Afghanistan), D-8 („Gruppe der 8 Entwicklungslän-
der“ - wirtschaftlich ausgerichtete Interessengruppierung von
Ägypten, Bangladesch, Indonesien, Iran, Nigeria, Malaysia,
Türkei und Pakistan), ASEMASEM (Asien-Europa-Treffen),
Beobachter in Shanghai Cooperation Organisation. Mitglied-
schaft im Commonwealth wurde wegen Verhängung des Not-
stands im Nov. 2007 ausgesetzt.
Wichtigste Medien: Rundfunk und Fernsehen, darunter meh-
rere private; englischsprachige TV-Nachrichten Dawn News.
Vier bedeutende englischsprachige Tageszeitungen (Dawn; The
News; The Nation, Daily Times); einige große sowie viele klei-
ne Zeitungen in Urdu und den Regionalsprachen; gutes Wo-
chenblatt „The Friday Times“, Monatsmagazine „Herald“ und
„Newsline“ zeichnen sich durch kritischen, investigativen Jour-
nalismus aus.
Bruttoinlandsprodukt in Euro: ca. 88 Mrd. US-Dollar (Schät-
zung 2006)

347
Pro-Kopf-BIP in Euro:(zu Marktpreisen): 847 US-Dollar
(Schätzung 2006)
Entwicklungsinformationen des BMZ:

Auswahl von Indikatoren zum Stand der Umsetzung der


Millenniumsentwicklungsziele
Anteil der Bevölkerung mit weniger 17% (2003)
als 1 US-Dollar pro Tag
Unterernährte Bevölkerung 24% (2005)
Öffentliche Bildungsausgaben in Pro- 2,3% (2002-
zent des Bruttoinlandsproduktes 2005)
Anteil der Kinder im schulpflichtigen 68% (2005)
Alter, die eine Grundschule besuchen
Anteil der Menschen, die lesen und 43% (2003)
schreiben können
Anteil der Sitze in nationalen Parlamen- 21,3% (2005)
ten,
die von Frauen eingenommen werden
Anzahl der Kinder, die vor ihrem fünften 99 (2005)
Geburtstag sterben
(pro 1.000 Lebendgeburten)
Anzahl der Mütter, die während der 500 (2000)
Schwangerschaft oder bei der Geburt
ihres Kindes sterben (pro 100.000 Le-
bendgeburten)
HIV/AIDS-Quote (Erwachsene zwi- 0% (2005)
schen 15 und 49 Jahren)
Öffentliche Gesundheitsausgaben in 0,4% (2004)
Prozent des Bruttoinlandsproduktes
Anteil der Bevölkerung mit gesichertem 91% (2005)
Zugang zu Trinkwasser
Kohlendioxid-Emission pro Kopf (in 0,8 (2003)
Tonnen)
Anzahl der Internetnutzer 67,4 (2005)
(pro 1.000 Einwohner)

 Stand: April 2008

348
Deportationsdokument

349
Faksimile Bericht State Department Robert Gallucci
22.1.1975

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354

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