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Die gestellte Frage kann weder mit Ja, noch mit Nein beantwortet werden. Die damals
vorgebrachten Forderungen enthielten aus heutiger Sicht eindeutig antisowjetische und andeutend
antikommunistische Aussagen, die Zusammensetzung der damaligen Studentenschaft erlaubt aber
keine Ja-Antwort. Was später zu diesem scheinbaren Widerspruch ausgesagt wird entspricht meiner
eigenen Erfahrung. Um objektiv zu bleiben, will ich versuchen mich in der damaligen
Stimmungslage zu versetzen und mich hüten Ansichten aus späteren Erfahrungen und
Erkenntnissen darin einzuflechten.
Die folgenden Ausführungen sind bei weitem keine umfassende Beschreibung der
Temeswarer Studentenbewegung. Ich habe nur jene Aspekte aus meiner Erinnerung behandelt, die
ich selbst erlebt habe und beobachten konnte. Sehr wichtige Ereignisse und Aspekte der Bewegung
werden deshalb nicht behandelt. Folgende Fragen müssten noch behandelt werden:
• Was geschah in anderen Gruppen des 4. Jahrgangs der Mechanik-Fakultät, in anderen
Jahrgängen, in anderen Fakultäten des Polytechnikums, in anderen Hochschulen der Stadt?
• Wie arbeitete das Organisationskomitee, was wurde abgesprochen und beschlossen?
• Wie verliefen die Verhöre der Verhafteten, die Gerichtsverhandlungen und die
Verurteilungen? Was beinhalteten sie?
• Was geschah am 31. Oktober 1956 in Temeswar?
• Was erlebten die aus der Hochschule ausgewiesenen Studenten?
Die Hauptversammlung
Einen Tag vor der Hauptversammlung nahm mich Drobny beiseite und sagte, man werde
einen Schweigemarsch der Studenten durch das Temeswarer Zentrum veranstalten als Zeichen der
Solidarität mit den ungarischen Studenten. Er bat mich, am nächsten Vormittag vor der
Mittagspause den Studenten aus der Gruppe kund zu tun, sich um 3 Uhr nachmittags im Hof der
Mechanik-Fakultät einzufinden. Dort würden auch die Studenten anderer Fakultäten antreffen,
vielleicht auch jene des Mathematik-Physik-Instituts.
Am nächsten Tag, zum gegebenen Zeitpunkt, ich war schon aufgestanden um die Meldung
durchzugeben, kam mir ein Gruppenkollege, Mathias Cristian, voraus und machte die besagte
Meldung. Später sollte ich froh sein, dass ich von diesem Auftrag erlöst worden war, obwohl es mir
um Cristian furchtbar Leid tat. Er wurde auf ein Jahr Zuchthaus verurteilt.
Als wir am Nachmittag im Hof der Fakultät ankamen wurden wir verwiesen, in die Aula zu
gehen. Als ich eintrat waren noch viele Plätze frei, aber am Katheder saßen schon einige lokale
Parteiführer, der derzeitige Rektor und der vorherige, mittlerweile stellvertretender Minister im
Unterrichtsministerium. Es war einleuchtend, dass die Partei den Organisatoren zuvorgekommen
war um den weiteren Verlauf der Studentenansammlung steuern zu können. Nachdem sich der Saal
in kurzer Zeit gefüllt hatte und einige Studenten vor der Tür stehen bleiben mussten erklärte uns
eine der Persönlichkeiten aus dem „Präsidium” der Versammlung, dass man uns einberufen habe,
um uns die Gelegenheit zu bieten, unsere Probleme vor Vertretern der Partei und des
Unterrichtsministeriums darzulegen.
Mir war die Situation nicht ganz geheuer und habe während dieser Versammlung nicht das
Wort ergriffen, obwohl ich bei den vorherigen Befragungen es getan hatte. Ohne einen bestimmten
Verdacht nennen zu können, packte mich ein Verdachtsgefühl. Die anfangs verstummten Studenten,
die lockere, unbeteiligte und gleichgültige Haltung der vorne Sitzenden Persönlichkeiten. Es war
ungewöhnlich, dass Parteibonzen ohne Widerspruch kritische Aussagen mit so viel Geduld
anhörten. Viel später fand ich die Erklärung meiner damaligen Verdachtsgefühle. Wir waren in
einer Falle der Partei geraten. Das ganze war ein Manöver, um so genannte Unruhestifter
auszusondern. Vermutlich war in jenem Augenblick die Bestrafung dieser Studenten schon
beschlossen.
Während sich Studenten zu Wort meldeten, füllten sich die Korridore mit Studenten und es
wurde beschlossen, die Versammlung im Kantinensaal fortzusetzen. Im vollen Kantinensaal ging
der Vorgang weiter. Die Studenten waren diszipliniert und ruhig bis auf Applause, mit denen
Aussagen der Redner von der Masse der Studenten bestätigt wurden.
Plötzlich ereignete sich ein Zwischenfall. Während Teodor Stanca sprach, unterbrach ihn
eine Kollege aus dem 5. Jahrgang, der sich auf dem rechten Balkon des Saales befand. Nachträglich
erfuhr ich, dass er Stanciu hieß und die Chemie-Fakultät besuchte. Er war physisch behindert und
ging auf Krücken. Ich kann kein Zitat wiedergeben, aber der Inhalt seines Einspruchs blieb mir klar
in Erinnerung: Hört nicht auf diesen Verräter; er steckt mit den Kommunisten unter einer Decke;
wir wollen keine belanglose Forderungen stellen, was wir wollen ist Freiheit, völlige Freiheit vom
Kommunismus. Es war die einzige eindeutig antikommunistische Haltung eines Studenten
innerhalb jener Versammlung.
Freiheitsrufe erklangen auch später aus dem Saal, doch der neue Rufer schien den nahe
stehenden Studenten verdächtig. Studenten umzingelten ihn, hielten ihn fest, durchsuchten ihn und
zeigten anschließend seinen Securitate-Ausweis. Der Rufer musste den Saal verlassen.
Die Parteibonzen aus dem Präsidium begannen einige Aussagen der Studenten zu erwidern.
Seitdem erklangen Pfiffe, immer lauter und genau wenn jemand aus dem Präsidium sprach. Die
Pfiffe erfolgten chaotisch und ohne einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem, was der
Präsidiumsmann sagte. Offensichtlich kamen sie von gestellten Provokateuren. Das Präsidium
erhob sich, und verließ den Saal mit einer lauten Bemerkung eines ihrer Mitglieder: mit euch kann
man nicht reden!
Die Sitze auf der Bühne wurden von einigen Organisatoren besetzt und drei oder vier
begannen die Programm-Eingabe zu redigieren.
Es ereignete sich ein neuer Zwischenfall. Auf der Bühne erschien ein Mann in Arbeiterkluft
mit beschmierten Händen und beschmiertem Gesicht. Er gab sich als Arbeiter, der gerade von der
Arbeit komme, aus. Er beteuerte ein Freund der Studenten zu sein und forderte uns auf, den Saal zu
verlassen.
Schon vor diesem Zwischenfall begannen Studenten den Saal zu verlassen. Dass
Informationen zu den bevorstehenden Maßnahmen der Behörden im Saal eingedrungen waren,
ergab sich daraus, dass auch Studenten, die das Abendessen einnehmen sollten, den Saal verließen.
Diese Informationen kamen nicht nur von Leuten, die verdächtige Bewegungen von Soldaten auf
den Straßen Temeswars bemerkt hatten. Es ist zu vermuten, dass Eltern, die selbst im Apparat mit
den Vorkehrungen betraut wurden, oder Beziehungen zum Apparat hatten, die Aufforderung, den
Saal zu verlassen, ihren Kindern, Nichten und Neffen überbringen ließen. In jenen Momenten, hatte
ich und viele meiner Kollegen keine Ahnung davon und blieben deshalb im Saal.
Nachdem alle Punkte der Programm-Eingabe vorgelesen waren wurde beschlossen auf der
Strasse zu gehen, falls wir keine Antwort auf unsere Forderungen erhalten, und das wir geeint
bleiben.
Die Programm-Eingabe
Die Ausarbeitung der Programm-Eingabe erfolgte seitens drei oder vier Studenten, die auf
der Bühne an einem Tisch saßen. Später viel mir auf, dass ihre Themen gewissermaßen jenen
entsprachen, die Teodor Stanca in seiner Wortmeldung aufgegriffen hatte. Es hatte also einen
Entwurf der Eingabe gegeben. Wenn ein Punkt formuliert war, wurde der Text vorgelesen und der
Applaus der Menge galt als Abstimmung, Auf der Bühne wimmelte es von Studenten, die
irgendetwas den Verfassern zuflüsterten oder mit ihnen etwas debattierten um dann wieder in den
Saal abzusteigen, weswegen der Übergang von einem Punkt zum anderen etwas Zeit in Anspruch
nahm. Es schien als ob die Autoren unter dem Einfluss der sie bestürmenden Studenten erst jetzt die
Punkte zusammenstellten, dabei handelte es sich aber wahrscheinlich um Umschreibungen und
Umformulierungen des vorhandenen Entwurfs.
Beim Durchlesen der Programm-Eingabe fällt auf, dass die drei ersten Punkte radikal
ausfallen, danach, mit Ausnahme des 8. Punktes, sanfter werden, um am Ende bedeutungs- und gar
gegenstandslos zu wirken. Möglicherweise hatten die Verfasser mittlerweile etwas über
Vorkehrungen der Behörden erfahren.
Es ist zu bemerken, dass die Anliegen der Studenten in den Wortmeldungen vorsichtiger
vorgetragen wurden aber tiefer zielten, als in der Programm-Eingabe. Die Wortmeldungen
enthielten, mit Ausnahme des Uranium-Problems, keine direkte antisowjetische oder gegen das
System gerichtete Aussagen. Das in der Programm-Eingabe der Akzent dreier Punkte in Richtung
antisowjetischer Aussagen verschoben wurde, ist auf einer nationalistischen Gesinnung der Autoren
der Vorlage zurückzuführen. Unter den Organisatoren befanden sich auch Deutsche und Ungarn,
denen dieser Aspekt, weil es um die Sowjetunion ging, vermutlich entgangen ist.
Die Reife der Studenten, die das Wort ergriffen hatten, ist bemerkenswert. Sie ist erklärlich.
Es handelte sich fast ausschließlich um Studenten, die ich schon als politisch interessiert bezeichnet
habe, jene, die sich um der Zukunft des Landes und der Gesellschaft Gedanken machten. Sie
gehörten zur Schicht der am besten vorbereiteten Studenten, der vernünftigsten, die auch begabt
waren ein Thema in einer sachlichen und aussagbahren Form zu behandeln.
Auch die Schwäche der Programm-Eingabe ist erklärlich. Die Verfasser waren dem Stress
und dem Druck aus zwei Seiten ausgesetzt. An einer Seite befand sich die staatliche Autorität, die
nicht allzu übertrieben gereizt werden sollte. Auf der anderen, die schwach vorbereiteten und
politisch gleichgültigen Studenten, einschließlich die Arbeiterstudenten, deren spezifischen
Eigeninteressen ebenfalls befriedigt werden mussten, um sich der Bewegung anzuschließen. Der 6.
und der 7. Punkt der Eingabe sollte eine Solidarisierung der Arbeiter und Bauern mit der
Studentenbewegung verursachen. Der Rückzug der noch im zweiten Teil der Versammlung
anwesenden Parteibonzen und Institutsleiter verunsicherte die Verfasser und am Ende mussten sie
unter der Bedrohung de Behörden das ganze doch zum Ende führen.